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Onésime Coche überzeugte sich, daß alle Fenstervorhänge dicht verschlossen waren, er lauschte, um sich zu vergewissern, ob niemand nahe, der ihn bei seinem Vorhaben überraschen könnte und dann begann er an die Ausführung seines Planes zu schreiten. Er legte seinen Mantel, Hut und Stock auf einen Stuhl und schritt nochmals, aufmerksam alles betrachtend, durch den Raum.
Es handelte sich jetzt darum, aus allen vorhandenen Spuren die Inszenierung eines Verbrechens von Onésime Coche zu rekonstruieren und zu diesem Zwecke mußte zunächst alles verschwinden, was auf die wahren Täter zu führen vermochte.
Da waren vor allem die drei auf dem Tisch vergessenen Gläser, die sich jedem Polizistenblick aufdrängen mußten. Einen schwereren Fehler hätten die Mörder nicht begehen können, diese Nachlässigkeit hätte genügt, der Justiz einen unschätzbaren Fingerzeig zu geben. – Er reinigte daher sorgfältig die Gläser, trocknete sie, nachdem er sie ausgewaschen hatte und da er, sich suchend umblickend, einen offenstehenden Wandschrank entdeckte, in dem auch andere Gläser standen, stellte er sie dazu und schloß den Schrank. Dann nahm er die geleerte Flasche, verlöschte das elektrische Licht, damit keine seiner Bewegungen von draußen beobachtet werden könne, zog den Vorhang von einem Fenster beiseite, öffnete das Fenster und den Fensterladen und schleuderte die Flasche aus voller Kraft hinaus. Er verfolgte ihren Flug durch die Luft und beobachtete, wie sie jenseits der Straße niederfiel. Der Lärm des zersplitternden Glases unterbrach wie eine Explosion die nächtliche Stille. Er warf sich vom Fenster zurück und biß nervös seine Lippen:
»Wenn das jemand gehört hat? … Wenn man heraufkäme? … Wenn man mich hier fände?«
Die Furcht, die ihn dabei überkam, übertraf alles, was er bis dahin an Angst kennengelernt hatte. Eiskalte und heiße Wellen liefen über seine Haut, er lauschte in das Schweigen, bohrte starre Augen ins Dunkel vor ihm. – Nichts regte sich. Er schloß jetzt wieder die Fenster, zog die Vorhänge wieder zu, tappte sich leise zum Schalter zurück und machte von neuem Licht.
Sonderbar – nur im Dunkel empfand er Angst, das Licht verscheuchte alle Besorgnisse. Er erkannte daran, daß er kein echter Verbrecher sei, denn auch der Anblick des Opfers machte ihn besonnen, statt seinen Schrecken zu vergrößern.
»Ich werde mich gut in der Gewalt haben müssen,« überlegte er, »um meine Unschuld nicht zu verraten und dies wird vielleicht ebenso schwer sein, wie es das Gegenteil wäre.«
Er wandte sich nun zum Waschtisch. Hier war die Unordnung so offenkundig, daß unmöglich jemand hätte glauben können, daß dies das Werk eines Einzelnen sei.
Alle Dinge tragen das Geheimnis der Finger an sich, die sie berührt haben. – Man brauchte nur die Handtücher anzusehen, um sofort zu fühlen, daß verschiedene Hände sie so hingeworfen hatten. Coche schien es nötig, daß der Mann der Ordnung, der er war, sich auch hier am Schauplatze »seines« Verbrechens offenbare, denn niemals würde die Tat eines Mannes von Bildung sich mit der eines gewöhnlichen Straßenräubers verwechseln lassen. Gerade in solchen Augenblicken höchster Spannung und Erregung würde der Gentlemanräuber an alles denken, nur nicht daran, all die Kleinigkeiten seiner täglichen Gewohnheiten, die den Verdacht in bestimmter Richtung lenken mußten, zu unterdrücken.
Coche begann methodische Ordnung in das Chaos zu bringen. Er löschte die blutige Hand an der Wand, dann verwischte er den Kratzer an einer Schublade, den ein eisenbeschlagener Absatz hinterlassen hatte – nur hütete er sich wohl, die blutigen Flecken ringsum zu berühren, denn je mehr der Raum davon aufwies, desto wahrscheinlicher mußte doch der Ueberfall durch einen Einzelnen, der harte Kampf mit dem Eindringling erscheinen.
Bald waren alle Spuren der »Anderen« getilgt und es fand sich nicht mehr das mindeste Zeichen in der Umgebung der Leiche, das der Justiz als Ausgangspunkt ihrer Forschungen hätte dienen können.
Jetzt handelte es sich darum, dieser anonymen Tat eine persönliche Note zu geben, sie in das Verbrechen einer bestimmbaren Person, sie in sein – Onésime Coches – Verbrechen zu verwandeln. Am sichersten schien es, am Tatort etwas zu vergessen, zu verlieren, das die Kriminalpolizei auf ihn lenken mußte. Doch dabei hieß es besonders behutsam zu Werke gehen, um nicht durch allzu plumpe Täuschung Mißtrauen statt Verdacht zu erwecken. Es mußte etwas sein, das wirklich hätte »vergessen« werden können! –
Coche ließ sein Taschentuch neben dem Bette zu Boden fallen, doch dann überlegte er nochmals und hob es wieder auf, um vorsichtshalber doch erst das Monogramm zu prüfen. Richtig, es war M. L. gezeichnet! M. L.? – Das war nicht seines und er lächelte in der Erinnerung an den ewigen Zank seiner Hausfrau mit der Wäscherin, die immer fremde Wäsche ablieferte … Sein Stock, das Geschenk eines aus Tonking zurückgekehrten Verwandten war allzu auffallend, zu persönlich … Er blickte suchend an sich herab. Ringe trug er nicht, seine Hemdknöpfe waren von jener billigen Perlenimitation, wie man sie in jedem Geschäfte zu kaufen vermag. Manchettenknöpfe besaß er wohl, doch von diesen wollte er sich nicht gerne trennen, denn obgleich ihr Wert ein ganz geringer war, bedeuteten sie ihm durch jahrelanges Tragen doch altvertraute Freunde. Und Manschettenknöpfe »vergißt« man doch auch nicht! Das müßte schon ein ganz gewaltiger Stoß sein, der sie aus dem Hemd reißen würde …
Coche schlug sich vor die Stirne.
»Ein Stoß? – Glänzend! Wenn sich hier ein Knopf auf dem Boden findet, dann muß die Folgerung zwingend lauten: Im Handgemenge hat das Opfer den Arm des Mörders umklammert, sein Hemd zerrissen, das Kettchen der Manchettenknöpfe ist aufgesprungen und in seiner eiligen Flucht hat der Verbrecher gar nicht bemerkt, daß er dieses verräterische Beweisstück verloren hat. – Ja, das ist das Richtige.«
Er zog seinen linken Hemdärmel ein wenig hervor, hielt den äußeren Rand der Manchette mit den Fingern der linken Hand fest und riß mit der rechten so heftig am inneren Rand, daß das dünne Kettchen der Manchettenknöpfe wirklich riß und der eine Goldknopf mit dem kleinen Türkis in der Mitte mit einem Teil der gesprengten Kette in weitem Bogen ins Zimmer flog. Den anderen Knopf nahm Coche sorgsam aus dem Hemd, um ihn in seiner Smokingweste zu verwahren. Im Eifer seiner Arbeit achtete er nicht darauf, daß noch Blut an seinen Fingern klebte, die nun auf seinem Hemd und seiner weißen Weste rote Flecken hinterließen.
Um noch ein weiteres Beweisstück gegen sich zu liefern, zog er einen Briefumschlag aus der Tasche, der seine Adresse trug, und zerriß ihn in vier ungleiche Teile. Auf dem ersten las man:
Herrn On
22, R
Auf dem nächsten:
ési
ue de
Auf dem dritten:
Paris
Auf dem letzten:
me Coche
Douai
Diesen letzten Teil, der ihn allzudeutlich bezeichnet hätte, verschluckte er, nachdem er ihn zu einer kleinen Kugel gerollt hatte. Mit den Zähnen kratzte er vom ersten Teile einige Buchstaben fort. Was jetzt übrig blieb, waren drei nahezu unverständliche Papierstücke, die aber entsprechend zusammengesetzt und vervollständigt immerhin den Namen des verdächtigen Mannes zu liefern vermochten. Die Kombination aus diesen Abschnitten war wohl recht schwierig, doch keineswegs unmöglich. Coche, als vornehmer Spieler, lieferte seinen Gegnern nicht alle Trümpfe, doch gab er ihnen ein schönes Blatt in die Hand, mit dem sie Chancen hatten, die Partie zu gewinnen.
Er warf nun die drei Papierschnitzel in die Luft und überließ es dem Zufall, wo sie hinfielen. Das eine blieb fast genau in der Mitte des Tisches liegen, die beiden anderen sanken zu Boden. Um noch ganz sicher zu sein, daß man sie nicht etwa in dem Glauben, sie stammten von Briefen, die dem Opfer gehört hatten, unbeachtet ließ, sammelte er alle anderen Papiere, die verstreut im Zimmer umherlagen, und legte sie in eine Lade zurück, die er versperrte. Er betrachtete sein Werk nun als getan. Ein letztes Mal noch ließ er seine Augen durch den Raum schweifen, um sich zu überzeugen, daß er nichts vergessen habe, dann nahm er Mantel, Hut und Stock, breitete zwei Handtücher über das Antlitz des Toten, dessen Augen jetzt verglast und ein wenig eingesunken, keinen Blick mehr besaßen, verlöschte das Licht und verließ das Zimmer, um durch den Gang und über die Stiege auf Zehenspitzen davonzuschleichen.
Im Garten nahm er sich noch die Mühe, die vom Wind schon fast ganz unkenntlich gemachten Fußspuren mit frischem Sand zu bestreuen und voller Vorsicht schritt er bloß mit einem Fuß über den Gartenweg, während der zweite auf die harte Erde, die ihn einfaßte, auftrat. So gelangte er zum Gittertor, das er öffnete und wieder schloß, und war endlich auf der Straße. Dunkle, unbewegliche Schatten lagen quer über dem Fußsteig. Tiefe Stille umgab ihn. Wie aus unendlicher Ferne klang nur das heisere, heulende Klagen, das ein Hund zum Mond emporsandte. Coche erinnerte sich an eine alte Magd, die ihm einst, wenn die Hunde auf dem Lande so wimmerten, gesagt hatte: »Es ist eine Botschaft an Petrus, daß die Seele eines Verstorbenen an die Pforten des Paradieses pochen wird.«
Zauber der Erinnerungen! Ewige Kindheit der Menschen! – Ein Schauer durchlief ihn bei dem Gedanken an die Zeit, da er, ganz klein noch, die Bettdecke über die Ohren gezogen hatte, um die unheimlich klagenden Stimmen nicht zu hören, die nachts den Garten bevölkerten, und für einen Augenblick erstand ihm wieder der süße Zauber des mütterlichen Kusses, den seine Stirn so oft empfangen hatte …
Er blickte auf seine Uhr. Sie zeigte genau ein Uhr nachts. Ein letztes Mal noch betrachtete er das Haus, in dem er eben so Ungewöhnliches erlebt hatte, dann trat er noch bis an das Gitter heran, um mit dem Stock den Efeu beiseite zu schieben und die Nummer über dem Eingang zu lesen: 29.
Raschen Schrittes ging er den Boulevard entlang und erreichte sein Ende, ohne jemand begegnet zu sein. Im übrigen nahm er sich nicht viel Zeit, umherzublicken, denn seine Nerven waren allzu erregt, und er bemühte sich, das Geschehene zu überdenken. Wie ein wilder Schwarm füllten die Eindrücke der letzten Viertelstunde sein Hirn, so daß er nicht imstande war, Klarheit über sein weiteres Verhalten zu gewinnen. Jedenfalls war eine Wendung in seinem Leben eingetreten, das nun ganz anders verlaufen würde, als er eine Stunde vorher nur geahnt hätte. Jedes Zögern, jede schlecht berechnete Handlung konnte alle seine Pläne zerstören. Unschuldig und aus eigenem Willen verdächtig blieben ihm nur die Ungeschicklichkeiten eines wahren Verbrechers erlaubt …
Unweit des Trocadero kreuzte sein Weg den eines jungen Pärchens, das eingehängt und angeregt plaudernd, dem Boulevard, den er eben verlassen hatte, zuschritt. Coche wandte den Kopf, sah zu, wie die beiden im Dunkel der Nacht entschwanden, und sprach vor sich hin: »Da gehen sie, heiter und gelassen an dem Hause vorüber und ahnen nicht, welches Verbrechen wenige Schritte von ihrem Weg begangen wurde. Außer den Tätern bin ich der Einzige in der Stadt, der davon weiß.«
Ein gewisser Stolz erfüllte ihn, der alleinige Bewahrer eines solchen Geheimnisses zu sein. Wie lange noch würde er es bleiben? Wann konnte der Mord entdeckt werden? Wenn das Opfer, wie es allen Anschein hatte, allein, ohne Bedienung gehaust hatte, dann wäre es wohl möglich, daß einige Tage vergingen, bevor man seine Abwesenheit bemerkte. Eines Morgens würde irgendein Bote an der Türe läuten, keine Antwort erhalten, eintreten, ein furchtbarer Geruch würde ihn im Hausflur erwarten, er würde die Treppe hinaufgehen, das Zimmer öffnen – dann käme die Flucht, Hals über Kopf aus dem grauenhaften Hause, die Schreie »Zu Hilfe! Mörder!«, die die Polizei in Bewegung setzten, die ganze Presse alarmierten. Die Auflagen der Zeitungen wüchsen zu gewaltigen Zahlen, denn das Geheimnisvolle, das um diesen Mord lag, würde nicht verfehlen, ungewöhnliche Aufmerksamkeit zu erregen. Und während der ganzen Zeit würde er, Coche, sein Leben unverändert fortsetzen, in gewohnter Weise seinen Pflichten nachgehen und mit dem Gefühl eines Geizhalses, der bei jedem Schritt nach dem Schlüssel seines Geldschrankes tastet, in dem seine Schätze verwahrt sind, ein Geheimnis mit sich herumtragen. –
Und Coche überlegte weiter:
»Ein einziges Wort nur müßte ich sagen, um all diese Menschen, die rings um mich kommen und gehen, in Schrecken und Neugier zu versetzen. Dieses eine Wort werde ich nicht aussprechen. Ich überlasse die Enthüllung dem Zufall. Er hat mich aus dem Haus meines Freundes eben in jenem Augenblicke treten lassen, der es mir ermöglichte, von all dem Kenntnis zu erlangen. – Er wird auch den genauen Zeitpunkt festsetzen, der alles enthüllen soll.«
Bei diesem Entschlusse angelangt, blickte Coche aus seinen Gedanken auf und fand sich vor den hellerleuchteten Fenstern eines Kaffeehauses. Müdigkeit, Erregung und Kälte, die er jetzt in den Gliedern fühlte, bestimmten ihn, einzutreten. Er ließ sich einen Cognac geben, griff zerstreut nach einem Abendblatt, das auf seinem Tische lag, ließ es indes sogleich wieder fallen, sprang auf, und ohne sich dessen bewußt zu sein, entfuhr ihm der laute Ausruf: »Teufel! …«
Einer der Kartenspieler, die am Nebentisch saßen, hob erstaunt den Kopf; der Kellner, der sich eben mit der Kassiererin unterhalten hatte, meinte, daß man ihn gerufen habe und kam herbei. Coche machte eine Handbewegung:
»Nein … ich wollte nichts … aber, haben Sie hier ein Telephon?«
»Natürlich. Die Türe rechts am Ende des Ganges.«
»Danke.«
Coche wand sich zwischen den Tischen durch, schritt den Gang entlang, trat in die Telefonzelle, schloß die Tür hinter sich und rief die Zentrale an. Ungeduldig gab er Signal, da sich nicht gleich jemand meldete. Endlich hörte er die Stimme des Amtes und rief:
»Hallo, bitte 115–92 oder 93 …«
Er hörte die Wiederholung der Nummer von mehreren Stimmen, das Läuten, das wie der Ton kleiner Schlegel auf einer allzu gespannten Trommel in seine Ohren drang, und endlich den Klang einer Stimme, die sich aus dem Summen abhob:
»Hallo, was wünschen Sie?«
Coche veränderte seine Stimme.
»Ist dort die Nummer 115–92?«
»Ja, Sie wünschen?«
»Ist dies das Tageblatt?«
»Ja.«
»Ich möchte mit dem Nachtredakteur sprechen.«
Eine fremde Stimme erklang im Apparat, die nach einer anderen Nummer verlangte.
»Hallo, hallo,« schrie Coche, »wir sprechen. Hier ist nicht die Zentrale, läuten Sie ab … Hallo! Tageblatt? … Ja? Ich möchte mit dem Nachtredakteur sprechen.«
»Ausgeschlossen. Er ist jetzt bei der Korrektur, es ist unmöglich, ihn zu stören.«
»Es ist aber eine außerordentlich dringende Angelegenheit.«
»In wessen Auftrag?«
»Teufel,« dachte Coche, »darauf war ich nicht gefaßt.« Doch er zögerte nicht.
»Im Auftrage des Chefredakteurs, Herrn Chénard.«
»Ach, das ist was anderes … Ich werde den Herrn Redakteur sofort holen. Bitte, gedulden Sie sich einen Augenblick …«
Durch den Apparat klangen gedämpft, surrend und dröhnend alle die vielfachen Geräusche einer Druckerei: ein Schwirren und Brausen, das Knistern von Papier, der ganze Lärm, den Coche so gut kannte, da er ihn seit zehn Jahren Nacht für Nacht zur gleichen Stunde gehört hatte, wenn die Pressen in Bewegung gesetzt wurden, und er nach beendetem Dienste durch die weiten Säle dem Ausgang zuschritt.
»Herr Chénard?«, ertönte ein wenig atemlos die Stimme des Nachtredakteurs.
»Nein, Herr Redakteur,« erwiderte Coche, seine Stimme immer noch verstellend. »Verzeihen Sie, aber es ist nicht der Chefredakteur, der hier spricht. Ich habe bloß seinen Namen benutzt, um sicher zu sein, daß Sie mich anhören würden, denn das, was ich Ihnen zu sagen habe, ist von allergrößter Wichtigkeit und duldet keinen Aufschub.«
»Wer sind Sie?«
»Wenn ich Ihnen sagen wollte, daß ich Dupont oder Durand heiße, so hätten Sie davon nicht das Geringste, und es würde nur unnötig Zeit verloren gehen.«
»Der Scherz ist wohl jetzt zu Ende …«
»Um Gottes willen, Herr,« schrie Coche, erregt mit dem Fuße stampfend, »bleiben Sie beim Apparat! Ich bringe Ihnen eine sensationelle Nachricht, die morgen und auch übermorgen keine Zeitung außer Ihnen besitzen wird. Vor allem eine Frage: läuft Ihre Ausgabe schon?«
»Noch nicht, aber in zehn Minuten beginnt der Druck. Sie werden daher einsehen, daß ich jetzt wirklich keine Zeit habe …«
»Und doch müssen Sie so viel Zeit haben, um einige Zeilen aus den letzten Nachrichten wegzulassen und sie durch das zu ersetzen, was ich Ihnen jetzt diktieren werde: »Ein grauenhaftes Verbrechen wurde soeben im Hause Nr. 29 Boulevard Lannes begangen. Das Opfer, ein Greis von etwa sechzig Jahren, wurde mittels eines Messers, das ihm die Kehle vom Ohr bis zum Brustbein durchschnitt, ermordet. Das Motiv scheint Diebstahl gewesen zu sein.«
»Einen Augenblick – wollen Sie die Adresse, bitte, wiederholen …«
»Boulevard Lannes Nr. 29.«
»Ich danke Ihnen, aber wer bürgt mir … Wer beweist mir die Richtigkeit? – Woher wissen Sie das alles? Ich vermag eine solche Nachricht ohne Ueberprüfung nicht zu veröffentlichen … Und jetzt, zehn Minuten vor Beginn des Druckes, habe ich keine Zeit mehr … Geben Sie mir wenigstens eine Andeutung, aus der ich zu entnehmen vermag, wieso Sie in den Besitz dieser Information gelangten … Hallo, hallo, läuten Sie nicht ab, antworten Sie mir …«
»Nun schön,« erwiderte Coche, »meinetwegen, wenn es Sie beruhigt, nehmen Sie an, daß ich der Mörder sei! – Doch lassen Sie sich Folgendes gesagt sein: Ich werde das erste Exemplar, das Ihr Haus verläßt, kaufen, und wenn ich die Nachricht, die ich Ihnen eben diktierte, nicht darin finden sollte, so gebe ich sie sofort Ihrer Konkurrenz, dem Telegraph! – Wie Sie sich dann mit Ihrem Chefredakteur auseinandersetzen wollen, bleibt Ihre Sache. – Glauben Sie mir, Herr Redakteur, es ist besser, Sie lassen die paar Zeilen aus Ihrem Satz weg und bringen meine Information …«
»Noch ein Wort, Herr, warten Sie doch, seit wann wissen Sie davon?«
Coche hing die Hörmuschel leise auf und kehrte in den Saal zurück, um mit dem Gefühl eines Mannes, der befriedigt ist, eine wichtige Angelegenheit zu gutem Ende geführt zu haben, in kleinen Schlucken einen zweiten Kognak zu trinken. Gemächlich zahlte er dann mit der einzigen Banknote, die er besaß und die er, um Eindruck zu machen, stets vom 1. Jänner bis 31. Dezember in seiner Brieftasche hielt, und verließ das Kaffeehaus. Auf der Straße blieb er einen Augenblick stehen und sprach zufrieden zu sich selbst:
»Coche, mein Freund, du bist ein bedeutender Journalist.«