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Vierte Predigt.
Ein »gebildetes« Mädchen. Ein Ausflug ins Blaue.

Ich lade Sie, verehrte Zuhörerinnen, zu einem Ausfluge ins Blaue ein. Es kann darin nichts liegen, was Ihr Staunen erregen könnte, denn in den letzten Jahren haben mehrere Schriftsteller, darunter mit mittelmäßiger Berechtigung und mit größtem Erfolge der bekannte Bellamy, solche Reisen unternommen, und die Leser haben sich ihnen vergnügt angeschlossen.

Gar manches, was vor Jahrhunderten Dichter und Schriftsteller nur geträumt haben, ist heute Wirklichkeit; jede Besserung vorhandener Mißstände wird zuerst von der Einbildungskraft in das Blau der nur vorgestellten Welt hineingebaut, bis die Zeit kommt, wo Mächte der wirklichen Welt das Vorgeschaute verkörpern. Aber ehe ich Ihnen Fausts Mantel unterbreite, der uns in das Traumland führt, will ich Sie noch einen Augenblick festhalten auf der Erde und Ihnen ein Mitglied des Menschengeschlechts vorführen, die Vertreterin einer großen Gattung: eine sogenannte »höhere Tochter«. Sie gehört zu den Merkwürdigkeiten des Jahrhunderts des Geistes. So nennen wir es mit der Bescheidenheit, die dem modernen Menschen so wohl ansteht, wir vergessen dabei nur, daß die Menschen der früheren Jahrhunderte die gleiche Meinung von ihren Zeiten hegten und über die Vorfahren oft ebenso mitleidig selbstbewußt lächelten, wie unsere Enkel über uns lächeln – vielleicht lachen werden.

Die »höhere Tochter« ist das Ergebnis falscher Bildungsbegriffe. Ich will nicht behaupten, daß der weibliche Unterricht auf der Volksschule gesunden Grundsätzen ganz entspreche, aber dennoch wage ich die ketzerischen Gedanken auszusprechen: ein Mädchen der unteren Schichten, das die niedere Schule mit Erfolg durchgemacht hat, ist für seine Lebenszwecke gebildeter, als die Töchter der höheren Stände für die ihrigen.

Ich will in der folgenden Schilderung keinen äußersten Fall zeichnen, so verführerisch es sein mag, zu übertreiben, um sich die Wirkung zu sichern. Ich greife ein Mädchen aus dem Durchschnitt heraus.

Es hat die höhere Mädchenschule einschließlich der »Selecta« – wann wird dieses scheußliche Wort aus dem deutschen Sprachschatze verschwinden? – mit »gut« überwunden.

Untersuchen wir ihr Wissen.

Sie schreibt eine anständige Hand, liest flüssig, wenn auch nicht mit feinem Verständnis. Ihre deutschen Aufsätze und Briefe sind ohne Spur von Eigenart, nicht frei von herkömmlichen, abgebrauchten Wendungen und verblaßten Bildern, die »poetisch« wirken sollen.

In der Geschichte beschränkt sich ihr Wissen auf Namen und Zahlen; der Zusammenhang der Begebenheiten ist ihr völlig unklar; von der Kulturgeschichte, dem inneren Werden der Menschheit, vor allem des eigenen Volkes hat sie nicht mehr als eine Ahnung.

Ebenso äußerlich ist ihre Kenntnis von der Geschichte des heimischen Schrifttums: auch hier Namen, Jahreszahlen und Titel – nur von einer verschwindenden Anzahl von Werken weiß sie oberflächlich den Inhalt anzugeben; einige Gedichte hat sie auswendig gelernt.

Was die Naturwissenschaften betrifft, wies der Lehrplan, Tier-, Pflanzen- und Steinkunde, Naturlehre und Chemie, vielleicht sogar Geologie auf. Untersucht man des Mädchens Wissen, so zeigt es sich meist als leerer Wortkram. Fast bei allen Fächern hat die Anschauung gefehlt, oder sie war unzureichend. Unsere Tochter hat z. B. Pflanzennamen auswendig gelernt, vielleicht sogar lateinische, sie kann die Ordnungen des natürlichen Systems aufsagen, aber Weizen von Gerste, Rüben von Kartoffeln unterscheiden, das kann sie ebenso wenig, wie Fichten von Tannen, sie müßte es denn während eines Landaufenthaltes gelernt haben. Was von Naturlehre und Chemie in ihrem Kopfe steckt, sind bloße Worte, Trümmer ohne jeden Zusammenhang. Auch in der Erdbeschreibung fehlt ihr die Anschauung; wenige Jahre nach dem Verlassen der Schule weiß sie blutwenig, verwechselt Bulgarien und Rumänien und hält die Ungarn für einen slavischen Stamm. Ich schildere nach eigenen Erfahrungen.

Im Rechnen ist sie nicht ungewandt, aber auch hier fehlt oft die Übung, das Erlernte auf das Alltagsleben anzuwenden.

In den fremden Sprachen hat sie die Formenlehre ziemlich inne; die Aussprache ist mangelhaft, die Geläufigkeit des Gebrauchs versagt sofort, wenn das Gebiet der gewöhnlichsten Redensarten verlassen wird. Sehr gering ist die Kenntnis des fremden Schrifttums. Außer einigen Werken, die in der Schule – man weiß, wie seelenlos – durchgenommen worden sind, einige Romane, wie sie meist der Zufall in das Haus gebracht hat, nicht selten Bücher, deren Inhalt Geist und Gemüt schädigt.

Zu Hause ist noch Musik oder Malerei betrieben worden, fast immer mit mittelmäßigem Erfolg; daneben wurden zuweilen ›stilvolle‹ Handarbeiten gemacht.

Manches Mädchen besucht, wo sich dazu die Gelegenheit bietet, nach Vollendung der Schule Vorlesungen in ›Lyceen‹, und hört alle möglichen Wissenschaften, die meist für diesen Zweck besonders zugeschnitten werden; Philosophie, Kunstgeschichte u. s. w. ein oder zwei Jahre lang. Wird zuletzt noch ein »Kochkursus« durchgemacht, dessen Prüfungsergebnisse in einer Hummer-Mayonnaise und einer süßen Speise sich verkörpern, so ist dem Schwindelbau die Krone aufgesetzt.

Sehr häufig hat ein solches Mädchen sich am Ende nichts angewöhnt, als ungemeinen Hochmut auf sein Wissen und eine Vorlautheit des Urteils, die allem weiblichen Taktgefühl in das Gesicht schlägt.

Wir haben nun den Besitz eines so ›gebildeten‹ Mädchens festgestellt. Ich bitte Sie, sich zu erinnern, was ich als Aufgabe der Bildung bezeichnet habe. Vermag das Mädchen sich zu erhalten? Nein. Ist es fähig, in irgend einer Art der Gemeinschaft zu dienen? Nein. Ist's im stande, auf Grund dieses lückenhaften Scheinwesens zu seinem Selbst und damit zu Gott zu gelangen? Nein.

Diese drei Verneinungen sprechen einem solchen Bildungsgange das Urteil.

Wir wollen aber noch weiter prüfen. Das Mädchen soll Gattin, Hausfrau, Mutter, Erzieherin werden.

Hat es nun die geringste Ahnung von dem Berufe der Frau? Weiß es etwas von den Pflichten, die es als Genossin des Mannes auf sich nimmt? Weiß es etwas von der Art, wie man für das körperliche Wohlbefinden sorgen muß, wie sie selbst, Mann und Kinder in der Krankheit zu behandeln sind? Ist es gelehrt worden, wie das Seelenleben des Kindes beschaffen ist, wie man dessen Wesen belauscht, Fehler oder Vorzüge dämmt und kräftigt? Weiß es, wie die verschiedenen Ausgaben des Haushaltes sich zueinander verhalten, wie das Monatsgeld einzuteilen ist, wie man Wirtschaftsbücher führt? Ahnt sie, daß sie aus Knaben und Mädchen echte Männer und gediegene Frauen zu formen habe, die, jedes in seiner Art, dem Vaterlande, der Menschheit und Gott dienen, und den Selbstand der freien Persönlichkeit erreichen sollen?

Von alledem und manchem anderen weiß es in den allermeisten Fällen nichts. Mit Schein hat man es erzogen, an Schein es gewöhnt; Scheinempfindungen in ihm genährt; Vorstellungen vom Scheinglück in es eingepflanzt. Statt es hinzuweisen auf das Bleibende, auf die Besitztümer des Gemüts, erworben durch Pflichterfüllung und opferfähige Liebe, die das Ich vergißt, hat man es zu einer spielenden Auffassung vom Leben, gar oft zur Vergnügungssucht, zur Eitelkeit und zu falscher Empfindelei hingeführt.

Genügt aber das Gelernte etwa, falls das Mädchen nicht heiratet? Nein, auch dann ist es unzureichend zur Erlangung von Brod und Selbständigkeit. Die wenigen reichen Mädchen, die »es nicht nötig haben« – so lautet die verruchte Redensart – zählen nicht, wenn es sich um Millionen handelt, die einfach darauf angewiesen sind, entweder zu heiraten, oder sich selbst ehrlich durch das Leben zu schlagen.

Kann man eine Bildung gut nennen, die nach keiner Richtung hin genügt? Die Frage können Sie selbst beantworten.

Und nun folgen Sie mir, verehrte Frauen, in das Blaue. Wir reisen nach irgendwo – Zeit irgendwann in der Zukunft, die ja allen Träumen unbegrenzten Spielraum bietet. Aber es soll kein Traum sein, den die maßlose Einbildungskraft geschaffen hat; wir wollen ein Gewebe weben, in dem der feste Faden der Wirklichkeit den Zeddel und der Goldfaden der Hoffnung und des Wunsches den Einschlag bildet. Wir wollen mit Vernunft träumen und nicht vergessen, daß die Darsteller des Zukunftsbildes Menschen sind, von denen man Übermenschliches nicht verlangen darf; nicht vergessen, daß auch im Jahre Irgendwann die Menschenseele in den Grundzügen sich nicht zur Vollkommenheit umgestaltet haben wird. Die Paradiesträume überlasse ich gerne der Jugend und gewissen Sozialdemokraten und Anarchisten, die einen leidlosen Zustand und bleibendes Glück auf Erden für möglich halten und sogar meinen, daß aus Menschen schon hier Engel werden können. Nur Eins möchte ich noch, bevor der Zug nach Phantasien abgeht bemerken: das geschilderte Leitbild weiblicher Erziehung ist von einem Deutschen für Deutsche entworfen. – –

Ein freundlicher Garten zeigt sich dem Blick; schattende Bäume und sonnige Spielplätze; dann in Mitte der Anlage eine im Sommer offene Halle, die im Winter zum Unterricht dient. Sie enthält neben dem Hauptraume auch eine einfache Küche.

In der Anstalt werden Kinder vom 5. bis zum 7. Jahre täglich drei Stunden beschäftigt. Aber die Grundsätze der früheren Kindergärten sind nur mehr zum Teile geltend. Damals – im 19. Jahrhundert – hatte sich sehr viel Spielerisches, auf bloßen Schein Berechnetes in diese Anstalten eingeschlichen, so daß vielen Kindern ein geziertes Wesen angelehrt wurde. Der neue Kindergarten hat schon die Schule und das Leben zum Zielpunkt. Einst sangen die Kinder ein Liedchen und machten so, als ob sie grüben, jetzt begleitet der Gesang wirkliche Arbeit. Die Kleinen werden mit leichter Gartenarbeit und Blumenzucht beschäftigt; sie lernen das Stricken Häkeln und Nähen; zugleich werden zuerst die Schriftbilder der Gegenstände mit denen sie sich beschäftigen, ihrem Gedächtnis eingeprägt, danach die einzelnen Laute, aus denen die Worte bestehen. Durch stetes Schauen und Hören gewinnt das Kind, noch ehe es die Schule betritt, Vorkenntnisse im Lesen und hat die Bilder der Buchstaben so oft aufgenommen, daß das Schreiben ihm bedeutend leichter fällt, als den Kindern früherer Zeiten. Aber von besonderer Bedeutung ist, daß es nur mehr eine Einheitsschrift giebt, für Druck und Feder die gleiche. Die kleinen Mädchen beschäftigen sich auch, wie es früher geschah, mit Puppen, aber das Spiel ist zu einem Unterrichtsgegenstand geworden, den als solchen die Kinder gar nicht empfinden. Sie werden angewiesen für die Puppen die nötige Kleidung zu fertigen und zu verbessern, sie zu waschen und zu plätten. An der Puppe lernen sie die ersten Handgriffe der Krankenpflege, d. h. das Anlegen von Verbänden und ähnliches.

Besondere Pflege findet der Körper durch Bewegung und Turnspiele, Sprung- und Laufübungen, die alle mit genauer Rücksicht auf den Bau des weiblichen Körpers berechnet und zum Teil von Chorgesang begleitet sind.

Großes Gewicht wird bei der ganzen Anleitung auf die Erziehung des Charakters gelegt. Erstlich sind zum Besuch dieser Vorschulen alle Mädchen aller Stände verpflichtet, wo nicht besonders triftige Gründe vorliegen. Alle, die Tochter des Fürsten wie des Arbeiters tragen die gleiche einfache aber gesunde Tracht. Den Armen wird ein Beitrag für deren Anschaffung geliefert. So fallen die Standesunterschiede, deren Betonung die Ausbildung des Gemüts so schwer schädigt, fort. Die Kinder lernen sich nur als Kinder, als Mitschülerinnen kennen; die Lehrerinnen sorgen dafür, daß alle Mädchen es lernen, sich gegenseitig mit Freundlichkeit zu behandeln.

Unter der Aufsicht der Lehrerin arbeiten nach bestimmter Reihenfolge Schülerinnen der allgemeinen Volksschule als Hilfskräfte. Dieses Unterrichten der Kinder ist ein fester Unterrichtsgegenstand für die Mädchen vom 12.-14. Jahre. Sie lernen mit den Kleinen umzugehen, auf deren Eigenart zu merken; sie lernen es, unter Aufsicht der Lehrerin, sich zu beherrschen, Geduld zu üben; liebevoll, ernst und gerecht zu sein. So lernen sie lehrend, aber nicht nach der Schablone, sondern mitthätig in einem Abschnitte wirklichen Lebens und werden so zur Ausübung des Pflichtgefühls erzogen nach einer Richtung, die auf den späteren mütterlichen Beruf hinzielt. Indem die Lehrerinnen die halbwüchsigen Mädchen auf die Art hinweisen, wie die einzelnen Kinder nach deren Eigenwesen zu behandeln und zu fassen sind, wird ihnen am Leben selbst der Einblick in die Kinderseelen eröffnet; dabei aber offenbaren sie in ihrem Verhalten selbst wieder den Lehrerinnen ihr Wesen, die nun eingreifen, wo es nötig ist.

In die Mitte der Unterrichtszeit fällt ein Imbiß, im Winter ein Glas warmer, im Sommer kalter Milch mit einem Brödchen. Die erste wird in der Küche abgekocht, und nach bestimmter Reihenfolge helfen die Kleinen selbst bei der Verteilung, beim Reinigen der Gläser. Die Kinder der Wohlhabenden zahlen dafür einen die Kosten etwas übersteigenden Betrag, der mit dem Schulgelde erhoben wird, die der Ärmeren werden unentgeltlich gespeist, oder zahlen nur wenige Pfennige.

Der religiöse Unterricht in dieser Zeit wird nicht als besonderer Gegenstand betrachtet. Ein kurzes, inniges Lied eröffnet und schließt die tägliche Schule. Im übrigen werden die Grundlehren des religiösen Lebens, so weit es dem Kindesalter entspricht, durch leisen Zwang in die Seelen hinein geschmeichelt. Leicht verstehen es Kinder, wenn man ihnen sagt: »Gott will, daß Du Deine Eltern lieb hast, Deine Geschwister, Deine Lehrerinnen. Die anderen Kinder sind aber auch wie Du und wir alle Kinder Gottes, darum mußt Du auch sie lieb haben. Dann wird Gott und Jesus auch Dich lieb haben.« Das ist der Grundzug, der ohne Katechismen durch den Verkehr zwischen Lehrerin, Hilfsmädchen und Kindern geht. Die kindliche Ichsucht wird stets als Unrecht hingestellt, und damit das Gewissen erzogen und verfeinert; man hält auf Verträglichkeit, Wahrheitsliebe, freundliches Entgegenkommen, aber ohne verschlossene Kinder äußerlich zu einem Gebahren zu zwingen, das ihrem tiefsten Wesen widerspricht.

Nach dem Schlusse des täglichen Unterrichts hat eine Abteilung alle Spielsachen, den ganzen Schulraum und die Küche in musterhafte Ordnung zu bringen.

Nach vollendetem 6. oder 7. Jahre, je nach den Fortschritten, kommen die Mädchen in die allgemeine Volksschule, deren Besuch für die Kinder aller Stände pflichtmäßig ist und bis etwa zum vollendeten 14. Jahre dauert. Auch hier gilt es als Gesetz, daß in Kleidung und anderen Äußerlichkeiten die größte Schlichtheit herrsche. Die Kinder von wenig bemittelten Eltern zahlen ein ermäßigtes Schulgeld, die der Armen sind Freischüler und erhalten die Schulbücher unentgeltlich. Für ganz Deutschland sind die gleichen Lehrbücher eingeführt, die von zehn zu zehn Jahren durch einen Ausschuß einer Durchsicht unterzogen werden, falls nicht etwa besondere Ereignisse zu früheren Änderungen zwingen. Dadurch wird es vermieden, daß jede Provinz, zuweilen zwei Nachbarstädte verschiedene Schulbücher haben, und jedes Jahr neue Ausgaben erscheinen, deren Anschaffung gefordert wird, so schwer sie oft den Eltern fällt. Die Bücher müssen rein gehalten werden; beim Aufsteigen in die nächste Klasse übergiebt sie die Schülerin der Schulbücherei zur Verteilung an die Bedürftigen des unteren Jahrganges.

Der Zweck der allgemeinen Volksschule ist nicht nur ein organisch in sich abgeschlossenes Wissen zu geben, sondern auch der häuslichen Erziehung durch Pflege des Gemüts in die Hände zu arbeiten. Der eigentliche Lernstoff ist für Stadt und Land der gleiche; nur gewisse Nebenfächer wechseln. Mit dem vollendeten 7. Jahre treten die Mädchen ein. Das Lesen und Schreiben wird in kürzester Zeit überwältigt, da der Kindergarten vorgearbeitet hat, so bleiben sieben Jahre fast ganz für den sachlichen Unterricht. Die Anordnung der meisten Fächer zielt unmittelbar auf das Leben hin. Man strebt darnach, die Kinder zum Selbstdenken zu leiten; das früher so verbreitete Auswendiglernen ist beschränkt. Neben Rechnen, Übungen im Lesen und Schreiben, Religion, Deutsch, bilden Vaterlandskunde und die Grundzüge der heimischen Geschichte – die zwei letzteren mit einander innig verknüpft – die Hauptfächer. Die Naturkunde wird von allem Theoretischen frei gehalten; sie hat den Zweck Liebe zur Natur zu wecken und behält zugleich im Auge, daß die Mehrzahl der Menschen mit der Natur in praktische Beziehungen tritt. Im Schulgarten lernen die jungen Mädchen nicht nur die heimischen Pflanzen kennen, sondern auch – soweit es Nutzgewächse sind – deren Pflege. Die Lehrerin unterweist sie im Sommer im Gemüsebau, in der Zucht und Veredelung der Obstbäume; in der Behandlung der Blumen.

Der Religionsunterricht geht unmittelbar auf das Gemütsleben und auf dessen Darlegung im Verkehr; er bestrebt sich in den Kinderherzen das Herzensverständnis für die Lehren Christi und die Beziehung zu Gott lebendig zu machen; das Auswendiglernen ist nur auf solche Dinge beschränkt, die den Kindern in Sprache und Inhalt verständlich sind; alles im Ausdruck Veraltete ist ausgeschlossen, da es nur äußerlich festgehalten werden kann und das Gemüt nicht bereichert.

Die Kinder erhalten in passender Weise Unterricht in Gesundheitspflege; zur Stärkung des Körpers dient das zum Teil mit Singen verbundene Turnen, das täglich stattfindet und den Unterricht in zwei Hälften teilt.

Zur Weckung des Schönheitssinns dient vor allem der Unterricht in der Muttersprache, der in wohl berechneter Weise die Schätze des heimischen Schrifttums verwertet. Wo sich Begabung zeigt, dort wird nach vollendetem 10. Jahre mit dem Zeichnen begonnen.

Der Handarbeitsunterricht knüpft an die im Kindergarten gewonnenen Fertigkeiten an und behält zunächst das Praktische im Auge. Stricken, Nähen, Sticken werden durch alle Abteilungen betrieben, so daß die Kinder allmählich lernen den Bedarf an Kleidung und Wäsche selbst anzufertigen. In den zwei höchsten Klassen (13. und 14. Lebensjahr) tritt noch das Maßnehmen hinzu; dafür besonders begabte Mädchen können auch in weiblichen Kunsthandarbeiten die nötigen Vorkenntnisse erwerben.

An das Rechnen schließt sich in den zwei letzten Jahrgängen die Haushaltungskunde in Umrissen, d. h. einfache Buchführung, Lehre von der Verwendung des Geldes im Vergleich zu den einzelnen Bedürfnissen, Allgemeines über den Nährwert der Nahrungsmittel.

In Abteilungen werden die Schülerinnen zur Beihilfe in den Kindergärten herangezogen. Das dort Ausgeübte findet seine Ergänzung in einem rein auf Erziehungszwecke berechneten Unterricht in der Kunde von dem Wesen der Kinderseele und in der Pflege des kranken Kindes.

Ein Mädchen, das die Volksschule verläßt, ist nun für das Leben vorgebildet. Es verfügt über eine nicht geringe Summe von nötigen Kenntnissen, aber zugleich über Fertigkeiten, die sich unmittelbar verwerten lassen, und deren Übung in den einfachsten Lebensverhältnissen nötig ist. Ist ein armes Mädchen aber besonders begabt, dann wird es auf Staatskosten zu dem höheren weiblichen Unterrichte zugelassen.

Dieser umfaßt die Zeit vom beginnenden 15. bis zum vollendeten 18. Jahre und schließt sich im Lehrplan innig an den der allgemeinen Volksschule an.

Mit besonderer Rücksicht auf Deutschland werden Erdkunde und Geschichte weiter geführt, wobei man mehr auf Klarmachung des geistigen Zusammenhangs, als auf das Auswendiglernen von Namen und Zahlen achtet. An den Unterricht im Deutschen schließt sich die Geschichte des heimischen Schrifttums; im Anschluß an Religion wird eine Pflichtenlehre vorgetragen, die besonders die Stellung und die Aufgaben des Weibes als der künftigen Gattin, Mutter, Hausfrau umfaßt, aber zugleich die Möglichkeit, für sich allein zu bleiben, im Auge behält. Die Fächer, die früher nur im Umriß behandelt worden sind, Erziehungslehre, Haushaltungswesen, Gesundheitslehre und Krankenpflege werden nun ausführlicher vorgenommen und mit der Ausübung verbunden. Wie die kleinen Mädchen im Kindergarten aushalfen, so thun es die Schülerinnen der höheren Schule in der Volksschule unter Aufsicht der Lehrer und Lehrerinnen; in Abteilungen werden sie in Kranken- und Gebärhäuser geführt und dort in Handreichungen und in der Pflege unterwiesen.

Der Unterricht in den Naturwissenschaften wiederholt in erweitertem Umfange den Lehrstoff der Vorschule; stets weist er auf die Liebe zur Natur hin; stets knüpft er an unmittelbare Anschauungen; er führt in Versuchen die Hauptthatsachen der Chemie und Physik vor, und betont jene, die auch Anwendung auf das tägliche Leben gestatten.

Von fremden Sprachen ist das Französische in den Lehrplan ausgenommen, das Englische wird in außerordentlichen Stunden für jene gelehrt, die dafür besondere Lust haben. Man faßt sofort als Ziel das Sprechen und Schreiben ins Auge; die Sprachlehre nimmt nicht mehr jenen Umfang ein, den sie noch im 19. Jahrhundert besessen hat.

Zur Pflege des Schönheitssinns knüpft man auch in der höheren Schule an die Schätze der deutschen Dichtung an. Bei der Auswahl wird darauf gesehen, daß sowohl dem weiblichen Gemüt, wie dem Geiste Nahrung zugeführt und die Liebe zu heimischen Wesen ohne Chauvinismus gepflegt werde. Zum Chorgesang tritt allmählich der Einzelgesang bei besonderer Begabung, das Turnen wird fortgesetzt, täglich eine Stunde, die auch hier in die Mitte der Unterrichtszeit gelegt ist. Die weiblichen Handarbeitsstunden setzen das in der Volksschule Begonnene fort, so daß jede Schülerin, die den gesamten Lehrplan durchgemacht hat, es darin zu voller Fertigkeit bringt; Zeichenunterricht empfangen nur jene, bei denen Begabung vorhanden ist.

Wie in der Volksschule, zieht sich auch in der höheren das Streben zu erziehen durch den ganzen Unterricht. Da jeder Lehrerin nicht mehr als 30 Schülerinnen zugewiesen sind, und sie diese durch alle vier Jahre in den gleichen Fächern unterweist, so lernt sie das Wesen der Einzelnen kennen; das Schablonenhafte, das von keiner Schule ganz entfernt werden kann, wird bedeutend gemildert, und der Einfluß auf Geist und Gemüt vermehrt. Da die Rangunterschiede in der Schulzeit fortfallen, wird zwischen den der Reife entgegenwachsenden Mädchen ein ungezwungener Verkehr vermittelt. Die Töchter der höheren Stände wirken in Äußerlichkeiten bildend auf die der unteren; sie lernen durch die Gefährtinnen auch den Ernst des Lebens früher kennen, und die gleiche Bildung bietet für die verschiedenartigen Naturen einen gemeinsamen Boden. Die Pflichtenlehre weist auf die wichtige Stellung hin, die das Weib in der Menschheit einzunehmen hat; sie bekämpft das Scheinwesen, den Hang nach Befriedigung des ichsüchtigen Luststrebens; sie zeigt die Würde der Arbeit an sich und für die Gemeinschaft; sie vernichtet den Wahn, daß ein Teil der Menschheit nur zum Genießen, der andere nur zum Dienen und Entbehren bestimmt sei; sie nimmt den Kindern der Großen und Reichen den Hochmut, die Lieblosigkeit und denen der mittleren und unteren Schichten den Neid und den Haß. So wachsen die Mädchen, ohne das Eigenwesen zu verlieren, in gemeinsamen Leitbildern eines echt sittlichreligiösen Dasein zusammen zu einer mächtigen Einheit, die allmählich das Gemeinschaftsleben umgestaltet hat.

Noch im 19. und 20. Jahrhundert gab es in Deutschland Millionen von weiblichen Wesen, die niemals Frauen und Mütter werden konnten. Ein großer Teil der Männer war durch unsittliche Ichsucht so verblendet, daß er nur durch reiche Mitgift sich zur Ehe bestimmen ließ, in die er übertriebene Bedürfnisse und oft einen durch Ausschweifungen zerrütteten Körper brachte. Andere Männer aber, die das Zeug zu guten Gatten und Vätern besaßen, wagten nicht zu heiraten, weil die Mädchen gar oft nur auf den äußeren Schein hin erzogen waren, weder im stande zu wirtschaften, noch zu erziehen, noch Genossinnen des Mannes zu sein. Ihre ganze Erziehung und Bildung war Schein, dafür besaßen sie Bedürfnisse, die ein Gatte mit mäßigem Einkommen nicht hätte befriedigen können. Aus diesen Gründen nahmen die Ehelosen beider Geschlechter an Zahl zu. Das hat in den kaum 100 Jahren, seit die weibliche Bildung auf neuer Grundlage aufgebaut worden ist, aufgehört. Während noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland die Zahl der ehereifen Mädchen die der ehereifen Männer um fast eine Million überstieg, hat sich dieses Mißverhältnis seitdem fast ausgeglichen. Und der tiefste Grund lag darin, daß die neue Erziehung, an der Haus und Schule gemeinsam gearbeitet hatten, ein gesundes weibliches Geschlecht heranzog, gesund an Leib und Seele, frei von unnatürlichen Bedürfnissen, fähig gesunde Kinder zu gebären, sie selbst zu säugen, fähig in der entscheidenden Zeit von der Geburt bis etwa zum 7. Jahre auch die Knaben so zu erziehen, daß aus ihnen einst gesunde und sittlich kraftvolle Männer werden konnten. Nicht überwunden sind Krankheit und Sünde, aber sie sind vermindert im Verhältnis zu jener Zeit, die sich in einer Art von Selbstspott die der »Décadence«, des Verfalls genannt hat. Die Ehe ist wieder zum Bunde zweier Herzen geworden – Ehebruch und Scheidung zu seltenen Erscheinungen. Und damit hat wieder das Haus den alten Zauber gewonnen, und das Weib ist in ihm zur echten Herrscherin geworden, die durch Vertiefung des Gemüts und zugleich mit klarem Bewußtsein ihrer hohen Aufgaben im edelsten Sinne als Trägerin der Herzensgesittung dasteht und darin volle Befriedigung findet.

Wohl giebt es noch Frauen, die von Gott mit besonderen Gaben ausgestattet wirken, aber jener Drang in das öffentliche Leben hinaus, der ungesunde Ehrgeiz und die streberische Eitelkeit, die so viele ehemals verführten, sind fast ganz verschwunden. Nicht mehr ringt das Weib um das »allgemeine Stimmrecht«, da die gesteigerte politische Bildung dieses selbst längst beseitigt hat. Aus ungesunden sittlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen war jene »Emancipationsbewegung« des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, mit der Beseitigung der Übel ist sie auch verschwunden.

Aber darum ist der weibliche Geist nicht enger geworden: er hat im Gegenteil das Verständnis für das allgemeine Leben des eigenen Volkes gewonnen. Und als mächtigstes Hilfsmittel hat neben der Erziehung in Haus und Schule die Einführung des Freiwilligenjahres für alle Mädchen gewirkt.


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