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7.

Norbert ging von der Schranne über den Judenplatz und Hof nach der Freiung hinab, um im Harrach'schen Hause seine Mutter zu sprechen.

Das Harrach'sche Haus – jetzt einer andern Linie der Harrach zugehörig – existirte damals noch nicht in seiner heutigen Gestalt, sondern es bestand aus einzelnen Häusern, welche zu einer großen Wohnung herrschaftlichen Stiles verbunden waren. Trotzdem machte es im Innern den Eindruck stattlichen Reichthums und soliden Geschmacks. Wenn auch die Zimmer von einem Hause ins andere durch kleine Treppen verbunden sein mußten, weil die Stockhöhe der verschiedenen Gebäude nicht gleich war, so ward dieser Mangel an Regelmäßigkeit doch ersetzt durch sorgfältige Ausschmückung. Teppiche bedeckten die Unebenheiten und den ganzen Fußboden; gepreßte Ledertapeten verkleideten ebenso gleichmäßig die Wände; reiches Mobiliar, Bilder in kostbaren Rahmen, Kron- und Wandleuchter von venezianischem Glas verliehen durchwegs den zahlreichen, wenn auch unregelmäßigen Gemächern einen Stempel von Behaglichkeit. Carl von Harrach war ein geselliger und gastfreier Herr. Vom Spätherbste bis in den Frühling hinein war der erste Stock seiner Wohnung jeden Abend vollständig beleuchtet und erwärmt, sogar mit einem Veilchendufte erfüllt, welcher scherzweise Harrach-Duft genannt wurde, und jeden Abend fand man in diesem Hause eine größere oder kleinere Gesellschaft. Es war ein geselliger Mittelpunkt des vornehmen Adels, und zwar nicht blos des katholischen Adels, obwol Harrach Katholik war. Er war ein gesellschaftliches Talent, und wußte entspringende Streitigkeiten immer geschickt abzuleiten. Daß dies von Tag zu Tag schwieriger wurde, bekümmerte ihn. Er empfing den jungen Jesuiten im ersten Zimmer mit großer Herzlichkeit.

– Schenk' mir ein paar Minuten, lieber Jaromir, sagte er freundlich. Deine Mutter ist mit Isabella und den jungen Leuten drüben bei der Ausstattung, Pater Lamormain ist noch nicht da, und Waldstein sitzt hinten im Erkerzimmer bei der klugen Jörger –

– Jörgers sind hier?

– Ja, und sie haben eine Bitte an Dich. Sie vermuthen, daß der heute verhaftete sächsische Junker in Deinen Bereich gehöre. Er ist ihnen empfohlen, und Du möchtest ein Fürwort bei Pater Lamormain einlegen, daß er freigelassen werde. Ich soll desgleichen beim Kaiser thun – hat sich was verändert bei ihm? Kommst Du aus der Burg?

– Nein, ich komme von jenem Junker.

– Nun?

– Er ist als wichtiger Geschäftsträger angezeigt –

– Den man festhalten müsse?

– Das vielleicht nicht, wenn man sich seiner sonst versichern könnte.

– Durch Freundlichkeit. Was immer vorzuziehen ist. Trag' das Deinige dazu bei. Wir brauchen Freunde mehr als je. Waldstein sagt, daß Mähren kaum zu halten sein werde, sobald der Kaiser stirbt. Selbst Olmütz werde er nicht behaupten können. Seid vorsichtig. Der Erzherzog –

– Ist zurück aus der Steiermark –

– Seit gestern; ich weiß es. Ich hab' ihm selbst einen Boten gesendet, daß er sich beeilen möge. Ich hab' ihn heute Morgen gesprochen. Er ist einmal meiner Meinung, daß jede Herausforderung vermieden sein müsse. Es fehlt an allen Hilfsmitteln. Er ist entschlossen, nur sanft und freundlich aufzutreten. Vielleicht sind die Augsburgischen dadurch zu gewinnen. Ich finde Jörger heute milder als je. Er scheint einzusehen, daß ihnen die Menge über den Kopf wächst, wenn's zum offenen Bruch kommt. – Da ist Deine Mutter!

Norbert eilte einer schwarzgekleideten kleinen Dame entgegen und küßte ihr die Hand. Sie selbst, ein durch Alter ausgetrocknetes Wesen mit gelber Haut und dunklen Augen, umarmte ihn krampfhaft. Sie schien sehr stolz auf ihn zu sein, denn sie umarmte ihn mehrmals aufs neue, und ihre etwas entzündeten Augen blickten dann mit einer Art Wildheit über die Umstehenden hin, von den Ketzern des Jörgerschen Hauses – Jörger selbst, Ludmilla und Rudolph – scharf abgleitend, und Isabella Harrach, die junge Braut, zu sich heranwinkend.

– Ihr kennt Euch ja, rief sie mit etwas heiserer kranker Stimme, begrüßt Euch. Das ist er, Isabella, der sein Leben unserm heiligen Glauben zum Opfer bringt; reich' ihm die Hand und – küsse sie ihm!

Isabella that, wie ihr geboten war. Carl von Harrach aber, welcher diese Huldigung für den jungen Geistlichen seinen ketzerischen Gästen nicht aufdrängen wollte, bot Ludmilla seinen Arm und führte sie in ein anstoßendes kleines Zimmer, wo auf runder Tafel eine leichte Abendmahlzeit servirt war. Jörger und Mitzlau folgten seinem Winke, und ein Diener wurde abgesendet, Frau von Jörger und Waldstein einzuladen.

Diese saßen im letzten Zimmer, und ihr Gespräch schien lebhaft zu sein; wenigstens war die sonst blasse Wange der Frau Amalie geröthet. Sie hatten über die Zustände im Reich gesprochen, namentlich über die Zustände in Sachsen, für welche Waldstein – nicht mit Unrecht – ihr eine genaue Kenntniß zutraute. Bei dieser Gelegenheit hatte Frau Amalie sein Fürwort in Anspruch genommen zu Gunsten des voreilig verhafteten Junker Hans. Höflich schweigend und nur leicht mit dem Haupte nickend, hatte Waldstein dies an sich vorübergehen lassen, und war auf ein Thema gekommen, welches er schon einmal mit ihr berührt hatte: auf die Erwerbung eines Landstrichs in der Heimat der Frau Amalie. Dies war die Gegend, wo Niederschlesien und die Lausitz aneinanderstoßen. Der Ort Sagan war der Hauptpunkt dieser Landschaft, welche von ihm Herzogthum Sagan geheißen wurde. Die reizloseste Landschaft von der Welt, und Frau Amalie hatte ihn lachend gefragt, was er denn für einen Grund habe, immer wieder nach diesem unschönen Stückchen Erde zu fragen.

– Das will ich Ihnen erklären, hatte er eben lächelnd gesagt, als der Diener kam mit der Einladung zur Abendtafel.

Waldstein machte eine abweisende Bewegung und fuhr fort:

– Ihr seid immer geneigt, meine gnädige Frau, mir laut oder leise Vorwürfe zu machen über mein Verhältniß zu Staat und Kirche –

– Ich?!

– Ja. Nicht mir ins Angesicht. Dafür habe ich leider zu selten das Vergnügen Eurer Gesellschaft. Aber anderswo. Auch gegen meine Braut, Isabella, die mir oft von Euch erzählt. Sie liebt Euch, obwol sie Eure Glaubensrichtung beklagt, wie ich.

– Wie Ihr?

– Was soll dies Lächeln heißen? – Soll ich's erklären? Zwei Leute wie wir können offen mit einander reden. Euer Lächeln will sagen: der Albrecht Waldstein kümmert sich im Grunde wenig darum, was die Leute glauben. Das ist ein Irrthum. Ich bin ein Politicus, das gebt Ihr zu. Einem Politicus kann es nicht gleichgiltig sein, was die Leute glauben. Und ich bin ein nachdenkender Mensch von Jugend auf gewesen. Die geheimnißvolle Welt hat mich immerdar gereizt und bewegt. Schon um deßwillen hat eine nüchterne Religion wenig Anziehungskraft für mich. Verzeiht den Ausdruck. Ich gestatte Euch dafür, mich überspannt zu nennen. In Betreff des Saganer Landes bin ich's auch. Ich bin einmal da hindurchgeritten tagelang. Tagelang durch lauter Wald und Wald und Wald. Das magere Städtchen und Schlößlein Sagan mitten darin mit dem frischen Boberflusse erschien mir wie eine Oasis in geheimnißvoller Waldwüste. Da ist mir der Gedanke entsprungen, in dieser unzugänglichen Abgeschiedenheit mir ein Schloß, eine Sternwarte, ein Grabmal zu bauen, um, wenn mein Tagewerk vollendet sei, einsam auszuleben, einsam zu sterben. Seit der Zeit will ich das Herzogthum Sagan erwerben, und frag' Euch nach demselben.

– Ihr seht also den ausbrechenden Krieg für einen gewöhnlichen Krieg an, welcher nach einiger Zeit den Kämpfern Ruheplätze gönnen und Muße zum Nachdenken gewähren wird?

– Wahrhaftig, Ihr habt Recht wie immer. Die Wirtschaft ist weit aussehend. Aber ich glaube, Ihr seht doch zu weit.

– Weil ich zur Oppositionspartei gehöre.

– Warum aber gehört Ihr dazu? Dazu gehören doch folgerichtig immer nur Leute, welche nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben –

– Und die bereits Vermögenden lassen Gott einen guten Mann sein, hoffen, die Welt werde immer und ewig in denselben Kleidern hängen bleiben, und der strebsame, weiter blickende menschliche Geist müsse überall beizeiten auf die Finger geklopft werden.

– O nein, da thut Ihr mir Unrecht. Meinem Verstande wenigstens. Mein Verstand sagt mir, daß die größten Wirkungen immer auf Seiten der Parteien zu erzielen sind, welche historischen Besitz und Macht in Händen haben –

– Die leichtesten Wirkungen wenigstens.

– Ihr mißversteht mich. Es ist ebenso schwer, wie auf Seiten der Opposition. Die Neuerung hat immer den Reiz voraus und den wohlfeilen Ruhm. Das Bestehende aber hält dem schaffenden Geiste eine verdummte Zähigkeit entgegen. Unsere katholisch-politische Welt, unser heilig römisch-deutsches Reich zu reformiren – denn auch von unserer Seite muß es reformirt werden – das ist ebenso schwer, als Eure Aufgabe. Die wirklich schöpferischen Menschen von Euch werden sich am Ende des Kampfes doch mit den schöpferischen Menschen unter uns verbinden müssen, wenn etwas Dauerndes entstehen soll. Ich finde es deshalb nur schwer begreiflich, daß ruhige, ordnungsvolle Geister, wie der Eurige, den Vortheil übersehen können, welchen die katholische Welt einem strebsamen Manne darbietet. Diese katholische Welt hat ja das ganze Gefüge der Formen für sich. Diese Formen sind alle da, sind eingelebt, sind mit Handhaben versehen. Ich kann sie auf bloßes Commando verwenden und verwenden lassen. Ihr müßt Alles erst erfinden, auch die gemeinste Form. Ihr verliert die kostbarste Zeit darüber, gehen zu lernen und die tölpelhafte Masse gehen zu lehren. Hab' ich Unrecht?

– Ich fühle mich gar nicht berufen, über Euch zu Gericht zu sitzen. Wenn Ihr die höchste Frage, die in jedes Menschen Brust anklopft, wenn Ihr die Frage nach der Gottheit für eine Nebensache erachten könnt –

– Ah, da zeigt sich's ja, wie Ihr mir Unrecht thut! Weil ich diese höchste Frage nicht einem Mönch, nicht einem Professor, nicht einem Prediger überantwortet sehen will, weil mir Euer Luther oder Melanchthon oder Calvin nicht die höchsten Autoritäten sind, soll ich die höchste Frage des Menschen für eine Nebensache erachten?! Das thu' ich durchaus nicht. Im Gegenteile: weil ich mir das Wichtigste nicht von einigen beschränkten Personen vorzeichnen lassen will, erkläre ich mich gegen Eure Reformatoren. Ihr habt Euch ja durch Katechismen, Glaubensbekenntnisse und symbolische Bücher bereits so einengen lassen, daß Ihr nur glauben dürft, was jenen einzelnen Personen gutgedünkt. Ihr seid schon lange nicht mehr bloße Protestanten, die sich das Recht vorbehielten, Nein zu sagen und wild zu bleiben in der Glaubenswelt; Ihr seid dem Credo einzelner Menschen unterthan, und noch dazu leidenschaftlicher Menschen, wie Luther und Calvin bekanntermaßen waren; Ihr seid –

– Verzeihung, lieber Albrecht, Pater Lamormain fragt nach Dir!

Mit diesen Worten war Isabella eingetreten. Waldstein, unwillig über die Unterbrechung, hatte seinen Kopf nach der störenden Einrede gewendet, und ein Zug geringschätzigen Grimmes war wie eine Hagelwolke über sein schmales, kantiges Antlitz geflogen. Weder Einspruch noch Widerspruch schien er leicht ertragen zu können. Dieser lange Leib, von straffen Sehnen zusammengehalten, dieses kurz geschorene Haupt mit hoher Stirn, buschigen Brauen und tiefliegenden, nachdrucksvollen, unergründlichen Augen, hatte für Jedermann etwas Abweisendes, und sein feiner Mund zeigte immerdar einen Zug, welchen man ebenso gut Hohn nennen konnte, wie Schmerz, welcher aber jedenfalls zu sagen schien: ich bin unnahbar.

Isabella Harrach, ein schönes Mädchen in voller Jugendfülle, empfand dies tief. Ihr großes blaues Auge sah schmerzlich auf Frau Amalie hinüber, und sprach gleichsam: Da siehst Du's! Und an diese Lieblosigkeit bin ich vergeben!

Aber auch Waldstein ward seines Fehls, dieser unbedachten Aeußerung seines herrischen Naturells, sogleich inne. Er wendete sich zu Isabella, und indem er ihr die Hand entgegenstreckte, verwandelte sich der Ausdruck seines Gesichtes in eine gewinnende Freundlichkeit. Starke Menschen besitzen stets eine solche Macht der Freundlichkeit, weil sie eben ihren ganzen Menschen in einen Ausdruck zusammendrängen können.

– Verzeih', ich war unartig, sagte er weich und angenehm, während er aufstand und mit der Hand leise hinstrich über das dunkelblonde Haar seiner Braut. Deine Freundin nöthigt immer zu so gesammelter Verteidigung, daß man nicht hört und sieht, was sonst noch vorgeht. Ich möchte sie gern gewinnen, um eine Fürsprecherin bei Dir zu haben, aber sie ist schwer zu erobern für einen fehlerhaften Mann, der nur selten Gelegenheit hat, sich von einer bessern Seite darzustellen. – 's ist doch so, wenn Ihr auch das Haupt verneinend bewegt, meine Gnädige, und jedenfalls werde ich sogleich das Wort führen für Euren Schützling, da der mächtige Pater gerade angekommen. Starschädel heißt der Junker?

– Hans von Starschädel.

– Ach ja, mach' ihn frei! setzte Isabella rasch hinzu.

– Sehr gern. Da kommt Pater Lamormain. Verzeiht, wenn ich Euch bitte –

– Wir gehen eiligst.

Unter tiefer Verbeugung gingen die Damen an diesem jesuitischen Pater vorüber, welcher schon damals für einen der klügsten, also auch mächtigsten Vertreter des Ordens galt. Er dankte ihnen mit dem wohlwollendsten Ausdrucke, welcher über Isabella, als ein unzweifelhaftes Gut, leicht hinwegglitt, um auf Frau Amalie von Jörger zu ruhen, ja zu lasten, gleich als wollte er im Vorbeigehen sagen: Alles Vortreffliche hättest du von uns zu erwarten, warum verharrst du in Feindschaft?

Er war schon nahe an sechzig Jahre, dieser stark knochige und doch schlank gebaute Luxemburger, welcher nach Art jener Wallonen deutsch und französisch benannt war, Lämmermann zu deutsch, Lamormain französisch. Der französische Name hat ihm natürlicher gestanden und ist ihm in der Geschichte verblieben.

Er schien für Waldstein nur eine kurze Mittheilung gehabt zu haben, denn er folgte mit diesem sehr bald den Frauen nach in das Speisezimmer, wo zu Harrach's Vergnügen endlich Alles vereinigt war um die Tafel: Waldstein zwischen seiner Braut und Frau von Jörger, Ludmilla zwischen Norbert und Rudolph von Mitzlau, Harrach zwischen der schwarzen Witwe Zierotin's und Pater Lamormain. Nur neben Herrn von Jörger war ein Sessel leer geblieben, welchen der Diener eben beseitigen wollte, als ein neuer Gast eintrat. Der Diener schob den Sessel wieder an den Tisch. Der Gast, ein kleiner, reich gekleideter Mann mit brauner Gesichtsfarbe, verbeugte sich kurz, und setzte sich dem Pater Lamormain und Waldstein mit leichtem Kopfnicken zuwinkend, wie genaueren Bekannten. Herrn von Jörger schien der Nachbar gar nicht erwünscht zu sein, wenigstens rückte er hastig seinen Sessel weiter ab, als nöthig war.

Auch Harrach mochte nicht erbaut sein von dem Zuwachs. Ein allgemeines Gespräch aufzubringen war nun doppelt schwierig, denn der neue Gast war der steifeste Vertreter römischen Wesens in Kirche und Staat: es war der spanische Gesandte, ein Dorn im Auge aller Evangelischen und selbst im Auge der milderen Katholiken. Die Verwandtschaft und der Verkehr mit Spanien war ein nie fehlender Vorwurf, welchen die Protestanten dem Habsburg'schen Hause machten. Der jetzige Gesandte aber, der castilische Grande Marquis von Aytona, war besonders verhaßt durch kaltes, hochfahrendes Wesen. Er machte nirgends ein Hehl daraus, daß er die schwankende Milde des Kaisers Mathias für fehlerhaft erachte und alle Hoffnung auf dessen Nachfolger Ferdinand setze.

Dem ganz entsprechend unterbrach denn auch der kleine Mann das allgemeine Schweigen, welches ihn empfing, mit der seelenruhig ausgesprochenen Bemerkung, daß der König (so wurde Erzherzog Ferdinand officiell genannt, als ernannter König von Ungarn und Böhmen) sehr frisch aus der Steiermark zurückgekehrt sei, wohl geneigt zu entschlossenen Schritten gegen die Ketzer.

Obwol er dies in italienischer Sprache sagte, und dadurch der herbe Eindruck ein wenig gemildert wurde, so beeilte sich doch Harrach, dessen volles, wohlwollendes Antlitz über und über roth wurde, ihn damit zu unterbrechen, daß die Gesellschaft sich verpflichtet habe, in ihrem Gespräche Staat und Kirche gar nicht zu berühren. – Harrach sprach dies ebenfalls italienisch. Der castilische Grande aber theilte diese Ansicht von geselliger Delicatesse gar nicht, und erwiderte spöttisch: dies führe nur zu schlechter Gesellschaft und zur Vergiftung von Kirche und Staat.

Freiherr von Jörger kochte innerlich. Der Stolz der Eitelkeit war seine Schwäche und seine Stärke. Als er nun obenein sah, daß seine Frau ihm zuwinkte, halb ermunternd, halb unwillig zuwinkte, da wendete er sich mit einer wirklich vornehm abweisenden Handbewegung gegen den kleinen Nachbar mit dem braungelben Antlitze, und sprach langsam und nachdrücklich:

– Wenn Eure castilische Herrlichkeit den Wirth dieses Hauses so wenig verstehen, als unsere Sprache, so möge es zur Aufklärung für Eure geselligen Grundsätze dicht an Eurem Ohre von Eurem Nachbar gesagt werden, daß dieser Euer Nachbar ein sogenannter Ketzer ist. Ja wohl, ein Ketzer. Außerdem ein Deutscher, ein österreichischer Deutscher, der hier in Wien nicht geneigt ist, von irgend einem Fremdlinge beleidigende Aeußerungen anzuhören, sei dieser Fremdling wer er wolle. Dies diene Eurer Herrlichkeit zur Notiz von einem deutschen Reichsfreiherrn, des Namens Helmhard Joseph von Jörger, Augsburgischer Confession, wohn- und seßhaft auf Schloß Hernals in Niederösterreich.

Dies hatte er mit einer gewissen Feierlichkeit italienisch gesprochen, und er wendete sich nun, zu einem höflichen Gesprächstone in deutscher Sprache übergehend, gegen den Baron Harrach, indem er ohne eine Pause fortfuhr:

– Uebrigens danke ich Euch, lieber Harrach, für die freundliche Absicht Eures Schutzes. Wir können uns leider nicht mehr verleugnen, daß die vielen fremden Elemente den geselligen Verkehr geradezu unmöglich machen, und daß unsere Aufgabe zunächst wol nur darin bestehen wird, einander zu meiden. Ihr wißt, lieber Freund, ohne weitere Versicherung von meiner Seite, daß ich darunter sehr leiden werde. Aber man muß sich – schloß er mit einem stolzen Lächeln – ins Unvermeidliche fügen.

Es entstand eine peinliche Pause. Der Marquis von Aytona war aufgestanden, und seine mandelförmig geschlitzten schwarzbraunen Augen flogen wie fragende Blitze auf Lamormain, auf Waldstein, auf Harrach. Ein heftiger Ausbruch schien bevorzustehen. – Da trat ein Diener ein, und präsentirte dem Baron Harrach auf einem Credenzteller einen Brief. Baron Harrach griff danach, zog aber die Hand zurück. Das Papier sah grob und schmutzig aus. Der Baron schien es nicht berühren zu mögen, und sah nur nach der Aufschrift. »Herrn Rudolph von Mitzlau aus Schlesien« las er halblaut, und wies den Diener an Herrn Rudolph. Dieser war in Verlegenheit, als ihm das unsaubere Papier vorgehalten wurde, und zögerte fast, es zu nehmen. Ein zweiter Diener war indessen eilig zu dem spanischen Gesandten getreten, und hatte ihm halblaut gemeldet: »Carlo Blandini«. Der Gesandte nickte kurz und heftig mit dem Kopfe, machte eine ausdrucksvolle Bewegung mit der Hand gegen Lamormain, und ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus.

Rudolph hatte mittlerweile den Brief genommen, welcher ebenso unanständig, wie er aussah, geschlossen, das heißt nur zugeklebt war. Er hatte ihn aufgerissen und las ärgerlich eine Schrift, welche in großen Buchstaben folgende Worte brachte:

»Euer Oheim Zdenko sitzt in Wien. Er sitzt auf einem Eimerfasse, welches mit eitel Goldstücken angefüllt ist bis an den Rand. Wenigstens eine Million Goldgülden. Neben ihm sitzen die Pfaffen und warten auf seinen Tod. Ein einziger Mensch in Wien kann Euch zu ihm führen. Dieser Mensch ist ein Junker aus dem Reich mit dem Vornamen Hans. Er sitzt in der Schranne am Hohen Markt gefangen, und ist ein verlorener Mann, sobald der Kaiser stirbt. Der Kaiser stirbt aber in dieser Nacht.«

Ein schwacher Schrei lenkte Rudolphs Blicke auf seine Nachbarin. Dies war Ludmilla. Sie war todtenbleich, und sie hatte den Angstschrei ausgestoßen, denn sie hatte den Schluß des Zettels, welchen er von sich ab nach dem Lichte hingehalten, mit ihm gelesen. – Er sah sie fragend an. Zitternd und unbekümmert um Alles wies sie auf den Zettel und flüsterte kaum hörbar:

– Er ist verloren, wenn der Kaiser in dieser Nacht –

Herr Rudolph war nicht sehr erbaut von diesem Antheile. Aber er hatte nicht Zeit, darüber nachzudenken – Pater Lamormain und Waldstein erhoben sich gleichzeitig, und winkten nach der Thür. In dieser war jener junge italienische Arzt erschienen, welchen Rudolph im »weißen Löwen« kennen gelernt.

– Blandini, rief Waldstein mit voller Stimme, tritt es ein?

– Die Agonie hat begonnen, erwiderte dieser trocken in italienischer Sprache, und trat näher.

– Die Agonie des Kaisers? rief Harrach.

– Die Agonie des Kaisers! erwiderte Blandini, welchen Waldstein, Lamormain und Harrach umringten. Blandini setzte hinzu, daß der Todeskampf lange währen könne, denn die Lebenskraft des Kaisers erweise sich als sehr zäh, aber den Anbruch des Tages werde sie schwerlich überdauern.

– Hört Ihr das? flüsterte Ludmilla zu Rudolph.

Sie bemerkte es nicht, daß Jaromir Zierotin, der junge Jesuit Norbert, dicht neben ihr stand und sie aufmerksam betrachtete. Der junge Mann war sehr verändert. Die Nachbarschaft dieses schönen Mädchens, deren üppiges Auge und jugendlich elastischer Körper den frischesten weiblichen Reiz ausstrahlten, hatte ihn elektrisirt. Zum ersten Mal in seinem Leben. Bis daher wie ein Soldat in seinem Dienste, fühlte er plötzlich, daß er auch ein persönlicher Mensch sei, und zwar ein junger Mensch. Er war so wenig darauf gefaßt, daß er wie wirblig dastand und die Worte seiner Mutter gar nicht hörte, welche ärgerlich in ihn hineinsprach: er möge sich doch beeilen, um nach der Burg zu kommen. Der fromme Herr Ferdinand werde nun endlich Regent, und es sei wichtig, daß man in so entscheidendem Augenblicke in seiner Nähe stehe. Du hörst mich nicht, Jaromir?

– Ich höre und sehe, antwortete er tonlos, meinte aber offenbar etwas anderes, da sich Ludmilla eben zu ihm wendete und ihm mit ihren wundersam sinnlichen Augen winkte, er möge mit ihr zur Seite treten.

Ohne weiters folgte er, und mit Staunen und Widerwillen sah Frau von Zierotin, daß dies ketzerische Mädchen einen Moment lang ihre Hand auf den Arm ihres Sohnes legte und lebhaft, wenn auch leise, in ihn hineinsprach. Jaromir erbebte durch und durch und hörte auf ihre Worte wie auf Sirenengesang. Die Worte aber lauteten: Lieber Vetter Jaromir! Ihr seid jung und sicherlich edel. Helft einem Freunde unseres Hauses. Wollt Ihr? – Gern, gern. – Ich habe vorhin vom Baron Harrach gehört, daß Ihr den sächsischen Junker kennt, welcher gefangen sitzt, und daß Ihr Einfluß habt auf sein Schicksal! – Ja, ja. – Dieser Junker Hans ist ein Liebling meines Vaters und ist ein sehr braver Mann. Er hat gewiß nichts verbrochen. Wir erfahren soeben, daß er gefährdet ist, wenn der Kaiser stirbt. Befreit ihn, wenn Ihr könnt! Wollt Ihr? – Ich will sehr gern, wenn es Euch Freude macht. – Die größte. Meines Vaters wegen. Thut's! – Ich allein kann leider nicht; Pater Lamormain müßte – O, geht hin, sprecht zu ihm; er sieht eben her auf Euch. – Ich gehe. – Dank, Dank!

Wirklich ging Jaromir, der wie trunken war, zu Lamormain hin, und Ludmilla sah mit Spannung, daß dieser einige Schritte wegtrat von Waldstein, welchem Carlo Blandini genaueren Bericht erstattete über die Leibesbeschaffenheit des todtkranken Kaisers, und daß er aufmerksam Jaromirs Worte anhörte. Sie horchte mit verhaltenem Athem; sie verstand auch wirklich die Antwort des mächtigen Geistlichen, obwol die Worte derselben nicht eben laut gesprochen wurden. Aber die Antwort hieß: Ihr seid der Dritte, welcher für den Fremden spricht. Harrach hat's gethan, und Waldstein hat's gethan. Dies ist ein Zeichen, daß der junge Mann noch wichtiger ist, als wir gedacht. Nun wäre es Thorheit, sich mit seiner Freilassung zu beeilen. Was ist Euch denn? Ich vermisse Eure sonstige Ruhe –

Ludmilla zitterte, als ob sie ein Todesurtheil gehört. Es war nichts mehr zu thun. Die Gesellschaft trennte sich, da Harrach in Folge der bedrohlichen Nachricht in die Burg wollte. Waldstein und Lamormain desgleichen. Der spanische Gesandte und Blandini waren schon eben dahin. Alles eilte auseinander, zum Theil betroffen und verstört, da mit dem angekündigten Sterbefalle eine ereignißschwangere Zeit eintrat, zum Theil aber auch erfreut, da ein neues Regiment neue Menschen in den Vordergrund führen konnte, und den Thatenlustigen freien Raum eröffnete. Zu den letzteren gehörte Waldstein, welcher denn auch mit Lamormain zuerst aufbrach. Als die Jörger'sche Familie in den Hausflur hinabkam, hielt Ludmilla dicht an der Hausthür ihren Vetter Rudolph am Arm zurück. Er war in ein bedenkliches Schweigen versunken geblieben, und sie fragte ihn hier noch einmal so gebieterisch wie ängstlich: ob er denn nicht entschlossen sei, in dieser Nacht noch alles Ersinnliche aufzubieten für die Befreiung des Junkers Hans?

– Freilich will ich das, entgegnete er finster, aber was ist zu ersinnen? Was kann ich zuwege bringen, der ich so gut wie fremd bin hier in Wien? Soll ich mich vors Gerichtshaus hinstellen und abwarten, ob es sich öffnet?

– Es geht schon auf, wenn Ihr Euch nur hinstellt! flüsterte eine tiefe Mannesstimme zur Hausthür herein.

Ludmilla stieß einen leichten Schrei aus, und zog Rudolph nach der Stimme hin. Sie gehörte Conrad, welcher den Freiherrn und dessen Gattin nach dem harrenden Wagen vorbeigelassen, und sich dann erst aus dem Dunkel der Thürwölbung hervorgewagt hatte.

– Conrad, rief Herr Rudolph, habt Ihr mir geschrieben?

– Geschrieben? Schreiben ist nicht meine Sache. Ich hab' hier auf Euch gewartet, weil Ihr dem fremden Junker das Leben retten könnt. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, weil's mit dem Kaiser zu Ende geht, und weil man denkt, es wird dann gleich der Teufel losgehen. Die gefangenen Ketzer sollen dann auf der Stelle und in der Stille alle gehenkt werden. Das könnt' Ihr – wenn's wahr ist – für den Junker verhüten, wir können's nicht –

– Ich? Wieso ich?

– Der Schließer im Schrannenhause hat sich besoffen, und ist stät'sch geworden wie ein Gaul. Er macht keinem von uns auf. Wenn er aber einen Cavalier vor sich sieht, und im Nothfalle auch das blanke Schwert des Cavaliers, da wird er aufmachen, denn er ist eine höfliche Bestie. Dieser Cavalier sollt Ihr sein; Ihr seht gerade so prächtig aus, wie's noththut für den verrückten Pudel.

Die Stimme des Freiherrn rief jetzt dazwischen aus dem Wagen herüber nach den Zögernden. Ludmilla bat dringend, Rudolph möge sie bis an den Wagen führen, und dann unter irgend einer Entschuldigung in der Stadt zurückbleiben. Rudolph besann sich. Conrad fluchte verächtlich vor sich hin.

– Gut denn, sagte Ludmilla rasch, so geh' ich allein und entschuldige Euch. Erweist Ihr uns auch dann nicht den nothwendigen Ritterdienst, so redet mich in Eurem Leben nicht wieder an, wenigstens erwartet nie eine Antwort von mir. – Wir kommen schon, Oheim!

Damit schritt sie den Fackelträgern zu, welche ihr entgegenkamen, und winkte nur noch dem Bart-Conrad, eiligst flüsternd:

– Auf Euch verlassen wir uns, Conrad. Ihr seid ein Mann!

Rudolph war in unangenehmer Lage. Dieser Antheil des schönen Mädchens an dem jungen Fremden war in der That die schlechteste Ermunterung für einen Freier. Aber wenn er die Hilfe ablehnte, so war dies doch auch die ärgste Mißempfehlung bei ihr, und – was ihm sehr schwer im Sinne lag – der Aufenthalt des Oheims mit dem Eimerfasse voll Goldgülden lag ja zunächst nur auf dem Wege zu jenem heillosen Junker. – Er folgte der rückblickenden Ludmilla, er hob sie in den Wagen, und sagte blankweg dem fragenden Jörger'schen Ehepaar, daß er in der Stadt bleiben wolle, weil sich für die Befreiung des fremden Junkers Gelegenheit darbiete. – Ein lebhafter Blick Ludmilla's dankte ihm. Der Wagen flog dahin. Er stand unbeweglich da.

– Also, Herr Junker, geh'n wir? sprach der herzutretende Bart-Conrad.

– Geh'n, geh'n! Was soll's denn helfen?! 's ist ja eine Chimäre mit Eurer Befreiung. Was haben wir denn gewonnen, wenn mich der Schließer eintreten läßt?

– Den Fuß im Steigbügel haben wir gewonnen. Sind wir erst im Bügel, kommen wir auch aufs Roß.

– Den Kukuk auch, wie denn?

– Wir haben Alles vorgerichtet. Auf zweierlei Art. Die eine Art ist still, die andere Art ist laut. Sicher sind sie beide. Die stille Art geht durchs Fenster über die Gasse. Die laute Art geht geradezu durchs Haus, die Stiegen hinauf und herunter, und da kann's Faustschläge geben und sonstige Schwerenoth. Aber Euch geht das nichts an, wenn Ihr nicht dabei sein wollt. Ihr braucht weder still noch laut mitzuthun, wenn Ihr nicht mögt. Ihr braucht uns nur die eiserne Hausthür zu öffnen. Und das könnt Ihr. Kommt nur mit.

Wie kann ich's?

– Ihr klopft mit dem Hammer. Darauf wird sich eine Weile gar nichts rühren. Denn der alte Pudel liegt im Lehnsessel und schnarcht. Er hört wol den Hammer, aber er grunzt blos. Dann klopft Ihr zum zweiten Male, und nun riegelt er die Augen halb auf, und lallt seinem Buben zu, dem jungen Pudel: er solle nachsehen. Das geschieht nun. Das vergitterte Guckloch in der Eisenthüre wird innen aufgemacht, und ein sommerfleckiger Schafskopf feixt heraus: Wer da? – Ein Cavalier von der Burg, den Pater Norbert schickt. –

– Pater Norbert?

– Ja. So viel hat der ungeschickte Jobst doch herausgehört vom Alten während des Biertrinkens, daß dieser Pater eben da gewesen ist, und daß der Pudel einen heiligen Respect vor ihm hat. Wenn nun der Junge das ausgerichtet hat an den Alten, dann steht der auf, und kommt selbst, und betrachtet Euch so lange, bis er halb nüchtern wird. 's ist ein Schwerenöther, der alte Sünder! Vor Pfaffen und Cavalieren kommt er immer wieder zu sich, wenn er noch so viel eingeschluckt hat. Während dem, das heißt während er sich an Euch nüchtern sieht, flucht Ihr ihm alle Donnerwetter ins Gesicht, daß er Euch so lange vor der Thüre stehen läßt, und dann brummt er eine höfliche Redensart, und – macht auf.

– Nun, und dann?

– Dann tretet Ihr rasch zwischen Thür und Angel, so daß er nicht mehr zusperr'n kann und sprecht barsch: Pater Norbert läßt Euch aufs Gewissen fragen, welche Nummer der sächsische Junker hat?!

– Welche Nummer?

– Ich denke, der Alte wird in der Ueberraschung gleich antworten: Nummer Vierzehn oder Nummer Drei. Thut er das, so haben wir, was wir brauchen. Das hat nämlich Jobst auch herausgehört beim Biertrinken, daß der Junker in einer der beiden Nummern sitzt; aber der lange Tölpel weiß nicht, in welcher. Und doch ist das für uns die Hauptsache. Heißt's Nummer Vierzehn, dann hat's gute Wege, und Ihr könnt gleich wieder zurücktreten; denn Nummer Vierzehn kennen wir, und aus ihr holen wir den Junker durchs Fenster. Dazu kann die Hausthür verschlossen bleiben. – Sagt der Alte aber Nummer Drei, dann schreit Ihr, als ob Ihr taub wär't: Nummer Drei?! und stoßt den Alten zurück, am Besten so, daß er umfällt. Denn auf Euer Geschrei: »Nummer Drei?!« dringen wir hinter Euch ein durch die Thür –

– Wer »wir«?

– Das sollt Ihr schon seh'n. Oder Ihr braucht's auch nicht zu seh'n, wenn Ihr nicht wollt. Denn sind wir einmal drin, so kriegen wir's allein fertig. Lieber ist's uns, und dem schönen Fräulein da, die eben fortfuhr, wird's auch lieber sein, wenn Ihr da bleibt und das Schwert zieht. Die Sache kriegt ein vornehmeres Ansehen, und wenn die Stadtguardisten im Haus geblieben sind – was wir nicht wissen – so ist ein Cavalier mit seinem Eisen eine gute Hilfe. Ihr bleibt dann bei Eurer Rede, daß die ganze Pastete von der Burg kommt, und daß der sächsische Junker in die Burg gebracht werden soll. Versteht Ihr?

Rudolph verstand wohl, aber das ganze Abenteuer war ihm sehr zuwider. Es konnte ja doch die gefährlichsten Folgen haben. Schweigend schritt er neben Conrad durch die Gassen dahin. Nur was Conrad im Gehen erzählungsweise hinzusetzte, verringerte ein wenig seine Bedenklichkeit. Dieser bärtige Kerl entwickelte nämlich unverkennbare Anzeichen, daß er einen großen Rückhalt habe, daß die protestantische Partei in geheimnißvoller, starker Gliederung bestehe, daß sie in dieser Nacht vollständig auf den Beinen sei, und daß sie ganz andere und, wie es schien, sicher begründete andere Nachrichten habe von den ersten Schritten des neuen Regenten, als Baron Harrach da oben in seinen duftenden Zimmern verkündet hatte. Nichts von Ausgleichung und Sanftmuth, o nein, furchtbar dreinfahrende, schonungslose Energie gleich in den ersten Stunden – das erwarteten die Protestanten nach Conrads Schilderung, und diese Schilderung verrieth in manchem kleinen Zuge eine unzweifelhaft genaue Kenntniß der Personen und Zustände. Sie paßte ja auch zu der Notiz in dem geheimnißvollen Briefe, welchen Herr Rudolph da oben an der Tafel erhalten hatte, zu der Notiz: »Der Junker ist ein verlorener Mann, wenn der Kaiser stirbt«.

– Wißt Ihr wirklich nichts von dem Briefe da? fragte Herr Rudolph plötzlich, indem er stehen blieb und Conrad den Zettel vor die Augen hielt.

– Was ist's mit dem Briefe? Ich hab' Euch schon vorhin gesagt, daß Geschriebenes nicht meine Sache ist.

Dabei guckte er aber doch auf den Zettel, und schüttelte dann den Kopf, als ob er ihn bei der schlechten Beleuchtung nicht lesen könne.

Rudolph sah den bärtigen Menschen forschend an beim Schein des Mondes, welcher jetzt voll aus den leichten Wolken hervortrat und den Judenplatz, auf welchem sie standen, tagshell beleuchtete. Was konnte der rohe Gesell für Gründe haben, es abzuleugnen? Wer aber konnte der Schreiber des Zettels sein? Wer kannte den schlesischen Herrn von Mitzlau, welcher erst vierundzwanzig Stunden in Wien war? Wer wußte von seiner Bekanntschaft mit Starschädel? – Dies und Aehnliches fragte er halblaut vor sich hin, bis Conrad in eine Lache ausbrach und rief:

– Ja, junger Herr, diese Stadt Wien ist alleweile ein curioses Revier. Fallen und Wolfsgruben sind in allen Winkeln. Der dritte Mensch ist ein Spion. Mir scheint, der Zettel kommt von unserer Loge.

– Loge?

– Ja. Die großen Herren von uns, die Herren vom Landhause, wie der Hernalser, die verlassen sich auf ihr großes Wort, und sind guter Dinge. Die kleinen Herren aber, die blos Ritter und Edle sind, und unsere Geistlichen und Bürgersleute und noch weiter hinab, die brauchen halt auch so ein Landhaus, in dem sie reden und anstiften, und die – heißt es – haben sich ganz in der Stille auch zusammengethan, und das nennt man die Loge. Da hat denn Einer was gewußt von Eurem Oheim – ich hab' auch schon davon munkeln gehört – und ein Anderer hat vom sächsischen Junker gewußt. Denn der ist schon lange angesagt; das hab' ich heut' Abend erfahren unter unsern Leuten – und das Alles ist in der Loge zur Sprache gekommen, und da hat man den Zettel geschrieben –

– Du glaubst?

– Vielleicht. Wer kann's wissen! Schaffen wir nur, daß wir den sächsischen Junker kriegen. Wenn er Euch dann hinführt zum Oheim, so will ich Euch mit den Unserigen schon behilflich sein.

– Wo versammelt sich die Loge?

– Bald hier, bald da. Sie muß vorsichtig sein. Und wenn man hinein will, so muß man schwören. Seid Ihr denn auch ein richtiger Protestant?

– Ein richtiger.

– So? – Na, 's wird sich zeigen. Die Geheimnißkrämerei wird nun wol ein Ende nehmen. Wenn die Sonne in ein paar Stunden aufgeht und dem Kaiser wirklich aus diesem Leben 'nausleuchtet, dann muß Jeder offen Farbe bekennen. Ihr auch, junger Herr. Seid froh, daß Ihr mit beiden Beinen auf uns're Seite springen könnt. Die Kathol'schen trau'n Euch doch nicht, und das Goldfaß Eures Oheims ist ja nur zu haben, wenn Ihr die Pfaffen niederschlagt. Also frisch! Hier sind wir am Landskrongassel. Steht still und wartet hier. Ich muß erst uns're Leut' aufstell'n für »Nummer Drei« – Ihr habt's doch behalten?

– Freilich.

Das war in einigen Minuten geschehen. Conrad hatte aus dem Winter-Wirthshause sechs Männer herausgebracht, und links und rechts von dem Eingange in die Schranne an die Wand gestellt. Je drei auf jeder Seite. Tartsch war dabei, und seine Faust war krampfhaft geballt. Der lange Jobst stand neben ihm und betete leise. Er stand bei aller Sentimentalität in dem Rufe, daß er unter milden Worten furchtbar zuschlagen könne mit seinen endlosen knochigen Armen. Der Dritte neben ihnen war der Raschmacher Urban, dessen Gift und Operment im Gemüthe schon lange nach der Gelegenheit lechzte, sich einmal Luft zu machen. Ein dicker Dornstock mit hundert Spitzen, den er in der Hand hielt, hatte ihm das passendste Organ für solche Aeußerung geschienen. Die anderen drei Männer waren Salzschiffer aus Oberösterreich, welche Ehren-Conrad in allen billigen Dingen zu Diensten waren.

Conrad lachte still in sich hinein, als er seine Aufstellung musterte; er lachte darüber, daß er den Strauß ganz mit eigenen Mitteln ins Werk richtete. Er hatte gar nichts von der »Loge« dazu gebraucht. Nur Raschmacher Urban war ein Mann der »Loge«; aber hier war auch er als Freiwilliger eingetreten. Junker Hans sollte erst, wenn's gelungen, im Triumph nach der »Loge« geführt werden.

Nun holte Conrad Herrn Rudolph von Mitzlau herbei, zeigte ihm den Hammer, und trat zurück, damit aus dem Guckloch Niemand weiter als der Cavalier erblickt werden könne. Diese Eisenthür mit Guckloch und Hammer – eigentlich nur ein Nebeneingang der Schranne, aber doch für gewöhnlich im Gebrauche, da die große Pforte mit der Freitreppe gegen den freien Platz hinaus nur bei öffentlichen Executionen geöffnet wurde – war in einer Wölbung angebracht, innerhalb welcher man zwei Schritte zu machen hatte, ehe man den Hammer erreichen konnte. Rudolph machte diese zwei Schritte, ergriff den Hammer und klopfte. Es war ein lauter metallischer Ton, welcher durchdringend schallte. Der Abend war vorgerückt bis gegen die zehnte Stunde, es war ringsum still, und auch im »Winter-Gasthause« schienen keine Gäste mehr zu sein. Der Hammerschlag schallte weit. Aber es regte sich nichts darauf. Rudolph hatte die Empfindung, als ob er mit diesen Hammerschlägen in die stille Nacht hinaus sein Schicksal aufrufe, seine Zukunft herausfordere. Er mußte sich eingestehen, daß seine Beweggründe nicht eben lauter und rein wären. Aber was thun? dachte er flüchtig. Irgendwo müssen die Dinge doch immer anfangen, und meine nächsten Ziele, die schöne und reiche Ludmilla sowie der goldene Oheim sind ja nur auf diesem Wege zu finden. Vorwärts! – und ehe Conrad, wie er eben wollte, zur Wiederholung des Klopfens antreiben konnte, ergriff Herr von Mitzlau den Hammer aufs neue und klopfte zum zweiten Male.

Es regte sich wiederum nichts. Aber endlich hörte man eine Thür knarren, und das vergitterte Guckloch in der Eisenthüre ward langsam nach innen aufgemacht. Wie Conrad vorausgesagt, zeigte sich das blöde Gesicht des jungen Pudel, verschlafen und verzerrt, die Augen mühsam aufriegelnd und kaum verständlich murmelnd: Wer denn da sei?

– Siehst Du's nicht, Laffe? Ein Cavalier! Ein Cavalier von der Burg! Oeffne! Ich muß den Thürhüter sprechen.

Diese Worte Rudolphs hatten zur Folge, daß der junge Pudel verschwand, und daß Conrad sich eingestand: Dieser schlesische Junker ist resolut, und er versteht's, sich in etwas zu schicken.

Der junge Pudel hatte bei aller Dummheit Erziehung genug, um den Zuruf: »Ein Cavalier von der Burg!« außerordentlich zu würdigen. Er war also hinreichend erschrocken, und hatte das Guckthürchen offen gelassen, und die Stubenthür desgleichen, als er zum schnarchenden Papa hineingehumpelt war. Rudolph benützte dieses Aussichtsmittel, und blickte aufmerksam zu, denn in dem Stübchen brannte eine kleine Lampe.

Der alte Pudel war so gut dressirt, daß er auch im Schlafe eines Rausches die wichtigsten Appellworte seines Dienstes sogleich verstand. Auf den »Cavalier aus der Burg« war er kerzengerade in die Höhe gefahren. Die Augen nur schienen nicht ebenso viel Triebkraft zu entwickeln. Sie blieben geschlossen. Als das Söhnlein die Kunde wiederholte, versuchte der Körper des Alten eine allgemeine Alarmirung. Er schüttelte sich an allen Gliedern, und ein bauchrednerisches Gestöhne begleitete diesen Versuch, wahrscheinlich um die bald erforderlichen Stimmmittel auf ihre Schuldigkeit vorzubereiten. Dann folgte ein regungsloses Nichtsthun, das vielleicht mit einem Rückfall in den Sessel geendigt hätte, wenn Herr Rudolph nicht der Meinung gewesen wäre, solch einen immerhin unsichern Fall dem alten Knaben ersparen zu müssen. Herr Rudolph war außerdem der Meinung, der Thürhüter sei ihm gerade in solchem duseligen Zustande besonders zusagend, weil er ohne weitere Ueberlegung öffnen werde. Er schrie also durch das Loch eine kräftige Verwünschung hinein, daß man den Dienst rascher und besser versehen solle für eine Botschaft von der Burg.

Darin hatte sich aber Herr Rudolph geirrt. Der Alte kannte sich instinctmäßig sehr genau, und statt in den Hausflur hinauszuschreiten, unterwarf er seine zweifelhaft gewordenen Gehwerkzeuge erst einer Prüfung im Stübchen. Schreiten ist ein regelmäßiges Fallen. Der alte Pudel fiel etwas unregelmäßig in seinen Schritten, aber er erreichte doch aufrecht die nächste Wand, und bückte sich dort und zwar ersichtlich mit zweckvollem Willen. Dann verharrte er eine Weile in dieser Stellung. Herr Rudolph konnte nicht unterscheiden, was er da vornähme. Endlich glaubte er's durch das Gehör zu entdecken. Es tropfte und rauschte wie Wasser. Der Alte hatte sein würdiges Haupt bis über die Ohren in einen Wasserkübel getaucht, und als er es wieder hervorzog, richtete er sich mit einem Ruck gerade auf, griff mit der Hand um sich, fand sogleich das Leintuch, welches der abgerichtete junge Pudel ihm hinhielt, trocknete sich ab, und rief mit rauher, aber fester Stimme ganz laut:

– Zu Befehl, Euer Gnaden.

Sehr bald darauf war er am Guckloch, und bat in höflichen, wenn auch noch satzlosen Ausdrücken um Wiederholung des Begehrs, mit einigem Lallen hinzusetzend, daß ein geplagter Mann schwer schlummere, was »Seine Gnaden verschuldigen und entzeihen mögen. Bitte«.

– Oeffnen vor allen Dingen! entgegnete Mitzlau.

– Bitte. Wäre gegen Hausordnung dies in nachtschlafender – Zeit. Erst Auftrag, bitte!

Mitzlau übereilte sich wirklich, und fing an, seine Frage nach der Nummer des Junkers hervorzustoßen, spürte aber auf halbem Wege einen empfindlichen Stoß in der Kniekehle. Dieser Stoß kam vom Dornstocke Urbans, welchen Conrad rasch ergriffen hatte, um den Fehler in der Geburt zu ersticken. Denn wenn der sächsische Junker auf Nummer Drei saß, und Pudel's Antwort durchs Guckloch kam, so war die Expedition verunglückt; man konnte dann, wie man doch wollte, nicht hineindringen. Mitzlau stieß einen Schrei aus über den unerwarteten Schmerz, und Pudel, der die Ursache nicht kannte, dem aber der Schrei unmittelbar in das Gesicht flog, trat einen Schritt zurück, und bat um Entschuldigung. Er hielt diesen Schrei für einen Ausdruck der Entrüstung über sein Zögern, und Mitzlau wurde gleichzeitig seines Fehlers inne. Er sammelte sich schnell, ließ seinen angefangenen Satz im Stiche, und trat einen Schritt zurück, um sein Schwert zu ziehen. Das Mondlicht quoll so hell auch in die Tiefe des Gäßchens bis in die Thürwölbung herab, daß Pudel entdecken konnte, was diese Handbewegung bezweckte, und Mitzlau ließ ihn ganz und gar nicht im Zweifel darüber, denn er sagte scharf und geläufig, daß dies kaiserliche Gerichtshaus sehr schlecht verwaltet werde. Von der kaiserlichen Burg komme eine wichtige Anfrage, ein geistlicher Herr, wie Pater Norbert, lasse Auskunft verlangen, und ein besoffener Thürhüter halte solchen Behörden gegenüber sogar die erste Straßenthür verschlossen. Wenn nicht auf der Stelle geöffnet werde, so solle das scharfe Eisen dem glotzenden Gesichte da drinnen durch das vergitterte Loch einen Circumflex einfegen, an welchem die herbeigerufene Guardia deutlich erkennen möge, wer hier so unverschämt seinen Dienst vernachlässigt habe. – Hiemit hatte Versehen und Hitze Herrn Rudolph so tief ins Attentat hineingeführt, daß nun seine vollständige Betheiligung nicht mehr zweifelhaft bleiben konnte.

Das Wort »besoffen« und der Name »Pater Norbert« machten den alten Pudel verhältnißmäßig nüchtern. Das Erste ärgerte ihn, weil es richtig war, und den Zweiten fürchtete er. Er drehte kurzum den Schlüssel im Schlüsselloche, und öffnete die Thür so weit, daß seine Person Platz fand zwischen Thür und Mauer. In dieser Stellung wollte er darthun, daß von einer Besoffenheit in seinem Amte gar nicht die Rede sein könne – aber er wurde unterbrochen. Mitzlau hatte einmal das Schwert in der Hand, und da er dies vor sich hinhielt, und näher trat, so hielt es Pudel nicht für angemessen, für seine höfliche Entrüstung die ohnehin kostspieligen Worte zu suchen, sondern er trat vor dem unangenehmen Eisen seinerseits artig zurück. So hatte Mitzlau denn die Stellung in der offenen Thür, welche er erobern gewollt.

– Und nun zur Sache! sprach er barsch. Pater Norbert läßt Euch fragen, welche Nummer der sächsische Junker hat?

– Welche Nummer –? Bitte!

– Nichts zu bitten. Zu sagen ist, welche Nummer?

– Aber, Christi, Seine Hochwürden wissen ja –

– Welche Nummer?

– Ganz dieselbige, welche Hochwürden selbst befohlen haben –

– Kreuz Donnerwetter, welche Nummer? Vierzehn oder Drei?

Diese Detailkenntniß entschied. Es waren die zwischen Gangelberger und Pater Norbert streitigen Nummern, und Pudel hätte unter solchen Umständen jedenfalls die Nummer genannt, welche dem Befehle des Paters entsprach, da der Pater darnach fragen ließ, auch wenn der sächsische Junker, dem Befehle Gangelberger's entsprechend, auf Nummer Drei gebracht worden wäre. Er sagte also flugs und zuversichtlich:

– Der fremde Junker sitzt, bitte, auf Nummer Vierzehn.

– Ehrlich?

– Grundehrlich, wenn ich bitten –

– Still! Diese Nachricht kommt binnen zehn Minuten in die Burg. Wehe Dir, Mann der Schlüssel, wenn sie sich unwahr erweist!

Damit trat er zurück, und zog selbst die Thür zu.

*

Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sagt ein Sprichwort, er komme dann in Person. Mit dieser Berufung auf die Burg in Sachen des gefangenen Junker Hans ging jenes Sprichwort wirklich in Erfüllung. Im Landskrongassel spiegelte man lügnerisch vor, des sächsischen Junkers Schicksal beschäftige wichtige Personen in der Burg, und in der Burg beschäftigten sich wahrhaftig in diesem Augenblicke wichtige Personen mit der Gefangenschaft des Junkers Hans, und man war im Begriff, nachdrücklich einzugreifen in diese Gefangenschaft. Dem Conrad'schen Befreiungsversuche drohte eine gefährliche Störung.

Die Veranlassung dazu war Waldstein.

Als er mit Harrach, Lamormain und Norbert in die Stallburg gekommen war, um bei den letzten Augenblicken des Kaisers in der Nähe zu sein, hatte sich ein neuer Stillstand in dessen Todeskampf eingestellt. Ein leichter Schlummer war eingetreten, und der König Ferdinand hatte sich soeben nach seinen Gemächern in der Burg zurückgezogen, um einige Stunden zu schlafen. Die Aerzte erwarteten jetzt den Hintritt des Kaisers erst gegen Tagesanbruch, und hatten den König-Erzherzog versichert, daß der entscheidende Augenblick nicht plötzlich eintreten, daß man also Zeit genug haben werde, den König herbeizurufen.

Ferdinand war ein wirklich frommer Mann. Auf die Nachricht von dem unmittelbar bevorstehenden Tode des Kaisers hatte er sich in die Kirche begeben, um zu beten für die Seele des abscheidenden Mathias. Und zwar nicht in die ihm zunächst liegende Burgcapelle, sondern in die Kirche des sogenannten Königin-Klosters, welches der Familie besonders theuer war durch die Gründerin desselben. Eine Erzherzogin Elisabeth hatte das Unglück gehabt, Gemalin Carls IX. von Frankreich zu sein, des Königs der Bluthochzeit in der Bartholomäusnacht. Entsetzt von den französischen Gräueln jener Zeit, hatte sie sich nach dem frühen Tode Carls wieder heimgeflüchtet nach Wien, und hatte eine Kirche und ein Kloster erbauen lassen, um sich in diese Stille zurückzuziehen. Dies Kloster mit seiner kleinen schönen Kirche – die jetzige protestantische Kirche in der Dorotheerstraße – erstreckte sich von der Dorotheerstraße bis zur untern Breunerstraße, und diese letztere nur trennte sie von der Stallburg. Ein Schwibbogen, wie er in späterer Zeit von der Reitschule nach der Stallburg gebaut worden ist, verband damals das Kloster mit der Stallburg, welche Kaiser Mathias während seines seltenen Aufenthaltes in Wien zu bewohnen pflegte – er residirte vorzugsweise in Prag – und auf dem Gange innerhalb dieses Schwibbogens konnte der König binnen wenigen Minuten am Sterbelager zurück sein.

Die Stallburg war erst vor sechzig Jahren erbaut worden, und zeigte keinen besonderen architektonischen Charakter. Ein plumpes Viereck, in dessen Mitte ein Hof, war sie damals wie jetzt schmuck- und reizlos. Ein weites, ziemlich wüst aussehendes Zimmer nahe an dem Schwibbogengange war der Sammelpunkt für die großen Herren, welche sich eingestellt hatten. Dicke Teppiche bedeckten den Fußboden, und geräuschlos konnten die Harrenden hin- und hergehen. Pater Lamormain trennte sich sogleich von ihnen, um nach dem Krankenzimmer selbst zu schreiten. Er winkte kaum bemerkbar dem Carlo Blandini, welcher mit dem spanischen Gesandten in einer Fensterbrüstung sprach, und der junge italienische Arzt folgte dem Pater. Der spanische Gesandte that desgleichen. Sie verschwanden alle Drei lautlos hinter den Vorhängen, welche in ein Vorzimmer und dann unmittelbar in das Gemach des Kaisers führten. Waldstein sah ihnen gedankenvoll nach, und begann dann eine Promenade in dem weiten Raume, als ob er allein wäre, im Vorbeigehen einige Männer mit leichtem Kopfnicken grüßend, welche in einem Winkel standen und flüsternd mit einander sprachen. Ein Minister des Kaisers, Trautson, war der Mittelpunkt derselben. Alle waren abgespannt. Die Auflösung des kaiserlichen Körpers und Regimentes hatte schon zu lange gedroht. Jedermann hatte sich in sein Schicksal ergeben, auch der Minister, welcher vom neuen Herrn wußte, daß er seine Wahlen längst getroffen.

Als Waldstein zurückkehrend wieder an der Gruppe vorüberkam, blieb er stehen, und redete mit gedämpfter Stimme Trautson an. Waldstein war bei dem absterbenden Regimente sehr wohl angesehen, da er sich immer als gut kaiserlich und als tapferer Kriegsmann erwiesen hatte. Kaiser Mathias hatte ihn zum Lohn dafür in den Reichsgrafenstand erhoben, und Trautson trat bereitwillig näher, um Waldstein's Anfrage zu beantworten. Sie betraf den Junker Hans von Starschädel. Es war Waldstein eingefallen, daß er ja der Frau von Jörger versprochen hatte, sich für die Befreiung des jungen Mannes zu verwenden, und er erinnerte sich jetzt, daß Pater Lamormain, wenn auch nickend, doch ziemlich glatt, über sein Fürwort hingeschlüpft war.

– Wißt Ihr Näheres über den heute verhafteten sächsischen Junker, und könnt Ihr mir nicht noch in dieser Nacht die Freiheit des jungen Mannes schenken?

– Wenn ich noch was zu schenken habe, mit Vergnügen! erwiderte der kleine Mann mit den abgespannten Zügen.

– Ich hab' es meiner Braut versprochen, und von Bedeutung wird das Junkerlein doch kaum sein. Er ist nicht einmal aus dem Kurfürstenthume.

– Ich kenne ihn gar nicht.

– Habt ihn aber doch verhaften lassen.

– O nein.

– Nun, Eure Leute haben's also gethan?

– Auch die nicht. Dergleichen besorgt die Stadtguardia, und die Stadtguardia wird seit längerer Zeit von den Patres in Anspruch genommen.

– Und Ihr habt auch keine Meldung erhalten?

– O nein.

Waldstein schwieg, und sah auf den kleinen, machtlos gewordenen Mann mit einem Blicke, der zu sagen schien: Armer Minister, ich möchte nicht an Deiner Stelle sein! Endlich sagte er rasch und noch leiser:

Trautson, der Kaiser lebt noch; Ihr seid noch Minister – schickt den Befehl hin, daß man den jungen Burschen laufen lasse.

– Das würde nichts helfen.

– Wie?

– Man würde erst bei Pater Lamormain anfragen, ob man gehorchen solle.

– Behüt' Euch Gott, armer Trautson! entgegnete Waldstein, indem er die Hand auf die Schulter des kleinen Mannes legte. Dann ging er mit raschen Schritten auf Harrach zu, welcher noch auf derselben Stelle stand mit Pater Norbert. Die Angelegenheit war nun lebendig geworden in ihm, besonders da er einzusehen anfing, daß sie Schwierigkeiten finde. Er war ein eigenwilliger Mann, und ein Versprechen pflegte er streng zu halten, selbst wenn es ein Opfer kostete. Zudem hatte wirklich seine Braut ihm bei Tische noch einmal zugeflüstert, daß es ihr recht lieb sei, wenn er ihrer Freundin, der Frau von Jörger, eine Freundlichkeit erweisen könne. Das war für ihn ein mächtiger Sporn. Er war nicht angethan zu einem Liebhaber. Kopf und Phantasie waren ihm angefüllt von ganz anderen Dingen, als eine junge Frau zu wünschen hat. Umsomehr fühlte er sich verpflichtet, jeden andern Wunsch seiner jungen Gattin entgegenkommend zu erfüllen, und als eine solche Aufgabe betrachtete er jetzt die Befreiung des Junkers. Als nun Harrach ihm nicht verhehlte, daß wenig Aussicht vorhanden scheine, als Norbert auf scharfes Eindringen zögernd zugestand, daß Lamormain sich geradezu abweisend geäußert, da stellte sich's fest im herrischen Sinne Waldstein's, diesem Pfaffenregimente eine Beute abzunehmen, und zwar sogleich abzunehmen. Er ging geraden Weges nach dem Krankenzimmer des Kaisers, um sich die Hauptperson, den Pater Lamormain, herauszuholen.

Glücklicherweise kam dieser ihm schon entgegen, und flüsterte ihm mit dem gleichgiltigsten Gesichte von der Welt zu:

– Der Athem wird immer leiser; vielleicht erwacht er gar nicht mehr.

– Ein Wort, Herr Pater! – Und damit winkte ihm Waldstein nach einer Ecke des großen Zimmers. Ein wenig erstaunt folgte Lamormain. Die Kraft des Winkes und das Antlitz Waldstein's waren wol geeignet, dies Erstaunen zu wecken. Der schmale Kopf Waldstein's, noch schmäler durch das kurzgeschnittene braunrothe Haar, welches wie eine Bürste das dunkelgelb gefärbte Gesicht mit den schwer treffenden Augen einrahmte, stand plötzlich so hart auf den Schultern, wie ein unerbittlicher Wegweiser. Lamormain folgte diesem Wegweiser, und sein sonst tief beschattetes braunes Auge öffnete sich weit, als wollte es fragen: Was soll das?

– Herr Pater Lamormain, begann Waldstein mit eng zusammengehaltenem Tone, als sie in der Ecke nahe bei einander standen, ich hatte Euch vor einer Stunde gebeten, den heut' eingefangenen sächsischen Junker freizugeben. Ihr hattet die Güte, zusagend mit dem Kopfe zu nicken. Erinnert Ihr Euch?

– Es ist kaum eine Stunde her!

– Ihr scheint aber schon eine Viertelstunde nach dem gütigen Kopfnicken entschlossen gewesen zu sein, dieser zusagenden Pantomime keine Folge zu geben!

– Wie das?

– Ihr habt geäußert, daß es nicht rathsam sei, einen Gefangenen freizugeben, für welchen sich Leute wie Harrach und ich in Unkosten setzen.

Pater Lamormain antwortete nicht, sondern holte gleichsam mit einem brunnentiefen Blicke den Jaromir-Norbert zu seinen Füßen herbei. Wenigstens sah Lamormain, nachdem er zu Norbert hinübergeschaut, auf den Fußboden, als läge da schon der aristokratische Jesuitenzögling, welcher für seine aristokratische Sippschaft die Geheimnisse des Ordens verrathen.

– Möchtet Ihr mich einer Antwort würdigen, Herr Pater Lamormain!

– Bedarf es einer, Graf Waldstein?

– Recht sehr.

– Ich war und bin geneigt, mich Euch gefällig zu erweisen. Erst als ich erfuhr, daß nicht blos Ihr und Baron Harrach für den fremden Junker interessirt seien, und daß Ihr und Baron Harrach durch Ketzer veranlaßt worden zu diesem Interesse für einen ketzerischen Fremdling, erst da stutzte ich und hielt es für rathsam, mich nicht zu übereilen –

– Sondern auch Leute wie mich und Baron Harrach unter Vormundschaft zu stellen. Mein lieber Herr Pater, ich bin sechsunddreißig Jahre alt, und weiß, was ich will. Habt die Güte, mir rund zu erklären, ob dieser Junker binnen einer Stunde in Freiheit gesetzt werden soll oder nicht?

– Mein lieber Herr Graf, Ihr behandelt mich, als ob ich ein Gefängnißwärter oder eine Gerichtsperson sei, welche im Handumkehren über Gefangene disponiren können –

– Dort steht Trautson! Er hat mir eben gesagt, daß es nur Eurer zustimmenden Kopfneigung bedürfe, und der Gefangene sei im Handumkehren frei. Soll ich ihn herrufen?

– Wißt Ihr denn, Herr Graf, wessen der Gefangene bezichtigt ist?

– Ah –!

– Er hat den heiligen Gottesdienst gestört und verhöhnt –

– Hat sich als falsch erwiesen, wie Jaromir Zierotin dort soeben Harrach mitgetheilt.

– So? – Nun denn, er ist ein wichtiger Bevollmächtigter unserer Feinde –

– Welcher Feinde?

– Der Feinde unserer Kirche und unseres Staates. Die mannigfaltige sächsische Verschwörung gegen uns hat ihn wahrscheinlich gesendet –

– Wahrscheinlich! Ihr wißt's also nicht. Dort kommt ja gerade Fabricius, des Königs Geheimschreiber; der wird mehr wissen, als das Wahrscheinliche. Wir wollen ihn fragen.

Und dies sagend, winkte er einem mageren Männlein, welches von der Seite des Schwibbogenganges mit einem langen stattlichen Herrn eingetreten war. Dies magere Männlein war derselbe Schreiber Fabricius, welchen die Böhmen vom Hradschin hinabgestürzt hatten in den Hirschgraben.

Fabricius war mit leichten Gliedmaßen leidlich gesund unten angekommen, war in einem Athem nach Wien gelaufen, um in der Burg Bericht zu erstatten über den Vorfall, und hier hatte ihn König Ferdinand bei seiner Person angestellt als einen kundigen und gewandten Schreiber. Er folgte jetzt behende dem Winke Waldstein's, und stand neben ihm, respectvoll jeder Frage gewärtig.

– Kennt Ihr, Fabricius, fragte Waldstein, den sächsischen Junker Hans von Starschädel?

– Von Prag aus, ja, ein wenig, verehrter Herr Graf.

– Haltet Ihr ihn für eine politisch wichtige Person?

– Unwichtig ist er nicht, und wichtig kann er werden, je nachdem die Dinge verlaufen. Er hat Zutritt gefunden bei der Frau Kurfürstin in Dresden, und diese ist für uns sehr bedenklich in der böhmischen Sache. Sie hat großen Ehrgeiz und ist sehr geneigt, die Schlick'schen Anträge der Krone Böhmens für den Kurfürsten zu unterstützen. Namentlich in diesem Augenblicke ist sie mächtig, wie uns Schönberg heute schreibt.

– Ihr haltet es also auch für rathsam, diesen Junker Starschädel in Gefangenschaft zu halten?

– In Gefangenschaft?

– Ja, wißt Ihr denn nicht, daß er am Hohen Markte in der Schranne eingesperrt sitzt?

– Das weiß ich nicht, Herr Graf –

– Aber Ihr findet es bei seinem Verhältniß zur Kurfürstin sehr lobenswerth?

– Das würde ich verneinen, wenn man mich officiell fragte.

– Warum?

– Wenn die Frau Kurfürstin dies erfährt, so wird sie gesteigert in der Opposition gegen uns und benützt die Mißhandlung ihres Agenten als einen Stachel für den Kurfürsten. Dieser ist, wie der Herr Graf wol weiß, ein beschränkter Herr, welcher den Wein liebt, und welcher in der Weinlaune gar abhängig ist von seiner Frau Gemalin. Wenn diese gerade jetzt Anlaß fände, ihn zornig zu machen gegen uns, so könnten wir das in der böhmischen Sache theuer bezahlen müssen.

– Ich danke Euch, lieber Fabricius, und habe mich gefreut, Euch zu sehen.

Fabricius zog sich zurück. Waldstein schwieg und sah streng und unverwandt auf den Pater Lamormain, welcher halb geschlossenen Auges den Blick ruhig aushielt und mit keiner Miene zuckte.

– Nun, begann endlich Waldstein, die Politik spräche für mich; werdet Ihr nun Euer Kopfnicken einlösen und mir den Junker schenken?

– Ich werde mich beeilen, es Seiner Majestät zur Entscheidung vorzutragen, sobald der Herr unser Gott entschieden hat über Leben und Sterben in dieser kaiserlichen Burg.

– Das heißt: Ihr wollt nicht?!

– Was bedeutet mein Wille, wo es sich um die höchsten Güter des Himmels und der Erde handelt, wo die Fragen irdischer Politik einem gefährlichen Ketzer gegenüber zurücktreten müssen in den Schatten –

– Genug! Ich bin in einem Jesuitenhause auferzogen worden, verehrungswürdiger Herr Pater, und kenne die vorgeschriebenen rhetorischen Wendungen ganz genau. Ihr wollt nicht und wollt vorzugsweise deshalb nicht, um nicht nachgiebig zu erscheinen und um mich Eure ganze Macht fühlen zu lassen. Wohl denn, ich fühle sie, und – warne Euch. Es wird Euch nicht leicht werden, Eurem General in Rom Rede zu stehen, wenn Ihr durch Uebergriffe unsere gemeinschaftliche Sache in Kirche und Staat ins Verderben gezogen. Ihr unternehmt zu viel. Von morgen an braucht Ihr die Kriegskunde wie's tägliche Brod! Euer General soll und wird Euch schneidend fragen – denn ich steh' Euch dafür, er erfährt's! – er wird Euch schneidend fragen: Warum hast du meine Schwerter stumpf gemacht? Warum hast du der Eitelkeit mehr gedient als meinen Zwecken? Versteht Ihr mich? Es giebt eine Eitelkeit auch im Regieren, und wenn die nachgewiesen wird in Rom, so seid Ihr dahin, wie die rothe Blume des Feldes im Hagelwetter. Das sag' ich Euch jetzt am Vorabend des großen Kampfes, der wahrhaftig zweifelhafter ist, als die Schulstube zu ahnen scheint. Wenn Leute wie ich zur Reformfahne träten, Ihr bereutet nach vier Wochen schon jenseits der Alpen Eure Kurzsichtigkeit. Es ist nicht auszufechten, Herr Pater Lamormain, ohne Leute wie Albrecht Waldstein. Ueberlegt das reiflich. Zunächst bleibe dies unter uns. Kündigt mir das geringste Zeichen an, daß es nicht unter uns geblieben, und werde ich inne, daß ich für die Riesenaufgabe, welche vorliegt, die geringsten Schwierigkeiten finde, dann weiß ich auch, wer diese Schwierigkeiten erhoben, und dann steh' ich dafür, ich, ein Jesuitenzögling, daß das Conterfei Eurer das Gelingen des Ganzen zerstörenden Eitelkeit vor Eurem General in Rom ausgebreitet wird, deutlich und beredsam. Habt Ihr mich verstanden?

– Ich höre euch aufmerksam zu.

– So wählt jetzt! Ich betrachte die vorliegende kleine Angelegenheit als eine symbolische. Dort ist Eggenberg mit dem Schreiber gekommen. Ihr wißt, was er beim König bedeutet. Entweder ich trete jetzt zu ihm, und verlange von ihm den sächsischen Junker, und warte – wenn er gegen alle Wahrscheinlichkeit es nicht auf sich nehmen sollte – und warte auf den König selbst, oder – Ihr sprecht mit Trautson und laßt dem Junker die Freiheit ankündigen. Wählt!

– Wie Ihr das schlachtenmäßig führt, Graf Waldstein! Die Sache ist schwerer und leichter, als Ihr sie auffaßt. Leichter darin, daß Eitelkeit und Uebergriff, wie Ihr's nennt, völlig bereit sind, Euch dienstbar zu sein. Von diesem Gesichtspunkte aus geb' ich den Junker bereitwillig frei. Aber sie ist schwerer, weil er ein Ketzer und des gefährlichsten Zusammenhanges verdächtig ist mit der hiesigen Loge und dem Frevler Odontius. Diese Loge ist der Sammelpunkt des Pöbels unter den Ketzern, und dieser Odontius, der schon unter dem Galgen gestanden, ist der persönliche Todfeind unseres erlauchten Königs. Deshalb, und nur deshalb kann ich nicht so kurzweg verfahren.

– Also?

– Es steht sicher in Aussicht, daß dieser Odontius, zuletzt in Ungarn sichtbar, beim Tode des Kaisers in Wien sein wird, um gegen unsern erlauchten König Brand und Mord zu hetzen.

– Also?

– Also wer wagt es, solche Verantwortung zu übernehmen?

– Ich. Das Alles halt' ich für künstliche Wolken. Nun?

– Alsdann muß ich zum mindesten darauf bestehen, daß der gefangene Ketzer nicht blindlings in Freiheit gesetzt, sondern daß er hieher gebracht werde in die Burg, um vor kundigen Männern verhört und im günstigsten Falle verpflichtet zu werden.

– Trautson, ich bitte!

Trautson näherte sich, und nahm mit melancholischem Lächeln die Versicherung hin, daß dem Transport des Gefangenen nach der Burg nichts im Wege stünde, wenn der Herr Minister dem commandirenden Rottmeister der Schweizergarde, welcher die Hut der Burg anvertraut war, den nöthigen Wink zukommen lassen wolle.

Waldstein ging mit Trautson hinaus, um dies ins Werk setzen zu sehen.

Dieser Abschluß erfolgte genau um dieselbe Zeit, als Herr Rudolph von der wieder geschlossenen eisernen Thür zurücktrat, und Conrad sich nun anschickte, die Befreiung auf dem Wege durchs Fenster auszuführen.

Er blieb wunderlicherweise, nachdem es also gelungen war, eine Zeitlang im Gassel stehen und kratzte sich den Kopf.

– Was ist? fragte Herr Rudolph.

– Dumm sind wir doch gewesen!

– Weshalb?

– Da's einmal so gut ging, und die Thür auf und Niemand da war als die verschlafenen Pudel, so hätten wir kurzen Proceß machen und dem Alten die Schlüssel abnehmen sollen – dumm, dumm, dumm wie die Rathsherren, die immer erst g'scheidt sind, wenn sie vom Rathhaus 'runterkommen. Na, jetzt ist's vorbei. Nochmal anfangen können wir nicht. Also weiter!

– Wie?

– Oben thun's Zwei von uns, mehr nicht. 's macht auch zu viel Spectakel, wenn so viele die Stiegen hinauftrampeln. Herr Urban und ich. Die Andern vertheilen sich hier unten – aber nix da, wozu vertheilen?! Ihr setzt Euch in die Wirthsstube, 's ist besser für den Friedl, wenn noch was verzehrt wird. Der Herr Junker da hält Euch frei; richtig, und der Herr Junker schaut aus dem Fenster, ob hier im Gassel nichts passirt. Was sollte passiren?! 's ist Nacht. Nichts wird passiren. 's ist nur, daß Ihr untergebracht seid. Und übernehmt Euch nicht im Wein – der Herr Junker spendirt einen Grinzinger, der hier im »Winter« nicht uneben ist, also fertig! – Herr Urban, eine Tasche voll Sand nicht zu vergessen, damit wir ans Fenster werfen und den Gefangenen wecken. Also weiter!

Es geschah so, und er mit dem Raschmacher Urban tappte vorsichtig und leise die Stiegen hinauf bis zur Bodenkammer, in welcher der Kellner Friedl seine Schlafstätte hatte. Das Mondlicht genügte überall. Eine eichene Bohle, welche von einer Ausbesserung am Dachgebälke übrig geblieben, war schon zurechtgestellt, und so ging's kurzweg an die Expedition. Das Dachfenster ward geöffnet, und über die nur vier Schritt breite Gasse wurde Sand an das Fenster der bewußten Nummer Vierzehn geworfen, damit der Gefangene es öffnen und solchergestalt erfahren möge, was man mit ihm vorhabe.

Er schien aber einen festen Schlaf zu haben, denn er zeigte sich gar nicht.

– Alsdann klopfen! sagte Conrad und griff nach der Bohle.

Sie ward aus dem Dachfenster geschoben, und es ergab sich, daß sie lang genug war. Sie lag prächtig drüben im Fenstersims von Nummer Vierzehn. Conrad stieß sie gegen das Fensterkreuz drüben, daß man die Scheiben zittern und klirren hörte.

– Na, wenn er davon nicht erwacht, so hat er ein unverschämt gutes Gewissen!

Er erwachte nicht. Die Männer sahen einander an. Was thun?

– Ja, sprach endlich Conrad, da muß einer von uns 'nüber und 's Fenster einschlagen –

– Stoßen wir's von hier mit der Bohle ein! meinte Urban, dem die Luftpartie da hinüber nicht wünschenswerth schien.

Conrad versuchte es. Aber dazu war die Bohle nicht lang genug. Sie lag hüben und drüben hinreichend auf, aber mehr gab sie nicht her. Sie frei zu heben und, indem man sich hinauslegte, zu stoßen, schien nicht rathsam. Die Hände hatten alsdann nicht Kraft genug; die Bohle konnte ihnen ausgleiten, und dann war Alles verdorben.

– 's bleibt nichts übrig, Herr Gevatter, als daß Einer von uns Courier reitet da 'nüber –

– Das ist kein Spaß! 's sind drei Gestock Luft d'runter.

– Ja, und was noch spaß'ger, Ihr, Gevatter, müßt der Courier sein!

– Oho!

– Freilich. – Ich macht' mir gar nix d'raus. Aber mein großer Corpus ist schwer, die Bohle ist ausgetrocknet, sie trägt mich nicht. Ihr seid ein lüftiger Raschmacher, Euch trägt sie gut und gern.

– Den Teixel auch!

– Probirt's! – Dabei zog Conrad die Bohle herein, legte sie vom Dachfenster nach einem gegenüberstehenden Kleiderkasten und nöthigte den Raschmacher, Probe zu reiten. Die Bohle hielt. Urban konnte nichts Gegründetes mehr einwenden, aber es war ihm sehr unangenehm. Conrad dagegen machte wenig Federlesens, legte die Bohle wieder hinüber und nöthigte ihn hinauszukriechen.

Als er aber draußen saß, wollte er absolut zurück.

– Es schwindelt mir! stöhnte er.

– Haltet Euch nur mit den Händen fest und schiebt Euch weiter. Die Bohle ist glatt, 's kostet nicht einmal die Hose!

– Ich bin von einem sitzenden Handwerke, dergleichen bin ich nicht gewohnt!

– Hier sitzt Ihr ja auch. Denkt, es sei Eure Webebank, und schiebt Euch.

Urban wollte durchaus zurück. Conrad ließ ihn nicht, und sagte endlich grob und ärgerlich:

– Ihr seid ja kein Hase, und die Sache ist ja doch danach! Seid ja sonst mit dem Maul schneidig genug. Odontius wartet auf die Losung, die der Junker bringt. Das Werk muß losgeh'n, und der Junker kommt von unsern Häuptern. Wollt Ihr ihn zugrund' gehen lassen, weil Ihr nicht eine Minute Angst aussteh'n wollt –?

– Ich muß ja aber wieder zurück!

– Das geht leichter; 's hängt einen Gedanken auf hier zu – vorwärts, zum Kreuz-Donnerwetter!

Dabei schob er den Raschmacher, und dieser rutschte allmälig, eine klägliche Figur im Mondenschein, hinüber. Drüben angekommen, klopfte er an's Fenster. Kein Zeichen von innen. Sowohl um rascher ans Ziel zu kommen, als auch um einen Anhalt zu haben, stieß er die Fensterscheibe ein und griff innen an die Fensterpfoste.

Conrad knurrte. Das zerbrechende Glas schrie in die Nacht hinaus.

– Nun?

Urban hatte den Kopf hineingesteckt durch das eingebrochene Loch und antwortete nicht. Von unten aus dem Gassel aber meinte Conrad Geräusch zu hören – wahrhaftig, Geräusch von Fußtritten; jetzt gar einen Ruf: »Halt!« und – alle Teufel – das Klopfen mit dem Hammer!

– Was kann das sein? dachte Conrad und hielt den Athem an. Da kam's hinter ihm die Treppe herauf – es war Tartsch mit der Nachricht, daß Bewaffnete unten vor der eisernen Thür aufmarschirten. – Schwerenoth, was ist das? fluchte Conrad leise und flüsterte Urban hinüber: Vorwärts!

– Ja, vorwärts! erwiderte dieser in Todesangst; er war rathlos. – Er hatte die ganze Zelle übersehen, und hatte sie leer gefunden. – Pudel, der heillose Pudel war schuld! Unter dem grimmigen Befehle Gangelberger's hatte er den Junker in Nummer Drei abgeführt. Nachdem der Pater vor seinem Abgehen das beste Zimmer anempfohlen hatte, war Pudel allerdings mehr geneigt gewesen, der Anordnung des geistlichen Herrn nachzugeben. Aber da war Jobst gekommen und das bayrische Bier und der Rausch und der Schlaf. Als nun Rudolphs Anfrage ihn erweckt, und Nummer Vierzehn Parole geworden, da war es ihm freilich ganz klar geworden, daß der Junker nun nach Nummer Vierzehn gebracht werden müsse, die Vorbereitungen indessen – denn er war ja doch noch von Bier und Schlaf angegriffen – hatten einige Zeit gekostet, und als er sich eben aufmachen gewollt, da klopft der Hammer, und die von Waldstein veranlaßte Burgwache steht vor dem Hause. Wie schade! 's wär' eine interessante Scene für Pudel gewesen, wenn er einige Minuten früher fertig geworden, und dem Junker Nummer Vierzehn aufgeschlossen und den Kopf des Raschmacher Urban im eingebrochenen Fenster erblickt hätte. –

Das entging ihm. Er fand die Ruhe des Geistes, dem eintretenden Rottmeister begreiflich zu machen, daß er sich keinen Schritt weiter zu bemühen brauche. Er werde den von hoher Stelle begehrten Gefangenen anherostellen in den Hausflur. So kamen die verschiedenen Zellen nicht weiter zur Sprache, und wenn Pater Norbert und Rath Gangelberger am Morgen nachfragen sollten, so war der Junker für den Einen von Nummer Vierzehn, für den Andern von Nummer Drei abgeholt worden. Pudel war sehr stolz auf seine Diplomatie, und eilte die Stiegen hinauf, während die Burgwache in den Hausflur trat. In Nummer Drei eintretend, theilte Pudel dem angekleidet und wach daliegenden Junker Hans unter innerer Heiterkeit mit: es füge sich Alles sehr angenehm, denn man hole ihn unter stattlichem Geleit nach der Burg selbst, und stelle ihm eine Sänfte zur Verfügung. Das mache den Casus sehr fürnehm; höchst wahrscheinlich wolle die erkrankte Majestät der Kaiser selbst den merkwürdigen Junker aus Sachsen sprechen, ehe sie zu des Himmels Freuden eingehen – »sterben müssen wir leider Alle. Also auf Wiedersehen, gnädigster Herr Junker!«

– Ich hoffe nicht, daß wir uns wiedersehen! erwiderte lächelnd Junker Hans.

– Bitte! sprach Pudel, und leuchtete ihm hinab und öffnete ihm die Sänfte, und sah ihm gedankenvoll nach, bis der Zug in die Tuchlauben einbog. Dann wollte er sich nach dem Wetter umschauen und erhob sein Haupt. Glücklicherweise war er vom langen Aufenthalte im dunklen Portierstübchen etwas blöden Auges, und da just auch eine Wolke vor den Mond trat, so erkannte er's nicht, daß da oben ein Raschmacher unter peinlichen Empfindungen und gestört durch unchristliche Scheltworte Conrads langsam und sehr vorsichtig durch die Luft dahinrutschte. Feine Stückchen Kalk, welche oben durch die Eichenbohle losgelöst waren, tänzelten Pudel auf die Nase, und mit der friedlichen Bemerkung: »Es giebt Regen!« kehrte er in seine Clause zurück.


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