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Als das erste Morgengrauen vom Horizonte aufdämmerte, kältete sich die Luft und der Regen hörte auf.
Diese Morgenkälte fiel sogar einem Manne beschwerlich, der erst vor einigen Stunden in Feuersgefahr gewesen und jetzt noch mit Brandwunden behaftet war: Medardo, der »rothen Feder«.
Er war nicht, wie Frau Golling besorgt hatte, bis in die »Tiefe« hinuntergesprungen, nein, in Betreff seines Lebens war er augenscheinlich gefeit: eine Wendung nach rechts hatte ihn mitten in ein Tannengebüsch versetzt, welches ihn stillzuhalten und den allerdings hinter dem Gebüsch gähnenden Abgrund zu vermeiden nöthigte. In diesem Gebüsche hatte er einige sehr unangenehme Stunden verbracht, die Brandwunden zuckten widerwärtig, besonders im Gesicht und an den Händen. Zum ärgsten am Kopfe, der eine schwere Unannehmlichkeit erfahren hatte: er hatte sein Haar vollständig in Golling's Wohnstube gelassen. Ein Feuerstrom vom Bett herüber hatte das nach unten gehaltene Haupt des Durcheilenden schleunigst abgesengt.
Zuerst also war ein Herumwälzen auf dem Erdboden, so weit dies die steifen Tannenzweige zuließen, das dringendste Geschäft für Medardo gewesen, und alsdann erst, als er vor Erschöpfung die Glieder nicht mehr regen konnte, war er zu der moralischen Betrachtung gekommen: es sei für die Zukunft besser, solchen Expeditionen aus dem Wege zu gehen; sie seien unter allen Umständen mißlich.
Der Himmel aber erbarmt sich über Gerechte und Ungerechte. Auch diesem Medardo im Tannengebüsche sendete er jenen ausgiebigen Regen, den Tschirill nicht merkte, den aber die »rothe Feder« einsog wie ein Schwamm. Erst gegen das Morgengrauen hin wurde ihm dessen zu viel, und als der Himmel auch auf diese Meinung Rücksicht nahm und seine Schleusen stopfte, da wirkte die eintretende Kälte so empfindlich auf den Reconvalescenten, daß ihm die Zähne klapperten, und daß ihm der verwegene Gedanke aufstieg: ob er sich nicht am Feuer des Försterhauses wärmen könne.
Was sollten denn die »Böhmen« hier noch länger erwartet haben! dachte er, und fing an, aus dem Tannengezweige hinauszuspähen und zu horchen. Er hörte nichts. Der Donner war verstummt, der Sturmwind war vorüber, es herrschte völlige Stille. Das Morgengrauen wurde lichter: er sah an der Hinterseite des Hauses, die oben vor ihm lag, kein menschliches Geschöpf. Die beiden Frauenzimmer, meinte er, werden wol vor dem Regengusse untergekrochen sein. Und er meinte richtig. Nach dem ärgerlichen Abzuge Raupowa's, den nichts so gewurmt hatte, als daß er zwei verwundete Leute auf der Tragbahre forttragen lassen mußte statt der Schatzkiste, war Mutter Golling und Nandl mit Zahn in Trumm's Stube gekrochen, und sie waren dort in einen leichten Schlummer der Erschöpfung gesunken.
Medardo wagte sich heraus und stieg vorsichtig bis an die Brandtrümmer hinauf. Der Regen hatte hier zwar kräftig gelöscht, aber es rauchte doch immer noch eine recht dichte Wärme aus dem Gluthherde hervor. Sie war ihm sehr behaglich, und er stand wohl eine Viertelstunde auf einer Stelle, sich nur wie ein Bratspieß um seine eigene Axe bewegend, damit jeder Theil des klappernden Körpers die Wärme einsaugen könne. Bei dieser ruhigen Operation machte sein Kopf trotz der peinlichen Kahlheit eine praktische Bemerkung, eine Bemerkung, welche für unverletzte Lebenskraft des Aufpassers zeigte. Auf dem Rasen nämlich, der durch den Regen ganz rein gewaschen war von Asche, fiel ihm ein längliches Viereck auf von etwa sechs Schuh Länge und zwei Schuh Breite. Dies Viereck schien aus einzelnen Rasenstücken zusammengesetzt zu sein. Es war seitwärts von der jetzt traurig aussehenden Fichte, und weil die herabfallenden brennenden Nadeln die Grashalme angenagt, so erkannte man doppelt deutlich, daß dies Viereck ein neuerdings gemachter, künstlich gemachter Rasen sei. Medardo schoß ein Gedanke wie ein Licht durch das Gehirn. Hier war am Ende die vergeblich gesuchte Goldkiste vergraben! Das war ein Geschenk des Schicksals, denn auf der Stelle erinnerte er sich auch, daß er unten am Rande des Tannengebüsches ein hölzernes Instrument, eine Gartenschaufel, gesehen, welche Trumm da wahrscheinlich liegen gelassen hatte. Rasch hinab! Wirklich, es war ein Grabscheit.
Rasch wieder hinauf! Und nun begann das Ausgraben. Wie schön warm machte das! Er vergaß alle Vor- und Umsicht. Schon hatte er drei Schuh tief gearbeitet, und ruhte sich einen Moment lang aus und wischte sich den herabtriefenden Schweiß ab, da – fühlte er eine Hand auf seinem kahlen Scheitel. Er meinte, der Schlag treffe ihn, und konnte nicht umschauen.
Eine Stimme nannte seinen Namen. Diese Stimme war keine feindliche, es war die Brémont's.
Dieser Schäker, der sonst nicht eigentlich ein Säufer war, hatte den spanischen Wein unten im Keller so süß und anheimelnd gefunden – er stammte ja aus den spanischen Niederlanden – daß er bis zur Betäubung bei dem Genusse verweilt, und dann neben dem Fasse in schweren Schlaf gesunken war. Der gut gewölbte Keller war vom Feuer verschont geblieben, der Schläfer hatte gar nichts gemerkt von den Dingen, die sich oben ereignet, und als er endlich aufgewacht, da war er sehr erstaunt gewesen, vor Balken und Trümmern kaum heraus zu können aus dem Kellerhalse. Dieser mündete nach der hinteren Seite des Hauses, und so entdeckte er gleich den grabenden Mann, der noch mit halber Leibeslänge aus seinem Loche hervorragte. Er hielt ihn auch gleich für Medardo, aber der kahle Scheitel machte ihn irre. Er hatte nie bemerkt, daß die »rothe Feder« eine Perrücke trage, indessen! – er ging langsam zu ihm, zuweilen betroffen seitwärts auf die Brandstatt blickend, die er nicht zu erklären wußte.
Nun, Medardo gab ihm rasch alle Erklärungen, auch die Perrücke und das Graben nach dem Schatze betreffend.
– Löse mich eine Weile ab im Graben, schloß er, ich will umherspähen, ob sich auch Niemand zeigt.
Niemand zeigte sich. Er übernahm wieder die Arbeit von dem etwas träg und matt grabenden Brémont, und endlich blieb das Grabscheit unten hängen.
– Jetzt kommt's!
Ein Fetzen grober Leinwand hing an der Schaufel, als sie heraufgezogen war.
– Gegen den Rost scheinen sie Sackleinwand umgeschlagen zu haben – all' ihr Heiligen! schrie er auf, und sprang aus der Grube.
Er hatte mit den Händen zugegriffen, hatte die Leinwand auseinandergerissen gehabt, und aus der Erde war ein menschliches Angesicht zum Vorschein gekommen, das Angesicht eines Leichnams.
Brémont erkannte ihn; er hatte die Leiche da drüben gesehen, als er des Morgens fortgeschlichen war – es war Odontius, den Tschirill hier begraben hatte ohne Vorwissen seines Herrn. Der Graf hatte bis zuletzt geglaubt, Odontius liege krank darnieder.
Die beiden sonst leidlich abgekochten Sünder sahen einander nicht ohne stilles Entsetzen an, und der Gedanke kam dem einen wie dem andern: Fort von diesem Orte, der verwünscht und unheilbringend ist!
Brémont übernahm die Führung. So wie er damals, schlichen sie jetzt beide rechts an der Brandstatt und dem Wirthschaftsgebäude vorüber nach dem Zaune, wo auch das Loch noch offen war von damals.
Erst als sie aus dem Walde waren, begannen sie ein Gespräch. Keiner hatte Lust, dem Pater Lamormain die neue Hiobspost zu überbringen. Was aus dem Wagen, was aus dem alten Grafen geworden, wußten sie gar nicht.
– Gehen wir zum Herrn Tocke! Der mag's bestellen! sagte Brémont.
– Du weißt seine Wohnung?
– Freilich. Am Lugeck, im Regensburger Hofe.
– Gut, gehen wir dahin. Ah, Du hast ja die Ledertasche gerettet! Das ist doch ein kleines Beutestück!
– Ja, wenn die Papiere was bedeuten. Das bischen Geld ist nicht der Rede werth, nicht des –
– Nicht des Ablieferns werth, meinst Du?
– Du scheinst es zu meinen. Und ich – ich hab' nicht viel dagegen.
– Nicht viel? Alter Wallone!
Sie theilten die Geldstücke, und marschirten auf die Stadt zu.
Zu ihrem Erstaunen begegneten sie in der Gegend von Hernals dem Herrn Tocke. Zu so früher Morgenstunde!
Herr Tocke war derselbe blonde Mensch, welchen Spath damals vom Candidaten Götzinger hatte herauskommen sehen, als der Doctor Blandini das Heilkraut unweit des Gartens gesucht hatte für den kranken Kaiser. Herr Tocke war ein Freund des Candidaten, und besuchte diesen oft, – um für den Provincial immer auf dem Laufenden zu bleiben über das Ketzer- und Verschwörernest im Hernalser Schlosse. Candidat Götzinger hielt ihn natürlich für einen orthodoxen Lutheraner aus Görlitz, und hatte ihn sehr gern, weil er alle dogmatischen Gänge des Candidaten so verständig und getreulich mitzumachen und zu erklären wußte. Herr Tocke war so belesen!
Jetzt war nun Erntezeit für Herrn Tocke. In Hernals erfuhr man, was die Böhmen und wie sie's vorhatten. Jetzt durfte man den Gang nicht scheuen durch die vielfachen Wachen am Thore, für welche ein Mann wie Tocke immer einen vortrefflichen Ausweiszettel in der Tasche hatte. Und auf solch einem Erntegange war Herr Tocke in der Morgenfrühe begriffen, als ihm die beiden Agenten begegneten.
Er liebte es nicht, öffentlich mit so bekannten Gestalten zu verkehren. Er winkte ihnen also, ehe sie ihn ansprechen konnten, in die Schlucht eines Weingartens hinter ihm einzutreten.
Dort hörte er sie an. Er hörte mit Vorsicht. Denn er merkte bald, daß er in Betreff des Grafen mehr wisse als sie, und er hielt es nicht für nöthig, das zu verrathen. Theilung der Kenntnisse, so weit es irgend angeht, war eine jesuitische Grundregel. Dieser kleine Görlitzer brauchte sehr wenig Schlaf. Er war heute schon vor der Sonne auf gewesen, der Ausgang der Expedition hatte ihn gestachelt, und er war im Morgendämmer zum Thürhüter des Jesuitenhauses geeilt. Zu seinem Erstaunen hatte er auf der Treppe ein wunderliches Menschenkind in Hemdsärmeln gefunden, das mit ihm ins Haus wollte: Tschirill, den er nicht kannte. Der Thürhüter war ergrimmt gewesen, daß der »Lump« immer noch da sei, hatte ihn zurückgestoßen und die Thür zugeschlagen, nachdem Herr Tocke eingetreten. Herrn Tocke hatte er dann erzählt, was es mit diesem »Lump« für eine Bewandtniß habe, und was in der Nacht angekommen sei. Ein eisgrauer Mönch, weiter nichts. Eine Kiste, wie ihm angekündigt gewesen, sei nicht mitgekommen, und der Herr Provincial sei in der Nacht überaus ungnädig gewesen, als er von jenem eisgrauen Mönche herausgetreten und die Nichtankunft der Kiste erfahren habe. – Darauf hatte Herr Tocke dem Thürhüter bedeutet, daß der »Lump« da draußen beseitigt werden müsse. Sein Dasein vor oder gar auf der Treppe würde ja am Tage Aufsehen erregen, und der Kerl würde auch nicht unterlassen, den Vorübergehenden zu erzählen, was hier vorgegangen und was er suche. Dies gäbe Scandal. Das Kürzeste wäre, den »Lump« hereinzulassen und festzusetzen. Dem Thürhüter hatte dies eingeleuchtet. Er hatte geöffnet und Tschirill zugerufen, er möchte hereinkommen. Mit einem auffallenden Instinct hatte dieser aber gemerkt, daß solch ein Umschlag nichts Gutes für ihn bedeute, und hatte sich nun langsam entfernt. Zur Beunruhigung für Herrn Tocke. Dieser wahrscheinliche Diener des eingebrachten »eisgrauen Mönches«, wie der Thürhüter den Grafen Zdenko nannte, war immerhin geeignet, in der Stadt oder sonst wo auszubringen, daß und wo sein Herr eingesperrt worden sei. Jetzt entnahm Herr Tocke nun obenein, daß Medardo und Brémont sogar nicht wußten, wohin der Graf entführt worden. Es wußte es also Niemand, als der Lump von Diener. Das war immerhin ein Vortheil, der ausgenützt zu werden verdiente. Die Ausnützung bestand darin, daß man den Diener ausfindig zu machen und zu ergreifen suchte.
Conrad mochte aber angethan sein, wie er wollte, er war zu händelartigen Abenteuern ausersehen. Brémont nämlich kam gerade jetzt die Wipplingerstraße entlang, um verabredetermaßen die Ledertasche in den Regensburger Hof zu tragen, und an der Ecke des Hohen Marktes sah dieser den Tschirill stehen, welcher sich die Häuser betrachtete und über den Hohen Markt zurückschaute, ehe er in die Gasse eintrat. Brémont stutzte einen Augenblick, im nächsten aber erkannte er den Burschen, welchen er gerade so, wie er da stand, heute Nacht neben dem die Treppe herabsteigenden Grafen gesehen. Herrn Tocke's Rede, Medardos Erklärung dazu, es war unzweifelhaft, und siegesgewiß schritt er auf den armen Burschen zu, welcher die Gefahr nicht ahnte, sondern starr nach den Häusern rückwärts blickte. So kam Brémont unbemerkt dicht neben ihn, und legte Hand an ihn, barsch und kurz verlangend, Tschirill möge ihm folgen. Die Schranne am Hohen Markte war nur fünfzig Schritte entfernt. Dort wollte er ihn dem alten Pudel übergeben.
Tschirill sah erschrocken in das grinsende Antlitz Brémont's. Er sprach nichts, er that nichts. Die Processe seines Kopfes waren langsam. Als ihm endlich klar wurde, daß er verhaftet werden sollte, machte er aber eine so nachdrücklich abwehrende Bewegung, daß Brémont an die Wand des Eckhauses flog, und Tschirill wie ein Wiesel durch die Menschenmenge nach den Tuchlauben hinein entschlüpfen konnte. Brémont traf ärgerlich Anstalt, ihm zu folgen. Das war nicht gefährlich, denn sein lahmer Fuß gestattete nicht eine besonders eilige Bewegung. Aber er fing eben an zu rufen: »Ein Böhm'!« und das war in diesem Momente gefährlich, weil man auf solchen Ruf den Flüchtling aufgehalten hätte – da, da fiel Brémont, ehe noch der ganze »Böhm'« aus der Kehle war, seiner vollen Länge nach hin aufs Pflaster. Ein langer Stock war ihm zwischen die Beine gerathen. Natürlich gehörte dieser Stock dem mährischen Ochsentreiber, der seines Weges weiterging, als gehörte der Stock gar nicht zu ihm. Die Leute lachten, und eh' sich Brémont wieder aufgerichtet, war Tschirill unter den Tuchlauben, Conrad in der Wipplingerstraße verschwunden.
Tschirill hatte sich gleich beim Eingange zu den Tuchlauben rechts gewendet, und war durchs Schultergäßchen gelaufen, hatte sich dann wieder rechts gedreht, und kam so instinctmäßig wieder in die Wipplingerstraße. Er hatte auch in der Flucht seine Richtung eingehalten, und ging nun ganz wie vorher alle Häuser betrachtend nach der Hohen Brücke zu. Die Gefahr, mit Gefangennehmung bedroht zu sein, ward ihm jetzt schon geläufig. In leidlicher Fassung schritt er hinter dem Weißmantel, dem mährischen Ochsentreiber, her. Wenn er nicht nach den Häusern blickte, sah er mit einem angenehmen Gefühle auf diesen Mantel, eine Tracht seiner Heimat. Hätte er den Mann darunter nur angeredet!
Dieser, Conrad, war auf dem Wege nach Hernals, also zu den Freunden des Grafen Zdenko, bei welchen die Nachricht vom Gefängnißorte des Grafen Zdenko am wirkungsvollsten angebracht werden konnte. Aber Tschirill ahnte nicht, wer vor ihm ginge, und Conrad blickte nicht um. Bei der Wendung nach der Renngasse verließ er obenein die Richtung, welche Tschirill sich ganz gut eingeprägt hatte. Conrad ging frech durchs obere Arsenal. Er wollte in seine verlassene Wohnung am Kegel, wo seine Frau im Wandschränkchen gestern etwas vergessen hatte, als sie mit Kind und Vater und ihrer kleinen Habe nach Hernals ausgewandert war. Nicht ihretwegen steuerte er übrigens nach Hernals, sondern in Folge der Nachricht, welche Pfeifer gebracht. Ein Lastwagen mit Mehlsäcken sollte gerüstet und vielleicht morgen schon nach Wien hereingebracht werden zum Wildlingschen Hause auf der Seilerstatt. Unter den Mehlsäcken –
– Der böhmische Feldhauptmann ist nicht dumm! lachte er vor sich hin, und trat zur Seite vor zwei Reitern, die eben aus dem oberen Arsenalhofe heraus in die Stadt ritten.
Der alte, steif zu Pferde sitzende Herr war der Arsenalhauptmann, wie er in damaliger Sprachweise hieß, war Santhelier. Conrad kannte ihn vom Ansehen. Der Andere war untergeordnet, und hörte respectvoll auf die kurzen Worte des alten Hauptmanns. Conrad verstand im Vorübergehen die Worte »Krems« und »florentinisch«, und dann sah er, daß der untergeordnete Reiter rechts abbog in die Renngasse, Hauptmann Santhelier nach der Wipplingerstraße geradeaus ritt.
– Nach Krems? dachte Conrad. Wohl über Krems nach Budweis, um Hilfe zu holen! Ehe die ankommt, werden unsere Mehlsäcke schon ihre Schuldigkeit gethan haben!
Und dies denkend, schritt er guten Muthes zum Pförtchen hinauf, welches ins Kegelgäßchen leitete. Er hatte ja Brémont da unten erst gesehen, und sonst kannte ihn Niemand hier im Arsenale.
Tschirill seinerseits war betrachtsam bis zu den »drei Hacken« auf der Freiung gekommen, und dort hatte ihm ein Hausknecht auf seine Frage: »Schottenkloster?« mit der Hand gezeigt, daß es vor ihm liege zur Rechten. Endlich! Er läutete.
Der Pförtner öffnete.
– Pater Dunstan?
– Ist vor einer Viertelstunde fortgeritten.
Tschirill brach in ein bitterliches Weinen aus. Nach aller Anstrengung, nach allem Schmerz und Schrecken täuschte ihn nun die letzte Hoffnung. Denn er meinte in seiner Angst, wenn nicht sogleich sein Geheimniß an eine Vertrauensperson gelange, wenn nicht sogleich Anstalt getroffen werde zur Hilfeleistung, so sei sein Herr verloren. Er knickte zusammen an der Schwelle der Klosterpforte und schluchzte wie ein Kind.
Der Pförtner, ein gutmüthiger alter Mann, suchte ihn aufzurichten, und meinte, ihn zu erkennen. Er war von schärferer Aufmerksamkeit als Tschirill, und erinnerte sich, daß damals mit dem Gaste des Pater Dunstan ein Diener gekommen und gegangen sei. Dieser Diener war zwar nur beim Kommen und Gehen sichtbar gewesen, dennoch mahnte der Krauskopf den Pförtner an jenen Diener. Er hob ihn auf, sprach ihm Trost zu und führte ihn in seine Stube. Pater Dunstan sei zwar über Land, und bleibe allerdings manchmal tagelang aus. Diesmal aber sei er, so viel verlautet habe, nur nach Penzing hinaus, um einen Frachtwagen ausrüsten zu lassen, und komme wol im Laufe des Tages wieder heim, besonders da eine Belagerung der Stadt bevorstehe.
– Fasse Dich nur, mein Junge, setzte er hinzu, ich werde Dir ein kleines Frühstück besorgen, und dann wirst Du Dich ausruhen.
Tschirill hörte kaum vor Schluchzen. Die Angst des in der Stadt wildfremden Landburschen kam hinzu: er werde den Weg durch die Häuserhaufen nicht mehr finden, und er sei ja doch der einzige Mensch, welcher den Ort wisse!
Darin hatte er ganz Recht. – Es wäre besser gewesen, wenn der findige Conrad, der jetzt zum Schottenthore hinunterschritt, im Besitze des Geheimnisses gewesen wäre. Und doch war auch er seiner Freiheit nicht besonders sicher. Gerade jetzt, als er ans Thor kam, trat Medardo aus der Wachtstube, wo er nicht ohne Schwierigkeit Toilette gemacht hatte, eine Toilette, hinter welcher ihn sogar Conrad kaum erkannte. Eine schwarze Kappe bedeckte seinen Schädel bis an die Augenbrauen, und das versengte Gesicht war trotz Reibens und Waschens voll Blasen und Brandflecken geblieben, viel grausamer entstellt als damals nach dem Fluge auf das Pflaster vor dem »weißen Löwen«, viel grausamer! Die beiden Gegner gingen arglos auf einander zu, und erst als sie dicht bei einander waren, schoß dem mährischen Ochsentreiber der Gedanke auf, dies könne – Er wendete rasch den Kopf nach der andern Seite. Medardo wurde aufmerksam durch dieses scheue Abwenden, aber ein Guardist trat eben zu ihm mit einer Meldung. Sie lautete dahin, daß der Feind jenseits der Donau mit seiner Hauptmacht nach Aspern hinab gesehen worden, also wahrscheinlich über die Lobauinsel den Fluß passiren und von der ungarischen Seite gegen die Stadt rücken werde. Deshalb solle beizeiten nur das Stuben- und Burgthor geschlossen, das Schottenthor aber zum Aus- und Eingang für das Bedürfniß des Proviants offen gelassen werden bis auf Weiteres.
Conrad hörte dies noch, und gelangte unbehelligt hinaus. Die aufgefangene Nachricht war ihm wichtig genug und erwünscht. Das Schottenthor war ihm das liebste zur Einpassirung des Mehlwagens.
Heiteren Sinnes schritt er auf das Hernalser Schloß zu. Die Witterung des Morgens war angenehm. Der Himmel war bedeckt, und es wehte ein abgekühlter Luftzug. Conrad freute sich auf die nächsten Tage, denn er hatte scharf und gefährlich zu thun. Das war ihm recht. Im böhmischen Lager hatte es ihm nicht besonders gefallen. Die vielen schweigsamen Leute, welche nicht Deutsch verstanden, das finstere, fast unheimliche, ans Hussitenthum mahnende Protestantenthum der Böhmen war nicht nach seinem Sinne gewesen. Er liebte überhaupt die Böhmen nicht, und der grelle Gegensatz zwischen Herren und Dienern, das ganze sklavische Wesen der gemeinen Leute paßte nicht zu seinem oberösterreichischen Charakter. Dabei hatte es nichts zu thun, nichts zu wagen gegeben – es war ihm langweilig geworden. Jetzt aber war ihm eine wichtige Aufgabe anvertraut. Er sollte ein gefährliches Kriegsinstrument aus dem böhmischen Lager abholen und nach Wien hineinschwärzen, damit es in Wien von den protestantischen Parteigängern zum Schrecken und Verderben der Festung angewendet werde. Das war etwas für ihn! Was das eigentlich für ein Instrument sei, wußte er nicht genau, der Name »Petarde«, welchen Herr von Wildling gebraucht heute Nacht bei der Mittheilung, war ihm fremd und unbekannt. Aber einerlei! Er würde es schon kennen lernen! In Hernals wollte er einen Mehlwagen rüsten lassen zur Aufnahme desselben, und dann wollte er, hoffentlich heute noch, über Gumpendorf hinüber nach Schwechat zu. In der Richtung von Schwechat werde das böhmische Heer heranziehen. Die Meldung am Schottenthore hatte auch soeben die Nachricht Pfeifer's bestätigt.
Guten Humors schritt er über die Grabenbrücke in den Hof des Hernalser Schlosses.
Da saßen auf einer Bank vor der Gesindestube die Seinigen: sein Weib, sein Kind, sein Schwiegervater. Sie genossen dem Kinde zu Gefallen die wohlthuende Morgenluft. Er herzte Weib und Kind, welche den weißmanteligen Ochsentreiber nicht gleich erkannt hatten, setzte sich zu ihnen, und war auf kurze Zeit idyllischer Hausvater. Er erkundigte sich, ob das von Spath angewiesene Stübchen zureiche, und ob sonst Alles in Ordnung sei. Auf kurze Zeit! Lange dauert solch friedliches Behagen nicht in ihm, und beim Namen »Spath« lag es ihm zu nahe, daß er gerade mit diesem die Anstalten mit dem Mehlwagen besprechen wolle.
– Wo ist Spath? fragte Conrad.
– Drüben beim Herrn Candidaten – da kommt er!
Er trat mit dem Herrn Candidaten Götzinger und Herrn Tocke eben in den Hof. Der Herr Candidat schien seinem hellblauen Gaste aus Wien eine Strecke weit das Geleit geben zu wollen. Wenn er es nur ohneweiters gethan hätte! Herr Tocke paßte gar nicht zu Conrad und zu dessen bedenklichem Vorhaben. Conrad war immer vorlaut und unvorsichtig, und hielt natürlich den hellblauen Blondin, welchen er übrigens nicht kannte, für einen Religionsgenossen. Kathi sagte ja auch leise:
– Der schmucke Herr ist einer von Euren Leuten aus der Stadt, und der Herr Candidat soll große Stücke auf ihn halten.
Vater Hamm schien eine Einwendung machen zu wollen, aber da kam der Candidat mit seinem Gaste schon heran, und fragte Conrad: ob er was Neues gehört, und wie die Sachen stünden, und ob das streitende Israel unter dem verehrlichen Grafen Thurn viel Zeit brauchen werde, das götzendienerische Garizim in den Staub zu werfen?
– Ein paar lumpige Tage, Herr Candidat, mehr nicht! erwiderte Conrad.
– Mehr nicht? lispelte Herr Tocke.
– Mehr nicht. Ich bin eben auf dem Wege, ein Instrument zu holen, das gehörig »Staub werfen« wird!
– Wieso?
– Na, Ihr sollt's schon hören, wenn Ihr ein Wiener seid und nicht weit vom Thore wohnt.
– Von welchem Thore!
Jetzt erst merkte Conrad, daß Vater Hamm ihn am Mantel zupfte. Er sah sich nach ihm um, und erkannte an Augen und Miene des alten Papas, daß da etwas nicht richtig sei, und der Herr Schwiegersohn lieber sein Maul halten solle. Conrad verstand das wohl, aber er war eine Antwort schuldig.
– Von welchem Thore? fragte nun auch der Herr Candidat.
– Vom Neuthore! sagte Conrad, und that sich mit einem Blicke auf seinen Schwiegervater etwas darauf zugute, die Neugierigen irregeleitet zu haben. Denn dem Neuthore galt der Streich nicht. Uebrigens wich er nun weiteren Fragen aus, und der Candidat ging nach kurzem Verweilen mit Herrn Tocke nach dem Thore zu.
– Warum zupftet Ihr mich denn? fragte nun leise Conrad.
– Weil ich den hellblauen Herrn, entgegnete Hamm, einmal bei Pater Lamormain gesehen, und weil ich einige Worte von ihm gehört habe, die mich mißtrauisch machen.
– Donnerwetter! Da will ich ihm gleich nach, und ihn so zusammenbeuteln, daß er –
– Nicht doch, nicht doch! riefen Hamm und Spath, und letzterer hielt Conrad zurück, hinzusetzend, das müsse wol eine andere Bewandtniß haben, denn der »Hellblaue« verkehre schon seit dem Winter mit dem Herrn Candidaten, und erzähle diesem auch Neuigkeiten von den Päpstlichen. Das wisse er vom Herrn Candidaten selber. Er möge also wol ein Zwischenträger für unsere Leute sein – da kommt der Golling! Herr Gott, wie sieht der aus! Was ist dem begegnet?!
Golling kam von der Brandstatt oben. Er wollte nach Wien ins Schottenkloster, um die Meldung des Unglücks zu machen. Im Vorbeigehen nur wollte er auch der »gnädigsten Frau« Bericht abstatten.
Natürlich mußte er erst unten Alles erzählen, ehe ihn Spath hinaufführte. Erzählen so gut er's wußte von seiner Frau und von seiner Tochter. Letztere war nach Ausbruch des Brandes mit den Thieren beschäftigt gewesen, die sich verlaufen gewollt, und Frau Golling war nicht in der Stimmung gewesen, aufmerksam zu bemerken. Für sie war der böhmische Ueberfall sammt dem Wagen mit dem Herrn Grafen gleichzeitig verschwunden, Graf Zdenko war also auch nach Golling's Berichte von den Böhmen entführt. Dabei mischte der verstörte Jägersmann immer noch den verwünschten Hirsch auf der Hütteldorfer Seite hinein, der ihn vom Hause weggesprengt und den er noch obenein gefehlt habe.
Ehe es hinaufging zur Frau Baronin, nahm Conrad den Spath beiseite, und fragte ihn, ob er den Mehlwagen allein beschaffen könne, oder ob er dem Freiherrn davon sagen müsse. Spath, von des alten Grafen und Golling's Schicksal sehr betroffen – die arme Nandl oben lag ihm schmerzlich im Sinn – war etwas schwerhörig für Conrad, und als er endlich hören und verstehen mußte, erklärte er kurz: dem gnädigen Herrn dürfe man mit solch einer Geschichte nicht kommen, der gnädigen Frau aber wolle er's sagen, und der Wagen solle gerüstet werden.
– Ich verlass' mich d'rauf! sagte Conrad.
– Den Kukuk auch! Kann ich dafür einstehen? erwiderte Spath, der bei aller Betroffenheit doch nüchtern blieb, und den Augenblick nicht geeignet fand, für diese Böhmen etwas Gefährliches zu unternehmen, welche soeben da oben – Ich werd's ihr sagen, damit holla!
– Du wirst's schon richten, lachte Conrad, und ich marschir' hinüber!
Unter der Versicherung an die Seinen, morgen, spätestens übermorgen wieder da zu sein, wanderte er nach den Weingärten von Gumpendorf hinüber, welche in damaliger Zeit einen sehr beliebten Wein lieferten, und nahm seine fernere Richtung unter dem Laaer Berge hin, um etwaigen Truppen auszuweichen, die von Wien aus als Vorposten nach Schwechat hin aufgestellt sein könnten. Unnöthige Besorgniß! Dazu fehlte es der Regierung in Wien an Reitern, weil es ihr an der Beihilfe des Adels fehlte, welcher vorzugsweise Reiter ins Feld stellte. Wol sah man Reitertrupps aus der Badener und aus der Brucker Gegend in einzelnen Partien nach der Waldhöhe von Rauchenwart hinter Schwechat ziehen, aber dies waren Contingente protestantischer Herren, welche der böhmischen Armada entgegenzogen, um sich mit ihr zu vereinigen. Unter ihnen natürlich den dicken Freiherrn von Thonradl, welcher aus seinem Ebergassing vergnügt ausrückte mit seinen Knechten, um in Fischamend den Grafen Thurn zu begrüßen.
Dort nämlich, wo die Fischa in die Donau mündet, und wo die große Insel Markt-Schüttl-Au den Strom verengt, bewerkstelligte das böhmische Heer seinen Uebergang. Bei Fischamünd, wie das heutige Fischamend genannt wurde.
Hans von Starschädel war nicht dabei. Er war in Groß-Enzersdorf, bekannter unter dem Namen Stadl-Enzersdorf, zurückgeblieben, um die Petarde zu bauen. In diesem Städtchen durfte er mehr Hilfsmittel erwarten, als in einem Dorfe. Namentlich Tischler- und Schlosserarbeit und Wachs. Letzteres war hier an der südlichen Grenze des Marchfeldes leicht zu haben, denn man besäte schon damals weite Flächen mit Haidekorn – Haiden, im Volksmunde Haarn genannt – der beliebten Nahrung für Bienen, welche hier im Spätsommer zu Millionen schwärmen. Das Gefäß, welches den Pulverhaufen einer Petarde in sich schloß, wurde nämlich mit Wachs ausgegossen. Das Gefäß selbst, einen kolossalen Becher von Glockenspeise, hatte Hans vorgefunden unter dem Materiale des Geschützwesens. Es bedurfte also nur des Ladens und der kunstgemäßen Verfestigung.
Ueber die Pulvermasse wurde ein Filz gelegt, welchen der Enzersdorfer Hutmacher liefern mußte, und der Guß von Wachs verschloß ihn um und um. Im Boden des Gefäßes befindet sich ein Loch, welches in das Metall gebohrt ist. Dies Loch ist die Brandröhre, durch welche das Ganze entzündet wird. Hans verschloß diese Brandröhre ebenfalls mit Wachs, und ging nun an die Verfertigung des Brandröhrensatzes – aus Mehlpulver, Salpeter und Schwefel – während Tischler und Schlosser das sogenannte Matrillbrett fertigten. In die Oeffnung dieses Matrillbrettes wird der Petardenbecher eingenietet, und das Brett wird übrigens mit Schrauben versehen, vermittelst welcher das ganze Geschoß an das einzusprengende Thor angeschraubt werden kann.
Der genauen Fertigung dieser Dinge hatte Junker Hans einen ganzen Tag gewidmet. Abends war er damit zu Stande, und ließ nun Becher und Brett in dicke Lagen Werg einwickeln und mit doppelten Lagen von Sackleinwand umhüllen, so daß es rund und weich erscheinen mochte wie ein Sack, welcher, mit Mehl besprengt, unter wirklichen Mehlsäcken unverfänglich passiren konnte.
Am nächsten Morgen erst brach er auf, um dem Hauptquartier Thurn's zu folgen. Dies war am Tage vorher bis über die Linie von Schwechat der Festung Wien nähergerückt, und hatte sich in Kaiser-Ebersdorf eingelagert.
Hier fand Hans günstige Aufnahme, als er melden konnte, daß die Petarde fertig und zur Absendung bereit sei. Graf Thurn berief sogleich einen engeren Kriegsrath, und lud dazu auch einige der österreichischen Cavaliere ein, welche sich bei seinem Heere eingestellt hatten. Unter ihnen auch Thonradl und Jörger. Dieser, mit welchem Loß und Mitzlau gekommen waren, hatte wenig Lust gehabt, der Einladung zu folgen. Er war eigentlich nur auf Zurathen seiner Frau herübergeritten. Ihm war ja dieser ganze Krieg zuwider. Aber er mußte zugeben, daß er all' seinen Einfluß, daß er seine ganze Bedeutung als Mittelpunkt der niederösterreichischen Protestanten verlieren müsse, wenn er vor so entscheidender Krisis zurückwiche. Beim katholischen Regimente ohnehin verrufen als wichtiger Parteigänger, werde er nun auch bei der protestantischen Partei verrufen werden als halb und furchtsam, und so werde er sich zwischen zwei Stühlen auf den Erdboden angewiesen finden, er, welcher daran gewöhnt sei, als ein Herr und Führer betrachtet zu werden.
Er erschien also, wenn auch tief verstimmt, im Saale des Ebersdorfer Schlosses, und setzte sich neben dem widerwärtigen Thonradl und mit den böhmischen Rebellen an die runde Tafel, welche mit Karten von der Umgegend Wiens bedeckt war.
Thurn forderte den Herrn von Starschädel auf, seine Meinung auszudrücken, wie die Beschießung Wiens und die Anbringung der Petarde am besten in Verbindung mit einander zu bringen seien.
Er erwartete eher einen niederschlagenden, als einen belebenden Eindruck von dem Vortrage dieses stockernsthaften und – wie er meinte – pedantischen Schülers der Niederländer. Deshalb ließ er ihn zuerst sprechen. Er mit den Seinen gedachte alsdann schon zuzudecken, was der Pedant an Lücken aufgedeckt hätte.
Hans entledigte sich seiner Aufgabe in Kürze. Unter dem vorhandenen Materiale habe sich nur die kleinere Form zu einer Petarde vorgefunden, und er müsse sein früheres Bedenken wiederholen, ob ein solcher Petardenschlag genügen werde, eines der Wiener Thore zu sprengen. Er kenne nur eines, welches er im Vorbeireiten flüchtig angesehen, das Schottenthor, für dessen doppelte Bohlen und Eisenbeschläge scheine ihm die Pulvermasse der Petarde nicht groß genug zu sein.
– Es gilt nicht dem Schottenthore, unterbrach ihn Thurn, denn mit jener Seite werden wir wenig oder gar nichts zu schaffen haben. Die Stadt ringsum einzuschließen, ist kaum thunlich. Wir dürfen unsere Macht nicht allzu sehr zertheilen. Die Wasserverbindung durch den Canal können wir doch nicht vollständig absperren. Wir werden unsere Macht darauf zusammendrängen, ein Thor zu stürmen, und dazu soll die Petarde behilflich sein. Auch wenn sie nur einigermaßen wirkt, wird sie uns gute Dienste leisten. Das Stubenthor ist dazu ausersehen. Es ist uns am leichtesten zugänglich. Die einzelnen Häusergruppen in der entstehenden Vorstadt Landstraße machen es uns leicht, bis nahe an den Wienfluß und das Glacis vorzurücken, und die Vorposten berichten soeben, daß die dortige Brücke über die Wien jetzt noch nicht abgebrochen sei. Uebrigens werden wir unsererseits die Macht und Aufmerksamkeit des Feindes zu theilen suchen: eine Abtheilung unserer Truppen wird des Nachts über den Canal setzen unterhalb des sogenannten Erdbergs, und wird durch den Praterwald vorrücken gegen die Schlagbrücke, als gelte es die Erstürmung des Rothenthurmthores –
– Dies halt' ich aber für das stärkste Thor! rief Thonradl.
– Wir halten es vielleicht auch dafür! fuhr Thurn fort. Dennoch scheint es uns rathsam, wie ich gesagt. Entweder pocht der Feind auf diese Stärke und wirft wenig Truppen hin, und dann nehmen wir's trotz der Stärke, oder er versieht es mit großer Truppenmacht und entblößt dadurch das Stubenthor, auf welches wir es gemünzt haben. Natürlich werden unsere Stücke am Tage dieses entscheidenden Abends ununterbrochen feuern, um Schrecken zu erregen und immerwährende Anstrengung nöthig zu machen in der Stadt. Dies ist der Plan.
– Wie bedünkt er Euch, Starschädel? sprach Budowa, indem er sich zum Aerger Thurn's gegen Hans wendete.
– Er bedünkt mich – erwiderte dieser – wie ein Mensch mit schwacher Lunge, welcher einen langen und heftigen Anlauf unternimmt. Die »Stücke«, welche Schrecken erregen sollen, haben eine schwache Lunge. Sie sind von schwachem Kaliber –
– Das wissen wir! fuhr Thurn auf. Der rasche Zug von Böhmen hieher hat es unmöglich gemacht, das stärkere Geschütz in großer Anzahl mitzuführen. Deshalb werden wir den Mauern so nahe rücken mit den Batterien, daß dies ausgeglichen wird. Namentlich der Burg gegenüber bietet die Höhe von Sanct Ulrich Gelegenheit, dem Ferdinand recta in die Fenster zu schießen, und ich denke, das soll ihm den Widerstand bald verleiden. Nicht wahr, Thonradl?
– Richtig! schrie dieser, und sprang auf. Und wir Oesterreicher – fuhr er fort – haben auch unsere Batterie vorbereitet auf die Burg und auf den Ferdinand. Wir haben eine Schrift aufgesetzt, welche voll Pfeffer und Salz ist. Die legen wir ihm zur Unterschrift vor, während Ihr von Sanct Ulrich aufspielt. In der Angst wird er unterschreiben, und damit die Thore der Stadt öffnen; denn er hat alsdann die Abschaffung aller jetzigen Mißbräuche und die Einführung eines neuen Regimentes, unseres Regimentes, unterschrieben. Es lebe die Rebellion der Landstände! Es lebe die Herrschaft des Herrenstandes!
Wie unpassend dieser Aufschrei auch war bei einem Kriegsrathe, dem Grafen Thurn und den Seinigen war er willkommen, um weiteren Widerspruch zu verdrängen, und der dicke, sprudelnde Thonradl wirkte auch in der That so behaglich, daß Männer mit einstimmten, welche sein Geschrei ebenso unpassend fanden, wie Hans und der Freiherr von Jörger.
Man stand auf. Jörger allein blieb noch eine Weile sitzen. Er war in Verzweiflung. Das Alles war ihm gründlich zuwider. Seine Heimat, sein Wien, seines Landes Oberhaupt so behandelt zu sehen, als eine Beute für fremde Rebellen behandelt zu sehen, und von einem Landsmanne neben sich unwürdigen Jubel darüber vernehmen zu müssen, das empörte ihn innerlichst. Er war zu schwach, um offen dagegen aufzutreten; als er aber endlich seinen einsam gewordenen Sitz verlassen hatte, und an der Ausgangsthür dem umherpruhstenden Thonradl begegnete, da brach der mühsam verhaltene Zorn aus ihm hervor, und er sagte dem dicken Revolutionär im Vorübergehen halblaut zu Gehör:
– Jeder gute Oesterreicher wird sich noch in späten Jahrhunderten der Felonie schämen, welche sich hier im uralt österreichischen Hause der Ebersdorfe breitgemacht hat!
– Was? Felonie?! polterte der hitzige Thonradl. Wartet doch, Jörger! Was habt Ihr da gesagt?!
Jörger wartete nicht, sondern ging, in dem alten Ebersdorfer Schlosse wohlbekannt, einer Seitentreppe zu, welche in den Garten führte. Thonradl, jäh aufgereizt, hinter ihm her.
Dieser Garten war berühmt durch seine üppige Fruchtbarkeit, wie denn heute noch der gute Boden um Ebersdorf eine Gemüsekammer für Wien ist. Den Eingang zum Garten vom Schlosse aus bildete ein weiter Rundplatz, von doppelter Reihe hoher Ulmenbäume eingesäumt. Zwischen ihnen waren Ruhesitze angebracht, und auf einem derselben hatte sich soeben ein Cavalier niedergelassen. Suchte er den erquickenden Schatten, oder suchte er die Aussicht nach Wien, welche sich hier eröffnete, da der Garten nordwestlich ans Schloß stieß? Der Cavalier sah gen Wien hinaus, hinter welchem die Abendsonne unterging, und achtete nicht sogleich auf Jörger und Thonradl, welche streitend aus dem Schlosse traten. Sie sahen auch ihn nicht, den dunkel gekleideten jungen Mann. Er saß hinter der ersten Baumreihe, an einen breiten Stamm gelehnt, kehrte ihnen also den Rücken zu.
Es war Norbert, einst Pater Norbert fälschlich genannt, ehe ihm noch der Titel eines Paters gebührte, jetzt Zierotin Norbert, oder Zierotin Jaromir genannt, und mit einiger Scheu und Verwunderung angesehen von den älteren Männern, von den jungen Cavalieren aber allmälig hingenommen als wunderlicher Standesgenosse, der ins rechte Geleise eingerüttelt werden müsse durch Spott und Zureden. Norbert hatte sich zureden lassen, als Thurn erklärt hatte: ein Zierotin müsse Zeit und Gelegenheit unter Cavalieren finden, sich auf seinen Beruf zu besinnen, auf den Beruf eines freien Edelmannes, welcher ja doch nur irrthümlich Pfaffenknecht geworden sein könne.
Warum sollte er sich auch nicht zureden lassen?! Bequemer war's doch, als wenn er die Entbehrung und Gefahr eines ernstlich Gefangenen hätte bestehen sollen! Der gezwungene Uebergang vom Jesuiten zum Ritter war ihm ja auch eigentlich ganz angemessen. Die Liebesleidenschaft in ihm konnte sich's kaum günstiger wünschen. Siegten die Ketzer – so nannte er sie noch unwillkürlich – nun, so konnte er in der aufgezwungenen Laufbahn weiterschreiten; ein Gelübde hatte er noch nicht abgelegt, es stand also dann nichts Wesentliches im Wege, daß er – –
Dennoch arbeitete die diplomatische Erziehung in ihm auf eigene Hand. Der Stephansthurm, den er da roth umsäumt von der Abendgluth vor sich erblickte, mahnte ihn an die Kirche darunter, und hinter der Kirche sah er den häßlichen »Provincial« stehen mit seiner plebejischen Rauhheit. Eine Beschwichtigung für diesen Cerberus – meinte die diplomatische Gedankenwelt in ihm – wäre doch sehr wünschenswerth! So nahe an der Stadt und in so kritischem Augenblicke, wäre ein Lebenszeichen, das er hineinfördern könnte, doch nicht ohne Werth, wenn es nur mit irgend einer Nachricht von Bedeutung verbunden und beschwert sein könnte! Aber dazu ließ man ihn nicht kommen. Er erfuhr nicht mehr als Jedermann im Heere; von Berathungen war er natürlich ausgeschlossen. Er gab sich darum auch jetzt allmälig wieder den Bildern seiner Phantasie hin, welche das schöne Mädchen vor seine Sinne zauberte, das schöne Mädchen, welches ihn einsame Stellen suchen ließ – was war das?
Er hörte heftige Stimmen, und sie näherten sich seinem Platze.
Jörger und Thonradl waren es. Sie gingen an der Baumreihe hin und her, und stritten sich zornig. Jörger warf dem Thonradl in österreichisch-patriotischer Entrüstung vor, daß es allerdings Felonie sei, den Lehensherrn auf solche Weise zu verrathen, den Fremden die Landeshauptstadt durch heimliches Oeffnen der Thore zu überliefern.
– Blos eines, Gevatter, blos das Stubenthor, zur Feier der Frohnleichnamsoctave! Mit dem Rothenthurm ist's ja nicht Ernst – entgegnete lachend Thonradl, und fuhr in diesem Tone fort.
Sein Zorn war in Heiterkeit und Spott übergesprungen, als er gefunden hatte, daß Jörger ohne Logik schalt. Widerstand wollte er ja auch leisten, der protestantische Jörger, nur die Art und der Grad waren ihm mißfällig. Er wollte ins Wasser gehen, ohne sich naß zu machen!
– Dummes Zeug! höhnte Thonradl und zählte dann alle Folgen auf, wenn das Oeffnen des Thores gelungen, die Stadt erobert wäre. Du sollst es aber auch offen und ehrlich haben – schloß er – da Du das so nöthig brauchst. Ja, das sollst Du! An demselben Tage, an welchem vom Prater her und vom Stubenthor her das Loch aufgesprengt werden soll, reiten wir unser Zwanzig in die Stadt hinein als Parlamentäre, und steigen in die Burg hinauf zum Ferdinand selbst, und Du, Jörger, sollst dabei sein, Gott straf' mich, wenn Du nicht ausgestoßen werden willst aus der Landschaft mit Schimpf und Schande. Denn ganz offen und sonnenklar wollen wir dem Ferdinand in einer Schrift vorlegen, was wir wollen, und das soll er unterschreiben. Ist das nicht grad' und ehrlich, he? Und nun besinn' Dich, ob Du Dich ausschließen kannst und willst. Morgen Früh hol' ich mir Deine Antwort.
Fort ging er.
Langsam folgte ihm Jörger. Für ein offenes Hintreten vor den Landesherrn hatte er selbst immer gesprochen. Und jetzt sollte es in so furchtbarer Weise geschehen! Und wie konnte er sich jetzt noch ausschließen?!
Norbert hatte nicht Alles gehört, denn die Streitenden waren hin und her gegangen. Aber Thonradl hatte geschrieen, und die Frohnleichnamsoctave, Prater, Stubenthor waren für Norbert ganz verständlich gewesen. Diese Nachricht konnte die Beschwichtigung sein, welche er für den Provincial wünschte.
– Auf! flüsterte er, als auch Jörger im Schlosse verschwunden und Dunkelheit hereingebrochen war. Auf, das lohnt der Mühe!
Zu der cavaliermäßigen Behandlung, welche man ihm hatte angedeihen lassen, gehörte es auch, daß ihm einer der mitgefangenen Guardisten als Diener belassen worden war. Den wollte Norbert jetzt benützen. Er selbst hätte vielleicht nicht entweichen können, als kenntliche Persönlichkeit – er wußte es nicht, und hatte es auch bisher nicht beabsichtigt – aber ein geschmeidiger Bursche konnte schon durch die Vorposten schlüpfen.
Cavaliere kamen und gingen ja mit ihrem Gefolge fortwährend ab und zu; es war ein ungeordnetes Revolutionswesen, und der Wiener Guardist kannte so nahe bei der Stadt jeden Weg und Steg. – Er war auch bereit. Der Auftrag war so wichtig, daß er ihm nützen mußte. Der Sicherheit wegen sollte er ihn mündlich überbringen, und dem Herrn Provincial selber!
Während der Guardist die Abzeichen seiner Kleidung entfernte, und auf der Seite nach Rauchenwart hinauf aus dem Lager schlich, wo keine so scharfe Aufmerksamkeit zu befürchten stand, als auf der Seite gegen Wien, rollte langsam von der Lobauinsel her jener Karren ins Lager, auf welchem die Petarde eingebracht wurde.
Der Führer des Karrens fragte nach dem Quartier des Feldhauptmanns, und wurde vor das Ebersdorfer Schloß geführt. Hier war nach Thurn's Befehle Alles vorbereitet zur Empfangnahme. Der Karren wurde in eine Scheuntenne gezogen, und der Herr von Starschädel ward benachrichtigt, daß er am nächsten Morgen zu dieser Scheune kommen und dem ihn dort erwartenden Manne das Geschoß übergeben und die Anwendung desselben erklären möge.
Es war die Zeit des Neumonds, und eine finstere Nacht bedeckte die Erde. Der Himmel war bewölkt, die Luft still und warm. Von Zeit zu Zeit tropfte ein wenig Regen hernieder.
Hans hatte sich bei Budowa einquartiert und hatte zeitig sein Lager gesucht. Selbst Budowa war heute nicht redselig gewesen. Die Entscheidung rückte so nahe; Jedermann war ernst und schweigsam. Hans war zudem ermüdet und fiel bald in festen Schlaf. Auch seine Ahnungen schwiegen heute; er hatte nur flüchtig an Hernals und an die Försterei oben auf dem Wiener Walde gedacht, will sagen an Ludmilla und Vater Zdenko. Von des Letzteren Schicksale war nicht ein Hauch zu ihm gedrungen.
Um diese Zeit aber – es war gegen zehn Uhr des Abends – erfuhr drinnen in Wien Pater Dunstan das unglückliche Schicksal seines Freundes Zdenko. Gerade für ihn war er in Penzing beschäftigt gewesen: er hatte alle Vorbereitungen zur Uebersiedelung nach Altenburg getroffen, hatte Wagen und Sänfte richten lassen, und war erst in später Abendstunde durchs Schottenthor heimgekehrt, weil er am verschlossenen Burgthore zurückgewiesen worden war.
Jetzt erst fand er Tschirill und Golling, welche den ganzen Tag auf ihn geharrt hatten beim Pförtner.
Er verhielt sich regungslos bei der Kunde vom Ueberfalle der Försterei, vom Brande derselben, von der Wegführung des Grafen. Erst als Tschirill erzählte, daß der Graf in die Stadt gebracht worden sei, erhob er rasch den Arm. Langsam sank er auf die Schulter Tschirills, langsam folgte die Frage:
– Ja, Pan!
– Kannst Du mich hinführen trotz dunkler Nacht?
– Ja, Pan!
– So komm'!
Es war nicht ganz dunkel. In vielen Fenstern waren Lichter aufgestellt nach obrigkeitlichem Befehl, damit das Zusammenfahren von Material, das Ordnen und Einüben der Truppen auch während der Nachtzeit vor sich gehen könne. Und Tschirill mochte in mancher menschlichen Fähigkeit vernachlässigt sein, in thierischer Fähigkeit war er stark ausgerüstet. Er hätte den Weg auch im Dunkeln gefunden. Links – rechts! war eingegraben in seinem Sinn: links bis zum Ende der Renngasse, rechts geradeaus bis zum Jesuitenhause. Ohne Schwanken brachte er den Pater Dunstan vor dies Haus.
– Hier?!
– Hier.
Jetzt erst zeigte sich Dunstan erschüttert, und bedeckte mit beiden Händen seine Augen. So stand er lange still; nur die zwei Worte: »Armer Zdenko!« rangen sich aus seiner Brust.
Ohne weiter ein Wort zu sagen, ging er langsam nach dem Schottenkloster zurück. Tschirill folgte betroffen. Er hatte wol erwartet, der ihm mächtig erscheinende Herr Pater werde sofort Einlaß begehren in das große Haus und den Herrn befreien.
Im Schottenkloster angelangt, sagte Pater Dunstan zu Golling: er möge sich schlafen legen mit Tschirill. Vor Tagesanbruch werde man ihn wecken. Dann solle er hinaus und Botschaft tragen. Zunächst nach Hernals, um sich zu versichern, ob Junker Hans wirklich beim böhmischen Heere sei; dann zu diesem.
Alsdann ging Pater Dunstan die große Stiege hinauf und trat in die Zelle des Abtes, von dem er wußte, daß er bis tief in die Nacht hinein zu lesen pflege.
Bei diesem blieb er wol eine Stunde. Dann ging er auf seine Zelle und schrieb bis gegen Morgen. Als dieser aufdämmerte, erhob er sich und stieg hinab zum Pförtner. Golling und Tschirill hatten auch nicht geschlafen, und waren seiner Befehle gewärtig.
– Golling, sprach er langsam, lass' Tschirill von Hernals hinaufführen zu den Deinen. Dort bleibt er, bis ich Zeit finde hinaufzukommen. Er bewacht die Brandtrümmer. Niemand soll sie betreten. Du aber, Golling, gehst von Hernals geraden Weges ins böhmische Heerlager. Bei Schwechat soll es sein. Und Du erkundest dort den Junker Hans von Starschädel, und übergiebst ihm dieses Schreiben. Verwahre es gut, und sobald Du es abgegeben, kehre zurück zu den Deinen. Gott schütze Euch!
Tschirill ging weinend mit Golling. Er wäre viel lieber in der Stadt geblieben, in der Nähe seines Herrn. Aber dem Herrn Pater Dunstan gehorchte er.
Der Pförtner geleitete sie zum Schottenthore hinüber für den Fall, daß es so früh am Tage noch geschlossen sei. »Der Dienst des Klosters!« sollte er sagen, damit es geöffnet werde. Es war aber geöffnet. Man suchte Nahrungsmittel so viel als möglich in die Stadt zu bringen.
Lichtgrau flog der Tag über den Himmel, als Golling und Tschirill über die Wallgrabenbrücke vor dem Thore ins Freie hinausschritten.
*
Länger wartete auch Tartsch nicht in Ebersdorf, der seinen Herrn wecken sollte, wenn der Abgesandte vom Grafen Thurn käme, um die Petarde in Empfang zu nehmen. Dieser war so frühe da. Es war der Bart-Conrad, und er war nicht wenig erstaunt, alte Bekannte zu finden in solcher Angelegenheit. Man hatte ihm nur gesagt: beim Herrn von Budowa wohne der Cavalier, welcher ihm Auskunft ertheilen werde.
Conrad war immer noch voll Mißtrauen gegen den Junker. Er konnte nicht vergessen, daß er ihn Arm in Arm mit dem »tollen Waldstein« gesehen. Und jetzt war derselbe Junker im Feldlager der Waldstein'schen Feinde, und war eine Vertrauensperson! Und desselben Junkers sogenannter Vater, der steinreiche Graf, war gestern erst von diesen Böhmen überfallen und gewaltsam fortgeführt worden, wie Golling ja soeben berichtet hatte! War das eine Confusion für den sonst so schlauen Conrad!
Er hörte deshalb zerstreut zu, als Junker Hans in den Bauernhof heraustrat, und ihm die Eigenschaft der Petarde und die Art auseinandersetzte, wie sie vermittelst des Matrillbrettes angeheftet werden sollte. Hans erkannte bald, daß Conrad keine klare Vorstellung gewann. Er ließ sich also von Tartsch ein Stück Kreide geben – es war unterdeß Tag geworden – und zeichnete Metallbecher und Zündloch, und Luntenfaden und Matrillbrett ans Hausthor, und erklärte Alles nochmals. Umsonst! Bei genauer Nachfrage fand er, daß Conrad immer noch unsicher und ungenau war.
– Nun, da bleibt nichts übrig, sagte Hans ärgerlich, als daß wir die Petarde wieder auspacken, und daß ich Euch Alles genau zeige und vormache am Instrument selber!
– Das wird wol's Beste sein! erwiderte Conrad, der einräumte, daß er heute »begriffsstützig« sei, und er schickte sich an, mit dem Junker nach der Scheuntenne zu gehen, auf welcher der Karren mit der Petarde stand. Ich bin halt nicht so gefaßt, brummte er, wie der Herr Junker. Wenn man mir, so wie Euch, den Vater fortgeschleppt hätte, und wär's auch nur den Pflegevater, so –
– Was?!
Und jetzt erfuhr Hans zum ersten Male das Unglück, so weit es Conrad wußte. Er gerieth außer sich. Conrad mußte sich fest mit beiden Füßen einrammen, um nicht umgeworfen zu werden von dem Fragenden, der jede Einzelheit gleichsam aus ihm herausriß. Erst als der Name »Raupowa« heraus war, ließ Hans los, um die Faust zu ballen.
– Raupowa?! schrie er. Wehe ihm! Böhmische Räuber ihr! Wo mag er hin sein?! Wie kann ich ihn einholen?! Tartsch, die Pferde!
– Für den braucht der Herr Junker keine Pferde! Den hab' ich gestern Abends hier ankommen sehen mit seinen Gefangenen –
– Hier?! Und der Graf mit ihm?!
– Den hab' ich nicht gesehen. Es waren blos Reiter und Fußgänger. Gefangene Fußgänger. Aber das waren nur Kriegsknechte, der alte Graf war nicht d'runter. Der könnte wol auch nicht marschiren.
– Führ' mich hin zu dem Schurken. Wo ist er abgestiegen?
– Das weiß ich nicht! Wird wol auf dem Schlosse sein, der Special des Feldhauptmanns!
– Also aufs Schloß! schrie Hans, und stieß eine Hand von sich, welche ihn am Arme hielt.
Es war die Hand Budowa's, welcher von den heftigen Reden herausgelockt worden war.
– Fassung, Fassung, Mäßigung, Hans! Was ist's!
In drei Worten rief ihm Hans zu, was der nichtswürdige Raupowa gethan, und eilte nach dem Schlosse.
Budowa folgte. Es ging langsamer, als Hans wünschte. Das Heer hatte sich schon in Bewegung gesetzt, und die Gassen des Dorfes waren angefüllt und verstopft von den Geschützen und Wagen und Reitern.
Conrad folgte natürlich ebenfalls. Das war was für seinen »Gusto«, und der Junker gefiel ihm zum ersten Male wieder. Das war doch ein blanker, ehrlicher Zorn!
Als sie endlich bis zum Schloßhofe durchgedrungen waren, erfuhren sie, daß der Feldhauptmann mit den vornehmsten Herren auf der andern Seite des Schlosses unter den Ulmenbäumen im Garten sein Frühstück einnehme. Also um das Schloß hinum nach dem Garten!
Da saßen sie im Schatten der breitästigen Bäume, wol zehn Herren.
Der Schatten war schon willkommen, denn die Morgensonne war unverhüllt emporgestiegen, und sendete bereits heiße Strahlen über das Dach des Schlosses auf den runden Raum vor den Bäumen. Neben Thurn saß Loß, und neben Loß an der Ecke Wenzel Wilhelm von Raupowa, der eben gesucht wurde. Obwol mit dem Gesichte nach der Richtung sitzend, in welcher Hans raschen Schrittes herankam, sah Raupowa diesen doch nicht. Er war hungrig, und war ganz in sein Frühmahl vertieft. Erst als er dicht vor sich rufen hörte: »Herr Wilhelm von Raupowa!« blickte er auf.
– Herr Wilhelm von Raupowa! wiederholte Hans mit einer Stimme entschlossenen Ingrimms. Ist es wahr, daß Ihr den verehrungswürdigen Greis, den Grafen Zdenko von Zierotin, bei nächtlicher Weile in seiner Wohnung räuberisch überfallen, daß Ihr die Wohnung in Brand gesteckt und den hilflosen Greis davongeschleppt habt? Ist das wahr?
– Was geht's Euch an, ob ich das oder jenes gethan?
– Ja oder Nein!
– Laßt mich in Ruh' –!
– Ja oder Nein!
– Oder ich weise Euch den Weg!
– Also Ja! So beginnt Ihr einen Krieg um religiöse Freiheit! Den freisinnigsten und frömmsten Mann, der tausendmal mehr werth ist, als Ihr alle zusammen, überfallt Ihr, um ihn zu berauben –
– Deutscher Junker –!
– Einen verehrungswürdigen Greis reißt Ihr in den Tod, denn die Lebenskraft seines hohen Alters hängt nur noch an einem Haar, blos um sein Gold zu stehlen, das er einer guten Sache bereitwillig und mit vollen Händen hingegeben hätte – pfui über Euch! Schande und Schmach über Euch, die Ihr mit gemeinem Sinne die reinsten Fragen des Glaubens besudelt –
– Da, unverschämter deutscher Lump! schrie Raupowa, indem er aufsprang, sein Schwert aus der Scheide riß, und einen Hieb auf Hans von Starschädel führte, der ihm den Kopf spalten mußte, wenn er ohne Gegenwehr blieb, so sehr war er ausgeholt aus vollster Kraft des Leibes und der Wuth.
Aber die Gegenwehr war blitzschnell da. Hans war in Handhabung der Klinge aufgewachsen, die Klinge gehorchte ihm, wie ihm sein Arm gehorchte. Sie war jetzt aus der Scheide rasch wie ein Gedanke, sie parirte fast ohne Handkorb den furchtbaren Hieb, so daß er abglitt und tief gegen den Erdboden hinabfuhr. Dadurch kam Raupowa aus dem Gleichgewichte, und war nicht im Stande, unmittelbar einen zweiten Streich folgen zu lassen gegen den einen Schritt zur Seite springenden Gegner. Im Gegentheil! Hansens Angriff überraschte nun ihn, ehe er wieder in voller Deckung war, und die Hiebe des Junkers fuhren zweimal, dreimal um Raupowa's Brust und Hut, daß die Fetzen vom Kleid und Filze flogen. Nur weil der Sprung zur Seite den Junker auch einige Spannen vom Gegner entfernt hatte, griffen sie nicht tief genug.
Alle sprangen auf am Tische und zogen ihre Schwerter, um die Streitenden zu trennen. Ehe das aber bewerkstelligt werden konnte, war Raupowa zu neuem Streiche um jene fehlenden Spannen vorgedrungen, hatte von neuem gehauen, war wiederum parirt worden, und hatte nun in hinreichender Nähe den ihm zugedachten Circumflex – wie der zuschauende Conrad den Blitzstrahl nannte – dergestalt über das ganze Angesicht erhalten, daß sein Kopf unwillkürlich zurückfuhr, und das Blut ihm über Auge und Wange herunterfluthete.
Unter großem Geschrei waren jetzt vier bis fünf Körper und Schwerter zwischen die Kämpfer gefahren, und hatten sie auseinander gedrängt. Man überschüttete Hans mit Vorwürfen, während Raupowa ins Schloß geführt wurde; aber der einmal ergrimmte Junker erzwang sich durch eine jähe Kreisbewegung seiner Waffe freien Platz, und beharrte in seiner herausfordernden Stellung und Rede.
– Wo ist Graf Zdenko von Zierotin – schloß er diese Rede – wo ist er? Ihr wißt es so gut wie jener Raupowa! Euer Feldhauptmann, Graf Thurn da, ist ein Vertrauter Raupowa's! Er hat ihn selbst abgesendet aus dem Lager vor Laa, während er von mir einen Dienst heischte, welcher mit ziemlicher Sicherheit schmählichen Tod bringt. Er hat ihn nach seiner Rückkunft heute Nacht hier in Ebersdorf offenbar gesprochen, hat seinen Bericht entgegengenommen, er ist Mitwisser; ich frage den Grafen Thurn: wo ist Graf Zdenko von Zierotin?!
Ein allgemeines Stillschweigen erfolgte. Man sah, daß Loß und Budowa unter dieser widerwärtigen Anschuldigung litten. Loß unterdrückte ein leises »Pfui!« nicht. Budowa erhob unwillig die Hand gegen Thurn hin, welcher sich am wenigsten eingemischt und sich sogar wieder gesetzt hatte, und als diese Handbewegung keine Folge weckte, da sagte Budowa in scharfem Tone: Herr Feldhauptmann! Auch Unsereins erwartet eine Erklärung. Ich bin ganz in der Stille auch der Ansicht, daß solch ein Schritt gegen den edlen Zierotin, gegen ein zum Himmel schreiendes Opfer pfäffischer Verfolgung, eine recht curiose Einleitung wäre zu unserm Kriege gegen die Pfaffen. Es wäre nicht ohne Werth für unsere ganze Sache – denn solche Späße bleiben nicht geheim – wenn unser Feldhauptmann darüber etwas Beruhigendes zu sagen wüßte.
Neue Stille trat ein. Graf Thurn griff sogar zu Messer und Gabel. Loß aber schrie ihm in einem ganz eigenthümlichen Ausdrucke zu: Mathias?!
Da legte Thurn Messer und Gabel hin und sagte mit unwilligem Tone: 's ist ja Alles eitel Uebertreibung! der Zierotin Zdenko ist von Päpstlichen aus Wien überfallen worden, und sie haben ihm das Haus überm Kopfe angezündet. Raupowa ist dazu gekommen und hat den alten Knaben aus ihren Fäusten gerettet. Geht hinüber zum Schafstalle, da sind die Gefangenen, welche Raupowa mitgebracht, die können's Euch erzählen.
– Wo ist also Graf Zdenko? riefen einstimmig Hans und Budowa.
– Was weiß ich! Die Päpstlichen hatten ihn in einen Wagen gesteckt, und in dem Wagen ist der Alte während des Tumultes davon gefahren. Raupowa weiß selbst nicht wohin?!
Schweigend sah man sich an. War das richtig? die unerschütterliche Ruhe Thurn's sprach dafür.
– Der Golling, Junker, der Golling! unterbrach ein Ausruf Conrad's die Stille.
Golling kam schweißtriefend auf den Junker zu. Frau Amalie hatte ihm ein Pferd satteln lassen. Reiten war nicht sein Geschäft, es hatte ihn angestrengt, da er im Sinne der gnädigen Frau nach Möglichkeit schnell geritten war. Er ließ sich in seiner Erschöpfung zunächst auf keine Anrede ein, sondern holte aus verborgener Hintertasche das zusammengefaltete Papier hervor und überreichte es dem Junker mit der halblauten Aeußerung: vom Herrn Pater Dunstan.
Hans hatte kaum angefangen zu lesen, da stieß er einen Schrei aus, welcher Schmerz und Entsetzen in sich schloß. Er konnte nicht sogleich weiter lesen; sein Auge starrte ins Leere.
Budowa trat theilnahmsvoll zu ihm und nahm den Zettel aus der herabhängenden Hand Starschädel's, und da dieser nicht wehrte, so las er ihn mit leiser Stimme, so daß nur Hans den Inhalt vernahm:
»Freund Zdenko ist in den Händen der Jesuiten. Im Jesuitenhause zu Wien, bei der Universität, liegt er in Gefangenschaft, und sein Jugendfeind Methodius, jetzt Provincial im Jesuitenorden, ist sein Kerkermeister. Ich werde thun, was irgend in meinen Kräften liegt, ihn zu befreien. Aber auch im glücklichen Falle braucht dies längere Zeit. Der arme Zdenko kann während dessen vergehen. Nur wenn die Böhmen Wien erobern, kann ihm rasch geholfen werden. Dies zu Eurer Kenntniß. Sehen wir uns in diesem Leben nicht wieder, dann gedenkt meiner Weisung, die ich Euch oben auf dem Walde gegeben.«
– Was ist denn? rief nun Loß und auch Thurn, der endlich aufstand und näher trat.
Hans war in furchtbarer innerer Bewegung, das sah man. Endlich deutete er pantomimisch an, daß er nur zu Thurn, Loß und Budowa sprechen wolle. Sie folgten ihm einige Schritte seitwärts unter die Bäume. Hier theilte er ihnen mit wiederkehrender Fassung den Inhalt des Schreibens mit und setzte einfach hinzu: Ich liebe den alten Mann wie meinen Vater, und jetzt, Graf Thurn, übernehme ich, was ich vor einigen Tagen in der Gegend von Staats abgelehnt habe: ich gehe selbst mit hinein nach Wien, um das Stubenthor zu sprengen.
– Bravo! rief Thurn; bravo, Hans! riefen Loß und Budowa.
– Von übermorgen an laßt des Abends über die Wienbrücke nach dem Walle sorgsam hinüberschauen, dahin, wo die Seilerstätte hinter dem Walle liegt. Dort im Hofe eines Hauses, welches uns Evangelischen offen steht –
– In Wildling's Hause?
– Ich glaube, ja. Dort werde ich eine Rakete aufsteigen lassen. Seht Ihr sie, so beginnt den Sturm aufs Stubenthor. Ehe Ihr über die Brücke seid, soll die Petarde springen. Lebt wohl!
– Hans! Prächtiger Junge, ich bitte Dir Alles ab, was ich Dir angethan, rief Loß, und umarmte herzlich den Junker – aber überleg' Dir's noch einmal, Du gehst in den Rachen des Todes.
– Es ist überlegt! erwiderte Hans und ging. Er schien keinen Eindruck zu haben von der rückkehrenden Güte Loßens, seine Seele war mit allen Organen nur dem erwählten Ziele zugewendet.
Budowa ging mit ihm. Conrad, Golling und Tartsch folgten. Budowa sprach wie Loß in ihn hinein, einen so unzweifelhaft lebensgefährlichen Schritt nicht eilig zu fassen.
– Nicht eilig? entgegnete Hans ruhig, und der arme Greis stirbt wehevoll in jeder Minute! Was sind wir denn werth, Budowa, wenn wir für die Ideale unseres Geistes nicht einstehen mögen ganz und gar? wenn wir für den Inhalt unseres Herzens ein Opfer scheuen? Nichts sind wir alsdann werth. Wir müssen uns alsdann selbst verachten. Was ist ein Leben in Verachtung seiner selbst! Der arme Greis hat mir sein Herz geschenkt, ein kostbares Vaterherz, und ich liebe ihn wie ein Sohn. Es ist nur natürlich und nichts Besonderes, daß ich Alles daran setze, ihn aus den Martern seiner Todfeinde zu befreien. Er ist nicht zu befreien, wenn Wien nicht erobert wird. Thurn aber erobert es nicht mit den Mitteln, die ihm zu Gebote stehen. Ich weiß auch nicht, ob meine Beihilfe genügen wird, aber ich weiß, daß ich das einzig Mögliche versuchen muß. Es ist mir dies ein Bedürfniß. – Tartsch, die Pferde! Wir reiten nach Hernals. Conrad! den Karren hier auf der Scheuntenne bespannen lassen und mir sogleich nach Hernals folgen. Ihr braucht keine weitere Instruction, ich selbst übernehme die Ausführung –
– Ah! rief Conrad, dem der verdächtige Junker seit einer halben Stunde unbändig gefiel. – Um Gotteswillen nicht! schrie Tartsch.
– Du bleibst in Hernals, Tartsch, ohne Widerrede! und wenn ich verloren gehe, so wende Dich an diesen Herrn hier, an Herrn Wenzel von Budowa, er wird Dir bereitwillig sein. Nicht?
– Natürlich.
– Wie steht es mit dem Mehlwagen, Conrad?
– Spath besorgt ihn.
– Gut. Und nun vorwärts. Die Pferde, Tartsch! Wir müssen noch bei Tage mit unsern Säcken am Schottenthore sein, denn jetzt bei Anrückung des Belagerungsheeres in solcher Nähe werden sie Abends das Thor nicht mehr öffnen. Habt Dank, Herr Budowa, für rasch geschenkte Freundschaft! Gelingt es, so sehen wir uns bald wieder. Mißlingt es, so laßt Euch die Sorge um den Greis empfohlen sein. Wer weiß, ob Ihr nicht bei etwaigen Unterhandlungen seinen Namen nennen, seine Auslieferung zu einer Bedingung machen könnt. Gott schütze Euch!
Budowa umarmte ihn liebevoll und verließ ihn nicht, bis er von dannen sprengte.
Um nicht durch den Heereszug aufgehalten zu werden, ritt Hans bis nach der Himberger Straße hinüber, und erreichte in weitem Bogen das Thal der Wien hinter Gumpendorf. Noch vor der Mittagsstunde war er in Hernals.
Der Ritt im warmen Sonnenschein hatte ihn aufgeregt. Die entschlossene Ruhe war in drängende Hast übergegangen, und er kümmerte sich um nichts, als um die Vorbereitungen zu seinem Werke. Von den Einwohnern des Schlosses war nur Spath für ihn vorhanden, der alle Hilfsmittel stellen sollte. Auch einen bäuerischen Anzug, der mit Mehl bestreut wurde, und einen Stock für die Rakete. Auch die Werkzeuge zum glatten Abrasiren des Bartes; Tartsch hatte nichts für diesen Zweck im Mantelsacke, und erwies sich sehr ungeschickt in dieser Operation: er schund und schnitt den Junker grausam, und das pudernde Mehl war auch für das zerfleischte Gesicht willkommen.
Erst als er ein fertiger Müllerknecht aus der Gesindestube hervorging, und Conrad mit dem Karren noch nicht angekommen war, dachte Hans daran, nach den Damen des Hauses zu fragen. Er hätte es früher thun müssen, wenn nur der kleinste Gedanke von Eitelkeit jetzt in ihm Raum gehabt hätte, denn empfehlend sah er nicht aus als Mühlknecht.
Er erfuhr, daß Frau Amalie oben sei und Fräulein Ludmilla. Letzteres berührte wol sein Herz, aber in ganz anderer Weise als bisher. Einen Blick auf sie, einen Blick von ihr zu gewinnen, war Alles, was er im Drange seiner jetzigen Aufgabe wünschen mochte. Keine Unterredung, keinen Austausch von Gedanken und Gefühlen! Er meinte nicht theilen zu können in der Hingebung. All seine Hingebung sollte jetzt dem gepeinigten Pflegevater gehören. Vielleicht ahnte er auch ein stark egoistisches Element in Ludmilla und fürchtete, dies könne seine opferlustige Neigung für den Pflegevater bekritteln und beeinträchtigen wollen. Nur das nicht, nur jetzt nicht!
So ging er stracks zum Zimmer der Frau Amalie und klopfte an und trat ein. Sie erkannte ihn nicht sogleich, und als er ihr mitgetheilt, was er vorhabe – ihr, aber nur ihr wollte er es mittheilen – da reichte sie ihm die Hand. Eine Thräne zitterte in ihrem Auge.
Er bat sie um Sorge für seinen Diener, wenn er lange oder – ganz ausbleiben sollte.
– Natürlich, lieber Junker! Wir werden uns alle gegenseitig brauchen, wenn die Einnahme Wiens nicht gelingt. Hernals wird alsdann dafür büßen müssen, daß es ein Mittelpunkt der Ketzer gewesen, darauf bin ich gefaßt. Was übrigens Euch betrifft, so beauftragt nur einen unscheinbaren Menschen in Wien, daß er an Isabella Harrach Nachricht bringt, wenn Euch ein Unglück begegnen sollte. Sie kann durch ihren Vater unter allen Umständen eine Hilfe bieten. Und sie wird. Gestern noch war sie eine Viertelstunde hier. Das gute Geschöpf leidet ebenfalls. Die Verbindung mit Waldstein ist keineswegs der Wunsch ihres Herzens, und ich habe ihr zum ersten Male geradezu gerathen, ihren Vater um Auflösung des Verhältnisses anzugehen. Das edle Mädchen antwortete kaum hörbar: Wie könnt' ich das, da mein Verlobter jetzt ein Bettler ist! – Vergeßt ja nicht, Jemand mit Nachricht für sie zu beauftragen! Sie nimmt herzlichen Antheil an Euch –
Da ging die Thür auf, und Ludmilla erschien. Sie schien nichts zu wissen von der Ankunft des Junkers, und sah jetzt sein Antlitz nicht, da er abgewendet nach dem Hofe hinab blickte, ob denn Conrad noch immer nicht anlangte. Als er sich herum wendete, schrie sie überrascht auf, und es war nicht der Ton angenehmer Ueberraschung. Wie schaut Ihr aus! Wie garstig! rief sie.
Der in ihr vorgehende Gedankenproceß war für Hans recht ungünstig. Sie hatte es schon übel vermerkt, daß er nach Laa geritten war, ohne sie nochmals zu sprechen, wenigstens zu sehen. Dann war die Zerstreuung eingetreten durch den galanten Vetter Rudolph, der sich erst gestern Abends so verbindlich bei ihr verabschiedet hatte. In ihrer Liebe zu Hans war kein Wandel eingetreten, aber ihre Eitelkeit meinte doch, ärgerlich sein zu dürfen. Und nun äußerte sich der Aerger über das unvortheilhafte, widerwärtige Aussehen des Geliebten, welcher sie übrigens gar nicht hatte wissen lassen, daß er im Schlosse sei. Sie fand ihn ja jetzt ganz zufällig! Dies Alles verstimmte das immerhin eigensinnige Geschöpf. Und dabei richtete er kaum ein Wort an sie, sondern wendete seine Blicke immer wieder nach dem Fenster – ah, und nun wollte er sogar eiligst fort, als ein Wagen in den Hof fuhr –!
Es war der Karren Conrads. Hans brach wirklich auf, und nachdem er der Frau Amalie die Hand gereicht, hielt er sie auch ihr hin zum Abschiede –
– So kurz und plötzlich? rief sie, halb verletzt, halb erschreckt – und ohne daß Ihr mir sagt, was Ihr vorhabt in dieser abscheulichen Verkleidung?!
– Ich darf nichts davon sagen, liebes Fräulein. Das Leben meines Pflegevaters steht auf dem Spiele, mein eigenes, und vielleicht das Gelingen des ganzen Krieges. Verkennt mich nicht! Meine Seele ist in Aufruhr und nur einem Ziele zugewendet. Gedenket mein, wie ich Euer gedenken werde, und seid behütet von Gottes Gnade.
Hinaus war er, hinab; die Umladung der Petarde auf den bereitstehenden Mehlwagen war sein nächstes Geschäft. Hohl sollte sie liegen und doch wohl verdeckt. Der fahrende Knecht mußte unterrichtet werden, daß er am Thor zu sagen habe im Fall der Anfrage: die Ladung komme von Klosterneuburg; Conrad mußte in die Müllerjacke gesteckt und eingepudert werden; dessen Weib und Schwiegervater mußten in Spath's Wohnung zurückgehalten bleiben, damit nicht neue Nachfrage und Einsprache entstehe. Hans war fest gesammelt für seinen Zweck. Es geschah Alles genau, und als er und Conrad auf die Mehlsäcke hinaufgeklettert waren, als der Mehlwagen nach dem Hofthore hinaus knarrte, da sah er nicht mehr rückwärts. Er sah nicht hinauf nach dem Fenster der Frau Amalie, an welchem diese und Ludmilla standen, er dachte nicht daran, daß die Geliebte tief beleidigt sein könne durch seine Unaufmerksamkeit und Schweigsamkeit.
Es ward kein Wort gesprochen auf dem Wagen, welcher sich langsam fortbewegte. Die Mittagssonne brannte heiß. Der Bart-Conrad, sonst ein so herausforderndes Schwatzmaul, war sich diesmal doch auch bewußt, daß er in den Rachen einer Lebensgefahr hineingezogen werde. Diese versteckte Pulvermaschine unter den Säcken war ihm überhaupt unheimlich. Schon auf dem Karren von Ebersdorf herüber hatte er ihr mit Besorgniß zugesehen, wenn sie ein wenig aufgerüttelt wurde von einem Steine des Feldweges, der den Wagen aufhüpfen machte. Sonst war er doch wahrhaftig kein ängstlicher Mensch! Aber er hatte etwas geerbt vom Wesen der Ritter, wenigstens der Raubritter: Tapferkeit mit Faust und Gliedern, das war sein Element bis zum Aeußersten. Jedoch Tapferkeit im Stillhalten, Tapferkeit gegen geheimnißvolle Kräfte, die er nicht sehen, nicht berechnen konnte, das war nicht sein Geschmack. Und er war wirklich nicht klug geworden aus der Beschreibung, welche ihm Hans heute Morgen hatte angedeihen lassen; deshalb schaute er jetzt mit doppelter Scheu auf die Stelle unter den Mehlsäcken, wo das »Ding« steckte. Mit einem Worte, es war ihm unheimlich zu Muthe, und er fand es albern, daß er nicht wenigstens seiner Kathi und der kleinen Josephe noch ein herzhaftes »Busserl« gegeben zum Abschiede, wer weiß, ob – –!
Hans blickte mit heißem, trockenem Auge auf die Wälle der Stadt, welchen sie näher und näher rückten. Endlich waren sie auf der Wallgrabenbrücke des Schottenthores – da dröhnte ein dumpfer Schall durch die Luft und ein zweiter, ein dritter! Es waren die ersten Kanonenschüsse, welche von der Vorstadt »Landstraße« auf die Festung Wien abgefeuert wurden. Sie wirkten wie jeder Anfang überraschend und stark. Alles drängte ins Thor hinein, und auch der verstärkte Wachtposten innen markirte den Eindruck, daß es nun ernst und gefährlich würde. Der Kutscher des Mehlwagens wurde nicht gefragt: woher? und wohin? Man rief ihm nur zu, daß er sich beeilen müsse, wenn er wieder heraus wolle, denn das Thor werde geschlossen werden, der »Böhm« fange an zu schießen.
Jetzt wäre es Hans und Conrad wol vortheilhafter gewesen, wenn man sie nicht eingelassen, ja selbst wenn man sie erkannt und festgenommen hätte! Jetzt aber ließ man sie unbehindert ein, damit sie bis über Hals und Lippen in den Strudel gerathen konnten!
Die Straßen der Stadt, bis jetzt voll und belebt von all Denen, welche sich rüsten und mit Vorräthen versehen mochten, sie leerten sich bei diesen ersten Kanonenschüssen mit unglaublicher Schnelle und Geschicklichkeit. Jedermann sah im Davonlaufen scheu in die Höhe, ob eine Kugel gerade durch diese Gasse spaziert käme.
Der Wagen fand nicht das geringste Hinderniß bis zur Seilerstätte hinunter. Das Wildling'sche Haus dort war sein Ziel. Als er still hielt, puffte eine Kanonenkugel an den obersten Stock, prallte ab und fiel nahe am Wagen aufs Pflaster.
– Na, das fehlte noch, daß die dummen Böhmen uns treffen, die wir –
– Still! rief Hans halblaut.
Das Einschlagen der Kugel hatte Conrad von seiner unheimlichen Stimmung befreit und hatte Hans im Gegentheil einen traurigen Eindruck gemacht. Das Abprallen der Kugel war ein Zeichen von Kraftlosigkeit, und doch war die Seilerstätte zunächst dem Walle. Was konnte von so machtlosen Kugeln erwartet werden!
Uebrigens nützte diese Kugel den Ankommenden. Die Seilerstatt wurde leer, wie eine gefegte Tenne, und das Abladen einiger Mehlsäcke, unter ihnen des Petardensacks, wurde von Conrad und dem herbeigerufenen Jobst ohne irgend eine Störung bewerkstelligt. Das Haus schloß sich, und der Wagen mit den übrigen Säcken bewegte sich zu dem Bäcker, welcher dem Kutscher im Voraus bezeichnet war.
Trotzdem war der Vorgang beobachtet worden und zog unmittelbare Folgen nach sich.
Seit der Mittagsstunde nämlich war ein Mann angestellt, die Seilerstätte, und auf ihr besonders das Wildling'sche Haus, scharf im Auge zu behalten. Die Kanonenkugel hatte auch ihn in ein Hausthor gejagt, das Abladen einiger Mehlsäcke aber konnte er doch melden und er konnte hinzusetzen: zwei Müllerknechte seien nicht mehr herausgekommen aus dem Wildlingschen Hause; der Wagen sei ohne sie fortgefahren.
Die Seilerstätte und das Wildling'sche Haus waren schon nach der Odontius-Affaire durch Gangelberger als verdächtig an die Stadtguardia bezeichnet worden. Als nun Herr Tocke mit dem ledernen Sack voll von Papieren des Grafen Zdenko zum Herrn Provincial gekommen war, da hatte er nicht unterlassen, die Conrad'schen Worte von einer verrätherischen Oeffnung des Neuthores innerhalb der Stadt vermittelst eines »staubwerfenden« Instrumentes getreulich zu überliefern. Der Begriff »Neuthor« hatte zur Folge gehabt, daß man den »weißen Löwen« im Salzgries in der Nähe des »neuen« Thores unter geheime Aufsicht gestellt hatte. Heute Vormittag aber war eine neue »Post« eingelaufen. Es war der Bote Norberts vor dem Provincial erschienen, und hatte die »Frohnleichnamsoctave« und das »Stubenthor« als Zeit und Ort eines Verraths innerhalb der Mauern genannt. In der Frohnleichnamsoctave – so heißen die acht Tage zwischen dem 30. Mai und 6. Juni – befand man sich schon, der Kalender zeigte den dritten Juni! Hier schien also die Gefahr sehr nahe, und hier war das Wildling'sche Haus der wahrscheinliche Sitz derselben. Deshalb der Aufpasser. Dieser war beauftragt, jeden ungewöhnlichen Vorgang sogleich im Wachthause neben dem Jacoberkloster anzuzeigen, und dieser Aufpasser kam denn jetzt mit der Meldung: daß die Knechte des Mehlwagens das Wildling'sche Haus nicht mehr verlassen hätten. Von dort wurde es weiter gemeldet an die höhere Instanz, und binnen einer halben Stunde war ein Officier der Stadtguardia mit einem ganzen Dutzend seiner Leute unterwegs, das Wildling'sche Haus von oben bis unten zu durchsuchen.
Dessen war Wildling übrigens schon lange gewärtig und hatte sich vorgesehen. Das Hinterhaus war abgesperrt und versteckt wie eine Casematte. Es enthielt jenes Kellergeschoß, wo damals Odontius gepredigt, und die zwei Eingänge zu diesem Kellergeschoße waren kaum zu entdecken. Der eine war in Jobstens Küche, der andere hinter einer dunklen Treppe des Vorderhauses. Vor beiden Eingängen standen hohe Kleiderschränke, innerhalb deren drei Reihen von Kleidern hingen.
Durch den Schrank in Jobstens Küche war Hans, Conrad und der Petardensack durch den Betsaal ins Kellergeschoß hinab gebracht worden, und sie gingen dort sogleich an die Auspackung der Petarde und des zu ihr gehörigen Materials.
Herr von Wildling, das magere, kahlhäuptige Männchen von etwa fünfzig Jahren, sah neugierig zu, wie der metallene Kern allmälig herausgeschält wurde, und schilderte dem Junker Hans, was er ihm für Menschenkräfte zur Ausführung des Werkes stellen könne. Außer dem Raschmacher Urban und dem Schuster Pfeifer, welche beide zugegen waren, stünden noch zehn handfeste Bürger zu Gebote, welche sich beim Dunkelwerden einstellen würden. Zum Theil schon früher – fuhr er fort – denn es ist heute von oben befohlen worden, daß von neun Uhr an des Abends Niemand mehr auf der Straße erscheinen darf.
– Das bildete mit uns, sprach Hans, ein Contingent von etwa fünfzehn Mann. Graf Thurn hat mir aber damals in Staats erzählt, daß Ihr ihm in Tassowicz eine Mannschaft zugesagt habt –
– Allerdings, von circa vierzig Mann. Einige zwanzig Arbeitsleute stehen uns noch bereit, Salzschiffer, Ziegelstreicher, Schuster- und Schneidergesellen. Die sind gegen Abend immer in kleinen Weinschänken vertheilt und zechen da auf meine Kosten –
– Auf Kosten des Fonds! schaltete Urban ein, der Raschmacher.
– Des Fonds, ja, so lange er voll ist. Kurz, diese Leute sind unser jeden Abend gewärtig, und die Buben Jobstens holen sie herbei binnen einer Viertelstunde. Dort im Winkel lehnen, wie Ihr seht, Spieße für sie in hinreichender Anzahl.
– Macht fünfunddreißig Mann – ohne Disciplin und Kriegskunde. – Können sie heute Abend alle hier sein, um durch mich im Nothwendigsten instruirt zu werden?
– Ja freilich!
– Wie stark war bis jetzt die Wache besetzt neben dem Thor?
– Mit etwa zwanzig Mann.
– Das wird jetzt anders werden, seit die Beschießung angefangen!
– Mag sein! Aber wir haben auch noch eine ganz andere Hilfsquelle. Blanke Silbergulden – nicht blos aus dem Fond, wie Meister Urban glaubt – haben uns in den Compagnien der Feinde drei Zuträger erworben. Von denen erfahren wir täglich die Losungsworte und was der Feind sonst vorhat. Das wird Euch als Commandanten sehr zu Statten kommen. Ferner hab' ich drei Fässer ungrischen Wein von der hitzigsten Sorte in den Keller schroten lassen, die sollen uns wie drei Pulverfässer dienen. Drüben neben dem Jacoberkloster nämlich, dicht unterm Walle, ist eins jener »Losamentshäusel«, welches die Kriegsleute besonders gemüthlich finden. Dorthin absentiren sie sich von der Thorwache äußerst gern und in großer Schaar. Dorthin nun soll am entscheidenden Abend ein Faß ums andere des hitzigen Ungrischen gebracht werden wie von »oben« kommend, um »Animo« unter die Kriegsknechte zu bringen. Ich steh' dafür, daß binnen einer halben Stunde das Wachthaus leer und das Losamentshäusel voll ist und wir freie Hand bekommen.
– Gut. Das nächste Erforderniß ist nun, daß ich das Thor recognoscire. Wer führt mich?!
– Jetzt am lichten Tage?
– Während der ersten Beschießung, welcher Jedermann ausweicht, wird es am leichtesten ausführbar sein – was ist?
Der älteste Bube Jobstens fiel mehr als er lief die kleine Treppe herab und meldete angstvoll, daß ein großer Trupp der Guardia Haus und Hof besetze –
– Löscht die Lichter aus! flüsterte Wildling nach kurzer Pause des Schreckens. – Jobst und Deine Mutter sollen sich bereitwillig zeigen, alle Zimmer zu öffnen, und sollen aufschaun, daß nichts gestohlen werde – ich sei nicht daheim – sei auf die Burg gegangen – spring!
Die nächste Viertelstunde war unangenehm in der finstern Casematte. Besonders als durch die rasch gebildete Vorpostenkette die Nachricht kam: der Officier fände, daß ein breites Stück Mauer im Hofe nicht stimmen wolle zu den ersichtlichen Räumen, und daß der große Schrank hinter der Treppe im Hausflur aufgeschlossen werden müsse –
Das gab eine ziemliche Pause. – Raschmacher Urban sagte leise: Finden sie den Weg, dann still vorn in die Ecken und alle herunterlassen! Alsdann erst hinaus und die eiserne Thür zugeschlagen! Hier können sie verhungern, kein Mensch hört was von ihnen!
Niemand erwiderte einen Laut. Das mochte für Zustimmung gelten.
Eine lange Pause des Stillschweigens trat wieder ein. – Plötzlich hörte man ein halblautes Pfeifen von oben, welches den Anfang einer Volksmelodie modulirte –
– Es steht gut! flüsterte Wildling, das ist der älteste Bub, welcher das Sicherheitszeichen pfeift.
Endlich kam Jobst selbst. Die langen Gliedmaßen schlotterten ihm sehr, aber er weinte jetzt nicht. Das that er nur bei Rührung, und Rührung war ihm jetzt ferne. Halb war er erschrocken, halb war er ingrimmig. Sie hatten Alles durchsucht, auch den Mehlsack, der noch im Hausflur gestanden. Sie müßten etwas wittern, denn sie hätten von einer Pulvermaschine gesprochen, welche im Mehlsacke stecken könne. Und da hätten die Spitzbuben den ganzen Mehlsack mitgenommen. Glücklicherweise sei die »rothe Feder« nicht dabei gewesen, sonst wär's nicht so kurz abgelaufen. Aber das Haus, habe der Officier gesagt, bliebe Tag und Nacht unter »Vigilanz«.
Dies war das Schlimmste. Nun mußten die Buben fort und abbestellen für den Abend. Einige Tage mußte gewartet werden. Lange würde die »Vigilanz« nicht aushalten, meinte Wildling. Sie brauchten ihre Leute nothwendiger, wenn der Böhm brav schieße.
Er hatte ganz Recht. Die Stimmung in der Stadt Wien und oben in der Burg war eine sehr gedrückte und ängstliche. Die Kanonenkugeln hatten einen starken Eindruck gemacht, und was noch schlimmer war: Niemand wußte auf eine Hilfe hinzuweisen. Im Gegentheile! es verbreitete sich das Gerücht: der Lumpenburger Zierotin rücke mit einem zweiten Rebellenheer über Gänserndorf herab und werde von der Wasser- und Schottenseite Wien zusammenschnüren und zusammenschießen! – Wer nur sonst Zutritt hatte und einen Ruhepunkt finden konnte zwischen den Kanonenschüssen, der schlich in die Burg, um alle nachtheiligen Gerüchte an den Mann zu bringen. Der Mann, welchem sie alle zukommen sollten, war natürlich der König. Er müßte doch Alles wissen, wenn er das Ganze retten sollte! meinten sie. Und mit dem Ganzen meinten sie sich.
König Ferdinands Lage war sehr schwer. Sie wäre erdrückend für ihn geworden, wenn er nicht einen so starken Glauben besessen. Er glaubte fest an das alleinige Recht seiner Kirche, und daß Gott sie erretten und zum Siege führen werde, ja führen müsse. Der Sache Gottes ist ja doch stets der endliche Sieg! In solcher Sicherheit war ihm alle Noth nur ein Uebergang, nur eine Frage der Zeit. Daß er persönlich in dieser Noth des Ueberganges betroffen und im irdischen Sinne zerschmettert werden könne, das verbarg er sich nicht; denn er war bei aller Hingebung an die Kirche von nüchternem Verstande. Er sah es vor sich, daß dieser Donner und Regen von Kugeln mit seinem persönlichen Untergange enden könne, und als die Nacht auf diesen ersten Tag der Belagerung herabsank, da sank auch er in die Knie und betete inbrünstig um Stärke und Ausdauer.
Er that dies in seinem Schlafzimmer vor einem metallenen Crucifix und im Dunkeln; dem Diener, welcher brennende Kerzen brachte, hatte er fortgewinkt, und der Diener hatte gemeint, es solle der Feinde wegen das Licht in den Fenstern vermieden werden. Denn die Zimmer des Königs gingen auf die Bastei hinaus. Der König aber hatte es gethan, um volle Sammlung zu gewinnen für sein Gebet.
Er gewann sie auch. Die Welt der gläubigen Phantasie war übermächtig in ihm; sie öffnete ihm stets alle Pforten, alle Thore, sie trug ihn durch die Lüfte und zeigte ihm die Himmel und deren Bewohner getreulich so, ganz so wie die Legenden seiner Kirche das Himmelreich schilderten und ausmalten – das Metall des Crucifixes steigerte den ihm innewohnenden Schimmer von Minute zu Minute feuriger, und bildete einen Sonnenrahmen zauberischen Lichtes, die Musik der Engel kam näher und näher zu seinem Ohr, und er verstand allmälig die Worte einer Stimme, welche lauteten: »Gott ist mit Dir und wird Dir helfen!«
Sein Haupt sank auf die Brust, er schien der Erde ganz entrückt zu sein. Daß die Thür aufging und eine dunkle Gestalt eintrat, wurde er nicht gewahr.
Wohl eine Viertelstunde lang dauerte des Königs Gebet. Wer mag sondern, was Hallucination sei in eines gläubigen Menschen Seele, was Kraft des höheren Gedankens? Alle Religionen adeln das Wort »Hallucination« mit dem Ausdrucke »Verzückung«. Sie ist die Brücke zum Wunder. Der Nüchterne wird sie stets mit Mißtrauen ansehen, den Phantasiereichen wird sie stets beglücken.
Die dunkle Gestalt an der Thür sprach endlich mit leiser Stimme: Amen!
Der König hob das Haupt, bekreuzigte sich und stand auf. Er kannte die Amen sprechende Stimme und sagte nach kurzer Pause: Lieber Pater Bartholomäus, das Gebet hat mich tief erquickt. Ich sah keinen Schutz bei Menschen und flehte zu unserm Herrn: »Christus, Erlöser des Menschengeschlechtes, Du weißt, daß ich Deine Ehre suche, nicht die meine! Ist es Dein Wille, daß ich in dieser Noth meinen Feinden unterliege, daß ich ihrem Spotte bloßgestellt und mit Schmach überschüttet werde, so will ich diesen bitt'ren Kelch trinken. Dein Wille geschehe! Ich Unwürdiger bin zu Allem bereit«. Und siehe! Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, so ward ich voll Hoffnung, das Kreuz dort leuchtete im Dunkeln wie eine aufgehende Sonne, alle Wolken verschwanden, die Himmel öffneten sich vor mir, und ich hörte deutlich die Worte: »Dein Glaube ruht auf Felsengrund; Gott ist mit Dir und wird Dir helfen!«
– Amen! sprach nochmals der greise Jesuitenpater, ein milder, frommer Mann, und langsam setzte er hinzu: die Opfer, welche uns auferlegt werden, melden sich schreiend. Soeben kommt vom Thurme die Nachricht, daß der Hof unseres Ordens in Mauer, wo wir so gern verweilten, in Flammen steht –
– Die Röthe dort über den Gumpendorfer Weingärten – seht, seht wie sie anschwillt! sie zeigt uns die Brandfackel, welche der Hussit über uns schwingt. – Noch mehr! Unser kluger Rath Eggenberg, dessen wir jetzt so dringend bedürften, hat plötzlich ausgespannt.
– Wie?!
– Wir standen bei einander drüben im kleinen Rathszimmer, welches über den Lustgarten nach der Stadt hinüber schaut, da versagt ihm der Fuß und er sinkt zusammen –
– Ein Anfall seiner Gicht?!
– Vielleicht. Er wurde ganz ohnmächtig, und ich hab' ihm ein Lager aufschlagen lassen im kleinen Rathszimmer selber und den jungen italienischen Arzt zu ihm gesendet, welcher mit dem spanischen Ambassador im Corridor wandelte. Euch das zu melden, königlicher Sohn, trat ich hier ein.
– Gehen wir hinüber!
Ferdinand liebte Eggenberg warm und treu. Von Jugend auf kannte er ihn, und die weltkluge, mäßige Weise Eggenberg's hatte sich ihm stets bewährt in allen Rathschlägen. Es wäre ein harter Verlust gewesen, wenn er jetzt in höchster Noth den kundigen Freund hätte entbehren sollen.
Die Etiquette gestattete es, in müßiger Stunde einen treuen Diener, einen Freund zu besuchen am Krankenlager. Sie gingen hinüber.
Der spanische Ambassador, welchen sie im Corridore begegneten – er schien die Burg für sein Hauptquartier zu halten in so bedrängter Zeit – grüßte schweigend. Der kleine Mann mit dem gelben Angesicht sah bei der kärglichen Beleuchtung eines Pfeilerlämpchens fast unheimlich aus mit seinen kleinen, dunklen Augen.
– Was sagt Ihr zu unserer Lage, Herr Ambassador? fragte der König in spanischer Sprache, indem er stehen blieb.
– Die Gefahr wird gerade so groß werden, wie sie einem großen Charakter angemessen ist. Eure Majestät wird dieselbe immer noch um eines Kopfes Länge überragen und also keinen Schritt breit weichen, keine Spanne.
– Wie steht es um den armen Eggenberg?
– Besser! erwiderte der Marquis von Aytona, und da der König fortgeschritten während seiner letzten Frage, so war dies ein Zeichen, daß der Marquis folgen dürfe.
Doctor Blandini trat ihnen im kleinen Rathszimmer entgegen und berichtete, daß es ein acuter Gichtanfall sei, welcher so rasch, wie er gekommen, vorübergehen werde. Auf den heftigsten Schmerz in allen Gliedern sei der Kranke plötzlich in Schlummer gesunken. Wenn er aufwache, werde das fliegende Gift in die Füße gefahren und ein Podagra werde Ablagerung und Heilung werden.
– Er ist schon aufgewacht und schaut hierher! sprach leise Pater Bartholomäus.
Der König setzte sich an Eggenberg's Lager und sprach einige ermunternde Worte.
Eggenberg dankte mit matter Stimme, die sich aber rasch kräftigte, als ihm der König erzählte, wie ihn das Gebet erhoben und gestärkt habe zu voller Zuversicht.
– Zuversicht?! Ein nöthiges Wort für das, was kommen wird, Majestät! Die Nachrichten dieses Nachmittags haben meine Krankheitsanfälle geweckt. – Die Verräther im Innern der Stadt bleiben unsern Nachforschungen unerreichbar. Ja, sie scheinen mit uns zu spielen, ein Zeichen unserer Ohnmacht. Das neue Thor und das Stubenthor haben sie an uns verrathen lassen. Wahrscheinlich absichtlich verrathen lassen, damit wir uns zersplittern und damit sie am Ende ein unbeachtetes drittes Thor den Feinden öffnen. Dies – Nummer – Eins!
– Schone Dich, Hans, und sprich mit schwächerer Stimme!
– Nummer Zwei ist eine Gesandtschaft der Landstände, welche Euch bevorsteht. Der – nichtkatholischen!
– Wir müssen sie hereinlassen, wenn wir klug sind. Majestät, um Gotteswillen, hinhalten, nur hinhalten! den Stolz unterdrücken, auch den berechtigten! Nie und nirgend entscheiden, oder gar herausfordern! Wir sind über die Maßen ohnmächtig und auf Geduld angewiesen. Vierzehn Tage überstehen ist jetzt das Einmaleins unserer Aufgabe. Eine ganz kleine lichte Stelle ist mir heute von Budweis her gezeigt worden: Boucquoi denkt einen Schlag wagen zu können, wenn binnen acht Tagen die erwartete ungrische Verstärkung bis Caplitz durchdringt. Gelingt der Schlag, und ist Wien bis dahin nicht genommen, so muß Thurn an den Rückzug denken. Also was auch Eurer Majestät zugemuthet werden mag in der nächsten Woche: hinhalten, nur hinhalten! Unter den hiesigen Landständen sind immer noch einige, ich meine unter den nichtkatholischen –
– Unter den ketzerischen!
– Welche die Böhmen ungern sehen, Jörger zum Beispiele –
– Der?! – Nicht doch!
– Diese Leute acht Tage lang schonen bringt uns Vortheil. Und es ist mir heute eine Gelegenheit zugekommen. Ein Benedictiner von den Schotten hat mir ein Schreiben zugesendet, eine Anklage – das Folgende flüsterte Eggenberg nur – des Jesuitenprovincials!
– Was?!
– Ich beschwöre Majestät, mein Flüstern ohne Vorurtheil und geduldig anzuhören! Der Herr Provincial hat einen achtzigjährigen Greis, einen hochangesehenen Cavalier zur Nachtzeit überfallen, ihm das Haus über dem Kopfe anzünden, ihn nach Wien hereinschleppen und ins neue Jesuitenhaus bringen lassen. Dort schmachtet der Greis in Gefangenschaft seines persönlichen Jugendfeindes – dies soll der Provincial sein! – und verdirbt wahrscheinlich elendiglich –
– Sein Name?
– Ich bitte, leise, Majestät! der Ambassador –
– Sein Name?
– Zdenko von Zierotin.
– Ah! der berüchtigte Ketzer!
– Ja, aber ein Mann, der in Politicis keineswegs unser Feind ist! –
– In Politicis!
– Und der allgemeine Verehrung genießt unter den protestantischen Cavalieren. Wenn die Gesandtschaft derselben von dieser Gefangennahme erfährt, so fällt Oel ins Feuer. Wenn sie aber erfährt, daß Eure Majestät solche Handhabung weltlicher Macht von Seite des Ordens abweist –
– Eggenberg!
– So verliert ein Hauptvorwurf unserer Gegner seine Kraft, und der Verkehr mit jener Gesandtschaft wird leichter und geschmeidiger.
– Herr Hans Ulrich von Eggenberg, wenn Ihr nicht krank wäret, so würde ich Euch daran erinnern, daß ich vor zwanzig Jahren Euren Vater in Graz nach der sogenannten evangelischen Kirche wandeln gesehen, und daß Euer Jugendunterricht bedenklicher Natur gewesen ist. – Leichter Mann! Wie kannst Du inmitten des Kampfes für unsere Religion daran denken, die Vorstreiter unserer Religion zu verdächtigen und gar zu behelligen, damit uns ein Lächeln der Ketzer gewonnen werde! Du bist krank, und man darf Dir die Verirrung nicht zurechnen. Schone Dich! Suche zu schlafen! – Doctor! Sorgt für unsern Kranken mit aller Aufmerksamkeit! – Gute Nacht! –
Dergleichen Fragen waren so in voraus bei ihm beantwortet, daß sie gar keiner Prüfung bedurften, und auch keine Nachwirkung äußerten.
König Ferdinand legte sich in ruhiger Fassung zum Schlummer, und sein Schlaf war ihm treu bis gegen Sonnenaufgang, der ihn stets wieder wach zu finden pflegte.
Der ankleidende Diener hatte nichts Besonderes mitzutheilen über die verflossene Nacht, schrie aber plötzlich auf, als er nach Beendigung seines Geschäftes das Zimmer verlassen wollte –
– Was ist?
Der Diener zeigte zum Fenster. König Ferdinand wollte hingehen. – Um Christi willen nicht, Majestät! Hinweg, hinweg! – Aber der König war ein rüstiger Jägersmann und gar nicht schreckhaft, noch weniger furchtsam. Er betrachtete ohne Zeichen von Aufregung, was den Diener so entsetzt hatte: im Strahl der Morgensonne sah eine während der Nacht errichtete Batterie von der Sanct-Ulrich-Höhe herüber auf die Burg, eine furchtbare Nähe. Lichtgrauer Rauch stieg plötzlich auf, ein weißes Leuchten verhüllend, und mit dem Krachen der Kanonen fast gleichzeitig prasselten vom Dache der Burg Ziegelsteine und Mauergerölle. Der Diener hätte gern den König am Arme gefaßt und hinausgezogen, wenn es der Respect gestattet hätte. Langsam ging nun aber der König selbst. Kaum war er ins Vorzimmer getreten, so krachte und klirrte es in dem verlassenen Zimmer, eine Kanonenkugel war eingedrungen. –
Langsam schritt der König in den Corridor hinaus und winkte dem an allen Gliedern zitternden Diener zur Nachfolge. Vor den Zimmern, welche nach der Cillyburg hinüberschauten, blieb er stehen und befahl, daß diese jetzt zu seinen Wohn- und Schlafgemächern eingerichtet werden sollten. Er selbst schritt zur Capelle, nachdem er Auftrag gegeben den Arsenalhauptmann Santhelier zu rufen und Reitpferde zu satteln.
Wirklich stieg er nach Verlauf einer Viertelstunde im Schweizerhofe zu Pferde. Unter allgemeinem Erstaunen ritt er mit dem alten Kriegsmann und seinem herkömmlichen Gefolge – er zeigte sich nie öffentlich ohne stattliche Umgebung – mitten durch die Stadt, den Kohlenmarkt, die Bognergasse, den Hof entlang und durch den engen Heidenschuß nach dem tiefen Graben hinab, mitten in heftiger Kanonade, welche die Straßen leer gemacht. Ueberall eilte man an die Fenster und an die Hausthüren, und der ermuthigende Eindruck konnte nicht ausbleiben.
Am neuen Thore stieg er ab. Hier sah ihn Urban, der Raschmacher, welcher nach dem »weißen Löwen« zum Frühtrunk gehen wollte. Er nämlich allein hatte sich nicht zu dauernder Einsperrung verurtheilen lassen in der Wildling'schen Casematte. Er war dreist und verwegen, und verkehrte während des Tages in der Stadt. Abends ging er auf die Seilerstätte, ging frech an den Aufsichtspiquets vorüber, welche die Straße bewachten, und trat frech ins Wildling'sche Haus, um dort die Kunde seiner Tageserfahrungen auszubreiten und mit den Genossen zu erörtern, ob noch länger gewartet werden müsse.
Er war nicht wenig erstaunt, als er sah, wie sorgfältig der Erzherzog das neue Thor besichtigte von allen Seiten. Es wurde sogar geöffnet. Hier deckte ja der Canal, und ein Ueberfall bei Tage war nicht möglich.
Der König schickte sein Gefolge und die Rosse nach der Burg zurück. Was hatte er vor? Mit Santhelier allein stieg er auf die Bastei hinauf, und ging auf der Bastei nach dem rothen Thurme zu.
Urban hatte die Verwegenheit, folgen zu wollen. Vielleicht konnte er ein wichtiges Wort auffangen! Er wurde zurückgewiesen von den Wachen. – Nun eilte er quer durch die Stadt nach dem Stubenthore. Dort wird er wol herunterkommen, der Ferdinand! denn dort kommt er in die Schußlinie von der Landstraße her. Hier auf der Wasserseite ist's freilich nicht gefährlich!
Er hatte ganz richtig gerechnet. Kaum war er in der Nähe des Stubenthors, da stieg der König von der Biberbastei herunter, und besichtigte das Stubenthor ebenso genau wie vorher das Neuthor. Geöffnet aber wurde hier nicht, und als der König aus der Thorwölbung wieder heraustrat, da erschnappte Urban wirklich eine Aeußerung, sie lautete: »Hier wäre es gefährlicher, aber auch schwerer. Die Construction scheint sehr solid«.
Diese Worte sprechend stieg der König rechts wiederum auf die Bastei hinauf. Zu großem Erstaunen Urbans. Denn hier kam er in den Bereich der feindlichen Kugeln. Die heftige Beschießung hatte zwar seit einer Viertelstunde nachgelassen, aber einzelne Schüsse wurden doch immer noch abgebrannt. Es gelang dem Raschmacher, bis auf die Höhe der Rampe nachzufolgen – man hielt ihn wol für einen gut Königlichen, welcher die Muthesprobe des fürstlichen Herrn bewundern wolle – und von hier sah er, daß die Erscheinung des Königs lebhafte Bewegung unter den Kriegsleuten hervorrief, welche an den Schießscharten angestellt waren. Jeder beeilte sich, seine Wallbüchse einzulegen und abzufeuern nach den Geschützleuten drüben auf der Landstraße.
Niedergeschlagen ging Urban jetzt am hellen Tage ins Wildling'sche Haus hinüber, um den Genossen in der Casematte mitzutheilen, daß die Aussichten sehr düster wären. Die Aeußerungen des Erzherzogs über das Stubenthor deuteten offenbar darauf hin, daß man eines Anschlags auf dasselbe gewärtig sei, daß die Petardenlegung also auf vorbereiteten Widerstand stoßen werde. –
Hans litt bitterlich unter dieser länger und länger dauernden Verzögerung. Der Aufenthalt in dem Kellergeschoße war an sich unangenehm genug, und nur wenn die Hausthür verschlossen und von Jobst bewacht war, konnte man in den kleinen Hof hinauf, um Luft zu schöpfen. Dazu die Gesellschaft Conrads und des stier drein schauenden fanatischen Schusters Pfeifer Stunde um Stunde, denn Wildling selbst hatte sich doch wieder in seine Wohnung hinauf gewagt. Endlich der Mangel an Beschäftigung! die Rakete war längst fertig, der Luntenfaden ebenfalls, und Matrillbrett wie Petarde war den Genossen bereits so vielfach erklärt, daß sie alle schon damit umzugehen wußten wie mit Messer und Gabel. Stundenlang lag der arme Junker in brütender Pein auf seinem Strohsacke und vertiefte sich in die Leiden Zdenkos, welche die Phantasie ausmalte, und zu deren Beendigung er noch immer nichts unternehmen konnte!
So vergingen noch zwei Tage und Nächte. Da stieg des Morgens – es war der siebente Juni – Wildling mit frischem Zuruf in die Casematte herab. Nun können wir anfangen! rief er aus.
– Wie?! Ah! entgegnete man.
– Die Piquets sind abgezogen, und unsere Vertrauten in den Compagnien haben nun erfahren, wie die ganze Wirtschaft zusammenhängt. Der Feind hat Wind gehabt von unserm Unternehmen auf ein Thor. Aber nur Wind! In der Frohnleichnamsoctave würde es geschehen! hat sein Wind geblasen. Gestern ist die Octave abgelaufen, und heute fühlt er sich sicher, und glaubt nicht mehr an die Nachricht. Also, nun können wir ans Werk geh'n!
Das geschah denn. Man glaubte eben den Feind so ungeduldig, als man selber war! – Noch am selbigen Tage wurden gegen Abend die zehn Bürger eingeführt in Wildling's Haus und Casematte, um einexercirt zu werden, und am folgenden Abende kamen gegen zwanzig gemeine Leute für denselben Zweck. Die Tage waren als Junitage so lang, daß man nicht füglich mehr den Abend erwarten konnte, besonders weil von neun Uhr an schon die Laternen nöthig waren; man wurde also mit Ab- und Zugehen dreister, und meinte genug gethan zu haben, wenn Niemand von der Seite des Jacoberklosters kam und ging, neben welchem ein großes Wachtlocal, sondern wenn Jedermann von oben, von der Annagasse her komme und gehe.
Nach dem dritten Exercitiumsabende erklärten Hans und dessen Unterofficier Conrad, daß die Leute hinreichend geschult wären, und daß am nächsten Tage bei einbrechender Dämmerung die Unternehmung ins Werk gesetzt werden solle.
Wildling seinerseits hatte die richtigen Leute ausgesucht für die Weinfässer, welche die »christliche Ritterschaft« geschickt haben sollte, kurz, es war Alles fertig, und nun unternahm Hans den ersten Ausgang zur Recognoscirung. Nicht des Abends, wie er früher gewollt. Es war deutlich geworden, daß der Tag passender sei für solchen Zweck. Die Aufmerksamkeit der Wachen war am Tage geringer, und Hans gewann beim Tageslichte eine bessere Uebersicht. Der älteste Bub Jobstens allein sollte ihn begleiten und führen.
Dieser sehnlichst erwartete Tag brach denn an. Es war der elfte Juni. Der Himmel war mit einer leichten Wolkenschicht bedeckt, und die Sonne kam nicht zum Vorschein. Jobstens Martin – so hieß der vierzehnjährige, sehr gewandte Sprößling zu Ehren Doctor Luther's – führte den Junker nicht eher, als bis die Straßen belebt waren, aus dem Hause, und zwar nicht direct links nach dem Stubenthore, nein, nach der innern Stadt hinauf, um nicht sogleich an der Jacoberwacht vorbei zu müssen. Ganz wie es Abends geschehen sollte, führte er ihn: nach der Singerstraße hinauf, durch die Grünangergasse hinüber in ein enges Gäßchen, das Strobelgassel genannt. Hier war ein kleines Wirthshaus mit dem Schilde »zum Strobelkopf«, in welchem evangelische Bürger ihre »Auflage« hatten, wie Urban sagte. Hier sollte heute Abend sich die ganze Mannschaft zusammenfinden, hierher sollte unter Hansens, Conrads und Pfeifer's Geleit heut Abend die Petarde sammt Zubehör auf einem eisenfesten Handwägelchen gefahren werden. Das Handwägelchen, dessen Räder mit Stroh umwickelt waren, wollte man hier in die Mitte nehmen, und schließlich sollte der ganze Zug seinen Marsch die Wollzeil gerade hinab zum Stubenthor antreten.
Diesen Weg hatte jetzt Junker Hans mit Martin gemacht, und trat aus dem Strobelgassel in die Wollzeil, die Hauptstraße zum Stubenthore, hinaus. – Man hörte heute keine Kanonade, die Straßen füllten sich also mit Menschen, und aus allen Gruppen hörte man den Nothruf um Nahrungsmittel. Sie fingen dergestalt an zu mangeln, daß ein Pfund Fleisch bereits einen Silbergulden kostete. Auf dem Canal seien frische Nahrungsmittel von Nußdorf her angekommen, hieß es plötzlich in einer solchen Gruppe, und das Neuthor werde gegen Mittag aufgemacht werden, damit man draußen kaufen könne. Gott sei Dank! – Hans hörte das, und meinte bei sich, die Oeffnung des Neuthors bedeute wol für seine Sache, daß der Feind jeden Argwohn in Betreff der Thore aufgegeben habe.
Ungehindert kam er in die Nähe des Stubenthors; unscheinbar schaute er sich um, unscheinbar horchte er auf alle halblauten Erklärungen Martins. Ins Thor hinein konnte er freilich nicht, und die Pforten desselben konnte er nicht sehen, da zwischen ihnen und seinen Augen die Biegung des Gewölbes lag. »Gängen mer! gängen mer!« rief plötzlich Martin und zupfte den Junker. – Was ist? – »Die rothe Feder kommt von der Bastei abi!«
Sie eilten zurück in der Wollzeil hinauf. Die erste Quergasse links und rechts war die Riemerstraße, welche damals auf beiden Seiten der Wollzeil war; sie führte links von ihnen zum Jacoberkloster und weiterhin zur Seilerstätte. Dies dem Junker sagend, wollte Martin links in sie einbiegen. – Nein, Martin, entgegnete dieser; ich will noch nicht heim. Gehen wir rechts hinüber; es folgt uns Niemand.
Da er nun endlich im Freien war, glaubte er dem Bedürfnisse seines Herzens folgen zu können. Er wollte das Haus sehen, wo sein Vater Zdenko gefangen lag, und er wollte ins Schottenkloster zu Pater Dunstan. In seinem Mülleranzuge hoffte er unentdeckt bleiben zu können.
Zunächst also sollte ihn Martin zum Jesuitenhause führen. Das ist weit, Herr, 's Jesuitercolleg ist am Hof. – Nein, Martin, bei der Universität soll's sein! – Aha, das ist das neuje – kommen's!
Sie waren an der Hinterseite desselben, und durch die Schulgasse führte ihn Martin nach der Vorderseite. Hans stand nach einer Minute da, wo Tschirill in der Nacht gestanden! – das Herz krampfte sich ihm zusammen, unbeweglich blieb er stehen.
Herr Tocke kam eben die Stufen herab. Er hatte Audienz gehabt beim Provincial, und hatte sich eine lange Nase geholt wegen seines Neuthors, von dessen Sprengung er vor acht Tagen berichtet. Trotz des Ablaufs der Octave war der Provincial fest geblieben in Betreff des Stubenthors, und hatte ihm soeben aufgetragen, dies dem Medardo mitzutheilen, und demgemäß Verhaltungsbefehle an diesen.
Er ging dicht an Hans vorüber, als dieser just die Hand von den Augen zog, welche er sich in schmerzlichem Weh bedeckt hatte. Das feine Gesicht des Müllerknechtes fiel ihm auf – er hatte einmal draußen in Hernals beim Candidaten Götzinger den sächsischen Junker vorübergehen sehen – er hielt im Gehen inne, und sah zurück nach dem Müller. Martin bemerkte das, und flüsterte dem Junker zu, daß er verdächtig »ang'schaut« werde, und daß er ihm nach links hin folgen möge, ohne sich selber »umz'schaun«, damit er dem »blauen Hupfer« nicht sein Gesicht noch einmal zeige.
Hans gehorchte mechanisch. Herr Tocke folgte ihnen. Martin bemerkte das, und schritt aus. Das Gassengewinde war da eng und verworren nach dem Heiligenkreuzerhof hinüber, den Martin gewinnen wollte – und er gewann ihn auch, da Herr Tocke in seiner Eigenschaft als neutraler Kunstfreund keine offene Verfolgung anstellen mochte.
Durch die Kölnerhofgasse bis in den alten Fleischmarkt hatte er Hans glücklich bugsirt, und machte nun erst die praktische Bemerkung, ob es nicht besser sei, sie drückten sich nach Hause, da der Herr »Ritter« doch erkannt zu werden schiene. Hans bestand aber darauf, ins Schottenkloster geführt zu werden. Martin gehorchte.
Ohne weiteren Unfall kamen sie hin, erhielten aber vom Pförtner den traurigen Bescheid: Pater Dunstan sei ausgegangen, und wann er wiederkehre, das wisse Niemand.
Nun bestand Martin seinerseits mit einer an dem Knaben befremdlichen Festigkeit darauf, den Junker heim zu führen. Die Festigkeit rührte von dem Dienste her, in welchem der kleine Bursch eingewöhnt war als geheimer Botenlaufer der sogenannten Loge. Er habe für heute Abend, sagte er, so viel Bestellungen auszurichten, daß er den Herrn »Ritter« verlassen müßte, und das dürfe er doch nicht wegen des »Vatters«!
Hans fügte sich. Er erkannte die Harrach'schen Häuser, an welchen er jetzt vorüberging, und meinte, Isabella oben am Fenster stehen zu sehen – wahrhaftig, sie war es! sie sah auf ihn herab; ernst und schwermüthig war ihr Blick, welcher an dem Müllerknechte nicht haften blieb, da sie nicht ahnen konnte, wen diese staubige Hülle barg.
Sie sah auf die Menschenmassen, welche in ungewöhnlicher Zahl und Hast nach dem tiefen Graben hin drängten.
Diese Bewegung ging durch die ganze Stadt, und erleichterte Hans und Martin die unbemerkte Rückkehr. – Sie galt dem offenen Neuthor. Nicht blos der Nahrungsmittel wegen, nein! die Cavaliere kämen dort herein, hieß es, und die Belagerung werde nun ein Ende nehmen. Der König werde mit ihnen unterhandeln, und es werde ein Ausgleich zu Stande kommen.
Die parlamentarische Gesandtschaft Thonradl's, wie er sie genannt hatte, war gemeint. Sie kam von Hernals, wohin Thonradl das Rendezvous bestimmt hatte zu schmerzlichem Aerger Jörger's. Sie sollte außen am Schottenthor vorüber den Wallgraben entlang zur Brücke am Neuthor reiten, und von da zur Burg hinaufziehen. Die Oeffnung des Schottenthors war ihr verweigert worden von Eggenberg, der übrigens entgegenkommend und höflich mit ihr parlamentirt hatte.
Die Bevölkerung Wiens hat von jeher für besonders neugierig gegolten, und diese Eigenschaft verleugnete sie denn auch bei dieser Gelegenheit nicht. Sie strömte von allen Seiten nach dem neuen Thore, und Herr wie Frau Riedl fanden, daß dies eine billige Entschädigung sei für die Entbehrungen der Stadt Wien und des »weißen Löwen« während der Belagerung. An Wein fehlte es dem »Löwen« noch nicht für alle die durstigen Seelen, welche außen am Salzgries Station gemacht hatten wegen Ueberfülle des innern Löwen-Locals. Er schmeckt draußen fast noch besser bei der warmen Witterung, der »Heurige!« sagte Frau Riedel zu jeder Gruppe, der sie Labung zutrug, auch zu Herrn Tocke und Signor Medardo, welche sich in einem Hausflure niedergelassen hatten.
Das Herz führte sie nicht zusammen, aber das Geschäft. Beide hatten, was das Herz betraf, einen Zahn aufeinander. Herr Tocke auf Medardo, weil dieser mit Brémont den »krausköpfigen« Diener hatte durchschlüpfen lassen. Denn er wußte, daß seine Wirthsfrau den Krauskopf am Lugeck hatte herumtrödeln sehen, als sie zum Einkauf nach dem Markte gegangen. Der Tölpel hatte sie angesprochen, hatte nach den »Schotten« gefragt, und gerade um diese Zeit hätte Medardo und Brémont in dieser Gegend sein können! – Medardo seinerseits war tückisch auf Herrn Tocke wegen des albernen Versuches, ihm den »Krauskopf« und die Einbringung des Grafen zu verschweigen, und als er das hellblaue Männchen hier vor dem »Löwen« sitzend gefunden, da war er vertraulich zu ihm getreten und hatte Anstalt gemacht, sich neben ihm niederzulassen. Er wußte, daß es Herrn Tocke äußerst unangenehm war, mit einem notorischen »Officianten« vertraut gesehen zu werden. Herr Tocke war deshalb in ein Haus geflüchtet, und Resi hatte den Stammgästen Sessel nachgetragen. Hier mußte sich Herr Tocke ergeben, und er ergab sich. Er hatte auch viel auf dem Herzen. Von ihm rührte ja die Angabe des Neuthors her, und für die Richtigkeit dieser Angabe sammelte er Beweise. Er wußte recht gut, daß Medardo für die Verdächtigung des Stubenthors handelte, und da er den Auftrag des Provincials, das Stubenthor betreffend, doch ausrichten mußte, so gab er sich das Ansehen höherer Nachgiebigkeit. Schließen wir Frieden über diesen Punkt, sagte er, damit nicht das Ganze unter unserer Streitigkeit leide. Es leidet schon! – Und nun erzählte er, daß er einem Mühlknechte begegnet sei, und in diesem den sächsischen Junker erkannt habe. – Medardo schrie auf. Es fiel ihm ein, daß er am Stubenthor ebenfalls, und der Beschreibung nach nur wenige Minuten vorher, einen Mühlknecht gesehen, und daß sich derselbe nach der Universität hin eilig entfernt habe. Es ist derselbe! das Complot besteht also doch! Und wo finden wir ihn? Am Stubenthor! das hat er recognoscirt.
– Fixe Idee! – entgegnete Tocke, sich rechthaberisch vergessend. – Warum wählen die Cavaliere das neue Thor zum Einzuge? Um hier Sorglosigkeit zu erzeugen, ihre Leute in der Nähe einzulegen – –
– Sie kommen! sie kommen! schrie man auf der Straße, und die Fluth wälzte sich näher zum Neuthore. Medardo nahm dies zur Veranlassung, Herrn Tocke Ade zu sagen; er mischte sich unter die Menge. Aber er hatte nun andere Dinge vor, als die Cavaliere anzuschauen. Die Anwesenheit des sächsischen Junkers war ihm ein Ereigniß von größter Wichtigkeit. Während der letzten Tage war es ihm nicht entgangen, daß in der Seilerstatt wieder Verkehr entstanden war, und er kam auf seinen alten Gedanken zurück, daß im Wildling'schen Hause doch ein Hauptquartier und daß die neuliche Haussuchung eine Stümperarbeit gewesen sei. Und heute gerade wagt sich der Junker ans Licht und betrachtet das Stubenthor! Heute, da die Cavaliere durchs Neuthor einziehen? Das geht zusammen! Heute soll der Schlag geschehen, Diavolo!
Unter diesem Schlusse eilte er in die Stadt hinauf, um alle möglichen Gegenmaßregeln zu veranlassen.
Die Cavaliere waren übrigens trotz des allgemeinen Rufs: »Sie kommen!« noch nicht gekommen, wie das zu gehen pflegt bei öffentlichen Erwartungen. Im Gegentheile war die zuströmende Menge auch noch anderswie enttäuscht worden. Sie hatte gehofft, hinaus zu dürfen bis über die Brücke, bis aufs Glacis, um bei dieser Gelegenheit einmal frische Luft zu schöpfen. Aber der alte Santhelier erschien mit Soldaten, und ließ das Volk nicht hinaus. Er sah bärbeißiger aus als je, und die Ankunft der Cavaliere schien ihm gar nicht erwünscht zu sein. Denn als ihm von seinen Leuten gemeldet wurde, daß sie nun wirklich kämen, da ritt er verdrießlich seitwärts hinauf auf die Bastei, ihnen also geradezu aus dem Wege, und da oben schaute er wie eine Bildsäule starr nach dem Canal hinauf, als wollte er den Leopoldsberg auswendig lernen. Den glänzenden Einzug unter sich würdigte er keines Blicks.
Als dieser Zug den breiten Raum zurückgelegt hatte von der Brücke draußen durch die lange Thorwölbung unter dem Walle, über den Platz neben dem unteren Arsenal, und nun endlich beim Thurme am Salzgries vor den Augen der Menge erschien, da empfing ihn zunächst tiefes Schweigen. Dann entstand ein Geschrei wie Begrüßung, und dazwischen hörte man klar und deutlich: »Stille! Stille!« rufen.
In Summa: die Wiener wußten nicht recht, wie sie sich diesem Einzug gegenüber verhalten sollten. Die Cavaliere waren ja Ketzer, und von Ketzern wurde die Stadt belagert und so schwer geplagt! Aber es waren doch Cavaliere! Vor den mächtigen Herren, welche auch nach oben Charakter und Macht entwickelten, hatte man den eingewohnten Respect. Und die schönen Pferde, die stolzen Gestalten, die reiche Dienerschaft, und der stolze Thonradl auf dem großen Rappen, der populäre Herr aus Ebergassing, der grob war nach oben wie nach unten, und zum Theil deshalb populär – das Alles ging doch über die politischen Einschränkungen hinweg, und die Wiener sahen dem stattlichen Zuge am Ende ganz behaglich zu. Es waren sechzehn Cavaliere, und jeder führte zwei bis drei berittene Diener mit, das gab also über ein halbes Hundert Reiter, welche jetzt in der Nachmittagsstunde den tiefen Graben hinauf ritten nach der Burg.
Solche Episoden in Revolutionen üben immer einen Reiz auf die Menge. Die Logik spielt dabei gewöhnlich eine untergeordnete Rolle. Sie war auch hier ziemlich verworren. Man wollte von dem bedrängten Könige eine Unterschrift erpressen, und doch waren die draußen lagernden Böhmen längst der erfahrungsmäßigen Meinung: eine abgedrängte Unterschrift bedeute nur so lange etwas, als der Drang dauert.
Einige der Cavaliere, welche eng zu Thonradl hielten, waren derselben Meinung, und ihre Absicht gegen König Ferdinand ging weiter; ihnen war die Unterschrift nur Einleitung.
So verging jener Sommernachmittag Wiens am elften Juni in lähmender Spannung. Die Gegensätze waren verschoben, die Wünsche verwirrt, und die Mehrzahl wußte nicht, was eigentlich vorginge, wofür sie Partei nehmen sollte, während der König in der entsetzlichsten Lage war, und Alles auf dem Spiele stand für ihn – und für die Cavaliere. Für die letzteren, wenn ein entschlossener Kriegsoberst eigenmächtig zu handeln wagte.
Am peinlichsten aber litt Eggenberg, welcher die Zusammenkunft vermittelt hatte, denn gleich nach Ankunft der Cavaliere im Schweizerhofe zeigte sich's deutlich, daß sie mit anmaßender Dreistigkeit sich geberdeten, daß sie absichtlich herausforderten und die Sitte des Hauses mit Füßen traten. Wie ein Sturmwind waren sie die Stiege hinaufgebraust.
Eggenberg lag noch an seiner Gicht krank darnieder in jenem Zimmer der Burg, wo ihn der König besucht hatte, und an sein Lager kam von Viertelstunde zu Viertelstunde Botschaft, welchen Verlauf die Angelegenheit nähme. Zuerst hieß es: Sie stimmen einen Ton an, als ob der König ihres Gleichen wäre. Der König verweist ihnen das, und in mäßigerem Tone wird ihm nun von einer Ausgleichungsschrift gesprochen, welche er anhören, billigen und unterschreiben möge. – Dann kam die Nachricht: der König hat der Vorlesung aufmerksam zugehört, und dann so ruhig wie würdig erklärt, es seien Irrthümer in der Schrift, welche er widerlegen wolle. Thonradl hat heftig drein gerufen, man sei nicht da, um zu disputiren! Einige Gemäßigte haben ihn zurückgedrängt und eine Debatte mit dem Könige eröffnet, in welcher der König mit großer Kenntniß aller Einzelnheiten seine widersprechende Ansicht aufrecht erhalten. Diese Debatte wird immer lebhafter, und der König hat Mühe, seine abgesonderte Stellung zu bewahren, indem die heftig Redenden von allen Seiten zudrängen und ihn umringen möchten. – In der nächsten Viertelstunde stürzte ein Kämmerling zu Eggenberg: es sei unverantwortlich, den König solchen Scenen auszusetzen. Man habe soeben ihn und seine Genossen aus dem Zimmer gewiesen! Der König sei allein mit den Rebellen; nur Harrach behaupte noch mühsam an der halbgeöffneten Thüre, die auf den Corridor führe, seinen Stand. Die Unterschrift werde jetzt verlangt ohne Weiteres. Der König lehne schweigend ab durch eine Handbewegung, und erhalte sich nur noch durch seine persönliche Würde frei von Zudringlichkeit. Wer zu dieser Zusammenkunft gerathen, sei ein Verräther der Krone!
Eggenberg versuchte es, von seinem Lager aufzustehen, und befahl seinem Diener, ihn anzukleiden. Was war ihm körperlicher Schmerz gegen solche moralische Marter! Weniger als jeder Andere war er im Stande, den Vorwurf zu ertragen, als habe er die Würde des Monarchen leichtsinnig ausgesetzt. Zu allen Zeiten pflegte der um den Hof sich sammelnde Adel Vorrechte zu beanspruchen. Zu diesen Vorrechten gehörte es, daß die ältesten Geschlechter vorzugsweise berufen seien, den Monarchen zu berathen und zu leiten. Fiel diese Aufgabe einmal dem Sprößlinge eines jüngeren Geschlechtes zu, oder gar einem Emporkömmlinge, welcher der erste werden sollte für ein notables Geschlecht, dann wehe diesem und jenem, wenn dem Monarchen etwas begegnete, was seiner Würde zu widersprechen schien! Es wurde schonungsloser beurtheilt, als wenn er dem Reiche eine Provinz verloren hätte. In solcher Lage war aber jetzt Eggenberg. Seine Familie war als Adelsgeschlecht von jüngerem Datum. Noch vor zwei Jahrhunderten waren die Eggenberg Kaufleute gewesen in der Steiermark, und erst Kaiser Friedrich der Vierte hatte einen Eggenberg, welcher sich dem Kaiser durch Rath und That in ökonomischen Fragen werthvoll erwies, in den Stand des Reichsadels erhoben. Deshalb lag jetzt für Hans Ulrich von Eggenberg in jeder Meldung eines Kämmerlings der Vorwurf: warum vertraut man einem solchen Neulinge die Person des Monarchen! deshalb wollte er selbst hinüber in die Versammlung, auch wenn er darüber den gelähmten Körper zerbrechen sollte. –
Die schmerzenden Glieder waren noch nicht ganz in die Kleider gezerrt, da kam auch schon mit erhöhter Wucht das letzte Gewicht über ihn: Harrach selbst stürzte ins Zimmer.
– Um Gotteswillen, Eggenberg, schaff' Hilfe! die wildesten Absichten treten zu Tage! Ich habe soeben Thonradl zu seinem Anhange sagen hören: »Nun hat's lange genug gedauert, machen wir ein Ende! In ein Kloster mit ihm, und die Buben evangelisch erzieh'n!« Der einzige Jörger widersetzt sich ernsthaft und mit lobenswerther Tapferkeit. Er kann's nicht aufhalten; sie haben offenbar eine Entführung vor. Die Thüren sind besetzt, an jeder stehen zwei Cavaliere, daß der König nicht hinaus kann, und schaffst Du nicht binnen einer Viertelstunde Kriegsleute herbei, so nehmen sie den König in die Mitte, drängen ihn in den Hof hinab, heben ihn auf ein Roß, und führen ihn hinweg – das ist Thonradl's Absicht, es ist mir sonnenklar; schaffe Kriegsleute!
– Wo soll ich sie hernehmen? – stöhnte Eggenberg – wenn ich sie von den Wällen und Thoren holen lasse, so stürmt der Feind an der entblößten Stelle! Hört Ihr nicht, wie die Kanonade immer stärker brüllt?!
– Ja wol, seit einer halben Stunde! dies ist sicherlich verabredet, um uns einzuschüchtern –
– Schickt nach Santhelier ins Arsenal, ob er eine Compagnie herführen, und den Ausgang über die Brücke des Schweizerhofes besetzen kann. Eilt, eilt hinab! rief Eggenberg einem Diener zu, welcher augenblicklich folgte. – Besser, wir schließen uns ein mit den Widersachern und fechten selbst mit ihnen – man soll alle Trabanten und Wachen zusammenzieh'n! – als daß wir sie hinauslassen bis unter ein Thor. Dort würden sie sich festsetzen, die Anhänger in der Stadt würden sich zu ihnen schlagen, die geheimen Vorbereitungen zur Sprengung eines Thores würden ins Werk gesetzt werden, und der Böhme dränge herein –
– Dem Könige zu Hilfe im Namen aller Heiligen! rief in spanischer Sprache eine Stimme herein vom Corridor, und der Mann, welchem die Stimme angehörte, trat in die Thür. Es war der spanische Gesandte; leise setzte er hinzu, indem er Eggenberg ganz nahe trat: Ihr seid schuld! Sie legen Hand an den königlichen Herrn!
– Hinüber also! sagte Eggenberg, welchen sein Diener kaum aufrecht hielt, so brachen die Schmerzen ihm die Spannkraft der Glieder. – Was führt Dich zurück?
Diese Worte galten dem Diener, welcher nach Santhelier geschickt worden war. Er berichtete keuchend: die bewaffneten Diener der Cavaliere ließen unten Niemand hinaus.
– Hinüber! hinüber! ächzte Eggenberg und drängte hinaus. Harrach, der Marquis von Aytona und der Kämmerling gingen mit ihm. Was es helfen sollte, wußte Keiner, aber man hatte das Bedürfniß, nur irgend etwas zu thun. Eggenberg mußte von seinem Diener fast getragen werden, so sehr versagten ihm die Füße unter grimmigen Schmerzen. Dennoch gewann er die Fassung, um dem Marquis zu rathen: er möge nicht mitgehen. Auf ihn, auf den spanischen Gesandten würde sich der aufgeregte Zorn stürzen, sein Leben komme in Gefahr. Er möge lieber von Trabanten und Wachen zusammenholen in der Burg, was sich auffinden lasse, und sie an der Stiege aufstellen –
Der Marquis übernahm es. – Sie kamen an die Thür, hinter welcher die Scene spielte, welche das Schicksal Europas ändern konnte, wenn das verwegene Vorhaben Thonradl's gelang, wenn König Ferdinand entführt und aus den Mauern Wiens gebracht wurde.
Es war dieselbe Thür, vor welcher der König vor acht Tagen gestanden und die er bezeichnet hatte als seine neue Wohnung. Sie war nur angelehnt. Harrach war von hier gekommen, und stieß sie jetzt wieder auf. Zurück! schrie man heraus. Es waren zwei Cavaliere, welche dort Wache hielten. Sie thaten indeß nichts weiter, und ließen den Flügel offen stehen, weil der Anblick Eggenberg's sie befremdete. Er brach an der Schwelle zusammen unter den Händen seines Dieners, und wurde bewußtlos.
Drinnen im großen Zimmer stellten sich zwei Gruppen dar. Nahe an der Thür Jörger, der hochroth vor Erregung gesticulirte. Wie haltlos er im Innern seines Hauses oft erscheinen mochte, hier war er jetzt straff und ganz und zum Widerstande entschlossen gegen einen Gewaltschritt. Nahe am Fenster aber die Cavaliere, welche Thonradl folgten, und der König. Der König war ersichtlich vor ihrem Zudrange zurückgetreten, und stand auf einer Erhöhung, welche am Fußboden in der Fensterbrüstung angebracht war. Man sah von der Thür aus, daß sein sonst immer geröthetes Angesicht blaß war und leise zuckte. Aber seine Haltung erschien – obwol diese Marter schon stundenlang dauerte – immer noch würdevoll. – Das Aeußerste stand jetzt bevor: Thonradl streckte die Hand nach ihm aus und ergriff einen Knopf seines Wamses. In der Gruppe schrie jeder, aber durch das Geschrei hindurch hörte man doch verständlich die brutale Stimme Thonradl's: ihre Geduld sei erschöpft und Nandl müsse sich fügen!
Da wendete jählings der König sein Haupt nach dem Fenster, und Thonradl ließ den Knopf fahren, eine Todtenstille trat ein – man hörte schmetternde Trompeten.
Harrach sprang ins Zimmer – der bewußtlose Eggenberg war weggetragen worden – und eilte an das Fenster, welches noch frei war. Denn an dem einen stand der König, ans zweite waren Cavaliere geeilt, durch das dritte sah Harrach mit Entzücken, was sich da unten – dem jetzigen inneren Burgplatze – ereignete: der alte Santhelier sprengte im Galopp, seinen Degen hoch schwingend, von der Seite des Kohlenmarktes daher, und hinter ihm ein Zug Geharnischter nach dem andern, »in völligem Spornstreich, mit aufgezogenen Röhren und zum Angriff gehörigen armis«, wie die actenmäßige Beschreibung sagt. Halt! commandirte die Löwenstimme des alten Kriegsmannes, und fertig zum Angriff ordnete sich rasselnd die blitzende Schaar, die von Minute zu Minute anwuchs, denn immer wieder ein neuer Zug sprengte herzu, und ordnete sich hinter den bereits aufgestellten.
Auf diese Hilfe hatte Santhelier oben von der Neuthorbastei harrend ausgeschaut. Nach ihr hatte er damals, als Conrad an ihm vorbeiging und die Worte »Krems« und »florentinisch« hörte, den Reitersmann abgesendet. Der Großherzog von Toscana hatte vor zwei Monaten die Werbung eines Reiterregimentes im kölnischen Lande beginnen lassen, und von diesem florentinischen Regimente hatte der Erzherzog Leopold, der Bruder Ferdinands, von Passau aus nach Krems senden lassen, was fertig war in Rüstung. Niemand hatte eigentlich diese Hilfe vorbedacht, Niemand hatte auf sie rechnen können; das gute Glück Oesterreichs – hier wie die Sonne durch eine Gewitterwand brechend – hatte dem alten Santhelier die Eingebung gebracht, eben auf gut Glück seine Boten nach Krems zu senden. Mehrere fertig gerüstete Compagnien waren im letzten Augenblicke eingetroffen, waren nach seiner Anordnung auf Tschaiken gesetzt und die Donau herabgeführt worden. Vor einer halben Stunde waren sie im Canale angekommen unten am Fischerthore, wo das Wasser des Canals in den Wallgraben hinüber nach dem unteren Arsenale beim Neuthor mündete, und von hier hatte sie Santhelier in donnerndem Galopp hinaufgeführt vor die Burg, desselbigen Weges, welchen die Cavaliere an diesem Nachmittage genommen hatten. Jetzt sank der Abend nieder, und der alte Kriegsmann mit diesen Reitern – Dampierre's Cürassiere genannt – entschied mit ihnen das Schicksal des verhängnißvollen Tages.
Denn jetzt war für Thonradl und Genossen keine Aussicht mehr auf Erfolg, sondern Aussicht auf eigene Lebensgefahr. Der Spieß war umgekehrt. Wenn sie zögerten, konnten sie in der Burg gefangen sein. Sie waren's schon.
Santhelier salutirte zu seinem Könige hinauf, und hielt sein Schwert erhoben gleichsam wie ein Fragezeichen, ob er die Cavaliere festhalten solle, welche in den Schweizerhof hinabgeeilt waren und auf ihre Pferde sprangen. Der König, welcher das Fenster geöffnet und mit der Hand gedankt hatte, verstand wol auch das Fragezeichen, und hinter ihm beschwor in fliegender spanischer Rede der Marquis von Aytona die »gerettete Majestät« auf das Dringendste, den Sieg nicht aus der Hand zu geben, und die Rebellen nicht fortzulassen – ein Wort des Königs hinab an Santhelier, ein Wink hätte genügt! – Der König aber machte ein Zeichen, daß man sie ziehen lassen solle.
Und während dieses gefährlichen Augenblicks hatte der Raschmacher Urban, der schon lang im Schweizerhofe bei den Dienern gewesen, die freche Geistesgegenwart, sich an Thonradl zu drängen, als dieser mühsam aufs Roß kletterte, und ihm zuzuflüstern: der sächsische Junker läßt Thurn vermelden, daß heut' Abend um Neun das Stubenthor gesprengt wird, heut'! – Wird bestellt werden, wenn man uns hinaus läßt! grunzte Thonradl, und des Schlimmsten gewärtig, ritten die Cavaliere über die Zugbrücke an den Cürassieren entlang.
Es geschah ihnen nichts, und bei der Biegung in die Herrengasse spornten sie aufathmend ihre Pferde, nach dem Neuthore hinab, durchs Neuthor hinaussprengend in Hast und Eile. Nur unter dem Neuthore selbst veranlaßte die Stentorstimme Thonradl's einen plötzlichen Halt. Halblaut sprach er zu seinen Nachbarn: Wollen wir hier zwischen den offenen Thorflügeln halten, und einen Boten an Thurn hinüber senden, daß er ein Regiment hieher dirigirt? Wir halten aus, bis es kommt, und die Stadt wird erobert durch dieses Loch, wie? Sollen wir nicht?
– Das ist unehrlich! rief von hinten unter der Thorwölbung eine Stimme; wir sind unter dem Titel von Parlamentarien eingelassen, und brächen solchergestalt loyale Kriegessitte. Es war Jörger's Stimme.
– Ah, pah! schrie Thonradl; ein ganzer Chorus von Stimmen aber rief: Vorwärts! Hinaus!
Und sie ritten hinaus, und die Flügel des Neuthors flogen zu hinter ihnen.
Die Bewölkung des Himmels war den ganzen Tag dicht geblieben, und hatte sich gegen Abend dunkler und dunkler angehäuft. Die Nacht trat zeitig ein; Windstöße erhoben sich; Regenschauer flogen nieder.
Der Sturm auf die Burg war zerstreut; aber der Sturm auf die Stadt, welcher jetzt nahe bevorstand, konnte durch frühe Dunkelheit und regnerisches Wetter nur unterstützt werden; der Sturm auf die Burg hatte ihm günstig vorgearbeitet.
Medardo nämlich, dessen Spürnase den Ort und die Nähe der Gefahr ganz richtig erwittert, fand nirgends Aufmerksamkeit und bereiten Willen, als er eine Compagnie verlangte zur Sicherheit des Stubenthores und zur Besetzung des Wildlingschen Hauses. So lange die Cavaliere in der Burg waren, und die Beschießung von außen so lebhaft betrieben wurde, mochte kein militärischer Befehlshaber auch nur einen Mann seiner Truppen abgeben. Medardo lief unverrichteter Sache von einem Posten zum andern.
Erst jetzt in der Dunkelheit, als die Cavaliere fort und die Geschützsalven verstummt waren, hörte man auf ihn. Zu spät! denn als er nun mit hundert Mann beim Wachthause neben dem Jacoberkloster ankam, war die Nacht völlig hereingebrochen, und der Ausmarsch mit der Petarde aus dem Wildling'schen Hause hatte schon begonnen. Medardo wurde dessen sogleich inne; denn als die Truppe beim Wachthause aufgestellt gewesen, war er eiligst vorausgeeilt in die Seilerstatt hinauf, um zu recognosciren, und da hatte er entdeckt, daß ein verdächtiger Menschenknäuel, aus der Gegend des Wildling'schen Hauses herkommend, soeben in die Weihburggasse eingebogen war. Einen Knäuel von Menschen während finsterer Abendzeit gab's in Wien gar nicht während dieser scharfen Belagerungstage, wenn's nicht ein soldatischer Haufe war. Ein solcher war es nicht, das merkte er aus der Ferne deutlich, wenn auch nur am Geräusch. Ja, aus dem unregelmäßigen Geräusch der Fortschreitenden stieg sogar ein Ton auf, ein rauher Ton – Medardo hatte vier Ohren für einen Ton, welcher an den Bart-Conrad erinnerte. Sie sind es! rief er in sich hinein, und sie ziehen nicht zum Stubenthore? Wäre die List eine doppelte gewesen, und gälte es doch dem Neuthore? – Da hörte er fernes Gewehrfeuer hinter sich, fern aber deutlich. Es kam aus dem Prater, wo der Angriff Thurn's gegen den neuen Werd, gegen die jetzige Leopoldstadt eben begann. Diavolo, dort! Also doch dort!? dachte Medardo, und war nun verstärkt in dem Gedanken, daß er sich getäuscht, und daß die Ueberrumpelung doch dem Rothenthurm- und dem Neuthor gelte.
Er flog zum Wachthause zurück, entwickelte dem Officier, welcher die hundert Mann commandirte, seine geänderte Ansicht und schlug vor, geraden Weges nach dem Neuthore zu marschiren. Dann könne man den »Knäuel« aus dem Wildling'schen Hause entweder noch abschneiden, oder doch unten auffangen. Der Officier stimmte zu; es ward zurück und die Wollzeil hinauf marschirt. Vielleicht, meinte Medardo, könne man dem »Knäuel« oben an der Bischofgasse zuvorkommen.
Die Expedition mit dem Handwägelchen, worauf die Petarde, gelangte somit unbehelligt durch die Grünanger- und über die Schulengasse an den Eingang zum Strobelgassel. Just als sie in dies Gäßchen einbog, kam die Compagnie mit Medardo drüben am andern Ende des Gäßchens durch die Wollzeil herauf. Halt! commandirte leise Conrad. Lautlos hielt man still. – Es war stockfinster, und ein heftiger Regenschauer begann. Hundert Mann, welche marschiren, hören nicht weit – sie wurden nichts gewahr, sie zogen weiter, und das Handwägelchen mit seinem Geleite setzte sich wieder in Bewegung bis vor den »Strobelkopf«.
Dort war Alles bereit. Wildling, der zugegen war, hatte Alles sorgfältig ins Werk gesetzt. Die Fässer voll ungrischen Weines waren unter der Firma, als sende sie der Orden der christlichen Ritterschaft, schon vor einer Stunde abgeliefert, und waren ohne kritischen Scrupel zu sofortiger näherer Kenntnißnahme in Empfang genommen worden. Die Vertrauten unter den Truppen hatten ihr Versprechen gelöst, und die für diesen Tag ausgegebene Losung den Nachfragenden mitgetheilt. Die zehn Bürger waren da, desgleichen die zwanzig gemeinen Leute, und verzehrten harmlos das Nachtmahl, welches der »Fond« zu bestreiten hatte. Die Spieße, welche einzeln nicht alle mitzunehmen gewesen, waren jetzt auf dem Handwägelchen mitgekommen, kurz, es war Alles fertig. Auch die neutralen Gäste im Strobelkopf konnten nicht viel merken: Wildling sprach von einer Freicompagnie, welche sich den Wachen zur Unterstützung stellen wolle, und so verließ denn unter diesem Vorwande die ganze Mannschaft die Wirthsstube, und ordnete sich draußen im Gassel dergestalt, daß das Handwägelchen in die Mitte genommen wurde. In Gottes Namen denn! sagte Wildling, und der verhängnißvolle Zug setzte sich in Bewegung in die Wollzeil hinaus und dort rechts abschwenkend nach dem Stubenthore hinab.
Der kleine Martin trabte nebenher. Er hatte die Aufgabe, an der Riemerstraße zurückzubleiben, und wenn er merkte, daß Alles still abliefe, und daß man unbehindert in das Thorgewölbe eingetreten wäre, hinüberzulaufen in die Seilerstätte, wo Vater Jobst an der Hausthür seiner harrte. Jobst sollte dann die Rakete im Hofe anzünden, damit sie aufschieße und das Signal hinaustrage.
Wildling selbst hatte die Thorwache anzusprechen.
So ging es denn ohne Aufenthalt auch die letzte Strecke hinab und zwar in einem Schritte, der vorsichtiger auftrat und unregelmäßiger klang, als einem militärischen Marsche zukam. – Wer da? rief der Wachtposten am Thore. – Wildling erwiderte mit dem Losungsworte und setzte rasch hinzu: es sei eine Freiwilligencompagnie, welche daher geschickt werde, um den Truppen den schweren Dienst ein wenig zu erleichtern. Der Orden der »christlichen Ritterschaft« habe mehrere solche Freiwilligencompagnien bewaffnet, und sende auch Wein zur Stärkung. Ob denn hierher an's Stubenthor keiner gekommen sei?
– Freilich! Aber eine Wache muß doch zurückbleiben und muß nüchtern bleiben!
– Richtig! sagte Wildling, dafür werden wir nun sorgen. Geht mit Gott, und laßt Euch den Ungrischen schmecken! 's soll ein Menescher sein!
Die Wache ging, und es war nun kein Hinderniß mehr vorhanden. Das Handwägelchen wurde in die Thorwölbung hinein gefahren über die Biegung hinaus bis zu den verschlossenen Thorflügeln. Dort enthüllte Urban die verhängte Laterne, welche er mitgebracht, und Conrad und Pfeifer gingen daran, die Petarde vermittelst des Matrillbrettes anzuschrauben und anzunageln unter sorglicher Aufsicht des Junker Hans.
Sie waren noch lange nicht damit zu Stande, da zischte in der Seilerstätte die Rakete in den dunklen Nachthimmel hinauf. Das war nicht gut; es kam etwas zu früh. Es schadete dem Unternehmen in zwiefacher Weise. Erstens erweckte es drüben in der Vorstadt die Kanonade gegen die Bastei am Stubenthore, und alarmirte dadurch die in den Schänkhäuschen zechende Mannschaft. Zweitens alarmirte es als ungewöhnliche Erscheinung auch andere Wachen auf den Basteimauern. Unter diesen auch Medardo, die »rothe Feder«. Er war mit seinen hundert Begleitern beim Neuthore angekommen, ohne den Feind anzutreffen; der Officier hatte die Leute kunstgemäß vertheilt, um die erwarteten Gegner rasch einzuschließen, und Medardo selbst war auf die Bastei hinaufgestiegen, um das Gewehrfeuer vom neuen Werd her deutlicher zu vernehmen und zu beurtheilen. Denn wenn es näher rückte, so war eine Post zu senden, in Betreff des rothen Thurms! Es näherte sich nicht, nein! es wich zurück. Die Jäger draußen in den kleinen Wirthshäusern – die Stammväter der »Jägerzeil« – schienen sich trefflich zu schlagen – da, da, Diavolo, was ist das? schrie Medardo – er sah die Rakete aufsteigen! – Betroffen stutzte er. Sehr kurze Zeit nur. Es ward ihm rasch klar, daß dies ein Signal aus der Stadt sei, und die unmittelbar aufdonnernde Kanonade drüben von der »Landstraße« überzeugte ihn: das gilt dem Stubenthore, und du bist irre geführt! Eiligst hinab und dem Officier Meldung gemacht, und im Geschwindschritt mit der ganzen Mannschaft zurück nach dem Stubenthore!
Dieser Marsch von zehn Minuten konnte der Petarden-Unternehmung gefährlich werden, wenn sie nicht rasch zum Ziele kam.
Vielleicht wurde sie noch zeitig genug fertig. Die Maschine war angeschraubt und angenagelt, und der Zündfaden ward gelegt. Vorsichtig und sorgfältig bis weit hinter die Biegung des Gewölbes zurück. Jetzt anzünden! Conrad zog einen kleinen Luntenstrick aus der Tasche, Urban öffnete die Laterne, der Strick ward angeglommen. Alles zurück! Ich komm mit einem Satze nach! murmelte Conrad und bückte sich mit der Lunte nach dem Zündfaden –
Eine Secunde später, und es krachte in dem Gewölbe, als stürze es über und über zusammen.
Sobald der Knall ausgetönt, sprang Hans hinein. Die Andern harrten. Herein! hörten sie ihn rufen, und sie folgten. Die Aexte, die Aexte brauchen! schrie er. Man hatte ihrer auf dem Handwägelchen mitgebracht, und griff nach ihnen, denn die Sprengung an den Thorflügeln war ungenügend gerathen. Durch die Holzbohlen waren wol Löcher gesprengt, aber die Eisenbekleidung war nicht hinreichend gewichen; jetzt sollte versucht werden, ob Nachhilfe von Menschenhand genügte, den erschütterten Thorflügel aufzuschlagen, oder wenigstens eine gangbare Bresche in ihm durchzuhauen.
Man hieb da innen so lebhaft, daß man nicht gewahr wurde, was rückwärts vorging.
Das Schlimmste ging vor. Die hundert Mann waren erschienen; aus den Schänkhäusern waren, vom Knall der Petarde aufgeschreckt, Schaaren von Truppen herbeigeeilt, der Verrath war offenkundig, Medardos Geschrei erklärte ihn noch zum Ueberfluß, und die dreißig Mann Protestanten waren erdrückt oder zersprengt worden. Wer aber innen in der Thorwölbung beschäftigt war, Hans, Conrad, Pfeifer, Urban, der war wie in einer Mausefalle gefangen, denn die Oeffnung im Thorflügel genügte nicht zum Durchschlüpfen für einen Männerleib.
Zwar erhob sich jetzt von der Wienbrücke her Musketenfeuer, die Böhmen rückten an; aber das kam für die Gefangenen zu spät. Sie waren bereits ergriffen und hinein geschleppt nach dem Wachthause. Der Officier übergab sie Medardo, da er mit seinen Leuten auf die Bastei hinauf mußte, um von dort Feuer zu geben auf die anrückenden Böhmen.
Medardos Anwesenheit war das entscheidende Unglück für die vier Gefangenen. Während man sich um die Andern von den dreißig Mann wenig kümmern konnte, weil man alle Kräfte für die anstürmenden Böhmen brauchte, während also diese mit Wildling entrinnen konnten, sorgte Medardo genau für jene vier Männer, die er ja zum Theil persönlich kannte. Er erzwang sich im Tumulte eine Escorte von einem Dutzend der aus dem Schänkhäusel herübergekommenen Kriegsleute, und forderte sie auf, diese Hochverräther, wie er sie bezeichnete, sogleich in sichern Gewahrsam bringen zu helfen. Das Dutzend fand sich leicht zusammen, denn es war Vielen klar, daß dieser Dienst einer Gefangenen-Escortirung weniger unangenehm sei, als ein Kampf gegen die anstürmenden Böhmen. Fort ging es mit den »Hochverräthern« die Wollzeil hinauf, und – zu größerer Sicherheit wegen der hereinfliegenden Kugeln – gleich rechts in die Riemerstraße hinein, um in der engen Schulgasse und Bäckerstraße mit größerer Sicherheit weiter zu gelangen. Im Sturmschritt eilte der Transport, und erst am Lugeck vor dem Regensburger Hofe mäßigte man die Eile. Zum Theil darum, weil man plötzlich einen Geistlichen, eine hohe Mönchsgestalt, angerannt und in die Mitte des Transportes verwickelt hatte.
Dies war Pater Dunstan, der auf dem Wege zum Jesuitenhause begriffen war. Der Zufall brachte ihn hier in unmittelbare Berührung mit den Gefangenen, und ein Wort, welches er ausstieß, machte ihn trotz der dunklen Nacht kenntlich für Hans.
– Pater Dunstan, rief Hans eilig, es ist Alles gescheitert. Erwartet nichts für die Rettung des armen Zdenko, als was in Euren eigenen Kräften liegt!
– Keinen Verkehr mit Hochverrätern, ehrwürdiger Pater! Wegdrängen! Zusammendrängen! Weiter! rief Medardo, und fort schob sich der Haufe – Pater Dunstan stand allein, voll von schmerzlicher Ueberraschung. Er hatte den Junker Hans zu so gefährlicher Unternehmung veranlaßt – jetzt ging der gefangene Junker dem Aergsten entgegen. – Dunstan war eine starke, harte Natur; jetzt fühlte er sich erschüttert, und – wie dies bei starken Naturen zu ergehen pflegt – jetzt fühlte er sich zu einer gewaltsamen Anstrengung getrieben. Ob sie auch keinen Erfolg versprach, sie war ihm jetzt ein Bedürfniß. Lebhaften, weitausgreifenden Schrittes ging er die Bäckerstraße entlang aufs Jesuitenhaus zu.
Er ging nicht unbeachtet, und bald nicht unverfolgt. Im Regensburger Hofe wohnte Herr Tocke, und zwar nur eine Stiege hoch. Die Fenster seines Zimmers gingen auf das Lugeck hinaus. Sie standen offen bei dem Sommerabend, obwol dieser regnerisch war. Herr Tocke stand am Fenster, aufmerksam zuhörend, ob und wo die Kanonade sich entwickle, ob am Neuthore oder am Stubenthore. Dergleichen Studien machte er lieber fern vom Schusse. Da gewahrte er den geräuschvoll ankommenden Transport der Gefangenen, da hörte er die Worte Hansens, da hörte er den Namen Zdenkos, und Medardos Erwiderung mit »ehrwürdiger Pater!« da wurde er endlich inne, daß dieser Pater entschlossenen Schrittes in die Bäckerstraße hinabging. Er wußte aber schon seit gestern, daß ein Benedictiner mehrmals im Jesuitenhause angefragt. Der geht wieder dahin! dachte er – was hat er vor? Vielleicht etwas Gewaltsames! – Und nach einiger Ueberlegung entschloß sich Herr Tocke, ihm zu folgen. Dem alten Thürhüter konnte ein Rath nöthig werden, der nach oben Früchte tragen konnte, ein bloßer Rath, bei welchem man sich nicht auszusetzen brauchte.
Zum fünften Male übrigens machte Dunstan diesen Weg nach dem Jesuitenhause; vier Mal schon hatte ihn der Thürhüter abgewiesen mit dem Bescheide: der Herr Provincial sei nicht zu sprechen. Heute war er absichtlich am späten Abende gekommen. Vielleicht hatte er gedacht, ist der ermüdete Pförtner weniger streng in seiner Ablehnung! – Jetzt war Alles anders in ihm: alle kleinen Maßstäbe warf er zerbrochen hinter sich, wie ein Gebieter zog er die Hausglocke, wie ein Herrscher stieß er den Thürhüter zur Seite und trat ein, den Flur entlang schreitend, als kenne er hier Weg und Steg, als sei er berechtigt zu Allem.
Der Thürhüter eilte überrascht hinter ihm her, und wollte ihn am Gewande halten. Aber das dunkle Gewand eines Geistlichen gestattete doch nicht wohl ein heftiges Zugreifen, und der hohe Benedictiner wendete sich auch gerade jetzt nach ihm zurück mit ausgestrecktem Arme und blieb stehen. In der dämmerhaften Beleuchtung des Hausflurs durch eine Oellampe sah das Antlitz Dunstans gebieterisch aus, und sein tiefes Organ klang machtvoll in die Ohren, ja in die Seele des Pförtners, welcher in so später Stunde allein dem fremden Mönche gegenüberstand.
– Bist Du ein Christ, Pförtner? fragte Dunstan.
– Ja freilich! erwiderte eingeschüchtert der Thürhüter.
– Sprich nicht leichtsinnig und unbedacht. Deine Seele weiß nichts von Deiner Antwort. Du bist gewohnt, wie ein Sklave zu handeln, nicht wie ein Christ. Es ist Dir geboten, die Thüre zu hüten, und Du erfüllst wie ein Haushund dieses Gebot. Erhebe Dich aus Deiner niedrigen Stellung! Morgen kannst Du des Todes sein, und jenseits Rechenschaft geben müssen, wie Du Dein Pfund verwaltet auf dieser Erde. Wirst Du erfunden als ein gedankenloses Geschöpf, so wird Dich die Hand des Richters in den Abgrund stoßen zu den niedrigen Geschöpfen. Weißt Du aber eine Handlung für Dich anzuführen, welche verkündet, daß Du eine christliche Seele bethätigt hast, so wird Dich der ewige Richter erheben. Eine solche Handlung liegt vor Dir, armseliges Menschenkind, ergreife sie mit all Deinen Kräften. Die edelsten Menschenleben stehen auf dem Spiele, liegen in der Hand des Mannes, der in diesem Hause gebietet, ja das Seelenheil dieses Mannes selbst ist in Gefahr. Rettung ist nur darin, daß er in nächster Minute die Wahrheit hört, welche ich bringe. Handle wie ein Christ zu Deiner Erlösung und zur Freude Gottes – führe mich unverzüglich zum Provincial!
Der Thürhüter erzitterte innerlich, die Gewalt des alten Mönchs war eine wahrhaftige – der Thürhüter führte den alten Mönch hinauf bis vor die Thüre des Provincials.
Dort legte Dunstan die Hand segnend auf das graue Haupt des Pförtners, sprach leise: Gott wird Dir's lohnen, winkte ihm, fortzugehen, und trat in das Vorzimmer des Provincials.
Es war halb dunkel. Die Thür zum Wohnzimmer stand offen, und aus diesem drang ein Lichtschein herüber.
Dort im großen Zimmer standen brennende Kerzen auf dem Schreibtische, und vor diesem Schreibtische saß der Provincial. Oder richtiger: er saß nicht, er kauerte. Zusammengesunken in Müdigkeit und geistiger wie moralischer Erschöpfung war er halb herabgeglitten vom Sessel, und war von jenem Halbschlummer gefesselt, welcher nicht erquickt, sondern verzehrt. Der Triumph der Rache über den Jugendfeind Zdenko war ihm bereits zur Qual geworden. Die unerschütterliche Milde Zdenkos vernichtete allen Genuß der Rache, und wie vergittert auch das Innere dieses Methodius sein mochte durch Formeln, ein Hauch der Wahrheit drang jetzt täglich durch das Gitterwerk in das vertrocknete Innere. Täglich. Er hatte sich einen täglichen Besuch Zdenkos angesetzt, um ihn zu bekehren, wie die Formelsprache besagte, um seine Rache zu letzen, wie der unparteiische Zuschauer sagen mußte – und dieser tägliche Besuch steigerte sich ihm zu immer größerer Qual.
Die theologische Gelehrsamkeit hat stets darüber gekämpft, ob die Neigung zum Guten oder ob die Neigung zum Bösen mächtiger sei in der Brust des Menschen. Für die vorherrschende und unaustilgbare Neigung zum Bösen ist der Begriff einer Erbsünde in den Vordergrund gestellt worden. Den Begriff einer Erbtugend hat man im Hintergrunde gelassen. Oder vielmehr man hat ihn durch ein Wort verschleiert, welches nicht unmittelbar den Gegensatz andeutet. Dies ist das Wort »Gewissen«. Auch dem Bösewichte räumt man ein Gewissen ein, welches von selbst und unwiderstehlich erwache.
Dies Gewissen ist von wunderbarer Stärke, von wunderbarer Feinheit, und deshalb sollte man wol meinen, die Anlage zum Guten sei im Menschen wenigstens ebenso stark vertreten als die Anlage zum Bösen. Der einstige Methodius zeugte jetzt dafür in hohem Grade. Ein ganzes Leben, eine zähe Neigung zum Bösen, eine völlig ausgebildete Wissenschaft der Beschönigung schützte ihn nicht vor dem Erwachen eines Gewissens, welches er stets verhöhnen zu dürfen geglaubt hatte mit dem Ausrufe: Wie kann ich strafbar sein, thu' ich kein Unrecht?! Zdenko und die Angst vor dem Tode hatten es jetzt doch erweckt.
Die Angst vor dem Tode entstand in dem sonst so zähen alten Manne durch die Sensationen, welche Zdenkos überlegene Sanftmuth in ihm hervorbrachte. Diese Sensationen waren das Gegentheil von dem, was er Jahrzehnte lang erfahren, sie waren nicht Aerger und Zorn, an welche seine Nerven gewöhnt waren, wie man sich an Gift gewöhnt, sie waren Beschämung und Reue. Methodius wollte sie freilich nicht anerkennen, sein Verstand wollte ihrer spotten, aber ein geheimnißvolles Etwas in ihm, die Erbtugend des Menschen, zerdrückte den Spott, wie der niedersinkende Fels einen Strohhalm zerdrückt. Solchergestalt kam sein Nervenleben aus den Fugen, es versagte dem alten Körper die Spannkraft; der Gedanke an Zerfall und Auflösung tauchte auf, und verbreitete sich durch alle Adern und Organe – die Todesangst trat ihm nahe. Geschüttelt von ihr, hatte er sich dennoch auch an diesem Abende aufgemacht zur Zelle Zdenkos, um den Jugendfeind zu peinigen mit Drohungen, welche in ihm selbst schon nicht mehr von der Ueberzeugung der Wahrhaftigkeit gestützt wurden – da war durch ein Fenster des Corridors, in welchem er entlang schritt, eine Kanonenkugel dicht vor seinem Antlitze hereingeflogen in die Wand, Kalk und Mauertrümmer über ihn werfend und durch den Luftdruck ihn zurückschleudernd, als sei er wirklich getroffen. Rückwärts war der alte Körper auf den steinernen Boden gestürzt, und das Rückenmark war erschüttert worden. – Mühsam hatte er sich zurück nach seinem Zimmer geschleppt und den Sessel gesucht. Mit der Erschütterung des Körpers war Alles in ihm erschüttert, denn in der körperlichen Kraft hatte die Wurzel seiner Energie gelegen. Erschöpfung war über ihn gekommen, und hatte ihn vom Sessel herabgleiten lassen.
In dieser Erschöpfung vernahm er plötzlich den Ruf seines Jugendnamens: Methodius! von schwerwiegender tiefer Stimme.
Es war die Stimme Dunstan's, welcher dicht bei ihm stand.
Er meinte, in Mähren zu sein auf dem Zierotin'schen Schlosse, und die Stimme des Grafen zu hören, die Stimme von Zdenkos Vater, der ihm gesagt hatte: Du wirst ein Pfaff'! –
– Steh' auf Methodius, und wende Deine Schritte endlich nach dem Wege des Guten! Ich will Dir beisteh'n dazu.
Mit diesen Worten berührte ihn Dunstan. Erschreckt riegelte er die Augen auf, und sah über sich den hochgewachsenen schwarzen Mönch. – Dies Gewand eines Benedictiners brachte ihn zur Besinnung; die Benedictiner mit ihrer ruhigen, zur unparteiischen Wissenschaft geneigten Tendenz waren ihm stets die widerwärtigsten Ordensbrüder gewesen, und der Thürhüter hatte ihm während der letzten Tage zu wiederholten Malen pflichtschuldig gemeldet, daß ein Benedictiner zu ihm gewollt, ein Benedictiner von den Schotten. Er hatte den Zutritt verweigert, wohl ahnend, daß dies der Genosse Zdenkos sei, den er längst aus der Ferne beobachtet, und jetzt wurde es seiner wiederkehrenden Besinnung klär: dies ist derselbe, und er wird Zdenko fordern!
Alle erschütterten Kräfte zusammenraffend, richtete er sich am Sessel in die Höhe, Dunstan's hilfreichen Arm zurückstoßend. Wer seid Ihr? Und wie – könnt Ihr's wagen, – hier einzudringen?!
– Ich bin ein Diener Gottes, ein Freund Zdenkos von Zierotin, ein Freund Deiner Seele, ja auch Deiner irregeleiteten Seele, welcher ich die Richtung zum Guten zeigen will, bevor sie vor ihrem ewigen Richter erscheint. Höre mich und folge mir zu Deinem eig'nen Heile!
– Hinweg! – hinweg! –
– Sei gerecht gegen Dich selbst, sei nicht Dein eigener Feind, Methodius! Ich seh' es an Deinem gebrochenen Auge, an Deinem versinkenden Körper, Deine Stunde ist nahe, das Licht dieser Erde leuchtet Dir nur noch eine kurze Frist. Benütze sie, genieße sie! Du hast ein langes Leben hinter Dir ohne Genuß, ohne Genuß für Dein Herz. Du hast Dich selbst verdammt zu den giftigen Freuden des Neides und Hochmuthes. Brich diesen Bann vor Deinem Ende. Ich kenne Dich, Methodius, von Deiner Jugend auf, ich habe Dein Herz gesehen, als der erste und einzige Strahl zärtlicher Neigung in dasselbe fiel, als Anna neben Euch waltete im Zauber des Mädchenthums. Da konntest Du glücklich und gut werden, auch wenn Dir ihre Liebe nicht ausschließlich gehörte. Die Liebe wollte Wohnung aufschlagen in Dir; Du aber verschlossest ihr die Pforte Deines Inneren – armer Methodius! So bist Du ohne Liebe durch ein eiskaltes Leben gewandelt! Wo gab es eine Stunde dieses langen Lebens, in welcher Du Gottes Gnade in Dir empfunden, die Seligkeit der Creatur empfunden, die sich einig fühlt mit dem liebevollen Schöpfer des Himmels und der Erden? Wo?! Nie und nirgends gab es eine. Methodius! Noch kannst Du eine solche Stunde haben. Du lebst noch. Reiße die morschen Stricke herzhaft entzwei, welche den wahrhaftigen Menschen in Dir zusammengeschnürt, führe mich zu Zdenko hinüber, umarme ihn, und die erste Thräne wird Deinem Auge entquellen, der Hauch des Liebessegens wird zum ersten Male Dich erwärmen, das Glück der Tugend wird Dich zum ersten Mal erquicken. Komm!
Methodius zitterte wie Espenlaub. Solche Rede traf sein verstecktestes Innere. Und der Stolz schwieg augenblicklich, er ward nicht herausgefordert, er war nicht unterstützt durch Körperkraft. Das unstäte Auge schien sich zu sammeln, es begegnete dem wohlwollenden Auge Dunstan's, der Moment der Umkehr schien wirklich einzutreten für den verhärteten Mann. – –
Da kam die Hilfe für den Provincial, welche Herr Tocke zuwege gebracht. Am weich gemachten Thürhüter hatte dieser erkannt, daß eine gefährliche Macht hinaufgedrungen sei zum Haupte des Ordens, welcher nichts so fürchtete als das Benedictinerthum, und in dieser Erkenntniß hatte sich Herr Tocke einige junge Coadjutoren und Patres aus dem Hause zusammengeholt, und trat jetzt mit ihnen ins Vorzimmer, dem greisen, einsamen Provincial beizustehen.
Es war die Hilfe des Unglücks für ihn. Sobald er seiner Leute ansichtig wurde, trat die Gewohnheit in ihr volles Recht. Ihnen gegenüber war er stets unerschütterlich, immer herrschsam erschienen; sein schlimmer Geist machte also jetzt eine riesenhafte Anstrengung und faßte sich in all die Formen zusammen, welche bisher sein berechnetes Wesen zusammengehalten hatten – Hinweg! ächzte er – hinweg! – führt den Versucher hinaus!
Dabei suchte er mit aller Gewalt seinen Körper aufzusteifen und den Arm gebieterisch auszustrecken, ein garstiger Anblick lügnerischer Macht.
Dunstan begriff, daß Alles verloren sei, wenn er jetzt davon ginge, daß aber auch wenig zu hoffen sei, wenn er in Gegenwart von Zeugen weiter spräche zu Methodius. So ging er denn in aller Kraft seiner stattlichen, vom Entschlusse getragenen Persönlichkeit auf die in der Thür stehenden Zeugen zu, und wies sie mit einem gebieterischen Gestus hinaus ins Vorzimmer. Sie wichen, weil sie glaubten, er wolle an ihnen vorübergehen. Er aber schlug die Thür vor ihnen zu und schob den Riegel derselben vor.
Jetzt war er wieder allein mit dem Provincial. Auf Minuten nur, das wußte er, und für diese kurze Spanne berechnete er seine letzten Worte:
– So höre denn, Methodius Athanasius, Provincial des Jesuitenordens in diesen Landen, die Drohung meiner Rede, da Du das Wohlwollen derselben nicht zu erfassen wagst. Ich kenne Deinen Lebenslauf in all' seinen Falten, und habe ihn niedergeschrieben von dem Tage an, da Du Zdenko in Gefangenschaft zu schlagen wagtest. Die gemeinen Ursachen Deines persönlichen Hasses gegen Zdenko, welche Du mit kirchlichen Zwecken zu verschleiern suchest, habe ich bis auf die Fasern enthüllt in dieser Schrift, sowie Dein ganzes unlauteres, von jeder Liebe entblößtes Leben, welches angethan ist von der Jugend bis zum Alter, der Menschheit die Religion zu verleiden statt zu empfehlen. Diese Schrift, auch bei den Deinen eine furchtbare Anklage – denn sie werden einsehen, daß solch ein Charakter ihren Zwecken nicht nützen könne, sondern schaden müsse – diese Schrift ist bereits in sichern Händen. Du mit all' Deiner Macht kannst sie diesen Händen nicht mehr entreißen. Diese Schrift geht nach Rom an Deinen General, sie geht in kostbarer Abschrift an den heiligen Vater selbst. Dein General muß Dich fallen lassen um seiner selbst, um des Ordens willen, dess' sei versichert, wenn der heilige Vater auch nur schweigt zu dieser Schrift. Und ein Mann wird sie ihm überreichen, den der heilige Vater hochachtet. – Jetzt fasse Deinen Entschluß! Ich warte bis morgen Abend mit Absendung der Schrift. Morgen Abend hält ein Wagen vor diesem Hause. Wird in diesen Wagen Graf Zdenko von Zierotin gehoben, so wird die Schrift nicht abgesendet. Kehrt der Wagen leer zurück, so fliegt sie zu ihrem Ziele, und stürzt Dich in weltlichen Dingen. Was nach dieser Welt Deiner harrt, wird Dir die Todesangst sagen, welche jetzt schon Dein Gebein schüttelt. Greise sind wir alle Drei. Nach kurzer Spanne Frist stehen wir alle Drei vor Gott – wie willst Du bestehen?! Wir werden für Dich bitten, aber ich fürchte, die ewige Gerechtigkeit Gottes wird Dich verwerfen müssen.
Rasch ging Dunstan jetzt, schob den Riegel zurück und verschwand. Von der andern Seite traten die Coadjutoren und Patres ein und sahen mit Entsetzen, daß der Provincial mit einem Schrei ohnmächtig darniederstürzte neben seinem Sessel.
Draußen hatte sich der Wind gelegt, und der Regen floß in Strömen vom Himmel. Bis zum Morgen. Am Morgen aber verbreitete sich in der Stadt die Nachricht: alle Angriffe auf Wien seien mißglückt, und Thurn hebe die Belagerung auf. – –
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