Gottfried Wilhelm Leibniz
Monadologie
Gottfried Wilhelm Leibniz

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§. 21. Es folget aber hieraus keines weges / daß die einfache Substanz alsdenn ohne die geringste perception sei. Dieses kann auch vermöge der angeführten Ursachen nicht anders sein / denn sie weder völlig untergehen / noch in ihrem Wesen verbleiben kann / da nicht auch zugleich eine gewisse Veränderung / welche nichts anders als ihre perception ist / in ihr vorgehen sollte: wann aber eine große Menge von kleinen Empfindungen / worunter man keine von der andern unterscheiden kann /zusammen kommt; so wird man Sinn- und Empfindungs-los / wie es dann geschiehet / daß / wenn man sich vielmal hinter einander ohne Absetzen herumdrehet / uns ein Schwindel überfällt / welcher verursachen kann / daß uns die Sinnen verschwinden und daß wir nichts von einander distinguieren können. Und der Tod kann die Tiere auf eine Zeitlang in einen solchen Zustand versetzen.

§. 22. Und gleichwie ein jeder gegenwärtiger Zustand einer einfachen Substanz natürlicher Weise eine Folge aus ihrem vorhergehenden Zustande ist / dergestalt daß das Gegenwärtige ein Inbegriff des künftigen ist; so muß man folglich / weil man nach der Überwindung eines dergleichen verwirrten und Sinn-losen Zustandes seine Empfindungen und perceptionen wiederum wahrnimmet / dergleichen schon unmittelbar vorher gehabt haben / ob man sich gleich derselben nicht bewußt ist. Denn eine perception kann natürlicher Weise nur aus einer andern perception entspringen / gleichwie eine Bewegung natürlicher Weise nur aus einer andern Bewegung erwachsen kann.

§. 23. Hieraus ersiehet man / daß / wenn wir in unsern Empfindungen nichts von einander unterscheiden und nichts finden können / welches / so zu reden / vor dem andern erhaben und von einem höhern goût wäre / wir allezeit in dem Verwirrungsvollen Zustande sein würden / als worinnen sich die ganz bloßen Monaden befinden.

§. 24. Wir nehmen auch wahr / daß die Natur denen Tieren dergleichen perceptiones gegeben / darunter eine vor der andern erhaben und kenntlich ist / und zwar vermöge der Sorgfalt / so sie erwiesen / da sie ihnen solche organa beigeleget hat / welche viele Strahlen des Lichtes oder viele undulationes der Luft zusammen fassen / um sie dadurch in den Stand zu setzen / daß sie durch die Vereinigung der Strahlen und der undulationen einen desto stärkern und lebhaftern Eindruck von denen äußerlichen in der Welt sich befindenden Dingen empfangen mögen. Es ist auch etwas gleichförmiges in dem Geruch / in dem Geschmack / in dem Gefühle und vielleicht in vielen andern Sinnen / so uns bis dato unbekannt sind; und ich werde bald erklären / wie dasjenige / so in der Seele vorgehet / dasjenige vorstellet / welches sich in denen Gliedmaßen der Sinnen eräuget.

§. 25. Das Gedächtnis gibt denen Seelen eine speciem consecutionis, das ist / einiges Vermögen / sich den Erfolg der Dinge auf einander vorzustellen. Hierinnen ahmet das Gedächtnis der Vernunft nach / welche aber von demselben muß unterschieden werden. Wir erfahren / daß die Tiere / bei vorfallender perception von einer Sache / die ihnen in die Sinne fällt / und wovon sie vordeme bereits dergleichen Empfindung schon gehabt haben / kraft der Vorstellung ihrer Memorie dasjenige erwarten / welches mit dieser vorhergehenden perception ist verknüpfet gewesen / und zugleich auf solche Vorstellungen geraten / welche denen zu anderer Zeit gehabten sentimens ähnlich sind. Wenn man z. e. denen Hunden den Stock zeiget / so erinnern sie sich des Schmerzens / den sie hiervon vordem empfunden / worauf sie zu schreien oder die Flucht zunehmen pflegen.

§. 26. Und die heftige Einbildung oder imagination, welche in sie so lebhaftig würket und sie in eine Bewegung bringet / erwächset entweder aus der Stärke oder Größe / oder aus der Menge der vorhergehenden Empfindungen. Denn eine starke impression tut öfters auf einmal eben so viele Würkung / als eine lange Gewohnheit oder viele mittelmäßige / anbei aber oftmals wiederholte Empfindungen zu tun vermögend sind.

§. 27. Die Menschen agieren wie die ohne Vernunft lebende Tiere / in so weit ihre perceptionen bloß vermöge des principii des Gedächtnisses auf einander erfolgen und sie sich in ihren actionen darnach richten / wie die empirischen Medici, welche eine bloße praxin ohne theorie haben; wie wir dann in drei vierteilen unserer Verrichtungen uns auf empirische Art aufführen. Auf dergleichen Art geschiehet es / daß wann man erwartet / daß es morgen Tag sein werde / man hierinnen empirisch handelt; weil dieses allezeit bishero so eingetroffen hat. Es verfähret diesfalls keiner nach der Vernunft als ein Sternkundiger.

§. 28. Die Einsicht aber derer schlechterdings notwendigen und ewigen Wahrheiten ist dasjenige / welches uns von denen bloßen Tieren unterscheidet und verursachet / daß wir die Vernunft und die Wissenschaften haben / indem sie uns zu der Erkenntnis GOttes und unserer selbst führet und erhebet. Und eben dieses ist es / welches man in uns Vernünftige Seele oder Geist nennet.

§. 29. Eben durch die Erkenntnis der notwendigen Wahrheiten und durch ihre abstractionen werden wir zu denen actibus reflexivis oder zu dem Nachdenken erhöhet / wodurch wir in Stand gesetzet werden / an dasjenige / welches man das Ich selbst nennet / zugedenken und zu betrachten / daß dieses oder jenes in uns ist: dahero geschiehet es / daß / wenn wir an uns gedenken / wir auch von dem Ente, von der Substanz / von dem Einfachen und von dem zusammengesetzten / von dem unmateriellen und von GOTT selbsten Gedanken haben / indem wir concipieren / daß dasjenige / welches in uns umschränket ist / in ihme ohne einzige Umschränkung angetroffen werde; und diese reflectiven Actus oder diese Kräfte nachzusinnen geben uns die Haupt-Objekte von unseren Vernunft-Schlüssen an die Hand.

§. 30. Unsere Schlüsse gründen sich auf zwei große Haupt-Wahrheiten / worunter die eine das Principium contradictionis oder der Satz des Widerspruchs ist / vermöge dessen wir urteilen / daß dasjenige / welches etwas widersprechendes in sich fasset / falsch / hingegen aber wahr sei / welches dem falschen gerade zuwider laufet oder entgegengesetzet ist.

§. 31. Die andere Haupt-Wahrheit ist der Satz des zureichenden Grundes oder das Principium rationis sufficientis, durch Hülfe dessen wir betrachten / daß keine Begebenheit wahrhaftig und würklich vorhanden / kein Satz echt oder der Wahrheit gemäß sein kann, wo nicht ein zureichender Grund sei / warum das Factum oder der Satz sich vielmehr so und nicht anders verhalte; ob gleich diese Gründe uns sehr öfters ganz und gar unbekannt sein können.

§. 32. Wann eine Wahrheit notwendig ist / so kann man hiervon die Raison durch die Analysin finden / indem man sie in die allersimpelsten Ideen und Wahrheiten zergliederet / bis man auf die allerersten Grund-Wahrheiten gelanget.

§. 33. Dahero werden bei denen Mathematicis die Lehr-Sätze / welche auf der bloßen Betrachtung des Verstandes beruhen und die praktischen Reguln nach der Analytischen Methode in Definitiones, Axiomata, und Postulata zergliedert.

§. 34. Es gibt endlich simpele Idee / wovon man keine Definition geben kann; und gleichergestalt findet man Axiomata und Postulata, oder mit einem Worte / gewisse principia primitiva oder Stamm- Wahrheiten / wovon man keinen Beweis geben kann / man auch desselben nicht vonnöten hat; und dieses sind die Identischen Sätze.

§. 35. Man muß aber auch die Zulänglichkeit der Raison in denjenigen Wahrheiten / welche auf zufälligen Umständen oder auf gewissen Begebenheiten beruhen / das ist / in der Suite oder in dem Zusammenhange derjenigen Dinge antreffen / welche sich in dem allgemeinen Umfang der Geschöpfe befinden / allwo die Zergliederung derer besonderen Raisons so weit zurücke laufen kann / daß man in derselben kein Ende und keine Schranken wahrnimmet / weil die Mannigfaltigkeit der Dinge in der Natur unermeßlich und die Zerteilung der Körper unendlich ist. Es sind unendliche Figuren und Bewegungen / wenn ich so wohl die gegenwärtigen als vergangenen zusammen nehmen soll / welche sich in die causam efficientem oder in die würkende Ursache meiner vorhabenden Schrift vermischen und ihren Einfluß haben. Es gibt auch unendlich viele kleine Triebe und Neigungen meiner Seele / welche so wohl gegenwärtig als vergangen sind / und welche in der Final-Ursache dieses meines Aufsatzes zusammen laufen.

§. 36. Und gleichwie diese ganze Zergliederung nur andere zufällige Dinge in sich fasset / welche vorhergehen oder sich noch mehr zergliedern lassen / und wovon eine jede einer gleichmäßigen Analytic vonnöten hat / wenn man von derselben Raison geben will; so ist man in dieser Zergliederung noch nicht viel weiter / vielweniger gar zu Ende gekommen. Es muß vielmehr die zulängliche oder allerletzte Raison außer der Suite oder außer dem Zusammenhange dieser unter sich verschiedenen zufälligen Dinge / ihre Zergliederung mag nun so unendlich fortgehen / wie sie immer wolle / befindlich sein.

§. 37. Dahero muß die allerletzte Raison derer Dinge in einer schlechterdings notwendigen Substanz verborgen sein / in welcher der Inbegriff so vieler unendlicher Veränderungen nur in gradu eminenti, als in seiner Quelle liegen muß. Diese Substanz nennen wir Gott.

§. 38. Da nun diese Substanz eine zureichende Raison ist von diesem ganzen Umfange / worinnen die unendlich mannichfaltigen Dinge mit einander ohne Ausnahme und auf das genaueste verknüpfet sind; so ist nur ein einziger GOtt / und dieses Göttliche Wesen ist zu allen diesen Dingen zureichend.

§. 39. Man kann auch urteilen / daß / weil diese allerhöchste / einzige / allgemeine und ewige Substanz nichts außer sich hat / welches von ihr nicht dependieren sollte /und über dieses eine simpele Suite derer möglichen Dinge ist / daß / sage ich / sotane Substanz auf alle Weise unumschränket sein und alle Realitäten, so nur immer möglich sind / in sich fassen müsse.

§. 40. Woraus dann folget / daß GOtt schlechterdings vollkommen sei; indem die Vollkommenheit nichts anders als die Größe der positiven Realität ist / wenn solche im genauen Verstande genommen wird; in so weit man die Schranken / worinnen sich die andern Dinge außer GOtt befinden / bei Seite setzet. Wo nun gar keine Schranken sind / wie wir solches in Gott befinden /daselbst muß die Vollkommenheit schlechterdings unendlich sein.

§. 41. Es folget auch / daß die Geschöpfe ihre Vollkommenheit von dem Einfluß Gottes haben / und daß hingegen ihre Unvollkommenheiten von ihrer eigenen Natur / welche nicht unumschränket sein kann / herstammen. Denn eben hierinnen bestehet der Unterscheid / welcher zwischen GOtt und den Kreaturen ist.

§. 42. Es ist aber auch wahr / daß in GOtt nicht alleine die Quelle der Existenzen / sondern auch der Ursprung derer Wesen / in so weit sie reell sind / oder der Brunnquell desjenigen / welches in denen Möglichkeiten reell ist / verborgen sei; weil nämlich der Verstand Gottes der unumschränkte Umfang derer ewigen Wahrheiten oder derer Ideen ist / von welchen sie dependieren / über dieses auch ohne ihm nichts reelles in denen Möglichkeiten / und nicht alleine nichts würkliches oder existierendes / sondern auch nichts mögliches sein würde.

§. 43. Denn es ist notwendig / daß / wenn eine Realität in denen Wesen oder Möglichkeiten / oder auch in denen ewigen Wahrheiten angetroffen wird / diese Realität in etwas / welches würklich vorhanden ist / und folglich in der Existenz des notwendigen Wesens gegründet sei / in welchem das Wesen die Würklichkeit oder Existenz in sich fasset / oder in welchem es genung ist / daß eine Sache möglich sei / wenn sie würklich soll hervor gebracht werden.

§. 44. Also hat alleine GOtt oder das schlechterdings notwendige Wesen dieses Vorrecht / daß etwas / wenn es möglich ist / würklich an das Licht hervor treten müsse: Und gleichwie nichts die Möglichkeit desjenigen / welches keine Schranken hat / keine Negation und folglich keine Kontradiktion in sich fasset / verhindern kann; so ist dieses alleine zureichend die Existenz und Würklichkeit Gottes a priori zu erkennen / wie wir dann dieselbe auch aus der Realität der ewigen Wahrheiten erwiesen haben.

§. 45. Hiervon kommen wir aber auf den Beweistum / wodurch sotane Existenz a posteriori kann behauptet werden; weil wir wahrnehmen / daß gewisse zufällige Dinge vorhanden sind / welche ihren Haupt-Grund oder ihre zulängliche Raison nirgends anders als in dem notwendigen und selbst-ständigen Wesen / so den Grund seiner Existenz in sich selbst verborgen hat haben können.

§. 46. Unterdessen muß man sich mit einigen nicht einbilden / daß die ewigen Wahrheiten / welche von GOtt dependieren / von seinem Willkür herkämen oder seinem Willen unterwürfig wären / welche Meinung Cartesius und nach ihm Herr Poiret zu haben scheinet. Dieses hat nur bei denen zufälligen Wahrheiten statt; dahingegen die schlechterdings notwendigen Wahrheiten einzig und allein von seinem Verstande dependieren.


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