Else Lasker-Schüler
Das Hebräerland
Else Lasker-Schüler

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Aus der Höhe Jerusalems stürzt der Geier und ordnet sein Gefieder, bevor er sich in einer Grube niederläßt. Feder auf Feder glättet er sorgfältig, als gehe es zum Festflug. Nie sah ich einen Menschen, der, im Begriff, sich auszuruhen, mit glorreicherer Geste sein Gewand betrachtete wie der edle Raubvogel. Ich erinnere mich gern der mächtigen Tiere, die uns so oft durch die Wüste, kühn und voll Unternehmungslust, auf der Fahrt im Omnibus eine Strecke Wegs nach Tel-Aviv begleiteten. Unwillkürlich legt die besorgte Mutter fester um ihr Schoßkindlein ihren Arm.

Heute fahre ich wieder unten ans Meer. Neben mir sitzt ein Beduine im gestreiften Atlaskleid, den Kopf in ein gelbes Tuch gehüllt. Wir sprechen englisch zusammen, auch ein paar Worte arabisch, die ich wohl auf der Straße aufgefangen, aber deren Sinn ich nicht verstehe. Darum lacht der bunte Mitreisende verstohlen – und ich weiß schon warum. Im Grunde versteht man sich im Heiligen Lande – ohne was zu sagen. Die Sonne bringt hier alles an den Tag. Sie scheint so hell durch die Sinne und Herzen der Geschöpfe, vergißt nicht, am geringsten Menschen ihr Rosengold, am winzigsten Tierlein und dem kleinsten Feigenbaum auf vergessenen Schutthaufen gewissenhaft zu verteilen. Und man wundert sich jedesmal wieder, wenn ihr Dorn einen Einwohner Palästinas in den Nacken sticht. Um 5 Uhr morgens pflegt die Sonne am heißesten zu scheinen und weckt den Langschläfer mit einem goldenen Kuß. Der Araber legt sich schon um die Nachmittagsstunde zur Ruhe, der orientalische Jude – kaum ist es Abend. Mich brachte der Mond als unwiderruflich »Letzte« heim.

Will man von Palästina erzählen – geschmacklos, sich einen Plan zu konstruieren. Ganz Palästina ist eine Offenbarung! Palästina getreu zu schildern, ist man nur imstande, indem man das Hebräerland dem zweiten – offenbart. Man muß gerne vom Bibelland erzählen; wir kennen es ja alle schon von der kleinen Schulbibel her. Nicht wissenschaftlich, nicht ökonomisch; Palästina ist das Land des Gottesbuchs, Jerusalem – Gottes verschleierte Braut. Ich kam von der Wüste aus, reiste zur heiligen Hochzeit, eingeladen zur Feier, die immer Jerusalem umgibt. Immer ist Hochzeit unter dem Baldachin seines Himmels. Gott hat Jerusalem lieb. Er hat es in Sein Herz geschlossen. Er hat diese ewige Stadt der Städte erwählt. Jeder Gast, der in diese Stadt kommt, wechselt sein Kleid mit der Weihe des Gewands. Diese fromme Wandlung verpflichtet den Menschen, sich feierlich und artig zu benehmen, die andächtige Stimmung der auserlesenen, erhobenen Stadt nicht zu erschrecken. Ich muß sagen, ich habe nie ein überlautes Wort, nie einen schrillen Ton in Jerusalem vernommen, weder in seinen Straßen, noch in seinen Häusern und Palästen. Man hört darum deutlicher Gott atmen. Überwältigt von Seiner Nähe, beginnt der Mensch zu beben. Man muß sich an Gott gewöhnen. Und tut gut, sich zu reinigen, immer besser zu werden. Die Seele wird von tiefer Furcht ergriffen, beginnt zu brennen. Manchmal hätte ich mich gern vor Gott versteckt.

Nicht alle Menschen, die in das Land Palästina reisen, leben dort im Bewußtsein ihrer Aufgabe. Palästina verpflichtet!!! Sich erholen, namentlich im seelischen Sinne, ist Jerusalem, Palästinas Hauptstadt, der rechte Ort, das heilende Bad der Seele. Denn die Stadt segnet den Menschen, der sich nach dem Segen sehnt, die fromme Stadt tröstet den, der getröstet werden möchte. Jerusalem ist die Sternwarte des Jenseits, der Vorhimmel des Himmels. In dieser himmlischen Schöpfung wurde der erste Tempel gebaut.

Nach greisen Zeiten war es Herzl, der tote Melech, der lebendige, unsterbliche Wegweiser, Theodor Herzl, der auf seines Herzens Papyros den Wiederaufbauplan des Hebräerlandes entfaltete. Er begann die ehrwürdige, ehrfürchtige Mumie auszugraben. Amen . . . Ich verweile andächtig. Palästina ist gedanklich das fernste Land der Welt. Ich wollte ja nur feststellen, ob man überhaupt wieder auf die Erde zurückkomme – und reiste ab. Mir ist – ich bin auf einem andern Stern gewesen. Mich bringt niemand von diesem Glauben ab! Am allerwenigsten der Geograph. Ich reiste nach Europa zurück auf dem mächtigen Schiff »Jerusalem«. Wenn nicht am Morgen und am Abend die fröhlichen hebräischen Kolonisten, die kindlichen Judenbauern, auf Deck ihre rührenden Volkslieder gesungen, hätte ich mich, trotz der vielen netten Passagiere, als einsamste Passagierin gefühlt. Welcher Jude wäre auch fähig gewesen, den Grund meiner Rückfahrt zu verstehen und zu billigen. Ach, ich hätte mir so gerne in der italienischen Hafenstadt Trieste unseren Lloyd »Gerusalemme« zum Andenken als Enveloppe an mein Armband gehängt! Er führte uns an Griechenland vorbei, an Ithaka. Er zeigte mir den Zeus auf dem Olymp thronend und aus blaublauem Wasser hörte ich die Sirenen singen.

Es tanzten auf unserem Schiff die kernigen jüdischen Landleute, die Chaluzim mit ihren bildhübschen Bäuerinnen unter freiem Himmel. Die Söhne und Töchter etlicher wohlhabender Judenfamilien Europas pilgerten schon vor vielen, vielen Jahren nach Palästina, ins Gebenedeite Land. Verließen Elternhaus und seine Obhut, sich der Erde des Heiligen Landes zu weihen, die Sümpfe Tiberias zu trocknen, ja ihr Leben zu opfern, mit Freuden hinzugeben für den Dienst des Herrn.

Denn Palästina ist Seine Wohnung. Mit großer Bewunderung und Verehrung begegnete ich diesen Reisegenossen, den mutigen Pionieren des Bibellandes, seinen Helden! Es verstummte mein Mund vor Hochachtung, da ich in einer der nächstliegenden Kolonien noch vor kurzem den fleißigen, schlichten Menschen begegnete. Rügte auch die kleine Reisegesellschaft, der ich mich am Morgen zum Aufbruch ins Emek angeschlossen, meine »Oberflächlichkeit in wirtschaftlichen Dingen«, besonders meine Unerfahrenheit im Dunst, allerdings im gesunden, der großzügigen Kuhställe der Kolonie; wetteiferten in Ratschlägen, die sie dem sachverständigen, gewissenhaften Verwalter zu erteilen sich erlaubten. Die kleinen ein- und zweijährigen Judenkosaken auf ungesattelten Pferden hatten es mir angetan! Sie galoppierten zwischen den Hecken der roten Erde. Am Schabbatt wird es den Kindern erlaubt, sich herumzutummeln mit ihren wiehernden Lieblingen. Es ruht vom Hauch des Feiertags noch lässig die Arbeit. Zu Zweien, zu Dreien sitzen die glücklichsten jüngsten Adonis und die zauberhaft niedlichen, lieblichen Geweretts auf den Rücken der lieben, geduldigen Tiere, die ihre kleinen Reiter und Reiterinnen lieben und – mitmachen! Über die hebräische Pußta jauchzend und schnaubend sausen sie über Stock und Stein. Ich gestehe, schon auf dem Schiff wieder nach Europa, empfand ich eine brennende Sehnsucht sondergleichen zurück nach unserm lieben Heiligen Lande, nach Jerusalem namentlich, wie nach einem von mir verlassenen urverwandten versteinten Geschöpf. Ein Skarabäus ist Palästina! Ein jeder Jude ist mit seinem Erzstoff geimpft!

 

Neu wird gekleidet vom Judenvolke von Jahrhundert zu Jahrhundert Palästina, das liebliche Land: im neuen Einband Gott gereicht. Gerade die Juden, die zurück in das Land kommen, entdecken seine Brüchigkeiten und Vergilbtheiten. Die Eingeborenen, die von ahnher nie die rote, blutgeronnene Erde verließen, wohnen zufrieden zwischen den Steinspalten der alten Stadt, viele in den Kammern ihrer Bazare oder auf den Höhen zwischen Schlucht und Schlucht. Oder wie die wilden Juden – vor Jerusalems Tor, anspruchslos und einträchtig, mit ihren arabischen Brüdern in Zelten. Es sind die schlechtesten Hebräer nicht.

Man bewegt sich keineswegs zwischen einzelnen Menschen in den Hängen und Gängen Zions, aber zwischen Völkern! Die sich gefundenen Stämme Judas ruhen methodisch geborgen, jeder einzelne Stamm der bunten Blöcke, im Stadtviertel seines Bilderbaukastens. Um diese gewaltigen Stammbausteine bewegen sich die verschiedenartigsten morgenländischen und abendländischen Völker und Religionen. Und doch geht hier Jude und Christ, Mohammedaner und Buddhist Hand in Hand. Das heißt, ein jeder begegnet dem Nächsten mit Verantwortung. Es ziemt sich nicht, hier im Heiligen Lande Zwietracht zu säen.

Griechische Mönche und abessinische hebräische Mönche verbindet eine besondere Innerlichkeit. Die Priesterwürde vererbt sich wie in ehemaligen Zeiten vom Judenpriester Abessiniens auf den Sohn. Sie tragen schwarze Gewänder, feierlich wallend über ihre hochgewachsenen Gestalten, schwarze hohe Turbane auf stolzen Häuptern. Sie sind die schönsten der Juden im Liladunkel ihrer Haut. Auch sah ich selten schönere Gesichtszüge und edelgeschnittenere, wie die aus atmendem Amethyst. Keusch und tiefliegend der dunkeln Rabbi Augen, schmal und ernst ihre schweigenden Lippen. Ich zitiere das Hohelied, in dem König Schlôme die feinen Muscheln der Nase seiner Sulamith besingt. Auch des Abessiniers edle Nase steht gen Osten gerichtet. Das heißt: die sanften, bebenden Nüstern wittern immer Gottes Hauch.

Die Städte Palästinas sind alle räumlich kleine Städte, aber ihr Inhalt tausendfältig. Dafür überbieten die Dimensionen der sie umgürtenden Landschaften an Weite und unübersehbarer Ausdehnung, an Maß die Umgegenden der Städte und Dörfer aller Länder aller Erdteile. Ich baue keine Kulissen phantastisch, und doch glaube ich, die grenzenlosen Fernen mit ihren Felspyramiden und schwindelnden Abhängen noch betonen zu müssen, eine annehmbare Vorstellung dem, der nie Palästina mit seinen Augen sah, von dem Zauberlande zu ermöglichen. Das Wort reicht nicht, es mit ihm zu messen. Jerusalem selbst ist klein an Wuchs, Gottes auserwählte Braut im Lande Palästinas, und doch an Gestaltung so ungeheuer im Mantel ihrer Lilahimmel und steinernem Schluchtenkleide. Eine kleine Stadt, eine liebliche Burg – Sein Zion; hebt sich aus Stein und Stein empor, umrahmt von Gestein. Palästina ist mit keinem Lande der Erde zu vergleichen. Palästina ist nicht ganz von dieser Welt, grenzt schon ans Jenseits und ist wie die Himmelswelt nicht zeitlich und räumlich zu messen. Mögen etliche auch die »Übertreibungen« – ? einer Dichterin wohlwollend hinnehmen, aber – eine Dichterin mußte kommen, das gebenedeite Land zu feiern.

Nur der dichtende Mensch, der sich bis auf den Grund der Welt Versenkende, zu gleicher Zeit sich zum Himmel Emporrichtende, erfaßt, inspiriert von begnadeter Perspektive aus, Palästina, das Hebräerland! Und teilt mit dem Herrn die Verantwortung Seiner Lieblingsschöpfung.

Der hebräische Pionier erweckte Palästina aus seinem tausendjährigen biblischen Sagenschlaf. Er hob das verlorene gelobte Land, ein Becher, empor! Füllte ihn mit der Rebe seines Blutes, opferte sein Leben Gott, es neu zu gewinnen – in höherer Form. Die Pioniere, die ersten Kolonisten sind es, die das Fieber der kühlen Wasser auf sich nahmen; etliche starben. Sie gruben nicht nach Gold, aber nach Gott! Sie alle, die ihr junges Leben ließen, und die, die leben geblieben, sind die Fürsten des Landes! Und doch bewegen sie sich, sie, die die Äcker bestellen und die Frucht reifen lassen, mit Bescheidenheit zwischen den Brüdern und Schwestern der Städte. Stolz ist der Stein, blüht zwischen ihm und dem anderen ein kleiner grüner Busch, ruht unter ihm rastend ein müder Pionier. Ein Bergbeduine lockt sein Kamel zärtlich: »Ana hatu inaha ana! La la la, la . . . la la la, la!«

Wenig Grün und Bunt wächst auf den Bergen um Jerusalem; der März und der Aprilmonat besticken um so fleißiger die Teppiche des Landes mit unvergleichlichen Blumen und Gräsern. Auf den Höhen pflegt der Wanderer ab und zu kleinem Mohn, in sich rotversunkene, verklungene Urahnen der entfaltenden Mohnblume Europas, zu begegnen. Ich könnte so eine Urblume nicht abpflücken, aus Übermut keinesfalls. Und doch brach ich einige von den eben aufgeblühten roten Blumen auf Golgatha, ein paar fromme Christen an der Spree zu erfreuen, zwei meiner lieben Freunde. Ich hatte mir Golgatha ganz anders vorgestellt. Auch stand ich einmal im Traum mit Spielgefährten auf der einsamen Anhöhe, zu wachen die Nacht, nachzuholen, was unbezwingbare Müdigkeit nicht vermochte. Drei Hügel stritten noch vor kurzem über ihre Echtheit. Bis vor einigen Wochen auf der zerfallenen Landstraße, unterhalb des einsamen kleinen Berges, auf dem ich gegenwärtig stehe, grabende Juden, im Begriff, ein neues Häuserviertel anzulegen, auf ein verstorbenes Tor stießen, »auf das Stadttor« unterhalb der Hügelstätte der Ewigen Stadt. Das bis dahin schlummernde Tor wurde, nachdem man es wieder einbalsamierte, zurück in seiner Erde bestattet. Golgatha, von Mohnblumen bewachsen, mißt nicht höher wie eine Trauerweide. Und ich machte mir doch Sorgen, wie ich den »Fels« ersteigen könne. Die alten, urwüchsigen Quergassen der Jaffa Road stellten schon täglich neue Aufgaben an mein Herz. Nun stand ich mühelos, aber sehr bewegt und sinnend über unaufgeklärtes Geschehnis, auf dem Hügel der Trauer und blickte hinab ins Tal. Dominikanermönche wandeln schweigend über die Wege des Gartens noch, denn der Abend ist hell, der Himmel hat nicht mit Licht gespart. Mir nur nicht den Weg nach Emmaus entgehen zu lassen, versprach ich den heiligen Männern. Sie gaben mir noch manche religiöse Aufmerksamkeit mit auf den Weg, für die ich ihnen dankte. An Kaktushecken vorbei und Steinen, überall Steine, Steine, die den angelangten Juden, erzählt man in Palästina, bei ihrer Ankunft im Heiligen Lande vom Herzen gefallen sind. An Riesenkrallen vorsintflutlicher Felsungeheuer, ja Steinichthyosauriern, fuhr ich vorbei, spähend nach der Straße, die der edle Jude mit seinen Jüngern erstieg. Unten in der vorweltlichen Schlucht versteinter Rachen reißt sie sich ab zur Höhe fahrend, in die Heilige Stadt. Der aufwirbelnde Staub einer weißen Karawane wehte fast meinen kleinen Wagen bis unten in die Tiefe. Zwei, drei dunkelhäutige Kinder sitzen auf jedem Rücken der geduldigen Tiere; lässig auf dem nachtrabenden Esel, in weiße Tücher gehüllt, eine Frau. »Schalom!« rufen wir uns gegenseitig zu, und mit Entzücken folgen meine Augen dem friedlichen Ausflug. Nun befand ich mich wieder mitten in Jerusalem, und die holde Stille tat mir wohl. Man muß in Palästina leben oder eine Weile gelebt haben, um an die Wahrheit unserer gebenedeiten Bücher nicht mehr zu rühren. Der Aufenthalt im Gelobten Lande, vor allen Dingen in Jerusalem, stärkt den Glauben an Gott, an die »Ruhende Gottheit«. An ihrer Wange lehnt Jerusalem.

Ich fragte die lieben Talmudschüler, ob sie mir wohl sagen könnten, wie alt Gott sei? Diese Frage, meinten sie einstimmig, möchte wohl selbst ihr großer Raw nicht zu beantworten wissen, aber ich möchte den Rabbiner Kook persönlich fragen oder – seine kleine zweijährige Enkelin Zipora, da Adoneu nicht nur der Älteste der Ältesten, auch der Jüngste der Jüngsten sei – nach Seinem Eigenen Kundtun: »Ich Bin, Der Ich Sein Werde.« Unaufhörlich umschwebt der Schmelz zukünftiger Ewigkeit den Herrn. Ein beistimmendes Murmeln schallt aus einem der dämmernden Winkel der Talmudstube zu uns plaudernden Schülern herüber. Die baten mich, ihnen eine meiner mir liebsten hebräischen Balladen vorzutragen.

                            An Gott

Du wehrst den guten und den bösen Sternen nicht –
All ihre Launen strömen.
In meiner Schläfe schmerzt die Furche,
Die tiefe Krone mit dem düsteren Licht.

Und meine Welt ist still –
Du wehrtest meiner Laune nicht.
. . . Gott, wo bist du? . . .

Ich möchte nah an deinem Herzen lauschen,
Mit deiner fernsten Nähe mich vertauschen,
Wenn goldverklärt in deinem Reich
Aus tausendseligem Licht,
Alle die guten und die bösen Brunnen rauschen.

Ich beabsichtige mich wohl bei Gott einzuschmeicheln . . .? riefen schelmisch meine lieben, lieben jungen Zuhörer leuchtend. Eine wertvollere Kritik konnten sie mir nicht spenden. Immer sitzen etliche fleißige hebräische Schüler im kleinen Vorraum, aber auch in der Synagoge selbst, in neu aufsprudelnden Weisheiten der großen Gottesbücher versunken. Innige Rührung streichelt in der Erinnerung an diese sanftstreitenden Menschen wehmütig mein Herz. Liebreiches Lächeln scheint aus ihren mandelförmigen Augen und läßt keine Bitternis ein. Er habe verlassen Vaters und Mutters Garten, sein frisches Bächlein, erzählte mir der jüngste der Talmudisten, aus Deutschlands Sauerlanden hergepilgert, wo auch meine Wiege stand. Dafür aber moussierte heiliger Fanatismus in seinem Blut. Ich aber wandte mich, denn ich mußte weinen, mich an unser längst verfallenes Haus an Krücken erinnernd und an seinen greisen Turm, einst stolz zu seiner Rechten.

Die kleine zweijährige Zipora sauste nur so durch die schlichten Vorräume der alten Synagoge, in der ich von den Gottesmännern vielerlei Frommes lerne. Zipora ist so wild wie die niedlichen Reiter und Reiterinnen in den Kolonien. Auch trägt Zipora seitlich gescheiteltes, kurzgeschnittenes, kohlpechrabenschwarzes Haar. Sie will zum Großpapa Kook, erklärt mir ihr Vater, ebenfalls wie sein heiliger Schwiegervater ein Geistlicher, doch noch jung, kaum umbartet. Seine liebevolle Höflichkeit tut den Fremdhingereisten nach dem Gelobten Lande wohl. Munter und spielerischer wie sein Großschwiegerpapa, erinnert er mich an einen mir lieben Freund in Berlin, den jungen Bernardo, hervorragenden Kaplan, dessen Eltern sich nicht einverstanden erklärten mit seinem Entschluß, katholischer Geistlicher zu werden. Er sei zu lustig für einen Kaplan. Damals habe er seinen guten Eltern geantwortet: »Der liebe Gott muß doch auch einmal einen lustigen Kaplan haben.«

Gibt es einen fröhlicheren Beweis, einen ungetrübteren, als den Tanz der erwachsenen greisen Gottesdiener im Tempel? Mit ihrem Jauchzen beweisen sie Adoneu die Dankbarkeit ihrer auferstandenen Herzen – immer wieder. Knaben gewordene Männer mit wallenden Bärten, schwarzen, rostigroten und weißen, weißer noch als der Jerusalemjasmin, der so gern auf dem Gipfel des Sinaï wächst! Ein Bräutigam, der die Braut einholt, tanzte König David dem Zuge der Bundeslade voraus.

In den Synagogenstuben Rabbi Kooks weile ich mit Vorliebe. Meine Besuche, die so oft ihm allein galten, habe ich eingestellt. Mein Erscheinen entzückte das allzusehr beschäftigte Oberhaupt der Juden Jerusalems keinesfalls. Das Impulsive störe ihn in seinem Gleichmut; verriet mir schonend des Raws Schwiegersohn, den, im Gegensatz zu seinem mächtigen Lehrer und Schwiegervater, meine Art und Weise, sei ich auch ein Sturmwind und reiße die Fugen der Türen aus den Angeln, zu beleben schien. Demungeachtet kam ich über die Stufe der einfachen Eisentreppe, geläutert in aller Wetterstille des Herzens, noch einmal gestiegen, ein kleines Präsent für den großen bescheidenen Rabbi schüchtern im Arme tragend. Immer traf ich den Rabbuni im ärmsten aller Röcke, nie im prunkenden Kaftan oder den feinen Kopf in brokatnem Turban. So pauvre bekleidet hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Es enttäuschte mich sogar fast. Doch auch ohne innere luxuriöse Pose empfängt Jerusalems Großpriester, sich nicht überhebend, den ihn geistlich Konsultierenden. Mit besonderer Geduld – seine Landsleute, seine Juden aus dem Osten Europas gereist; opfert den Bedürftigen seine letzten Piasterstücke. Hat man Glück, trifft man den Großrabbi mit ihnen versammelt am schweren Tisch im Konferenzzimmer plaudernd und mit jedem einzelnen Geschick des Freundes kämpfend. Schließlich, der weise Freund Rat schafft. Dann gleicht der vertraute Kreis treu zueinanderhaltenden Schulkameraden in struppigen Bärten. Man liebt dann den Großrabbiner Kook. Vornehm in der Schlichtheit engerer Familientreue, zu der alle seine Brüder zählen mit den leiernden, frommen Locken, einfältig zu ihrer breiten Hüte beider Seiten, schließt der Raw leise murrend die »gesetzvergessenen« Juden und Hebräer westlicher Himmelsgegenden Europas in sein Gebet. Bindet mit heimlicher Überwindung schier die Zweige der anverwandten Spezies, mißtrauisch, mißmutig, doch gewissenhaft, mit der Faser seines stämmigen Herzens zu dem göttlichen Strauß seiner teuren, gottesfürchtigen Geschöpfe Galiziens.

Die herzliche Harmonie der plaudernden Gesellschaft respektierend, legte ich den Zweig eines wilden Oleanderbaums dicht neben seine feingegliederten Hände. Ich erkannte unter den Vätern einige Väter der schüchternen Kinderlein aus der Vater Lewone-Street. Ich taufte diese Straße fürsorglich nach dem goldenen Hirten in den Wolken. Wie ihre frommen Väter, tragen die kleinsten Söhne, kleine Väter schon, den Kopf bedeckt; schwarze Käppchen auf ihren braunen, vor der Heiligkeit des Herrn demütigst nach alter Vorschrift geschorenen Haaren. Die zwei rührenden Löckchen, Lammöhrchen, baumeln sanft bis auf ihre zarten Schultern herab, und bangen bei jedem fremden Ton. Als es aber heißer wurde, spielten die artigen ostjüdischen Kleinen, entfesselt ihres Kaftans, in der anspruchslosesten Gasse der Kolonie Rehavias. Ich freue mich mit ihnen. Der Väter Furcht vor den Verfolgern des verlassenen Landes zitterte noch zaghaft aus ihrem scheuen Wesen. Ja, die lieben Kinder verschmähen, jede Zuckerfreude anzunehmen, selbst von uns Juden in den – »neumodischen« Kleidern.

Ein kaum merklich sich erhebender Hügel trennt Rehavia von dem kleinsten Örtchen, das ich je im Leben gesehen habe, einem winzigen Weltchen, einem ganz kleinen Jerusalem. Das war mir genug zu wissen und ich fragte nicht nach dem Namen des plötzlich entdeckten Erdteils. Am Abend kamen viele, viele Lichter herüber zu uns nach Rehavia über den karg mit Gras und Kraut bewachsenen Höcker des Damms. Oft rastete ein Beduine und sein Esel oder sein ledernes Dromedar auf dem Hügelrücken. Vom Garten meiner Freundin aus konnte man so schön die Sternchen von nebenan am Himmelszelt und ihren roten Mondnachen am Abend beschauen.

Tags darauf besuchten wir beide, Hand in Hand, wie Kinder zu gehen pflegen, neugierig das kleinste der arabischen Judenviertel, angrenzend Rehavias. Es hatte ja selbst in den Jahrtausenden seinen Namen vergessen. Wir kletterten über seine gesäuberten Schabbattstraßen. Es liefern Gäßchen und wilde Pfade zur Befestigung des kleinen Erdkörpers: Schlamm, Mörtel und Öl der Wegkräuter. Mit naiver Selbstverständlichkeit leert sein Bewohner die Behälter der Gemüse- und Obstschalen ins große Reservoir: Draußen! Um, bevor der Schabbatt naht, Straße, Hof und Haus und seiner Pforte Treppe, darauf sich die Kinder plazieren, vom Unrat zu säubern. Diese beiden hygienischen Tage bewahren den Bewohner des Orts vor Epidemie. Spielende Knaben und Mädchen betreuen einen fünfjährigen Heiligen und küssen und streicheln ihn. Seine säumenden Samtsterne blicken uns beide friedlich sinnend an und streifen still über den Sand der Wüste. Eine gelbe Kinderwolkenhand malt sie ganz, ganz sonnig. Die Kleinen dieses Jerusalems fliehen uns nicht wie die verängstigten Kleinen aus der von mir fürsorglich benameten Vater Lewonestreet Rehavias. Ahnungslose, nie bedrohte Kinder nähern sich heute zutraulich uns zwei hebräischen Nikolassen; umklammern dankbar unsere Schöße. Es sind die echten eingeborenen jüdischen Kinder Palästinas; verließen wie ihre Ahnen niemals das Heilige Land. Anders verhält es sich um die mit ihren Eltern eingewanderten Geschöpfchen vertriebener Ostjuden oder nach der Eltern Einwanderung geborenen Knaben und Mädchen, die zu gleicher Zeit mit der jungen Vorstadtkolonie: Rehavia – in Sandwindeln lagen.

Auf der untersten Terrasse Rehavias in der Rambamstreet besuche ich manchmal den netten Professor und Bibliothekar der Jerusalemer Universität, den jetzigen Rektor und seine Gewerett. Der Ähnlichkeit ihres Zwillingsnestes verdanke ich die Bekanntschaft ihres Nachbars, des Kabbalisten Scholem der Heiligen Stadt. Vor vielen, vielen Jahren, an einem Herbstnachmittag, zogen die beflügelten Menschen mit ihren Familien mit den Zugvögeln nach Asien. Nur mit den Dachluken gucken ihre beiden zusammengewachsenen Häuser über den Erdboden gerade; einige Stufen abwärts schlüpft man ins Innere.

Unter dem frommen Scheine des Schabbattleuchters segnet der liebreiche Professor Hugo Bergmann seine Kinder. Zuerst seinen ältesten Sohn Schlôme; nach ihm sein wunderschönes Töchterlein, nach ihr den Wildfang. Der spricht, so ist es Sitte in den Judenfamilien, das jüngste der Kinder, die Schabbattgebete zum Herrn. Beinahe hätte ich gesagt, er galoppierte auf dem Schabbattgebet fröhlich gesattelt um den bestrahlten Tisch, über seine mohnsambestreuten Brote, um gefüllte Schüsseln und Teller und Gläser, zuguterletzt über unsere Köpfe! An Alltagen tummelt er sich mit seinen Spielgefährten unbekümmert im Sand der Kolonie herum; und seine blauäugige Mama, die sich in ihrem Kleinsten widerspiegelt, labt sich an ihren einstigen Streichen. Hingegen bringt sie meinem Säumen und Träumen auf den Straßen, meinem Verweilen vor den interessanten Schaufenstern, meinem Lauschen vor arabischen Grammophonläden weniger Sympathie entgegen; selbst mein Entzücken beim Herannahen einer Karawane bringt sie außer Fassung.

Im Zwillingsneste des zweiten Baus bereichert sich an der Lehre der Kabbâla: Scholem, der angesehene kabbalistische Gelehrte. Mein irrtümlicher, unverschuldeter Besuch – ich verwechselte die Pforte – scheint den Kabbalisten in der Lektüre nicht zu beglücken. Doch ich bleibe! Reichlich in meinem Beharren Rache übend, bemüht sich Adon Scholem mit dem Gifte der Logik, mir die Legenden des heiligen Israels zu enthimmeln. Zuguterletzt den Papyros, auf dem die erste Initiale unseres Volkes geschrieben steht, zu entwurzeln. »Das Wunder«, sage ich, »mit Schulmeisterlogik zu verehelichen, ergebe eine Mesalliance.« Ich schob ungehalten ab. Aber es kreuzten sich nach einiger Zeit unsere Wege. Beide warteten wir an einer Haltestelle auf den Omnibus nach Jerusalem-City. Wir setzten uns nebeneinander auf die noch unbesetzten Plätze. War mein Nachbar besser gelaunt oder wirkte die nicht vom staubigen Foliant verhangene Natur aufatmend auf sein Gemüt günstig? Verjüngt begann er über unseren, wenn auch – religiösen Disput zu scherzen; er habe nur versuchen wollen, wieweit ich zu beeinflussen sei, und machte den Vorschlag, wir beide uns nicht mehr zu erhitzen über das Leben unserer Heiligen. Ich zeigte über die grandiose Landschaft – zu unserer Rechten und zu unserer Linken und dann streckte ich mich hoch zum Himmelsgewölbe auf und versicherte den aufgetauchten jugendlichen Gelehrten, aus dem Buch der himmlischen Bilderfibel lernte ich im Originaldruck die Geschichten der Propheten unseres Volkes kennen.

 

Auf dem Berg El Kantara bei Safed, wo noch die Ruine des Tempels »Der Leuchte Israels« steht, strömen Züge von fackeltragenden Männern und Frauen Palästinas, aus allen Gegenden, mit Söhnen und Töchtern und Kindeskindern, sich zur Erinnerungsfeier Simeon Ben Jochays zu begeben. Es erwacht die Zimbel, das sinaïalte Instrument der Hebräer, und begleitet den ekstatischen Tanz. Um den frommen Bergrücken im Frieden des Tempelgebeins erfaßt die blühende Hand – die greise zum Reigen. Den jüdischen Knaben aus Buchara, mit Vater und Mutter von Samarkand ins Gelobte Land gereist, werden die herrlichen Zöpfe, die ihnen bis zu den Knien gewachsen, zur Opfergabe abgeschnitten und in einer Feuergarbe dem Geiste Simeons, der Leuchte Israels, gereicht. Tage vor dem Feste begegnete ich diesen bucharischen Knaben, die ich als Prachtexemplare hebräischer schöner Kosakenmädchen immer wieder bewunderte. Etwas heidnisch mutet einem diese qualmende Freudenfeier an, bewegen sich auch die Jauchzenden um unschuldige Altäre des Einigen Einzigen Gottes! Und doch erlebt man ein urwildes Überbleibsel aus Baal und der Astartezeit; als das Volk Israel noch in Kindersandalen aus Fellen, in Rudeln, ein noch kindlich lallendes Volk, Wüsten durchstreifte in der sich ihm noch nicht offenbarten Welt. Seltsam erinnern an unser ursprüngliches Heidentum die schmorenden Widder im wehenden Feuerschein beleuchteten Dunkel. Früh am Morgen der heiligen Tanzfeuer lagern sich zur Ruhe im Mohn, müde unter dem übernächtlichen bleichen Mond, an die Wandung des vornehmen Felsens gelehnt, die Festgäste. Ringsum: Gestein, Menschenodem und Schlummer.

Asiens Palästina heiligt den Schlummer, und nimmermehr würde sich ein Jude noch ein Araber getrauen, den Schlafenden zu wecken, ausströmende Ruhe einer Lappalie wegen zu unterbrechen. Ungefährdet schlafen ihren Schlaf bei unverschlossenen Toren und Türen die Bewohner der Häuser und die Gäste der Gaststätten; vor allem dem müden Wanderer, der Einlaß und Lager sucht, die wohltuende Rast in Gottes Lieblingswelt nicht vorzuenthalten. Es weiß der Araber und der arabische Jude nichts vom Einbruch und seinem Diebstahl. Über seinen Balkon pflegt der Haremsbesitzer einen Teppich, fast bis zum Boden des Wegs, auszubreiten, zur Kenntnisnahme – seiner Abwesenheit. Dieses mit kostbaren Arabeskenzeichen gewebte Schreiben an den Freund verpflichtet diesen, des abwesenden Freundes Hab und Gut zu schützen, vor allem seine Frauen in respektvoller Distanz zu betreuen.

Einmal vernahm ich um Mitternacht leise leiernde Karawanenmusik und dumpfe Trommel. An meinem interessanten Gasthaus Nordia vorbei zog eine nubische Karawane. Es war die erste nächtliche Karawanenreise, die ich in Jerusalem zu sehen und zu hören erlebte. Ich sprang von meinem Lager sofort auf den Balkon, die bunte Reisegesellschaft und ihre Trampeltiere ganz nahe zu betrachten. Der Wächter gegenüber meinem Hause wünschte mir: »Good morning«, mitten in der Geisterstunde. Aufatmend entdeckte ich ihn schon vor ein paar Abenden hinter dem vergitterten Fenster des Bankgebäudes. Ich brauchte nur – im Fall einer Mobilmachung – »Help!« zu rufen. Ich will mich nicht mutiger zeigen als ich bin; litt ich doch in den ersten Nächten in meinem Raum im renovierten langen, langen Korridor ungeheure Angst. In der Frühe begann in den Geschäftsstuben neben meiner Stube der Geschäftsbetrieb. Und ich blieb jeden Abend der einsame, nächtliche Gast, bis das übliche Hotelwesen einsetzte. Und doch hätte ich meinen Treibhausraum nicht mit einem der Prachtzimmer des Grand Hôtel King Davids vertauscht.

Vor dem Postamt begann die Karawanengesellschaft die Rücken ihrer Wüstentiere zu verlassen. Die dunkelhäutigen Männer hoben ihre Frauen und ihre entzückenden, noch träumenden, braunen Kinderlein liebkosend aus weichen Polstern; sie zu transportieren sorglich auf den mit Fellen belegten weiten Steintritt, der am Tage den aufmerksamen jerusalemitischen Gepäckträgern dient, auf den Wink der Abreisenden zu warten. Als ich die Besitzerin das ihr zum Modesalon umgewandelte Hotelzimmer aufschließen hörte und des Zahnarztes Praxis in der Nähe meiner Stube begann, war der nächtliche Reiterspuk über die Berge; vielleicht schon am Ziel angelangt. Es gähnten die nubischen wohlbeleibten Gattinnen, als die obere Stadt Zion noch das Klingen der Tausendglöckchen der vielen geschmückten Zügel und den säumenden Singsang vom unteren Araberviertel vernahm. Jeder Augenblick, den ich versäumte, von meinem Balkon auf die Straßen Jerusalems zu schauen, galt mir ein verlorener. Meine gastliche Herberge entpuppte sich als eines der herrlichsten, großzügigsten Panoramas und glich einem solchen Landschaftstheater täglich auf ein Bild verwechselnder. Daß mir gleichzeitig mein Balkon zum Trocknen meiner Wäsche diente, verschuldeten meine Verhältnisse; doch Luft und Sonne gaben sich reichlich Mühe, meine rosafarbenen Halstücher, mit deren holdem Rosarot ich mir die Liebe des jerusalemitischen Volkes erwarb, nicht leichtsinnig zu bleichen. Rosa ist Trumpf in der Auserlesenen Stadt. Aus rosafarbener Seide ein Kleid besitzt für den größten Feiertag fast jede orientalischjüdische und jede arabische Mutter und ihre Tochter, jeder Vater der beiden semitischen Völker und sein Sohn einen rosa und rosagestreiften Kaftan.

Wenn im Krug auf dem steinernen Herd meines Balkons das Wasser zum Zahnputzen zu brodeln begann, zeigte der Zeiger meiner Uhr auf fünf. Ich erhob mich, um mich auf meine übliche Badereise zu begeben: in ein von mir ausgewundenes Badetuch. Tagsüber dufteten seine Kräuterextrakte noch aus der Feuchtigkeit des trocknenden ausgebreiteten Leinens. In der Morgenfrühe nach der Asiennacht erfrischte mich sehr die kühle Prozedur. Immer die erste besuchte ich die Post; ich war's, die zuerst über die gesäuberten Stufen an die Schalter trat. Ich brauche ja nur eben über den Damm von meinem Hotel Nordia auf die andere Seite zu schreiten, und schon war ich angekommen. Meine – Gewissenhaftigkeit, mein Fleiß begann der charmanten Jerusalemiterin, der Beamtin an der Briefausgabe, zu imponieren. Auch sandte ich öfters mit der Flugpost schnurstracks ein Schreiben ab und fragte dies und jenes. Gewöhnlich befand ich mich im großen ganzen gut aufgelegt, erfrischt vom Trank des Mitz (Orangensaft), der offenen Trinkbar delikatesten, im Parterre unseres Hauses. Die reizende Beamtin fragte mich, ob ich wohl auf dem Postamt arbeiten möchte? Der Dichter bedeutet, und erst die Dichterin, dem arabischen Volke ein Symbol, dem jüdischen Volke eine Erinnerung an König Salomos Hohelied.

Ein paar Tropfen von der Grapefrucht, mit dem Weine der Orange vermischt, erhöht den Wohlgeschmack des Trankes. Mit einer Presse pflegt der Trinkshopbesitzer die Quelle der goldenen Früchte in die gläsernen Becher zu leiten. Es machte mir viel Freude, den gewandten Händen zuzusehen. Die heiteren schottischen Soldaten begeben sich mit Vorliebe in unsere hebräisch-portugiesische Bar der Bars, in ihrem kleinen Raume sich dem Trunk der Orangenbeere hinzugeben. Vor meinem Spiegel oben in meinem Raume wurde es mir mit der Zeit nicht allzu leicht, die Farbe meines Gesichts mit der mondfarbenen Frucht zu unterscheiden. Ja, ich – schien direkt ganz hell durch mein Treibhaus. Hinein kam niemand, ohne mir eine Pflanze mitzubringen: ein klein Feigenbäumchen oder einen winzigen Pfefferableger der Pfeffermutter oder einen stacheligen Kakteenigel im Topf. Zwischen meinen lichten Wänden fühlte ich mich wohl. Auch schlief ich ausgezeichnet in meinem elfenbeinfarbenen Bettgestell. Manchmal ruhte ich in der Nacht in meines Zimmers weitem Rohrsessel, von warmer Luft eingehüllt. Für »In-den-Schlaf-Singen« sorgten die schmeichelnden monotonen Melodien eines arabischen Tanzhauses. Blieben die Wiegenweisen aus, strampelte ich wie ein verwöhntes Wickelkind in seiner Wiege. Sehr viel Freude erlebte ich durch meinen – ungeschminkten schlichten Tisch; in seiner natürlichen Holzhaut, nur von der Rinde befreit, unangestrichen und unpoliert, gerade von seinem Wald abgepflückt, sans façon in meine Stube arriviert. Er lebte, atmete mit mir auf, bangte mit mir vor und nach meinem Vers. Ob er sich gestalte zu einem Geschöpf oder nicht? Um diese Kardinalfrage drehte sich mit mir getreu mein Tisch. Wirklich, er wurde mein allerbester Freund in Jerusalem. Nur König David hätte diese Gemeinschaft – Mensch und Tisch – begriffen. War er doch selbst ein Dichter, und ich fühle, auch er saß einst versunken vor einem keuschen Tische, als er seine Gottespsalmen dichtete, sie aufzeichnete auf lebendigem Holz.

Aber ich will auch das primitive Mobiliar meines Zimmers nicht zu erwähnen vergessen, zum Beispiel meines Waschständers und seines schönen Emailteints mit ein paar anerkennenden Worten gedenken. Hinterließ auch zu meinem Schmerz ein fahrlässiger Vorgänger ein paar Rostflecken, sorglos dicht unter der Waschschüssel verborgen. Schon am Abend kaufte ich darum in einem des in zwei Hälften geteilten Ladens, in der Nähe meines Hauses, einen silbergesternten Bogen, darin den Käufern üblich ihre Kommissionen verpackt und überreicht wurden. Belegte mit dieser großen verklärten Serviette die Fläche, die meine Waschschüssel, meine Karaffe und ihr Glas plazierte. Beim Belegen des kleinen Plateaus fiel mir ein, wie ich als Kind so oft meine teure Mama mit der Frage quälte, ob es in Jerusalem »silberne« Sterne gebe?

In der zweiten Hälfte des Papeterieladens waren Brüder, ungarische Juden, im Begriff, sich ein Bankhaus einzurichten. Ich hörte sie sanft über den praktischsten Platz ihres gemeinschaftlichen Wechseltisches diskutieren, in Rücksicht auf kommende Kundschaft. Einigten sich schließlich, ihn zu plazieren seitlich hinter dem Eingang der Ladenpforte. Als ich mir am Abend Bleistifte im Papeterieabteil des Shops holte, lagen auf einer neuen Fransendecke rührend einige internationale Scheine und auf einem Porzellantellerchen Kleingeld. Und die beiden schafblonden Brüder in ihren langen Schläfenlocken betrachteten gerade die Bildchen auf den neuen Kassenscheinen mit ihren blauen Augen und mit einer Sanftmut, wie nur Lämmer gucken können. Ich hörte später einen Witzbold erzählen: der »alte Hammel« habe schon seine Söhne gerne auf die Kunstschule schicken mögen, doch die judenfeindlichen Großstädte gefürchtet.

Noch eine Stunde ungefähr, und es beginnt der Abend; ich aber habe große Sehnsucht nach Rehavia; und ich begebe mich zu Fuß in die Kolonie. In zwanzig Minuten, geht man noch so gemächlich, ist man dort. Mit dem Omnibus vom Mittelpunkt der City aus, in ungefähr sieben Minuten. Ich fand im Sand in der Nähe eines Gartens ein niedliches Poesiealbum, hob es auf und las auf der ersten Seite hinter dem buntgeblümten Einband: Ruth. Auf der darauffolgenden Seite hatte eine kleine Mitschülerin der Ruth ihre Puppe gemalt mit Wasserfarben, sie doch wie eine Königin gekleidet und umgeben vom Hofstaat, der ebenfalls im Prachtgewand. Ich erkannte sofort in der reinen Frau mit der Krone auf den Flechten »die Esther«, auf dem Wege zu Pharao, ihrem Gemahl. Unter dem reizenden Bilde stand:

Ach Esther komm nur näher an den Thron
Was du auch bittest, ich gewähr es schon
In ewiger Freundschaft                   Sulamit.

Auf die dritte Seite schreibt eine andere Freundin ins Poesiealbum der Ruth:

Ein Kamel und eine Ziege
Liegen zusammen in der Wiege
Zum freundlichen Andenken     Myriam.

Es folgen einige Aufzeichnungen von der kleinen Besitzerin des Büchleins selbst:

Der Ölberg ist viel höher wie die Schweiz,
Wo ich mit meiner Mami war bereits
Und Onkel Meskin von der Habimah.

Die Endreihe dieses klassischen Verses war ich leider nicht imstande, zu entziffern, aber ich wußte, an wen ich mich zu wenden habe, damit das wertvolle Poesiealbum wieder in die richtigen Kinderhände gelange. An Meskin, den monumentalen Schauspieler der Habimahgruppe. Ich erfuhr nachträglich, die kleine Ruth mime an Chanukahfeiertagen unter Meskins Regie; aber seitdem – nicht mehr recht aufpasse in der Schule und sitzengeblieben sei.

Ich trabe wie das Wüstentier über den Sand der Kolonie; der Ausflug dorthin bedeutet täglich für mich ein neues Geschenk. Der Ärmste erschwingt die fünf Mils, den Weg nach Rehavia im Autoomnibus zurückzulegen. Für fünf Mils eine Autofahrt nach Rehavia, für fünf Mitz – ein Glas vom Safte der Orange; was will man mehr!!

Man spricht vom Wassermangel in Jerusalem. Von der Stadtorganisation erhält der Bewohner der Heiligen Stadt genügend Wasser zuerteilt. Auf den Dächern der Häuser bergen mächtige Wasserkessel, Fässer, den Most, den Strom der Quelle. Doch hoch in den Felsen um Jerusalem arbeiten unermüdlich die Arbeiter des jüdischen Volkes in der entdeckten, weise angelegten Kanalisationsleitung König Salomos. Meine neuen Freunde, ein Architekt und seine malende Gewerett, beide schwindelfrei, zeichnen zwischen Gipfel und Gipfel auf weiten Blättern den märchenhaften Fundus aus der Zeit des weisen reichen Melechs von Israel. Wie eine im Begriff sich ausbreitende Schwinge, von ihrem untersten Flaum aus betrachtet, hing heute Rehavia an Jerusalems mächtiger Schulter. Noch hantieren Maurer in den Streets; sie sprechen arabisch, und ich wünsche ihnen Frieden (Salâm). Gewöhnlich meckert eine Geiß, am Zaun des Vorgärtchens eines Neubaues angebunden; lange läßt ihr durstiger Besitzer nicht auf sich warten. Der Krug mit dem frischschäumenden weißen Wein stärkt den Arbeitsmann.

Rehavias königliches Hilfsgebäude nicht zu betreten, überstehe ich schwer. Mit Melechwürde bewillkommt der schlichte, im weißen Mantel bogenförmige Palast, ein steinerner Rabbi, den Fremdling. Von einem weiten Vorhof, der in die verschiedenen Eingänge der Stockwerke führt, erreichen die mannigfachen Besucher die Räume der Organisationen: den Keren Hajessod und den Keren Kayemed und die weiteren hilfsbereiten Einigungen. Ich hatte die besondere Freude, den Präsidenten, den gentleman Doktor Ruppin des großzügigen Hauses, anzutreffen. Grüße brachte ich von des Kerens Enkeln den jüngeren Keren Hajessod und Keren Kayemet der Schweizerstädte. »Ich habe zum Aufbau Palästinas beigetragen durch die Dichtungen meiner hebräischen Balladen; bin nicht untätig am Gotteswerk gewesen«, bestätigte mir der galante, aber auch ernste Weltmann. Und leichtgläubig, wie ich mal bin, freute es mich, daß die Dichterin etwas gilt im Vaterland. (Ich lasse es ankommen auf die endgültige Blutprobe.) Zwischen der »herrschaftlichen« Villa und mir entwickelt sich in der Heiligen Stadt Fehde. Nie regte sich in mir eine ähnlichere Aversion wie vor dem geschmacklosen prahlenden Steingeschmeiß – wie hier zu Heiligem Lande. Doch glücklicherweise ist man noch imstande, hier diese affektierten Häusermonstren zu zählen. In der Stadt Gottes – »man denke« – eine herrschaftliche Villa! Ich schämte mich, angesichts ihrer schlichten Umgebung, dieser arabeskenverzierten ungeschlachten Kasten. Etliche mit Steinschnurrbärten lieblich gedrehten, schnurrend und »Husch husch« unter den Dächern hervorliebäugelnden Amouretten. Auf gleicher Ebene erheben sich aus keuschen Sandsteinen, wie vom Meeresstrande hergeweht, die lieben, frommen Wohnhäuschen Rehavias. An ihren Rücken vermute ich kleine Flügel. Ginge die Kunde durch Jerusalem, Rehavia sei über Nacht auf in den Himmel geflogen – wundern würde es mich nicht. Jeden Tag beschaute ich die Blumen der Gärten mit ihren farbigen Herzen. Sie stehen genau geordnet, wie dazumal mein Kinderspielzeug auf dem mit Linoleum belegten Boden im verlorenen Elternhaus im anderen Erdteil. Dort gibt es schwarze, auch braune Erde, wie Haselnüsse braun, keine rote Erde, und gar noch wie hier, ein purpurbelegtes Erdreich. Schon in Europa bewunderte ich stets die zarten blühenden Spielsachen, von der Liebe des Gärtners umweht. Oft kommen zwei Winde vom Tale her, der eine vom Mittelländischen, der andere vom Toten Meer, und schaukeln ein bißchen die Kletterrosen, die so gerne in die Fenster der Menschen sehen. Hinter den kleinen Spielgärten reihen sie sich amphitheatralisch empor, Arm in Arm, Haus und Haus – vermählt zu einem Häuserkörper der Eintracht. »Ziehe doch einmal auf einem Bogen zehn Linien und lasse die unterste in einen Kreis enden, meinetwegen in einen leeren Vollmond.« Den überschreite! Höchstwahrscheinlich zimmern noch heute und mauern auf Neubauten, auf neu aufgerichteten Gerippen, wie im vorigen Jahre, arbeitende Juden verträglich mit arbeitenden Arabern. Im unvergeßlichen Häuschen jenseits des ausgelaufenen Vollmondkreises grüße ich meine geliebten Freunde: den Architekten und seine Malerin und beider Töchterchen und auch den Famulus.

»Rehavia, du lächelndes Jerusalem, an dich muß ich immer denken . . . oft ruhten wir im Zelte, von der Luft geliebkost, aus.«

Von der Kolonie Rehavia, hat man Mut, kommt man sofort, um exakt zu berichten und ohne falsche Zeitangabe, auf den Mond! Vom Ende der Woche an nimmt er beträchtlich wieder ab, dann kann man einsteigen in seinen goldenen Kahn. Wagerecht fährt die Mondsichel in Palästina am Rand des Himmels entlang. Ihr horizontales Vorwärtsbewegen habe geographische Ursache, die den Sternographen zu ergründen sicherlich mehr interessiere als eine Dichterin. In Palästina gibt es keine Dämmerung. Also vom Ursprung der Welt her keinen Einbruch bleischwer in den lichten Tag. Ein göttlicher Beweis für die Erzheiligkeit Palästinas schon auf dem Plan der Schöpfung. Die Liebe Gottes war es, die ausschaltete beim Malen des Auserwählten Landes das Grau auf der Wolkenpalette. Mit zauberhafter Schnelligkeit wechselt das Hell des Tages mit dem Dunkel der Nacht. Und die Schwermut der Dichter und ihre Erdangst erzeugen andere Ursachen als das schleichende Erbleichen des Tageslichts. Von unermeßlichem Gestein umgeben, akrobatisch gehalten empor, zu gleicher Zeit hart gefangen und wieder von unübersehbaren Abgründen und Bergestiefen gerufen, ja magisch gelockt, glaubt man zuerst vor Furcht und Weh aufschreien zu müssen. Man sehnt sich nach dem Schoß der Mutter. In den Nächten pflegen viele der neu Angekommenen in Palästina den üblichen Fliegertraum zu träumen. Auch ich fiel so oft im Traum erbarmungslos aus allen Höhen zur Erde herab. Und doch hält Adoneu Seinen starken Arm, unübersteigbare betreuende Mauer, um Israel. Endlich schließe ich mit dem kleinsten, ebenso mit dem gewaltigsten Stein der Klüfte und mit jedem Sandkorn der Wüstenpfade Freundschaft. Wir duzen uns, wenn wir allein sind. Hingegen darf man zu Gott mit der Zeit allenfalls »du« sagen. Ein intimes oder literarisches Verhältnis versucht geschmacklos nur der geklügelte Jude mit dem Herrn der Welt anzubahnen; der feilschende – duzt ihn; der wirklich gläubige und ringende Jude verharrt andächtig auf der Stufe vor Gott. Voller Ehrfurcht und im selben Grade voll Entzücken betrachte ich in den kleinen Quergassen in den seraphidischen und aschkenadischen Synagogen nach dem Gottesdienste die Thoraïm, das Gesetz, die Thora, jede einzelne in ihrem samtnen oder weißen Tragkleide. Eine der Thoraïm, mit einem Schellenband um den Hals, trägt der Knecht Adoneus mit besonderer Obhut, das Wundertragkind, zurück in den Heiligen Schrein. Der gute Hebräer wacht über den Schatz des Herrn, über die Gebote und Gesetze, vor allem über die ewige Liebe, die Sein Lächeln über die Welt breitet. Etliche Judenpriester fasten ihr Leben lang. Wie der gewaltige Raw, der vertriebene Wunderrabbiner von Galizien, der kühle und kühne Fastende, der »zweite Moses«! Von seinen galizischen Juden so genannt. Er war ein Fels in Israel, umbraust von hebräischen Gewässern. Im vorigen Jahre 1934 nahm ihn Gott zu sich. »Der Verlust meines goldenen Palastes, den mir die Juden Galiziens gebaut« – habe ihn nicht geschmerzt, aber die zum Opfer gefallenen unersetzlichen Reliquien –, »nach ihnen sehnt sich mein Herz.« Selbst die ihm gebliebenen unbeschädigten heiligen Kleider seines leiblichen Urururgroßvaters des Balchems, gestand der Rabbuni mir, vermögen ihn nicht zu trösten über die im Bluttaumel des Pogroms getöteten seligen Güter.

Der betende Gottesmann am Pfingstnachmittag an der Klagemauer erinnerte mich an den reinen Herzens dahingeschiedenen Großpriester von Galizien. Wie dieser einst gerungen mit dem Engel des Herrn, riß jener Gottesmann, ein Prometheus, verzweifelt an die steinernen Flügel des Geschicks. Den noch erhaltenen Teil der Klagemauer aus Gesetztafeln verwitterter Gottesgesetze küßt der Jude inbrünstig. Ich sah die vereinten einigen Chassidimväter, achtzig ehrwürdige Rabbiner in Synagogentücher gehüllt, ein einziges Schaubrot, ein heiliger, einiger, gebenedeiter Leib mit den Lederriemen der Tefillin geschmückt, den Jaffaroad herab zur Klagemauer schreiten. Diesen Gobelin aus ewigen Fasern und Adern und seidigem Greisenhaar uralten Judenstammes tätowierte die Zeit großzügig in die Haut meiner Schläfen. Mitten über dem Damm, in langen Fransentüchern und Röcken aus berauschenden Nuancen gewebt, in sonntäglichen kleinen Schuhen und Kastaniettenschritt, begeben sich die spaniolischen Frauen in Begleitung der Señors zur Mauerstätte des Gebets. Ihnen folgen, von der Höhe der goldverbrämten Straße nahend, die Kolonisten, die hebräischen Bauern und ihre tapferen Bäuerinnen und – Jerusalem weint bei ihrem ergreifenden holden Lied Freudentränen. Vor wenigen Stunden verließ der Chor der säenden und erntenden Menschen ihr Emek, gen Jerusalem zu ziehen, gemeinschaftlich mit allen anderen Juden der gelobten Stadt Pfingsten zu feiern. Die ineinander verschlungenen Arabesken meines Teppichs grüßen über dem Geländer meines Balkons die Singenden. Als letzte Pilgerin folge ich, allein, fernab und doch ein tausendjähriges Volk, eine treue Leibgarde des Herrn, den hebräischen Prozessionen.

Ich bin nicht Hebräerin der Hebräer willen, aber – Gottes Willen! Doch dieses Bekenntnis schließt die Liebe und Treue unerschütterlicher Ergebenheit zu Seinem Volke ein. Zu meinem kleinsten Volk unter den Völkern, dem ich mit Herz und Seele angehöre.

Am Jaffator schlummerte ein arabischer Verkäufer, lässig an einen weichen Berg Orangen gelehnt; aufgestapelt zu einem haushohen goldenen Hügel, wartet jede dieser herrlichen Früchte auf den Dürstenden. Höher noch wie die saftige Anhöhe, sitzen beim Würfel- und Schachspiel, rauchend aus Wasserpfeifen, im buntbemalten viereckigen Turm eines Kaffeehauses, Araber der unteren Stadt. Bevor ich meinen Weg in die Bazarstraße einschlage, überblicke ich noch einmal das interessante orientalische Rondell. Gerade fährt der Omnibus nach Bethlehem; wäre nicht Pfingsten, würde ich mich hineinsetzen!

Stufab, treppab und immer wieder weiter die Stufen herabschreitend zwischen halbverschimmelten Buden und Bazaren uralten Jahrmarkts, spaltet er sich plötzlich in drei Reihen. Aus einer Schmiedewerkstatt tritt ein Maler, den ich tags vorher in einem Kunstsalon Jerusalems kennengelernt. Er habe einen Schmied, seinen alten lieben Freund, besucht. Zehn Jahre sei der, vielleicht noch länger, nicht aus seiner Höhle herausgekrochen. Lauter Schmieden zu beiden Seiten der Budenchaussee, lauter eiserne Kammern fleißig hämmernder Juden. Die Steintreppen weiter zum untersten Jerusalem passieren wir Kleiderhändler und Schuhflickerbuden; man kann auf die Heilung seiner zerrissenen Schuhe oder Sandalen warten. Ich betrachte die bunten Auslagen der Schaubretter; dort liegen zum Verkauf gestreifte und punktierte Stoffe, zwischen Spielwaren und Krimskrams, aus Jemen importiert. Neger, die vor etlichen Jahrhunderten unseren Glauben angenommen, preisen munter ihre Waren an. Doch die Armut der Frauen und Kinder unseres Volkes und die des arabischen ergreift mich schwer. Alle die armseligen Mütter mit ihren Kindern, die uns auf den alten Treppen begegnen, und die Kleinen, die kauernd wo im Winkel einer Bude sitzen – ich werde traurig – in ihren Wimpern hausen Insekten und schläfern ihre jungen Träger ein. Mit Entsetzen blicke ich zwei eilenden jerusalemitischen Frauen nach und ihren zierlichen Töchtern, deren Haare, zwei harte Krusten, sich auf ihre Schultern legen. Nachdem vergebliche Vorschläge von jüdischer und arabischer Seite an die Bevölkerung der Jerusalembudenstadt an der Anhänglichkeit der Elternelterneltern vermoderten Häuserhöhlenreihen scheiterten, war es Montefiore, der den hartnäckischen Semiten den großen hygienischen Vorschlag unterbreitete, die dunkelschimmeligen Gruben bis zum Eingang der Klagemauer mit luftigen, lichten Wohnungen zu vertauschen. Aber auch dem Philanthropen war es nicht vergönnt, die lebendig Begrabenen an den hellen Tag zu befördern; für immer die geöffneten Gräber zu bestatten, vereitelte die fanatische Sohnesliebe zum Elternhaus. Noch lange wird der Fremdling auf dem Gang der Klagemauer den Atem einhalten, denn die Armut hängt an ihr armes Nest, wie die Wohlhabenheit an ihr luxuriöses Haus. Der Maler Ben David und ich überschreiten die letzte ergraute Steintreppe und betreten durch die mit weißestem Licht gemalte Torwölbung – das Heiligtum der Klagemauer. Engelrein sollte man sich läutern vor dem heiligen Besuch. Wir beben beide etwas vor Gottesnähe . . . Die Scharen der Pfingstpriester haben sich alle schon auf den Tempelplatz begeben. Nur das hebräische verzweifelte Rabbigebet riß noch an Gott.

Ich kaufte am Stand, am Eingang der Klagemauer, eine Kerze, entzündete sie sehr bewegt, im Gedanken an meine ruhenden teuren Eltern, an meine von mir angebetete Mama, an meinen sprudelnden, guten, weltenlustigen Papa, an meinen zu Gott heimgerufenen, jungen, herrlichen Sohn, an meine geliebten Geschwister im Himmel, an alle meine Freunde und Freundinnen, die nicht mehr mit mir vereint auf dieser Erde wandeln. Viele opferten ihr unersetzliches Leben dem furchtbaren Weltkrieg. Aber auch an meine lieben lebenden Spielgefährten dachte ich, die ich verlassen mußte in meiner mir liebgewordenen deutschen Heimat. Wir gedenken stumm einander in Innigkeit. Und ich bat Gott, alle Geschöpfe zu schützen, auch das Tier, auch das wildeste, noch gärend und schäumend wie die rasende Welle des Ozeans und vernichtend wie der verheerende Sturm, und vor allem zu schirmen die Kronen der Bäume und das Antlitz der Pflanze. An der Heiligen Klagemauer kann man, lauscht man aufmerksam, viel Weisheit lernen. Aus der Weisheit blüht Güte. Hochgewachsen hatte ich mir die Klagemauer vorgestellt, und ich staunte, ist sie doch nicht höher wie die Wände eines luftigen Zimmers. Mit den oberen neueren Steinen der Mauerstätte hat man die greisen, heiligen, anfälligen plombiert, schützend die milchweißen auf die erzalten gepflanzt. Die Länge der Klagemauer beträgt die Länge eines Korridors, an den sich etwa sieben größere Räume anschließen. Ein paar Bettler lehnen im Winkel und verhelfen den Besuchern – Gutes tun.

 

Ich bin stolz, an der Klagemauer gewesen zu sein, beinahe so sehr, als ob ich bei Gott gewesen . . . Leise schritten mein Begleiter und ich wieder durch den lichtlichten, steinernen Baldachin zurück über Stufe und Stufe, die vielen ausgehöhlten Steintreppen empor, aus der Gruft ins Freie. Schon war der Abend da, und manchmal streckten Väter und ihre Frauen und Kinder noch die Köpfe aus dem Spalt ihrer Buden, genau wie große Fische, die nach Atem schnappen. Es begegneten uns beiden abessinische, vom Tempelplatz heimkehrende Judenpriester mit großem Anstand und Würde. Wir legten, einen friedlichen Abend wünschend, unsere Hände grüßend, uns stumm verbeugend, auf Herz und Stirn. Am Ausgang des Bazarviertels saß auf seinem weißen Pferde ein Policeman, ein gentleman wie die englischen Polizisten, ein jeder; viele hoch zu Roß, sich angeborener Etikette erfreuend, taktvoll bemüht, den Frieden der Heiligen Stadt zu betreuen. Die schottischen Soldaten in ihren karierten Beinkleidern und die avancierten in ihren karierten kurzen Faltenröcken, »golden boys«, entzücken und erfrischen die Begegnenden mit ihren heiteren Gesichtern. Daß ich ganz nett englisch sprechen kann, kommt mir zustatten. Und oft begleitet mich ein englischer Soldat, auf dem Rücken seines schlanken, wiehernden Tieres sitzend, in die oder in jene Gegend, deren Richtung mir genau anzugeben, ich den liebenswürdigen Engländer bitte. Heimgekehrt vom heiligen Ausflug, legte ich mein schönstes Rosaseidentuch um meinen Hals. Oberhalb auf einer der vier Ecken blüht noch leuchtend eine in das Tuch gesponnene wilde Heckenrose von dunklerer Nuance wie das Gewebe selbst. Ich machte mir Vorwürfe, es nicht schon auf dem Gang zur Gottesheiligen Mauerstätte getragen zu haben. Ja, ich besuchte dort Adoneu im – Stein. Ihm zu danken für das überirdische Erlebnis, begab ich mich in eine der kleinen seraphidischen Synagogen der Quergassen der fürstlichen Wüstenstraße der Jaffa-Road. Ihm an Seinem späten Tempelgebein zu danken für die unvergeßliche Stunde. Im Flur unseres Hauses, hinter der Pforte des Eingangs, ruhten sich ein paar müde Frauen aus Yemen aus. Die eine streichelte in ihrem Schoß ein schwarzes Schäflein und sprach zu ihm. Ich beneidete es und dachte an meine teure Mama, die sich immer soviel Sorge um mich machte; denn so ausgelassen ich auch tagsüber gewesen und kaum zu bändigen, so schlief ich doch nachts oft mit weitgeöffneten Augen; und bei Tage hatte ich Gesichte. Und wer Gesichte habe, meinte der Arzt, stehe zwischen Leben und Tod. Aber fern und visionär stirbt von alters her das Volk Israel inmitten fremder Völker, und seine Priester brechen ihren gebenedeiten Leib. Ihn zu reichen, keusches Osterbrot, ihrer Gemeinde. Ich ging so säumend vor mich hin über den starken uralten Knochen der Hauptstraße Jerusalems, über seine Wirbelsäule balancierend. Wie Rippen zweigen sich die Gassen der ältesten Synagogen vom Rückenstamme rechts und linkerseits. Aus jedem der antiken Häuser rauscht unsere liebe Synagogenmusik. Ich verharrte vor manchem der Bogenfenster, blickte durch seine geöffneten Scheiben, um wieder eine zweite der Gassen zu durchstreifen. Schließlich trat ich in den frommen Raum eines der kleinen Synagogenhäuser, aus dem ich Spanisch vernahm. Wie es sich später herausstellte, befand ich mich in einer zur Synagoge hergerichteten Schule. Denn die Frauen saßen gemeinschaftlich mit den Männern im selben Raume auf den Bänken; und nicht getrennt hinter Gittern, auf Balkonen. Ich akzeptierte den von der stolzen Donna mir dargebotenen Platz. Um des erhaltenen kühnen Nasenhieroglyphen inmitten ihres Angesichts und seiner spannenden Enträtselung zwischen Auge und Mund würde mich manch ein Sprachforscher beneidet haben. Ich fühlte mich sofort herzlich aufgenommen in der Gemeinde der Pfingstseraphiden, der vor ein paar Jahrhunderten vertriebenen spanischen Juden der Inquisition. Vor uns Frauen beteten andächtig verhalten die Señors, die Männer und ältesten Söhne der Señoras; hinter unseren Sitzen in Reih und Glied die jüngsten Kinder, die Kleinsten der Familien. Eine etwa fünf Jahre zählende, liebreizende Señorita holte hinter den weißen Mausezähnchen ab und zu ein immer dünner werdendes Bonbon hervor, gemeinschaftlich mit dem »lieben Gott« zu konstatieren, wieviel noch von dem süßen Rest vorhanden. Es sind immer so liebe Dinge, die sich in den kleinen Tempeln abspielen zwischen altertümlichstem Ernst. Der liebe Gott ist ja selbst ein Kind, immer wieder aufwachsend mit jedem kleinen Menschen, der groß wird. Darum mag er auch das »einfältige« Menschenherz so gern, mit einem Guckglas davor, durch das man in ein Feenreich schauen kann. Wenn in der Synagoge nicht, im Heimathaus des Herrn – wo sollte sich der Jude zu Hause fühlen? . . . Von der heiteren Pfingstpredigt des Wunderrabbis lohnt es sich zu erzählen. Eine kleine Spanne Hauch trennte uns Lauschende von der zum Märchendiwan verzauberten Priesterbank und seinem königlichen Priester. Ich beneidete zu seiner Rechten seines Bruders Sohn, zu seiner Linken seiner Schwester Sohn, der ab und zu ein Amen dem heiligen Oheim kredenzte, ließ »der« seinen Schalk überfließen, verschwenderisch das rauschende spaniolische Pfingstwort. Wie der Wunderrabbiner gekleidet gewesen? Er trug einen silbergrauen Talar mit weichen Seidenfransen und Quasten, und seine silbernen Haare krönte ein Turban aus lilalei Farben; es wird der Abendhimmel von den Engeln so abgestimmt . . . Die Spaniolin schloß ihre samtne Gebetfibel und nickte einem eben aufgewachten Greise freundlich zu, der sich bemühte, auf der Seite seines vergilbten Foliants den Psalm wiederzufinden, der ihm entschwebte. Zwei Abrahame ruhten unter den kleinen Bogenfenstern in der Nähe des Rabbunis, ausgestreckt auf der seidigen Diwanflur, auf der der weltalte, schon zum Engel sich häutende Pilger tief zu entschlummern schien, sich übte, ein Gottesknecht im weißen Wolkenbarte, weise im ewigen Schlaf. Gewandert von weither, von der Grenze Asiens, gemeinsam mit seinem Schwager, erreichten sie beide am Morgen die Heilige Stadt.

Nach der lieben Pfingstpredigt eilte ich über das Geröll der schmalen Gasse, über spitze und rundliche Steine, aber leicht wie ein Wild, über all die eckigen Hindernisse hinweg. Es galt für mich eine königliche Handlung zu vollbringen, einen Durstenden zu erfrischen, »Seinen ihn preisenden Wunderknecht«. Mit dem Kristall zwischen meinen Händen, gefüllt mit goldenem Schaum der Beere Palästinas, kehrte ich zurück zur Stätte der Gottesliebe, in den zur Synagoge sich fromm umgekleideten Raum. Mit Entsetzen erfüllte mein hartnäckiges Vordrängen die im Vorhofe sich befindenden Männer und die in der Synagoge schon psalmierenden Rabbiner in smaragdenen und hyazinthbraunen Festhemden; hoben drohend ihre stolzen Gesichter! Aber, Gott verzeihe mir die Sünde, da ich gewaltsam eindrang, wider das Gebot, in den Saal der betenden Männer, Seinem unschuldigsten Priester in Lammschuhen das stärkende Rebenblut der Weinstöcke Noahs zu reichen.

Seit der Inquisition leben die seraphidischen Juden, fast alle ihre Familien, die ins Gelobte Land flüchteten, hier in großer vergrämter Armut, in kleinen sonnverbrämten Häusern marokkanischen Stils, hinter vergitterten Fensterchen und verrosteten Balkonen, zwischen Synagogen und Synagogen. Leid malte ihre Gesichte zu Antlitzen. Vergebens versuchte ich noch Tage und Tage nach dem Pfingstfest, den zederalten und doch blütenjungen Wunderrabbi in den Synagogen oder auf den Straßen Jerusalems zu begegnen. Ich fand ihn auch in Tel-Aviv nicht, auch nicht irgendwo auf einer Pyramide sitzend, ein Gipfel über einem Gipfel. Oder in einer Karawane zwischen den Buckeln eines Dromedars ruhend. In jedem kleinen Garten suchte ich nach dem glitzernden Pfingstrabbiner, so sucht ein Osterkind nach einem himmlischen Osterei, ein Waisenkind nach seiner Mutter, die Mutter nach ihren ihr von dieser Welt genommenen Kindlein. Wie ich – nach meinem unvergeßlichen, jungen, schönen, lieben Sohn . . . überall und allerwegen. Amen.

Wie ist es in Palästina? Höre ich mich fragen. »Anders als in einem Lande dieser Welt. Aber wie es auf dem Bibelstern eben so ist.« Ich bin auf dem Bibelstern gewesen, von dem Gott den nackten Stein brach, zu bauen alle anderen Welten.

 

Ich habe Verlangen, in den Quellen Tiberias zu baden, die strahlen wie die Geschmeide der vielen Prinzessinnen, die in ihnen einst untertauchten. Nicht weit von Tiberias, in den frommen Häusern Nazareths, warten unter den kleinen Dächern die Dichter auf mich. Wir wollen den alten Tempel Karpanaun schmücken mit den Violen unseres Gebets.

Es ward wieder Morgen aus Nacht. Er glich einem Falter orangenfarbig glührot, wie die Frucht von der jerusalemer Sonne gemalt. Wie eine jede der kleinen Orangen, ovalen Jakobbrunnen, die uns Menschen laben. Es meldet sich von neuem der Alltag, der zur Arbeit ruft. »Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten Tage sollst du ausruhn.« Spricht der Herr. Es bestellen die fleißigen Arbeiter und die vielen Schwestern der Ruth die Äcker im Emek. In den Hainen tränken die Pflanzer die Pflanzungen. Die Kinder der Kolonisten lernen das Abc ihrer hebräischen Muttersprache. In Palästina wird hebräisch gesprochen. Hebräisch heißt das ehrwürdige und ewigblühende Sprachgewächs des Gelobten Landes.

Meine Hände regen sich wieder zur alltäglichsten Arbeit. Die in unserem Gasthause angestellte Oderett und ihr niedliches Töchterlein befremdet eine stubenreinigende Gewerett. An des Zahnarztes Selbstversorgung an den Wasserhahnen haben Mutter und Kind sich schon gewöhnt. Doch sie ließen sich nicht die gröbste Arbeit von uns beiden nehmen. Jeden Morgen suchten sie uns heim, zuerst des Doktors und dann meine Stube mit ihren Freundinnen, den Emaileimern, uns zu besuchen; über die Steinböden ein, zwei, dreimal die frischen Ströme der gefüllten Behälter fließen zu lassen. Die Oderettmutter pflegte nach getaner Arbeit zu fragen, ob gudd? Ob alles gut erledigt oder ob ich, die Gewerett, etwas auszusetzen habe. Das Wörtchen »gudd«, wahrscheinlich im Zimmer einer deutschjüdischen Familie aufgefangen, diente der Guten, sich tagsüber mit den Gästen zu verständigen. »Gudd« bedeutete für Hagar der ganze Wortschatz der fremdländischen Sprache. Sie fragte das »Gudd« mit solcher Treuherzigkeit, man hätte sich nicht getraut, ihr nicht vielfach zu danken für ihre Dienstleistung. Zu gleicher Zeit entbot sie mit dem Begriff »gudd« Morgen- und Abendgruß. Begegneten wir uns beide vor den Warteräumen des Zahnarztes, und es verharrte noch auf dem Korridor unschlüssig ein Beduine, ein vor Schmerz sich krümmender oder sonst ein Zahnschmerzler aus Jerusalem, pflegte des Hotels Faktotum, mit der Miene des Mitleids auf den Heulenden zeigend, ihr Allerweltswörtchen »gudd« anzuwenden; ja, oft mit Regen im Auge. Nie vergesse ich den wildschnaubenden Wüstenmenschen mit dem umbundenen rabenschwarzbärtigen Angesicht im hellseidenen Kaftan und Schärpe. Über beide Kleidungsstücke einen gläserndurchsichtigen, sternbesäeten Mantel. Bis er sich dann schließlich zusammenraffte, sich erhob, ein Sohn der Sahara, auf dem Weg zur Zange. »Zahnziehen« entspricht einer Kriegsfeierlichkeit bei dem Beduinenvolke. Sie veranlaßt den Beduinen, Feiertagskleidung anzulegen. Heute abend bleibt das Sprechzimmer des Zahnarztes geschlossen, heute zieht der Doktor keinen Zahn. Auch ich lasse am siebenten Tag der Woche Zimmer Zimmer sein, mit ihm meine gliederstärkende Hausarbeit, die mir Turnen ersetzt. Kein Jude arbeitet am Ruhetag des Herrn.

Auch ruhen die Gebäude, das schlichteste Haus Palästinas wie auch sein glänzendster Palast. Unter den Bögen der Fenster aber blühen verheißender die Blumen, lächelnde, rotbetupfte Kakteenigel in Töpfen; die Gaststätten alle sind lieblich bekränzt. Aber, daß man den Mut besitzt, vor der Unschuld der anmutigen Blume das Tier zu verspeisen! Ach, daß man sich an den Mord der Tiere so gewöhnt hat! Und viele Menschen, die vor uns im Testamente lebten, noch dazu glaubten, der liebe Gott – erfreue sich an Tieropfern! Abraham ließ ab vom Tier und speiste keines mehr, nachdem er den Schmerz des Tötens gefühlt, an Isaak, am eigenen Fleische, das ihm in letzter Minute erlassen zu schlachten. Denn Gott sandte Seinen Engel dem gehorsamen Knecht und schenkte seinem jungen Kalbe das Leben. Daß ich mich selbst des Tierfleisches nicht enthalten kann oder – will? Es immer wieder genieße. Und nicht einmal den Mut finde, wenn ich schon diese Sünde begehe, es zu essen, das Tier für meinen Tisch selbst zu töten; oder den Fisch hungrig, wie der Fisch den andern, der noch stumpfen Natur entsprechend, mit Schuppe und Haut zu verspeisen. Esau war ein Jäger, Jakob vom Vater bevorzugt . . . ob Erzvater Isaak sich nur von den Früchten der Erde nährte, wie einst sein Vater sich – dann begnügte mit der Frucht; das muntere Tier zu genießen sich enthielt. Als ob es gestern gewesen, das erste Menschenpaar mit mir . . . Gotteskäferchen spielte, mitten auf einer Wiese im Paradies. Mich über ihre Handrücken laufen ließ, sich freute, wenn ich zur Nacht leuchtete über ihre Lager. »Könntest du ein Leuchtkäferchen schlachten und es essen?« Die um meinen Tisch sagen: »Nein, wir könnten kein Leuchtkäferchen schlachten und essen.« Und einer schwarzen Jungfrau aus dem Negerlande rinnen durchsichtige Tränen aus runden Augen. Sie gleicht meiner Kameruner Schulgefährtin Susanna, dem Adoptivkinde des Kolonialhauses meiner Heimat. Wir alle in der Klasse fühlten, so schwarz auch unsere Mitschülerin aussehe, sie hat ein weißes Herz; und ich staunte sie fast an.

Enthielt ich mich der sündlosen Schokoladenspeise, bezahlte ich for the dinner 5 Piaster. Verließ ich aber das wohlschmeckende Speisehaus mit meiner Lieblingsspeise im Magen, zart in eine Schlagsahnwolke gehüllt, bezahlte ich 7 Piasterstücke. Ich trug die Münzen, durch ihre Gucklöcher wie durch große Perlen auf einer Schnur gereiht, eine Nickelkette um meinen Hals.

Sich mit dem Fisch zu sättigen, in heißen Ländern – ratsam! Auch hüte man sich, nicht nur in Palästina, in allen heißen Ländern, mit übermäßigen Quantitäten Speise seine Kanäle zu verstopfen. Den Schmarotzern, schädlichen Keimen an den Wandungen der Därme ein luftdichtes Asyl zu bieten, darin sie »Ruhr« fabrizieren. Eine, wenn auch stets gut verlaufende, etwas blutige Darmkrankheit, die, nach ein paar Tagen Bettliegen überstanden, aber zu umgehen wäre. Ich blieb von ihr verschont, schon der Orangensäfte wiederholten Glase wegen, die ich aus dem Kelch der Vase, früh schon am Morgen, auf das Wohl der hochzeitlichen Stadt zu trinken pflegte. Könnte ich mir nur das Fleischverzehren abgewöhnen! Doch ich rate dem Leser meines Buches, sich nicht nach meiner blutigen Tat, jedoch unbeirrt nach meinem unbefleckten Wort zu richten, es schritt durch meine vielen, vielen Bücher, über die lichten Pfade der Seiten, schwebte so oft zum Himmel empor, ein stilles, unberührtes Gebet. Richte sich der Leser nach meinem Wort! Es konnte mir niemand nehmen, im blutigsten Kampfe nicht, ich mir selber nicht, mir kein Listiger entlocken, kein Liebender abschmeicheln.

Mit Liebe sein Brot essen, freut Gott. Er möchte, der jedes einzelne Korn der Ähre und den Kern des Obstes buchte, daß wir uns freuen an der genießbaren Frucht seiner Welt. Mit seinen Kindern, ob kleinsten oder größten, warum sollte es dem lieben Gott nicht einfallen, mit ihnen gemeinsam von des Baumes einladendem Zweig die – Herzkirsche zu essen? Den lieben Gott von den Freuden seiner Natur ausschließen, diese strenge enge Magisterehrfurcht vereinsamt den Herrn. Man verleidet ihm seine Welt.

Unser großer, liebreicher, dichtender Priester, Emil Bernhard in Berlin, lehrte uns in seiner Laubhüttenpredigt: Die Laubhütte verbindet am Tag der Feier die Erde mit dem Himmel. Also: Menschenwohnung und Gottesreich. So erwarten wir Juden in der bewillkommnenden geschmückten Laube, über den Blumenteppich mit – Jerusalemherzpochen den Herrn Adoneu.

 

Liebespaare beschauen sich am Pfeiler des Cinemas »Zion« die bunten abenteuerlichen Plakate. Cinema ist auch meine Schwäche; möge sie nie erstarken!

Komm mit mir in das Cinema,
Dort findet man, was einmal war:
Die Liebe!

Liegt meine Hand in deiner Hand
Ganz übermannt im Dunkel,
Trompetet wo ein Elefant
Urplötzlich aus dem Dschungel –

Und schnappt nach uns aus heißem Sand
Auf seiner Filmenseide
Ein Krokodilweib, hirnverbrannt,
Dann – küssen wir uns beide.

Vor dem Rondell, an dem das große Kinotheater »Zion« liegt, teilt sich die seltsame Wüstenstraße Jaffa-Road in zwei Hälften: wie ein Fluß, der sich eine Strecke spaltet, aus für uns unerforschlichem Grunde, um sich wieder zu vereinigen im höheren Geschehen –, um in Rehavia wieder Road and Road, ein Straßenkörper und eine Straßenseele zu werden. Eine Hälfte des gespaltenen Jaffa-Roads taufte die Stadt: Ben Yehuda-Street, dem anderen Straßenteil ließ man seinen konservativen, alteingesessenen Namen: Jaffa-Road. Der Besitzer der höflichen Buchhandlung der Ben Yehuda-Street nahm sich bei meinem Einzug in Jerusalem meiner Bagage an, verhalf mir aus schwierigster Situation. Drei Tage verbrachte das mit bunten Hoteletiketten beklebte Köfferchen unter dem Schutze des Ladeninhabers Ben Jisroëls. Stolperte auch der Kunde über sein von der Meerluft abgehärtetes Pappleder, doch kam es niemandem, selbst dem Chef nicht, in den Sinn, den ihm anvertrauten hergereisten Störenfried vom Eingang der Librairie in eine der Ecken hinter dem Büchertisch zu transportieren. Über das Knurren meiner Jaguarmütze in der Hutschachtel amüsierten sich die Käufer. Alle Morgen standen immer wieder neue Romane, auch exotische Heftchen mit abenteuerlichen Titelblättern, nächtlich aufgeschossen, auf dem Ladentisch und auf Regalen. An den Wänden die Plakate zeigten Neuestes an. Morgen spielt das Ensemble der Habimâh.

Juden und Araber begeben sich zur Vorstellung; zeitig zu erscheinen, hat noch keinen Zuschauenden gereut. Wenn die Habimâh ihre Gastspiele anzeigt, schäumt die Freude des kunstdürstenden Publikums Jerusalems, wenn auch nicht über . . . immer mit Maß und Würde, der Heiligen Stadt angemessen. Hier in der Stadt Gottes reißt die Freude nie, weltliche, auch nicht unirdische unzart an die goldalten Nähte ihres Gewands. Denn Jerusalem feiert immer Hochzeit und schreitet zum Altar im Brautkleid. Freude und Leid nimmt man hier »gemessen« zu sich. Der Schauspieler reicht dem Zuschauenden auf hochzeitlicher Bühne seine Rolle. Allen Mimen des Habimâh-Ensembles verlieh die Fee der Schauspielkunst beides: Begabung und – Seele. Und nie bleibt leerer Schall, auch nicht bei gewaltigster Form. Ein Wunderensemble fürwahr! Meskins Allgegenwart trägt am Abend das Schauspiel auf dem starken Nacken; Rowinas kostbare Spitzenhand unterzeichnet das adelige Spiel. Die Araber lieben mit den Juden gemeinschaftlich, leidenschaftlich die Habimâh; bewundern seine großen Künstler. Die beiden versöhnten Stiefbrüdervölker, ein jedes begabt, sich zu begeistern. Ist es doch stets der Zuschauer der träumerischen Theaterwelt, der phantastische Kunde bringt der wirklichen Welt; der Kritiker: Der vorauseilende Postillon.

 

Unter dem glitzernden Kronleuchter des Sternenhimmels begegne ich mit Vorliebe den Menschen Jerusalems. Die leuchtende Farbe von oben steht gut zu ihren goldgebräunten Gesichtern. Manche Antlitze sternen schon am Tage, wie in der Nacht die wirklichen Sterne. Im himmlischen Sinne wird der Mensch sehr verwöhnt im Gelobten Lande, immer wieder vom Zauber der Gegenden beschert und von seinen Lüften spazieren getragen. Darum denkt man gerade in Jerusalem an seine erste Kindheit, an die man sich bis dahin gar nicht mehr erinnern konnte. Als man noch mit der Welt in die Sonne gesetzt wurde; mit dem Riesenkind, das sich – nackt, nicht vor Gott zu verstecken braucht. Unser liebes Palästina! Nur sein Berg Carmel trägt schon ein hellgrünes Hemd, mit Johannisbrotfrüchten darin gewirkt. Man sollte sich bescheiden im Heiligen Lande, fürlieb nehmen mit den Dingen, die einen als Kind erfreuten. Wir befinden uns in Jerusalem, mitten in der Bibel, und nicht – an der Riviera, einem mondänen Badeort. Wir reisten in das Bibelland, ins lebendige Testament. Nicht etwa nur in seinem mächtigen Buche zu blättern, wie die Mehrzahl der Menschen es zu tun pflegt, schenkt der Dichter ihnen seine Verse . . .

 

Demut, Genügsamkeit und Hingabe heißen die drei Eigenschaften Jerusalems, drei schneeweiße Eselinnen, die dem armen Hebräerjungen gehören. Auf denen ich zu reiten pflegte abwechselnd, manchmal warfen sie mich widerspenstig in den Sand. Doch auf den lebendigen reinen Lehren durchstreifte ich Gottes Lieblingsstadt. So hält man mit der Schöpfung Schritt! Und ich weiß nun ganz genau, »Nichtschritthalten« mit den drei Schwestern und Abweichen von Gottes Plan, Gleichgewichtsstörung nach sich zieht. Und sich Verirren bedeutet Verfinstern, und Finsternis führt in den Abgrund, aber die Liebe zur Weltenordnung – ins Ewige Licht.

 

Ich bin eingeladen, in Talpiott, in einer der Vorstädte Jerusalems, den Schabbattabend zu verbringen im Hause eines liebreichen, feinen Dichters unseres Volkes. Als ich aus meinem Gasthaus trat, lag der untere Teil Jerusalems, hauptsächlich von arabischer Bevölkerung bewohnt, im magischen Feuerschein. Es handelte sich um eine Generalprobe bei hellichtem Tageslicht, um ein Feuerwerk zum morgigen höchsten Feiertag des Muselmannes. Der Araber liebt Feuerwerk über alles! Doch die Konkurrenz der strahlenden Sonne stört ihn heute fast. »Barutt!« mahnte ein arabischer Arbeiter auf dem Damm der höher gelegenen Straßenterrasse. Und schwenkte ein kleines Fähnchen hin und her zum Zeichen: Es wird gesprengt! Wir Passanten warteten geduldig auf den Donner der auseinandersichspaltenden Steinwände. Beständig baut man in den Städten Palästinas neue Häuser und auf seinen roten Äckern wird gesäet.

Ich besteige den hebräischen Omnibus, der mich in die Vorstadt Talpiott befördert. Vor mir auf den Bänken sitzen griechische Mönche von großer Schönheit. Der älteste trägt sein Haar unterhalb des Kopfes zu einem Knoten gewunden. Der jüngeren Mönche braunes Lockenhaar ist gleichmäßig gerundet, wie das der griechischen Marmorjünglinge der Museen. Im kleinen Raum des Wagens herrscht immer große Jerusalemstille. Man kann so ungestört im Autoomnibus der Wüste entlang, dem Urvätergestein anvertraut, sinnen. Wir kamen an dem gebenedeiten Grab der Rahel vorbei, der Lieblingsfrau Jakobs. Er diente zweimal sieben Jahre um diese holde Frau. Sieben Jahre und wieder sieben Jahre freite unser junger Erzvater um Labans zweite Tochter, bevor sie sein Eigen wurde. Aber das Volk Israel dient nun schon Jahrtausende um sein Palästina, wohl unter dem Segen des Himmels, aber immer wieder bedroht von Nebenbuhlern.

Der Dichter Agnon und seine liebe Gewerett erwarteten mich an der Wagenhaltestelle ihrer Kolonie. Und wir schritten gemeinsam das kurze Ende, die leicht ansteigende Chaussee empor, in ihr weißes Haus. Das liegt an einer Wiese, einer ganz nackten, die ich mir im grünen Graskleid hätte gut vorstellen können, mit kindlichen Lilaglöckchen und Butterblümchen geschmückt und Schafgarben. Eine Hütte steht am Rand des Platzes; und es kam mir unvermittelt und unvermutet der Gedanke:

Vielleicht wohnt der liebe Gott in der schlichten Laube? Den Kindern beim Spielen zuzuschauen. Er hört ja auch so gerne, wenn am Freitagabend die Kleinsten ihrer Eltern zu ihm die Gebete sprechen. Aus ihren rührenden, unschuldigen Händen empfängt der liebe »große« Adoneu bewegt seine ihn preisenden Psalmen. Wir lehnten bei Tische so lieb aneinander; neben dem helläugigen kleinen Bruder das braunäugige Schwesterlein. Und neben ihm der dichtende Papa; und die feine Mama neben dem elfjährigen Sohn. Dann kam ich, mir zur Seite der andere Feiertagsgast. Vom Pfeiler des Fensters bemerkte ich schon, vor meinem geblümten Teller, den kostbar gegossenen Silberbecher stehn, den nun der Dichter Agnon gerade im Begriff, zu füllen. Nach der Zeremonie trank ich aus ihm – auf das Glück seines Hauses. Ein strafender Seitenblick traf mich aus dem Auge meines Nachbars, der mich erinnern sollte, ich sitze beim Heiligen Schabattmahle und nicht an einer Geburtstagstafel. Auch meinen liebreichen Gastgebern entging der mich zurechtweisende, stumme Tadel nicht, und sie meinten beide, mich Erschrockene verteidigend: Unsere Dichterin vergißt selbst am Gottesabend nicht, das Haus »zu liebkosen« (genau so sagte des Dichters Frau), an dessen Tisch sie speise. Der schüchterne Talmudmönch aber zupfte verlegen, für Gott, den Herrn des Schabbats, beleidigt, errötend an den Schößen seines schlichten Kaftans, gab sich gewaltsam Mühe, mich zu ignorieren. Ich aber blickte auf die sieben weißen Kerzen in den Kelchen des sonntäglichen Leuchters, in ihre kleinen reinen Feuer. Mitten auf dem Tisch stand er und brannte um den Schabbatt und der Schabbatt um ihn, hier und in allen Häusern der Juden. Ich wandte mich zu dem gestrengen Manne des Herrn neben mir und fragte ihn, ob er die sieben weißen Kerzen brennen sehe. Doch alle nach ihrer Art, »nach ihrer einigen, eigenen Flamme.« – »Also wollen wir auch unsere Dichterin leben lassen, wie sie ist. Was sagt mein lieber Gast, der gestrenge Nachbar, dazu?« beendete der Adoni des Hauses den religiösen Wortwechsel und verteilte, nachdem er die schabbattlichen Zeremonien gesprochen, an uns jeden an der Tafel das mohnbestreute Weizenbrot, tauchte ein jedes der kleinen Teile, bevor er sie uns reichte, in das Salz eines Kristallschüsselchens und psalmodierte den zu der Handlung von altersher üblichen Spruch. Die reizenden, artigen Kinder sangen hebräische Weisen, und ich schaute im frommen Takt immer wieder schmelzend und lockend durch das Dunkel des Abendfensters über den graslosen Wiesenplatz, ob auch der liebe Gott die beiden Geschwisterlein singen höre.

»Hat die Dichterin den Text der Psalmen verstanden?« erkundigte sich der Dichter. Gerne hätte mich hingegen der Talmude ferner meiner schlechten Judenschaft gerügt, es gärte in ihm; doch in mir, ihn eines Besseren zu belehren. Das ehrfürchtigste Gebet der Juden, das »Schmah« – wohlwissend dem Tische des Schabbatts nicht einverleibt – stürzte plötzlich und schäumte in hohen Intervallen über die Düne meines Mundes, aus seinem Bett getretener Strom. Der Beifall, den ich erntete von seiten des Adons und seiner Adona, und meine Frage an den frommen Gelehrten, ob ich nicht das »Schmah« vorbildlich zum Herrn gesprochen, befreiten den Mönch gänzlich von seiner Schüchternheit. Er betonte, aus sich vollends heraustretend, die Art und Weise, wie ich, seine Nachbarin, sich erlaubt habe, das ehrerbietigste Gebet zum Herrn zu sprechen, beleidige, ja kränke Seine Heiligkeit durch alle Seine Himmel. Der lege kein Gewicht, weder auf Aussprache noch Klangfarbe, die wohl den Habimâhregisseuren imponiere, aber nicht Seinem Gotte, dem Gotte Israels. Und ich war doch so stolz, das herrliche Gebet fehlerlos gesprochen zu haben zu Gott. Das bestätigte nach eigener Erwägung mein empörter Nachbar wohl, aber das sei auch mein einziges Verdienst. Ich erlaubte mir, mich wiederum im Gleichnis zu verteidigen: »Es war einmal eine Hirtin im Volke Israel, die, wenn sie nicht die Lämmer hütete, Verse dichtete an den Herrn. Eines Morgens dürstete sie sehr und sie neigte sich tief über einen Brunnenrand, um zu trinken. Als über dem Quell ein Tropfen des Wassers der unzähligen Tropfen emporstieß, in dem sich die ganze Schöpfung widerspiegelte, der Schöpfer Selbst. Und die Hirtin ging eine Schale zu suchen, die unaussprechliche Kostbarkeit zu bergen; aber sie fand nicht eine einzige, die der Schönheit des kleinen geschliffenen Wassers entsprach, weder in den Nischen der Tempel noch in den Gärten der Paläste. Da spann sie aus den roten Fäden ihres durchsichtigen klaren Herzens einen Kelch, kristallen im Klang und von holder Dunkelheit seiner Darreichung, und legte die bebende Ewigkeit, verwahrt in einem winzigen Tropfen, den Demant der Gebete, das »Schmah« – zwischen den gesponnenen Wänden ihres gottgeopferten Herzens.

Das »Schmah«, der heilige Hieroglyph auf dem Plan der Schöpfung, überlebt die Welt.«

Die lieben Kinder des Dichters lagen schon im Schlummer, als mich ihre liebevolle Mutter, da mir so bange, mich wie eines ihrer Kinder zu Bette brachte. Ich hatte doch – Angst vor dem lieben Gott auf dem nackten Platz hinter unserem Hause. Und schämte mich, es der Gewerett zu gestehen. »Ist es denn nicht traulich hier in der Stube?« tröstete die Liebe mich. Aber das war es ja! Der große Gegensatz innen und draußen erzeugte das ungestüme Gefühl. Mir fielen die Worte des letzten Prophetendichters Peter Hilles ein, dessen Name Petron uns Freundesjüngern auch ein Fels bedeutete. In seinen Psalmodien steht geschrieben: »Gott ist das Weltgemüt – Er ist aber nicht gemütlich.«

Daß über Nacht wieder ein heller Morgen käme, »schön wie noch nie!« Mit dieser Erwartung schlief ich schließlich ein. Der Talmudist saß, anzunehmen, wieder in seiner Synagoge in Jerusalem, grübelnd über schwierige Gottesstellen in den Heiligen Büchern. Die beiden Sternenkinder des Dichters aber hatten sich nach Kinderart auf der höchsten Stufe der Treppe, die zur obersten Terrasse führt, plaziert. Und auch wir drei, der Dichter, seine Gewerett und ich, ließen uns nieder in der lichtesten Morgenfrühe in biblischer Vergessenheit um die kleine Holzinsel des runden Gartentisches, auf dem aus Körben Manna wuchs und Milch aus Krügen floß und aus Gläsern Honig. Mit dem Gezwitscher seiner Bambusflöte lockte ein kleiner Araberjunge von der Landstraße seine Herde herbei. Es nahten die lieben Tiere gehorsam; das kleinste Zieglein legte seinen Kopf in des guten Hirten Schoß. Im Anblick dieses sanften Bildes verloren, begann sich, ohne Furcht, zu erheben mein Herz wieder zu Gott. Stumm träumten wir Freunde nebeneinander und sagten uns doch so viel. Auf die Berge, die ich für gelbe Dromedarbuckel gehalten, hinter dem Streif des Toten Meeres unten im Tale, zeigte der Dichter und ahnte nicht, wie mich seine plötzliche Kunde überraschen würde. »Es sind die Berge von Moab, meine verehrte Dichterin!« Ich legte meine Hand über meine Augen; sie zitterte vom Blitz der Überraschungen getroffen und brannte. Später erzählten mir meine neuen Freunde, ich habe auf der »kleinen Insel« gestanden, mitten zwischen Tellern und Tassen und Kannen und sei – zum Himmel aufgefahren. Hand in Hand streiften Gewerett und ich durch die blühende Chaussee Talpiotts, die mit Agnons Haus endet oder beginnt, von welcher Richtung aus man ihn zu besuchen pflegt. Es begegnen uns junge Arabersöhne vornehmer Araberfamilien, Studenten in modernen europäischen Anzügen, doch in landesüblichen, vor dem Sonnenstich schützenden seidenen, weiß und schwarz gestreiften Kopftüchern, deren Fransen auf ihre lässigen Schultern fallen. Man könnte die schlanken, knabenhaft gebauten Sittis für Fürstensöhne halten. Auf die Universitäten Italiens pflegen die wohlhabenden Araber und Beduinen ihre Söhne zu schicken, die gegenwärtig ihre Ferien in der Heimat verbringen. Der arabischen Väter Absicht, ihren Söhnen eine eigene Hochschule in Palästina zu errichten, wie die hebräischen Väter ihren Studenten, scheint sich zu verwirklichen.

Es setzen sich einige frische Bäuerinnen, aus ihrem Emek kommend, hinter mich in den Omnibus. Sie haben ihre Eltern im Vorort Jerusalems, in Talpiott, besucht. Sie sprechen hebräisch. Teilweise verstehe ich ihre Unterhaltung, errate sie halb, die sich um ersehnten Regen handelt. Und wir prüfen miteinander das Himmelsgewölbe. Wie lange die Wetterwolke beanspruche, herabzuregnen auf Jerusalems Äcker und Felder? Sie zog sich zusammen zu einem einzigen undefinierbaren Auge, wie solches die Frau beschaut aus dem Gesicht des jüdischen wie des arabischen Wildarabers. Alle sieben Jahre, sagt man mir in der frommen Stadt, naht ein Gewitter und tränkt Palästina; eine Wolkenkarawane rotfunkelnder Blitze und Donnerkeile vom Westhimmel her, wie ich erlebte selbst in der ersten Nacht meiner Ankunft, geschützt im Hause meiner Freundin in Jerusalem. Mit Magd und Knecht und dem Vieh der Ställe fürchteten die Einwohner der frommen Stadt, mit ihren Häusern fortzuschwimmen und zu münden unten im Schluchtental – im Toten Meer. Auf der untersten Terrasse im allerletzten Hause, gegenüber der Wüste, wohnte noch vor einem Jahre meine liebste Freundin, die vielgeliebte morgenländische Frau des im Weltkriege gefallenen Berliner Advokaten Hugo Caros, mit ihren Kindern und anderen Familien. »Rahel« – taufte er sie. Inbrünstig liebte der berühmte Jurist sein deutsches Geburtsland und stellte sein Leben freiwillig dem Kaiser zur Verfügung. Seine jungen Kameraden nannten ihn Onkel Justizrat. In Südamerika heißt man eine am Fluß gelegene Bretterbude: Wildwesthaus. Hier zog sich ein River aus Sand an den schwankenden Balkonen der Stuben meiner Freundin vorbei; man verspürte Lust, wie das üblich unter den Cowboys und wilden Goldsuchern Perus, von den Galerien unter dem Dache sofort ins Freie zu springen. Lange vermutete ich im Stockwerk über uns einige solcher sympathischer Abenteurer, nach hier – auf gut Glück eingewandert. Mancher der Einwohner Palästinas behauptet, mit erstklassiger Wünschelrute schon Gold zu finden sei im Lande.

In der ersten Nacht klirrten die Fensterlein des luftigen Heims, in dem ich mich zur Ruhe begab; meine Freundin verklebte das Innere der nervösen Ohrmuscheln sündhaft vor den göttlich schäumenden Elementen mit Wachs. Immer näher kamen die unnützen, aber recht frischen Wirbelwinde durch die geöffneten Scheiben gesprungen. »Von wo die nur plötzlich herkommen mögen?« überlegte Rahel. Sie hatte nicht bemerkt, daß der Himmel sich schwarz und faltig kräuselte, um – ein Gewitterregen herniederzuplatzen und zu rasseln mit Reif und gefrorenen Schneesternen wie seit sieben Jahren nicht mehr. Um fünf Uhr aber schon trockneten wir, unter warmer Jerusalemfrühe ausgebreitet, mit Decken und Kissen auf dem kleinen Rasen zur Seite des aparten Häuschens in der blanken Sonne. So gerne saßen wir beide auf dem lieben Treppchen, das aus der Besenstube führte, von dort die große Wüste zu überschauen. Karawanen von weißen Eseln nahen . . ., auf dem weißesten liegt hingegossen sorglos eine Fâtme und leiert das ewige Lied der Wüste vor sich hin. Ich aber blicke aus nach dem Erzvater Jakob – Josefs Papa. Wir kehren in die Stube meiner Freundin zurück; im Korbsessel sitzt ihr ältester Sohn und läßt auf seinem Knie seinen süßen Gabriel Kutsche fahren. Er gleicht des jugendlichen Vaters Vater auf ein Haar. Guckt Gabriels Löckchen auch erst, ein kastanienbrauner Flaum, über Stirn und rundem Näschen, über dem Bonbon noch nicht diskutabel. Doch ähnelt schon Babys Kinn mit der Kontur zu einem Grübchen, eventuellem Bächlein, des Großvaters beweglichem. Lebte mein geliebter Junge noch auf Erden, er würde seinen besten Freund, den kleinen Gabriel verewigen, wie es kein zweiter Zeichner imstande.

Ich ließ mit mir geschehen, im Schutze meiner Freundin, die ersten Tage meiner Anwesenheit im Gelobten Lande nach ihrem Gutdünken. Gestern erst folgte ich ihrem überraschten Sohn, Gabriels Vater, in das Haus seiner mädchenhaften Mutter, die es mir ein Lebtag verübeln würde, falls ich mich weigere, so frisch arriviert, unter ihrem Dache die ersten Tage zu verweilen. Es träumte noch Ägypten in mir, von dort aus ich ins Hebräerland endlich gekommen.

Es war im April, als ich des Schweizerlandes schönste Stadt verlassen, Zürich, in der ich, eine Emigrantin, ein Jahr gelebt, viele Menschen zwischen ihren Rigis liebgewonnen. Man lernte »danke« sagen in der Emigration, aber man hüte sich vor des Wortes Virtuosität! Die Dankbarkeit den kindlichen Hauch der Freude verliert. An den Spender, der ängstlich abwägt, bevor er seine Gabe dem Notleidenden reicht; er verwandelt des Empfängers Annahme oft zu einer verzweifelten, doch heroischen Tat. Im Grunde liegt ein Dünkel darin, liebreiches Präsent zu verschmähen.

Im Tumtumtakt der Eisenbahn gefiel es mir, zum Zeitvertreib dieser Frage – Delikatesse – zu lösen. Ich beguckte mich dann im Spiegel der Fensterscheibe, sah noch genau so hehr wie im reichen Elternhause aus, ganz genau so! Und auch inwendig fühlte ich mich dieselbe! In den Augen, in der Schläfe den Kometen der Dichtung, in der anderen den Davidstern. Ich schloß meine Lider zu. Wie oft hatte ich Ägypten, mit dem Ziel Jerusalem, schon wie oft im Traum zur See und im Lokomotivrhythmus erreicht!

Als ich des wundervollen Schweizerlandes Zürich verließ, war es April. Ich fuhr durch den St. Gotthard nach dem Tessin, über Lugano nach Genua, in die Stadt aus Filigran, in die Stadt Fieskos, in die Stadt der feingesponnenen Intrigue. Noch am Nachmittage des Donnerstags meiner Ankunft holt ich mir im Büro des artigen Triestiner Lloyds meine von einem griechischen Ehepaar dedizierte Schiffskarte nach Alexandrien. »Die Übersetzerin einiger Ihrer schönen hebräischen Balladen«, schrieb an mich Madame Pilavachi, »erwartet Sie binnen sechs Wochen am Hafen der berühmten ägyptischen Handelsstadt. Erkennungszeichen: Ich bin nicht schön, ich bin nicht häßlich.« Ich wußte also genau, es wartet eine »schöne« Frau auf mich am Strand des Mittelländischen Meers.

Ich verbrachte den Donnerstag und den Freitag in Genua, der zauberhaften Liebesstadt, inmitten der überaus artigen Bevölkerung. In einem kleinen Coiffeurladen, gleichzeitigem Maniküresalon, ließ ich mir die Nägel meiner Hände maniküren. Jeden meiner Finger behandelte die gewissenhafte Señorita wie ein eben zur Welt gekommenes Bambino. Darnach stutzte sie mir die Haare zurecht, ganz nach italienischer Mode. Am Abend besuchte mich aus St. Margherita der mächtige ritterliche Dichter und Dramatiker Friedrich von Unruh und seine Dame. Beneideten mich ob meiner höchstversprechenden Reise nach dem Ägypterlande, die mich, prophezeite er mir voraus, sicher auf dem Märchenkamel meiner Bücher weiter ins Gelobte Land tragen würde.

In Meilenwasserstiefeln überschritt ich ja so oft schon als Kind sehnsüchtig die Meereshorizonte von Europa nach Afrika, von Afrika nach Asien. Und ich verdanke die Erfüllung meines besten Wunsches einem griechischen Halbgott und seiner Frau. Am Schalter des Triestiner Lloyds – gerade habe sich die berühmte italienische Dichterin Margarita Fassaty ein Billett nach Amerika gelöst. Ich suchte sie, die meine Verse liebt und es mir so oft auf bunten Ansichtspostkarten versicherte. Und fand die Poetessa nicht, in der ganzen Stadt Genua nirgends. Am andern Morgen beförderte mich und mein Gepäck das Hotelauto des höflichen Hotels Britannia zum Hafen. Auf den ersten Blick verliebte ich mich in meinen weißgekleideten Luxusdampfer »Espéria«. Ja, ich konnte nicht erwarten, mit ihm durchzugehen! Spätlenze wiegten meinen Meisterschwimmer über die Kornblume der Welt. Ich lag in meiner Kabine weich wie im Moos gebettet und doch auf ewigem Meer. Von ferne sahen wir Passagiere die Rauchwolken des Vesuvs grau in die graue Dämmerung steigen. In Neapel ruhte unser Schiff fünf Stunden am Land. Wir Reisende schlossen uns in Gruppen zusammen und besichtigten die feuerspeiende Vesuvstadt. Es qualmte der dämonische Berg, ein schmockender italienischer Inkashäuptling, der die Gegenden Neapels ab und zu unsicher macht. Neapels Menschen glühen, es leuchten die Früchte der Palmen und der Schmetterling, der sich auf meine Hand setzte. Nie werde ich diesen schwebenden, feurigen Napoli vergessen.

Das Cinema »Espéria« weigert sich, ohne mich im Zuschauerraum zu wissen, mit dem Film zu beginnen. Es ahnte schon am ersten Tag unserer Fahrt, es beherbergt eine echte Kinoniterin. Oft ließ ich die schmackhafte Speise stehen, oder mein Dessert wenigstens; zwängte die dickste der Orangen in meine Tasche, daß ihre Nähte zerplatzten, um nur nicht – den ersten Akt des Clarkgables-Liebesfilms zu versäumen und vor ihm den jugendlichen Duce in der Revue zu sehen. Nach den Lichtspielen spazierten wir Seefahrer und Seefahrerinnen gemeinsam über die frischen Wege auf Deck. Oder wir atmeten auf unseren Liegestühlen von der Blume des Ozeans. Ich sah zum erstenmal Griechenland; es war gestern, es drehte uns zwar den Rücken, aber artig sich entschuldigend. Beseligende lächelnde Bergrücken, man möchte sagen, wie von erstklassigen Plastikern modelliert. Ich bedauerte, schon am Mittwoch mein Reiseziel erreicht zu haben. Mit Fernrohren und Operngläsern beobachteten die Gäste der »Espéria« das Heranwachsen des mächtigen Hafens von Alexandrien. Kleine Segelboote bewillkommnen unseren Lloyd, feiern seine Menschen; überschäumend mancher Verlobte seine Braut auf Deck im myrtenweißen Schiff. Es stehen Eltern ungeduldig am Ufer der weltberühmten Handelsstadt und erwarten ihre geliebten Studenten, die die Ferien der Hochschulen Italiens nun in der Heimat im Kreise ihrer Angehörigen verbringen. Emsige Araberjungen und alte Gepäckträger überschwemmen, ein Ameisenschwarm, die angelangten Passagiere. Es beginnt ein regelrechter Kampf zwischen den hurtigen, netten, dunkelhäutigen Beflissenen und den Angelangten. Schließlich bemächtigt sich der gewichtigste der Araberjungen meines Gepäckscheins, trägt ihn zwischen seinen harten Zähnen hin und her wippend in den Kofferraum, um zurückzukehren kollegialisch mit drei oder vier »Cousins«, beteiligt allesamt an dem Transport meiner einen Handtasche und der bemalten Hutschachtel. Am Hafen brachten mir die flinken Fendis – Madame. Sie kennen sie alle schon und belagern nicht ohne Grund ein Stück des Weges das Trittbrett ihres Autos. Zwei der drolligen Bengels schwingen sich auf den Bock zu dem Chauffeur, plumpsen aber bald in den Graben.

Zwischen Griechen und Griechenknaben, dem Pitt, verbrachte ich meine alexandrinische Zeit. Jeden Vormittag besuchten Madame und ich die Gegenden der Alt- und Neustadt, doch immer führte unser Weg am Mittelländischen Meer vorbei, von wo ich gekommen. Beim ersten Ruf hoch von der Kuppel der Moscheen brachte uns über kostbare Palmenplätze der Wagen in die geheimnisvollen Viertel der Allahhäuser.

Es hüte sich der Europäer, auch nur mit seiner Fußspitze des heiligen Teppichs Franse zu berühren, auch nur den Verdacht zu erregen, sie entheiligt zu haben mit der Lackspitze seines Schuhs. Ich warne aus eigener Erfahrung, hatte ich doch nicht einmal ein einziges Wollhaar des geknüpften Heiligtums entheiligt. Meiner arabisch sprechenden Begleiterin und ihrem Chauffeur, dem wohlerzogenen Syrier, gelang es, dem Wächter des allahgeweihten Teppichs meine Unschuld zu beweisen. Pietätvoll, aber aufatmend, verließen wir den Ort. Die fremdländischen Frauengesichter hinter den durchsichtigen, farbigen, wallenden Schleiern entzücken mich sehr. Deutlich erkenne ich ihre schönen Gesichtszüge: Augen, schimmernde Mandeln zwischen zarten Hauthüllen und seidigen, geschweiften Brauen. Und es überraschen mich hinter den Gazen die tätowierten Ornamente auf Wangen und im Kinn. Mit Henna gemalt, enden ihre schlanken Finger in Korallenspitzen, und Glück bringt ihnen und ihren Kindern auf innerer Handfläche der Hennafleck. Eine gelbmetallene Spanne delikatester Stilisierung, die die Ehefrau an unwandelbare Treue zu ihrem Gebieter zu erinnern zwingt, wacht streng von Braue zu Braue. Dieses pharaonenalte Ornament zwischen Nasenwurzel und Scheitelanfang hält den Schleier der Frau und läßt nur das schimmernde Jett ihrer Augen unverhüllt. Die stolze Gangart der schreitenden Ägypterin verdankt sie dem Tragen ihres Krugs. Seit Jahrhunderten füllt sie das Wasser der Brunnen in ihre Tongefäße, hochaufgerichtet den Krug auf ihrem Kopfe heimzutragen in die Häuslichkeit. Schon die biblische Rebekka schritt an den Brunnen und Hagar, alle Erzmütter der Israeliten. Sie tränkten die Kamele der Wanderer und schöpften dann die Quelle in ihre tönernen Steine. Sie glichen alle den antiken Königinnen, majestätisch daherschreitend. Saßen auch des öfteren die Nesthäkchen, wie es heute noch der Fall, auf den Schultern der Mütter oder hartnäckig sich stemmend um ihre Hüften. Auch die Väter, in ihre Kinder verliebt, pflegen ihre Kleinsten im Arme zu tragen; die Jüngstgeborenen erblickt man nicht selten plaziert auf dem roten Throne ihrer Fez. Der Ägypter liebt sein Kind geradezu zärtlich, wie das allgemein in den südlichen Ländern der Fall. Der nubische Koch im Hause meiner gastlichen Familie schenkte mir seine Ansichtskarte im buntgestreiften Kaftan und dem üblichen hohen steifen Hut. Neben ihm steht der reizende kleine Nubier, sein sechsjähriges Söhnchen, wie der Papa gekleidet. Der besorgte nicht nur gewissenhaft die Angelegenheiten der Küche, er ließ es sich auch nicht nehmen, die Gerichte zu servieren, seine mannigfachen, schmackhaften, geschmackvoll arrangierten Speisen. Ich äußerte mich oft über die Art seiner Anrichtung, namentlich über die wohlschmeckenden Gemüsesorten, die, auf den Schüsseln geordnet nebeneinander wie Felder in Blüte des Julimonats, mich immer wieder erfreuten. Ich mochte nie die erste sein, die die friedlichen Kohlsorten und Gurken und Bohnen und Erbsen der Beete mit Gabel und Löffel aufwühlte.

Manchmal betrat ich den Garten in den Abendstunden; die artigen Kleinen der Angestellten sammelten mit des syrischen Chauffeurs Kindern glitzernde Steinchen der Wege.

Sehr beglückte mich die Begegnung mit dem Neffen des herrlichen Tondichters Leoncavallo; immer begleitete den hochgewachsenen Italiener die schwermütige Bajazzoouvertüre seines Oheim Maëstros. Ein besonders feiner Kreis von französischen Dichtern und Dichterinnen, Malern und Malerinnen schmückt die berühmte Handelsstadt Alexandrien und verleiht ihr Duft. Im wundervollen Heim des chevaleresken Dichters Messiqua et ses gentiles tantes lernte ich in Begleitung der Griechin die großen Künstler der Handelsstadt kennen. Zum erstenmal bereute ich tief, wenigstens nicht einigermaßen französisch parlieren zu können; in der Jugend Unkrautblüte nicht besser in den Lektionen aufgepaßt zu haben; zu Hause meiner angebeteten Mama fließendes Französisch wohl bewunderte, aber mir keine Mühe gab, ein Exempel an ihrer Sprachfertigkeit zu nehmen. Daß sie den Kaiser Napoleon sehr bewunderte, gelang mir dem besondern Kreis von Menschen in der eleganten Sprache zu erzählen. Und daß meine Mama ein Poesiealbum besaß, noch von ihrer ernsten Mädchenzeit her, es immer pflegte mit einem kleinen goldenen Schlüssel abzuschließen; wahrscheinlich, da so viele Poëms auf den Seiten, von ihr gedichtet, an Bonaparte geschrieben standen.

Wir saßen – hingemalt nebeneinander im Zauber hinter taubenblauseidigen Wänden, hatten uns in den paar Abendstunden gegenseitig liebgewonnen, brauchten es uns nicht mehr verschleiert hinter Worten zu sagen. Ein Stilleben, kaum atmend – im kostbaren Rahmen.

Die Vorträge, die ich in den deutschen literarischen Vereinen der großen Stadt Alexandrien zugesagt, konnten aus Glaubensgründen nicht stattfinden. Eine grenzenlose Enttäuschung, die ich erlitt, kam ich doch – eine emigrierte Dichterin – mit einer sehr bescheidenen Reisetasche und einer Hutschachtel, darin allerdings meine alte Jaguarmütze knurrte, ein wertvolles Raubtier, das sich ab und zu der junge, großgewachsene Pitt, der Griechensohn, auf die Locken stülpte. Seinem Vater, dem Merkur, verdanke ich auch die Weiterreise ins Hebräerland.

Alexandrie! sagt der Ägypter. Alexandrie gleicht Berlin mit seinem weiten Pariser Platz und breiten Straßen und Gartenanlagen, allerdings ins Exotische übersetzt; und den »Linden«, ins Palmische übertragen. Wenn das Meer gerade schäumt und braust, hätte man hinter der unübersteigbaren Mauer, die die Düne von der Stadt trennt, die Nordsee vermutet. Von der hohen Terrasse des Khedivenklubs der Baumwollmagnatenstadt aus, überschauten wir oft das ganze mächtige Gewässer mit seinen überseeischen Schiffen, gemeinsam bewundernd mit den sich von der Tageshitze erholenden Klubmitgliedern.

In diesem Jahre fällt auf den Donnerstag der Familientag der Pilavachis. Ich rate Margrita zu einem weißen Atlaskleid. Wir fahren in das bekannte Magazin in der Französischen Straße. Rechts und links an den gepolsterten Wänden entlang – zum Aussuchen auf seidigen Kleiderbügeln, aus feinen Seiden und samtnen Stoffen – schimmern Kostüme in magischen Ballfarben. Wie ich mir die für meine Gastgeberin sie schmückende Schlepprobe gedacht, entdecke ich so eine entzückende aus weißer Atlasseide. Sie paßt ihr wie angegossen.

»Nun noch einige lukullische Kommissionen, Prince Jussuf!« Auch sie nennt mich so. Und ich bitte Madame, sie ohne mein Beisein zu erledigen. Die Zeit benutze ich lieber, von der Loge des Autos aus das fremdartige, feilbietende Treiben der Straßen zu beobachten, die Spaziergänger und rufenden Händler in ihren bunten Trachten, die Trampeltiere und graziösen Araberpferde alle. Um den Hals tragen sie blaue und gelbe, grüne und rote, auf Bindfäden gereihte Perlen, schmucke Glasketten um ihre Nacken – gegen den bösen Blick! Genau solche geschmückten Märchenpferde malte mir und meinem geliebten Sohn einst der blaue Reiter, der Messias der Tiere, das noch blutende Opfer der Weltschlacht. »Es darf euch niemand die Bilder nehmen!« schrieb er uns aus dem Krieg, dem er erlag. Franz Marc, unser so früh heimgegangener brüderlicher Freund. Über meine Augen schweben leise Trauernebel.

Weiße und hellgraue Esel, mit Früchten in beiden Körben um Rücken und Leib geschnallt, repräsentieren sich mir auf Geheiß ihrer Händler. Es schreiten, ihre Ware preisend, an meinem Wagen Bäcker vorbei; sie tragen stolz in Form unserer runden Osterbrote frische Ware mit den üblich hier im Ägypterlande gebackenen Mehltaschen für einen Knoblauchservelat auf Holzbrettern geschickt durch die Menge.

Eine herrliche Frauengestalt naht. Leila heiße sie, und sie läßt nicht ab, mich zum Kauf eines Amulettes zu verführen. Ich bitte sie, ihren Schleier zu heben, ein ganz klein wenig vom Gesicht zu pusten. Mich gelüstet, ihre feine gebogene Pharaoninnennase und ihren Märchenmund zu betrachten.

Madame fragte mich nach meinen Straßenerlebnissen. Ihr war ja alles nichts Neues mehr; dreizehn Jahre schon Bürgerin in Alexandrien. Nun mußte ich zuguterletzt die größte Konditorei in der interessantesten Stadt Ägyptens kennenlernen, in der sich aller Erdteile Menschen ein Rendezvous zu geben pflegen. Ich bemerkte zunächst nur dicke Schnurrbärte braunhaariger und schwarzhaariger ägyptischer Bourgeois; doch in den Nischen saßen die plaudernden ägyptischen modernen Söhne mit ihren europäisch gekleideten Freundinnen und rauchten ihre Zigarette. Auch schlürften viele Haremsdamen, beaufsichtigt von ihrem Eunuchen, den Mokka aus zierlichen goldgesprenkelten Täßchen und delektierten sich an den Süßigkeiten der höchstdelikaten Konditorei. Die Fez der Cafébesucher bildeten eine Mittelschicht, einen sich wiegenden Boden zwischen der geschmackvollen Deckenarchitektur und dem Mosaik unter ihren Füßen. Manche Gauklerin hätte es gelüstet, über den gefahrvollen roten Fezboden der Lüfte zu tanzen. Zuguterletzt holten wir beide Margritas Griechen, den schönen Baumwollmagnaten, von der Baumwollbörse in sein Haus. Wir passierten einen Nilarm; nie sah ich noch ein phantastischeres Flußbild. Und doch einmal in einem der afrikanischen Jugendbücher dieselben Männer in grellgelben Hosen und nackten dunklen Oberkörpern in primitiv gemalten Kähnen sitzen, hinter schwärzlichgrünen Blattbüschen.

Am andern Tage besuchten wir das nubische Volksfrauenbad im Volksviertel Alexandriens. Im Vorraum des eigentlichen Baderaumes waren gerade nubische Familien im Begriff, sich häuslich niederzulassen mit allen ihren Kindern und schwarzen Schäflein, auf das Freiwerden eines gemeinschaftlichen Brunnens zu warten. Ein feiner Regen fällt auf eine goldgebräunte Nymphe, rings auf ihre samtne Haut, warme Springbrunnenstrahlen. Die langen steinbesäeten Ohrgehänge und die Spangen um ihren Oberarm erhöhen die Schönheit des seltenen Bildes. Vierzig Grad Celsius zeigt das Thermometer; selbst die an Hitze gewöhnte Steinwand schwitzt.

Als die Sonne sich mit dem Tag zusammen aufmachte zu uns Menschen, fuhren Madame und ich zu den Katakomben, zum Ehepaar Sphinx. War mir ganz neu, und ist sie noch so rätselhaft, die Sphinx, heiratet, ka . . . pert sich einen Sphinx. Keine bleibt unverehelicht. »Solche Spießerei!« Schon im Altertum. Die unterirdische Treppe zu den Mumien hinabzusteigen, deren Erddecke wir pietätlos überschritten, sträubte ich mich, und doch gereute mich später der ernste unterlassene Besuch.

 

Bei den Griechen läutete seine Eminenz der Großrabbiner Prato von Alexandrien an, die Dichterin möchte den Passahabend feiern in seinem Hause. Mich beglückte diese Auszeichnung sehr, und ich erwartete das heutige Ostern mit Herzpochen. Noch ehe der Mond die Sterne alle aus den Wolken gebracht hatte, geleitete mich Pilavachis Chauffeur in das ebenso fromme wie gastliche Osterhaus, mitten in der grandiosen Hafenstadt in den kindlichen reinen Passahkreis feiernder Menschen. Ich erkannte auf dem erleuchteten Hausflur in dem Sohne des Großrabbunis einen der Passagiere wieder, den mir rätselhaften Studenten auf der »Espéria«, mit dem ich gern geplaudert hätte im Sturm der Schiffstage. Bisweilen trappte er lässig, ein stolzes edles Tier der Wüste, und gleichzeitig mit der Nonchalance eines gentlemans durch die Räume des wundervollen Lloyds.

Aus dem hebräischen Wohnraum trat die übergroße Gestalt seines Vaters – der herrliche Zadik; wie ich mich während des Ostermahles überzeugte: der »singende« Zadik, von dem ich schon gelesen in der Kabbala. Er begrüßte mich, »die Dichterin«, deren hebräische Balladen er kenne, leider nur übersetzt. Ich folgte dem geistlichen Conte in die überraschende, feierlich geschmückte Wohnstube, in den munteren jungen Osterkreis blumenhafter Italiener und Italienerinnen. Ach, ich empfand mich nur als des strahlenden Perlenkreises zerbrochenes Schloß. Es gibt Menschen, die friedlich ihr Leben lang am Rücken des Herrn gelehnt ruhen, aber etliche verharren auf der heiligen Stufe vor Ihm und sehnen sich nach Frieden, suchen Ihn und – blicken doch unausgesetzt in Sein Angesicht. Aber zwischen den heiligen Osterkindern, im lieben, mit Psalmen Davids beschriebenen Osterzimmer, gelang es mir, mich dem glücklichen Osterfrieden anzupassen. Alle die schönen italienischen Hebräer und Hebräerinnen waren ihrem geliebten, hochverehrten Priester in den anderen Erdteil, von Europa nach Afrika, gefolgt. Meine Augen schwebten von Antlitz zu Antlitz, von Beet zu Beet. Lange umschwärmten sie nicht eine mannigfaltigere Augenweide. Die dunklen Diener in weißen Hemden legten auf den Altar der keuschen Hände ihres Herrn die Hagâdah, aus der der Rabbuni begann zu psalmodieren.

Die hellere Sopranstimme seines Sohnes begleitete des Vaters heiligen Bariton; einer der Ostergäste komponierte eine Begleitung, dem frommen Gesange angemessen, und spielte sie kindlich mit seinem Silberlöffel am Kristall seines Glases. Meine Mitwirkung, zunächst sehr schüchtern, erfreute den gütigen Osterrabbiner, dem mir munteren Zuneigen seines prachtvollen Kopfes nach zu schließen, ungemein! Auch ihm ward die Gabe verliehen, hinter der Stirn eines Menschen die Gedanken zu lesen und deren Tiefe zu prüfen. Eminenz Prato betreute die berühmte Synagoge Venezias, bevor er dem Ruf der Juden an den mächtigen Tempel Alexandriens im Ägypterlande Folge leistete. Es brodelten die Weine im Glase, es bröckelten die ungesäuerten Brote . . . Ich saß wieder – zehnjährig – neben meiner angebeteten Mama, zwischen meinen Brüdern und Schwestern; oben an der Tafel saß mein Papa im eleganten neuen Anzug und feingedrehten Schnurrbart, und Henry quatre. Eine Schokoladenüberraschung und in das andere Täschchen einen grünen Zuckerfrosch steckte mir meine Mama heimlich zu. Ja, ich saß doch früher schon einmal zwischen gleichen schönen Jünglingen und anmutigen Schwestern fröhlich an einem Ostertische, von all den feinen Speisen naschend. Damals bewunderte ich mit meiner schönen Mama gemeinsam ihre ältesten Kinder. Mich weich erinnernd, entfaltete sich von neuem im Reich des Oberpriesters am Zweig meines Herzens ein Lebensblatt zwischen den liebreichen Knospen der atmenden Girlande.

 

Am zehnten Tage meines Aufenthaltes in Alexandrien wandelten Madame und ich noch einmal zusammen durch den Garten ihrer Villa. Ich hörte die Mutterschlange von nebenan im Gebüsch zischeln. Sie wünschte mir im giftverhaltenen Ton Glück auf die Reise ins Hebräerland. Eigentlich hatte ich in der Nacht immer Angst vor ihr; sie roch auch so nach – Aquarium. Viel weniger wie sie fürchtete ich die gefährlichen schwarzen Skorpione, die ich manchmal auf dem Hügel vom Fenster unseres Hauses aus beobachtete durch ein Fernrohr. Der Geruch der Reptilien stieg mir an besonders heißen Abenden wie lauwarmes Gift in die Nase.

Der Portier im Rosaatlasturban eilte aus seiner Loge, zu melden, es sei Zeit zum Aufbruch. Er spricht mit Vorliebe französisch. In jungen Jahren diente er in der Legion. Antigone, die kraushaarige Zofe, importiert aus Athens Negerviertel, brachte meine Reisetasche, half mir und ihrer Herrin ins Auto steigen. Kairo liegt eine Stunde von Alexandrien. Wir überlegten darum noch im letzten Augenblick, ob wir nicht vor meiner Abreise ins Gelobte Land die ägyptische Hauptstadt besuchen wollen. Von dort aus, meinte Madame Pilavachi, würde ich bequem und sicher auf meinem Phantasiekamel »Amm« in aller Gemütsruhe durch den Sand der Wüste meine mir seit Joseph her zugedachte Stadt Theben erreichen. Sie dürfte den Lesern bekannt sein, ebenso meine Dromedarin »Repp«, aus meinen tropischen Büchern her. Jahrtausende – ohne größenwahnsinnig zu wirken, suchen mich die Himmel der singenden Säulen der Josephstadt, die bis heute noch nicht ganz verstummten.

Ich gucke so exotisch, fanden in meiner Schulzeit meine Mitschülerinnen, näherten sich mir neugierig oder rückten unsicher von mir ab.

Der Syrier wartete mit gekreuzten Armen auf dem breiten Perron, in der Zeit seine Herrin mit mir noch einmal vor der Abfahrt die guten Ratschläge und Weisungen durchnahm, die man befolgen müsse, betonte sie ausdrücklich, bei der Grenzüberfahrt. In mein Coupé stieg eine Europäerin; sie konstatierte, ich säße nicht auf meinem rechtmäßigen Sitz. Und ergreift energisch meine Reisetasche und hebt sie, eine Athletin, auf das Brett mir zu Häupten. Es stänke im Wagen! Schon schafft sie Gegenzug. Ich gab ihr den Rat, sich zu beherrschen, ihren Mißmut – zu verzuckern, zu den kandierten Früchten meiner Schatulle zu legen, als auf dem Hauptbahnhof der City eine ägyptische Mutter mit einem gewissen Embonpoint und ihre noch wuchtigere Tochter von sorglichen Schwarzen in unser Abteil geschafft wurden. Es folgte die Bagage und, begleitet von keuchenden Atemzügen, zwei mächtige Kessel, zwei Mordsbehälter, die unserer Füße freien Lauf hemmten. So glich unser Coupé einem erst eben bezogenen Magazin en miniature, in dem noch alles kunterbunter den Weg zu versperren droht. Ich mußte mir das Lachen verbeißen. In meinem Vis-à-vis aber wuchs die »rücksichtslose« Angelegenheit sich aus zu einem Staatsverbrechen. Über »die Mißwirtschaft«, drohte sie dem Schaffner, würde sie sich bei der Eisenbahndirektion beschweren, außerdem die internationale Presse informieren. Sie reichte mir mit erhobener Braue, den ägyptischen Beamten einzuschüchtern, aus ihrem Juchtenetui ihre Visitenkarte. Ich formte mir aus dem übergroßen Format ein Tellerchen für die Orangenkerne, die ich aus einer erfrischenden Frucht entfernte. Draußen vor unserer Wagentüre hatten sich die drei Schwarzen der ägyptischen Frauen häuslich niedergelassen, saßen mit verschlungenen Füßen auf ihren kleinen Reiseteppichen; ihre breiten Zähne blinkten. Sie berieten mit dem bestürzten Schaffner den Fall, der sich eben im Innern des Coupés abgespielt, mit einem Temperament, das selbst die erzürnte Reisegefährtin zum Lachen reizte. Sie schließlich die Türe zum Korridor öffnete und dem armen Beamten zu verstehen gab, daß alles beigelegt. Nachträglich brachten die aufmerksamen Diener den Afrikanerinnen einige bequeme Lederkissen, schoben sie den Frauen aufmerksam unter die verwöhnten Vollmonde und hinter die Rücken und plazierten die großen metallenen Behälter uns einigermaßen aus Fußweite. Und so kam es, daß wir vier Insassen uns betrachteten. Mir blieb ein Schrei in der Kehle sitzen, erstickte zum Glück, und es dankte mir das unglückliche Auge der Mutter der an Elefantiasis erkrankten Tochter. »Sie tut niemandem was zuleide, Mistreß, sehen Sie ihr nur in die guten Augen.« Ich sah in die runden Gorillaaugen, in die wunden, in die schwermütigen, aus denen Menschenaffen zu blicken pflegen, geraubt aus ihrem Urwald und importiert in die Zoogärten fremder Erdteile, dort zu vergehen vor Sehnsucht. Die Journalistin bemächtigte sich schleunigst ihrer Reisetasche, kroch in die Ärmel ihres langen Reisemantels und setzte die aus gleichem Stoff fabrizierte Reisemütze auf den zu Berge gestiegenen Weizen. Mit einer an Elefantiasis erkrankten Person reise sie in ein und demselben Coupé unter keiner Bedingung. Es musterten sie die melancholischen Affenpupillen meiner ungestümen Nachbarin; an mich rückte die Sagengestalt näher heran. Auf meine Knie breitete sie ihre wuchtige, zur zackigen Fleischmasse verdickte Hand. Ich hätte das arme Geschöpf so gerne gestreichelt, machte mir innerlich Vorwürfe, aber sie vermochten meine Schauer vor der noch zum »entstellten« Tier verhexten Kranken nicht zu überwinden. Immer von neuem angewidert vom unbeschreiblichen Fettansatz ihrer Waden und dem sich ruhelos wälzenden Körper. »Sie ist ein gutes Kind und es tut niemandem etwas zuleide«, wiederholte die Mutter ergriffen in englischer Sprache. Ich versuchte, »dem guten Kinde« eine Schokolade zwischen die Affenlippen zu schieben; dankbar lächelte die Ägypterinmama und zutraulich kroch ihrer Tochter gewaltiger Kopf unter mein Schulterblatt. Ich verwünschte, ehrlich gestanden, meine Situation; namentlich dann, wenn die Höhlen der plattgedrückten Nasenlöcher meiner neuen anhänglichen Freundin, ein Zeichen ihres Wohlbefindens, sich blähten. Von der heilsamen, mit gereinigten Extrakten geschwängerten Luft Jerusalems erhoffte die geschlagene Emirin Erholung für ihre Patientin. Ich konnte alles ihr so nachfühlen, sie ahnte es und versicherte mir: Ein Kind bleibt für seine Mutter, so alt es auch ist, immer noch ein Kind, handelt es sich noch, wie hier, um ein krankes. Ich erfuhr auch nun, was die mächtigen Kühlräume alles verbargen. Der Ärzte vorgeschriebene Speisen und eines Magiers Medizin. Ob ich nie von dem berühmten Medizinmann aus Kairo gehört, erkundigte sich die Ägypterin und öffnete den größten der metallenen Kühler. In die gebräunten Mehltaschen der rundgeformten arabischen Brote steckte sie je eine der Zwiebelwurstscheiben und ich mußte schon gerne kosten von der Delikatesse im – Täschchen. Sie versuchte selbst vom Imbiß, nachdem sie die in die Hände klatschenden Diener außer mit mächtigen Bissen noch mit Maiswein gütig versorgte.

Auf weichen Polstern, in Sänften getragen, erreichten die orientalischen Damen ihre Karosse, die sie zum Kanal beförderte. Noch lange wehten aus dem schmalen, halbbogenförmigen Guckfensterchen, Abschied winkend, ihre seidenen Tücher. Ich aber spähte, mit allen Fahrgästen auf dem Perron der kleinen Durchfahrtstation, tief ins Ägypterland, nach dem neu eintreffenden Zug, der uns bringt nach El-Kantara zur Grenze. Mit einer Mutter aus Padua und ihrem erwachsenen Sohn teilte ich anfänglich den Wagenraum, doch bald hätte nicht mehr in seinem Winkel ein Zwerg ein Plätzchen gefunden. Verdrängte Insassen überfüllter Nebenräume flüchteten in unser Abteil.

El-Kantara: ein stürmender stolzer Name! Kaum konnte ich erwarten, ihn vom Ziel ausrufen zu hören. Der artige Signore stellte meinen Koffer auf den schon freigewordenen Sitz am Fenstereck. Die Formalitäten an der Grenze erforderten eine Menge Zeit und Kraft. Wir verabschiedeten uns, er, seine Mutter und ich, geradezu herzlich voneinander, sollten wir uns am Strande am nächtlichen Suez verlieren. Es ertönte eine wohllautende Stimme durch die Geisterstunde der Mitternacht . . . Alles horchte. Ja, sie klang wie der Lockruf eines Vogels, weich und melodisch und zärtlich: »Ein Bruder sucht seine Schwester. Wo bist du, meine liebe kleine Schwester in Israel? Meine liebe kleine Schwester in Israel? Es sucht dich dein Bruder.« Daß ich nur nicht auf den Schwindel hereinfalle, warnte mich ein Englishman. Aber wie sollte ich den Engländer in der Eile des Umzuges vom Waggon zur Barke eines Besseren belehren? Der Rufer in der Wüste fürwahr kein Betrüger, doch mir ein Engel, gesandter sei. Es sah Margrita Pilavachi so ähnlich, in letzter Minute den Triestiner Lloyd zu alarmieren, mir einen Führer zu stellen, der mich durch die nächtliche Dunkelheit, ein erstklassig Kundiger, von Afrika bis zur Wassergrenze Asiens geleite. Ungeheuerlich aufrichtet sich das Holzgespenst, die leiterartige Treppe der erreichten Endstation auf und nieder, die ich, ob ich nun wollte oder nicht, zu besteigen gezwungen, meine Reise fortzusetzen ins Hebräerland. Und ich schmetterte nur so aus Leibeskräften durch die Perronlüfte: »Hier bin ich, lieber Bruder in Israel!« Er küßte mich auf beide Wangen, wischte mir die Glückstränen aus den Augen und bestätigte mir, »auf Bitten« meiner besorgten Gastgeberin, er, der beliebteste, zuvorkommendste Fremdenführer des Triestiner Lloyds, sei beordert, mich zur Überfahrtstelle ans Ufer des Suez zu transportieren. Mich aller Schwierigkeiten, setzte er noch dazu, zu entheben. Zunächst erleichterte er meine Hände, indem er meine Hutschachtel und dann meine große Bonbonniere, die er für viel zu klein für die Süßigkeiten Palästinas einschätzte, in Sicherheit brachte. Meine Reisetasche schwang er wie einen kleinen Fendi, einen ganz kleinen Araberbengel, auf seine Schulter, gurrend: »Meine liebe, liebe Schwester in Israel . . .« Immer, immer wiederholte er mir dieselben Worte, und, ein seidenes Püppchen, führte der liebe Bruder mich stufauf über die Stufen der »Himmelsleiter«, oben angelangt, stufab wieder zu den »bösen Menschen«. Ohne auch nur im geringsten zu argwöhnen, überreichte ich dem rettenden Bruder aus meiner Manteltasche meinen Passeport. Er streichelte ihn mit seiner Wange und beteuerte immerzu, ich sei seine liebe, liebe Schwester in Israel. Schon als meine Reisegefährten am Suezstrande das Floß bestiegen hatten und viele ägyptische Krämer und Bergbeduinen mit ihrer lebendigen mäeeenden Ware, wartete ich vertrauensvoll im Sande auf meinen lieben Bruder in Israel. Ja, ich ignorierte trotzig die dringende Aufforderung, endlich die Barke zu betreten. Und doch verdankte ich einem energischen wilden Bergbewohner Palästinas meine Überfahrt. Er zog mich einfach aus träumender Verblendung auf das schon in Betrieb sich setzende Brett.

Jemand machte mich auf meine geöffnete Reisetasche aufmerksam, die ich total vergessen im Sturm aller Dinge. »Ganeff!« rief im singenden Ton ein Galizier. »Im vorigen Jahr stahl derselbe Spitzbube mir meinen nagelneuen Kaftan.« Aber ich war schon zufrieden, meinen Paß wohlgebettet, wenn auch in leergenaschter Bonbonniere zu finden. Vermißte ich auch meinen schwarzen Seidenrock und meine schwarze Sammetjacke mit den roten Schnüren, darin ich pflege meine Dichtungen an Vortragsabenden vorzutragen. Der gutmütige Galizier und seine gute Frau versuchten, die Angelegenheit ins Spaßhafte zu ziehen, in der Zeit ein Araber, phantastisch gekleidet, am Rücken seines Dromedars gelehnt, mir versicherte: »König Salomo kauft neue Kleider!« Im Volk des kleinen Arabers herrscht der nette Aberglauben, unser reicher, weiser Mêlech lebe noch. Vielleicht von diesem Aberglauben beseelt, überschätzt der einfache Muselmann die Finanzen der Juden in Palästina.

Ich sitze gegenwärtig wieder zwischen Eisenbahnwänden mitten im Wüstenmeer. Mir gegenüber unterhält sich ein gentler Ägypter mit einem Geschäftsfreund, einem vornehmen Bergbeduinen in zitronen- und orangengestreifter Seide. Sein Söhnchen verlangt zu reiten auf seines Vaters Knie. Mit den zwei zutraulichen Lämmchen aber soll es spielen, vor kurzem erst zur Welt gekommenen Tierlein mit blödlieben hellen Augen und wolligem Flaum an den Oberbeinen. Der beiden Mustertiere wegen begnügten sich die Mitreisenden, wie vorher die Emirin und ihre Tochter, mit den primitiven Sitzen der prunklosen Waggons. Mir liege daran, erwiderte ich auf des Ägypters Frage, die Ärmste der Ärmsten, vom Reichtum unbehelligt und gefährdet, in die Heilige Stadt zu kommen.

Die meisten Reisenden der »Espéria« unterbrachen damals nicht ihre Fahrt wie ich. In zwei Tagen hatten sie Haifas Hafen erreicht, aber dafür lernte ich vor meiner Reise ins Heilige Land das Pharaonenreich kennen und seine Sphinx.

Unser Wüstenzug hält an einer Oase. Zierliche Araberdämchen in langen, zartgemusterten Gewändern werfen uns Blumensträußchen ins Coupé. Blumen, ähnlich der Immortelle und der bienensüßen Strohblume. Der Ägypter im Fez läßt sich's nicht nehmen, seinem Vis-à-vis, mir, ein bewillkommnendes Oasenboukettchen zu dedizieren. Und trotz der großen Anstrengung, die schon der Wechsel der Züge, noch in fremder Nacht, mit sich brachte, möchte ich doch diese Fahrt von Ägypten nach Palästina von Erdteil zu Erdteil per Eisenbahn und dann durch die weite Wüste von mir nicht unterlassen und ungewagt wissen. »Vonafrikanachasienfahren« müßte ein neues Kinderspiel heißen. Wenn auch nicht erfunden, so doch erlebt von mir mit all seinen Strapazen, Überraschungen und Spannungen. Von Afrika nach Asien zu fahren, unter sterngemalter Himmelsdecke, gemeinsam mit Arabern und morgenländischen Judenstämmen, buntfarbigsten Menschen und ihren Trampeltieren, mit einem geöffneten Reisekoffer und geraubtem Josephrock und den Passeport »in leerverzehrter Schatulle«, der vermag von einem wirklichen Abenteuer zu erzählen, vom Stern zum Sternbild über den Suez zu dem einigen einzigen Bibelstern: Palästina! Waagrecht gleitet die Mondsichel, ein goldener Kahn, durch das heilige Wolkengewässer und verschwindet plötzlich auf den Grund der Welt. Wir aber kreisen, im Zuge gefangen, immer rund um eines Wüstenfelsens sandige Lenden. Es naht die Frühe, eine asiatische Tänzerin in silbernen Spitzen, noch etwas vom Schattengrau im Haare, und wirft der Welt Kußhände zu. Wüste, nur Wüste um uns, Wüste, weiche, gelbliche Stille! Auf einmal wird es ganz hell, auf einmal! Keine fahle Ouvertüre, auf bleiernen Tasten gespielt, schreitet dem Morgen nach den asiatischen Abenden schwermütig voraus. Hell wird es im Heiligen Lande aus Dunkel ohne trübe Zwischennuance. Und dunkel, von Dämmerung befreit, naht die Nacht.

Der Ägypter sieht mich erbleichen – er zeigt auf die Burg am Himmel: »Jerusalem!« . . .

Ich befand mich schon einen ganzen Monat in Palästinas gebenedeiter Hauptstadt, führte ein Pflanzenleben; wie ein Himmelsschlüssel, meinte ein Dichter, mich neckend.

Vor dem Posthaus meines lieben Gasthauses Nordia wartete von früh bis spät ein Reiter auf seinem Kamel, wie ein Wanderer angelangt auf dem Gipfel eines Berges. Heute beobachtete ich ihn im dringenden Gespräch in der Fensterscheibe, vor einem Laden mit Apothekerwaren, mit einem Stammesbruder. Als dann von Augenblick zu Augenblick sich der bevollmächtigte beduinische Busenfreund gewichtiger und lauernder mir näherte, um plötzlich entschlossen seinen Auftrag zu erledigen. Es entwickelte sich schon eine Zeitlang zwischen uns dreien, dem Reiter, Kuppler und mir, ein schwüles Flirten und Liebäugeln, ein schalkiges Kokettieren, an dem sich alsbald einige Straßengänger beteiligten. Der gewandte kleine Heiratsvermittler, ihnen allen nicht unbekannt. Immer neue Passanten drängten sich durch den sich angestauten Menschenhaufen, im Glauben, es handle sich um eine Vorstellung von Gauklern und Beschwörern. Doch befreiten sie sich enttäuscht aus dem Labyrinth. Eine ernste delikate Liebesangelegenheit, meinte schließlich der schlaue Mann, »auf offener Straße zu verhandeln«, entehre der heiligen Brautwerbung Kinderstube. Ich und die Zeugen pflichteten ihm gerne bei; ermutigt winkte der Araber mir und den Lauschenden, ihm zu folgen unter des Nebenhauses Torbogen. Die Zahl der Frauen seines fürstlichen Freundes betrage zwei Weiber über Durchschnitt; »zehn prächtige Grundstücke«, beteuerte er auf gut Englisch. So viele Frauen, wie ich zähle an meinen und seinen Händen. Er spreizte sie. Ich auserkoren, die Lieblingsfrau des Fürsten zu werden! Listig betastete er erst meine eine, dann meine andere Schulter, streckte die Hand von ihr geradewegs weiter zu meiner Jaguarmütze; wahrhaftig, erhielt sie schon zwischen seinen gespenstischen Fingern, sie zum Zeichen – »meiner Einwilligung« dem sehnsüchtig harrenden – Bräutigam zu bringen, als ich dem Wilderer einen Fuß stellte, seine gebrechliche Gestalt kopfüber den Jaffaroad herabtaumelte, begleitet vom schallenden Lachorchester der Zuhörenden.

Man traf ihn oft mit Leuten im Gespräch in einer ihm am Herzen liegenden Angelegenheit. Und nicht selten, bevor die Sonne untergegangen, begegnete ich der ewig lächelnden, schmiegsamen Scharlatangestalt, sich giftig ringelnd um die ihn konsultierenden abergläubigen Landsleute. Ich sah ihn noch am Sonntagmorgen vor seinem luftigen Hauptquartier in der Nähe des Jaffatores, in beiden Ohren einen Wattebüschel. Im Handumdrehen verstand er sich seiner Gemeinde zu entziehen und dann die Gegenden weiter zu durchstreifen. Gewahrte er mich nach der entgleisten Brautwerbung, verbrannte ich mich am stechenden Funken seines Auges. Mein Jaguar war eben im oberen, namentlich im unteren Teil Jerusalems der – Hahn im Korbe. Jeder verliebte sich in meine gescheckte Mütze auf dem Kopf, sah in ihr – nach Raubtierart beschriebenes Fell. Manche ihrer Zeichen ähnelten zum Verwechseln, ja, dem ältesten Hieroglyphen, konstatierte der Rektor Hugo Bergmann und mit ihm der Präsident Magnes der Jerusalemer Universität. Wer mag wissen, dachte ich sehr erschrocken, was ich unbewußt alles prophezeite und noch prophezeien werde – indirekt mit der Wildkatze auf dem Haupt.

Ein bißchen übertrieben berichtet mag den Leser meine Jagdgeschichte wohl anmuten, aber – welche Jagdgeschichte beruht auf voller Wahrheit, bitte!

Ich befand mich plötzlich vor den Stufen des hebräischen Museums. »Ich komme«, sage ich, »meinen Alterswert taxieren zu lassen.« Die charmanten, aber etwas verlegenen Herren meinten, ich müsse nur mal gründlich geputzt werden, damit mein – jugendlicher Glanz wieder zum Vorschein käme. Ich danke den liebenswürdigen Sachverständigen ermutigt, schmeichle ihrer hervorragenden Sachkenntnis.

Immer wieder entzückt mich der schabbattalte Schabbattleuchter hinter dem Glas der Vitrine.

Auf dem Marmor unseres Prachtbuffet in meinem lieben verlorenen Elternhause, in unserem gelben Saal, funkelten im Kelch des Zwillings des schabbattalten Museumsleuchters hohe weiße Kerzen kerzengerade auf zum Plafond. Es rinnen Tränen aus meinen Augen auf den alten Orientteppich zu den silbernen Füßen des silberalten Zwillingsbruders.

Zu jedem Schaltjahr ließ mein Papa einen neuen Teppich in unserem weiten Tanzraume legen für den kommenden Maskenball, den mein ausgelassener Vater über alles liebte zu arrangieren in seinem weiten Hause. Den Hühnern und ihrem krähenden Hahn dedizierte Papa mitleidig den alten. »Tiere frieren auch, dumme Kinder!« Rügte er mich und meine kleinen Kameraden, das Rudel von frechsten Straßenjungen, die wir von unserer Gasse (Schülersgasse) zuschauten, wenn Papa selbst den aufgescheuchten, verwunderten gefiederten Hühnerfrauen und ihrem Gockelherrn den Teppich, vielfach gefalteten, sorgfältig in ihre Wohnung zu legen pflegte.

Die schönste Maske unserer Maskenbälle, unter allen Frauen, war jedesmal meine von mir angebetete Mama. Im spanischen Spitzenkleide, als Micaëla, bewunderten sie alle unsere Gäste. Meine älteste fünfzehnjährige Schwester, Martha Theresia, ein entzückendes Blumenmädchen, verteilte Veilchensträußchen unter den Geladenen. Und meine zweite Schwester, Annemarie, als süße Matrosin verkleidet, Freibillette für Dampferfahrten auf dem Schiff, das mein Vater errichten ließ mitten auf dem nagelneuen Teppich auf blauem Tüllwasser. In späteren Jahren nahmen auch meine drei Brüder an den Festen teil, die sich gegenwärtig in ihrem Pensionat in St. Goarshausen befanden am Rheine.

Ich lag heute schon frühzeitiger wie sonst in meinem Bettchen; wie meine schönen Schwestern annahmen, im süßen Schlummer. Um einen ausgedehnten Raum für ihre Maskierung sich zu schaffen, benutzten sie zu ihrer Ankleidestube noch meine Schlafstube. Eine Etage unter uns stimmte schon die Musikkapelle ihre Instrumente, und es klang, wie ich öfters beim Erwachen die Vögel oben im Morgenwald ihre Kehlen stimmen höre; zuerst quietschend und widerspruchsvoll, bis sie endlich an zu jubeln beginnen, allesamt methodisch ein laubwaldrauschendes Lied. Am Fuß des Waldes lag unser Haus; es guckte täglich mit mir in die grünen Bäume. Es freute sich mit mir, wenn auf dem moosigen Boden die Blaubeeren reiften und die wilden Erdbeeren. Meine geliebte Mama hatte mir ein Körbchen zu kaufen versprochen, darin ich fortan die wohlschmeckenden Früchte beim Sammeln legen sollte. Und als meine beiden verkleideten Schwestern behutsam hintereinander durch die vorsichtig geöffnete Tür schoben, dämmerte es so in meinem Kopf – sie haben mir mein Körbchen mitgenommen . . . Die aber fürchteten ja nur, ich könne erwachen durch das Geräusch der knarrenden Schlafzimmertür, sie wieder von neuem erfinden müßten eine Geschichte, die mich einlulle in den Schlaf. Aber ich vernahm meiner Schwestern vorsichtige Schritte noch auf der Treppe des untersten Stockwerkes des Treppenhauses, ohne mich zu mucksen.

Ich träume – rügte mich die Lehrerin fast täglich in der Schule – und die Folge davon, ich »untenan« säße. Meine schwärmerische herrliche Mama behauptete zwar, daß Träumen etwas Seltenes in der Welt. Joseph von Ägypten habe viel geträumt, sogar dem Pharao die Träume gedeutet. Joseph und seine Brüder war meine Lieblingsgeschichte und ich durfte sie immer erzählen in der Religionsstunde. Ich sei ja der Joseph von Ägypten selbst, rief eines Tages, ganz dumm, eine Mitschülerin. Darum glaubten es alle Kinder in der Klasse, und mir kam's so vom Himmel hoch herunter; und ich vermochte seitdem gar nicht mehr aufzupassen. Daran mich erinnernd, verließ ich mein Bettchen, in den hohen Spiegel zu schauen, ob ich »ihm« wirklich ähnele. Und verspürte nicht die mindeste Angst, wie an so manchen Abenden, allein oben im Schlafzimmer, vor den betrunkenen Gesellen, die vom Wald kamen und wie Messer so scharf vierstimmig sangen. Auch guckte heute der Mond, mein lieber blonder Onkel, durch eines meiner Fenster und ermutigte mich, mich ganz schnell als Jakobs Sohn Joseph zu maskieren. Mama würde mich schon erkennen, der ich so oft mein Theaterstück: Joseph wird von seinen Brüdern verkauft, vorspielen mußte. Ich kroch in meiner ältesten Schwester spitzenverzierte Hose, die mir bis auf den Boden reichte, und in das umfranste Samtjäckchen meiner zweiten Schwester Annemarie, in deren Ärmeln meine dünnen Ärmchen zu ertrinken drohten. Aber um den Leib hatte ich mir eine himmelblaue Schärpe gewunden, ganz ägyptisch, dachte ich, und genau wie Joseph sie trug als Brotverweser und am Tage, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab. Jeden Nachmittag pflegte ich auf dem geräumigen Fenstertritt, auf dem meine von mir angebetete Mama zu sitzen pflegte und, ach, zuweilen so schwermütig nach draußen blickte, ihr den Joseph vorzuspielen. Darum erkannte sie mich auch zuerst unter den vielen bunten Masken schüchtern stehen. Und es berührte sie der unaussprechlich rührende Zwischenfall unsäglich. Sie entschwand in ihr kleines Wohnzimmerchen, das dem Saal angegrenzt, verweilte zwischen ihren lieben, kostbaren Elfenbeinbildchen, bei ihrer so früh verstorbenen Mama, meiner feinen Großmama, der Dichterin Johanna Kopp, und ihrem spanischen Papa, aus Koralle geschnitzt. Ich – lachte in der Zeit über die grün angestrichene Pappnase meines Papas, die in seiner immer länger werdenden Träne sich verrammelte zu einem Kloß. Und spielte mit dem niedlichen Schiefertafelschwämmchen, das an seiner Tafel aus dem Schultornister herabbaumelte von Papas Rücken. So einen drolligen, großen, breitschultrigen Schuljungen hatte ich noch nie im Lebtag gesehen!

Daß gerade die Mumien und das alte Gestein uralter Synagogenruinen mich erinnerten, zurückführten in die jüngste Zeit meiner Kinderjahre, als ich noch das gestickte Schaukelfußbänkchen aus der Ecke holte und mich auf ihm vor meiner Mutter Schoß setzte – in ihrer Obhut.

Es hüpfte die gelockte Mittagssonne im goldpunktierten Kleidchen die Treppe des Museums auf und nieder; ihr Freund kam, der unartige Wirbelwind, klimperte über die Perlen des Ururururgroßmutterschellenzugs.

 

Die Frau des großen Augenarztes in Jerusalem und ich fuhren an einem besonders hellen Tage über Bethanien zum heiligen Garten Gethsemane. Ich glaubte, Bethanien sei ein kleines Ländchen; hatte es irrtümlich so im Gedächtnis mit mir herumgetragen. Ich wollte gar nicht glauben, das kleine schmale Dörfchen mit den schlichten paar Häusern, jedes in anderer Farbe gestrichen und verblichen, Bethanien aus der Bibel sei. Dann fuhren wir durch grenzenlose Weiten, und ich weiß nun, was Ewigkeit bedeutet. Man hält sich unwillkürlich fest aneinander im Polster des Wagens. Den Felsstein hinab eilte er jäh, und hält vor dem Denkmal: Absaloms, dem Sohne Davids. Ich habe noch nie in der Welt ein kostbareres Denkmal gesehen. Nicht, da es aus Edelstein erbaut. Sein Wert besteht im »einmaligen« Vorhandensein seines unnachahmbaren Originals. Zwischen sandfarbenen Pyramiden, eine leuchtende, eine bunterkorene Allfarbe! Ein Pfau zwischen Geiern, ein Komet zwischen erkalteten Urerden.

Über sein schwarzes Hebräerhaar pflegte Absalom sich einen Goldstreif färben zu lassen, vermählte Schläfe und Schläfe unter einem Baldachin von Perlen.

Unser Autowagen klettert mit uns zur äußersten Höhe zurück. Ein frommes Beet breitet sich über den felsigen Stein: Der Garten Gethsemane. Er neigt sich über den Grund der ewigen Schöpfung. Klosterbrüder betreuen die große Blume, den heiligen Garten. Sie führen freundlich seine Besucher über die Pfade. Auf der auferstandenen Erde blüht junges Gras, heilsames Kraut und kleine gelbe und rote Sternchen. In den ausgehöhlten Stämmen zweier eingeschrumpfter, einst hoher Oliven bauen sich Vögel gern ihr Nest. Aber hinter den blühenden Ästen des Ölbaums glauben wir Menschengestalten. Sie erheben sich und lagern sich wieder. Es spielen die Gipfel der Felsen Schattenwerfen und täuschten uns. Aber desto wirklicher erinnere ich mich an die bedrängende, dreimal sich wiederholende Frage des edlen Propheten an seinen ältesten Jünger: »Petrus, hast du mich lieb? So hüte meine Schafe in Israel.«

Es berührte mich jedesmal so angenehm und sympathisch, sah ich auch »erwachsene« Menschen Hand in Hand durch die Straßen der Gelobten Stadt wandeln. Meist waren es orientaljüdische und arabische Studenten, in den Ferien wieder daheim. Man kann die Züge dieser Zwillingsstämme kaum mehr unterscheiden; sie verflochten sich, mit der Zeiten gleicher Sonne Flachs gewebt, vom selben Wehen der Meere bespült. Aber die jungen Judenbauern, die Söhne europäischer Juden und ihre Töchter setzen sich immer von neuem in ihren Pflanzungen großen Gefahren aus. Um unerschrocken, wahrhaft heldenmütig, die sie nächtlich überfallenden Bergvölker, im Grunde arglosen, doch aufgestachelten Araber, für das geheiligte Werk ihrer Emeksiedelungen zu gewinnen, mit ihnen in Freundschaft zu leben. Wenn die Orangen reif und die Brote gebacken, machen sich etliche der Kolonisten todesmutig auf den steilen Weg bergan zu ihren Widersachern. Laden sie in ihre Plantagen ein zum Mahle, ins Tal in die reife Kolonie. Es entstehen wirkliche Freundschaften unter den semitischen Stiefbrüdern, zwischen den hebräischen Bauern und den wildesten arabischen Nomadenvölkern. Bepackt mit der Frucht des »guten Bruders«, kehren die finsterbebärteten Männer beschenkt zu ihren Weibern zurück in die Felsstädte. Im Auge Tränen, verläßt der bescherte Bergaraber die gastliche Kolonie des jüdischen Bruders. Der elementarste arabische Asiate neigt, wie der noch wildeste der Hebräer, zur Sentimentalität. Oft entspringt sie einer Dankbarkeit.

Es beteiligt der Jude ebenso fürsorglich wie weise den arabischen Arbeiter am Ackerbau wie am Häuserbau und dem Bau der Anlagen der Städte. Unterläßt nicht, mit dem Heranziehen des jüdischen Arbeitsmannes auch den arabischen Arbeitsmann, den arbeitsuchenden Muselmann, zur Arbeit heranzuziehen und anständig zu löhnen. Die Einwanderung in das Land der Länder kommt dem willigen, arbeitenden Araber zugute, genau wie dem jüdischen Arbeiter. Auch dem Baumeister selbst. Viele enthusiasmierte der phantastische Baustil des arabischen Kollegen und befruchtete ihre Phantasie. Oft begegnet man zwischen himmelhohen Pyramiden und roten Erdschluchten einem ganzen Hofstaat palastartiger, kleiner, mondsteinfarbener, säulenbewachter Häuser mit rundgeschwungenen Freitreppen und wundervollen Balkonen. Die arabischen Architekten pflegen das hohe C, den klaren Kristall der Töne, inmitten der Stirne des Daches ihrer Paläste zu fassen. Beglücken ihr Volk mit Häuserweisen. Ihr Bauwerk voll Klang. Aber auch die zeichnerische Begabung kommt dem Gesicht der Außenfassade der arabischen Schlösser zustatten, ebenso der Häuser Gemächer. Am Platze Kerem el Ruchban in Rehavia spaziere ich mit Vorliebe auf dem Tisch eines Architekten durch die Sträßlein seines Miniaturstädtchens. Immer wieder verliebe ich mich in eine andere entzückende Mustervilla an den Randen seines Arbeitstisches gelegen. In manch einem der Puppenhäuschen würde ich mich so recht zu Hause fühlen. Des Menschen allerletzte Haut sollte sein Haus sein, darin er sich inkarniert. Mit großer Gewissenhaftigkeit erbaut aus diesen Gründen der ernste Baumeister dem Auftraggebenden seine Wohnung. Ich kann wohl aus Erfahrung sagen: Mir saß seit Heimathaus noch keine wirklich passend! Ja manches Zimmer – stach ich aus, in manchem – schrie ich zum Himmel! Nie ruhte mein Leib und meine Seele, seitdem ich ohne Elternhaus ein Mietsgast im fremden Steinbau. Darum habe ich es schließlich vorgezogen, in die Freiheit zu ziehen, die ist wenigstens stets geschmackvoll tapeziert. Doch nicht jeder Mensch behauptet sich ohne Mantel. Das hat die Dichterin voraus. Ich sei eben ein Mordskerl, behauptet der künstlerische Baumeister, Krakauer. Ein Wiener von Geburt. Spießbürger fürchten sich, etliche von ihm ihre Häuser bauen zu lassen; wüßten sie doch, daß nur der künstlerische Architekt fähig, dem Bau – Odem einzublasen. Krakauers Häuser sind lebendig.

Ihr lieben Leute, aus den Biedermeierjahren,
Als der Poet noch Verse dichtete in Lockenhaaren,
Und die Maler »leichte« Leutchen waren,
Und des Spielmanns Lerchenherz sich kühn
Sehnte mit der Lerchin sich zu paaren,
– Wohnte man bescheiden in der Laube von Jasmin.

Wenn ich sehr bat, durfte ich zuschauen beim Bauen der niedlichen Originale auf den Holztabletten im Atelier des genialen Baumeisters. Es gehörte zu meinem Lieblingsnichtstun! Jeden der kleinen Paläste aus totem Stein stellt der Erbauer, oft mit Hilfe seines netten Famulus, auf die Fläche seiner Hand und haucht dem Steinwickelkinde Leben ein. Kam der Abend, zogen wir, er, seine Malerin und des Baumeisters Töchterlein, Trutmyriam, von ihrer Villa Zaune aus, angesichts der Wüste, fünf Kinder, der Baueleve war auch dabei, nach Jerusalem-City.

Im Hilfsgebäude, dem ersten Großhaus der bezaubernden Kolonie Rehavia, wurde damals noch im weiten Vorhof gemauert und gehämmert. Viel Kalk knirschte unter meinen Sohlen. Ich konnte nicht unterlassen, einzutreten ins Innere des großzügigen Hilfspalastes. Zuweilen sogar betrat ich seine Räume, ohne anzuklopfen; begegnete ich dem Repräsentanten, erfreute mich seine vornehme Geste, wie ich mich schon einmal, glaube ich, im Buch äußerte.

Mit welcher Begeisterung mein Vater seine Türme erbaute, sie mitten in der Stadt hinsetzte oder wie den unsrigen liebevoll an die grüne Seite des großen Hauses lehnte, zählt zu meiner Kindheit liebsten Erinnerung. Mit dem Bauplan in der Manteltasche eilte er durch die Straßen der Wupperstadt, die Baubulle den Freunden aufzurollen. Bei den Arbeitern saß mein Vater im Wirtshaus, und in seiner Phantasie standen die luftigsten Häuserviertel für die lebhaft Lauschenden schon wohnbar aufgerichtet. Das Herz meines Papas war ein Baukasten, ein bunter Kinderbaukasten, ja ein ganz primitiver noch. Ein genialer Bauorganisator sei unser Vater, sagte einmal zu Papas Geburtstag meine Mama zu uns sechs Kindern. Und änderte auch selbst ihre Ansicht nicht, wenn die Leute der Stadt Elberfeld die ewigen Mängel der Bauten ihres Mannes bekrittelten. Am kundigsten war mein Vater im Aufrichten von Aussichtstürmen namentlich. Ein richtiger Lausbub, was soll der auch von regelrechten Wohnhäusern verstehen. Aussichtstürme, die nach allen Richtungen guckten und sozusagen auf die Stürme aufpaßten, die von den vier Himmelsrichtungen kommen, waren seine Schwäche! »Und sollte wirklich wieder das oberste Stockwerk meines Turmes auf eines Bullenbeißers Kopf fallen – Schwamm drüber, liebe Anwesende!« Damit schloß in der Regel die Sitzung. Und doch durfte eine sich zu hoch verstiegene Etage nicht auf das Schiefer eines staatlichen Gebäudes stürzen oder gar einen hohen Nebenbürger Elberfelds verletzen; dann war Holland-in-Not! Und es schnaubten vor Wut – die ihm ja herzlich zugetanen Einwohner meiner Geburtsstadt. Dem tragisch originellen Vorfall folgte eine Komödie – von erstklassigen Klägern gemimt, und die halbe Stadt stürmte den Gerichtssaal. Der letzte Akt spielte sich ab in der Landschaft; unter Akazienbäumen und beim Glase funkelnden Mosels in unserem Garten.

Ich und meine kleinen Schulgefährtinnen warteten schon längere Zeit auf dem schmalen Gassenweg, vor dem Büro der alten Bank meines Vaters. Es roch oft schon so moderig im Flur. Die gute Frau unseres vertrauten treuen Ausläufers Robert war viel zu gebrechlich, um sie mal richtig zu reinigen. Unsere alte, jedem in der Stadt wohlbekannte Bank besaß mein Vater noch außer seinem Baubüro. Man nannte seine Bank scherzend »eine Bank für Müde und Beladene«. Ich und meine Schulgefährtinnen hielten, jede eine von uns Kindern, eine Tüte im Arm, die mein Papa füllen ließ mit Aufschnitt und Kolonialwaren. Er probierte der Würste Güte und die Brotsorten; ja er verspeiste ein Korinthenbrötchen, steckte jedem von uns Kindern eine Tafelrosine in den Mund und zuletzt der lachenden Verkäuferin selbst. Schritt uns Kindern voraus, im Marsch aus der Neustadt durch die Altstadt, vorüber an rauchenden Fabriken, endlich den Hügel empor. Im Grünen lag seine Stadt. »Im siebenten Himmel wohnen meine Leute!« Die bestätigten es in jeder Etage im Chor. Im karierten Himmelbettchen schaukelte ein Schwesterchen sein wimmerndes Brüderchen hin und her und schielte mit ihren großen wasserblauen Augen uns Kinder neugierig an.

War's ein Junge, legte mein Papa in die Sparbüchse auf der Kommode einen blanken Taler, war's ein Mädchen, höchstens nur einige Groschen; so viele gerade in seiner Westentasche steckten. Er schätzte Mädchen nicht allzusehr, und ich mußte in seiner Begleitung stets keck und burschikos gekleidet gehen. Die Füße in hohen Tressenstiefeln, und eine Knabenmütze auf meinen gescheitelten, kurzgeschnittenen Haaren. Und einen grünen Ledergürtel um den Leib, dessen Enden durch die Falten meines Jacketts gezogen, eine Schnalle verschloß. Wir kleinen Freundinnen durften jedesmal, nachdem Papa geguckt, auch jede von uns durch das glitzernde Osterei gucken, durch sein niedliches Fensterchen ins Feenreich. In allen seinen Familien stand so ein Prachtei auf dem Konsol und schimmerte mit der Sonne durch die Stuben. Ich durfte immer am längsten durchgucken, denn meine uns begleitenden Schulkameradinnen bedeuteten meinem Papa nichts anderes als meine Dienerinnen. Nur wenn wir beide uns gezankt hatten, drehte mein »zwölfjähriger« Papa den Spieß schnurstracks einfach um, erhob meist gerade das unnützeste der Kinder zu meinem Vorbild. Und es kam nicht selten vor, Papa und ich traten, entzweit aus seiner Marienstadt kommend, außer Rand und Band in den Flur unseres Hauses. Wir bekamen dann zur Strafe beide nichts von der herrlichen Nußtorte zum Nachtisch. Oft bemerkte ich, wie mein Vater sich eine der verzuckerten Nüsse zu stiebitzen versuchte, kams heraus – mir einfach die Schuld zuschob. Eines Morgens lasen die Einwohner seiner Viertel und alle Menschen in den Blättern der Wupperstadt erschrocken: »Unser lieber Herr Schüler, der Till Eulenspiegel von Elberfeld, ist gestorben.« Und sie sandten große Blumenkränze, wie vor Jahren, als meine von mir angebetete und von der ganzen Stadt verehrte und bewunderte Mama vom lieben Gott heimgerufen wurde. Einen tiefdunklen Flor trug der blaue Himmel um seinen Arm. Es war Juli . . ., doch die Vögel sangen so traurig:

Ein weißer Stern singt ein Totenlied
In der Julinacht –
Wie Sterbegeläut – in der Julinacht.

Und auf dem Dach die Wolkenhand,
Die streifende, feuchte Schattenhand
. . . sucht nach – meiner Mutter.

Ich fühle mein nacktes Leben –
Es stößt sich ab vom Mutterland.
So nackt war nie mein Leben.

So in die Zeit gegeben.
Als ob ich abgeblüht hinter des Tages Ende
Zwischen weiten Nächten stände . . . alleine –

Schlage ich meiner Mama Poesiealbum auf und betrachte der Worte südliche Buchstaben, Gedichte aus seltenen holden Knospen und seidigen Blättern geschrieben, weiß ich, »sie« war die Dichterin und ich nur die Sagerin ihrer reinen schwärmerischen Gedanken. Ich besuchte noch nicht die Schule, und der häusliche Unterricht bedeutete mir eine Spielerei; aber eine – Belohnung, saßen wir beide, meine allerbeste Freundin, meine junge schöne Mama und ich nebeneinander beisammen am Rosenholztisch und dichteten. Ach sie bewunderte mich unausgesetzt; ich war so stolz, vertraute ihrem Urteil und es gelang mir der schwierigste Vers, da ich meine Dichtung in ihrem Schoß aufbaute. Auch liebte ich meine niegesehene, bei der Geburt ihres Kindes (meiner Mama) gestorbene Mama, meine Großmama, die Dichterin Johanna Kopp. Eines Tages sei ein Spanier aus Madrid nach Süddeutschland gekommen und habe unsere blauäugige Großmama zum Altar geführt. Meine Mama war nicht nur meine beste Freundin, sie war auch mein Kaiser. Ich stand vor ihrem Zimmer Wache. Eroberte warme Länder für sie, damit sie nicht friere in den Wintertagen. Sie saß an Nachmittagen so gern für sich allein in ihrem Wohnstübchen und las in ihren Büchern. Den Petöfi in seiner Galauniform mit Schnüren, auf der ersten goldgerandeten Seite seines Gedichtsbuchs, durfte ich mir ansehen. Oft blickten beim Abendbrot meiner Mama prachtvolle spanische Augen ganz weit in die Ferne . . . ich glaube, nach Toledo.

Der alte Friedhof, auf dem meine Eltern schlummern und mein frommer, aschblonder Bruder, ein Heiliger, der jüngste meiner Brüder, ist Erde von Jerusalemerde, vom Erdfleisch des Gelobten Bodens. Jerusalem ist überall zwischen uns Menschen im Leben und im Tod. Jerusalem reicht uns die Hand, geleitet uns zu beiden Wegen. Jerusalem heißt unser Engel in jedem Lande, in jedem Erdteil – sehnen wir ihn nur herbei.

Das letzte Geheimnis solle man nicht erzählen, sagte der Großpriester der Juden in Berlin, Dr. Baeck. Er zweifelte nicht an der Wahrheit meiner Gesichte. Ich mußte dem schlichten, großen Rabbuni immer wieder sagen, wie David ausgesehen, wie er gekleidet gewesen. Und ich glaube mich nicht zu versündigen, »das letzte Geheimnis« diesem mir frommen Buche zu verraten, mein himmlisches Gesicht dieser Dichtung einzuverleiben. Beselige ich auch nur – ein paar Menschen, ja nur einen einzigen mit der Kunde der Engel. Ich sah, entrückt dieser Welt, nahe am heiligen Hügel meines teuren Kindes – die Engel. So wahr mir Gott helfe! Amen!

                    Mein Kind

Immer wieder wirst du mir
Im scheidenden Jahre sterben, mein Kind –

Wenn das Laub zerfließt
Und die Zweige schmal werden.

Mit den roten Rosen
Hast du den Tod bitter gekostet.

Nicht ein einziges, welkendes Pochen
Blieb dir erspart.

Darum weine ich sehr, ewiglich –
In der Nacht meines Herzens.

Noch seufzen aus mir die Schlummerlieder,
Die dich in den Todesschlaf schluchzten . . .

Und meine Augen wenden sich nicht mehr
Der Welt zu.

Das Grün des Laubes tut ihnen weh,
– Aber der Ewige wohnt in mir.

Die Liebe zu dir ist das Bildnis,
Das man sich von Gott machen darf.

Ich sah auch die Engel im Weinen,
Im Wind und Schneeregen,

Sie schwebten –
In einer himmlischen Luft.

Wenn der Mond in Blüte steht,
Gleicht er deinem Leben, mein Kind.

Und ich mag nicht hinsehen,
Wie der lichtspendende Falter sorglos dahinschwebt.

Nie ahnte ich den Tod
Spüren um dich, mein Kind –

Und ich liebe des Zimmers Wände,
Die ich bemale mit deinem Knabenantlitz.

Die Sterne, die in diesem Monat
So viele sprühend ins Leben fallen,
Tropfen schwer auf mein Herz.

Möge Palästinas Pestalozzi, der gute, selbstlose Hirt, seinem lieben Kindervölkchen in Ben Schemen »das letzte Geheimnis« aus meines Buches Hebräerland erzählen: Einer Dichterin die Engel erschienen sind, lange lange verharrten, nahe am Hügel ihres zu Gott heimgekehrten, herzlichsten jungen Sohns.

 

Als vor einigen Jahren im Gelobten Land auf uns Juden die Hyäne des Pogroms, von böswilliger Hand losgelassen, unschuldige Menschen meines Volkes biß, der Hebräer Herz verzweifelte, vereitelte ein Scheich den Mord am Kind. Seitdem verehren Palästinas Juden den opfermutigen arabischen Bruder; vor allem liebt Gott ihn.

Allah bedeutet dem Muselmann: Gott. Mohammed: Allahs erster Prophet. Ihm folgen, hochverehrt auch vom Arabervolke: Moses, Josua und Jesus, der edle Nazarener. Man fragt mich so oft, ob in Palästina noch heidnische Stämme wohnen. Nicht, daß ich wüßte. Doch lebt in Frieden im Gelobten Lande ein jedes Volk und sein Glaube, beabsichtigt es nicht, den Frieden des Bruders zu stören.

Im Gotteshaus der Schweizer Großstadt Zürich lehrt der ernste, verehrte Rabbiner Dr. Littmann aus dem Buch der Mischra: »Der Herr blickt gnädig, wie auf alle seine Völker, auch auf die Völker der Heiden, wissen sie den Frieden zu wahren unter den Völkern.«

Väterlich richtet empor der Schöpfer am Wegrand den unansehnlichsten Halm – und soll nicht Geduld üben mit den noch lallenden, spielsamen, abergläubigen Menschen, die er doch mit »dir« erschuf nach Seinem Ebenbilde? Er läßt dem winzigsten Korn Zeit, in Stille sich zu erschließen, bedrängt nicht die Ähre auf dem Felde, sich voreilig mit Brot zu füllen. Dem Aufgrünen im Weltenraum gab er Weile, und in den Wäldern lehrten geduldig seine Engel die Vögel ihr Nest bauen. Den blühenden Spielsachen schenkte Gott Zweige und den Zweigen einen Baumstamm. Und ich erinnere mich gerne, ganz von Ferne daran – als unser lieber Gott den Duft der Wiesen und Bergrücken in einen Blumenleib hüllte – mit großer Sorgfalt. Gott hat Zeit! Es sputet sich nicht Seine Welt, wie die Magd der Häuslichkeit gehetzt. Gott läßt gewähren Seiner Schöpfung und den – Menschen zur Andacht: Jahrtausende: Ihn, Gott, den Schöpfer, zu erkennen.

Es überstürzte sich töricht in den Händen der Menschheit die Welt. Doch sie beginnt sich zu sehnen, im blutenden Abendrot andächtig emporzuwachsen, zu verwachsen mit Gott. Große und kleine Muscheln streute Er ins Meer und bevölkerte die Gewässer mit schimmernden Fischen. Er erschuf die Wildkatze und das fromme Lama; dich und mich und euch, meine lieben Freunde, alle vor dem Tore Jerusalems und zwischen seinen Mauern. Und formte in den ewigen Lüften den Geier als Exlibris.

Nebel im Auge, Reste Erdenstaub am Fuße, schnitzt sich der Heide aus Kokos und dem Holze der Stämme im Schoß der Sonne blindhaft den Götzen.

Dem in die heidnische Mystik zurückversetzten Volk der Juden holte Aron, der Hohepriester, das goldene Kalb (den goldenen Stier) zurück. Das heißt, er begünstigte – in Notwehr – die Umkehr des noch wilden Israels vom Alleinigen, Einzigen, Lebendigen Gott in die Dumpfheit des Götzen zurück. Für diese Gottsünde wider die Erkenntnis Adoneus erlitt der Bruder des auserlesenen Propheten, die Missetat zu büßen, eine Wiederverkörperung im Leibe einer zweiten Mutter geborenen Sohn: Eli. Nach großzügigem Himmelsgesetz sandte Gottvater Arons Seele ein zweites Mal zur Erde, sich vom Makel zu reinigen, um nach wiederum gekostetem Sterben geklärt und verklärt in Weltseele einzuströmen. In die fleckenlose, lichte Urkraft, von Gott belebt, da sie sich – an Ihm stärkt.

In den höheren Regionen,
Wo der Herr und seine Engel wohnen,
Finden sich kraft Gotteskraft
Nicht Paragraphen, die bestrafen.

Es ist gewiß nicht leicht, mit der ganzen Hingebung seines Herzens zum »Unsichtbaren Gott« zu beten, zum Alleinigen, Einzigen Gott der Welt: Adoneu! Die wir geboren, mit dem Auge des Körpers den Körper zu betrachten, und mit den Händen die Dinge zu ergreifen. Vom Star der Körperhülle erlöst, erkennt aus himmlischer Perspektive, nach dem Erdenleben, die Seele die Seele und – die Weltseele des Herrn. Gott ist der Wache!

Er wacht über das große und kleine Geschehnis Seiner Welten. Er wacht über den weißen Wolkenbogen meines Hebräerlandes. Schon naht der Morgen des siebenten Monats. Wie »Er« will ruhen seine Dichterin am Saume Jerusalemedens. Der Herr wacht über mich und Sein Buch. Zwischen Seitenweißenewigkeiten verewigte ich – den Ewigen.

Oft unterhalten ich und meine liebe Freundin des Advokaten Rahel uns, auf den niederen Steinstufen ruhend, an der Wand ihres Hauses gelehnt, von Gott und seinem »Freunde«: Moses. Er sah den Allmächtigen nicht »in Rätseln«. »Er sah mich von Angesicht zu Angesicht!« Sprach der Herr zu den Geschwistern des großen heiligen Feldherrn. Der erweckte das ächzende geknechtete Volk der Juden, an ihm Großgärtnerei zu erfüllen. Ließ es sprießen, sich entfalten – den Herrn zu erkennen! 40 Jahre führte der Prophet seine Scharen, sanftmütige und sich aufbäumende Herden, Zeit für ihre Gotteserkenntnis zu gewinnen, auf Umwegen durch die Wüste ins Gelobte Land. Vierzig volle Jahre und – einen Augenblick sterbend im Fittich der Zeit.

Als Moses im Alter Gottes war,
Nahm er den wilden Juden Josua
Und salbte ihn zum König seiner Schar.

Da ging ein Sehnen weich durch Israel . . .
Denn Josuas Herz erquickte wie ein Quell.
Des Bibelvolkes Judenleib war sein Altar.

Die Mägde mochten den gekrönten Bruder gern.
Wie heiliger Dornstrauch brannte süß sein Haar –
Sein Lächeln grüßte den ersehnten Heimatstern.

Den Moses altes Sterbeauge aufgehn sah,
Als seine müde Löwenseele schrie – zum Herrn.

Auf Zehen, zagend, näherte ich mich den Propheten Israels, heiligen Königen, Hirten und Hirtinnen im Vers meiner hebräischen Balladen, mit artiger Zurückhaltung nach dem Vorbild unseres Glaubens. Der pflegt andächtig in sich zu schauen! Ihm genügt die Zahl seiner Gläubigen ungezählt. Israel, von Gott verboten zu zählen Sein Volk, begnügt sich, zu »wiegen« den Inhalt seines Herzens. – Nimmermehr ging der sanfte und doch gewaltige Jude in den Hafen Israels auf »Menschenfischerei«. Aber er sandte auch die Jünger nicht, Menschen zu fischen. – Das mannigfach zu übersetzende hebräische Wort rückt das Judentum wieder mal in ein falsches Licht. Keine der Religionen erfreut sich einer größeren Zurückhaltung wie die Religion der Hebräer. Ihr anzugehören, erfordert starken Willen und Fleiß; es muß sich schon den Glauben, im himmlischen Foliant gebunden, sich selbst vom Tische der Ewigkeit holen.

Noch ein Kind, nichts wissend von Sünde, plagte ich den lieben, herablächelnden Gott mit allerlei Fragen. Die Seele sehnt sich nach Antwort vom Höchsten, aber auch vom Nebenmenschen zu empfangen. Die Seele sehnt sich immer deutlicher und klarer, aufzuwachen, beleuchtet zu werden. Was ist die Seele unangezündet? Kaum eine Frage; zu lau, beantwortet zu werden. Dem Docht einer Kerze gleich, der nicht brennt, bittet eine Seele die andere, meine die deine, sie anzuzünden! . . . Von Gottes ewiger Hand entflammt, loht die Seele Zions, eine Fackel über die Welt!

»Ihr aber sollt mir sein ein Reich von Priestern,
Ein heiliges Volk!«

Unter der Last seiner Auserwähltheit keucht, verfolgt von Geschwistervölkern, der Juden Seele. Es verglimmt der Glaube an Gerechtigkeit in manch eines Juden Herzen. Der Hebräer aber, der vom Inhalt seiner göttlichen Bürde weiß, trägt die verantwortliche Last, das holde Kind der Gebote . . . die Thora lächelnd in seinen Armen. Die Thora ist ein Wunderkind; die Gebote Gottes: Glieder. Im weißen Kleide oder im samtnen Tragkleid, sorglich verwartet und nach dem Tode bestattet, zwischen gestorbenen Kindern. Israels weinende Gemeinde pflanzte einer im Pogrom zerfleischten Thora einen Rosenstrauch aufs Grab.

Gott liebt seine Völker mit gleicher Liebe alle! Warum er den Hebräer auserwählte, den Schrein seines Heiligtums zu tragen, verspottet – ins Herz der Welt, verspätete sich der Jude zu erfahren.

Ganz hell breitet sich heute der Sandteppich über die Wüste und scheint zum Himmel. Das funkelneue Kleid der Sonne färbe ab, erzählen sich die Kinder in Jerusalems Spielgärten. Ein junges Geierweibchen kommt zu uns herübergeflogen, legt abwechselnd in meiner sanften Freundin Schoß seinen Kopf und in den meinen. An diese liebevollen Stunden, wie Gesang, denke ich immer zurück in tiefer Bewegung.

Ob man von Stern zu Stern wieder gelangen kann, vom Bibelstern zum Stern der Erde? Darum nur wolle ich wieder abreisen nach Europa, meinte Rahel betrübt. Es sei mein einziger Grund. »Vielleicht – werden wir uns nie mehr wiedersehen«, fürchtete die Freundin. Seitdem schleicht Spuk um mein Herz.

Dem im Weltkrieg gefallenen Advokaten erschien Rahel täglich immer eine noch begehrenswertere schöne Bibelgestalt, der er mit seinem ganzen Herzen diente, die er unaussprechlich liebte.

Empfand ich doch eine geschwisterliche Anhänglichkeit zu seiner Frau, da sie meine teure Mama liebte, und hatte sie doch nie gesehen.

Rahel streut Liebe den Unansehnlichsten über den Pfad. Die Kerzen erzählen sich's untereinander im Leuchter auf dem Schabbattischchen.

 

Wer einmal in Jerusalem gewesen, sehnt sich immer nach seiner ursprünglichen geheiligten Natur zurück. Etwas von der Röte deines Herzens bleibt haften am Zweig des brennenden Dornstrauchs. Im Geist wandle ich täglich über die unaussprechliche Wüstenstraße, über den Jaffaroad bis zum Jaffatorbogen; oder empor die goldverbrämte Street nach Rehavia. Immer begegnen mir interessante Menschen zu Fuß oder auf Kamelen oder Eseln sitzend. Auch stets eine Menge Befreundete, die mich einladen in ihr Haus. Dem Eisheiligenehepaar folge ich mit Vorliebe, den beiden Förders in ihre neugeöffnete Himbeer- und Zitroneneisdiele. Ich habe ihnen einen Wandspruch versprochen für ihr erfrischendes Etablissement. Er soll heute unter einem Eisplakat im Rahmen an der Wand befestigt werden:

Ist's die Schwüle?
Geh zur Diele!
Eine einzige Eisportion
Kühlt Gewerett und Adon.
Alle Tische warten schon
Und es schliddern ihre Stühle.

In Jerusalem pflegt der Besuchte den sich verabschiedenden Besucher bis zur Gartenpforte, ja bis über den Weg zu geleiten. Wir konnten uns überhaupt nicht trennen, und die Freunde brachten mich stets sogar in die Stadt zurück in mein Gasthaus. Die breite Steintreppe hinauf, den langen Korridor entlang bis in mein steinernes Gemach.

Es rauchte unten auf dem Road noch spät vor der Bar des Gasthauses ein Jerusalemiter im wundervollen Fez seine Zigarette. Von meinem Balkon aus wünschte ich dem Eisbärenpaar gute Nacht. Bat sie außerdem, mir für morgen eine Portion gemischtes Eis – warm zu stellen. Eine »große« Portion! rief ich durch die stille Jerusalemnacht.

Es fallen am Abend eine Menge Sternenlichte auf alle die Stadtteile Jerusalems, auf alle seine Erdterrassen. Knaben und Mädchen turnen gemeinsam, hebräische und arabische, auf dem großen Sportplatz zwischen Jerusalem und seinem Rehavia. Manche von den Kindern üben sich im Boxen. »Wer ein Makkabi werden will, übe sich beizeiten.«

Vor dem Gerüst eines Wanderzirkus sitzt auf seinem Taburett der Direktor. Er bespricht mit seinen Kunstreitern die Frage der Reklame. Sie kommen aus Syrien, und nur die Seiltänzerin ist eine Schöne aus Yemen. Wir versprechen ihnen allen, unsere Freunde zu veranlassen, die Premiere zu besuchen, überhaupt – unser möglichstes zu tun. Der syrische August zeigt uns das Mutterzebra, es sucht nach Gras und Blumen auf dem spärlich bewachsenen Wiesenplatz. Zupft an einem Fetzen blauweißem Zeltleinen. »Das mutwillige wiehernde Söhnchen spricht hebräisch.« Verrät uns der Clown. Er meint das niedliche Zebrafüllen. Es ist hellbraun und gelb gestreift wie das Blatt der Kaffeestaude im Klinikgarten Doktor Tichos, des berühmten Augenarztes in Palästina.

Hinter den Eisengittern des Raubtierkarrens heult Hâman, der Hyän, der Kanon des Zirkus. Als Kind wünschte ich mir immer so einen grün angestrichenen abenteuerlichen Wagen, – in die Welt zu fahren und auf Jahrmärkten Vorstellungen zu geben. Noch heute in meinen kühnsten Träumen! Dazu einen – hätte beinah gesagt, grün angestrichenen, abenteuerlichen Begleiter . . . so einen Indianerhäuptling von Südamerika . . . den Mill Raas, den träumenden Bären.

Die in lustigen Farben gewählte Wäsche, gespannt über der Leine, macht mir viel Freude. Schon naht die wirtschaftlich begabte Seiltänzerin und fühlt sich ob meines Lobes geschmeichelt. Sie hört auf den stolzen königlichen Namen: Nefretete – nach der Mutter des Amenophis genannt und nach ihrer eigenen Mutter Namen, die Ägypterin gewesen. Ach, es pflegt zu verflachen die Romantik auf Erden. Gerade auf der Landstraße, wo begegnet man noch einem Handwerksburschen? Allenfalls mal im faltigen Griechengewande einem verkitschten Zwiebelasketen; sein Büchlein, am Busen hängend, vergoldet. Saht ihr das leere Gesicht des Insassen und seiner Insassin im vorübersausenden Auto zwischen Wald und Hain? Natur schützt vor Verödung des Herzens nicht! Vielfach sucht der Mensch durch Spaziergänge oder Fahrten das spärliche Wachstum seiner Innerlichkeit zu ersetzen. Der landschaftliche Mensch aber liebt es sogar, inmitten der Häuser der Stadt eine Wohnung zu beziehen, wandelt er ja täglich über die Wiesen und Felder seiner Phantasie und lehnt an seines Gemütes Bergrücken. Ich liebe die Stadt. Sie nimmt mir nichts von meiner Landschaft und ihrer Aussicht vorweg. Den Dichterpropheten St. Peter Hille (Petron) verglich ich mit einer »wandernden Landschaft«, in meinem ersten Buch: Das Peter-Hille-Buch.

 

Ich habe heute morgen bereits schon alle die schmalen Gassen der Jaffastreet durchstreift, und müde, sehr müde lege ich mich nieder, zu müde, noch meine liebe Uhr aufzuziehen. Sollte, wie schon vorgekommen, die Sonne vergessen, mich zu wecken, so würde ich vom Sonntagsgeläut der Glocken der Türme Jerusalems aufwachen. Ich und die Architektenfamilie, die ich in mein Herz geschlossen, beabsichtigen morgen, am Sonntag der Christen, nach Tel-Aviv zu fahren, uns im Büro des hebräischen Omnibusses, nicht weit von meinem Nordia entfernt, zu treffen. Wir begossen mit süßem Palästinawein unseren Entschluß, wieder einmal gemeinsam zu reisen durch die Wüste, an Orangenhainen der Kolonien vorbei, vom Duft der Apfelsinenblüten zu naschen. Schon das zweite Mal im Jahr, da die lieben jüdischen Pflanzer die Orange ernten werden.

Ach, wenn man so still mit seinen Freunden zwischen den andern Reisenden im Autoomnibus sitzt, kommt es einem wirklich so vor, man höre gespannt wieder auf seiner Schulbank den geistlichen Lehrer erzählen, unseren hochverehrten Großrabbiner Doktor Auerbach in der Wuppertaler Mädchenschule, aus dem gelobten Buche: Bibelgeschichten. Paßte ich auch sehr oft nicht gebührend bei seinem Erzählen strikte auf, denn meine besten Schulfreundinnen saßen mir auf dem Rücken, gerade hinter mir: die Martha Schmidt und die Emmy Bachmann, und kauten an der Stange Süßholz oder wirbelten auf meinem Rücken wie auf einer Trommel einen Marsch.

Aus meinen lieben Schulträumen weckten mich jäh die Freunde in die zauberische Gegenwart zurück; sie zeigten auf das ferne Araberstädtchen, hoch im Fels gebaut, mitten im Sandmeer. An seinem steinernen Fuß der edle, scharrende Hengst. Ich zeichnete auf dem Bütten meines Hirns das unsagbar altmeisterhafte Gemälde. »Da kommt der Esau!« rufen im Chor die Reisenden. Die Jagdwaffe über die Schulter geschnallt, eilte der Wüstensohn von der Bergkuppel zur Ebene, die Füße im schillernden Eidechs, Urwald im Auge . . . Die Geier flüchteten.

Nach diesem phantastischen Erlebnis nahte Ramle, das süßsäuselnde arabische Örtchen, und sendet uns seine Prinzessinnen, sich wiegende Palmen, entgegen. Nun wieder Wüste, unbebaute Wüste, Sand vom Winde gewellt und wieder geglättet. Wir erreichen Jaffa, die älteste der muselmanischen Städte; sie begrüßt uns durch ihren herrlichen Morgen. Auf breiten Straßen an Tischen spielt der Araber mit dem arabischen Nachbar Würfel; und raucht die Wasserpfeife, wie auch beim Brettspiel, beim Schach mitten auf dem Fahrweg. Der Lenker unseres Wagens läßt sich erweichen, die Fahrt zu unterbrechen, indes sich unser Auto in die Büsche schlägt. Es empfängt uns Reisende in der beliebtesten Gegend der beliebtesten Bar repräsentierender Nubier. Den Wänden entlang, in damastnen, bauschigen Beinkleidern, ruhen die Tanzbeine noch gähnender unausgeschlafener Jaffabajaderen. Die jüngsten der Tänzerinnen schlürfen aus goldgesprenkelten Täßchen den Mokka, damit er erwecke im Winkel des Auges noch das Sandkorn. Lässig erhebt sich Zobëide; auf unseren dringenden Wunsch tanzt sie den Dance de ventre. Es bebt ihr Leib, es kreist ihre kleine beleibte Körperwelt, eine Miniaturerde nach dem Vorbild unseres Erdreichs. Die Erde, die gereifteste der Lehrerinnen, ihre Tanzmeisterin! Sie lehrte Zobëide erdzubeben; und zu schüren und wieder zu bannen die Gluten im Kreise des Leibes. Noch glimmen ohnmächtig der Schultern aufgeworfene Hügel: Machmëde macheiï . . . sie schnellt den Kopf wie die Viper jäh zum Stich. Wir fürchten uns.

Auf die Feuerfresser konnten wir zu früh schon am Morgen erschienenen Gäste nicht warten, ihnen beim – brennenden Frühstück Gesellschaft zu leisten. Doch wir versprachen dem dunklen Repräsentanten, an einem anderen Tag zur Abendvorstellung zu erscheinen, teilzunehmen am Feuermahle. Von einer der Fackeln mal ein bißchen zu naschen, reizte schon unsere Gaumen. Drei Stunden fährt man mit dem Autobus von Jerusalem nach Tel-Aviv. Die Unterbrechung der Fahrt konnte schon unserem gutmütigen Fährmann eine Rüge kosten, nicht von schlechten Eltern. – Es läßt sich so recht schweigen im Raum des Autowagens, wie die lieben Pflanzen in den Gärten vor den Häusern Rehavias. Man versteht das unausgesprochene Wort des Zweiten, oft vielsagend stummes. Wie damals vor dem Turmbau zu Babel die Menschen noch auf die Heilige Stimme Gottes lauschten, mäßig sprachen, das Wort nicht entehrten. Und sich begnügten, in Zelten zu wohnen, der Mutter Erde nah, aus der sie bereitet einst. Fern liegt es mir, zu – predigen. Ich erwähnte wahrscheinlich dieses Thema meiner von mir angebeteten Mama gedenkend, die uns Kinder stets Genügsamkeit lehrte.

Doch der Sand der Wüste, vom verdoppelten Tempo der Autoräder aufgescheucht, verweht sehr oft das nur geahnte Wort, den Gedanken noch nicht inkarniert im Wort; oder vermittelt ihn der Welt – euch – dir . . . Ich denke viel an dich.

Der Horizont strahlt plötzlich silberweiß, ganz überirdisch. Dort müsse wohl das Paradies gelegen haben, erwägt ein Dämchen im Autoraum und sucht es emsig hinter der Lorgnette. Wie soll ich ihr begreiflich machen, daß wir uns von Geburt an im Paradies befinden, vom ersten Tage unseres Lebens. »Gewerett«, sagte ich tief ergriffen, »schauen Sie sich in der Wüste einmal – ohne Fensterscheibe – um und beugen Sie sich gefälligst über die Gipfel der Sandpyramiden – ohne Furcht zu allen Erdteilen der Erdkugel – von Paradies zu Paradies. Denn überall ist Paradies. Gott schuf nur Paradies, das sich verfinsterte am Nachlassen der – Liebe.« Ein Witzbold ruft: »Im flachen Scherenschnitt der Zeiten.« Die Liebe ist die Ureigenschaft Gottes. Hören wir alle im Wagen sagen, eine Stimme, die aus der Wüstenerde drang und zu gleicher Zeit vom Himmel rauschte, eine lichte Geiertaube. Manche von uns im Wagen falteten die Hände.

Im Sohar, dem ersten Buch der Kabbala, steht geschrieben: »Gottes Ebenbild ist verlorengegangen.« Fromme Frauen in den kleinen Tempeln Jerusalems, die Köpfe in dunkle Tücher gehüllt, sehe ich oft aus diesem Engelbüchlein lesen. Ihre Augen wandeln über seine Seiten, bescheinen die kleinen vergilbten Felder mit herzblutendem Mohn. Es sind die einzigen wildwachsenden Blumen, die auch in blumenlosen Monaten unter den Augen Gottes aufflackern in den Urumgegenden Palästinas.

Unser aller Nasenspitzen sind in Gefahr, zu verkohlen in den Gluten der kleinen Schmiedehöllen links und rechts der Einfahrtstraße Tel-Avivs. Sie führt uns – Kinder – im Autokremser ins Innere der unvergleichlichen Meerstadt. Wir sehnen uns, namentlich meine Freunde und ich, nach seinem ozeanischen hebräischen Herzschlag. Autosicher bringt uns unser Lenker über die bevölkerten Plätze und nimmermüden Straßen, zuletzt durch Tel-Avivs Galastreet, die Avenue Rothschild, ungeduldig erwarten wir ihr Ende. Glaubt man sich doch statt in seinem modernen Wagen in einer Karosse zu befinden, altmodisch dahergezogen vom Rosse. Diese Häuserallee im architektonischen Schleppkleid, immer wieder lähmt sie meine Nerven. Der Goldgräber pflegt ähnliche Mistreßstreets zu bauen, zwischen urwüchsigen Gassen und Plätzen, burschikosen, so an old Auntavenue.

Wir Insassen verlassen gemeinsam die geräumige Kutsche an der Haltestelle der Meercity. Da steht, als ob er uns erwarte: Der Uri, der Uri-Zwi, der berühmte hebräische Dichter, der Sohn des innigen Wunderrabbiners von Lemberg. Aufflammt Uris kupferrotes Haupthaar, und sein Indianerauge blutet ähnlich wie draufgängerisches Morgenrot über Urwälder. Die Palästinenser schätzen das Dichtwerk meines Freundes; es läuft auf Goldgeräder hebräischer Zeiten. Wir betreten, begleitet von ihm und einer Schar Judenindianer, eine Gartenwirtschaft. Aus Kannen und Gläsern fließt Milch, Tee und Honig. Noch betrachten wir gemeinsam über der niederen Mauer des fruchtbaren Wirtschaftsgartens die flutende Stadt und ihr geniales Gerinnsel. Doch immer wieder von neuem ihren bunten Habimähturm. In seinen Stamm schnitt Meskin das Herz des Dybuks.

Passanten grüßen uns mit dem Gruß des Friedens. »Schalom!« grüßen wir dankend zurück. Es reiten im Galopp jüdische Cowboys auf noch ungebändigten Pferden durch die Allenbeystreet an den Strand, ihre jungen, schnaubenden Tiere zu baden. Ein Hufbreit – und der Rappen hätte Abrahamid Stenzel, den verträumtesten unserer Dichter, auf seiner Bagage, mitten auf dem Damm rastend, zermalmt. Ich war schon froh, daß seine glühende dichterische Ader verschont geblieben.

Wie oft trabten wir im Singsang, zwei – erhabene Kamele, durch die endlosen Straßen der Spreehauptstadt. Die nette Gewerett des Architekten füllte ihm einen Becher mit schäumender Milch, mir reicht sie einen zweiten. Ich bitte aber, bevor ich ihn leere, ums Wort:

So höret, liebe Leute, diese Mordsgeschichte:
Um eines Verses wegen,
Den zu packen hat vergessen
In seine Reisetasche zu dem Essen
Und zu den Kragen er zu legen –
Um eines Verses willen . . . liebe Leute
(Es handelt sich um eines Dichters Vers!)
Und nicht um leerer Worte Hüllen,
Reist Stenzel wieder nach Europa heute.

»Bravissimo! Bravissimo! liebe Dichterin!« Meine Tischgefährten applaudierten.

Nur Juden passieren unseren Cafégarten. Auf der anderen Seite des Damms kommt doch der nette Bürgermeister Dizengoff und lächelt über unseren Frühstücksschmaus.

Alle Tel-Aviver erkennen auf den ersten Blick die harmonischen, heiteren Jerusalemiter, und umgekehrt der Jerusalemiter den von der ruhlosen Meerstadt zur Erholung in die ruhende Heilige Stadt gereisten stürmischen Tel-Aviver. In Tel-Aviv sind alle Menschen Juden, alte und neue, vergilbte und blühende. Der Richter ist Jude, der Polizist, der liebenswürdige Bürgermeister, der uns eben so väterlich zunickte, aber auch der Soldat. Eine Stadt, von Hebräern gebaut, gefüllt mit Hebräern. Doch gastlich empfängt ein jeder von ihnen den Andersgläubigen.

Es betrachtet mich wieder eine Schar Spaziergänger; manche verweilen, mich prüfend, eine Zeitlang. Stützen auf die niedrigen Steine der Mauer in die Hände ihren Kopf, mich en face und dann im Profil zu beobachten. Doch der mir aus Deutschland her bekannte Makkabäerboxer setzt über den Stein und boxt mich in übermäßiger Freude: Knockout!

Es drang die Kunde bis ins Heilige Land, ich sei gestorben. Ermordet worden – zu Korn gemahlen in der Blutmühle der Völker. Zwischen Zimbeln, Harfen und Posaunenornamenten brachten Zeitung und Journal mein Bild – zur ewigen Ruh.

Im Heiligen Lande, im Lande der Auferstehung, zu leben und zu sterben, pilgern fromme Männer und Frauen, Juden und Christen und die noch den Zeiten der Apostel treugebliebenen Judenchristen ins Hebräerland. Sie werden niemals ihre Wurzel verleugnen, im Judentum entsprossen.

Palästina – eine Einige, Einzige Auferstehung!

Noch vor der Schöpfung her liegt auf dem Bauplatz, auf Palästinas Boden, Urmörtel, wilder Schlamm, Erzlehm und Materienrest, in Felsspalten aber neues Material zu neuem Aufbau. Vergehen und neu entstehen soll immer wieder das Heilige Land, bis es dem Himmel gleicht und mit ihm der Hebräer. Begraben und vergessen doch das »kühle, leblose« Herz des Lauen. »Den Lauen aber speie ich aus meinem Munde!« sprach der Gottesjude von Nazareth.

Meine Freunde und ich schreiten in einer Reihe, Hand in Hand an den Ozean. Dromedarisch legt sich die kostbare Straße zu unseren Füßen nieder und trägt uns gemächlich ans Meer. Einst eilte das erste Menschenpaar, vom Sturm getrieben, über diesen rauschenden Wüstenweg an den Strand. Über die Meereswasser schwebt Gottes Geist, unwirklicher Schein. Vielen guten Juden begegnen wir am Strand; sein Sand liegt so weiß wie Neuschnee, gefallen aus weißer Wolke. Die Schauspieler der Habimâh sitzen um ihr Faktotum: Joschuâh. Manche schlummern müde bei hellichtem Tage, müde von der Anstrengung der Proben. Es begegnen uns persische und chinesische Hebräer; wir reichen uns überrascht und gerührt beide Hände! Um so schmerzlicher doch herzen wir die Kinder mit ihren schon halbverstorbenen wunden Augen, still spielend im Sand. Die Kinder vieler mißhandelter Juden des Europaostens. Ihr hagerer Leib in Leid getaucht; doch ihre schmalen, ergebenen, bleichen Hände Einfalt: feine Testamente. Auf den Erlöser warten sie in Palästina und stehen vor dem Tor Jerusalems, es zu öffnen dem Messias.

Einmal kommen »alle« Juden ins Hebräerland heim, zu sammeln sich in seines Tempels Räumen. Mit seiner frommen Seele Wünschelrute sucht der Gottgräber verzweifelt nach einem Körnchen Gott. Er küßt es, im Empfinden, er berühre Gott. Erbarme sich der Herr derjenigen Seele, die sich Ihm . . . Adoneu, zum Dukaten prägt.

Ich kannte einen alten, nach Europa zurückgekehrten Goldgräber: den »goldenen Brummer«. Er erzählte mir so spannend von Südamerikas Honiggoldfeldern und den starken, stämmigen Boys, gewandert aus der Hauptstadt Kolumbiens. Sie belecken das erstgefundene Gold wie das Kind sein Bonbon.

Auf dem Balkon seines Hauses steht der vornehm gesinnte Dichter Salo, in dessen Stube ich noch vor kurzer Zeit den Morgen verschlief. Er hat für meine Gedichte ein Faible, fühle ich; aber auch für meine Person und – steckte seine liebe Frau angenehm an. So gern wiederholte ich darum meine Besuche. Oft sehnte ich mich in Jerusalem nach der einzigartgen – guten Stube in der Meerwildnis. Ach, er starb mitten in meinem Buche – ich konnte es schwer weiterschreiben, seitdem seine guten Augen im Traume nicht mehr auf meine Seiten schauen. Er verherrlichte Spinoza, den Wunderphilosophen des Hebräertums, in königlicher Sprache.

 

»Wie ist es in Palästina?« »Anders, meine Lieben!« antworte ich. »Ganz anders wie in allen anderen Ländern unserer Erdteile. Trägt unser Gelobtes Land auch den harten, steinernen, aus Furchen gedrehten Knoten, wie Tibet, am Hinterhaupt, so doch um die Stirne im Haar den unvergleichlichen holden Orangenblütenkranz. Die auserlesene Erde des Einigen, Einzigen Gottes, auch nur im Gedanken, mit einem Seiner Schöpfungen Lande paaren zu wollen, berührt wie religiöser Dilettantismus. Denn Palästina ist nicht von dieser Welt! Sein Jerusalem spielt mit dem Himmelreich einträchtig. Bereiste ich auch nicht eine jede Zacke unserer Sterne, so doch im Schlummer der Nacht. Dafür sorgte schon fürsorglich die Ewigkeit.

Manch einem nicht Wetterfesten ist Palästina ein furchterregendes Land, da es noch herrührt von der Urliebe und dem Urzorn des Ewigen. Stein reiht sich an Stein, erhebt sich über den Stein noch hinaus, und die Natur in den unbepflanzten Gegenden, grünverblichene Ruinen, die nach Frühling schreien. Neu blüht aus ihnen gottliebes, junges Reis.

In roten Judenbeduinenschuhen schreitet Palästinaerde bis in das Grenzenlose des Jenseits. Tulableich – des Heiligen Landes steinerne Locken, aber der junge Bauernsohn und seine Bäuerin schmücken sie mit frischen Orangen. Ein tausendmaltausend zeitloses Land ist Palästina, die Schwester des Himmelreichs. Gott aber erhob sie in den ernsten Königinnenstand! Wir Juden alle sind ihre Vasallen. »Hört, ihr Völker der ganzen Welt, schließt Frieden mit uns! Wir dürsten nach Frieden nach dem ungetrübten Wasser gemeinsamen Quells!«

Von Jerusalems heiligen Felsen brach der Schöpfer den Stein zum Bau der Welten. Wir Juden beten im Gemüte, jenseits der Welten, für den Frieden.

Ich raste so gern im alttestamentlichen Gärtchen des Dichters Ben Gavriels, es liegt am Pfade, bevor man einbiegt in eine wirkliche Straße. Manchmal schleich ich mich auf Vieren durch seine Pforte, beschaue die vielen Blumen an den Zweigen der Sträucher, und die, die die Rasenflächen bunt bescheinen. Und spiele mit der zahmen Kröte. Jedesmal kommt sie aus dem Ziehbrunnen gekrochen, ganz behutsam, wie ich in den Märchengarten. Auf ihrem Rücken saß doch eine ganz kleine Kröte von ein paar Tagen und quakte – nur der Mutter verständlich. Sie sah der grünen Zuckerkröte auf den grünen Blättchen ähnlich, die sich mit Vorliebe Schulkinder auf den Jahrmärkten in Zuckerbuden zu kaufen pflegen. Oder wie meine liebe, liebe Mama mir damals so eine in das Kleidertäschchen bei Tische heimlich steckte.

Ich liebe die kleinen Tiere im Gartenparadiese alle. Die Mücken namentlich, die goldenen, aus Sonne. Sie zu verscheuchen – und stechen sie auch mal –, fällt mir gar nicht ein. Der Dichter Ben Gavriel und seine schlanke Gewerett freuen sich darüber. Manchmal begegnete mir auf dem niedlichen Rasenplatz eine Schar Heuschrecken; sie studieren Botanik in ihrer grünen Uniform und tragen an der Seite, sieht man genau hin, eine Botanisierbüchse. Wenn ich am Abend aber mit dem Dichterehepaar unter der Zypresse sitze, liest mir manchmal Ben Gavriel ein eben erst geschriebenes, besonders feines Essay vor. Auch er ist einer der Minnesänger der bräutlichen Jerusalemstadt.

Es liegt den Juden daran, eigentlich ja immer und wo sie sich befinden, den Nebenmenschen weder geistig noch körperlich zu verletzen. Ich verneine den witzelnden Juden, überhaupt jeden – Gescheiten in jedem Volke, so witzig er sich auch ausdrücken mag, der den Zweiten kitzelnd zu überlisten gedenkt. Er scheitert am herben Riff meines Herzens. Väterlich oder geschwisterlich führe du den Nächsten, wo Gott nicht Selbst führt die Hand.

Die Künste beginnen zu prangen, die Talente regen sich in Palästina, schäumen über! Das Heilige Land liefert starken Extrakt, es gedeiht jede der Musen. Einige Tropfen vom konzentrierten Zauber Jerusalems verursachten schon magisches Fühlen und Verklärung des Blicks. Doch gilt es Verzaubertes zu verdauen, den unendlichen versteinten Zauber des Landes einzuverleiben, zu vermischen mit Körper und Seele.

Nur dem Ästhetiker in Handschuhlederhaut gelingt es (oder auch nicht), kaum Palästina betreten, schon »angenehm« infiziert von seiner Magie, loszudichten, zu malen, zu komponieren, sich auf der Höhe seines Schaffens zu fühlen.

Oft hängt sein Früchtchen, sein Tableau,
Im Kunstsalon, hoch über einem Rokoko!
Das ist mal in der Kunsthistorie so.

Vor dem Kunstästhetiker hüte man das göttliche Antlitz der Kunst. Er ist zu vergleichen mit dem blinkenden künstlichen Zahn zwischen echten Zähnen im Munde. Im Munde der Welt soll die Kunst echt sein, zu Herzen sprechen der Welt.

 

Ich bin nun wieder ein volles Jahr in Europa. Jerusalem und sein Land taucht lächelnd auf aus meiner Erinnerung und belebt mich mächtig. Wie die Nachkur einer Kur. Meine beiden Begleiterinnen, die Dichtung und die Malerei, beginnen die wohltätige Folge der Heiligen Stadt zu fühlen. Ausgeruht, erschließt sich die Zeile meines Verses und blüht. Gott ließ mir Zeit und Weile. Auch der Mensch sollte, nach Gottes Beispiel, der Kunst Zeit lassen, vor allem aber – der Künstler sich selbst! Der sich verantwortlich fühlt für seine Gaben. Kunst ist Wein. Der will gären, sich filtrieren; je länger der kostbare Most im Herzen des träumenden, schäumenden Künstlers ruht, desto unvergleichbar süßer der Dichtung Blume.

Man lasse mir Zeit! Kunst ist Wein. Nicht vom Balkon meines jerusalemitischen Gasthauses zeichnete ich am Offenbarungsmorgen die ehrwürdigen Chassidimpriester, zur Klagemauer pilgernd; erst heimgekehrt in Europa. Schneebedeckte Berge, lauter Rigis, erheben sich hinter dem grünenden Wasser, aber in meinem Herzen überragt sie des Hebräerlandes erzalter Fels. Und ich vernehme durch das Klingen fröhlicher Jodlerstimmen himmlisch die lieben Kolonisten, aus ihrem Emek kommend, singen . . . Jerusalem weint vor Glück.

Auch die anderen Bilder meines Buches zeichnete ich nicht an Ort und heiliger Stelle, aber am Tisch vor meines Zürcher Raums kleinem Fensterchen, doch – mit morgenländischen Augen. Ich war im Bibellande, das nicht von dieser Welt!

Vernimmt man auch nicht in den Meerstädten Palästinas das Klingen der Harfe Davids, so bewundert man aber den meeresalten Rhythmus Tel-Avivs, des bestrickenden, sich verwickelnden und wieder methodisch sich entwirrenden Wellenlabyrinths. Diese ozeanische Stadt der Meere preist der Juden talentvolle Organisation. An Verkehr alle Hauptstädte aller Länder überbietend; an Gestalt – Tel-Aviv – klein. Aber zu bewundern noch jeder seiner Winkel Vielspaltigkeit und Gestimmtheit, ohne die respektvolle ursprüngliche Wüstenwildheit zu vergewaltigen. Vor dieser göttlichen Leistung respektvoller Haltung angesichts der ewigen Natur beuge ich mich tief, und ich bitte die Völker, sich mit mir zu verneigen.

Der Mensch, der unmethodisch darauf handhabt, in der Schöpfung elementarem Wachstum schaufelt, entwürdigt Wildnatur zur Unnatur, untergräbt ihren von Gott erschaffenen Ursprung. Vom ersten Tage der eben geborenen Welt an gab ihr unendliches Draußen ein Vorbild ihren Geschöpfen, die Welt zu bestellen. Darum blicken die Städte und Dörfer Palästinas noch immer lauschend zum Himmel auf, wie das die Vögel noch überall vor den Bächen der Erde zu tun pflegen und namentlich der herrliche Wildvogel vom Fels des Hebräerlandes: der Geier. Auf zur Gottheit schauend, erbaute der Hebräer die brausende hebräische Meeresstadt gegenüber Jaffa, spielend schoß sie aus der Hochflut des Sands der Wüste nach Gottmethode aus dem Gelobten Boden. Unsichtbar schritt die Schöpfung der werdenden Wasserstadt voran. Wissen das alle seine Bewohner?

Auch in der Umgegend Tel-Avivs beschäftigen sich Kolonisten mit dem Bau der Äcker und der Zucht der Wolltiere. In der gesamten Welt suche man anspruchslosere Landleute als die Chaluzim, das hebräische Bauernvolk. Nicht eine einzige der weißen Milchschaumperlen aus den Gefäßen der Kuhställe noch eine Beere des Rebstocks der Weinberge gönnen sie sich zu genießen. Fasten an ihrer Hände unermüdlicher Arbeit, deren Betrag dem Allgemeingut des Heiligen Landes zum Nutzen dient, den Ankauf weiteren Palästinas zu ermöglichen. Königlich in Garben und Früchte zu kleiden, vor allem in Liebe weiterhin neuerworbenes Land, der fleißigen auserwählten Chaluzim heiligster Wunsch! Die Braut des Herrn: Jerusalem, orangenblütengeschmückt, zu Gott heimzuführen, zur Ehre Israels.

Es enthält sich genügsam der jüdische Bauer und seine Bäuerin der Delikatesse des Feldes. Doch beschließen nach getaner Arbeit mit Spielen aller Art und fröhlichen, unschuldigen Bauerntänzen, begleitet von der Harmonika, die Landarbeiter ihren Feierabend. Zebaoth hat diese fleißigen Söhne und Töchter besonders in Sein Herz geschlossen. Er spricht zu den begüterten Brüdern und Schwestern in den Städten, zu jedem einzelnen und jeder einzelnen: Den Fußbreit, den du heimkaufst vom Heiligen Lande, hast du mir gekauft – dem Ewigen.

Palästina, als Vorhimmel des Himmels gedacht, als Grenze zwischen Ewigkeit und Zeitlichkeit, steht schon im Zeichen des Raum- und Zeitlosen. Beileibe nicht alle Bewohner des Gelobten Landes erfreuen sich eines Ewigkeitsherzens. Doch vielen Semiten, Juden und Arabern, begegne ich und staune sie an; sie tragen in sich die wiedererwachte Seele frommer Bibelgestalten.

Freitag nachmittag ziehen unsere Chaluzim, aus ihrem Emek kommend, mit holdem Gesang durch die Straßen Jerusalems. Ich sehe sie immer schon von Ferne, von der Höhe des Jaffaroads, herabschreiten zur ebenen Straße. Keusch sind die singenden Bauern und Bäuerinnen der Kolonien. Palästinas Tauben mit den Augen des spähenden Vogels. Als Schulkinder betrachteten sie sehnsüchtig in ihren Bilderfibeln brachliegendes Heiliges Land und trockneten in ihren Träumen schon seine Sümpfe. Heute sind sie in Wirklichkeit die guten Hirten und guten Hirtinnen Palästinas geworden. Vor dem neckenden Winde birgt die hübsche Bäuerin ihr flatterndes Haar, wie die europäische Landarbeiterin, in ihr geblümtes Tüchlein und knotet es unter dem Kinn.

Die Jerusalemer Luft entfärbt das brünette Haar der Bäuerin vielfach beim Säen und Ernten ihres Ackers und bestreut es mit Goldstaub. Die Schwarzhaarige wird nußbraun. Ich begegnete noch nie in südlichen Ländern so einer Menge goldgelockter Kinder, wie hier im Hebräerland. Ein Spiel der Natur! Die Sonne natürlich steckt dahinter. Oft gucken hellgelockte Kleine aus blauen großen Augen, da hatte nun schon der Himmel selbst seine Hand im Spiel. Viele galizische, polnische und ungarische Juden flüchten in das Heilige Land. Sie verstehen, namentlich die jüngeren, mit großer Geschicklichkeit die beiden Haarsträhnen ihrer Schläfen zu ringeln. Oft fallen die beiden frommen Locken über die Schulter herab bis zur Hüfte. Der wirkliche Ostjude, der Großeltern treuer Enkel, ist stolz auf diese pietätvolle »Lockenzierde« seines Hauptes. Würde sie sicherlich vermissen, auch wenn es ihm religiös erlaubt, sie abzuschneiden. Er liebt sie. »Schön ist, was man liebt!« antwortet mir ein ostjüdischer Jüngling. Nur der sich modernisierende Ostjude, in die Hauptstadt verzogen, entledigt sich meist der altväterischen Mode, zunächst mit der scharfen Kante eines Steins, im guten Glauben, das Gebot nicht verletzt zu haben, das ihm untersagt, mit Metall das ihm gewachsene Schläfenhaar zu fällen.

Jeder Tracht geht vermutlich ein Symbol voran, doch spürt man seinem Ursprung selten nach. Der Träger gewöhnt sich an sein Kleid; der Schmuck wird dem Tragenden lieb, ein Erbstück, und erst dem Hebräer der östlichen europäischen Länder. Vom Jaffator aus schreitet vor mir her ein galizischer, langaufgeschossener Jüngling. Ich betrachte seine wohlgepflegten kastanienbraunen Paas, um nicht das sehr ramponierte mauschelnde Wort Payes zu gebrauchen. Die Locken im Beginn der religiösen Mode hießen »Paas«. Ich freue mich jedesmal, wenn der Wind die ihm Schmuck bedeutenden gedrehten Haare über seine mageren Schulterkanten weht. Die ausgewachsenen Ärmel seines langen, schon grünlich schimmernden Kaftans versetzen ihn bei den Vorübergehenden in scheinbar große Verlegenheit, die ihn – kleidet.

Im ältesten Gasthaus Jerusalems feiert wiederum eine eingeborene Jüdin und ihr Verlobter Hochzeit. Es spielen die lieben blinden jüdischen Musikanten der Stadt zum Hochzeitstanze auf und feierlich drehen sich die Tänzer mit ihren Tänzerinnen.

Am Spätnachmittag besteigen die Gäste gemeinsam mit dem jungen Ehepaar das hochzeitlich geschmückte Dach. So ein ganz winziges Treppchen führt zu ihm herauf, und wir alle müssen uns bücken. Versunken, aber hellseherisch sitzt der blinde, rührende Spielmann neben blindem, rührendem Spielmann. Spielen Hand- und Mundharmonika und Geige und Flöte und vernehmen ernst den dunklen Schall der Trommel. »Sie sind ein Chor des Herrn . . .«, sagte ich zu meinem Nachbar, der wie ich lehnte an der Pforte des hochzeitlichen Daches. Eine weißweiße Wolke schnellt über den lilasamtnen Himmel hinweg, ein weißer Geier. »Ein weißer Geier!« rufen die Hochzeitsgäste. »Der bringt dem jungvermählten Paare Glück!«

Man liebt es in Palästinas heiliger Stadt, sich in hebräischer Sprache zu verständigen. Jargon liebt der Palästinenser weder zu hören noch sich in seinem Dialekte zu verständigen. In den Schulen und auf der Universität lehrt man in hebräischer Sprache.

Jargon (Jiddisch) entspringt keineswegs dem uralten Gewächs der Sprache der Hebräer. Die Sprache ist das Gewächs des Landes. Sie geht ein oder verstümmelt im entfremdeten Munde, so lieb auch den Hebräern des östlichen Europas ihr angenommener schlesischer Sprachdialekt, vermischt mit der Wüste Singsang, geworden ist.

Die Sprache ist das Gewächs jedes Landes; aber sie vermag sich, wie der ihr sich bedienende Mensch, zu naturalisieren, sich umzuschalten, sich zu verpflanzen zu einer fremden Sprachart. Der Juden Sprache kehrt zu ihrem Urboden zurück. Als Kind erlernte ich instinktiv zu lesen die Harfenschrift unserer ewigen Laute: Hebräisch! Hörte im Traum Joseph sprechen.

Es ist den Juden nicht erlaubt, den Namen Gottes zu nennen, und er pflegt den gebenedeiten Namen zu umhüllen mit der Wolke seines wandernden Gedankens. Moses verhüllte sich mit dem Gipfel des Sinais dichtgesponnenem Wolkenkleide, damit sein Gesicht nicht erblinde vom Licht des Herrn. Und doch ist unter Seinen Menschen allen, keiner der Menschen dem Menschen so nah wie Gott – rufen wir Ihn!

Mich fragen Freunde, ob sie sich, der hebräischen Sprache unkundig, in Palästina mit den Juden verständigen und sich unter ihnen wohlfühlen werden.

Die Mehrzahl der Westjuden beherrscht leider – mich dazu gerechnet – unsere alte Sprache nicht; lesen allerdings konnte ich sie auf der Schulbank in der Religionsstunde – »vorbildlich«. Es erwartet keiner der Hebräer in Palästina eine Konversation in der Sprache unserer Erzväter, in der Sprache der Könige Saul, David und Salomo. Namentlich von Andersgläubigen, doch auch von uns übersiedelnden Juden nicht. Beklagt auch bald ein jeder und eine jede von uns, die heilige Sprache nicht sprechen zu können.

Die sich leicht überstürzenden Laute in ihrem »lieben« Jiddisch, vertrauten Jargon der Ostjuden, beruhigen sich zu gleicher Zeit mit ihren gehetzten verfolgten Gemütern im ruhenden Lande. Auch ihre Gebärden mäßigen sich hier im Frieden der Sonne. Ihrer Mütter Hände mußten immer bitten und den Verfolgern begreiflich machen ihre und ihrer Kinder Unschuld. Nun streicheln die Engel ihre Wangen im Strahl der Sonne. Sie liegt immer aufgeschlagen am Altar des Himmels und der Jerusalemiter liest kniend im lilagoldbroschierten Jerusalembuch. Ach, würden doch alle Herzen ineinanderfließen! Es erhellte sich von neuem die Welt und ihr Geschöpf. Es keimte langsam wieder: Paradies. Dieses lehrte mich Jerusalem am Feierabend, am Schabbatt die weiße, weiße Kerze. Oft fallen Sterne von oben und ruhen magisch mitten in der Luft. Neigen sich über die pyramidisch geformten Felsengipfel, sie zu küssen. Ich sah es schon als Kind, gemalt im Sternenalbum des kahlköpfigen Astrologen: Kosmos.

Man lernt so vieles in Jerusalem, Dinge, an die man nie dachte, aber die zu erfahren die Hauptsache ausmachen in der Welt. Zwischen Gemäuer und Gemäuer, erzählt die Sage, fand unser unvergleichlicher Psalmenkönig David den von Adoneu auf einem Streifen mit dem Licht der Liebe gezeichneten göttlichen Plan zum Bau der Heiligen Stadt.

 

Zwei hervorragende Maler malten schon in Europa die feinen, weisen, oft unwirschen Gesichter östlicher Juden in ihren langen Bärten. Heute arbeiten die beiden verdienstvollen Künstler, die Professoren Hermann Struck und Jakob Steinhardt, unter Palästinas Himmel. Sie brauchen nur hineinzugreifen ins jüdische Menschenleben, in die von mir benannte Lewonestreet.

Mit unermüdlicher Geduld malt der Maler Bild auf Bild; der Musiker gleitet mit sich fort. »Fangen« spielt der Dichter mit seinem Vers.

Trampeltiere, Wüstenschau wieder im Rahmen zu sehen im Salon Steinmatzkis. Ich – lese die interessanten Gemälde wie Briefe aus einer Oase der Sandmeere.

Schwerbrausend oder streichelnd möchte die Kunst fließen in des Beschauers Herz. Dem Künstler ist vererbt Ewigkeit; aus ihr holt er Materie, den Stoff seiner Schöpfungen, Zeit und Raum und Ewigkeitssubstanz: die Liebe! Denn er ist der Nachkomme der Liebe.

Der Künstler trägt die Zeit nicht, zwischen zwei Deckel gelegt, bei sich an einer Kette; er richtet sich nach dem Zeiger des Universums, weiß darum immer, was die Urkuckucksuhr geschlagen! Und sein Nachbar täte gut, sich bei ihm zu erkundigen – ob noch Zeit. In Jerusalem vernimmt man tickend die Weltenuhr; ihr Zifferblatt leuchtet, liebreich zeigen ihre Zeiger immer noch auf heiligere Stunden, und am Mittag läutet es Frieden! Es rufen dich, immer dringender und vernehmbarer, Tempelglocken des Friedens.

Ich habe als Kind so oft Jerusalem gezeichnet und ein Verschen unter das Heiligenbildchen gedichtet. In späteren Jahren fand ich die Blätter zerknittert im Bodenraum in der Schublade meines Kindertischchens liegen. Eines Mittags stand das kleine Tischchen neben unserem großen Mittagstisch. Ich bekam auf ihn meine Speisen gestellt; und abwechselnd aßen mein Papa und ich von meinem »geheizten« Tellerchen. Aber jedesmal verbrannte er sich die Zunge und gab mir wieder mal die ganze Schuld. Es kommt mir alles in den Sinn zurück, was sich früher begeben und was ich erlebt, und auch die kleinen Bildchen, die ich malte, mit Reimen versehen. Ich langweilte mich immer, und die Malerei und ihr bunter Stift und die paar Wörtchen, die ich sammelte zum Gedichtchen, dienten mir eigentlich zum Zeitvertreib. Zeichnete und malte es auch sicherlich so stark in mir, wie heute an auserlesenen Tagen; vielleicht noch ursprünglicher und urkräftiger. Handelt es sich um ein Genie – Genie – wie um mein Wunderkind, meinen Paul, der sich selbst das Material suchte, um seine Bilder und Zeichnungen zu produzieren. Er zeichnete schon im Kinderstuhl sitzend, 1¼jährig, den Raben, der »Fleisch stiehlt«!

Palästina, nach Gottes Kinderzeichnung Meisterbild erbaut, Palästinas Flur ist das Meisterkinderwerk Gottes.

Es übt sich gastlich der Jude, den Andersgläubigen zu bewirten in seinem Haus, ihn aufzunehmen, auch zwischen seinen ärmsten Wänden. Auf Gerechtigkeit und Gastfreundschaft reagiert das Gelobte Land; seine Harfe ist nach beiden hohen Eigenschaften gestimmt. Aber auch seine kleinsten hebräischen Stuben singen bewillkommnend dem Fremdling entgegen. Der jüdische Einwohner Palästinas, der Wahrheit die Ehre, ist im allgemeinen unbegütert, der Heimatjude der Stadt Jerusalem ist sogar arm. Luxus erlebte ich nie in der schlichten Stadt, auch nicht unter den wohlhabenderen Judenfamilien. Weder auf den Straßen noch im Theater noch in den Caféhäusern der Kolonien. Die arabische schöne Haremsfrau, verschleiert hinter undurchsichtigem, tief schwarzem, kurzem Schleier, legt weit größeres Gewicht auf Eleganz, nach Pariser oder Londoner neuester Mode sich zu kleiden, als die Frau des jüdischen Semiten. Hat man Glück, gerade eine dieser feingestalteten Muselmaninnen vor einem Schaufenster eines Modemagazins zu treffen, so erblickt man endlich für Augenblicke ihr schönes, goldgelbliches Angesicht. Zögernd umhüllt sie es wieder. Ich bewundere ihre schmalen Füße in den feinen Stiefeletten und ihrer zarten manikürten Hände seltene Grazie.

Arabische Kinderlein spielen mit hebräischen Kinderlein zusammen in den Quergassen der Jaffaroad. Gute Kinder, unschuldsvolle Himmelchen, die zusammen einen großen ausmachen. Auch wir großen Menschen hier ergeben zu Schabbatt einen großen Himmel, ein Jerusalem! Warum nicht alle Menschen aller Länder zusammen wenigstens eine Erde?

Es ruhen Rand an Rand einträchtig Land und Seeen
– Das Weltall spaltet sich doch nicht –,
O Gott, wie kann der Mensch verstehen,
Warum der Mensch haltlos vom Menschtum bricht.
Sich wieder sammeln muß im höheren Geschehen.

Ist nicht die Bilderwolke der spielenden Liebe gleich, in ihren mannigfachen Variationen, in ihrem Beharren und Schweifen und Schweben himmelhochjauchzend? Der reinen Liebe, die, wie die Wolke, einmal myrtenweiß und seligblau und schwermütig, ein sinnender dunkler Schwan, durch das Wolkenwasser gleitet. Müde des himmlischen Spiels, hüllt sich der Himmel in seinen grauen Kragen und regnet trübe zur Erde herab. So überrascht uns Liebende auch die Trübsal mitten im Spiel der Glückseligkeit. Das Glück läßt sich, wie das Unglück, nicht allzulange ertragen. Wohl die Engel, aber nicht wir Menschen, verstehen Freude zu hüten im Herzen. Es verblaßt das Glück wie das Unglück nach geraumer Zeit; sie setzen Grauspan an. Nur der Himmel und die Liebe des Himmels sind aus purem Gold. Die leuchtende Blume im Treibhaus, von der Hand des Gärtners liebend betreut, sie stirbt einmal hin, verblaßt, wie der Stern Davids in der Kuppel des Tempels. Es schmilzt das Silberrauschen der Glocke im Turm der Dome; auf wankendem Boden die Moschee; denn – gestorben ist die Liebe der Welt. Sein kampfsüchtiger Mensch spaltete sie wie das Mark mit dem Holz der Bäume.

Hochaufgerichtet schreitet die ägyptische Frau der Pharaonenzeit, noch heute die hebräische mit der arabischen Palästinafrau, den Krug zu füllen, an den Brunnen Jakobs. Sie bewunderten und liebten ihn alle! Erzählen sich die Morgenländerinnen.

Die Frauen der semitischen Völker spielen mit den magischen Farben der Sonnenflecke, die das eintönige, sandfarbene Kleid des Hebräerlandes mit geheimnisvollen, süßhuschenden bunten Schatten beleben. Mit Vorliebe kleiden sich an Feiertagen Mutter und Tochter im Volke – in Rosaseiden. Ein Ölfleck im Rock oder mitten auf dem Rücken verursacht beiden kein Kopfzerbrechen. Sie bemerken ihn des öfteren noch nicht einmal oder er erinnert sie an des Olivenbaums ölige Frucht. Und ihres Zeichens sollten sie sich schämen?

 

Den Juden und den arabischen Einwohnern des Heiligen Landes liefert die Stadt Jerusalem sofort in die Kessel auf den Dächern ihrer Wohnungen gleiche Quantität Trinkwasser. Der Muselman und der orientalische Jude verwenden das Trinkwasser – willkommen, ihren Durst zu stillen, und ziehen es vor, sich zu reinigen mit dem Öle des Landes, zumal der geschmeidige Saft die Haut vor dem Vertrocknen schützt, sie jung erhält. Der Jude aber genießt die ihm zuerteilte Quelle, mit seinen Speisen abgekocht. Das Glas zum Mahle füllt er mit Mitz (Orangensaft).

Aus Schläuchen strömt bald heiliger, labender Regen nach tausendjähriger Wassersnot und vielem Schmachten über Palästinas Felder. So viel Wasser wird sein, ausreichend, ein neues Meerbett zu füllen. Meer heißt Jam auf Hebräisch. Nach Jerusalem unterwegs befindet sich die Wasserleitung. Ich sah selbst die wiedergefundenen Kanäle, die König Schlôme einst legen ließ. Heute schleppen zum zweiten Male Karawanen fleißiger Kamele und Dromedare unermüdlich neues Material empor, von Stein zu Stein, von steinerner Terrasse zu steinerner Terrasse, von Pyramide zu Pyramide, herüber und hinüber zu überbrückten Gipfeln. Komm ich wieder nach Jerusalem, »so viel Wasser wird sein«!

Es freuen sich die eben Angelangten in der Heiligen Stadt, vernehmen sie die Botschaft, und ihre Augen werden groß.

Ein blödsinniger Knabe lacht breit. Ich sehe ihn so oft mit einer Mappe unter dem Arm, mit Zeitungen und Lumpen angefüllt, gravitätisch und sehr geschäftig den Jaffaroad herauf und herunter eilen mit wichtiger Staatsmiene. Der, der ihn aufzuhalten sich untersteht, erregt seinen Grimm. Sein Vater starb vor Jahren im Irrenhaus; dem fünfzehnjährigen Sohn raubt man nicht, wie ihm damals, den Wind und den Sturm und die Sonne der Freiheit. Tut sein Kind doch niemandem Böses. Unter einem Feigenbaum, auf einem Schutthaufen thronend, leiste ich ihm beim dinner manchmal Gesellschaft. Ein Paar Hände voll Maisbrei, von irgendeiner guten Araberin oder Hebräerin gespendet, holt sich der Knabe aus seiner Hosentasche hervor; kein Körnchen darf ihm abhanden kommen. Vermischt die armselige Pappe – mit kleingekauten Orangenschalen und verzehrt einsam sein Mahl, denn selbst die Vögel beneiden ihn nicht darum. Wenn die Besucher am Abend aus dem Cinema Zion kommen, wartet der arme Blöde, an das Cinemator gelehnt, entblößten Oberkörpers, bis der letzte Zuschauer das Theater verlassen, sich in einem Winkel des Vorraums zur Ruhe zu legen. Man läßt ihn gewähren; er dauert jeden in seiner greisen, grauen Haut. Eine rechte Jerusalemfreude der Nächstenliebe erlebte ich, als mir – »die jüdische Äbtissin« nannte ich sie, Gewerett Du Cas – die Gründerin eines gewissenhaften, lieben Kinderheims, mitteilte, sie habe die arabische Genehmigung erhalten, sich des armen Kindes annehmen zu dürfen. Seitdem liegen warme Decken hinter einem der Pfeiler seiner Schlafstätte, die er sich energisch weigerte zu vertauschen mit weichstem Bett. Auch serviert man, dank der Fürsorge der gütigen Frau, des blöden, armen Jungen Vogelfreiheit respektierend, ihm unter den Ästen des kleinen Feigenbaums täglich ein kräftiges Mahl. Ich versprach der lieben Gewerett, sie sehr bald aufzusuchen, und notierte mir die Adresse ihres Kinderheims auf der ersten Seite meines kleinen Sôhars, dem ersten Heiligenbüchlein der Kabbala, den mir beim Abschied von Europa der liebe große Dichter Stenzel dedizierte: Gewerett Ducas, Mikochajim. Neben der Synagoge – hinter den zehn weißen Rosenbüschen. (In einer Stunde, von Jerusalem aus, zu erreichen.)

 

Vor ein paar Tagen las ich in der jüdischen Pressezentrale Oskar Grüns vom Tode des ehrfürchtigen Großrabbiners Dr. Cooks in Jerusalem. In meinem Empfinden verwandelte sich die Seite mit der Todesnachricht zu einem Palmenblatt. Nun ruht der seltsame, schlichte Raw begraben in Jerusalems heiliger Erde, aber auch in meines schlichten Buches Psalmodie: Das Hebräerland. Oft begleitete mich mein geliebter Junge von Himmelshöhen die greise, erzalte Gasse empor, die zu des bescheidenen Rabbunis Synagogentempel führt. Lieber wäre mein Junge wohl, wie ehemals, noch lebend, Augenfaltern nachgejagt; es faszinierten ihn die tiefblauen Mädchenaugen; hier, eigentümlich in Palästina, nichts Seltenes. Täglich eilten mein geliebter junger Sohn und ich – ich spürte seine Nähe fast noch deutlicher als je in Wirklichkeit – die herrliche Wüstenstraße empor, zwei Brüder, Rehavia sofort in die Arme.

Einmal stürmte mein damals noch vierjähriges Kindlein wieder in mein Zimmer, weckte mich und rief: »Nun will ich endlich zu den Sternen – die Zacken sehen!« Hier hätte er sie alle gesehen! . . . Mein Kind war selbst eine glühende Welt, eine kleine glitzernde Wunderwelt mein Wunderkind . . . Darum lockten ihn zu schauen Zacken anderer Sternwelten.

Aus dem Staub des Weltstoffs, Tausendatom und Herz bereitet Mensch und Mensch nach dem Original des von Gott erschaffenen Menschen den Menschen. Wüßte der Mensch, wie sich das mit seinem Dasein verhält, immer wieder in neue, junge Form gegossen, würde der Mensch des Nebenmenschen, nicht »eine« seiner Zacken auch nur verbiegen.

 

Es begegnen mir wiederum die kecken, jungen arabischen Eseltreiber; Spielsachen bedeuten ihnen die – Schaukeleselchen, ihre geduldigen lebendigen Tiere. Streicheln sie hin und wieder auch zärtlich über die Rücken, frisieren ihr Nackenhaar, um sie aber mal wieder nach Herzenslust zu prügeln. Als ob sie aus Holz gezimmert. Wieder mal entwickelt sich Streit zwischen den sich drollig verteidigenden arabischen Bengels und mir. Tagsüber tragen die Arbeitstiere Steine in Körben zu beiden Seiten ihres Körpers hin auf die Bauplätze. Im Grunde hat jeder der mutwilligen Knaben seinen Esel lieb, und auch der Esel hängt an seinem jungen Herrn. Aber manchmal, des zu fühlbaren Spiels müde, pflegt das geplagte Tier, mit seinem Hinterhuf scharrend, den sandigen Boden aufzuwühlen, seinem Peiniger Sand in die schwarzen Augen zu streuen. »Ein Esel«, erkläre ich in englischer Sprache den aufhorchenden Fendis, »ist ebensogut ein Mensch wie wir.« Ich drohe ihnen mit Allah. »Allah wird euch strafen!« Sie senken ihre schelmischen Köpfe, täuschen mir Tränen vor, die kleinen Komödianten! Wischen mit den Zipfeln ihrer Kittel die vorgetäuschten reuigen Tropfen aus den Augen, bitten inbrünstig mit ihren beweglichen Händen bußfertig ab, um sie bald aufzuhalten alle mit einem Male mir bis unter meine Nase. Ich verspreche ihnen, zu den Piastern jedem von ihnen noch einen zweiten zuzulegen, nehmen sie sich ernstlich vor, sich zu bessern und ihre lieben, geduldigen Esel brüderlicher zu behandeln in Zukunft. Auf einmal stand die gesamte Eselsgesellschaft auf einem sandaufgeworfenen Hügel am Rande der Straße, wie ich schon mehrere Male erlebte, fanatisch wie in der Moschee im Gebet, sich vor- und rückwärts verneigend und beteuernd: »Allah ist Gott und Mohammed sein Prophet.« Und stürzten gemeinsam die paar Handvoll Anhöhe wieder herab, beinahe auf meine Füße. Der Achmed drückte seinem weißen, schreienden Pharao einen ganz runden Kuß aufs Maul. Ich aber schleiche nach Indianerart der sehr animierten Eselskarawane lächelnd auf Kriegspfad nach . . . auf höher gelegener Straßenterrasse leider dieselbe kindlich gewissenlose Züchtigung der lieben Tiere zu erleben. Aber auch heute nahte der ehrwürdige Allahpriester im weißen Togamantel und einem Bart aus Tausendundeiner Nacht. Noch im vergangenen Herbst unterrichtete er die kleinen, tieferschrockenen Treiber in der Lehre des Korans. Ihre heimlichen Püffe und Fußtritte trieben die gequälten Eselchen nun instinktiv nicht vom Fleck. Trotz dem großen Ernste mußte ich mir das Lachen verbeißen; endlich befanden sich meine scheinheiligen, mir dennoch lieben, mutwilligen Eselsjungen in der Falle. Mit dem Verlust des Jenseits drohte ihnen ihr ehrerbietiger, heiliger Lehrer. Seitdem erinnerte ich sie jedesmal von neuem an die ermahnenden Worte, liefen sie Gefahr, zu sündigen. Im Herzensgrunde habe ich das arabische Volk unverhetzt lieb im Lande Palästina. Die Artigkeit beider Semitenvölker tut einem gut. Wo ich auch weile unter ihnen, auf den Straßen, Plätzen, auf den Pfaden, aber auch in den Shops, Bars und Wirtschaften, begegnet man Güte.

Alle Morgen frage ich am postlagernden Schalter des Postamts die bildhübsche Beamtin nach Post. Sie ist die Tochter eines Arabers und einer orientalischen Jüdin; mitten, wie sie mir erzählt, in Jerusalem zur Welt gekommen. Sie überreicht mir freudig eine weißgeschneite Ansichtskarte vom Mosesbrunnen, aus der Schweiz arriviert, aus Bern. Ich mußte ihr sagen, wie weit Bern von Zürich liegt, der Stadt, die so oft auf der Marke meines Briefcouverts verzeichnet steht. Kamen aber Nachrichten aus Berlin, so bat sie mich, von der mächtigen schönen Hauptstadt zu erzählen, denn ihr Vater sei in seiner Jugend dort gewesen. Ich schenkte der entzückenden Araberin mein erstes Buch, das Peter-Hille-Buch. Und schrieb ihr ein Andenken auf die erste Seite. »Der Sankt Peter Hille«, sage ich, »war ein Dichter und ein Prophet gewesen, ein Dichterprophet aus dem Westfalenlande.« Kam ich ferner, Post abholen, wiederholte die liebe Beamtin, oft übend, meine Worte: »Der Sent Petron was eine Dichtèr und eine Prophèt, eine Dichteprophèt.« Auch einige meiner exotischen Bücher verteilte ich unter den Siddis der Post. Verwundert jedesmal erkannten sie diesen oder jenen – Juden, Araber und Ägypter in meinen Illustrationen; selbst der Medizinmann, der Indianer, an meinem Hofe, war dem Freimarkenbeamten in seinem Abteil schon in Theben begegnet; jedenfalls in einem der Cinema Jerusalems, dem Cinema Zion oder Eden, auf der Filmseide. Ich traute mich gar nicht, zu gestehen, daß die Menschen meiner Bücher fast alle meiner Phantasie entsprungen – so – mit der Zeit in die Zeit. Vielleicht – ich auch – der Prinz Jussuf. Darum kann ich es nicht beeiden, ob ich bin oder nicht bin; stellte mir keine Versuche, so die Welt mir manche Falle. Der Semite ehrt hoch den Dichter aller Künste. Wie schon ähnlich ich geschrieben: Ein Symbol trat an die Schalter, ich – fragte ich nach Post oder bat ich um Marken. Noch bevor ich eine Oase gesehen, ruhte ich so oft, vom Kamel oder in einer Sänfte von schwarzen Dienern getragen, unter Palmen. Ja, ich träumte viele Male in meinen Büchern unter meinem eigenen, von mir erschaffenen Himmel und seinem Mond. Der besucht mich oft in meiner Stube Treibhaus, die schwächere Hälfte zu Hause gelassen.

Doch heute in der Nacht stand der goldene Astronom am Horizont in seiner ganzen Gestalt angelehnt in seiner runden Positur und blitzblank poliert und – verspottete mich von wegen meiner baldigen Heimkehr nach Europa. Ich war gerade dabei, ein liebes Heckenrosensträußchen, das ich, aus dem Emek vor ein paar Abenden kommend, mir zwischen zwei starken Buchdeckeln getrocknet, in mein Herbarium zu den anderen Blumen zu legen im Begriff. Jede der einzelnen Knospen plazierte ich zunächst auf Silberschaumpapier. Schwärmerische Bauern hatten das rosafarbene Bukettchen zum Andenken von ihrer Hecke gepflückt und warfen es mir in das schon fahrende Auto in den Schoß.

Tief im Herzen Jerusalems, im Friedhofgarten, schlummern die Gebeine der gestorbenen Juden neben denen der heiligen Erzväter Jerusalems. Die Gelobte Stadt trägt ein steinernes Kleid, aber in ihrer Stirn das Taudiadem der Sonne; in ihren winzigen Wassern bebt der Himmel. Wir kommen an Denkmälern, an kleineren und groß sich erhebenden, vorbei; es wirft verschwenderisch das glitzernde Füllhorn des Himmels über uns dunkles Gold.

Die alten Felsfriedhöfe der Juden stammen noch aus der Zeit der ersten Hebräer, die durch die Wüste aus Ägypten kamen, geführt von Moses, dem geheiligten Feldherrn, dem »Freund Gottes«, dem göttlichen Pionier. Zwischen Steinhöhen, sie reichen fast bis in die Wolken, schlummert ein Friedhof, heroisch zwischen Gott und Seiner Erde. Mir bangt vor diesem Tod, von spähenden Gipfeln bewacht; trägt sein Frieden auch das unsichtbare Bild der Gottheit um den Hals.

 

In Jerusalems Umgegend beginnen sich zu weiten die Pupillen, fast schmerzhaft, wie bei mir. Das Auge muß eine nie gekannte, geahnte Landschaftsgestalt umfassen lernen. Dieser Umstand des gewaltsamen gewaltigen Eindringens ungewohnter übergroßer Perspektiven verursacht dem Angelangten vorübergehend Unbehagen. Der berühmte Augenarzt des Heiligen Landes konstatiert, es handle sich um mein ganz persönliches überempfindsames Nervensystem, um den feinen Spürsinn einer Dichterin – laut seines Augenspiegels, der meiner Augen normale Pupillenweite widerspiegelt. Seebäder verordnet mir der lächelnde Doktor; und ich tauchte doch vor nicht allzu langer Zeit aus einer der Wannen des Luxusdampfers Espéria empor. Es gibt nichts Wohltuenderes wie auf einem Schiff zu baden, noch dazu im gewärmten Luxusmeerwasser; aber auch nichts Heroischeres, nur durch Schiffboden getrennt vom tiefgründigen Ozean. Um hier meerzubaden, muß ich mich mit dem Omnibus nach Tel-Aviv begeben, durch die unsterbliche Allenbystreet an den Strand. Ich pausiere eine Weile vor des gastlichen Dichters Salos und seiner lieben Märchenfamilie Haus: Allenbyroad 19.

Der lieben hübschen Schwester Adon Joschuahs, des Habimâhtheaters Faktotum Lieblingsschwester, plane ich einen Besuch abzustatten. Die Schauspieler fühlen sich zu Hause zwischen den elfenbeinfarbenen Wänden ihrer reizenden Pension, und ich auch. Fast schon das Meer erreicht, ruft mich der Besitzer der berühmten Bar: Halloh. Er reicht mir zur Stärkung ein Glas blutroten »Punsch des Philisters«. Mögen sie über mich kommen! Nun steige ich mit Stiefel und Mütze ins Bad; meinen Badeanzug reißen mir fast die wilden Wellen vom Leib. Oberhalb der Düne grenzt eine Laube an die andere. In ihnen speisen Familien Tel-Avivs mit Kind und Magd. Für sechs bis sieben Piaster serviert der Wirt ein schmackhaftes Mahl. Reichen auch alle die Gerichte nicht an die Färweroffschen Süßigkeiten in Jerusalem:

Denk ich an die Schokoladenspeise . . .
Sei still, mein Magen mein,
Beherrsch dich weise.

Auf den vielen Liegestühlen oberhalb des Strandes liegen schon die »Gebadeten« und freuen sich über das Spiel der Wellen. Wir beide besonders; die maiglockensamtne hebräische Dichterin Bat Myriam und ich, wir erfassen wieder und wieder unsere Hände, die Düne hinabzustürzen ins Meer. Ein Beduine, von Jaffas Höhen kommend, vor ihm sein geliebter Sprößling im Sattel, sprengt über den Strand. Ich vernehme die Stimme eines gestreiften Badeanzuges, gebeugt zu einem weiblichen gepunkteten Kittel: »Ein jüdischer Bergbeduine, Agathe, einer von unsere Leut.« Ich kann mich nicht enthalten, dem Sprecher etwas boshaft zu raten, sich nur nicht auf des wilden Judenbeduinen Pferd zu setzen.

Nach Palästina kommen Juden gepilgert in allen Arten und Farben. Asketische jüdische Mönche über das Meer gezogen, erwartungsvoll in das Antlitz des Gelobten Landes zu schauen. Und Väter, gleich den Erzvätern, beben vor Erwartung. Begüterte Familien reisen ins Hebräerland und bescheiden sich mit den schlichtesten alltäglichen Darreichungen des Lebens. Auf der roten gebenedeiten Erde zu leben und begraben zu werden, erfüllt das Gemüt aller Juden. Aber es treffen auch Juden ein in das Heilige Land, um von ihm zu kosten. Von ihm »erst« zu probieren wie von einem altbewährten, noch nie genossenen Gericht. Ich erröte. Viele von ihnen kaufen sich ein Grundstück – für alle Fälle – und kehren dann mit gutem Gewissen nach Europa zurück. Es steht Palästina nichts so schreiend zu Gesicht wie Lässigkeit! Hat man selbst den Berg Carmel, sogar seinen äußersten Gipfel besucht. Auf dem bemoosten Tableau bei meines lieben Baumeisters Baueleven Eltern im großen weißen Erholungspalast den delikaten Seefisch gegessen und delikaten Palästinawein geschlürft. Und nicht vergessen, den Dichter Arnold Zweig hinter Johannisbrotsträuchen zu besuchen.

Es steht Palästina nichts so schlecht zu Gesicht wie Lässigkeit. Es soll der Mensch hier sich rühren und geduldig ausharren der Ernte seines guten Säens, dem neugeborenen Lande, wieder auferstandenem Bibellande, behilflich sein, aufzuwachsen – in den Himmel zu wachsen. Arbeiten und ruhen nach dem Vorbild der Schöpfung des Herrn. Der Glaube an Adoneu nimmt Gestalt an in dem Herzen eines jeden Hebräers. Der hingebende himmelskluge Mensch lebt an der Hand des Glaubens.

Schön ist der Ozean in Tel-Aviv, viel schöner als alle die Ozeane, an dessen Ufern man ebenfalls ausruht oder spielt mit den Wellen, die haushoch heranbrausen und einem ein Wasserperlmuttkettchen in die Hand fallen lassen, passend um sein Handgelenk. Das Meer beräuchert die ganze junge Stadt mit Salzaqua. Auf dem Strand vor dem Meer erhebt sich ein Schlaraffenhügel, ein Gerüst mit allerlei Schlaraffengerichten, die einem fast in den Mund fliegen. Lange ergötzen wir uns hier, lange im Sande, wie Kinder mit Schaufeln und den kleinen Eimerchen, und bauen Tempel und Paläste; und immer arbeiten wir, umlichtet von heller Welt. Ich erzählte schon einmal, es gibt keine Dämmerung im gebenedeiten Lande, und suchte sie mit Streichhölzern – ein angekränkelter Poet. »Tag!« »Nacht!« Und wieder nach Nacht der Tag. Der bedarf der bleichen bleifarbenen Vorgängerin . . . der dämmernden Morgenstunde nicht; und die eintretende Nacht durch das Palästinator – nicht ergrauendes Erdreich allabendlich wie in den übrigen Ländern. Folglich verursacht nicht das Altern des Lichts die Schwermut der Dichter, das Ersticken des scheidenden Tages oder Bangen der enteilenden Nacht in den Morgen.

Ihre Ursache und ihre Depression suche man in der »fernwirkenden« Belastung des Gesteins rings um Palästina, in seiner Ausatmung altalten Odems. Mancher Neuangelangte fühlt sich von den gewaltigen steinernen Riesen alpartig bedrückt und bedroht; von der Welt verkalkter, verkrusteter Landschaften der Urzeiten. Doch immer wieder findet das biblische Volk bereiten Boden, sich einzuwurzeln in der blutgeronnenen Erde.

Wie in Jerusalem, so auch in Tel-Aviv schaffen die nimmermüden kleinen Esel Steine und Mörtel auf die Bauplätze. Hier in der Seestadt Palästinas geht alles eine Spanne Zeit vor, kommt eher an den Ort wie in der Hauptstadt des Hebräerlands. In Palästina wußte ich nie, wieviel Uhr es gerade; gedachte auch nicht, die Zeit zu zerteilen, sie in tickende Stücke zu brechen und noch weniger, die Zeit an Gehalt zu prüfen.

Gerüste und Gerüste in neubereiteten Straßen, Gerippe warten auf ihr steinernes Fleisch, – Haus zu werden und erwärmt durch Bewohner und ihre Gastfreundschaft: »Aval at Tochel aipo.« (Bleibet zum Mahl.) Was untersteht sich der Mensch, die gediegene Zeit zu kontrollieren! »Dem Glücklichen schlägt keine Stunde«, so sagt ein Sprichwort. Wie glücklich bin ich also im Heiligen Lande gewesen!

Tage und Nächte verweilt der Gast bei den Freunden; in ihren Räumen läutet keine Wanduhr; ich wenigstens habe nie eine solche bemerkt. Dem Dichter übrigens schlägt nur die eine Stunde: die seiner Geburt und seines Todes. Er ist der Zeitüberwinder, aber auch der Raumüberwinder. Des Dichters Herz: ein einsames Abenteuer, das der bemessenen Zeit und maßberechneter Häuslichkeit, wenn auch nach langem ernsten Kampf, mutig und unwiderruflich den Rücken kehrt.

Der künstlerische Mensch lebt in zwei Welten zu gleicher Zeit, auf seiner Erdenwelt und in seiner Phantasiewelt. Ich lebte hier in Palästina in drei Welten: mit sanften Gedanken noch in der mir liebgewordenen Stiefwelt Europas, mit Herz und Seele aber in der Palästinawelt, die nicht von dieser Welt; so streifte ich auch schon die jenseitige. Was beweist hirnklarste Logik neben der Wahrheit der Offenbarung! Die Offenbarung ist nicht zu lehren noch zu lernen, auch nicht zu beschwören. Es nützen keine – »spiritistischen« Sitzungen und ihre Medien. Das Gericht geschieht einem im Zustand höheren Zeitspalts versetzten Menschen.

Der Heilige Gott verfing sich in keine Leibesräumlichkeit, darum er sich auch ausbreitet ungehemmt über die Dinge.

Lurja sagt: »Gott zog Sich zusammen, um Raum für die Welt zu schaffen.« Gott ist also auch ohne Seine Welt vorhanden. Für das – Fach der Offenbarung existiert kein Lehrstuhl. Aber auch kein Kanapee. Die Sekte zimmert zwar ein bequemes für ihren göttlichen Meister und betet, aus schwarzweißem Weißenbergkäse geformt, sein Bildnis an. Ich denke an die Friedensstadt, blühend dazumal bei Berlin, und an ihren »göttlichen« Bürgermeister Weißenberg. Mit Briekäse kurierte er Mensch und Tier.

Verstands, im Trance
Die Leute zu bekehren,
Ganz und gar
Und gar und ganz.
Und seine transformierten Engel
Bewegten sich am Bande Gängel.

Hier zu Palästinalande ist der Mensch einfach: fromm. »Aus welchen Stoffen besteht das Gesicht der Offenbarung eigentlich?« fragte mich eine Jerusalemiterin.

»Aus einem Bröcklein jenseitiger Erde«, antwortete ich, wie ich's einem Kinde erzählt hätte, »aus einem reinen Hauch und einem Tropfen heiligem Geist und – vor allem – des Menschen ungeteilter Hingebung.«

Ein anderes Mal fragte mich ein Jerusalemiter: »Sind wir eigentlich hier in Jerusalem noch auf dieser Welt?« Auf der Erde meinte er. – So gleichen sich Jerusalem und das Jenseits. Als Vorhof des Himmels wählte Gott unsere fromme Stadt Jerusalem. Er erhob die Auserlesene zum Heiligtum des Himmelstempels. Nach diesem allerheiligsten Vorbild baute der weise König Schlôme den Tempel der gekrönten Stadt.

Die holde tausendmalsteinige Stadt birgt hinter der rauhen Schale ihrer nackten, wuchtigen Felsen: Amethyst, Hyazinth, Chrysolith, Blut- und Milchachat. Wie freut sich Gott über seine Menschen, die sich zufrieden bewegen in den Hängen und Gängen des ihnen geschenkten Landes. Segnet die, welche nicht zu hoch bauen, sich nicht »überheben«! Es schmerzt den Heiligen jeder ihrer Fehltritte, denn immer nur in ihrem »frommen« Wandel heilt von neuem die Welt. Der Herr liebt alle Seine Menschen mit Seiner gleichen Liebe! Alle Menschen, in welchem Lande und Erdteil auch, die Weißhäutigen wie die Gelb- und Dunkelhäutigen; wohnen sie doch alle in Seinem Odem. Aber Er, unser Gott, wohnt nicht in den Herzen »aller« Menschen, auch nicht in jedem der Menschen Palästinas.

Gottes Herz ist: Jerusalem.

Den Stein der Schöpfung zu tragen, auf dem Bauplatz des Gelobten Landes, verfolgt und geplagt wie der kleinste Arbeitsesel der Eselskarawane, müdet sich der Jude ab, über die Wüstenstraße heim in sein Urland zu tragen. Immer wieder trägt Israel von Jahrhundert zu Jahrhundert gewissenhaft geheiligtes Mosaik über die Ozeane ins auserwählte Land, die Heilige Mumie aufzurichten zu neuem Leben.

Ihr Völker, »so« verhält sich das mit der Auserwählung von uns Juden! Aus diesem wahren, ernsten Auserwählungsgrunde mögen Andersgläubige uns Hebräer ferner – sorglich – beneiden.

Der Herr küßt jeden der Monde, die am Grünblatt zwischen den Büschen reifen, und feiert mit seinem Chaluzim das Erntefest. Wo der Chaluzim säet und erntet, wird immer Bibel sein; Gott lächelt aus jeder sich neu rötenden Frucht; wir wollen sie mit Andacht genießen. Gottes Lächeln bewegt die Natur, Gott belebt die ganze Welt, alle seine Menschen, euch, dich und mich. Unbeschienenes Erdreich fault. Euch Bauern, unter euren Füßen gedeiht das Land, denn Gottes Lächeln tränkt seinen Boden.

Ein Stern malt mit buntem Licht das Bild Josephs auf die Leinwand der gelblichen Sanderde. Gelehnt an dieser Einfalt Träumerei, ruht meine Seele vom Tag aus.

 

Zum Araberviertel führt abwärts, an der Seitenwand meines Gasthauses vorbei, vielleicht – der älteste Straßenweg Jerusalems, sofort ins Haus des Palestine Lloyds. Der Direktor verständigt mich vom Fenster seines Büros aus über das Herannahen einer Karawane. Doch ich vernahm schon rechtzeitig die Schellen der Trampeltiere und den mir schon bekannten Schall ihrer Schritte. Und heiße willkommen den stolzen Malik auf des führenden Tieres ledernem Hügel. Ihm folgen noch achtzig der edlen Dromedare. Es lernten die klugen Wüstentiere schon seit Menschengedenken sich ihren Reitern anzupassen, aber auch nicht eines Fußgängers Sandale zu streifen. Sie kennen die Wege und ihr Ziel gewöhnlich weit besser als auf ihrem Buckel der summende Lenker.

Warum ich wieder nach Europa zurückreisen will? Examiniert mich der jugendliche Palestine-Lloyd-Direktor Turnowsky. Sein Primanerherz begreift es nicht! Ich sage trocken: Ich reise nach Europa zurück, und zwar aus – geographischen Gründen; festzustellen, ob man von dem Bibelstern wieder zur Erde gelangen kann.

Ich erzählte schon einmal, daß auch Adon Lewone (der Mondmann) mich zu bewegen versuchte, im Heiligen Lande zu bleiben; mich zu hindern, die Heilige Welt fallen zu lassen, die nicht so leicht wieder aufzuheben. Meere liegen dazwischen. Aber ich beharrte auch dem fernsten, wenn auch guten Freund gegenüber bei meinem Entschluß.

Im Gebäude des Palestine Lloyds befindet sich, durch Korridore vom Büro des charmanten Direktors Turnowsky getrennt, the office of the managers: Mr. Sandmanns und Mr. Barkays.

Wir verhandeln gerade wegen meiner Vorträge in den Kolonien. Mit dem Blute meines Herzens unterschreibe ich jeden einzelnen der mich im Emek verpflichtenden Vorträge. Ja, ich kann es nicht erwarten, den liebreichen Kolonisten meine hebräischen Balladen vorzutragen. Fühle mich fester gebunden als je nach der Unterschrift meiner zwei ehemaligen Ehekontrakte.

Und käm ich erst zum jüngsten Gericht –
Ich weiß, ein jeder Vortrag – meine Pflicht!

Dieses Verslein schrieb ich heimlich in den Winkel der Papiere.

Vom Palästina Lloyd führt eine Anhöhe zum grandiosen Luxushotel: Grand Hôtel King David, zum Elitehotel Jerusalems, zum Wolkenkratzer nach New Yorker Luxushotels Vorbildern aufgebaut. Es beleidigt mich für unseren Psalmenmelech – ein Hotel, mag es bis über den Wolken aufgerichtet sein, verwegen in den Himmel gucken, nach seinem großen Namen benannt zu wissen. Also auch hier im Heiligen Lande diese »respektlose« Geschmacklosigkeit. Handelte es sich noch um eine hilfreiche, schlichte Herberge, an deren Pforte der müde Wanderer um Einlaß bittet. Es machten sich und machen sich ganz naiv – alle Orte und Dorfschaften dieser hohen Namenstaufen schuldig. Dem Einwohner Jerusalems aber hätte ich solche Geschmacklosigkeit nicht zugetraut; Namensraub an seinem Melech. Gegenüber dem Luxushotel versammeln sich in weiten Räumen in einem Religionspalast die Anhänger und Anhängerinnen der Christians Science, die Mitglieder einer »kultivierten« Religionssekte, die nach Tausenden und Abertausenden zählt in Amerika und ihre geistreiche Gründerin Mistress Eddi Baker als Prophetin verehrt. Es genügte der Amerikanerin nicht, an den schlichtgedeckten Abendmahltisch der judenchristlichen kleinen Apostelgemeinde und Heiligen ihre Gemeinde zu laden; die Lady würzte mit Rosinen und Zitronaten das genügsame Brot des genügsamen heiligen Nazareners und wechselte so das keusche Gericht mit kompliziertem; zuvorkommend die göttliche Darreichung zu modernisieren zur literarischen Delikatesse.

Heiligen Geist mit Wissenschaft (Science) zu verbinden, führt weder ins Himmelreich noch in die Hölle. Man denke: sprühender heiliger Geist, heiliges Esprit, geistreichelnder, heiliger Geist! Und doch verachte man und unterwerte man nicht die kühne Frau, die, wenn auch hinter ihrem Lorgnon, sie »die Liebe zum Nächsten« sich bestrebte zu züchten, das gewaltige, zu gleicher Zeit schlichte, zarte Gebot den sie feiernden Scharen, und wenn auch in Variationen, doch ans Herz legte.

»Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«

Vor meiner Abreise in die Emigration besuchte mich nach langer Zeit unser ehrerbietiger Großrabbiner Dr. Baeck. Seine Anwesenheit beglückte mich jedesmal wieder; ein kostbares Geschenk. Und gerade an diesem regnerischen Abend, der mit mir zu trauern schien aus selbigem Grunde, aus dem trübsten Gefühl unentrinnbarer Einsamkeit. Die Kerze in der Krone meines Lebens drohte zu erlöschen: mein Glaube an Gott und an die Seele. Meine Augen weinten und trockneten wieder, wie die Wolken, um zu zerrinnen. Vielleicht legt der Leser meines Buches, nicht von Trübsal angesteckt zu werden, von meiner plötzlichen Trauer, das Hebräerland auf sein Regal oder in seinen Bücherschrank zurück oder er betrachtet mich – voll unerschütterlichem Erbarmen, wie mich dazumal der liebreiche, ernste Großgeistliche am Oktoberabend. Er deutete im Westen auf den finstern Wetterriesen und sagte: Ein ähnlich finsterer Schatten verdüstere vorüberziehend mein Gemüt, das Gemüt einer Dichterin, das dem Himmelsgewölbe ähnele, mit allen Monden und Sternen und Sonnen, aber auch mit seinen Unwettern und melancholischen Herbstnebeln. Doch er erkenne meine Seele schon hell hinter dem Trauerschleier meiner Gottverlassenheit hindurchschauen. Wir schwiegen lächelnd, und ich dachte, wie schnell das Wort, aus höhern Regionen gesprochen, eine belanglose Stube zum Tempel verzaubert und den zweifelnden Menschen heimführt in einen noch – reicheren Glauben.

 

Gott ist! Bediente sich der Herr auch nicht der Schöpfung und seiner Menschen und seiner weiteren Geschöpfe, Sich zu beweisen! »Gott ist!« Auch ohne den Beweis des Weltenkörpers. Unser großer Lurja lehrte: »Gott zog sich zusammen, um Platz für die Welt zu schaffen.« Er meinte für den Bau der Welt. Also leben wir in Gottes Atmosphäre und atmen immer »Ihn«. Im Vers der Dichtung Ihn zu fassen demütigst, ist dem Dichter vergönnt, Gott zu berühren. »Liebe Gott, weil er ist!« Nur so begegnest du der tiefsten Gottesliebe. Doch eher trägt der Mensch keuchend seinen verfinsterten Glauben auf dem Nacken, hinauf und hinunter den Weg des Lebens, als die kleine, aber klare Linse der Gotteserkenntnis im Auge. Nach dieser letzten edelsten Beute, der Gottesbeute, ließ ich meinen Gedanken steigen, mein Leben lang!

Gott liebt das spielende Kind, Er läßt lächelnd spielen mit Sich, ja zerren an Sich und Seinen Himmeln. Es drängt den Ewigen immer wieder von neuem, aufzuwachsen im Menschen.

Von Gott abgelöst, bewegt sich unsere Welt; nur Jerusalem hängt noch an des Schöpfers Heiligen Traumes Schnur. Sein Jerusalem, das nicht von dieser Welt! . . . Ich bedaure die Seele, die Grauspan ansetzt; die nicht jung bleibt und doch nicht alt wird, aber – altert; lebend tot ist. Jung bleibt der sich heiter zu Gott gerungene Mensch, und ist er auch der gottälteste unter den Menschen. Denn der Herr sagt: »Ich Bin, Der Ich Sein Werde!« Immer wieder keimt Gott.

Mir anzumaßen, den Leser meines Buches zu belehren, ist mir grundfern. Es geht mir jedes Talent zur Pädagogin ab. Es verursacht mir schon Kopfschmerzen selbst die Interpunktion und die Grammatik aller meiner schon vorangegangenen Bücher und ich halte mich für befähigter, explodierende Kommata, Kometen zwischen den Sternen auf dem großen blauen Himmelsbogen, als zwischen Worte und Zeilen meiner Dichtungen zu setzen.

Ich spazierte in der Sonne so golden vor mich hin über den Jaffaroad bis oben zur Kolonie Rehavia; widmete mich zu beiden Seiten meinen Begleitern erst, als wir uns niederließen auf eine der Sprossen der Terrassen der lieben Kolonie, einmal so recht – jerusalemitisch zu plaudern, und dem lieben Gott beim Kreisen seiner Welt zuzuschauen. Es spielen so gerne, besonders hier in Jerusalem, die kleinsten Knaben mit ihren Kreiseln und lassen die kleinen hölzernen Weltalle sich drehen, als wäre jedes von ihnen Kindern – ein kleiner lieber Gott.

Es schweigen instinktiv, der alten Stadt Gottesverbrämung bewußt, der Menschen Munde bescheiden wie in keiner andern Stadt der Welt. Auch die Kinderlein Tel-Avivs verstehen, sich leise zu freuen, innig verhalten, die Blumen nicht aufzuwecken in den netten Vorgärtlein auf den schmalen Pfaden. Am Strande Tel-Avivs bauen sie sich aus Sand kleine Sinaïs.

Die Künstler Palästinas lieben es, sich gegenseitig zu besuchen, sich einzuladen zum schlichten Mahle; paradiesisch mundet uns das einfachste Gericht und der durchsichtige Trank im Krug; des Kruges Wasser verwandelt sich in Burgunder. Der Reiche ehrt, wie überall, auch hier im Gotteslande nur dann den Künstler – »macht er Umstände« – zu ehren den fürstlichen Gast. Denn auch nach hier segelte der reichgewordene jüdische wie christliche Bürger, dem es gelungen, sich ein Vermögen zu ersparen, ein goldenes Schäflein im Trockenen. Manchmal pflegte er eben nur mal zu kosten vom Gelobten Land. Hatte vieles zu bemängeln, bevor er wieder abschob. Die Kolonisten sorgen sich nicht allzusehr, sie pflegen meist richtig zu prophezeien: »Laßt sie gewähren, sie gehen wieder, wie sie gekommen.«

Immerhin nach hier zu den schlichten Bürgern in das selbstloseste aller Länder.

Mit den Bildern anerkannter Maler liebt manche reichgewordene Familie, sich Geld im Bild zu sichern. Es beginnt der Maler zu erröten über diese – kriminelle Tat. Im Hebräerland aber pflegt man besonders die Kunst aller Künste. Die liebe, fromme Stadt schlummert auf einem Choral, und man ehrt den Musiker; mit ihm den Dichter und die Dichterin. Ebenso den Maler. Ein Land ohne Kunst verliert zauberischen Inhalt! Poesie strömt Duft aus, ja selbst die vom Volke ungelesene.

Der tiefe Jude hört auf die Stimme seines Gewissens und sammelt »inneren« Reichtum und nicht die Münze, sich anzulegen eine Sammlung von geprägtem Gold. Nach dem goldenen Licht des Glaubens, mit dem Bilde Gottes verklärt, gräbt er! Verschmähend den Mammon. Nirgendwo begegnete ich wirklicherer Anspruchslosigkeit, wie in Palästinas Hauptstadt. Hüte sich die größte unter den Meerstädten und schönste: Tel-Aviv, mondän zu werden! Denn Palästina ist das Originalland aller Länder; nach seinem Ebenbilde erschuf der Schöpfer alle die weiteren Lande! Der Mensch, der sich in Palästinas Heiligen Hallen versündigt, versündigt sich zwiefach: einmal an den Menschen des Landes, das andere Mal aber – an Gott, dem Vater der gebenedeitesten Erde. Es ziemt sich nicht, im Heiligen Lande im Luxus zu tagen!

Ich beuge mich vor dem an Vornehmheit jeden Paragraphen übertreffenden hebräischen Paragraphen, der das Unrecht am Andersgläubigen zwiefach verurteilt und zwiefache Buße fordert. Jerusalem, die Heimat der sechsunddreißig Gerechten, ahnungslos auf Erden wandelnde heilige Menschen, Engel! Sie leben demutsvoll zwischen uns übrigen Menschen. Einer dieser gerechten, heimgegangenen Engel: Theodor Herzl! Er spricht nun vom Himmel zum Volke Israel! . . .

Immer ersetzt ein auserlesener Mensch den zu Gott gerufenen Menschen, ein Engel den Engel.

Ich raste vor einem einfachen, von Vögeln zerspielten Zaun aus, vor einem kleinen, uralten arabischen Friedhof. Ich muß ihn immer passieren, kehre ich vom untern Araberviertel zurück auf die höher gelegene Jaffastraße. Die verwitterten Grabsteine nicht zu erschrecken, verhalte ich mich leise, und unter ihnen die toten Leiber der Verstorbenen nicht zu stören im Schlummer. Auf dem schmalen Trottoir über dem Damm stehen zwei ägyptische Bettelfrauen, gemächlich an die Wand eines Allahpriesterhauses gelehnt; ihre reizenden Kindlein strecken, sowie sie mich gewahren, die braunen Ärmchen, ihre niedlichen Puppenhändchen bittend nach meinen Schokoladeplätzchen aus. Als Kind mußte mir meine von mir angebetete Mama immer solche dunkelhäutigen Porzellanpüppchen kaufen; ich besitze noch heute einen der schwarzen Däumlinge. Er trägt an einem Seidenbändchen ein gelbes, winziges Herzchen um den Hals. Oft weckte mich mein holder Junge, noch klein, vergaß ich das liebe Negerpüppchen meiner Kinderzeit vor der Kälte zu schützen, es zuzudecken. Ich bin verliebt in die beiden entzückenden, noch auf dem Arme der Mutter wohlgeborgenen Babys, aber auch in die mystischen Ornamente, tätowiert hinter den durchsichtigen Schleiern der Angesichte der Mütter.

Es fehlen noch einige Minuten an vier Uhr; um vier wird das Postamt geschlossen; ich eile über den Road, mich nicht zu verspäten. Auch erwarten mich im Café Vienna Mr. Reiner und seine Mistress. Das muntere Caféhaus begrüßt den Gast mit fröhlichem Konzert. Und ich preise die interessante Oase der Stadt Jerusalem, es bewirtet liebevoll die Menschen aller Erdteile. Die hohen englischen Offiziere erwarten ihre Ladies; und die golden Boys der schottischen Regimenter scherzen an kleinen Tischen und erfrischen sich am Palästinawein.

Man begegnet allen Arten von Juden, allen Juden der Welt, und beschaut sich gegenseitig überrascht. Schön sind die Sarmakanter Juden aus Bucharan, stolz der spanische und persische Israelite, und es gibt wohl kein Volk weiter auf der ganzen Erde, das muß uns der grimmigste und blutigste Gegner lassen, das in mannigfacheren Nuancen existiert, wie das hebräische Volk, das Volk Israel. Und doch ein einziger unbefleckter Jude genügt, sein ganzes Volk, das gesamte Volk der Juden, zu repräsentieren, wie ebenso ein ungeläuterter, ein einziger Jude genügt, unser großes, verhetztes Volk in den Staub zu ziehen! Darum ein jeder Jude wache über sich und sein Judentum!

Ich bin eine Hebräerin – Gottes Willen und nicht der Hebräer Willen; doch ich liebe sein kleinstes Volk, die Hebräer, fast wie den Ewigen Selbst. Ich liebe mein Volk, ärgere mich nicht an seinem Satz: trinke ich doch des Hebräerlandes Traube und ärgere mich nicht des geringen trüben Rests im Glase. Doch der Andersgläubige, der den Satz meines Blutes verhöhnt, genieße auch nicht mich und – mein Gedicht. Aber er blicke auf seines eigenen Blutes Boden!

In der Nische am Fenstersims im Caféhaus »Vienna« sitzt ein griechischer Mönch und unterhält sich leise mit einem abessinischen Priester in langem schwarzen Gewande und hohem, schwarzen Priesterturban. »Er ist ein abessinischer Raw,« sagt man mir, ein jüdischer dunkler Großgeistlicher. Ihrer Wildnis für ein paar Stunden entsprungen, beleben eine Anzahl arabischer Bergbewohner, wetterschwarz umbärtete, dekorativ die graugestrichenen Wände. Ich bin ganz in Gedanken versunken . . . Schon lange winken mir der gentle Mr. Reiner und seine Mistress, der Buchattache und seine Lady, mich an ihren Tisch zu setzen, eine kleine Etage des phantastischen Caféraums höherzusteigen. Vor einer Woche weilte ich noch in ihrem süßen Palast, der ganz im arabischen Stil gebaut. Und wir spielten mit ihren niedlichen Prinzen, Nachkommen Isaaks und Ismaëls, und mit ihrem Baby; es lag lächelnd ausgestreckt unter dem jungen Herzhimmel seiner Mutter.

In Palästina, namentlich in Jerusalem, leben einträchtig die Nachkommen Isaaks und Ismaels, und die Rückkehr der Söhne und Töchter Isaaks gereichte den Söhnen und Töchtern Ismaels keineswegs zum Schaden. In diesem Sinne hören wir sich einigen Araber und Hebräer.

Der Araber versteht comme il faut zu bauen, schmuck aufzurichten seine Wohnungen. Viele ähneln kleinen Palästen. Oft führt mich ein Auto an den Hofgesellschaften dieser Paläste arabischer Meisterhand vorbei.

Ich will nachholen, zu schauen, komme ich zurück ins Heilige Land, das Innere der Zauberbauten.

Meine hebräischen Balladen vorzutragen, lud mich ein das Habimähtheater. Schon einen Tag vor meinem Abend reiste ich in die hebräische Meerstadt, streifte interessiert durch seine eigenartigen Gassen. Dann stand ich auf einem Platz im ungeheuren Getriebe. Es braust immer in diesem jungen, sprudelnden Tel-Aviv. Was bedeuten dreiundzwanzig Jahre für eine Stadt, auf Urahnboden aufgebaut! Sie ebbt und flutet unermüdlich, tritt mutwillig über. Nicht nur ihr junges Meer; man läuft Gefahr, zu ertrinken im Strudel von Menschenwogen. Die kommen und gehen wie die Wellen ihres Ozeans; lebhaft und aufbrausend und verschäumend. Am Abend sammelte ich Muscheln mit meiner lieben munteren Wirtin, in deren schönem »Bleibhier« ich mit meinem hebräischen Balladenbuche wiederum wohne. Zwischen uns und den netten Pensionären strampelt ihr kleiner Neffe, Direktor Joschuâhs Söhnchen, der Direktorin urwüchsiger Abgott. Alle die Habimâhschauspieler spielen nun »Häschen in der Grube«. Ich lege in der Zeit meine Muscheln im Kreis auf ein kleines Mahagonitischchen; eine ist gezackt wie der Stern Davids. Die gehört in die Kuppel der Neuen Synagoge. Auf einmal rieseln alle meine Meeresspielsachen wieder zu einem Häufchen am Rande des Holzes zusammen, drohen auf den Boden zu fallen. Tatsächlich die weißeste der Muscheln war gezackt wie unser Davidstern; wie der Stern meines herzlieben Sohnes – wahrscheinlich von eines frommen Märchens Scherenkrebs, einem verzauberten Königssohn, geschnitzt.

Unter den Gästen meines Vortrages erblicke ich den berühmten Oberarzt des ehemaligen großen jüdischen Krankenhauses in Berlin: Doktor Georg Moschitz und neben ihm seine anmutige liebliche Ruth.

Ich beginne:

Der Versöhnungstag

Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen . . .
Wir wollen wachen die Nacht,

In den Sprachen beten,
Die wie Harfen eingeschnitten sind.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht –
So viel Gott strömt über . . .

Kinder sind unsere Herzen,
Die möchten ruhen müdesüß.

Und unsere Lippen wollen sich küssen,
Was zagst du?

Grenzt nicht mein Herz an deins –
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.

Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen . . .

Moses und Josua

Als Moses im Alter Gottes war,
Nahm er den wilden Juden Josua
Und salbte ihn zum König seiner Schar.

Da ging ein Sehnen weich durch Israel –
Denn Josuas Herz erquickte wie ein Quell.
Des Bibelvolkes Judenleib war sein Altar.

Die Mägde mochten den gekrönten Bruder gern –
Wie heiliger Dornstrauch brannte süß sein Haar;
Sein Lächeln grüßte den ersehnten Heimatstern . . .

Den Moses altes Sterbeauge aufgehn sah,
Als seine müde Löwenseele schrie zum Herrn!

Abraham und Isaak

Abraham baute in der Landschaft Eden
Sich eine Stadt aus Erde und aus Blatt,
Und übte sich mit Gott zu reden.

Die Engel ruhten gern vor seiner frommen Hütte,
Und Abraham erkannte jeden;
Himmlische Zeichen ließen ihre Flügelschritte.

Bis sie dann einmal, bang in ihren Träumen,
Meckern hörten die gequälten Böcke,
Mit denen Isaak Opfern spielte hinter Süßholzbäumen.

Und Gott ermahnte: Abraham!
Er brach vom Kamm des Meeres Muscheln ab und Schwamm,
Hoch auf den Blöcken den Altar zu schmücken.

Und trug den einzigen Sohn gebunden auf dem Rücken!
Zu werden seinem großen Herrn gerecht –
. . . Der aber liebte – seinen Knecht.

Saul

Über Juda liegt der große Melech wach.
Ein steinernes Kameltier trägt sein Dach,
Die Katzen schleichen scheu um rissige Säulen.

Und ohne Leuchte sinkt die Nacht ins Grab . . .
Sauls volles Auge nahm zur Scheibe ab.
Die Klageweiber treiben hoch und heulen.

Vor seinen Toren aber stehen die Kananiter!
Er zwingt den Tod, den ersten Eindring nieder!
Und schwingt mit fünfmalhunderttausend Mann die Keulen.

David und Jonathan

O Jonathan, ich blasse hin in deinem Schoß . . .
Mein Herz fällt feierlich in dunklen Falten.
In meiner Schläfe pflege du den Mond,
Des Sternes Gold sollst du erhalten.
Du bist mein Himmel mein, du Liebgenoß.

Ich hab so säumerisch die kühle Welt
Fern immer nur im Bach geschaut . . .
Doch nun, da sie aus meinem Auge fällt,
Von deiner Liebe aufgetaut . . .
O Jonathan, nimm du die königliche Träne,
Sie schimmert weich und reich wie eine Braut.

O Jonathan, du Blut der süßen Feige,
Duftendes Gehang an meinem Zweige,
– Du Ring in meiner Lippe Haut.

Jakob und Esau

Rebekkas Magd ist eine himmlische Fremde,
Aus Rosenblättern trägt die Engelin ein Hemde
Und einen Stern im Angesicht.

Und immer blickt sie auf zum Licht,
Und ihre sanften Hände lesen
Aus goldenen Linsen ein Gericht.

Jakob und Esau blühn an ihrem Wesen
Und streiten um die Süßigkeiten nicht,
Die sie in ihrem Schoß zum Mahle bricht.

Der Bruder läßt dem jüngeren die Jagd
Und all sein Erbe für den Dienst der Magd –
Um seine Schultern schlägt er wild das Dickicht.

Jakob

Jakob war der Büffel seiner Herde.
Wenn er stampfte mit den Hufen,
Sprühte unter ihm die Erde.

Brüllend ließ er die gescheckten Brüder!
Rannte in den Urwald an die Flüsse!
Stillte dort das Blut der Affenbisse.

Durch die müden Schmerzen in den Knöcheln
Sank er vor dem Himmel fiebernd nieder,
Und sein Ochsgesicht erschuf das – Lächeln.

Esther

Esther ist schlank wie die Feldpalme,
Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme
Und die Feiertage, die in Juda fallen.

Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme,
Die Götzen lauschen in den Hallen.

Der König lächelt ihrem Nahen entgegen –
Denn überall blickt Gott auf Esther.

Die jungen Juden dichten Lieder an die Schwester,
Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.

Viel Heiterkeit rauschte durch den Saal bis zu mir auf die Bühne, als ich dem Publikum meine Ballade, von »mir« handelnd, begann vorzutragen:

Hing an einer goldenen Lenzwolke,
Als die Welt noch Kind war
Und Gott noch junger Vater war.
Schaukelte, hei, auf dem Ätherei
Und meine Wollhärchen flatterten ringelrei.
Neckte den wackelnden Mondgroßpapa,
Naschte Sonne – der Goldmama,
In den Himmel sperrte ich Satan ein,
Und Gott in die rauchende Hölle.
Die drohten mit ihrem größten Finger!
Und haben: Klumbum! klumbum! gemacht,
Und es sausten die Peitschenwinde!
Doch Gott hat nachher zwei Donner gelacht,
Mit dem Teufel über meine Todsünde.
Würde 10 000 Erdglück geben,
Noch einmal so gottgeboren zu leben
Mit Seiner fröhlichen Engelschar.
Ja, als ich noch – Gottes Schlingel war.

Nach einer Pause erzählte ich die sich in Wirklichkeit zugetragene Gespenstergeschichte, morgenländisch verkleidet, aus dem Leben meines Urgroßvaters, der Oberpriester gewesen in Paderborn in Westfalen und zu gleicher Zeit das Wohl und Recht seiner Gemeinde im Staate vertrat. Zum Geisterpochen diente mir das dumpfschallende Holz der alten Tischplatte geradezu täuschend, alles Gespenstige noch überbietend. Aus welcher Richtung der mystische Schall ins Publikum dringe, spannte die Aufmerksamkeit der Lauschenden viel mehr als die Erzählung selbst, die Geschichte aus dem Leben meines Urgroßahnen und seines besten Freundes.

Es erfüllte mich mit Glück, meine Dichtungen im Lande der Erzväter vorzutragen, und besonders meine hebräischen Balladen; gelobt zu werden – vielleicht vom lieben Gott. Und gerne wiederholte ich meinen Vortrag in Palästinas Hauptstadt selbst, in Jerusalem, mitten in der unsagbaren Stadt der Städte. Auf einem steinernen Vorsprung im Hof einer Kunsthandlung saß ich wie in einer eben entdeckten Höhle, umgeben von Stein und Stein. Vor mir brannten auf dem kleinen runden vorzeitlichen Steintisch viele feierliche Lichter. Doch in den Sälen der Brüder Steimatzkys lagen feierlich ausgebreitet die Bilder meines teuren, nun bei Gott weilenden Pauls. Ich fühlte seine herrlichen Schöpfungen gesegnet.

Wie früher saß unter den Zuhörern vor mir mein wundervoller Junge, freute sich, gelang mir ein Vers besonders zu sagen. Oft aber flüsterte er mir wie früher eine mir abhanden gekommene Zeile meiner Dichtung, lächelnd, aus dem Himmel mir zu. In seiner Kindheit durfte sich niemand unterstehen, außer mir zu dichten. Höchstens – Gottfried Benn, dessen Dichtungen ihm imponierten, auch späterhin. »Er sei der Operateur der Dichter und wage den Kaiserschnitt am Vers.« Mein Junge hielt im Grunde sein Urteil bescheiden zurück, er war überhaupt ein verhaltener Charakter; es glühte nur aus seinem Gesicht eine spanische Glut, in seinem Kinn blühte eine Rose. Wenn wir auf einer Tanzgesellschaft waren, mußte ich ihn immer wieder bitten, zu tanzen. Mich meinem Schicksal allein zu überlassen, erschien meinem ritterlichen Sohn unhöflich. Und doch beglückte der Augenblick mich, wenn er sich verbeugte vor einer der jugendlichen Tänzerinnen und sie zum Tanze führte, um sie wieder mit einem artigen Handkuß auf den Platz zu führen. Er repräsentierte eine altspanische Familie mit der feingeschnitzten Kultur. Ich beneidete fast mein eigenes Kind um sein noch echt erhaltenes Erbteil. Und doch waren wir beide nicht nur Mutter und Kind, auch Brüder, er mein junger herrlichschöner Bruder. Ich konnte viel vom jüngeren lernen, vor allem – Bescheidenheit. Gegenüber dem Kunstsalon Steimatzky befindet sich ein zweiter, aus Deutschland nach Jerusalem, Palästinas Hauptstadt, verzogener Kunstsalon. Es stehen viele grünende Landschaften hinter den Schaufenstern, und man beginnt zu träumen in irgendeines Bildes stillem Wald. Ja, man verspürt Lust, sich auf einer der Wiesen auszustrecken. Wie ich als Mädchen so oft mich schlafen legte am Mittag unter der Sonne im Wuppertal, in weiche Gräser zwischen Tausendschön, Vergißmeinnicht und Gänseblümchen.

Glück muß man haben, auch in der Kunst, der erlesensten Frucht auf dem Markt der Märkte. Wer regelt den Kaufpreis? Da die Gaben, die Früchte der Seele nicht zu bewerten. Unser Honig nicht in Gläsern, doch im Rahmen den Liebhabern und Sammlern zum Kauf dargeboten. Ein Teil des Malers oder des Dichters oder eine Zelle vom Komponisten bleibt auch leiblich hängen zu dem Seelischen an seiner Ware Schöpfung. Es nahen vielartige Gestalten, sich die Bilder der Salons zu betrachten. Manche taktvoll, zurückhaltend mit ihrem Urteil. Einige schütteln den Kopf über die – Verrücktheiten, aber sie erwerben sie, steht, irgendwo versteckt, ein Name, der sich hören läßt, signiert unten im Hintergrunde. Ich selbst und meine kleinen Spielgefährten, auch noch im älteren Jahrgang, lachten Backfischtränen über alter Meister Zünfte.

Eine Schar ausgelassener Kinder, die nach Name und Ruhm nichts fragen, die einfach ihrer Lachlustigkeit freien Lauf lassen. Auch heute würde es mir nicht einfallen, einem sorglosen Kinde eines Meisters Bild zu erklären. Weisheit lehrt die Welt, geht man in ihre Schule; doch bitte nicht allzu jung. Ich höre unsern ersten Kritiker und Kunsthändler sagen: »Mir aus der Seele gesprochen, lieber Prinz Jussuf.« Die Zigarette wippte ihm zwischen den Lippen im Mundwinkel, und Paul Cassirers Augen lächelten überlegen der farbigen Dinge und Undinge um sich auf der Leinwand.

Ich erzähle manches aus meinem Leben vom Katheder aus den reizenden Schulmädchen des Seminars in Jerusalem; sie amüsieren sich ungemein und applaudieren immerzu. Mein Honorar liegt schon im voraus neben mir im Gazebeutelchen auf dem Tisch. Wundervolle Muscheln vom Tiberiassee. Jeden Freitag umspülen sie nun meine Kerze.

Ich äußerte mich schon ausführlich, warum ich im Hebräerland selbst nicht eine Zeile meines »Hebräerlandes« dichtete, noch eine Illustration zu zeichnen mir gelang. Sich eine künstlerische Perspektive zu schaffen im Lande selbst zwischen ihm und sich, verhindern höhere Willen aus uns unbekannten Gründen. Ja, sie nahmen mir schon im voraus alles vorweg! Den geringfügigsten Einfall, den ersten schimmernden Tropfen zum Vers, die noch kaum empfangene Idee zur Inspiration. Gelüstete mich ab und zu, den Rand einer Zeitung auch nur zu bekritzeln, entfiel der Stift meiner Hand. Es liegt ganz gewiß in Gottes Ratschlag, den Künstler verarmen zu lassen an Talent, sein Genie vorübergehend zu lähmen. Ja, es verblutet die letzte Ader seiner Schwärmerei, die Hauptsubstanz, aus der ein wahres Kunstwerk entsteht. Selbst das Schauspiel atmet nicht, fehlt ihm die Schwärmerei der Lyrik, färbt sie nicht den Schritt. Ja, ich behaupte, die dramatische Kunst ist eine – schreitende Lyrik.

Verarmt am innersten Reichtum, wird einem seine Kunst teuer. Doch berauschenden künstlerischen Strömen wieder neu Platz zu machen, nehme man vertrauend den leergebrannten, vorübergehenden Zustand auf sich. Verzweifle nicht der künstlerische Mensch.

Aber nicht nur Landwechsel oder die Rückkehr in die Welt, aus der man gekommen, verursachen die benötigende Perspektive zwischen dem erlebten Zauber eines neuen Erlebnisses und dem Produzierenden. Die Zeit, geraume Zeitweile, ermöglicht den Zauber des Neuerlebten mit dem Zauber des Talents zu verbinden und zu verbünden. Da nach längerem Verweilen im Heiligen Lande der Dichter beginnt zu dichten seine Hymne, der Maler zu malen sein Gemälde, der Musiker zu komponieren seinen Psalm. Aber auch der kürzeste Besuch tut dem Künstler künstlerisch gut; Jerusalem der stärkendste Badeort für seine Muse. Wirken auch diese Bäder, wie die leiblichen es zu tun pflegen, nach geraumer Zeit.

Helle Wolken, ja durchsichtige, ziehen auch wieder durch mein Gemüt; es zeigt sich mein Komet in meiner Schläfe. Ich beginne mein »Hebräerland« zu schreiben. Schon prangt sein Name auf der ersten Seite meines Manuskripts. Und auch Bilder entstehen, meine Dichtung zu schmücken, doch längst in der Schweiz arriviert. In ihrer schönsten Stadt Zürich! Die ehrwürdigen Chassidimpriester, zur Klagemauer schreitend. Und die lieben Kolonisten, am Schabbattabend in die Stadt Jerusalem pilgernd, und tags darauf heim in ihr Emek.

 

Die Frau des Universitätsrektors holt mich früh schon aus meinem Treibhauszimmer. Noch müde, setze ich meine Raubtiermütze auf den Kopf, schiebe sie bis tief in den Nacken. Heiß ist es heute, heißer als je, und ich möchte mich lieber von meinem Jaguar beißen lassen, als mich einem Sonnenstich aussetzen. Schon um fünf Uhr in der Frühe bemerkte ich wohl der goldenen durstigen Mücke Absicht. Und ich vergrub mich tief unter meiner Decke.

Seit einigen Tagen befördern Omnibusse die Ausstellungsbesucher von Jerusalem durch die Wüste nach Tel-Aviv und halten vor dem Eingang der großen Tel-Aviver Ausstellungsgebäude. Wir eilten, den Wagen noch zu erreichen, zur Abfahrtsstelle. Ich mache mir eigentlich nicht allzuviel aus Weltausstellungen; aus ihren aus aller Welt sie beguckenden Menschen auch nichts. Es übermüden Weltausstellungen nach kurzer Zeit schon den Besucher. Mehr gucken als gucken kann man ja nicht, meine ich. Es übersieht sich das Auge.

Am Tage nach meinem Vortrag ehrte mich in der großen hebräischen Zeitung eine verständnisvolle Besprechung. Vor allem beglückten mich die begeisterten Zeilen über die »herrlichen« Zeichnungen meines Sohnes. In den letzten Jahren seines Lebens zeichnete mein Paul viel, viel Tragik: blühende Augen, die leise weinten, Blinde mit Greisengesichtern und junge Waisenkinder, schon alt wie Großväter nach hartem Leben. Doch hin und wieder holde Mädchenantlitze, aus denen es sonnenscheinte. Und er suchte doch nur – »die Eine«! Die Blauäugige im Leben stürmisch. Der Doktor Steimatzky verlangte immer noch mehr aus dem Leben meines Jungen zu wissen, und immer von neuem mußte ich ihm dies und jenes erzählen, jedes Juwel aus meinem Herzen holen, das mir mein herzliebes Kind geschenkt. Als dann seine Bilder, alle geordnet zur Besichtigung auf einem Tisch des Salons ausgebreitet lagen, fühlte ich, Jerusalem, die Braut des Herrn, segnete sie . . .

Fleißig sammelte er, noch ein Tragkind, auf dem Arm seiner netten, stolzen Wärterin sitzend, elektrische Kohlen, die aus den Laternen gefallen, und kleine Kalkstückchen auf den Bauplätzen. Er strampelte, bemerkte er aus der Höhe so eine Kohle oder durch einen beschädigten Neubauzaun Kalkstückchen auf dem Boden umherliegen. Und seine Frau Zimmermann mußte ihn auf seine Füßchen stellen; es wurde ihm noch schwer, allein zu laufen, aber es gelang ihm doch, das Material zu seinen Arbeiten zu sammeln. Arnold und Heine, die berühmten Simplizissimuszeichner, behaupteten später, mein Junge »schwimme« übers Papier. Im Kronprinzenmuseum in Berlin, der Dependance der Nationalgalerie, befinden sich von meinem Sohn vier vom Museum erworbene Zeichnungen. Mein Junge selbst hat diese Auszeichnung nicht mehr erlebt. Er war nicht eitel, ja, er rügte die Eitelkeit. Immer zeigte er Interessierten die Arbeiten seiner Freunde, nie die seinen. Er machte mir Vorwürfe, sprach ich zu jemandem von seiner Begabung. Selten besuchten mein Junge und ich Galerien oder Museen; dem Anschauen einzelner Bilder in einem Atelier oder vor einem Kunstsalon genügend Zeit zu widmen, mutete uns beide ernster an.

Mein Wunderjunge hätte ebensogut wie zum Zeichner auch zum Ingenieur das nötige Genie besessen. Er wäre ein erstklassiger Maschinenbauer geworden, wie er schon in jungen Jahren ein von Meistern der Malerei bewunderter Zeichner war. Die gewaltigen Maschinenräume im Ausstellungspark Tel-Avivs hätten meinen Jungen geradezu enthusiasmiert. Die neumodischen Modelle der Kraftwagen pflegte er mir gern auf einer von ihm gezeichneten Abbildung mit Rad und Gummireif zu erklären. Ich denke so gerne daran, wie mein Paul, erst vierjährig, mein Interesse für technische Dinge zu gewinnen suchte. So geschah es, daß gerade ein Eisenbahnzug über die Brücke der Kantstraße in Berlin auf unserem Spaziergang herannahte, mein Kindlein das Knarren von ferne andächtig vernahm und mich zu interessieren versuchte für die roten und die grünen Lichter, die immer heller aufflammen würden an der Lokomotive. Was ihn denn eigentlich so interessierte, fragte ich. »Die Kraft!«

Es verursachten mir der Wagen rasselnde Gesänge beinahe Angstgefühle, und wäre doch gerne in so einem Mercedes davongefahren ins Uferlose. Gewerett rügt mich ungeduldig und unsanft, meine Melancholie langweilt sie. Und sie sucht nach Streitwagen im Riesenraum. Schon vor langen Zeiten in Prag in der Tschechoslowakei saßen wir wie die Götter und Göttinnen des Olymps verträglich beisammen, nannte ich sie wegen ihres steil sich senkenden trotzigen Profils die Pallas Athene von Prag. Sie an die Zeit erinnernd, kaufte sich die kriegerische Göttin, in einem der Ausstellungstempel primitiver Skulpturen, einen Paris aus Terrakotta. In der Zeit ich das tragische Ende des schönen Trojasohnes ahne und besinge:

Auf des Mosaikes weiten Arabeskenbogen,
Beweine ich den Königssohn in Packpapier in Knitteloden,
In klassigen Examitern nach allerneusten Moden und Methoden.

Entsetzt entfällt er stumm Athenens Händen und zwischen seinen Scherben nur noch der Apfel seiner Hand galant.

Ach, wären doch meine geliebte Mama und mein geliebter Junge hier mit mir in Jerusalem! Wir würden, meine Mutter und ich, mein Kind, als wäre es noch vierjährig, in unsere Mitte nehmen und durch Jerusalem, die Heilige Stadt, wandeln. Über die klingelnde Wüstenstraße, rechts und links durch ihre weltalten Gassen und einkehren in manches Haus.

Wenn ich zurückdenke an meine Kindheit und dann an meine Mädchenzeit, weiß ich so recht, an welchen Süßigkeiten ich vorbeisprang wie ein Kobold, und welche Begebenheiten sich nach mir umschauten und dann kopfschüttelnd an mir vorbeischritten.

Ich liebte besonders meine Geburtsstadt im Wuppertal in den Rheinlanden, die unvergeßlichen Spaziergänge, die meine teure Mama mit mir, ihren Arm stets um meine sehr schmalen Schultern gelegt, zum Walde steigend, unternahm. Wir kamen an Wiesen und Feldern vorbei, die Ähren sangen immer so nette rauschende Volksliedchen, auch von den sentimentalen manche Strophe: »Am Brunnen vor dem Tore . . .« oder »In einem kühlen Grunde . . .« Aber auch »Liebchen, ade . . .« Ich faßte mir dann ein Herz, meiner allerbesten Freundin, meiner von mir angebeteten Mama meinen allerletzten Liebeskummer anzuvertrauen. Meist handelte es sich um einen Sekundaner, mit einer Samtmütze silbern bebordet, der mich auf der Straße geschnitten, das heißt, ohne Gruß an mir vorbeigeeilt. Aber eines Morgens kam der Zirkus in unsere Stadt, der mich behexte und mit mir alle anderen Schulmädchen. Sein gepuderter dunkelhäutiger Jokeyreiter, der schöne blondgelockte Joy Hodgini. In Jerusalem habe seine Mutter das Licht der Welt erblickt, erzählte die Zirkuschronik. Eigentlich war Joy ein Dichter. Er log so schön. Und dann blieben die dunklen Wimpern seiner großaufgetanen Augen lange an der Decke der Konditoreien hängen, wo er sich gerne hinbegab; schon darum, weil wir Schulmädchen dort auf ihn warteten, ihn anzuschwärmen.

Ich dichtete – im Handumdrehen, beneideten mich die Kameradinnen – meine Verschen auf ihn. Wie das noch heute meint der geniale baltische Dichter, Sigismund von Radecki, ich schütte meine Verse so aus dem Ärmel oder aus dem Äther herunter auf die Erde. Sigismund ist auch einer von den Zauberdichtern, die Dichtung selbst ihm ein Zauberreich.

 

Unten auf dem Platz des Jaffators wartet der Omnibus nach Bethlehem. Ein elegant gekleidetes Individuum versucht mich in einen – Privatwagen zu locken, der »nochmal so schnell« wie der »schwerfällige Kremser« uns an Ort und Stelle befördern würde. Ich danke dem Gangster im Wichs und in Lackschuhen (bei der Hitze), erfahre auch sehr bald, im Omnibus sitzend, daß er täglich versuche, mit Frauen ein Auto zu »teilen«, seinem Täubchen daheim ein gefülltes Handtäschchen zum Gruß mitzubringen.

Es ist herrlich, durch die weite Welt zu fahren, am herrlichsten ganz alleine mit schweigenden, unbekannten Fahrgästen durch den ewigen Sand. In zwanzig Minuten hatten wir Bethlehem erreicht, und ich erkannte schon von Ferne die holde Knospe am Zweige Zions. Bethlehem erschien mir im Traume licht und keusch, Sternschnuppen im Kelch; Bethlehem, das Städtlein aus altem Judenblute. Über den weißgegürteten Platz der Geburtskirche wandle ich und betrete den aus vereinten Kirchen verschiedener Christenvölker kostbar gebauten Dom. Die Kerzen vor den Altären brennen und Mönche singen.

An zwei schimmernden Bazaren vorbei begebe ich mich in das liebe Bethlehemstädtchen; vorher kaufe ich mir eine Schnur aus Rosenholzperlen. Kinder legen sie mir um den Hals, betasten sie mit ihren Fingerchen und folgen mir in das Seitengäßlein in eine winzige Spezerei. Und ich verteile unter ihnen und mir die kandierten Hagebutten und die mit Orangensaft gestreiften Zuckerkugeln, bis – die große Bonbondüte leer. Und wir hüpfen gemeinsam wieder über die rollenden Steinchen, wir schwarzen Lämmlein, alle über den Weg. Manche von den Kindern klettern auf die niederen Dächer der eingesunkenen greisen Bibelhäuschen, springen um die Wette in den zertretenen Sand. Oder sie gucken aus den Lucken der vielen spitzen, niedlichen Türme, die nicht höher gewachsen wie Zuckerhüte; in den Himmel zu fliegen, die Engel zu besuchen – ein bißchen. Es schreiten einige vornehme Bethlehemiterinnen über die breite Stadttreppe, aus dem Herzen Bethlehems kommend, in blumengepreßten, purpurroten Sammetjacken, in der Tracht mittelalterlicher Kreuzritterfrauen, ihnen zur Seite sittsam der Sohn. Von einem hohen Rohrgeflecht auf ihren schwarzen Flechten fällt der weiße Gazeschleier über Brust und Rücken bis zu ihren wiegenden Hüften. Ist ihnen bewußt, daß die Stadt der Geburtskirche noch vieler armer Kinder Heimat? Und spielen sie auch wohlgemut in Bethlehems morschen Gassen, so lege ich die lieben Kleinen den wohlbegüterten Judenchristinnen der Jesusstadt ans Herz. Ließ doch Jesus, Myriams Sohn, die Kindlein zu sich kommen. Im Winkel auf der niederen Stufe der Wundertreppe sitzt ein Puppenmütterchen und singt ein klein altaramäisches Kinderliedchen:

Abba ta Marjam,
Abba min salihi . . .
Gad mara alleija
Assama anadir
Binasser wawa!
Lala, Marjam,
Schu gabinahû
Melechim haduja.
Lala, Marjam,
Alkahane fisijab.

Träume, säume Marienmädchen,
Überall löscht der Rosenwind –
Die schwarzen Sterne aus.
Wiege im Arme dein Seelchen . . .
Alle Kinder kommen auf Lämmern,
Zotte hotte geritten,
Gottlingchen sehen . . .
Und die vielen Schimmerblumen
An den Hecken.
Und den großen Himmel da –
Im kurzen Blaukleide.

Zur Geburtskirche begeben sich die Bethlehemiterinnen, die mich artig willkommen hießen. Milchschaum, fließen ihre Schleier vom Hügel ihrer schwarzumflochtenen Köpfe herab. Der Abend ist da! Ich nehme Abschied von dem süßen Ort und den lieben Straßenkindern Bethlehems, meinen neuen Freundinnen; ihre niedlichen sonnenverbrannten Händchen umklammern meine Arme; ihre zarten Körper hängen wie Trauben um den meinen.

 

Es war noch um Himmelsfrühe; das strahlende Goldkind, das verwöhnte, im lilaseidenen Wolkenbett, verlangte immerzu aufzustehen. Die netten adretten Knaben meines Wirtes und ihr schönes Schwesterchen klopften stärker und stärker an meine Zimmertür, mir mitzuteilen: »Die Kolonisten sind unterwegs nach Jerusalem; die jüdischen Bauern und jüdischen Bäuerinnen marschieren auf die Heilige Stadt zu, die Briten zu zwingen, die Einwanderung der Juden zu befürworten!« Das war allerdings ein Bericht! Ich fühlte mich ein jüdisches Staatsoberhaupt, das entgegennimmt. Begab mich sofort auf den Jaffaroad. Aber menschenleer wie heute empfing mich noch nie diese prachtvolle Wüstenstraße, seit meinem zweimonatigen Aufenthalt in der Hauptstadt nicht. Wie ich mich überzeugte, eines polizeilichen Erlasses wegen. Doch die Mahnung hinderte mich nicht, mich über den Jaffaroad mitten in die City zu begeben. Ich berichtete schon einmal in diesem Buche, wenn ich mich nicht irre, von der aufständigen Morgenfrühe und ihren tapferen Kolonisten, und bezwecke mit der kurzen Wiederholung, die wuchtige Episode schärfer und tiefer einzuschneiden in das Hirn des Lesers. Die mutigen Nachkommen unserer mutigen Pioniere, die ihr Leben für das Aufblühen Palästinas aufs Spiel setzten, im Kampf mit wildesten Bergbewohnern, rufen unaufhörlich ihre Brüder und Schwestern aller Länder und Erdteile heim ins Gelobte Land, streiten noch aus ihren Himmeln mit den Lebenden für die Brüder des Emek, für die unumschränkte Einwanderung aller Judenstämme der Erde.

Der englische Soldat ist ein gentleman, wie auch der englische Polizist. Sie ehren die Liebe des Hebräers zu seinem ihm verheißenen Lande.

Ich eilte, nach befriedigender Verständigung der auf ständigen Judenbauern mit den Briten und ihrer freundlichen Entgegennahme der hebräischen Bittschrift an ihren vorbildlichen König, im Sturmschritt nach meiner lieben Kolonie, Rehavia, ihren Bewohnern Kunde zu bringen vom glücklichen Resultat der revolutionierenden und der gottwohlgefälligen Rebellen und vom glücklichen Resultat unserer kämpfenden Bauern. Zu den Dächern der bebenden Häuser stieß ich den Siegesschrei, den ursprünglichen Menschenlaut aus nach gewonnener Schlacht: Huhuhuuuu!! Der Araber fängt das elementare Freudengurren wie kleine elastische Kugeln auf.

Es war eine tiefe Freude in Jerusalems Rehavia! Seine Hebräer umarmten sich in den Häusern und der Sieg lockte sie nach draußen auf die Pfade. Ich sah viele von ihnen gegenseitig sich feierlich küssen auf Wange und Wange. Mich aber ergriff der ungeschlafene Schlummer zurück, der noch ungeträumte Morgentraum, und mir war, ich schwebe und erlebe alles auf einem Heiligenbild. Nach zu zeitigem Aufstehen zerrinnt der Mensch und mit ihm sein Land; genau wie nach zu langem Schlaf er sich und die Welt versäumt. Auch Jerusalem, zu früh und sich zu spät erhoben, wird einmal wieder zerrinnen, zerfallen, aber um sich immer wieder in einem noch herrlicheren Lilasilber zu erheben.

Auf Lüften gebettet, floß ich an den Scheiben meiner lieben Freunde und Freundinnen Rehavias vorüber, manchmal spielte ich eine unwirkliche Melodie auf den Fenstergläsern. Aus der Höhle meiner eisheiligen Freunde rannen rote und gelbe und milchweiße Fruchteiswasser auf Rehavias sandige Streets. Seit kurzem eilt das Ehepaar auf seinen Velos in die City der Stadt, zu sehen, ob ich noch da bin.

Meine von mir angebetete Mama begünstigte ahnungslos durch ihr heimliches beifälliges Lächeln meine kühnsten Unbesonnenheiten. Sie hätte sich sicherlich, wie ihre Tochter, in den Sturm der Morgenrevolte begeben.

Ich landete, müde vom Erlebten, im Hause des großen Architekten. Die bunten Arbeiter auf dem Platz saßen im Kreise traulich zusammen und hielten Mittagspause. Einer von ihnen erhob sich gemächlich, die Ziege zu melken. Aber der Maëstro und sein Schüler zeichneten Vorgärtchen auf den Häuserplänen vor den kleinen Villen. Ich wußte jede der Blumen mit Namen zu nennen und tat so, als ob ich mir welche pflücken wollte von den skizzierten Beeten. Im Nebenatelier, im Raum der Gewerett, malte des Baumeisters Malerin die Emirin, die Frau eines Fürsten aus Rehavia. Ihn, den Architekten, und sie, die Malerin, nicht aufzuhalten, suchte ich alsbald das Weite.

Als ich ein paar Tage nach dem Aufstand unserer tapferen Bauern durch Jerusalem spazierte, drangen aus einem der ältesten der bewährten Gasthäuser der oberen Jaffastreet abermals Hochzeitsfeierklänge. Ich begab mich über die knatternden Stufen, wie damals, in das erste Stockwerk des geschmückten Hotels. Es freuten sich und walzten harmlos wieder die Hochzeitsgäste und der rührende liebe Blindenchor spielte Geige und Harmonika. Ach, sie jammerten mich, und ich fürchtete, angesichts der vielen frohen Gesichter, mich tiefer in ihr Schicksal zu verlieren und zu ergrauen. Genau wie neulich saßen auch heute, auf einer kleinen Saalbühne zusammengewachsen, verwandtschaftlich Mutter und Schwiegermutter neben dem frischgebackenen Paare, den gerade getrauten Brautleuten fürs Leben, frisch mit Segen bekränzt. Neben den Müttern die Väter, Vater und Schwiegervater, und ganz vorn in ihrem eigenen Brautjungfernkleide, in Lilaschangschangseide und Rüschen die gefeierte Jungfrau Großtante! Es tanzt die Braut mit ihren Freundinnen. Auch mir gewährt sie, wie ihrer Vorgängerin, einen Polka, und ich lege ihr mein Armband um den Arm zur Hochzeitsgabe. Es trägt innen eingraviert meinen Namen: Else Lasker-Schüler. Ich kann ihn ja auswendig, nachdem ich ihn immer wieder unter meine Dichtungen setze, wenigen Menschen ins Herz.

 

Von meinem Nordia aus überschaue ich zwischen den hohen Jerusalembäumen den großen Park der russischen Kathedrale. Es führt an seinen Rasenflächen vorbei durch Säulen der Weg weiter zum jerusalemitischen Gerichtsgebäude. Es strömen die Töchter der Stadt mit den Töchtern Tel-Avivs zum sensationellen Prozeß ihres berühmten hebräischen Dichters: Uri Zwi. Der vergötterte dichtende Wildfang der Palästinajugend. Ich lese von der Tafel: Uri Zwi Grünberg contra Herodes Ben Herodes (Herodes, Sohn des Herodes). Ein vornehmer Prozeß. (Der Dichter soll mit dem König gehen.) Es handelt sich um eine Salome – nehme ich an. Es bedrängen zur heutigen Gerichtsverhandlung die Töchter Palästinas die Gänge des jerusalemitischen Gerichts. Unzählige Mädchenarme umklammern die Geländer des Treppenhauses, und ihre pochenden Herzen erwarten ungeduldig den Ausgang des interessanten Prozesses. Des Dichters Mutter in Galizien liebt ihren kupferrothaarigen Indianersprößling mit all seinen Wildheiten. Ein Blick aber, ein sanfter, vorwurfsvoller des frommen Vaters, des Wunderrabbiners von Lemberg, genüge, erzählt uns der Dichter selbst, ihn vor Unbesonnenheiten zu bewahren. Mit feierlicher Amtsmiene, gewichtig, bringt Botschaft von der Freisprechung des Angeklagten der Amtsdiener. Ich denke mir aber mein Teil. Sah ich doch selbst den Dichter vor kurzem an einem Abend verwegen mit der – Verschleierten, um die sich der Termin drehte, hinter einer Sandwolke verschwinden.

Im Kassenraum des Cinematheaters Eden löst sich eine Menge Jerusalemiter schon am Vormittag Billette zur Abendvorstellung. Man liebt es, auch in diesem zweitgrößten Kinotheater, mit Wildwestschauspielen sein Publikum zu beglücken. Ja, zu beglücken! Viele der bunten Zuschauer stürmen enthusiasmiert zur Bühne, halb den Verstand verloren, sich hinter den rasend dahineilenden Inkas aufs Pferd zu schwingen. Heute spielt man den spannendsten Indianerfilm:

Der je gezeigt, Mama, Papa,
Seit Cinema!

The chief great white horse eagle! Ich kenne seinen Autor von Europa her, den von mir einst hochverehrten Edgar von Schmidt-Pauli; vom great white horse eagle zum Großindianer erhoben.

Auf dem Jaffaroad begegnete ich noch spät der fröhlichen Mädchenschar vom Gerichtsgebäude, in ihrer Mitte den freigesprochenen Dichter. Er verspricht mir feierlichst, mich morgen zur Rahel zu begleiten nach Rehavia.

Von Kokoschka, dem berühmten Wiener Maler, gemalt, schaut der sprühende Advokat, Rahels Mann, auf seine, wie er sich so oft auszudrücken pflegte, aus dem Testament entsprungene Frau – mit dem biblischen Schmelz im Auge. Der Lieblingssohn des juristischen Doktors pflanzte auf den Hügel seines Vaters einen Fliederbaum, den Baum, dessen lila Zweige der Doktor so liebte in ihrer üppigen Lilapracht.

Ich suche schon Tage nach jemand, der bereit, mit mir wieder nach Tel-Aviv zu fahren an den Ozean. Besuchte ich auch vor kurzem erst unsere herrliche Seestadt. Wo soll ich mal wohnen? frage ich mich oft. In Jerusalem oder in Tel-Aviv? »Am Morgen in Jerusalem, am Mittag in Tel-Aviv, um am Abend wieder heimzukehren in die Gottesstadt.« Und doch ist das Meer mein einziger Spielgefährte; denn, wie das Meer – ist mein Herz. Freunde sollen sich ähnlich sehen. Ich besitze wohl ganz allein in der Welt so ein Meerherz! Mit den Stürmen stürmend, mit den sich müden Wellen ruhend, aber mit der Trägheit des Fließens im Kampf.

Eine Viertelstunde von Tel-Aviv entfernt, verkauft in seiner Papeterie Friedrich Andreas Meyer, ein Dichter, ehemaliger Rechtsanwalt zu Görlitz in Schlesien, Briefpapier, Schreibmappen, bunte Bleistifte, und allerlei farbige Tinten. Vieles hat sich in seinem Leben geändert, seitdem wir seine schönen philosophischen Verse im Meistersaal in Berlin vernahmen. Auf Knien, vertraut mir Andreas, danke er jeden Morgen dem Geschick für den Wechsel der Dinge. Er meint damit seinen Berufswechsel.

Die von ihm im letzten endgültigen Scheidungsprozeß in Jamben und Trochäen, noch dazu in philosophischen, verteidigte Klientin zog es vor, sich so schnell wie möglich wieder mit ihrem gähnenden Schultz zu versöhnen. Die Schultz geborene Schultze, verwitwete Schultze flüchtete nach gegenseitigem Einverständnis mit ihrem Gatten Schultz kurzerhand aus dem feierlichen Gerichtssaal. Ja, verließen fluchtartig gemeinsam den letzten Akt ihres Prozesses, sich unter einem karierten Regenschirm, erzählt die Gerichtskunde, in die noch eben bedrohte Häuslichkeit zu eilen. Der Andreas und ich reimten auf die bekannte Melodie Offenbachs: Als ich noch Prinz war von Arkadien . . . (bitte in höchsten Tönen zu schmettern)

Als ich noch Rechtsanwalt am Landgericht in Schlesien,
Haha, ha, ha, ha, hahaha!
Um mich von früh bis spät zu dösigen –
Haha, ha, ha hahaha!
Bin nun die längste Zeit gewesien,
In Ober- und in Unterschlesien,
In Schlesien, Schlesien, Schlesien, Schlesien.

Und mit der Begleitung hochgehender Wellen wiederholten wir Dichter noch einmal den Refrain:

Haha, ha, ha, ha, hahaha!!

Dann besuchten wir unseren gemeinschaftlichen Freund, unseren lieben temperamentvollen Jesajajünger: den Hendrik Landau, und seine hochverehrte Mama in Rustad Rut Haowim, in einer Wasserhalbestunde von Tel-Aviv schaukelnd zu erreichen. Auf dem Dampfer wartete mit uns der berühmte aller künstlerischen Fotografen: Hjalmar Lersky. Auf seinen Bilderfotografien fühlt man sich – entgegenkommend getroffen, angenehm geschmeichelt. Die Schiffsgäste bemerken meine unbezwingbare Müdigkeit, bereiten mir ein weiches Lager im Schiffsraum. Es wird jedem Menschen in Palästina leichter und leichter, menschlich zu sein und zu handeln zum Nebenmenschen. Ihn zu lieben mit seinem ganzen Herzen, mit seiner ganzen Seele und mit seiner ganzen Kraft; fast so innig wie man Gott lieben darf, mit den stärksten liebreichsten Gefühlen, die nicht Tod ansetzen. Anstrengend ist der Aufenthalt im Heiligen Lande für denjenigen, der des Heiligen Landes Liebe erringen will, oder für eine Dichterin, die das Heilige Land in einen Psalm legen möchte. Mühsam bahnte ich mir durch mein Buch »Das Hebräerland« zwischen Stein und Stein einen geebneten Weg. Du, Leser, schreitest ihn mühelos, den Weg, der mir auferlegt, den ich zurücklegte in meinem Buch, oft stöhnend und schluchzend, wie anfänglich mit Leib und Seele im Gelobten Lande weilend, schon vor einem Jahre einmal.

Und es darf den Leser meiner Psalmodie nicht allzusehr befremden, da ich zuweilen, müde des höchsten Dichtens, raste auf den Höhen meines Hebräerlandes – ganz irdisch. Wie ich es beispielsweise zu tun pflege, unterwegs auf einem mühsamen weiten Gang durch die Straßen der Stadt. Ein paar Augenblicke säumend vor dem Schaufenster eines glitzernden Ladens hängen geblieben, die kleinen weltlichen Dinge anschaue hinter dem Glas – und doch mein Ziel erreiche. So finde ich auch hier das eigentliche Thema, mein heiliges, immer wieder in meinem Herzen.

»Zuviel beten« . . . sagte meine teure Mama, »mit Gebeten Gott belästigen« sei eine Rücksichtslosigkeit ohne Grenzen.

 

Auch heute kehre ich wieder dem Universum den Rücken, betrete ein Caféhaus (der verehrte Leser, hoffe ich, mit mir) in Jerusalem. Im Kosmos selbst gibt es keine Limonade; aber auch kein Wildwest‑ noch Liebesfilm zu sehen; und ich löste mir, gestärkt vom Imbiß, ein Billett, diesmal wieder an der Kasse des Cinematheaters: Zion.

Viele der Leser meines Buches werden nach der Lektüre der vielen Seiten ihre Köpfe tadelnd hin und her wiegen, aber – der liebe Gott pflegt zu lächeln über meinen Mutwillen! Weise über jede Seiner Kinder Schelmerei. Er drückt Sein Allsehendes Auge zu, wenn ich über die Hecke Seiner unendlichen Welt springe. Gott unser Vater ist – beiseele kein Spießbürger und auch Seine Engel nicht.

Palästina ist die älteste Mumie, das uralte königliche Gemeingut der Menschheit. Sie auszugraben, zu erwecken zum neuen Leben, ist vom Herrn – der Hebräer auserkoren. Jerusalem ist kein Asyl, das vernehme gefälligst die Menschheit der ganzen Welt. Jerusalem ist ein einziger einiger Tempel, den der Jude voran und alle Geschöpfe andächtig respektieren und lieben sollen mit ihrem ganzen Herzen, mit ihrer ganzen Seele und ihrer ganzen Kraft! Nach dem Angesicht dieses Tempels richte man auf die Häuser Gottes.

So schwer wie beim Schreiben meines Hebräerlandes habe ich anfänglich gelitten, im Lande hinter den Toren der gebenedeiten Stadt; zwischen Gesteinen Palästinas gefangen, zwischen Erde und Himmel.

 

Eines Morgens neigte sich meine unvergeßliche Mutter über mich Erwachende und lächelte . . . Nach diesem Lächeln habe ich mich seit ihrem Heimgang zu Gott gesehnt. Es erwärmte und kräftigte mich als Kind schon, und seitdem ich dieses Wunderlächeln hier in Jerusalem erleben durfte, begann ich eine niegekannte Freude und ein tiefes Verständnis zum Heiligen Lande zu empfinden, zu unserem lieben Heiligen Lande. Es paßte urplötzlich hinein in meinen winzigen Pupill, ein Edelstein inmitten seiner braunen Emaille. Meine Füße schreiten über die Scharlachteppiche der roten Erde, in welchem Lande ich auch sein werde. Es sprechen die Gipfel der höchsten Steine mit mir und beugen sich über mich lächelnd wie meine Mutter.

Einer der frommen weißen Felsen erinnert mich an die reine Gestalt meines Ideals, an meinen jüngsten Bruder. Ein niedliches Käferchen in rotpunktiertem Kleidchen, trippelte ich als Kind an seiner Seite über verzauberte Wege, über moosbelegte Waldpfade. Immer waren wir beide verwunschen. Mein Bruder kannte alle Bäume und Sträucher des Waldes mit ihren Namen. Am liebsten pflückte er mit mir die kleinen süßschmeckenden Bucheckern. Mein Bruder war ein Heiliger, der Himmel sein blauer Dom. Er sei der Stephanus, behaupteten seine christlichen Freunde. »Euer Bruder ist reinen Herzens und er wird Gott schauen.« Seitdem liebe ich diesen schönen Spruch, so kurz er auch mißt, so reicht er doch bis ins Jenseits. Fanden mein Bruder und ich im Forst ein ruhendes Plätzchen, hob er mich auf die Bank neben sich, und wir reihten gemeinsam aus Vogelbeeren uns Kaiserketten und schauten nur dann auf zum Waldhimmel, wenn der Kuckuck schlug; gerade immer so viele Male ich alt war. Und zuallerletzt verriet mir mein lieber Bruder, nach ihm ich meinen Jungen benamete, wie der kleine besondere Waldfleck heiße, auf dem wir uns plaziert: »Jerusalem!« Und der kleine Waldfleck sei extra übers Meer gekommen, in unseren Wald, mich kennenzulernen. Ach mein Bruder konnte so liebreich erzählen, und ich hing an seinen Lippen, ein lauschendes Herzchen. Kam unterwegs zum Abendwalde mit uns über unseren Köpfen den Himmel entlang ein Komet, legte mein lieber frommer Bruder, die Heimat des tausendjährigen Sterns besser beurteilen zu können, die feine Hand prüfend über seine Augen. Bald meinte er dann, der Wunderstern sei »aus Palästina« gepilgert. Mein Bruder log nie; das wußte mit mir meine liebe Mama. Jeden Morgen stieg er in den Himmel, wenn wir alle noch schliefen, und bat für uns, überhaupt für alle Menschen und für alle Geschöpfe auf Gottes Welt. Er betete beim lieben Gott selbst im unermeßlichen ewigen Gewölbe; auch ein Gebet für sein jüngstes Schwesterlein, für mich, daß ich einmal Palästina schauen möge, Seine heilige Stadt, von Angesicht zu Angesicht. Dort reichen alle Menschen – in ruhenden Einbänden, ihr Gebet, nach Seinem Ewigen Willen, Ihm.

Überall hängt noch ein Fetzen Jerusalem. Oft dort, wo man es zu finden nicht erwartet – zwischen faltigen, grämlichen, müde gearbeiteten Händen einer Mutter, oder am Felsrücken eines verwüsteten Landes. Überall, gibst du obacht, rollt ein Steinchen an dir vorbei, vorsintflutlicher Pyramide Jerusalems; du stolperst ja über seine Kante ahnungslos auf deinen Wegen.

Jeder Friedhofgarten ist ein Stück vom Herzen des Gelobten Landes, fern vom friedenraubenden Lärm. Jerusalem ist die Ruhende Stadt; denn Gott der Ewige ist ein »Ruhender Gott«. Sein gestorbener Mensch, Sein in Ihm ruhendes Geschöpf, eine in die »Urwelle« mündende Seele. »Der innerste Mensch«, heißt es in der Kabbala, ist die: »Lebendige Seele«. Gott schuf die »Lebendige Seele«! Wie aber sollen heimkehren Seelen erloschene, im Leibe schon erloschene? Es sind die der lauen, der geklügelten Menschen, deren Ratschläge gute Taten noch ungetan – entkräftigen. Es sind die, die auf hohen Rossen sitzen und kaltblütig den Bruder überreiten. Es sind die dumpfen, die zu lässig, wach zu werden, dumpf ahnen: Wachsein pflichtet am Nebenmenschen und an der Welt Gottes. Der Mensch, der in Palästina auch nur den Gedanken streift, sich zu bereichern an Palästina, sich zu sättigen im Vorhimmel des Himmels mit nichtigem Wert der Münze, versündigt sich, schon dem Gedanken nachhangend, an dem Herrn und wird zum Dieb an Gottes Eigentum. Gott entgeht nicht die geringste Eigennützigkeit! Er ist der Wache! Der Uradelige!

Im Garten der Universität von Jerusalem säume ich auf einer der Gartenbänke schon den ganzen Vormittag, und es kommt mir gar nicht in den Sinn, das unvergleichliche Universitätsgebäude selbst zu betreten. Von einem Abhang des schönen blumenreichen Gartens blicke ich herab auf ein Amphitheater. Das fesselt mich grenzenlos. Ich beginne zu spielen auf seiner Bühne: Joseph und seine Brüder. Trage meine Füße in hohen ägyptischen Schuhen, in fürstlichem, schwarz- und goldvereintem Leder. Meine Brüder umgeben meinen Thron, und ich streichle ihn: Benjamin. Er trägt die Züge, die verwunschenen meines teuren Kindes, der auch noch mein junger Bruder gewesen . . . Zwiefach trauere ich um ihn. Immer ertappe ich mich in der Rolle Josephs. Ich brenne darauf, meine Lieblingsgeschichte einmal hier auf dieser steinernen Urbühne zu spielen in der Ursprache uraltem Hebräisch. Die Seele der Josephlegende, die einmal Wahrheit gewesen, wieder auferstehen zu lassen, sie zu verkörpern, in meinen Körper zu hüllen.

Ich begebe mich, ohne das Innere der Universität zu besichtigen, da ich die lebendige silberne Kulisse des Himmels heute nicht zu vertauschen fähig, mit dem weißesten Plafond, heimwärts vom Ölberg schwärmerisch zurück in die City Jerusalems.

Auf dem Ölberg – wie phantastisch! – besuchen der Juden Söhne und Töchter die Hochschule. Was hätten unsere Könige dazu gesagt!

Morgen ist wieder ein anderer Tag; vielleicht ein noch viel hellerer wie der heutige. Ich sah am Fenstersims sitzen noch von weitem den Präsidenten der Universität, den vielverehrten Doktor Magnes, und über dessen Raum meinen wundervollen Freund, den Rektor Professor Hugo Bergmann, in den Folianten der Universitätsbibliothek blättern.

Die Zirkusleute, mit denen ich Freundschaft schloß, spielen noch lange in Jerusalem im Zirkuszelt auf dem Sportplatz. Man trifft sie am sichersten um Mittag auf ihren Stufen der Zirkuswagen, Karten spielend. Die Kartenkönige und ‑königinnen, alle die papiergekrönten Häupter, schlagen sich geräuschvoll die Köpfe auf dem Deckel einer Kiste wund.

Ich liebe den Zirkus und begeistere mich an seiner abenteuerlichen Reiterei und seinen Bravourstücken. Das heißt – überzeugte ich mich vorerst, kein Elefant, nicht das niedliche Zwergpferdchen sich vor Schlägen fürchten mußte je. Keiner der klugen Spitze und Pudel, ist's ihm mißglückt, Haue erwartet. Auch hier im Zirkus füllen gemeinsam Juden und Araber den Zuschauerraum. In der Reihe, auf dem Platz vor mir, nah der Manege, nehmen Haremsfrauen und ihr Gebieter Platz. Mir zur Rechten und zur Linken ein Bergbeduine in Gala und seine in strahlende Seiden gekleidete Bergbeduinin. Sie klatschten mit mir stürmisch in die Hände, gelingt es Miß Nelly, durch den brennenden Reif, ohne Feuer zu fangen, zu springen! Der Tanz der edlen Schimmel ergreift den wildhebräischen und arabischen Semiten zu Tränen. Wir alle, die wir da – wie erwartungsvolle Kinder sitzen auf den Bretterbänken und zuschauen mit fiebernden Wangen und sprühenden Augen den galoppierenden Pferden und den Artisten des Zirkus, wachsen zusammen in der kindlichen Freude einträchtig – wie wir alle einmal wieder in himmlischen Höhen leben werden vereint. Gottes heiliges Heer über uns: Ein Heer der Liebe! Sein Himmel uneinnehmbar!

Mein Vater hegte schon eine so große Liebe für den Zirkus; ich habe diese Vorliebe geerbt. Kam Renz ins Wuppertal, saßen an unserm reichgedeckten Tisch immer Gäste aus dem Zirkus, furchtbar nette Zirkusleute! Der dumme Aujust, er war täglicher Gast unseres Hauses; unter seine Serviette legte mein Papa stets ein ihn erschreckendes knallendes Knallbonbon. –

Eingeladen von der Habimâh zur Premiere seines herrlichen Dramas: Das blutende Lamm, erwarten wir Freunde ungeduldig unseren wundervollen Dichter: Emil Bernhard schon seit Tagen im Heiligen Lande. Ich schämte mich meiner unbändigen Freude nicht, als wir uns endlich begegneten. »Bernhards Schauspiele und seine übrigen Dichtungen«, schrieb die Berliner Presse, »tragen ewiges Licht in der Schläfe.« Seine jüngste begabte Schwester Lotta, die sehr beschäftigte Architektin Palästinas, und ich begleiteten den berühmten Bruder durch die lieben Pfade Rehavias bis in das Haus seiner stolzen Mutter. Die schreitet aufgerichtet durch Jerusalems Kolonie, eine rüstige Generalin! Immer trug ihr einziger Sohn, der dichtende liebreiche Geistliche unseres Volkes, für mich, für – etwaige Sünden, in der Manteltasche – eine Absolution.

Mein Baumeisterehepaar versprach mir eben feierlichst zum ungezählten Male, falls ich mit meiner Wiederkehr nach Palästina nicht allzulange warten ließe, daß sie beide mit Kind und ihrem jungen Architektenlehrling mich abholen würden im Hafen von Haifa. Mit mir nach Tiberias, eine Stunde von Haifa entfernt, beabsichtigten sie zu fahren und von dort nach Nazareth.

Tiberias! In das Bad der früheren Könige und Königinnen, die sich unter den fünfundzwanzig heilenden Quellen die aussuchten, von deren Extrakten sie Heilung erhofften. Von Tiberias nach Nazareth. Dort warten schon Dichter auf mich und auch in Kapernaum und vor den gebenedeiten Hügeln der heiligen Propheten. Wo der tragische falsche Messias begraben liege, der Sabbatai, fragte ich immer wieder vergebens den Philosophen, meinen brüderlichen geliebten Freund Erwin, Sohn des Löwen in Palästina. Sabbatais Leben schilderte bunt und unheimlich genial der Dichter Josef Kastein. Gespenstisch flackert er selbst, inkarniert im Rosenleibe Sabbatais, über die Seiten seines herrlichen Buches.

»Ich komme zurück!« versicherte ich meinen Freunden. »Ist es euch denn entgangen, wie ich hänge an der Lippe unseres Heiligen Landes und saht ihr mich nicht bauen mein Geiernest hoch über Jerusalems Fels? Ihr spracht doch einmal selbst vom Flügelschlag meiner Schultern und vom Schweifen meiner Augen. Und, daß sie bunt schimmern, regt sich in ihnen die Ewigkeit des Gedichts.« Aber als ich so sprach – schämte ich mich meiner größenwahnsinnigen Äußerungen und küßte einfach meine Freunde.

Ein Geier war es, ein geflügelter Bote, der vor Jahren, früh am Morgen in Europa durch mein geöffnetes Fenster in meine Stube rauschte, mich zu tragen ins Gelobte Land.

 

In Haifa am Fuß des Carmels wohnt der berühmte Maler und Radierer: Hermann Struck, der besonders liebenswürdige Künstler, zwischen Königinnen der Nacht. Ich hatte Unglück, ich traf ihn nicht. Vielleicht setzte er gerade über die Grenze von Palästina nach Syrien seinen Fuß. Doch erzählten die vielen Bildnisse, die herrlichen Bilder seiner Rabbinen von dem großen Künstler. Ich verweile die Nacht, von seiner Haushälterin eingeladen, wie selbst im Rahmen zwischen all den Rahmen an den Wänden. Als der Morgen nahte, stieg ich das noch kleine Ende Carmel hinab ins Tal, wieder in die exotische Stadt zurück. Manche Kinder begegnen mir nackt in den Gassen Haifas, unschuldige braungoldene Schäflein. Ein schwarzes befand sich unter ihnen, ein abessinisches mit Krauswollhaar; ein Lieblingsschäfchen, um das sich die anderen liebreich bemühten, es herzten und immerfort streichelten.

In Haifa ist es viel, viel heißer als in den anderen Städten Palästinas; doch terrassenförmig gebaut ähnlich wie Jerusalem und sein Rehavia. Und fast so temperamentvoll und draufgängerisch, was Schwung anbetrifft, wie seine Schwesterstadt Tel-Aviv. Haifa hatte ich schon auf einer ganz bunten Illustration in einem Jugendbuche einer kleinen Schulgefährtin gesehen, eine tropische Stadt, die ich nie vergaß. Ich möchte fast sagen, eine unheimliche Tropenstadt; schon damals auf dem Bilde verspürte ich Furcht. Zwischen den Eingeborenen, buntgeborenen dieser Welt, schreiten Gestalten aus aller Herren Länder aller Erdteile nach hier gereist ins Testament am Hafen entlang. Stämmige, breitschultrige Männer und Massas mit ihren üppigen Weibern färben die Atmosphäre der Meerstadt international, manchmal grausig. Nie vergesse ich Haifas Hafen, seine dunkelglühende Straßentrope.

Vom Bilde des seltsamen Seehafens fasziniert, erträgt man die prallende Hitze des Vollsommers spielend. Die Sandfliege doch sticht gerne den noch nicht Assimilierten. Verursacht mit ihrem Stich paartägiges Fieber und – fliegt fort wie sie gekommen. Ach, ich war plötzlich unschlüssig – sollte ich nun wirklich abreisen aus dem bezauberndsten Lande oder nicht? Noch war es Zeit, umzukehren. Und ich überlegte im abenteuerlichen Caféhaus, vor seiner Pforte an einem kleinen runden Tischchen sitzend, im Ozeanrauschen meinen bedeutungsvollen Entschluß. An einem Jerusalemabend reifte er in meinem Sinn und stand dann reisefertig auf den Beinen. Damals sagte Rahel: »Man kommt nicht für zwei Monate ins Heilige Land.«

Unbändig war meine Freude, als ich in einem Winkel der Cafélaube den Architekten und seine Malerin und beider Kind, Trudmyriam, begleitet vom Famulus, entdeckte, sie hatten eine Stunde schon auf mich gewartet, dann gewettet, daß ich hier in der Massakneipe landen werde, und sie beobachteten mich schon eine Zeitlang von ihrer Nische Fernrohrfensterchen aus – »die treulose Dichterin«!! Aber ich mußte vor meinem Abschied doch noch einmal zum Berge Carmel einen Autowagen besteigen. Diesmal brachte er mich bis auf den höchsten Gipfel des grüngekleideten biblischen Berges, die einzige bekleidete Höhe Palästinas. Bis zu ihrem Fußknöchel hatte ich sie ja bereits gestern in der Nacht kennengelernt, bis zum Hause des lieben großen Malers Hermann Struck. Es ging meinen Freunden aber um des frommen Felsens Kopf! In das Gesicht des Carmels müsse ich schauen, bevor ich wieder abreise nach Europa. An den Bäumen hingen schon fertiges Johannesbrot und Pfefferkörner und andere Früchte in hellblauen Hüllen. Wir kamen an der Mauer eines persischen Gartens vorbei, reckten uns empor und betrachteten die vielen Erdstreifen, methodisch bewachsen und wie Feldsorten geordnet, verschiedenartiges Brot der Äcker – und wie Gemüse auf der Schüssel im alexandrinischen Griechenhause. Im weißseidenen anschmiegenden Gewande wandelte der Besitzer, der Mirza, lächelnd über den feingemahlenen Kies der Gartenwege und beugte sich ab und zu über die mathematisch besäeten Beete. Wir aber fuhren rund um den Berg, um den Carmel, weiter und ich gedachte meiner Eisenbahnfahrt von damals, von Ägypten nach Palästina, und ihres Endziels steigenden Wüstenpfads.

Oben auf dem heiligen Plateau des Carmels erbaute der österreichische Baumeister Krakauer mit Hilfe seines Baueleven den gastlichen Eltern des talentvollen Schülers eine Erholungsstätte, einen Gesundheitspalast, der uns fünf Besucher begrüßte und speiste auf weiter Veranda zwischen Erholungsbedürftigen aller Herren Länder. Nach dem Mahle spazierten wir Freunde in einer Reihe an Bächen vorüber, tiefer ins Gehölz; an langhaarigen, dunkelgrünschattierten und gefiederten Zweigen vorbei, an palästinensischen Indianerbäumen. Auf einmal standen wir vor dem Waldhaus des prachtvollen liebreichen Dichters Arnold Zweig. Hinter seiner lieben Waldherberge befindet sich ein zweites Haus, ganz aus Kupfer gegossen. Wir riefen unermüdlich nach dem lieben Arnold, bis sich das niedliche Bogenfensterchen mitten in der Stirn des kleinen Carmelschlößchens öffnete; wie aus einer Kuckucksuhr der Kuckuck – Arnolds Kakadu erschien und uns antwortete genau im Tonfall des Dichters: »Arnold ist in Tel-Aviv!« Sein treuer Freund, der ihn begleitete, dem Dichter Gesellschaft leistete auf der Reise ins Heilige Land.

 

Jerusalem heißt mein Lloyd! Seine Sirenen vernahmen wir im Autowagen zum Hafen. Ich bin unschlüssig; weile ich auch im Gedanken schon auf dem Meere; und unwirklich vollzieht sich die Trennung von meinen Freunden.

Über die Stufen der schwebenden Schiffstreppe eile ich empor und doch im innerlichsten Herzen zögernd; mit geschlossenen Augen über die Meerleiter in die mächtige fürsorgliche Arche. Ein Riesengeier steuert unserm herrlichen Schiffe: Jerusalem zu, ändert jäh seinen Kurs. In meiner Träne verschwimmen am Ufer meine geliebten Freunde. Die Passagiere suchen ihre Kabinen auf; ich aber stehe noch auf Deck, winke den sich bewegenden lebendigen Punkten am Strande des Hafens und dem ferngerückten Heiligen Lande zu, seiner gebenedeiten Stadt Jerusalem.

O, ich lernte an deinem heiligen Munde
Zu viel der Seligkeiten kennen –
Schon fühl ich die Lippen Gabriels
Auf meinem Herzen brennen – –
Und die Nachtwolke trinkt meinen tiefen Cederntraum.

O, wie dein Leben mir winkt . . .
Und ich vergehe mit blühendem Herzeleid –
Verwehe im Weltraum in Zeit und Ewigkeit –
Und meine Seele verglüht in den Abendfarben Jerusalems.

 

Ende

 


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