Gotthold Ephraim Lessing
Minna von Barnhelm
Gotthold Ephraim Lessing

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2. Akt

1. Szene

Fräulein (im Negligé, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch sehr früh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.

Franziska. Wer kann denn in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals – das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger wäre als zur Ruhe. – Eine Tasse Tee, gnädiges Fräulein? –

Fräulein. Der Tee schmeckt mir nicht. –

Franziska. Ich will von unserer Schokolade machen lassen.

Fräulein. Laß machen, für dich!

Franziska. Für mich? Ich wollte ebensogern für mich allein plaudern als für mich allein trinken. – Freilich wird uns die Zeit so lang werden. – Wir werden vor langer Weile uns putzen müssen und das Kleid versuchen, in welchem wir den ersten Sturm geben wollen.

Fräulein. Was redest du von Stürmen, da ich bloß herkomme, die Haltung der Kapitulation zu fordern?

Franziska. Und der Herr Offizier, den wir vertrieben, und dem wir das Kompliment darüber machen lassen; er muß auch nicht die feinste Lebensart haben; sonst hätte er wohl um die Ehre können bitten lassen, uns seine Aufwartung machen zu dürfen. –

Fräulein. Es sind nicht alle Offiziere Tellheims. Die Wahrheit zu sagen, ich ließ ihm das Kompliment auch bloß machen, um Gelegenheit zu haben, mich nach diesem bei ihm zu erkundigen. – Franziska, mein Herz sagt es mir, daß meine Reise glücklich sein wird, daß ich ihn finden werde. –

Franziska. Das Herz, gnädiges Fräulein? Man traue doch ja seinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul ebenso geneigt wäre, nach dem Herzen zu reden, so wäre die Mode längst aufgekommen, die Mäuler unterm Schlosse zu tragen.

Fräulein. Ha! ha! Mit deinen Mäulern unterm Schlosse! Die Mode wäre mir eben recht!

Franziska. Lieber die schönsten Zähne nicht gezeigt, als alle Augenblicke das Herz darüber springen lassen!

Fräulein. Was? Bist du so zurückhaltend? –

Franziska. Nein, gnädiges Fräulein, sondern ich wollte es gern mehr sein. Man spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto öftrer von der, die uns fehlt.

Fräulein. Siehst du, Franziska? Da hast du eine sehr gute Anmerkung gemacht. –

Franziska. Gemacht? Macht man das, was einem so einfällt? –

Fräulein. Und weißt du, warum ich eigentlich diese Anmerkung so gut finde? Sie hat viel Beziehung auf meinen Tellheim.

Franziska. Was hätte bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?

Fräulein. Freund und Feind sagen, daß er der tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hören? Er hat das rechtschaffenste Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.

Franziska. Von was für Tugenden spricht er denn?

Fräulein. Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.

Franziska. Das wollte ich nur hören.

Fräulein. Warte, Franziska, ich besinne mich. Er spricht sehr oft von Ökonomie. Im Vertrauen, Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.

Franziska. Noch eins, gnädiges Fräulein. Ich habe ihn auch sehr oft der Treue und Beständigkeit gegen Sie erwähnen hören. Wie, wenn der Herr auch ein Flattergeist wäre?

Fräulein. Du Unglückliche! – Aber meinest du das im Ernste, Franziska?

Franziska. Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht geschrieben?

Fräulein. Ach! seit dem Frieden hat er mir nur ein einziges Mal geschrieben.

Franziska. Auch ein Seufzer wider den Frieden! Wunderbar! Der Friede sollte nur das Böse wieder gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerrüttet auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht sein! – Und wie lange haben wir schon Friede? Die Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig Neuigkeiten gibt. – Umsonst gehen die Posten wieder richtig; niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.

Fräulein. »Es ist Friede«, schrieb er mir, »und ich nähere mich der Erfüllung meiner Wünsche.« Aber daß er mir dieses nur einmal, nur ein einziges Mal geschrieben –

Franziska. Daß er uns zwingt, dieser Erfüllung der Wünsche selbst entgegenzueilen: finden wir ihn nur, das soll er uns entgelten! – Wenn indes der Mann doch Wünsche erfüllt hätte, und wir erführen hier –

Fräulein (ängstlich und hitzig). Daß er tot wäre?

Franziska. Für Sie, gnädiges Fräulein, in den Armen einer andern. –

Fräulein. Du Quälgeist! Warte, Franziska, er soll dir es gedenken! – Doch schwatze nur; sonst schlafen wir wieder ein. – Sein Regiment ward nach dem Frieden zerrissen. Wer weiß, in welche Verwirrung von Rechnungen und Nachweisungen er dadurch geraten? Wer weiß, zu welchem andern Regimente, in welche entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiß, welche Umstände – Es pocht jemand.

Franziska. Herein!

2. Szene

Wirt (den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt, meine gnädige Herrschaft? –

Franziska. Unser Herr Wirt? – Nur vollends herein.

Wirt (mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und ein Schreibezeug in der Hand). Ich komme, gnädiges Fräulein, Ihnen einen untertänigen guten Morgen zu wünschen – (zur Franziska) und auch Ihr, mein schönes Kind –

Franziska. Ein höflicher Mann!

Fräulein. Wir bedanken uns.

Franziska. Und wünschen Ihm auch einen guten Morgen.

Wirt. Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden diese erste Nacht unter meinem schlechten Dache geruhet? –

Franziska. Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten hätten besser sein können.

Wirt. Was höre ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, daß die gar zu große Ermüdung von der Reise –

Fräulein. Es kann sein.

Wirt. Gewiß, gewiß! denn sonst – Indes sollte etwas nicht vollkommen nach Ihro Gnaden Bequemlichket gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu befehlen.

Franziska. Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht blöde; und am wenigsten muß man im Gasthofe blöde sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern hätten.

Wirt. Hiernächst komme ich zugleich – (indem er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht).

Franziska. Nun? –

Wirt. Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer Polizei.

Fräulein. Nicht im geringsten, Herr Wirt –

Wirt. Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts er auch sei, vierundzwanzig Stunden zu behausen, ohne seinen Namen, Heimat, Charakter, hiesige Geschäfte, vermutliche Dauer des Aufenthalts und so weiter gehörigen Orts schriftlich einzureichen.

Fräulein. Sehr wohl.

Wirt. Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen – (indem er an einen Tisch tritt und sich fertig macht zu schreiben).

Fräulein. Sehr gern – Ich heiße –

Wirt. Einen kleinen Augenblick Geduld! – (Er schreibt.) »Dato, den 22. August a.c. allhier zum Könige von Spanien angelangt« – Nun Dero Namen, gnädiges Fräulein?

Fräulein. Das Fräulein von Barnhelm.

Wirt (schreibt). »von Barnhelm« – Kommend? woher, gnädiges Fräulein?

Fräulein. Von meinen Gütern aus Sachsen.

Wirt (schreibt). »Gütern aus Sachsen« – Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen, gnädiges Fräulein? aus Sachsen?

Franziska. Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Sünde, aus Sachsen zu sein?

Wirt. Eine Sünde? Behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde! – Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen! – Aber wo mir recht ist, gnädiges Fräulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere – wie soll ich es nennen? – Distrikte, Provinzen. – Unsere Polizei ist sehr exakt, gnädiges Fräulein. –

Fräulein. Ich verstehe: von meinen Gütern aus Thüringen also.

Wirt. Aus Thüringen! Ja, das ist besser, gnädiges Fräulein, das ist genauer. – (Schreibt und liest.) »Das Fräulein von Barnhelm, kommend von ihren Gütern aus Thüringen, nebst einer Kammerfrau und zwei Bedienten« –

Franziska. Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?

Wirt. Ja, mein schönes Kind. –

Franziska. Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau Kammerjungfer. – Ich höre, die Polizei ist sehr exakt; es möchte ein Mißverständnis geben, welches mir bei meinem Aufgebote einmal Händel machen könnte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer und heiße Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig; Franziska Willig. Ich bin auch aus Thüringen. Mein Vater war Müller auf einem von den Gütern des gnädigen Fräuleins. Es heißt Klein-Rammsdorf. Die Mühle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf den Hof und ward mit dem gnädigen Fräulein erzogen. Wir sind von einem Alter, künftige Lichtmess einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnädige Fräulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht kennt.

Wirt. Gut, mein schönes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage merken. – Aber nunmehr, gnädiges Fräulein, Dero Verrichtungen allhier? –

Fräulein. Meine Verrichtungen?

Wirt. Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Königs Majestät?

Fräulein. O nein!

Wirt. Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?

Fräulein. Auch nicht.

Wirt. Oder –

Fräulein. Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.

Wirt. Ganz wohl, gnädiges Fräulein, aber wie nennen sich diese eigne Angelegenheiten?

Fräulein. Sie nennen sich – Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.

Franziska. Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines Frauenzimmers zu wissen verlangen?

Wirt. Allerdings, mein schönes Kind: die Polizei will alles, alles wissen; und besonders Geheimnisse.

Franziska. Ja nun, gnädiges Fräulein; was ist zu tun? – So hören Sie nur, Herr Wirt – aber daß es ja unter uns und der Polizei bleibt! –

Fräulein. Was wird ihm die Närrin sagen?

Franziska. Wir kommen, dem Könige einen Offizier wegzukapern –

Wirt. Wie? was? Mein Kind! mein Kind! –

Franziska. Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.

Fräulein. Franziska, bist du toll? – Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten. –

Wirt. Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei –

Fräulein. Wissen Sie was, Herr Wirt? – Ich weiß mich in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich dächte, Sie ließen die ganze Schreiberei bis auf die Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglückte zwei Meilen von hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, daß mich dieser Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich mußte also voran. Wenn er vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das längste.

Wirt. Nun ja, gnädiges Fräulein, so wollen wir ihn erwarten.

Fräulein. Er wird auf Ihre Fragen besser antworten können. Er wird wissen, wem und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschäften anzeigen muß und was er davon verschweigen darf.

Wirt. Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Mädchen (die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen, daß es eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft traktiere –

Fräulein. Und die Zimmer für ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?

Wirt. Völlig, gnädiges Fräulein, völlig; bis auf das eine –

Franziska. Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben müssen?

Wirt. Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnädiges Fräulein, sind wohl sehr mitleidig. –

Fräulein. Doch, Herr Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber hätten Sie uns nicht einnehmen sollen.

Wirt. Wieso, gnädiges Fräulein, wieso?

Fräulein. Ich höre, daß der Offizier, welcher durch uns verdrängt worden –

Wirt. Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnädiges Fräulein. –

Fräulein. Wenn schon! –

Wirt. Mit dem es zu Ende geht. –

Fräulein. Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.

Wirt. Ich sage Ihnen ja, daß er abgedankt ist.

Fräulein. Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen.

Wirt. O gewiß, er kennt sie, er kennt sie alle. –

Fräulein. So kann er sie nicht alle belohnen.

Wirt. Sie wären alle belohnt, wenn sie darnach gelebt hätten. Aber so lebten die Herren während des Krieges, als ob ewig Krieg bleiben würde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben sein würde. Jetzt liegen alle Wirtshäuser und Gasthöfe von ihnen voll, und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in acht zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so ziemlich weggekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch noch Geldeswert, und zwei, drei Monate hätte ich ihn freilich noch ruhig können sitzen lassen. Doch besser ist besser. – Apropos, gnädiges Fräulein; Sie verstehen sich doch auf Juwelen? –

Fräulein. Nicht sonderlich.

Wirt. Was sollten Ihro Gnaden nicht? – Ich muß Ihnen einen Ring zeigen, einen kostbaren Ring. Zwar gnädiges Fräulein haben da auch einen sehr schönen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muß ich mich wundern, daß er dem meinigen so ähnlich ist. – Oh! sehen Sie doch, sehen Sie doch! (Indem er ihn aus dem Futteral herausnimmt und dem Fräulein zureicht.) Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein wiegt über fünf Karat.

Fräulein (ihn betrachtend). Wo bin ich? Was seh ich? Dieser Ring –

Wirt. Ist seine fünfzehnhundert Taler unter Brüdern wert.

Fräulein. Franziska! – Sieh doch! –

Wirt. Ich habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Pistolen darauf zu leihen.

Fräulein. Erkennst du ihn nicht, Franziska?

Franziska. Der nämliche! – Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her? –

Wirt. Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?

Franziska. Wir kein Recht an diesem Ringe? – Inwärts auf dem Kasten muß des Fräuleins verzogener Name stehn. – Weisen Sie doch, Fräulein.

Fräulein. Er ist's er ist's! – Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?

Wirt. Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt. – Gnädiges Fräulein, gnädiges Fräulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Unglück bringen wollen? Was weiß ich, wo sich der Ring eigentlich herschreibt? Während des Krieges hat manches seinen Herrn sehr oft, mit und ohne Vorbewußt des Herrn, verändert. Und Krieg war Krieg. Es werden mehr Ringe aus Sachsen über die Grenze gegangen sein. – Geben Sie mir ihn wieder, gnädiges Fräulein, geben Sie mir ihn wieder!

Franziska. Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?

Wirt. Von einem Manne, dem ich so was nicht zutrauen kann, von einem sonst guten Manne –

Fräulein. Von dem besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem Eigentümer haben. – Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es selbst, oder wenigstens muß er ihn kennen.

Wirt. Wer denn? wen denn, gnädiges Fräulein?

Franziska. Hören Sie denn nicht? unsern Major.

Wirt. Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt hat, und von dem ich ihn habe.

Fräulein. Major von Tellheim.

Wirt. Von Tellheim, ja! Kennen Sie ihn?

Fräulein. Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er? er hat in diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen schuldig? – Franziska, die Schatulle her! Schließ auf! (Indem sie Franziska auf den Tisch setzet und öffnet.) Was ist er Ihnen schuldig? Wem ist er mehr schuldig? Bringen Sie mir alle seine Schuldner. Hier ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!

Wirt. Was höre ich?

Fräulein. Wo ist er? wo ist er?

Wirt. Noch vor einer Stunde war er hier.

Fräulein. Häßlicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so hart, so grausam sein?

Wirt. Ihro Gnaden verzeihen –

Fräulein. Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur Stelle.

Wirt. Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, daß er ihn aufsuchen soll?

Fräulein. Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; für diesen Dienst allein will ich es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind. –

Franziska. Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! (Stößt ihn heraus.)

3. Szene

Fräulein. Nun habe ich ihn wieder, Franziska! Siehst du, nun habe ich ihn wieder! Ich weiß nicht, wo ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit, liebe Franziska. Aber freilich, warum du? Doch du sollst dich, du mußt dich mit mir freuen. Komm, Liebe, ich will dich beschenken, damit du dich mit mir freuen kannst. Sprich, Franziska, was soll ich dir geben? Was steht dir von meinen Sachen an? Was hättest du gern? Nimm, was du willst, aber freue dich nur. Ich sehe wohl, du wirst dir nichts nehmen. Warte! (sie faßt in die Schatulle) da, liebe Franziska (und gibt ihr Geld), kaufe dir, was du gern hättest. Fordere mehr, wenn es nicht zulangt. Aber freue dich nur mit mir. Es ist so traurig, sich allein zu freuen. Nun, so nimm doch –

Franziska. Ich stehle es Ihnen, Fräulein; Sie sind trunken, von Fröhlichkeit trunken. –

Fräulein. Mädchen, ich habe einen zänkischen Rausch, nimm oder – (Sie zwingt ihr das Geld in die Hand.) Und wenn du dich bedankest! – Warte; gut, daß ich daran denke. (Sie greift nochmals in die Schatulle nach Geld.) Das, liebe Franziska, stecke beiseite, für den ersten blessierten armen Soldaten, der uns anspricht. –

4. Szene

Fräulein. Nun? Wird er kommen?

Wirt. Der widerwärtige, ungeschliffene Kerl!

Fräulein. Wer?

Wirt. Sein Bedienter. Er weigert sich, nach ihm zu gehen.

Franziska. Bringen Sie doch den Schurken her. – Des Majors Bediente kenne ich ja wohl alle. Welcher wäre denn das?

Fräulein. Bringen Sie ihn geschwind her. Wenn er uns sieht, wird er schon gehen. (Der Wirt geht ab.)

5. Szene

Fräulein. Ich kann den Augenblick nicht erwarten. Aber, Franziska, du bist noch immer so kalt? Du willst dich noch nicht mit mir freuen?

Franziska. Ich wollte von Herzen gern, wenn nur –

Fräulein. Wenn nur?

Franziska. Wir haben den Mann wiedergefunden; aber wie haben wir ihn wiedergefunden? Nach allem, was wir von ihm hören, muß es ihm übel gehn. Er muß unglücklich sein, das jammert mich.

Fräulein. Jammert dich? – Laß dich dafür umarmen, meine liebste Gespielin! das will ich dir nie vergessen! – Ich bin nur verliebt, und du bist gut. –

6. Szene

Wirt. Mit genauer Not bring ich ihn.

Franziska. Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.

Fräulein. Mein Freund, ist Er bei dem Major von Tellheim?

Just. Ja.

Fräulein. Wo ist Sein Herr?

Just. Nicht hier.

Fräulein. Aber Er weiß ihn zu finden?

Just. Ja.

Fräulein. Will Er ihn nicht geschwind herholen?

Just. Nein.

Fräulein. Er erweiset mir damit einen Gefallen. –

Just. Ei!

Fräulein. Und Seinem Herrn einen Dienst. –

Just. Vielleicht auch nicht. –

Fräulein. Woher vermutet Er das?

Just. Sie sind doch die fremde Herrschaft, die ihn schon diesen Morgen komplimentieren lassen?

Fräulein. Ja.

Just. So bin ich schon recht.

Fräulein. Weiß Sein Herr meinen Namen?

Just. Nein; aber er kann die allzu höflichen Damen ebensowenig leiden als die allzu groben Wirte.

Wirt. Das soll wohl mit auf mich gehn?

Just. Ja.

Wirt. So laß Er es doch dem gnädigen Fräulein nicht entgelten, und hole Er ihn geschwind her.

Fräulein (leise zur Franziska). Franziska, gib ihm etwas –

Franziska (die dem Just Geld in die Hand drücken will). Wir verlangen Seine Dienste nicht umsonst. –

Just. Und ich Ihr Geld nicht ohne Dienste.

Franziska. Eines für das andere.

Just. Ich kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuräumen. Das tu ich jetzt, und daran bitte ich, mich nicht weiter zu verhindern. Wenn ich fertig bin, so will ich es ihm ja wohl sagen, daß er herkommen kann. Er ist nebenan auf dem Kaffeehause; und wenn er da nichts Bessers zu tun findet, wird er auch wohl kommen. (Will fortgehen.)

Franziska. So warte Er doch. – Das gnädige Fräulein ist des Herrn Majors – Schwester. –

Fräulein. Ja, ja, seine Schwester.

Just. Das weiß ich besser, daß der Major keine Schwestern hat. Er hat mich in sechs Monaten zweimal an seine Familie nach Kurland geschickt. – Zwar es gibt mancherlei Schwestern –

Franziska. Unverschämter!

Just. Muß man es nicht sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen? (Geht ab.)

Franziska. Das ist ein Schlingel!

Wirt. Ich sagt' es ja. Aber lassen Sie ihn nur! Weiß ich doch nunmehr, wo sein Herr ist. Ich will ihn gleich selbst holen. – Nur, gnädiges Fräulein, bitte ich untertänigst, sodann ja mich bei dem Herrn Major zu entschuldigen, daß ich so unglücklich gewesen, wider meinen Willen einen Mann von seinen Verdiensten –

Fräulein. Gehen Sie nur geschwind, Herr Wirt. Das will ich alles wieder gutmachen. (Der Wirt geht ab und hierauf) Franziska, lauf ihm nach: er soll ihm meinen Namen nicht nennen! (Franziska, dem Wirte nach.)

7. Szene

Fräulein. Ich habe ihn wieder! – Bin ich allein? – Ich will nicht umsonst allein sein. (Sie faltet die Hände.) Auch bin ich nicht allein! (Und blickt aufwärts.) Ein einziger dankbarer Gedanke gen Himmel ist das willkommenste Gebet! – Ich hab ihn, ich hab ihn! (Mit ausgebreiteten Armen.) Ich bin glücklich! und fröhlich! Was kann der Schöpfer lieber sehen als ein fröhliches Geschöpf! – (Franziska kömmt.) Bist du wieder da, Franziska? – Er jammert dich? Mich jammert er nicht. Unglück ist auch gut. Vielleicht, daß ihm der Himmel alles nahm, um ihm in mir alles wiederzugeben!

Franziska. Er kann den Augenblick hier sein. – Sie sind noch in Ihrem Neglige, gnädiges Fräulein. Wie, wenn Sie sich geschwind ankleideten?

Fräulein. Geh! ich bitte dich. Er wird mich von nun an öftrer so als geputzt sehen.

Franziska. Oh, Sie kennen sich, mein Fräulein.

Fräulein (nach einem kurzen Nachdenken). Wahrhaftig, Mädchen, du hast es wiederum getroffen.

Franziska. Wenn wir schön sind, sind wir ungeputzt am schönsten.

Fräulein. Müssen wir denn schön sein? – Aber daß wir uns schön glauben, war vielleicht notwendig. – Nein, wenn ich ihm, ihm nur schön bin! – Franziska, wenn alle Mädchens so sind, wie ich mich jetzt fühle, so sind wir – sonderbare Dinger. – Zärtlich und stolz, tugendhaft und eitel, wollüstig und fromm – Du wirst mich nicht verstehen. Ich verstehe mich wohl selbst nicht. – Die Freude macht drehend, wirblicht. –

Franziska. Fassen Sie sich, mein Fräulein; ich höre kommen –

Fräulein. Mich fassen? Ich sollte ihn ruhig empfangen?

8. Szene

Tellheim (tritt herein, und indem er sie erblickt, flieht er auf sie zu). Ah! meine Minna! –

Fräulein (ihm entgegenfliehend). Ah! mein Tellheim! –

Tellheim (stutzt auf einmal und tritt wieder zurück). Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein – das Fräulein von Barnhelm hier zu finden –

Fräulein. Kann Ihnen doch so gar unerwartet nicht sein? – (Indem sie ihm näher tritt und er mehr zurückweicht.) Verzeihen? Ich soll Ihnen verzeihen, daß ich noch Ihre Minna bin? Verzeih' Ihnen der Himmel, daß ich noch das Fräulein von Barnhelm bin! –

Tellheim. Gnädiges Fräulein – (Sieht starr auf den Wirt und zuckt die Schultern.)

Fräulein (wird den Wirt gewahr und winkt der Franziska). Mein Herr –

Tellheim. Wenn wir uns beiderseits nicht irren

Franziska. Je, Herr Wirt, wen bringen Sie uns denn da? Geschwind, kommen Sie, lassen Sie uns den Rechten suchen.

Wirt. Ist es nicht der Rechte? Ei ja doch!

Franziska. Ei nicht doch! Geschwind, kommen Sie; ich habe Ihrer Jungfer Tochter noch keinen guten Morgen gesagt.

Wirt. Oh! viel Ehre – (Doch ohne von der Stelle zu gehn.)

Franziska (faßt ihn an). Kommen Sie, wir wollen den Küchenzettel machen. – Lassen Sie sehen, was wir haben werden –

Wirt. Sie sollen haben, vors erste –

Franziska. Still, ja stille! Wenn das Fräulein jetzt schon weiß, was sie zu Mittag speisen soll, so ist es um ihren Appetit geschehen. Kommen Sie, das müssen Sie mir allein sagen. (Führet ihn mit Gewalt ab.)

9. Szene

Fräulein. Nun? irren wir uns noch?

Tellheim. Daß es der Himmel wollte! – Aber es gibt nur eine, und Sie sind es. –

Fräulein. Welche Umstände! Was wir uns zu sagen haben, kann jedermann hören.

Tellheim. Sie hier? Was suchen Sie hier, gnädiges Fräulein?

Fräulein. Nichts suche ich mehr. (Mit offnen Armen auf ihn zugehend.) Alles, was ich suchte, habe ich gefunden.

Tellheim (zurückweichend). Sie suchten einen glücklichen, einen Ihrer Liebe würdigen Mann, und finden – einen Elenden.

Fräulein. So lieben Sie mich nicht mehr? – Und lieben eine andere?

Tellheim. Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fräulein, der eine andere nach Ihnen lieben kann.

Fräulein. Sie reißen nur einen Stachel aus meiner Seele. – Wenn ich Ihr Herz verloren habe, was liegt daran, ob mich Gleichgültigkeit oder mächtigere Reize darum gebracht? – Sie lieben mich nicht mehr: und lieben auch keine andere? – Unglücklicher Mann, wenn Sie gar nichts lieben! –

Tellheim. Recht, gnädiges Fräulein; der Unglückliche muß gar nichts lieben. Er verdient sein Unglück, wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu erhalten weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die, welche er liebt, an seinem Unglück Anteil nehmen dürfen. – Wie schwer ist dieser Sieg! – Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen: was für Mühe habe ich angewandt! Eben wollte ich anfangen zu hoffen, daß diese Mühe nicht ewig vergebens sein würde: – und Sie erscheinen, mein Fräulein! –

Fräulein. Versteh ich Sie recht? – Halten Sie, mein Herr; lassen Sie sehen, wo wir sind, ehe wir uns weiter verirren! – Wollen Sie mir die einzige Frage beantworten?

Tellheim. Jede, mein Fräulein –

Fräulein. Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit nichts als einem trockenen Ja oder Nein?

Tellheim. Ich will es – wenn ich kann.

Fräulein. Sie können es. – Gut: ohngeachtet der Mühe, die Sie angewendet, mich zu vergessen – lieben Sie mich noch, Tellheim?

Tellheim. Mein Fräulein, diese Frage –

Fräulein. Sie haben versprochen, mit nichts als Ja oder Nein zu antworten.

Tellheim. Und hinzugesetzt: wenn ich kann.

Fräulein. Sie können; Sie müssen wissen, was in Ihrem Herzen vorgeht. – Lieben Sie mich noch, Tellheim? – Ja oder Nein.

Tellheim. Wenn mein Herz –

Fräulein. Ja oder Nein!

Tellheim. Nun, Ja!

Fräulein. Ja?

Tellheim. Ja, ja! – Allein –

Fräulein. Geduld! – Sie lieben mich noch: genug für mich. – In was für einen Ton bin ich mit Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer, ansteckender Ton. – Ich nehme den meinigen wieder an. – Nun, mein lieber Unglücklicher, Sie lieben mich noch und haben Ihre Minna noch und sind unglücklich? Hören Sie doch, was Ihre Minna für ein eingebildetes, albernes Ding war – ist. Sie ließ, sie laßt sich träumen, Ihr ganzes Glück sei sie. – Geschwind, kramen Sie Ihr Unglück aus. Sie mag versuchen, wieviel sie dessen aufwiegt. – Nun?

Tellheim. Mein Fräulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.

Fräulein. Sehr wohl. Ich wüßte auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse kalte, nachlässige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem Unglücke zu sprechen –

Tellheim. Die im Grunde doch auch geprahlt und geklagt ist.

Fräulein. Oh, mein Rechthaber, so hätten Sie sich auch gar nicht unglücklich nennen sollen. – Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus. – Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen befiehlt? – Ich bin eine große Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit. – Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.

Tellheim. Wohl denn; so hören Sie, mein Fräulein. – Sie nennen mich Tellheim; der Name trifft ein. – Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in Ihrem Vaterlande gekannt haben; der blühende Mann, voller Ansprüche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen Körpers, seiner ganzen Seele mächtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des Glückes eröffnet standen, der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er schon Ihrer noch nicht würdig war, täglich würdiger zu werden hoffen durfte. – Dieser Tellheim bin ich ebensowenig, als ich mein Vater bin. Beide sind gewesen. – Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner Ehre Gekränkte, der Krüppel, der Bettler. – Jenem, mein Fräulein, versprachen Sie sich: wollen Sie diesem Wort halten? –

Fräulein. Das klingt sehr tragisch! – Doch, mein Herr, bis ich jenen wiederfinde – in die Tellheims bin ich nun einmal vernarret –, dieser wird mir schon aus der Not helfen müssen. – Deine Hand, lieber Bettler! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)

Tellheim (der die andere Hand mit dem Hute vor das Gesicht schlägt und sich von ihr abwendet). Das ist zu viel! – Wo bin ich? – Lassen Sie mich, Fräulein! Ihre Güte foltert mich! – Lassen Sie mich.

Fräulein. Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?

Tellheim. Von Ihnen! –

Fräulein. Von mir? (Indem sie seine Hand an ihre Brust zieht.) Träumer!

Tellheim. Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Füßen werfen.

Fräulein. Von mir?

Tellheim. Von Ihnen. – Sie nie, nie wiederzusehen. – Oder doch so entschlossen, so fest entschlossen – keine Niederträchtigkeit zu begehen – Sie keine Unbesonnenheit begehen zu lasen. – Lassen Sie mich, Minna! (Reißt sich los und ab.)

Fräulein (ihm nach). Minna Sie lasen? Tellheim! Tellheim!


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