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IX.

Es kommt uns manchmal der Gedanke, daß unsere verborgensten Neigungen Rachepläne in sich aufnehmen, wenn wir sie gefliessentlich unterdrücken. Wenigstens wachsen sie ohne unser Wissen und überraschen uns gerade dann, wo wir uns am Sichersten vor ihnen glauben. Diese und ähnliche Erscheinungen haben wohl die Alten auf die Idee des Fatums gebracht. Ludwig hatte sich zu Anfange mit der größten Vorsicht in seinem Verhältnisse zu Fanny benommen, und jetzt gab er sich gedankenlos dem augenblicklichen Eindruck hin, und war täglich bei ihr. Die Grenzen eines herzlichen Freundschaftsverhältnisses wurden zwar nicht überschritten, aber ein leidenschaftsloser Zuschauer konnte leicht einsehen, wie diese Grenze eine bloße Zufälligkeit sey. Es handelt sich um die alte Frage, ob ein lebhaftes Freundschaftsverhältniß zwischen einem jungen Manne und einer jungen Frau bestehen könne, ohne in Liebeszustände umzuschlagen. Die furchtsamen Seelen wiegen sich gern in dieser Möglichkeit; aber alle Beziehungen zwischen verschiedenen Geschlechtern sind stärkere oder schwächere Liebesschattirungen, und nur das Herkommen hat sich dieses Ausdrucks bemächtigt. Freundschaft ist eben nur die Liebe zwischen gleichen Geschlechtern.

Ludwigs Bezug zu Paul hatte sich wunderlich gestaltet, dieser empfing den Rückkehrenden zerstreut, theilnahmlos, oder noch richtiger: er empfing ihn gar nicht. Auf Ludwigs Frage, was er denn mit der widerwärtigen Frau von Weiden zu schaffen habe, gab Paul eine brüske und ausweichende Antwort, und als sich nach einiger Zeit eine ausschließliche, dauernde Vorliebe Fanny's für Ludwig immer zweifelloser darthat, ging Paul's Mißmuth gegen den Jugendfreund in wenig verhehlte Feindseligkeit über. Sie begegneten sich nur noch zuweilen bei Fanny, und Pauls Benehmen wäre unerträglich gewesen, wenn es nicht Ludwig auf eine unerwiederte Neigung geschoben und deshalb nachgesehen hätte. Wirklich hatte sich eine jener befremdlichen Passionen in Pauls Wesen ausgebildet, wie sie nur zuweilen bei alltäglichen Menschen gefunden werden: die Liebe verschönert nicht wie sonst Alles an ihnen, sie sänftigt, versöhnt nicht, sondern sie reizt nur, regt auf, macht ausschließlich, eigensinnig, sie wächst auf, ein dunkles, unerfreuliches Gewächs aus saurem Boden und getränkt von sauren Dünsten. Man sollte diese Erscheinung nicht Liebe, sondern egoistische Bevorzugung nennen, den Geiz der Neigung. Anzutreffen ist sie nur bei ganz eignen Zusammenstellungen, Gruppirungen der Verhältnisse: wenn sie zum Beispiele gleich von vornherein hoffnungslos empfangen, ohne die mindeste Erwiederungshilfe geboren wird, wenn sie glückliche Nebenbuhler findet, die sie im Grunde zu übersehen glaubt. Eine gewisse Trivialität, Armuth an Phantasie und des Herzens sind auch öftere Genossen oder gar Erzeuger dieses Zustandes. Und hierbei stößt man auch zuweilen auf jene traurigen Resultate, jene grinsenden Handlungen, jene niedrigen Thaten die zu allgemeiner Verwunderung nicht von schlechten Menschen stammen: gerade diese unselig verschobene Situation eines gewöhnlichen Menschen gebiert das Widerwärtigste. – Der frühere Paul war nicht wieder zu erkennen, und man hätte sich wundern dürfen, wie Fanny dies unerquickliche Betragen um sich dulden möchte: das Weib duldet aber jede Manifestation einer Neigung, wenn sie selbst Gegenstand derselben ist. Entweder es dünkt ihr so etwas heilig, oder sie ist so eitel, oder es wirkt Beides zusammen; ja, es kann ihr eine solche Passion so unleidlich werden, daß man sie wirklich verbannen muß, daß sie das Weib selbst verbannen hilft, aber sie bewahrt deshalb doch dem vertriebenen Helden immer eine verborgene Theilnahme.

Dies war das befangende Geheimniß, wenn man Fanny erblickte: sie war nicht koquett und doch schien sie's dem Kurzsichtigen, der das Lebhafte nicht begriff; wenn Koquetterie an ihr war, so lag sie so tief in ihrem Wesen begründet, war so genau und unauflöslich mit ihren Manieren, ihrer Liebenswürdigkeit, ja ihrer Kindlichkeit verwachsen, daß man sie nicht als einen einzelnen Vorwurf von ihrem Wesen trennen konnte. Kurz, sie spielte wohl auch einen Moment mit dem mürrischen Paul, der täglich zu ihr kam, und wenig oder gar nichts redete. Clärchen war bei alle dem schweigsam und ließ sich wenig sehn; Georges noch weniger, und sein Trübsinn schien täglich zu wachsen, seine Farbe verblich. Auge und Wange sanken ein, ein irres Zucken nistete sich in seinem Blick. Fand sich die Gesellschaft einmal zusammen, so gab's ein höchst unerquicklich Wesen, nur Fanny war dieselbe heitre Person, die mit allen redete, auch wenn sie wenig und ungenügende Antwort hörte, und Ludwig schien auf nichts zu achten als auf den Liebreiz dieses Weibes und auf Clärchens Auge, in die er oft ununterbrochen blickte, während er Fanny Liebenswürdigkeiten sagte.

Das war der Zustand dieser Gesellschaft, als Georges plötzlich erkrankte. Dies änderte Alles: Fanny's Leichtsinn war mit einem Male zu Ende, sie hatte für nichts Sinn, als für die Leiden ihres Mannes, sie wich Tag und Nacht von seinem Lager nicht hinweg, sie überschüttete ihn mit der zartesten und leidenschaftlichsten Theilnahme.

Er genas nur langsam und theilweise. Merkwürdig genug bezeigte er die größte Vorliebe für Ludwigs Besuche, die größte Sehnsucht darnach, und machte diesem die lebhaftesten Vorwürfe, als er seltner kam, kürzere Zeit blieb. Dagegen bildete sich noch auf seinem Krankenbette eine immer heftiger werdende Antipathie aus gegen Paul, die sich denn auch in einer so unzweideutigen Manier äußerte, daß Paul nothgedrungen beinahe völlig aus diesem Kreise verschwinden mußte.

Es war bald zu erkennen, daß wiederum eine große Veränderung in Georges Wesen vorgegangen war, als er blaß und schwach zum ersten Male wieder am Arme Fanny's in die Luft, unter die Menschen heraustrat. So groß diese Veränderung indessen auf den ersten Blick erschien, so war's im Grunde doch nur sein altes, einseitiges Wesen, in anderes Licht gestellt. Enthusiastische Menschen der Art bleiben wirklich immer dieselben, ihre größere oder geringere Hast, und der Wechsel in den Objekten täuscht uns nur. Sie sind keiner mannigfaltigen Gefühlskombination fähig, und jeder Ausdruck ihres Wesens wird Leidenschaft, im Freundlichen Liebe, im Unfreundlichen Haß und Verachtung.

Dem Verhältnisse Georges zu Ludwig war leicht jene Resignation anzusehen, welche mit tragischer Größe sich selbst als Opfer herausputzt, er stellte sich zu Ludwig und zu Fanny als der vermittelnde, anspruchslose Freund, der glücklich machen will.

Ludwig selbst war durch die Krankheitskatastrophe zur Umsicht und Besinnung gekommen, er hatte wieder einmal nachgedacht über die Zukunft, welche Fanny so liebenswürdig zu verhöhnen wußte, wenn sie ausrief: was kümmert uns das graue, noch ungestaltete Morgen, was soll ich denken und darben für eine Möglichkeit, die kommen kann – und dies Nachdenken hatte doch mancherlei Früchte getragen. Zwar hatte er es zu keinem eigentlichen Entschlusse gebracht – und es giebt wirklich solche traumhafte, nachtwandlerische Zustände in unserm Leben, wo jeder Entschluß uns feindlich ist – aber er hatte doch etwas von der Gefahr empfunden, die ringsum drohte bei diesen Verhältnissen, ein Zug von Pietät durchfloß ihn auch, wenn er Fanny am Krankenbette sah, es dünkte ihm unrecht, von dieser Aufmerksamkeit und Theilnahme nur ein Tausendtheilchen in Anspruch zu nehmen – ohne Entschluß und klaren Vorsatz trat er seltner ein in diesen Kreis, und wenn er da +war, so tändelte er in naiven Gesprächen mit Clärchen.

Aber je wohler er wurde, desto mehr drängte Georges in ihn, öfterer zu kommen, länger zu bleiben. Ludwig wußte selbst nicht, warum ihm Alles leer, öde, uninteressant war, wenn er nicht nach jener kleinen Straße steuerte, warum ihn kein Buch, keine Gesellschaft interessirte, warum er nur Verlangen und Sehnsucht nach jenem kleinen Zirkel empfand. Denn kam es auch zu keinem klaren Bewußtseyn in ihm, das glaubte er doch öfters zu ahnen, zu empfinden, wie seine Neigung für Fanny nicht jenes zweifellose Gefühl sey, was wir Liebe nennen, wie er auch jetzt noch den völligen Besitz dieses Weibes nicht zu wünschen wagte. Er empfand immer noch eine gewisse Gattung Furcht vor Fanny's Mannigfaltigkeit, und wenn ihn die Sehnsucht wieder hingezogen hatte nach jenem Hause, so klopfte er jetzt gewöhnlich erst unten an, ob Clärchen zu Hause sey. Clärchen kam ihm seit den paar Monden seiner Abwesenheit viel größer und erwachsener vor. Sie erröthete immer, wenn er bei ihr eintrat, und wollte ihn jedesmal eilig zur Schwester hinauf führen. Nahm er dann ihre Hand, und bat sie, zu bleiben, so bebte sie, schlug die großen, feuchten Augen nieder und schwieg. Nach einiger Zeit kam ihr die liebenswürdigste Unbefangenheit, sie zeigte ihm alle ihre kleinen Beschäftigungen, ihre Lektüre, ihre Bilder, ihre Noten, sie sang ihm kleine Lieder, wenn er darum bat. Niemals aber verstand sie sich dazu, ihm jenes Lied zu singen, was er in der Hochzeitnacht gehört hatte, und wenn er in Gedanken die Worte zu recitiren anfing:

Einsam nur beglückt die Thräne,
Stiller Irrthum ist mein Glück –

da bat sie so dringend aufzuhören, daß er aufhören mußte. »Das ist nur ein Lied für die stille Nacht,« pflegte sie zu sagen, »und« – setzte sie hinzu – »wenn man allein ist.«

Die aufgeschlagenen Bücher waren immer Göthe, entweder seine Lieder oder seine Romane, und wenn Ludwig fragte, ob sie denn nichts andres läse, so lächelte sie und sagte: Selten.

Und warum lieben Sie Göthe, Clärchen? »Ach das weiß ich nicht – weil er so sauber und ruhig ist.«

Es webte in Clärchens Gemache eine wohlthuende Ordnung und Stille, eine häusliche Frauenpoesie, welche den unruhsamen, irrenden Sinn Ludwigs heimlich und süß befing, und er wäre oft lange da sitzen geblieben, wenn ihn nicht Georges oder Fanny gewöhnlich aufgestört hätten.

Geschah dies nicht, so kam es wohl vor, daß er gar nicht die Treppe hinaufstieg, und von Clärchen nach Hause ging, und er glaubte dann oft zu bemerken, daß seine Stimmung ruhiger, nur still bewegt, wohlthätiger war, als wenn er von den vielfach wechselnden, stürmischen Eindrücken Fanny's flüchtete.

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