Gotthold Ephraim Lessing
Der Freigeist
Gotthold Ephraim Lessing

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Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Theophan. Araspe.

Araspe. Was ich Ihnen sage, mein lieber Vetter. Das Vergnügen Sie zu überfallen, und die Begierde bei Ihrer Verbindung gegenwärtig zu sein, sind freilich die vornehmsten Ursachen meiner Anherkunft; nur die einzigen sind es nicht. Ich hatte den Aufenthalt des Adrast endlich ausgekundschaftet, und es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man sagt, zwei Würfe mit einem Steine zu tun. Die Wechsel des Adrast sind verfallen; und ich habe nicht die geringste Lust, ihm auch nur die allerkleinste Nachsicht zu gönnen. Ich erstaune zwar, ihn, welches ich mir nimmermehr eingebildet hätte, in dem Hause Ihres künftigen Schwiegervaters zu finden; ihn auf eben demselben Fuße, als Sie, Theophan, hier zu finden: aber gleichwohl, – – und wenn ihn das Schicksal auch noch näher mit mir verbinden könnte, – –

Theophan. Ich bitte Sie, liebster Vetter, beteuern Sie nichts.

Araspe. Warum nicht? Sie wissen wohl, Theophan, ich bin der Mann sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu drücken fähig wäre. – –

Theophan. Das weiß ich, und desto eher – –

Araspe. Hier wird kein Desto eher gelten. Adrast, dieser Mann, der sich, auf eine ebenso abgeschmackte als ruchlose Art von andern Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, daß man ihn auch wieder von andern Menschen unterscheide. Er muß die Vorrechte nicht genießen, die ein ehrlicher Mann seinen elenden Nächsten sonst gern genießen läßt. Einem spöttischen Freigeiste, welcher uns lieber das Edelste, was wir besitzen, rauben und uns alle Hoffnung eines künftigen glückseligern Lebens zunichte machen möchte, vergilt man noch lange nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwärtige Leben ein wenig sauer macht. – – Ich weiß, es ist der letzte Stoß, den ich dem Adrast versetze; er wird seinen Kredit nicht wieder herstellen können. Ja, ich wollte mich freuen, wenn ich sogar seine Heirat dadurch rückgängig machen könnte. Wenn mir es nur um mein Geld zu tun wäre: so sehen Sie wohl, daß ich diese Heirat lieber würde befördern helfen, weil er doch wohl dadurch wieder etwas in die Hände bekommen wird. Aber nein; und sollte ich bei dem Konkurse, welcher entstehen muß, auch ganz und gar ledig ausgehen: so will ich ihn dennoch auf das Äußerste bringen. Ja, wenn ich alles wohl erwäge, so glaube ich, ihm durch diese Grausamkeit noch eine Wohltat zu erweisen. Schlechtere Umstände werden ihn vielleicht zu ernsthaften Überlegungen bringen, die er in seinem Wohlstande zu machen, nicht wert gehalten hat; und vielleicht ändert sich, wie es fast immer zu geschehen pflegt, sein Charakter mit seinem Glücke.

Theophan. Ich habe Sie ausreden lassen. Ich glaube, Sie werden so billig sein, und mich nunmehr auch hören.

Araspe. Das werde ich. – Aber eingebildet hätte ich mir es nicht, daß ich an meinem frommen Vetter einen Verteidiger des Adrasts finden sollte.

Theophan. Ich bin es weniger, als es scheinet; und es kommen hier so viel Umstände zusammen, daß ich weiter fast nichts als meine eigne Sache führen werde. Adrast, wie ich fest überzeugt bin, ist von derjenigen Art Freigeister, die wohl etwas Besseres zu sein verdienten. Es ist auch sehr begreiflich, daß man in der Jugend so etwas gleichsam wider Willen werden kann. Man ist es aber alsdann nur so lange, bis der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt ist, und sich das aufwallende Geblüte abgekühlt hat. Auf diesem kritischen Punkte steht jetzt Adrast; aber noch mit wankendem Fuße. Ein kleiner Wind, ein Hauch kann ihn wieder herabstürzen. Das Unglück, das Sie ihm drohen, würde ihn betäuben; er würde sich einer wütenden Verzweiflung überlassen, und Ursache zu haben glauben, sich um die Religion nicht zu bekümmern, deren strenge Anhänger sich kein Bedenken gemacht hätten, ihn zugrunde zu richten.

Araspe. Das ist etwas; aber – –

Theophan. Nein, für einen Mann von Ihrer Denkungsart, liebster Vetter, muß dieses nicht nur etwas, sondern sehr viel sein. Sie haben die Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet; Sie haben den Adrast nur als einen verlornen Mann angesehen, an dem man zum Überflusse noch eine desperate Kur wagen müsse. Aus diesem Grunde ist die Heftigkeit, mit der Sie wider ihn sprachen, zu entschuldigen. Lernen Sie ihn aber durch mich nunmehr unparteiischer beurteilen. Er ist in seinen Reden jetzt weit eingezogener, als man mir ihn sonst beschrieben hat. Wenn er streitet, so spottet er nicht mehr, sondern gibt sich alle Mühe, Gründe vorzubringen. Er fängt an, auf die Beweise, die man ihm entgegensetzt, zu antworten, und ich habe es ganz deutlich gemerkt, daß er sich schämt, wenn er nur halb darauf antworten kann. Freilich sucht er diese Scham noch dann und wann unter das Verächtliche eines Schimpfworts zu verstecken; aber nur Geduld! es ist schon viel, daß er diese Schimpfworte niemals mehr auf die heiligen Sachen, die man gegen ihn verteidiget, sondern bloß auf die Verteidiger fallen läßt. Seine Verachtung der Religion löset sich allmählich in die Verachtung derer auf, die sie lehren.

Araspe. Ist das wahr, Theophan?

Theophan. Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu überzeugen. – Sie werden zwar hören, daß diese seine Verachtung der Geistlichen mich jetzt am meisten trifft; allein ich bitte Sie im voraus, nicht empfindlicher darüber zu werden, als ich selbst bin. Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Münze zu bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag auch kosten, was es will.

Araspe. Wenn Sie bei persönlichen Beleidigungen so großmütig sind – –

Theophan. Stille! wir wollen es keine Großmut nennen. Es kann Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den Gliedern meines Ordens durch mich zuschanden zu machen. Es sei aber, was es wolle, so weiß ich doch, daß Sie viel zu gütig sind, mir darin im Wege zu stehen. Adrast würde es ganz gewiß für ein abgekartetes Spiel halten, wenn er sähe, daß mein Vetter so scharf hinter ihm drein wäre. Seine Wut würde einzig auf mich fallen, und er würde mich überall als einen Niederträchtigen ausschreien, der ihm, unter tausend Versicherungen der Freundschaft, den Dolch ins Herz gestoßen habe. Ich wollte nicht gerne, daß er die Exempel von hämtückischen Pfaffen, wie er sie nennt, mit einigem Scheine der Wahrheit auch durch mich vermehren könnte.

Araspe. Lieber Vetter, das wollte ich noch tausendmal weniger, als Sie. – –

Theophan. Erlauben Sie also, daß ich Ihnen einen Vorschlag tue: – – oder nein; es wird vielmehr eine Bitte sein.

Araspe. Nur ohne Umstände, Vetter. Sie wissen ja doch wohl, daß Sie mich in Ihrer Hand haben.

Theophan. Sie sollen so gütig sein und mir die Wechsel ausliefern, und meine Bezahlung dafür annehmen.

Araspe. Und Ihre Bezahlung dafür annehmen? Bei einem Haare hätten Sie mich böse gemacht. Was reden Sie von Bezahlung? Wenn ich Ihnen auch nicht gesagt hätte, daß es mir jetzt gar nicht um das Geld zu tun wäre: so sollten Sie doch wenigstens wissen, daß das, was meine ist, auch Ihre ist.

Theophan. Ich erkenne meinen Vetter.

Araspe. Und ich erkannte ihn fast nicht. – Mein nächster Blutsfreund, mein einziger Erbe, sieht mich als einen Fremden an, mit dem er handeln kann? (Indem er sein Taschenbuch herauszieht.) Hier sind die Wechsel! Sie sind Ihre! machen Sie damit was Ihnen gefällt.

Theophan. Aber erlauben Sie, liebster Vetter: ich werde nicht so frei damit schalten dürfen, wenn ich sie nicht auf die gehörige Art an mich gebracht habe.

Araspe. Welches ist denn die gehörige Art unter uns, wenn es nicht die ist, daß ich gebe, und Sie nehmen? – – Doch damit ich alle Ihre Skrupel hebe: wohl! Sie sollen einen Revers von sich stellen, daß Sie die Summe dieser Wechsel nach meinem Tode bei der Erbschaft nicht noch einmal fodern wollen. (Lächelnd.) Wunderlicher Vetter! sehen Sie denn nicht, daß ich weiter nichts tue, als auf Abschlag bezahle? –

Theophan. Sie verwirren mich – –

Araspe (der noch die Wechsel in Händen hat). Lassen Sie mich nur die Wische nicht länger halten.

Theophan. Nehmen Sie unterdessen meinen Dank dafür an.

Araspe. Was für verlorne Worte! (Indem er sich umsieht.) Stecken Sie hurtig ein; da kömmt Adrast selbst.

Zweiter Auftritt

Adrast. Theophan. Araspe.

Adrast (erstaunend). Himmel! Araspe hier?

Theophan. Adrast, ich habe das Vergnügen, Ihnen in dem Herrn Araspe meinen Vetter vorzustellen.

Adrast. Wie? Araspe Ihr Vetter?

Araspe. Oh! wir kennen einander schon. Es ist mir angenehm, Herr Adrast, Sie hier zu sehen.

Adrast. Ich bin bereits die ganze Stadt nach Ihnen durchgerannt. Sie wissen, wie wir miteinander stehen, und ich wollte Ihnen die Mühe ersparen, mich aufzusuchen.

Araspe. Es wäre nicht nötig gewesen. Wir wollen von unserer Sache ein andermal sprechen. Theophan hat es auf sich genommen. – –

Adrast. Theophan? Ha! nun ist es klar. – –

Theophan. Was ist klar, Adrast? (Ruhig.)

Adrast. Ihre Falschheit, Ihre List – –

Theophan (zum Araspe). Wir halten uns zu lange hier auf. Lisidor, lieber Vetter, wird Sie mit Schmerzen erwarten. Erlauben Sie, daß ich Sie zu ihm führe. – (Zum Adrast.) Darf ich bitten, Adrast, daß Sie einen Augenblick hier verziehen? Ich will den Araspe nur heraufbegleiten; ich werde gleich wieder hier sein.

Araspe. Wenn ich Ihnen raten darf, Adrast, so sein Sie gegen meinen Vetter nicht ungerecht. – –

Theophan. Er wird es nicht sein. Kommen Sie nur.

(Theophan und Araspe gehen ab.)

Dritter Auftritt

Adrast (bitter). Nein, gewiß, ich werde es auch nicht sein! Er ist unter allen seinesgleichen, die ich noch gekannt habe, der hassenswürdigste! Diese Gerechtigkeit will ich ihm widerfahren lassen. Er hat den Araspe ausdrücklich meinetwegen kommen lassen: das ist unleugbar. Es ist mir aber doch lieb, daß ich ihm nie einen redlichen Tropfen Bluts zugetrauet, und seine süßen Reden jederzeit für das gehalten habe, was sie sind. – –

Vierter Auftritt

Adrast. Johann.

Johann. Nun? haben Sie den Araspe gefunden?

Adrast. Ja. (Noch bitter.)

Johann. Geht's gut?

Adrast. Vortrefflich.

Johann. Ich hätte es ihm auch raten wollen, daß er die geringste Schwierigkeit gemacht hätte! – – – Und er hat doch schon wieder seinen Abschied genommen?

Adrast. Verzieh nur: er wird uns gleich den unsrigen bringen.

Johann. Er den unsrigen? – Wo ist Araspe? –

Adrast. Beim Lisidor.

Johann. Araspe beim Lisidor? Araspe?

Adrast. Ja, Theophans Vetter.

Johann. Was frage ich nach des Narren Vetter? Ich meine Araspen. – –

Adrast. Den meine ich auch.

Johann. Aber – –

Adrast. Aber siehst du denn nicht, daß ich rasend werden möchte? Was plagst du mich noch? Du hörst ja, daß Theophan und Araspe Vettern sind.

Johann. Zum erstenmal in meinem Leben. – – Vettern? Ei! desto besser; unsere Wechsel bleiben also in der Freundschaft, und Ihr neuer Herr Schwager wird dem alten Herrn Vetter schon zureden – –

Adrast. Du Dummkopf! – Ja, er wird ihm zureden, mich ohne Nachsicht unglücklich zu machen. – Bist du denn so albern, es für einen Zufall anzusehen, daß Araspe hier ist? Siehst du denn nicht, daß es Theophan muß erfahren haben, wie ich mit seinem Vetter stehe? daß er ihm Nachricht von meinen Umständen gegeben hat? daß er ihn gezwungen hat, über Hals über Kopf eine so weite Reise zu tun, um die Gelegenheit ja nicht zu versäumen, meinen Ruin an den Tag zu bringen, und mir dadurch die letzte Zuflucht, die Gunst des Lisidors, zu vernichten?

Johann. Verdammt! wie gehen mir die Augen auf! Sie haben recht. Kann ich Esel denn, wenn von einem Geistlichen die Rede ist, nicht gleich auf das Allerboshafteste fallen? – Ha! wenn ich doch die Schwarzröcke auf einmal zu Pulver stampfen und in die Luft schießen könnte! Was für Streiche haben sie uns nicht schon gespielt! Der eine hat uns um manches Tausend Taler gebracht: das war der ehrwürdige Gemahl Ihrer lieben Schwester. Der andere – –

Adrast. Oh! fange nicht an, mir meine Unfälle vorzuzählen. Ich will sie bald geendigt sehen. Alsdann will ich es doch abwarten, was mir das Glück noch nehmen kann, wann ich nichts mehr habe.

Johann. Was es Ihnen noch nehmen kann, wann Sie nichts mehr haben? Das will ich Ihnen gleich sagen: Mich wird es Ihnen alsdann noch nehmen.

Adrast. Ich verstehe dich, Holunke! –

Johann. Verschwenden Sie Ihren Zorn nicht an mir. Hier kömmt der, an welchem Sie ihn besser anwenden können.


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