Friedrich Christian Laukhard
Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale – Band II
Friedrich Christian Laukhard

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Drittes Kapitel

Einnahme von Longwy. – Die Welschlothringer. – Das Landvolk und die Revolution. – Angst der Soldaten vor vergifteten Speisen. – Brunnenvergiftung. – Die Soldatenstrümpfe. – Uebergabe von Verdun. – Held Beaurepaire. – Die heilige Jungfrau von Verdun. – Präsident George von Varennes. – Die schöne Kaufmannsfrau. – Ein gefälliger Ehemann. – Beginn unseres Elends in der Champagne. – Das Drecklager. – Hunger, Nässe und Ungeziefer. – Die Ruhr.

Am 20. August hatten wir schönes Wetter, allein wir wurden doch erst gegen Abend völlig trocken, weil wir den Tag vorher gar zu naß geworden waren.

Der Herzog befahl, erst Brot herbeizuschaffen, ehe das Lager abgebrochen werden sollte, und dieses hinderte uns, früh aufzubrechen.

Als wir das Lager geräumt hatten, lag alles voll Schafshäuten und Kaldaunen von Schafen und Schweinen, welche den Tag vorher geschlachtet waren; ebenso voll Federn von den geraubten Hühnern und Gänsen.

An eben diesem Tage forderte der Herzog von Braunschweig mit einer nicht starken Avantgarde die Festung Longwy zur Uebergabe auf. Dieses Städtchen ist sehr artig gebaut und hat treffliche große Häuser und einige schöne öffentliche Gebäude. Die Befestigungswerke sind von dem berühmten Vauban. Longwy ist beträchtlicher als Verdun, ob es gleich viel kleiner ist. Bei der ersten Aufforderung weigerte sich der Kommandant, das Städtchen aufzugeben. Als aber das grobe Feuern hinzukam, da drang die Bürgerschaft auf die Uebergabe, damit das Oertchen nicht ganz zerschossen werden möchte, und so kam diese Festung in die Hände der Preußen. Longwy hätte sich in der Zeit ohnehin schwerlich so lange halten können, bis Entsatz gekommen wäre. Die Uebergabe dieses Platzes und der Festung Verdun haben indes eigentlich viel Unglück über die deutschen Armeen verhängt, denn wären die Franzosen hier nur standhafter geblieben und hätten sie uns mehr dabei beschäftigt, so wären wir nicht so weit vorgedrungen und hätten wenigstens bessere Anstalten für unsere Erhaltung getroffen.

Die Emigrierten hatten unter anderm uns vorgeschwatzt, daß die Franzosen vor lauter politischem Trubel den Ackerbau fast gar nicht mehr betrieben. Daß aber dieses eine offenbare Lüge war, habe ich selbst bald gesehen, wie alle unsere Leute. Das ganze Land in Lothringen und im kleinen Ländchen Clermontois, ja sogar in der armen unfruchtbaren Champagne, zeigte das Gegenteil. Der Ackerbau blühte hier sichtbar, die Gärten waren gut angelegt, und die Dörfer verrieten den Fleiß und den Wohlstand ihrer Bewohner.

Ich habe mich mit Lothringern mehrmals unterhalten und mit Vergnügen vernommen, daß sie durch die Revolution von jeder Seite durchaus gewonnen hätten. Die schrecklichen Abgaben, sagten sie, wären nicht mehr; jetzt könnten sie auch an sich denken, bauen, anderen aushelfen, ihres Lebens wie ihrer Arbeit froh werden, einen Notpfennig ersparen. Die vielen Akzisen hätten aufgehört, das grobe Wild verwüstete ihre Fruchtfelder nicht weiter, kurz, sie fühlten jetzt, daß sie Menschen wären und nicht mehr Sklaven des Edelmanns und der Priester usw. usw.

Man muß, dünkt mich, bei einer Revolution nicht die vornehmen Kasten der Städter, noch weniger die Kaufleute, Juden, Wucherer, besoldeten Gelehrten und Dienstleute, am allerwenigsten diejenigen fragen, welche bloß vom alten System, von den Vorurteilen, dem Aberglauben und von dem Luxus der Nation sich zu nähren vorher gewohnt waren. Diese Leute sind alle nicht in der Lage, einen richtigen Begriff von der Staatsänderung anzugeben, denn sie haben dabei verloren, und ihr Verlust hindert sie, den Gewinn des Ganzen gehörig zu würdigen. Man frage den Landmann, den Handwerker, der nötige Sachen macht, kurz, die erwerbende Klasse, nicht die verzehrende, nicht den Höfling, den Priester, den Friseur oder das Modemädchen, und man wird von der Revolution richtiger urteilen lernen. Dabei aber denke man ja beständig, daß man eine Revolution vor Augen habe, und daß bei einer Revolution, besonders wenn sie von allen Seiten her durch in- und ausländische Angriffe bestürmt wird, gar viel Abscheuliches und Grausiges vorfallen müsse. Dies nebenher!

 

Ich weiß nicht, wer anders als das alte barbarische Vorurteil, seinem Feinde alles mögliche Böse zuzufügen, und die übertriebene Furcht, dieses vom Feinde bewerkstelligt zu sehen, das Gerücht vom Vergiften auch während dieses Krieges verbreitet haben mag. Mehr als einmal habe ich es bei uns äußern hören, und sah sehr viele sich ängstlich darnach richten. Daß es bei dem Eindringen der Franzosen in unsere Gegend vielleicht von ihren kurzsichtigen deutschen Anhängern in Gang gebracht sei, läßt sich denken, und man hörte es, als sie in die Pfalz eindrangen. Bei uns wenigstens war es hier gang und gäbe.

Eines Tages nahm mich als Dolmetscher Herr von Sojazinsky, unser Oberleutnant, mit nach einem Dorfe, wo er die Schutzwache machen sollte. Wir traten in ein Haus, wo sich der Hausherr zwar anfangs verleugnen ließ, hernach aber erschien, als ich die Frau im Namen des Leutnants versicherte, daß er sich nicht zu fürchten hätte und wir ihn nicht im geringsten kränken, vielmehr überall schützen würden. Unser gutes Benehmen erwarb uns endlich Zutrauen, und der Wirt, nebst seiner Frau, welche in mich als ihren Vermittler viel Vertrauen setzten, reichten mir Brotsuppe und Speck. Ich bot meinen hungrigen Kameraden davon an, aber sie dankten, weil sie fürchteten, die Speisen möchten vergiftet sein. Sie rieten mir sogar, ja nicht davon zu kosten, denn es sei den Patrioten auf keinen Fall zu trauen. Aber ich aß unbekümmert, und als die Leute hernach sahen, daß mir wohl blieb, so verzehrten sie, was ich übrig gelassen hatte. – Man hat sogar von Vergiften der Brunnen radotiert; aber wer könnte das veranstalten? Kein mineralisches Gift, auch in noch so großer Quantität, in einen Brunnen geworfen, kann, wie ich gehört habe, das Wasser infizieren, und wieviel Pflanzengift müßte man haben, um einen Brunnen voll Wasser schädlich zu machen! Gift, in einen Brunnen geworfen, soll vielmehr das Wasser verbessern. – Freilich, wenn man vorzeiten an die Juden wollte, gab man ihnen das Brunnenvergiften schuld, aber was tat man vorzeiten nicht alles!

 

Die französischen Magazine zu Longwy waren recht gut versehen; da sie nun in die Hände der Preußen fielen, so ließ der Herzog uns einigemal Tabak, Branntwein, gesalzenes Fleisch, Speck u.dgl. daraus reichen. Aber leider wurde der Wille des vortrefflichen Mannes nur halb ausgeführt, denn manches, was zum Austeilen mitbestimmt war, wurde an die Marketender verkauft, und zwar von Herren, welche die Aufsicht über die Magazine führen sollten. Die Marketender verkauften alles uns armen Teufeln hernach wieder für schwere Münze.

Noch mehr habe ich mich geärgert, als ich sehen mußte, daß Strümpfe, welche der Herzog auch unter die Soldaten verteilt wissen wollte, teils in den Händen der Offiziere blieben, teils nach Luxemburg an Kaufleute verhandelt wurden. Das war doch auf jeden Fall unanständig, und ich wundere mich sehr, daß es nicht zu den Ohren des Herzogs gekommen ist, der in solchen Fällen keinen Spaß zu verstehen pflegt. Alle Offiziere, welche davon hörten, haben die Köpfe geschüttelt, mit einem: Pfui Teufel!

Wir brachen nach einem ungefähr zehntägigen Aufenthalt aus dem Lager bei Longwy auf und marschierten querfeldein auf Verdun zu. Der Boden war sehr feist, hing an, und wir sahen aus, wer weiß wie. Schon bei Luxemburg hatte die preußische Reinlichkeit ein Ende: jeder putzte sich, wie er für gut fand, und niemand sagte was, wenn auch einer einhertrat, wie es ging.

Der Herzog ließ, nachdem wir unser Lager vor Verdun aufgeschlagen hatten, auch diese Stadt sofort zur Uebergabe auffordern; allein hier würde er weit mehr Widerstand gefunden haben als bei Longwy, wenn anders der brave Beaurepaire nach seinen patriotischen Empfindungen hätte handeln können. Beaurepaire erklärte gleich anfangs, er könne mit dem Herzog sich nicht einlassen, noch weniger die Stadt übergeben, denn eine Festung sei das Eigentum nicht derjenigen Bürger allein, welche sie bewohnten, sondern der ganzen Nation, und dürfe daher bloß im Falle der höchsten Not dem Feind übergeben werden.

Nach dieser deutlichen Erklärung ließ der Herzog auf einem Weinberg, gerade der Zitadelle gegenüber, Schanzen aufwerfen und die Stadt beschießen. Dieses hatte die Folge, daß einiger Brand entstand, und nun forderte der Bürgerausschuß, daß Beaurepaiie die Stadt durchaus öffnen sollte. Als Beaurepaire sah, daß für ihn nichts mehr zu tun sei, erklärte er, daß wenigstens er frei sterben wolle, und erschoß sich im Beisein mehrerer Bürger und Offiziere.

Diese heldenmütige Aufopferung des braven Kommandanten brachte die Verduner nicht zur Besinnung, und so wurde die Stadt von dem nachher auch emigrierten Nyont den Preußen übergeben.

Es gab unter unseren Offizieren einige, welche meinten, daß man Beaurepaires Körper auf den Schindanger werfen müsse, aber zur Ehre aller übrigen muß ich sagen, daß alle Edeldenkenden unter ihnen laut bekannten, daß der Tod dieses wirklich großen Mannes, auf welchen man anwenden kann, was Lucanus von Cato sagt:

Victrix causa Deis placuit, sed victa Cantoni

Mitleid, Bewunderung und im ähnlichen Falle Nachahmung verdiente. – Beaurepaire wurde demnach ganz ehrlich begraben und ist hernach zu Paris auf dem Nationaltheater apotheosiert worden.

Also wurde Verdun von den Preußen besetzt, und die französische Garnison, welche, wie die zu Longwy, größtenteils aus damals noch ungeübten Nationalgarden bestand, erhielt freien Abzug.

Herr von Mandelsloh, mein Hauptmann, schickte mich gleich am folgenden Tage nach Verdun, und ich begab mich recht gern dahin, weil ich begierig war, diese alte berühmte Stadt näher kennen zu lernen.

Verdun liegt an der Maas, welche da durchfließt, und war ehemals des Deutschen Reiches, aber Heinrich II., jener erzorthodoxe katholische König, welcher sich mit den Protestanten in Deutschland verbunden hatte, ob er gleich die Protestanten in Frankreich verfolgte, riß Metz, Toul und Verdun, die drei besten Städte im damaligen Lothringen, von Deutschland ab und behielt sie nachher im Friedensschluß. In den Hugenottenkriegen ist Verdun von den Ketzern belagert, und nach einer alten Sage von der heiligen Jungfrau sichtbarlich beschützt worden. Seitdem aber hat die heilige Jungfrau ihre Wunderkraft verloren, denn die Franzosen machen's mit ihr und ihrer ganzen heiligen Sippe doch wahrlich ärger, als es die Ketzer, selbst die Manichäer und die berüchtigten Bilderstürmer nimmermehr gemacht haben. Aber so ist es! Wenn die Sonne der Vernunft höher hinaufsteigt, sinken die Nebel einer verpfafften Phantasie, und die Produkte von dieser verschwinden, sobald der Glaube an sie lächerlich wird. Nur Geduld, die Zeit gibt alles!

Wir fanden auch in Verdun recht gut versehene Magazine an Heu, Stroh, Mehl, Wein, Speck, Branntwein, Erbsen, Käse usw., ferner vielen Vorrat an Kleidungsstücken und Pferdegeschirr. Von diesen Vorräten haben unsere Leute sich manches zugeeignet, besonders von den Lebensmitteln.

Da ich sehr oft, beinahe täglich, nach Verdun geschickt wurde, so hatte ich Gelegenheit, auch für mich manches aus dem Magazin mitzunehmen. Oft habe ich meine Zeltbursche mit Schnaps und Wein versehen, und einmal habe ich sogar einen schönen neuen Offiziermantel mitgebracht. Ich ließ ihn einem Leutnant für vierzehn Taler, obgleich die goldene Tresse darauf allein mehr wert war. Ich dachte, nimmst du ihn nicht, so nimmt ihn ein anderer, und nach dieser Regel bestimmte ich damals manche individuelle Handlung.

 

Auf die eifrigsten Verteidiger der Freiheit hat man hier auch stark Jagd gemacht, und unter anderen den Präsident des Distrikts von Varennes, einem kleinen etwa vier Stunden von Verdun gelegenen Städtchen, gefänglich hingesetzt. Das Verbrechen dieses würdigen Mannes bestand meist darin, daß er sein Vermögen hingab, um einige Anstalten durchzusetzen, für welche er ehemals in Paris gestimmt hatte. Der Herzog ließ ihn anfänglich sehr hart an, aber George, so hieß der Präsident, benahm sich so edel und freimütig, daß der Herzog selbst endlich schwieg. Die Emigranten hätten ihn gern zernichtet und gaben ihm schuld, daß er an der Arretierung ihres flüchtigen Königs zu Varennes teilgehabt habe. Aber die Preußen schützten den George, und er wurde bald darauf ausgewechselt.

Die gefangenen Franzosen saßen auf der Zitadelle, wo man sehr leicht mit ihnen sprechen konnte. Ich benutzte diese Gelegenheit und fand, daß die Leute den Mut noch gar nicht verloren hatten. » Les ennemis se retiront et nous voilà libres,« riefen sie und pfiffen eins dazu.

Der Verfasser der »Briefe eines preußischen Augenzeugen«, welcher ebenfalls den Feldzug des Herzogs von Braunschweig mitgemacht hat, erwähnt einer sehr schönen Kaufmannsfrau in Verdun. Diese Dame habe ich auch mehrmals gesehen, welches sehr leicht war, da sie gewöhnlich am Fenster paradierte. Sie war, wie mich dünkt, eine vollendete Schönheit, aber auch eine tüchtige Kokette. Anfangs flatterten unsere jungen Offizierchen um sie herum, aber bald fanden sich recht große junge Herren – ich sage junge Herren – bei der Madame ein und die Offizierchen fuhren ab. – Wie herablassend Madame gewesen sei, weiß ich nicht; sie hatte aber recht viel preußisches Gold. Ihr Mann hat als Kaufmann das Ding so genau nicht genommen.

Im Lager bei Verdun hatten wir noch immer so halb und halb zu leben, aber von nun an litten wir auch Elend und Mangel, bis wir auf die deutsche Grenze zurückkamen.

Wir brachen von Verdun mitten im Regen auf, und marschierten den ersten ganzen Tag im Regen fort; unser Brot hatten wir größtenteils im Lager liegen lassen, weil wir ohnehin genug belastet waren und durch den abscheulichsten Kot waten mußten.

Den zweiten Tag kamen wir der französischen Armee oder vielmehr einem Korps derselben nahe; wir marschierten zwar den ganzen Tag, aber so jämmerlich, daß wir jedesmal eine halbe Stunde vorwärts machten, und hernach wieder eine Stunde, auch wohl länger, im Kote herum stille lagen wie die Schweine. Ich wurde, so wenig mich sonst Strapazen niederbeugen, auf diesem elenden Marsch so unmutig, daß ich meine Lage verwünschte und gewiß, wäre ich nicht so erschöpft gewesen, zu den Franzosen übergegangen wäre, so sehr ich die Desertion sonst auch hasse.

Endlich erreichten wir ein Dorf, L'Entrée genannt, worin der König sein Hauptquartier nahm, und wobei wir unser Lager aufschlagen sollten. Aber unsere Packpferde waren aus Furcht vor den Franzosen zurückgeblieben, und wir mußten nun da unter dem freien Himmel liegen bleiben bis nachts zwölf Uhr. Wir machten freilich Feuer an und holten dazu aus dem Dorfe L'Entrée heraus, was wir in der finstern Nacht von Holz finden konnten, Stühle, Bänke, Tische und anderes Geräte. Aber diese Feuer, so höllenmäßig sie auch aussahen, waren doch nicht hinlänglich, uns gegen den fürchterlichen Wind und den abscheulichen Regen zu sichern. Dieser Regen fing sogleich an, als wir die Zelte aufgerichtet und uns auf die blanke Erde – denn Stroh konnten wir in der Nacht doch nicht holen – hineingelegt hatten, und er wurde so heftig, daß das Wasser von allen Seiten in die Zelte eindrang und uns alle durchnetzte. Niemand konnte liegen bleiben, noch weniger schlafen; man setzte sich also auf die Tornister und Patronentaschen, und jeder fluchte auf sein Schicksal. Man denke uns in dieser Gruppe! Sogar hörte man die gräßlichsten Lästerungen auf Gott und sein Regenwetter. »Es ist Strafe Gottes,« sagten die Vernünftigeren. »Gott hat keinen Gefallen an unserem Kriege; er will nicht, daß wir sein Werk in Frankreich stören sollen. Die Revolution ist sein Werk. Die Patrioten tun seinen Willen, und die Emigranten sind Spitzbuben. Es hole sie alle der Teufel!«

Unsere Munition an Pulver wurde selbige Nacht größtenteils naß und zum Schießen unbrauchbar. Einige warfen auch schon bei ihrem Ausmarsch aus diesem Lager ihre Patronen weg und ließen sich hernach bei der Retirade, als wir sogar mehrere Pulverwagen verbrannten, andere geben.

Endlich ward es Tag, und die Soldaten krochen aus ihren Zelten, wie die Säue aus ihren Ställen, sahen auch aus wie diese Tiere, wenn sie aus Ställen kommen, die in sechs Wochen nicht gereinigt sind. Der Kot, worin man sofort patschen mußte, wenn man aus den Zelten heraustrat, lief gleich in die Schuhe, denn er war dünn und tief, worüber denn einige Soldaten dumpf brummten, andere laut fluchten, alle aber darin übereinkamen, daß dieses abscheuliche Lager hinfort Drecklager heißen sollte.

Nun wurde befohlen oder vielmehr angesagt, daß Stroh sollte gelangt werden. Stroh holen hieß aber damals den ungedroschenen Weizen. Also man nahm diesen aus den Scheunen, warf ihn, wer weiß wie hoch, ins Zelt und legte sich dann auf ihn hin. Dieses konnte um so viel leichter geschehen, da einem jeden erlaubt war, soviel Stroh, d.i. Weizen zu nehmen, als er gerade wollte oder konnte. Da nun auch die Kavalleristen ihre Fourage aus den Scheunen der Bauern holten, auch die Pack- und andere Pferde daraus versehen wurden, so kann man leicht denken, daß in den Dörfern in der Nähe nichts übrig blieb, als Jammer und Leere. In L'Entrée war nach drei Stunden keine Weizengarbe mehr anzutreffen, und es ging ebenso in den übrigen Dörfern. Daß alle Häuser obendrein rein ausgeplündert wurden, versteht sich von selbst.

Ich hätte bei diesem Stroh- oder Garbenholen beinahe den Hals zerbrochen, denn ich fiel in einer Scheune von einem hohen Gerüste, jedoch ohne Schaden. – Das Schicksal hat mich noch immer so ziemlich geschont, aber vielleicht, um mich noch einmal weit härter mitzunehmen. Indes: » Mori nolo,« sagt ein Philosoph, » sed me mortuum esse, nihil curo«»Sterben will ich nicht, aber aus dem Todsein mach' ich mir nichts.« L. – und der Mann hatte wohl recht. Warum sollte ich es denn für ein Glück halten, daß ich in L'Entrée den Hals nicht brach, in Landau oder Mâcon nicht guillotiniert wurde, und daß mich der Franzose in Lyon – wie die Folge lehren wird – nicht niederstach? Ich sehe das noch nicht recht ein, aber soviel ist gewiß, daß, wenn einer von diesen Fällen mich weggerafft hätte, ich nachher mancher trüben und kummervollen Stunde überhoben geblieben wäre.

Die Lebensmittel waren hier entsetzlich rar und teuer: ich zwar für meine Person litt von hier an – die beiden Nächte bei der Kanonade nur ausgenommen – bis nach Grandpré zurück, keinen eigentlichen Mangel, bei weitem nämlich den nicht, welchen andere Soldaten ertragen mußten. Ich hatte bei der Kompanie einen guten Freund an dem Furierschützen Lutze; dieser gab mir, als die Lebensmittel seltener wurden, den Anschlag, mich zu ihm ins Zelt zu legen, weil er doch immer eher imstande sei, etwas herbeizuschaffen, als die andern. Ich tat das, und Lutze hat mich, so oft er da war – denn auf der ernstlichen Retirade mußte er oft fünf bis sechs Tage abwesend sein – immer mit allerlei versehen und selten sich dafür zahlen lassen; wenigstens gab er allemal das umsonst her, was er umsonst bekommen hatte.

Der Mangel an Lebensmitteln konnte auch durch die wirklich große Menge von Kühen, welche man den Landleuten dort herum genommen und der Armee nachgetrieben hatte, nicht sehr erleichtert werden. Was war auch ein halb Pfund elendes altes Kuhfleisch für den Soldaten, der kaum in drei Tagen für einen Tag Brot hatte, da mußte er ja doch hungern! Zudem wurde das beste Vieh von den Treibern an die Bauern, welche von weitem herbeischlichen, verkauft; das beste Fleisch, wie auch alles Schweine- und Hammelfleisch war übrigens für die Offiziere und ihre Bedienten.

Ich kann nicht begreifen, wie man damals ein so absurdes Gerücht, wie das von der Annäherung des armen Ludwigs XVI., für wahr halten konnte, und doch war es lange Zeit, schon von Verdun her, allgemein und wurde sogar von den Offizieren geglaubt – die großen ausgenommen, welche recht gut wußten, daß Louis Capet zu Paris seit seiner Flucht in einer schrecklichen Sklavenlage gehalten wurde.

Ich widersprach solchen Gerüchten immer, gab sie höchstens für erdichtet zu unserem Troste aus, und wendete alle meine Beredsamkeit an, meine Kameraden, auch unsere Offiziere, welche sich gerne mit mir abgaben, von der augenscheinlichen Absurdität solcher Geschwätze zu überzeugen. Aber statt meinen Gründen Gehör zu geben, nannten mich viele einen Patrioten oder Jakobiner und meinten, daß ich bald sehen würde, wie die Franzosen sich trollen sollten. Doch fand ich auch damals schon mehrere, sogar unter den gemeinen Soldaten, welche nichts Gutes mehr erwarteten und mehr Unglück als Glück prophezeiten.

Bisher waren wir in der Wäsche noch ziemlich rein geblieben; aber nun, da sich nicht mehr waschen ließ, da sogar das Leinenzeug im Tornister vermoderte, fanden sich auch sehr unangenehme Tierchen, diese schreckliche Plage des Soldaten im Felde, bei uns unerträglich ein. Selbst die Offiziere konnten ihnen nicht mehr entgehen und lernten nun auch erst recht das volle Elend des Krieges erkennen.

Aber nichts nahm unsere Leute ärger mit, als der Durchfall, der allgemeine Durchfall, und die darauf folgende fürchterliche Ruhr. Delikate Leser würde es aufbringen und ihren Ekel rege machen, wenn ich über diesen Gegenstand alles sagen wollte. Aber für delikate Leser ist dieser Teil meiner Schrift nicht, sondern für Männer, deren Absicht es ist, das Elend unserer Feldzüge gegen die Neufranken in seiner wahren Gestalt kennen zu lernen; und diese suchen nur Wahrheit, auch ekelhafte Wahrheit, wenn sie nur Resultate daraus ziehen können. Also – die Abtritte, wenn sie gleich täglich frische gemacht wurden, sahen jeden Morgen so mörderisch aus, daß es jedem übel und elend werden mußte, der nur hinblickte. Alles war voll Blut und Eiter, und einigemal sah man sogar Unglückliche darin umgekommen. – Ebenso lagen viele blutige Exkremente im Lager herum, von denen, die aus nahem Drange nicht an den entfernten Abtritt hatten kommen können.

Ich bin versichert, daß nicht drei Achtel der ganzen Armee von dem fürchterlichen Uebel der Ruhr damals frei waren, als wir das Sumpflager verließen. Die Leute sahen alle aus wie Leichen und hatten kaum Kräfte, sich fortzuschleppen, und doch klagten nur wenige über Krankheit – aus Furcht vor den Lazaretten oder vor jenen Mordlöchern, worin man die Erkrankten schleppte, und worin so viele, viele um ihr trauriges Leben noch trauriger gekommen sind. Es wurden also nur die dahin gebracht, die gar nicht mehr fort konnten, und deren war eine sehr große Menge.


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