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Kinder und Wissenschaft

 

Wissen ist Macht

 

Wann fangen wir an

In einem geordneten Staate ist alles schon vorbedacht für jeden werdenden Staatsbürger und Steuerzahler. Erst recht der Beginn der wissenschaftlichen Arbeit.

Das sollst du aber nicht blind über dich ergehen lassen als gedankenlose Polizeimaßregel, sondern mit eigenem Nachdenken.

Im allgemeinen hat die Staatsbehörde das sechste Lebensjahr ersehen zur Grundsteinlegung aller Wissenschaft, die ja auf der Kenntnis des Schrifttums fußt. Das ist ohne Zweifel das Ergebnis sehr richtiger Beobachtungen.

Das Kommen der zweiten Zähne deutet auf eine tiefgreifende Umwälzung im Kinde. Sie ist natürlich nicht nur körperlich, sondern läßt auf viel tieferes Werden im verborgensten Sein schließen.

So tief wie das Kommen der ersten Zähne ist die Veränderung nicht. Darum vollzieht sie sich schmerzlos und ohne besondere Gefahren. Der Körper steht auch den Stufen der Vollreife schon viel näher. Aber sie ist bedeutsam genug, um etwas ganz Neues in dem Kinde anzuknüpfen, den Beginn der ernsten Wissenschaft.

Bis zum sechsten Jahre muß ja die häusliche Gehorsamsfrage entschieden sein; aber du wirst am Gebaren deines Kindes eine gewisse Flegelzeit feststellen können, die stürmisch eine ernstere Beschäftigung heischt als nur ein kindisches Spielen.

Schule ist für viele Familien das lösende Wort in allerlei häuslicher Verlegenheit, die ein ungebärdiger Lernreifling verursacht. Schulzwang ist im Grunde ein günstiges Entgegenkommen des Staates und wirklich eine der wertvollsten Ausgaben im Staatshaushalt.

Die Entwickelung der Völker in den letzten vier Jahrhunderten beweist es dem oberflächlichsten Zuschauer. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Entwickelungsgang der Kulturvölker mit Schulzwang und ohne Schulzwang. Ein so großer, daß man ihn heute überall einzuführen trachtet, wo er nicht da ist.

Aber ein Staatsgesetz kann sich auf Einzelbehandlung nicht einlassen. Du aber sollst es tun, denn es handelt sich um dein Kind.

Ohne Zweifel trifft das sechste Lebensjahr nicht alle Kinder im Zustande der Lernreife an. Viele werden körperlich und geistig nicht genug entwickelt sein für so ernstes Tun.

In solchem Falle versuche, den Lernanfang hinauszuschieben. Die Schulbehörden werden für eine ernste und freundliche Vorstellung gewiß ein Ohr haben. Vielleicht hilft dir auch dein Arzt dabei.

Es ist immer besser, man beginnt mit der Wissenschaft zu spät als zu früh. Ein »Zu spät« darf man überhaupt im menschlichen Leben nicht anerkennen.

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Der Schulanfang ist der Beginn der Wissenschaft. Das ist etwas sehr Ernstes. Wenn sich's auch vorläufig nur um das Abc handelt, so ist's eine nicht mindere Wissenschaft als irgend etwas, was später gelernt wird. Mir scheint sogar der allerwichtigste Teil der Wissenschaft zu sein, was von unsern wackeren Volkslehrern vertreten wird.

Indem die Tore der Schule sich öffnen, schließt sich unwiderruflich die Pforte des Paradieses, in dem dein Kind ja nach dem Gesetz der Entwicklung ein wenig verweilen durfte. Der Cherub wird's nicht mehr zurück lassen.

Schule ist einer der bedeutsamsten Wendepunkte des Lebens.

Auch deine Beziehungen zu deinem Kinde werden ganz andere. Es geschieht vielleicht unvermerkt, aber unaufhaltsam. Der stille, leise Gang des Lebens wird immer schneller. Die Zeit kommt zunächst wie ein sanftes Fächeln, wird aber immer eiliger, bis sie in rasender Sturmeseile davonbraust.

Vom Schulbeginn an hast du deine Vormachtstellung mit anderen, mit Fremden zu teilen. Das ist nicht immer leicht.

Also eile nicht allzusehr. Erlauben es deine Mittel, so fange das Lernen daheim an und dann recht langsam, recht geduldig, recht gründlich. Laß es einen zarten Übergang sein vom Spiel zur ernsten Lebensarbeit.

Es schadet aber nichts, wenn deine Mittel dir den häuslichen Anfang nicht gestatten. Dann schickst du dein Kind unbedenklich zur Schule. Menschliche Werte hängen niemals am Geld – hörst du! niemals! Sie werden nur gebildet durch unsere Haltung im Geiste.

Aber vor einem warne ich und habe auf meiner Seite eine reiche Erfahrung. Fange nie zu früh an. Es gibt Kinder, die bereits mit fünf Jahren so entwickelt und lernbereit sind, daß sie auf Schule und Wissenschaft brennen. Sogar Vierjährige versuchen oft, Weisheitsbrocken der Sechsjährigen aufzuschnappen und Gelehrsamkeit zusammenzubuchstabieren.

Manche Eltern sind entzückt darüber. Daß ihr Lieschen gescheiter ist als Nachbars Fritz, war ihnen von vornherein nicht verwunderlich. Man bedenke: Bei solchen Eltern! Aber daß nun der Tatbeweis erbracht ist, und das viel jüngere Lieschen ebensoviel kann wie Fritz, das ist schon um des schönen Ärgers willen unbezahlbar. Und es wird überall ausposaunt, und Lieschen hört's auch und glaubt's und wird gerade so albern wie sein wertes Elternpaar.

Armes Lieschen! Soviel früher treibt dich der Cherub aus deinem Paradiese!

Frühreife ist niemals unbedenklich für die spätere Entwickelung. Sie sollte sehr sorgfältig behandelt werden, womöglich unter Zuziehung eines verständigen Arztes. Denn gar zu leicht deutet sie auf ein Gehirnleiden und endet in der Regel mit Verdummung oder schlimmerem. Frühreife herauszüchten wollen, ist geradezu ein Verbrechen.

Freue dich, wenn dein Kind sich recht spät und langsam entwickelt. Ich habe Menschen gekannt, über die hat man noch auf gelehrten Schulen geseufzt wegen ihrer Langsamkeit im Werden. Sie sind oft im Leben die Brauchbarsten geworden, und manchen Musterknaben habe ich versinken sehen.

Also bei der Seele deines Kindes: fange nicht früher an als unbedingt nötig ist. Man spannt auch kein Fohlen vor den schweren Wagen oder zäumt es für den Reiter. Die Wissenschaft ist ein beladener Karren und ein sehr schwerer Reiter. Wache über deinem Kinde!

Schule und Haus

Von dem Augenblicke an, in dem dein Kind seinen Fuß über die Schwelle der Schule setzt, hast du es nicht mehr allein. Ist die Gehorsamsfrage richtig gelöst, wirst du immer ein entscheidendes Wort in seinem Leben reden dürfen, wenn nicht, so wird das Entscheidende fortan von anderer Seite kommen. Dagegen gibt's kein Auflehnen.

Für das Kind ist es nun von größter Wichtigkeit, daß Schule und Haus einig sind. Derselbe Geist der Zucht und Ordnung, nur in einer anderen Form des Lebens – das möchte die Schule sein.

Man muß dazu bedenken, daß Lehrer Menschen sind, die ihr Leben hergeben zu weiter keinem andern Zwecke, als jugendlichen Geistern Lebenswege zu bereiten. Ich glaube auch nicht zu fehlen, wenn ich sage, daß die weitaus größte Zahl der Lehrer wirklich durch diesen hohen Gesichtspunkt zu der Wahl gerade dieses Berufes geleitet worden ist.

Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, sein ganzes Leben in den Dienst eines großen Gedankens zu stellen. Ein Mensch hat nicht mehr als ein Leben. Wer sein Leben einsetzt, dem ist's ernst.

Daß es im Lehrerstande auch weniger hochdenkende Menschen gibt, ist selbstverständlich, ebenso daß manchem die innere Kraft fehlt, in den edlen Gedanken völlig hineinzuwachsen. Die Jugend will's wohl, aber das Können und Werden reicht nicht bei allen aus.

Je höher ein Ziel ist, desto schwerer ist es zu erreichen, desto verbitterter wird auch ein Mensch, der sein Unvermögen durchfühlt, und andrerseits keinen andern Weg mehr einschlagen kann. Es fehlt nicht an solchen Gestalten in der Lehrerwelt. Trotzdem ist dieser Beruf der wichtigste und bedeutsamste, auch wo das Können hinter dem Wollen zurückbleibt.

Aus Gewinnsucht ist jedenfalls niemand Lehrer. Dafür ist ausreichend gesorgt bei allen, die Lehrer heißen, vom Volkslehrer bis zum Universitätslehrer. Es ist nicht die Ehre der menschlichen Gesellschaft, daß es so ist. Hätten wir ein richtigeres Empfinden, so müßte die ganze menschliche Gesellschaft von dem Gedanken durchdrungen sein, daß jeder Lehrer vollständig sorgenfrei leben sollte. Eigentlich müßten die Lehrer die weitaus bestbesoldeten Beamten sein, denn ihnen ist das Teuerste anvertraut, was wir haben, was es in der Welt überhaupt gibt, unsere Kinder.

Mit dem Lehrer also mußt du deine Vormachtstellung über dein Kind teilen. Je weniger eifersüchtig, je selbstverständlicher und aufrichtiger du das tust, um so besser für dein Kind. Du suchst doch des Kindes Bestes, nicht deinen Nutzen und deine Ehre!

Es gibt auch nichts, was die gesamte Lehrerwelt so ersehnt, als den Einklang zwischen Schule und Haus. Die Stellung des Lehrers ist überaus schwierig. Seine ganze Tagesarbeit, die sehr anstrengend ist, gehört einer Masse sehr verschiedenartiger und keineswegs immer leichter jugendlicher Geister, die an Begabung, Gemüt und Zuchtbewußtsein so verschieden geartet wie möglich sind. Es gehört eine große Kraft dazu, hier die Vormachtstellung zu behaupten, und aus dieser Masse eine gezüchtete Einheit zu schaffen.

Aber diese ganze, schwere Arbeit wird geleistet zwischen gefährlichen Klippen. Zwischen Schulbehörde, Schulaufsicht, Schulgewaltigen aller Art und zwischen der vielköpfigen Elternmenge. Wenn diese Mächte nicht einigermaßen im Gleichgewicht sind, vermag auch der beste Lehrer nichts zu leisten. Nur in vollendetem Frieden gedeiht eine Schularbeit, gedeihen unsere Schulkinder.

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Bitte versetze dich ganz in die Lebensumstände der Lehrpersonen hinein, denen dein Kind von Gesetzes wegen übergeben wird, und tue von deiner Seite alles, was zur Erleichterung der Sache möglich ist.

Ferner denke dich ganz in die Seele deines Kindes hinein. Es wird fortan während der bedeutsamsten Tagesstunden auf die Pflege von Menschen angewiesen sein, die nach Bildung, Stellung und jedenfalls auch sonstigen Eigenschaften den tiefsten und nachhaltigsten Eindruck hervorzurufen berufen sind.

Da Kinder alles wissen, wenigstens deutlich durchfühlen, was in ihrer geistigen Umwelt vorgeht, so empfinden sie einen Gegensatz zwischen Schule und Haus mit schmerzhafter Gewalt.

Welche schwierige Zerrissenheit in eine junge Seele kommt, wenn es zu wählen hat zwischen einer dieser Mächte, die es zunächst beide liebend erfassen möchte – das muß man erfahren haben, um es zu begreifen.

Bitte vergiß doch deine eigene Jugend nicht und lebe neu mit deinem Kinde durch, was du selbst erfahren. Hilf ihm über diese Lebensnöte hinweg und sorge dafür, daß sie, wenn sie schon kommen müssen, wenigstens so spät als möglich eintreten.

Im zarten Schulalter ist das Zweierlei fast immer zu vermeiden. Man muß aber zunächst nicht vom Lehrer verlangen, daß er einen etwa vorhandenen Gegensatz ausgleicht, sondern vom Hause. Der Lehrer steht einer schwierigen Vielheit gegenüber, das Haus einer Einheit.

Es ist auch ganz gewiß, daß ein freundlich ernstes Wort vom Hause aus bei dem Lehrer eingehendste Beachtung und Würdigung finden wird. Bringst du das nicht zuwege, oder findest du wider Erwarten keine richtige Aufnahme deiner Einwendungen, so verschließe deinen Widerspruch wenigstens tief in dein Inneres. Empfinden wird's dein Kind ja auch dort. Es bemerkt allmählich alle Schwingungen deiner Seele, aber wenigstens geht's vorläufig ohne grausames Verletzen natürlich kindlicher Gefühle ab.

Unter keinen Umständen dürfte in Gegenwart des Kindes oder überhaupt im größeren Familienkreise abfällig über Person und Tun lehrender Persönlichkeiten geurteilt werden. Dadurch wird oft genug im Hause, der Stätte des Friedens und Fürsorge, die Seele eines Kindes geradezu vergiftet.

Würdest du Gift träufeln in Gerichte, die in deiner Küche für dein Kind bereitet sind? – Wenn du leiblich dieses Verbrechen scheust, warum üben es viele Eltern seelisch? Bloß weil sie für die Folgen nicht gerichtlich verantwortlich gemacht werden können, oder weil man das Verderben nicht so mit Händen greifen kann wie leibliche Mißstände? –

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In der Regel stehen diejenigen Häuser mit der Schule im grellsten Widerspruch, in denen es an der nötigen Zucht fehlt, wo die Gehorsamsfrage nicht gelöst worden ist. Da ist's eine Art Eifersucht, die der Überlegenheit des Lehrers den Sieg nicht gönnt, den man selbst nicht errungen.

Alle Lehrer werden die Erfahrung gemacht haben, daß am leichtesten mit Kindern zu verkehren ist, bei denen das Haus zu rechter Zeit den Gehorsam durchgesetzt hat, und werden dran froh sein. Denn ihr Beruf ist doch ein köstlicher, trotz aller Nöte und Klippen, vielleicht gerade wegen dieser.

Eines leistet häufig die Schule. Sie bringt noch manches Kind leidlich fürs Leben zurecht, das aus häuslicher Zuchtlosigkeit stammt. Natürlich wird dich die Schule niemals in die Stellung hineinheben, die du dir nicht selbst errungen hast. Das will sie nicht, und kann sie auch nicht.

Aber wenigstens wird sie in dem Kinde ein gewisses Pflichtgefühl dir gegenüber aufrecht erhalten und es veranlassen, dir als freiwilliges Almosen zu geben, was du als dein Recht zu behaupten zu schwach warst.

Die Schule ist sich ja über ihre Wirkungen nicht im vollen Umfange klar. Das schadet auch nichts. Sie meint oft nur zu lehren, wo sie tatsächlich mehr erzieherisch wirkt. Aber ihre Grundsätze sind alle so, daß sie das Haus stützen, nicht zerstören. Also sollte auch das Haus die Schule stützen.

Man bedenke doch dieses. Die Schule ist eine Einrichtung, über deren fortwährender Verbesserung seit Jahrhunderten die besten Köpfe gesonnen, und an deren heilbringender Umgestaltung die edelsten Menschen Hand angelegt haben.

Jeder Lehrer ist, ohne es immer klar zu wissen, die Verkörperung dieser Erziehungsbestrebungen. Seine eigene Erziehung ist das Ergebnis jahrhundertelanger Arbeit. Also ist nichts von Ungefähr, was die Schule mit Ernst und Nachdruck vertritt.

Vollkommen ist keine einzige Schule. Aber an ihrer Vervollkommnung ist im allgemeinen mehr gearbeitet worden, als an deinem Tun in der Kinderpflege. Auch der Lehrer leidet unsagbar unter deinen Schwächen, also stelle dich nicht so ungebärdig, wenn du auch die seinen bemerkst.

Meine Mutter pflegte immer zu sagen, wenn ich als kleiner Bursche behauptete, der Lehrer habe dies und das anders gelehrt als sie: Dann wird wohl der Lehrer recht haben. Weißt du, er versteht das besser als ich.

Das war weise. Noch heute ist mir das unvergessen, und ich bin dankbar dafür. Ich will auch gestehen, daß ich als Schüler stets in großem Widerstreit mit Lehrern gelebt habe und berüchtigt war als widerhaariger Bursche. Das ist bei manchen Kindern so. Aber wenigstens hat das Haus solche Gegensätze nie hervorgerufen.

Und unter uns gesagt – dein Kind hört's ja nicht: Ein Kind ist unter der Pflege seiner Lehrer oft viel besser aufgehoben als unter deiner eigenen.

Schule und Gehorsam

Die Schule löst auch die Gehorsamsfrage. Aber anders als das Haus. Für Schulzwecke ausreichend. Diesen Gehorsam könnte man Schulzucht nennen.

Sie ist sehr heilsam besonders für Kinder, die daheim nicht in elterliche Zucht gelangten. Sie bekommen in der Schule wenigstens die Empfindung für das, was das Haus nicht gab, und ein Bewußtsein, daß eine Vormacht vorhanden ist, vor der man Ehrfurcht zu haben hat. Ich glaube aber im Sinne aller Lehrer zu sprechen, wenn ich behaupte, daß es ihnen lieber ist, wenn nicht sie die ersten Begriffe von Zucht und Gehorsam beizubringen haben.

Der Schulgehorsam muß auch etwas ganz anderes sein, als der häusliche, weil das Schulkind bereits der Freiheit entgegenreifen muß. Die Natur will es so.

Neben diesem äußerlichen geht aber auch ein innerlicher her, den ich allen Kindern, wenigstens vorübergehend, wünschen möchte. Das ist der freiwillige Anschluß an die innere Überlegenheit irgend einer Lehrperson.

Es gehört mit zur gesunden Entwickelung eines jugendlichen Geistes, daß ihm Leute begegnen, zu deren innerer Überlegenheit er aufblickt, um sich an ihnen zu eigenem Sein emporzuarbeiten. Es ist nur zu wünschen, daß die Schule solche überragende Persönlichkeiten stellt. Ihnen gewährt das Kind aus freiem Willen den echten Gehorsam, dieses innere, freudige Sichbeugen, wo man die Macht der Wahrheit spürt. Auch das wird erleichtert und vorbereitet, wenn du selbst schon dem Kinde als ehrfurchtgebietender Geist offenbar wurdest.

Konntest du das nicht sein, so hindere dein Kind nicht in kleinlicher Eifersucht, sich innerlich an einen Schulgewaltigen anzuschließen.

Bei jugendlichem Feuereifer und besonders leichter Erregbarkeit wird daraus in der Regel eine Schwärmerei. Die erste im Leben.

Das schadet weiter nichts. Wir müssen im Leben durch manche Schwärmerei hindurchgehen, bis wir uns ruhig und klar selbst gefunden haben. Eine rechte Lehrkraft weiß solche Gefühle richtig einzuschätzen und zu zügeln. Außerdem sind sie naturgemäß von nicht allzulanger Dauer.

In der Regel werden sie von andern abgelöst und erlöschen totsicher, wenn das Kind seine ersten Enttäuschungen erlebt und bemerkt, daß sein Vorbild keineswegs fleckenlos ist.

Es gehört eine sehr große Reife des Urteils dazu, die ein Kind nie zuwege bringen kann, Menschen zu achten und zu lieben, über deren Fehler man sich ganz klar ist. Darum verrauschen Schulfreundschaften und Lehrerschwärmereien so leicht. Auch ihr Gehen schadet nichts, so wenig wie ihr Kommen.

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Einen schweren, inneren Widerstreit erspart die Schule keinem. Ja die Schule ist's, die ihn hervorruft. Auch darum muß der Gehorsam im Hause schon fertig sein.

Deine Schulkinder stellen das werdende Menschengeschlecht dar. Du wirst nun beobachten, daß seit deiner eigenen Schulzeit die Gedanken der Menschheit andere geworden sind, und nirgends kommt das uns zum empfindlicheren Bewußtsein als in der Schule.

Das alte Geschlecht hat im allgemeinen das Bestreben, in dem Trott, auf den es seinerzeit gesetzt wurde, ruhig zu verharren. Ich habe unzählige Menschen gekannt, die lebenslang etwa so dachten, wie sie in ihrer Schule gelehrt waren. Die Bewegungslosigkeit der Massen ist schwer zu durchbrechen.

Die Schule dagegen ist eine fortschrittliche Einrichtung, die von wachen Seelen geleitet oder beeinflußt wird. Sie wird mithin dein Kind wesentlich anders lehren, als sie dich lehrte. Bist du selbst nicht mit der Zeit fortgeschritten, so wirst du einen schmerzlichen Widerstreit empfinden, und dein Kind erst recht.

Es ist eine allgemeine weltgeschichtliche Erfahrung, die wir nicht ändern werden, daß jedes folgende Geschlecht im Gegensatz zum vorhergehenden steht, und erst das zweite Geschlecht ein wenig zur rechten Würdigung unseres Denkens kommt. Daher verstehen sich Großeltern und Enkel viel leichter.

Offenbar entwickelt sich die Menschheit in solchen Gegensätzen, und wir brauchen hier den Ursachen nicht weiter nachzugehen.

Dieser Gegensatz wird nun in stets steigendem Maße gerade durch die Schule zur Erscheinung kommen. Das ist für euch beide schwer. Um so schwerer, wenn du nicht verstanden hast, dein persönliches Übergewicht zu behaupten.

Hier muß nun der verständigere Teil dem Walten der Natur nachgeben. Das bist also hoffentlich du. Du erleichterst deinem Kinde den unausbleiblichen Gegensatz, wenn du den Anschauungen und Gedanken der Neuzeit, die durch die Schule in dein Haus hereintreten, ihre Berechtigung nicht versagst. Kein Mensch verlangt von dir, daß du sie annimmst. Aber du sollst sie auch nicht unnötig bekämpfen.

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Es ist gut, wenn die Kinder sich nicht ohne weiteres des inneren Gegensatzes von Schule und Haus bewußt werden. Je später er ihnen klar wird, um so reifer werden sie sein, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Kinder würden auch nicht fähig sein, Person und Sache zu scheiden. Was du etwa sachlich einzuwenden hast, werden sie auf die Person des Lehrers beziehen und in einen Widerstreit verwickelt werden, der ganz gewiß einmal zu deinem Nachteil endigt. Denn in steigendem Maße werden durch Freunde, andere Lehrer, Bücher und die ganze geistige Luft, die ein Schulkind atmet, neuzeitliche Gedanken eine Macht werden, und es dir um so mehr entfremden, je starrer und eigensinniger du dich auf dein Altes versteifst.

Schule und Haus stellen also unbewußt die großen Lebensmächte und Gegensätze dar, in denen die Entwickelung läuft, und die man Fortschritt und Stillstand nennen kann. Je mehr es gelingt, sie in den Persönlichkeiten von Eltern und Kindern zum Einklang zu bringen, um so günstiger ist es. Das kann aber das Kind nicht tun, sondern das liegt an dir.

Kinder aufziehen ist ein unausgesetztes persönliches Opfer und Verzichtleisten. Je mehr uns gelingt, dazu willig zu werden, desto köstlicher wird die Arbeit.

In unsern Kindern hat uns die Natur einen Wertmesser unseres Selbst angelegt, und unsere Unnachgiebigkeit und Unbeweglichkeit bestraft sie unnachsichtig, indem sie unbefriedigende Zustände schafft.

Wenn's dir aber gar zu schwer wird, so tröste dich und warte geduldig auf die Enkel. Was Schule und Kinder überbogen haben, das biegen die Enkel ebenso rücksichtslos zurück. Also warte seiner in Geduld. Geduld ist ohnehin das Wichtigste, was wir im Leben lernen können. Unsere Kinder sind die besten Lehrmeister dazu.

So hilft auch der Gehorsam, den die Schule fordert und setzt, immer wieder zu dem großen Ziele aller jugendlichen Entwickelung, zur Freiheit. Gerade weil die Schule nur ein Durchgangsort ist und unter dem Zeichen des Vorübergehens steht, ist ihr Gehorsam sehr wertvoll für die Entwickelung.

Die Schule soll und kann auf die Dauer nichts Bindendes haben, aber sie soll in einer wichtigen Werdezeit dem Kinde Stütze und Halt bieten, bis der junge Geist den besseren Halt in sich selbst findet und eigene gewisse Tritte tun lernt im Märchenwunderland des Lebens. Sie erfüllt auch im allgemeinen diese Aufgabe.

Berufswahl

Die Schule leistet hauptsächlich zwei Dinge. Darin liegt ihr Wert und ihre Bedeutung. Sie ergänzt den Gehorsam und sie lehrt arbeiten.

Sie empfängt das Kind in dem Alter, in dem Spielen Arbeit ist und schiebt dem Spiele ernste Lebenswerte unter. Es ist nicht so wichtig, was für Lehrstoff die Schule dem Kinde übermittelt. Der Stoff wechselt und steht ja gedruckt in allen Büchern. Aber es ist wichtig, welche Stellung sie das Kind dazu einnehmen lehrt. Es muß befähigt werden, den Lehrstoff zu verarbeiten.

Alles, was wir in uns aufnehmen, ohne es zu Eigensein zu verarbeiten, belastet nur. Ein Magen, der nicht verdaut und die Fähigkeit hat, aus Gemüse und Tierfleisch Menschenfleisch zu machen, ist krank und eine unendliche Plage. Eine Todesursache. Das Gedächtnis ist der Magen des Geistes. Alles, was unverändert im Gedächtnis liegen bleibt, wirkt ertötend. Darum gibt's so viel gelehrte Leichen, die vollgestopft mit Wissenskram sich und andern lästig sind. Die Völlerei des Lernens hat sie erstickt.

Im Gedankenleben der Menschen muß aller Wissensstoff eine Umwandlung erfahren und zu eigenen Gedanken umgeschaffen werden. Dieser geistige Verdauungsvorgang heißt Verarbeiten des Gelernten.

Dazu soll die Schule anleiten und tut's schließlich auch, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß es Lehrer gibt, die zu viel Nachdruck und Wert auf Gelerntes legen. Diese lehren wenigstens lernen. Das ist auch eine Arbeit.

Vielleicht wird's durch ein Beispiel deutlicher. Die Schule lehrt uns alle schreiben. Aber keines von uns schreibt so, wie wir's in der Schule gelernt haben. Warum nicht? Weil im Laufe des Lebens die Handschrift durchaus unsere Eigenart darstellen mußte, und die Buchstaben nur die Form annehmen konnten, die gerade uns eignet. Nur wer überhaupt nicht schreibt, der malt lebenslang die Züge der Schule nach.

Wie mit der Schreibekunst, so muß es mit allem gehen, was die Schule uns vermittelt.

Also Zucht und Arbeit sind die Gaben der Schule.

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Unwillkürlich leitet die Schule auf eine höhere Stufe der Arbeit, den Lebensberuf. Die allgemeine Berufswahl findet schon wesentlich in der Volksschule statt.

Bäuerliche Kreise leiten ohne Schulbeeinflussung auf bäuerliche Berufe. Die Schule selbst gibt an die Hand den Handwerkerberuf, den kaufmännischen oder den gelehrten.

Dein Einfluß wird für dein Kind ein gewichtiges Wort sprechen, und wie du ihn geltend zu machen hast, das sagen die Verhältnisse dir deutlicher, als ich es vermag. Ich möchte nur eines bitten: Sei auf die Veranlagung deines Kindes so aufmerksam als möglich. Es gibt keine größere Qual im Leben, als einen verfehlten Beruf.

In jedem Falle setzt die Berufswahl eine Seite der Schultätigkeit fort. Das heranwachsende Kind muß arbeiten lernen.

Das Ziel jeder Arbeit muß sein, daß der Mensch selbsttätig ausübt und eigenartig vollbringt, was die Lehre anbahnen wollte.

Hat ein Kind etwa künstlerische Begabung, so laß es in einem entsprechenden Handwerk beginnen, aber bei einem wirklichen Meister in seiner Kunst. Man muß es bei jedem Berufe drauf ablegen, daß das Kind einen Schritt über den Meister hinaus tun lernt. Das folgende Geschlecht soll immer einen Fortschritt bedeuten über das vorhergehende hinaus.

Ob der Fortschritt wirklich erreicht wird, das hängt von der Fähigkeit und Arbeitsamkeit deines Kindes ab. Da mische deinen Ehrgeiz nicht hinein. Du hast nur anzubahnen. Vollführen kannst du hier nichts.

Wählt ihr zusammen einen kaufmännischen Beruf, so legt es darauf an, daß dein Kind Inhaber des Hauses werden muß. Es wird an ihm liegen, ob es das Ziel erreicht. Es gibt genug untergeordnete Personen, und es muß solche geben. Das laß das Leben selbst entscheiden, welchen Platz dein Kind durch eigene Kraft einnimmt.

Ich empfehle dabei das Buch von Carnegie: »Kaufmanns Herrschgewalt.«

Entscheidet ihr euch endlich gemäß der vorhandenen Mittel und Begabung für einen gelehrten Beruf irgend welcher Art, so werdet ihr die äußerlich rechten Wege schon finden. Aber bitte, bitte, quäle unbegabte Kinder nicht weiter durch die Gelehrsamkeit hindurch, als höchstens bis zur freiwilligen Militärdienstbefähigung.

Je höher ein Beruf ist, desto schwerer macht sich im ganzen Leben die Unbegabtheit geltend, weil durch solche Stellungen viele Menschen in quälende Abhängigkeit von Minderwertigen gebracht werden.

Es ist wirklich für das Wohlbehagen deines Kindes selbst – und das muß das Entscheidende sein – viel besser, wenn es nicht so hoch steigt und dafür den Platz, den es hat, voll ausfüllen kann.

Für das Behagen der gesamten Menschheit gibt es nichts besseres, als wenn recht viele Menschen an dem Platze stehen, für den sie sozusagen geschaffen sind. Das Ungenügen der Leute in ihrem Berufsleben fällt quälend auf sie selbst und andere, und gewiß kommt es oft vielfach nur her von dem törichten elterlichen Ehrgeiz. Laß wenigstens bei dir und deinem Kinde diesen Fehler vermieden werden.

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Bei der Berufswahl handelt es sich selbstverständlich nicht nur um die Söhne, sondern ebenso um die Töchter. Unsere Töchter sind ebenso freie und ebenbürtige Geister wie unsere Söhne, wie wir selbst. Sie sind nur anders geartet aber gleichwertig. Zuweilen sind sie viel begabter.

Daher ist es eine beglückende Erkenntnis der Neuzeit, daß sie dem weiblichen Geschlechte viele Berufsarten zugänglich machte, die ihm früher verschlossen waren. Wie weit sich weibliche Kräfte in den entsprechenden Berufen bewähren, das dürfen wir getrost der Erfahrung überlassen.

Wahrscheinlich wird sich deutlich herausstellen, daß für gewisse menschliche Arbeitszweige das freie Weib besser geeignet ist als der freie Mann, und ganz von selbst werden die Geschlechter sich ihre Grenzen ziehen. Aber freiwillig, nicht erzwungen! Das ist der Fortschritt der Zeit. Also öffne man getrost alle Berufe der Frau. Sie wird selbst die rechten finden.

Jedenfalls wird der Grundsatz gelten müssen: Die Tochter muß nicht minder ihrem selbständigen Lebensberuf zugeführt werden wie der Sohn. Der Beruf muß ein Arbeitsgebiet darstellen, das den dazu Berufenen selbständig ernährt und ihn unabhängig fürs Leben macht. Entscheidet sich dann deine Tochter dafür, auf ihre Selbständigkeit zu verzichten und in eine Ehe einzutreten, so überlaß ihr auch diese Wahl. Sie wird sie nicht ohne dich vornehmen, wenn du dich als die Macht erwiesest, auf die sie sich stützen konnte.

Eines mußt du dir aber auch noch sagen. Der innere Gegensatz zwischen Alten und Jungen, von dem ich im vorhergehenden Abschnitt schon sprach, wird bei der Berufswahl und ihrer Ausübung immer größer werden.

Das schadet nichts. Wir haben es mit heranreifenden Menschenkindern zu tun, die durch das Leben befähigt werden, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Ferner muß gelten. Je höher der Beruf ist, dem sich ein heranwachsendes Kind zuwendet, um so mehr hat es Anspruch, daß ihm offen alle Gedanken, die die Zeit bewegen, mitgeteilt werden. Auch innerlich so zerrissene Zeiten, wie die unsere, sollen gerade ihre Zerrissenheit dem heranwachsenden Geschlechte offenbaren.

Die Jugend hat unreife Köpfe. Die Erzieher zu einem Berufe werden das wohl zu berücksichtigen haben. Aber sie hat Anspruch, daß ihr nichts verheimlicht wird von den großen Fragen der Zeit.

Gerade je offener wir sie in alles einweihen, was unsere Zeit bewegt, um so mehr wird es uns gelingen, ihrer schwankenden Seele ein fester Halt zu sein.

In dem Maße, als wir ihr die Hauptfragen zu verheimlichen suchen, wird sie trotzig und eigenmächtig ihre eigenen Wege gehen und ihre Wissenschaft bei Beratern ergänzen, die oft die allerunerwünschtesten sind.

Unsere Kinder müssen von uns den klaren Eindruck gewinnen, daß wir an ihren Beziehungen, die sie sich freiwillig oder berufsmäßig zur Wissenschaft geben, den regsten Anteil nehmen und ihnen nichts vorenthalten wollen.

Daß wir nicht in allem mittun können, ist selbstverständlich. Gerade unsere Zurückhaltung, unser Stillestehen in aller Offenheit wird ihnen mehr Schutz und Halt sein, als wir denken.

Eines ist ganz gewiß. Die Wissenschaft der werdenden Zeit muß dem werdenden Geschlecht offen stehen. Dann wird das gereifte Geschlecht auch der Wissenschaft ihre neuen Bahnen anweisen und alles Falsche und Schmerzliche zurechtrücken.

Auch hier gilt: Vor nichts furchtsam sein, aber alles miterleben mit der Seele deines Kindes.

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