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Er stand ganz allein, an eine Säule gelehnt, die schwarzen, unsicheren Augen in dem schmalen, gelblichen Gesicht auf das glänzende Bild vor ihm gerichtet. Er sah jüdisch aus, wenn auch nicht mehr, als es die Gesellschaft zur Not verzeiht; seine Rasse verriet sich eher in seiner Figur mit den kurzen Beinen, in seiner Haltung, der Art, wie er die linke Schulter ein wenig hob und das rechte Ohr gesenkt hielt, als ducke er sich noch vor den Peitschenhieben, die seine Vorfahren als Willkomm gewöhnt waren. Der lichtübergossene, in Weiß, Rot und Gold gehaltene Saal der Ressource war dicht gefüllt, bis zur flammenden Bühnenrampe dort unten, – mattweiße Frauenschultern zwischen bunten Uniformen, lichte Seide neben grellen Ordensbändern. Es war Pause. Ein leises, diskretes Raunen, ein zitternder Unterton zu dem wiegenden Walzer des Orchesters, der in heimlich sehnenden Schauern die Augen flimmern ließ, als gäbe es kein Leid, kein Elend auf Gottes weiter Welt ... Er stand ganz allein, verlassen; und während er immer wieder das Bild der Lebensfreude dort vor ihm eintrank, zog sein ganzes Leben, seine dreißig Jahre schattenhaft, wie in wallenden Nebel getaucht, an ihm vorüber.

 

Von seinem Großvater bewahrte er nur eine verschwommene Erinnerung, die kümmerliche, gebeugte Gestalt des strenggläubigen Juden mit der Hakennase im mageren, wachsbleichen Gesicht, mit den tiefliegenden, schwarzen, stechenden Augen, und dem langen gelbweißen Bart; des Alten dürre, von dicken Adern durchzogene, leicht zitternde Hände waren ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Die Zeit, wo jener über Land zog, geduldig, demütig auf ein Geschäft fahndete, das einen kleinen Gewinn versprach, lag lange vor der Geburt des Enkels; und auch das Bild des Großvaters, wie er nach seiner Übersiedelung in die Residenz in der zugigen Einfahrt eines baufälligen Hauses seine alten Schmöker feilhielt, – Riesenstapel, jeder mit einem anderen, bescheidenen Preise versehen, in denen junge Studenten wühlten, um in der Masse des Wertlosen einen guten Griff zu tun, Dienstmädchen auf der Jagd nach schaurigen Geschichten blätterten, Schüler zaghaft nach verbotenen Früchten spähten, – auch dieses Bild hatte der Enkel wohl weniger selbst erblickt, als aus Erzählungen seiner Kinderjahre sich ausgemalt. Aber deutlich sah er noch den kleinen dunklen Laden vor sich, in dem altersgrauen Hause am Markt, wo heute sein eigenes, von ihm erbautes stattliches Geschäftshaus stand, die bis zur Decke ragenden, vollgepfropften Regale, zwischen denen der Greis auf der kleinen Leiter in lautlosen Filzschuhen auf und abstieg, hin und her huschte, mit sicherem Griff beim Schein einer Kerze aus tausenden von Büchern das gesuchte herausgriff und bescheiden hüstelnd hinter dem Ladentisch dem Kunden anbot, – immer scheu, mit unruhigen Händen, als fürchte er noch die Hunde hinter sich, die ihn einst von den Bauernhöfen herabgehetzt hatten. Wie oft hatte der Enkel in diesem Ladentisch, der nach außen ganz, nach hinten bis zur halben Höhe geschlossen war, stundenlang zwischen alten Zeitungsbogen und glattgestrichenen Pappen gekauert; hier hatte er die Wunderwelt der indischen Märchen, hier Sieg und Untergang des letzten der Mohikaner durchlebt, hier unter tausend Gefahren so manchen scheußlichen Lindwurm erlegt, so manche zarte Prinzessin erlöst. Und hier, hinter dem Ladentisch sah er noch heut den Alten liegen, ganz still, mit roten Streifen im langen, gelblichweißen Bart, mitten in den Sielen vom Blutsturz gefällt.

Der Mann an der Säule blickte hoch. Der Saal war jetzt in Schatten getaucht, die Rampenlichter glühten doppelt hell. »Leise, ganz leise ...« schluchzten die Geigen.

Und wieder spann ihn die Vergangenheit ein.

Als nach des Großvaters Tode sein vierzigjähriger Sohn Siegfried das Antiquariat übernahm, hatte der Enkel bereits seit einigen Wochen das Ränzel in die Gemeindeschule getragen. Schon der Alte hatte in den letzten Jahren vor seinem Tode begonnen das Geschäft vorsichtig zum Groß-Antiquariat zu entwickeln, indem er statt einzelner Bücher ganze Restauflagen kaufte und in einzelnen Posten mit gutem Gewinn an die Kleinhändler abgab. Allmählich hatten sich die Beziehungen ausgedehnt; der Sohn war auf die Tour gegangen, die ihn schließlich bis nach Wien und Budapest, nach Holland und Schweden führte. Die Räume wuchsen. Aber noch immer hütete der alte Großvater den ihm liebgewordenen Laden und hauste in dem engen, dunklen Stübchen zum Hof hinaus, wo ihm eine Aufwärterin auf dem Petroleumkocher mittags sein kärgliches Essen kochte und abends auf der alten Chaiselongue mit den zersprungenen Federn das Lager bereitete. Dann heiratete der Sohn; seine Frau, die Tochter eines jüdischen Geschäftsfreundes aus Breslau, eine Waise, brachte ihm ein hübsches Vermögen in die Ehe mit. Das junge Paar bezog die obere Etage des zweistöckigen Hauses über dem Laden. Ein Knabe wurde geboren. Die Jahre kamen und gingen, in Arbeit und Sparsamkeit. Jeder Groschen wurde ängstlich gehütet; und wenn auch Rückschläge nicht ausblieben, Käufe, die die Erwartungen nicht erfüllten, so ging es doch stetig vorwärts. Acht Tage, ehe der Alte starb, wagte der Sohn sich einen weiteren Schritt vorwärts. Er kaufte eine Restauflage, wie schon so oft, diesmal aber mit Verlagsrecht. Es war ein illustriertes Werk über Naturheilkunde, die damals langsam im Volke Boden zu fassen begann. Der Verleger hatte versucht, das Werk in wissenschaftlichen Kreisen einzuführen, – ein Plan, der zu jener Zeit notwendig scheitern mußte. Jetzt faßte Siegfried Cohn, der nunmehrige einzige Inhaber des Antiquariats, die Sache anders an; das Werk wurde in hoher Auflage auf billigem Papier gedruckt und zu geringem Preise unter dem Zugtitel »Jeder sein eigener Arzt!« auf den Markt geworfen. Der Erfolg überstieg die Erwartung, und als ein deutscher Bundesfürst, den die Wissenschaft bereits aufgegeben hatte, sich in seiner Todesangst in die Behandlung des Verfassers begab und dieser ihn noch einige Jahre über Bord hielt, entwickelte sich das Buch zur Goldgrube für den Verleger. Er ließ die neue Firma »Siegfried Cohn, Verlag« in das Handelsregister eintragen, ohne jedoch das Antiquariat ganz aufzugeben. Der kleine Isidor aber siedelte von der Gemeindeschule in das Gymnasium über.

Siegfried Cohn hatte Glück; was er als Verleger anfaßte, wurde zu Gold. Er brachte den ersten billigen Schulatlas – damals etwas ganz Neues – heraus, der glänzend einschlug und sich dank beständiger Verbesserung trotz der rasch aufschießenden Konkurrenz dauernd hielt. Der Verlag begann einen Namen zu bekommen. Siegfried Cohn kaufte das alte Geschäftshaus und begann neue Unternehmungen. Die Jugenderinnerungen wirkten in ihm nach; zu oft hatte er gesehen, wie die Kinder sehnsüchtig auf »Onkel Toms Hütte« im Ladenfenster starrten, wie sie mit fiebernden Augen von ihren Sparpfennigen sich den »Lederstrumpf« kauften, als daß der gereifte Mann den Zauber von Abenteuern und Gefahren auf das jugendliche Gemüt vergessen hätte. Er schuf nach großem, weit angelegten Plan eine Jugendbibliothek, in fortlaufenden Bänden, einer an den andern anknüpfend, die er von anerkannten Zeichnern illustrieren ließ. Schon wenige Jahre darauf schloß sein Kapitalkonto mit hunderttausend Mark ab. Immer wieder witterte er mit der untrüglichen Sicherheit des gewiegten Kaufmanns den Bedarf des Publikums. Er brachte die ersten modernen Kriminalromane zu ganz geringem Preise, bei denen der Riesenabsatz den Gewinn bringen mußte und wirklich brachte. Wie überall die ersten Hunderttausend am schwersten zu verdienen sind, so auch bei Siegfried Cohn. Bald gestattete der wachsende Wohlstand es ihm, eine für damalige Zeiten unerhörte Reklame zu organisieren. Und ganz allmählich wuchs auch die dürftige Lebensführung in den Räumen über dem Laden.

Der kleine Isidor saß jetzt in der Quarta, Seite an Seite mit den Söhnen der ersten Familien der Residenz, des Adels, der Hofgesellschaft. Der schmale, dürftige Judenjunge mit dem blassen Teint und den ängstlichen Augen des Großvaters hatte es nicht leicht: er litt unter der hochmütigen Behandlung seiner Mitschüler, die ihn in einer, Reminiszenz an die biblische Geschichte nur »Lazarus« riefen. Niemand kannte ihn unter anderem Namen; keiner tröstete ihn, als der zwölfjährige Knabe eines Tages plötzlich aus der Schule geholt wurde; denn die Mutter, seine geliebte Mutter lag, von einem heißersehnten Mädchen entbunden, im Sterben und wollte ihren einzigen Jungen noch einmal sehen, über den sie nun nicht mehr die weichen Mutterhände schützend breiten konnte.

Und Isidor, der Mann, der, an die Säule gelehnt, mit nach innen gekehrten Augen in den dunklen Saal blickte, bis zu der lichtüberströmten Bühne, auf der eine junge, magere Freiin eben Chopin tanzte, sah seine Mutter, zwischen Kerzen aufgebahrt in ihrem Sterbehemd, sah sich mit seltsamem Grauen auf ihr liebes und doch so unerklärlich fremdes, scharf gewordenes Gesicht starren.

Die Ehe war ein Liebesbund gewesen, eine echt jüdische Ehe im schönsten Sinne des Wortes. Und Siegfried Cohn verwand den Schlag nie. Sie waren Hand in Hand durch das Leben gegangen, in jener stillen, ganz das Herz erfüllenden Liebe, die zu tief, zu selbstverständlich ist, um nach Ausdruck zu ringen, durch Freud und Leid gegangen in gemeinsamem Streben, sie ratend, helfend, bewahrend, was der Fleiß des Mannes schuf. Der Witwer spann sich in rastlose Arbeit ein, sein Haus ausbauend, den Wohlstand zum Reichtum mehrend; aber die Schwingen seines Frohsinns waren gebrochen. Er wurde ein einsamer Mann. Eine alte Verwandte, Tante Rebekka, übernahm die Führung des Haushalts, die Pflege der neugeborenen Recha. Ein Jahr nach dem anderen verging unmerklich in dem totenstillen Haus, das kaum je ein frohes Kinderlachen hörte. Denn klein Recha war ein leises Kind, das mit den schönen großen Mandelaugen der Jüdin nachdenklich in die Welt sah, als wüßte sie, daß sie den Tod der Mutter verschuldet hatte.

Als Isidor zum zweiten Male in Tertia sitzen blieb, nahm ihn der Vater in das Geschäft. Die Zeiten hatten sich geändert. Gewaltige Keller bargen das Lager, zwanzig Gehilfen arbeiteten an ihren Pulten, schrieben, buchten, rechneten. Der Jahresumsatz betrug mehr als zweimalhunderttausend Mark.

Siegfried Cohn wußte, weshalb er seinen Sohn aus der Schule nahm. Daß der Junge für Latein, Griechisch und Mathematik absolut keinen Sinn hatte, hätte ihn nicht dazu bewogen. Aber der tiefere Grund, weshalb Isidor so versagte, war für ihn entscheidend; er sah, daß der Knabe innerlich zu weich, zu zerrissen war, daß er sich haltlos treiben ließ, wo es galt, das Leben zu meistern, an der Schule krankte, weil ihm die Schule den festen Boden unter den Füßen fortnahm. Und das Vaterauge täuschte sich nicht. Der »Lazarus«, der in den ersten Jahren seiner Schulzeit, solange der alte Großvater noch lebte, am Sabbath vom Schreiben dispensiert wurde, trug in den Mauern des Gymnasiums unter der selbstbewußten Schar seiner Genossen das Brandmal des Judentums. Kinder sind unversöhnlich, grausam; in ihrem Kreise lernte er seinen Glauben als eine eiserne Kugel empfinden, die er am Fuße nach sich schleppte, die ihn dem Hohn seiner Kameraden hilflos aussetzte. Sobald er aber daheim die Schwelle überschritt, lastete wie ein Bann der Geist des Vaters auf ihm, der seinen Glauben wie ein Adelsschild vor sich hertrug, für den es nur ein Bekenntnis, nur eine reine, geheiligte Lehre gab, die des auserwählten Volkes, überkommen von den Vätern, hochgehalten durch Jammer und Schmach der Jahrhunderte, geweiht durch den Segen, den Jehovas Hand über die Seinen ergoß. Und an dem schüchternen Widerstand, den verhaltenen Zweifeln seines jungen Sohnes empfand er, daß diese Lehre, auf der Großvater und Vater ihr Haus gebaut hatten, in dem Knaben wankte, daß fremde, böse Einflüsse über ihn Macht gewannen. Vergebens hatte der Vater schon längst den Sohn für das praktische Leben zu retten gesucht. Kamen die Ferien, so mußte Isidor von früh um acht Uhr sich im Geschäft nützlich machen, Adressen schreiben, Briefe und Skripturen ordnen, Pakete austragen. Wie oft schlich der Knabe mit seiner Last auf der Schulter vorsichtig die Straßen entlang, ängstlich nach seinen vornehmen Schulgenossen ausspähend, jeden Augenblick zum Sprunge bereit, um sich in einem Hausflur zu verbergen! Und ein tiefer Groll gegen den Vater, der ihm den Sonnenschein der Jugend nahm, ihn auf offener Straße demütigte, kochte in ihm auf. Was wußte der Knabe von zehn und mehr Jahren von dem Segen, der in der Arbeit »von der Pike auf« liegt, was von der Sorge des Vaters, ihn für die Zukunft zu stählen, ihn, den künftigen Erben einer angesehenen Firma, eines Vermögens, das zwei Generationen mühsam zusammengespart hatten?

Widerwillig ertrug er die harte Lehrzeit im väterlichen Geschäft. Dann ging er ins Ausland, mit knappem Wechsel, oft in Not. Er wagte nicht um mehr nach Haus zu schreiben, obwohl das Leben in London so teuer war. Nie vergaß er, wie er in wahnsinnigen Schmerzen mit einer Zahnfistel herumgelaufen war, weil er das Geld nicht hatte, zum Arzt zu gehen. Tagsüber hielt ihn die Pflicht in dem großen Verlagshause am Ludgate Hill, dicht neben der marmorgrauen St. Paulskirche fest; am Abend saß er in dem unfreundlichen Boardinghouse zwischen all den flotten jungen Männlein und Weiblein, die Bakkarat spielten und flirteten, ohne sich um den kleinen deutschen Juden dort in der Ecke zu kümmern, der unter, dem Dache sein Stübchen hatte und dem seine bescheidenen Mittel keine solche Extravaganzen gestatteten. Und ähnlich war es in Paris, in dem Sortiment der Rue de Richelieu und in seiner, engen, hochgelegenen Klause am Boul' Mich'; der junge, scheue Mensch hatte es nicht gewagt, sich mitten in den Strom des fremden Lebens zu werfen, soweit sein Geldbeutel es überhaupt erlaubte; kein blondes sweetheart, keine niedliche Midinette hatte ihm jemals die frischen roten Lippen geboten ...

Stimmen hinter der Säule, an der er lehnte, schreckten ihn auf.

»Hören Sie mal, Berner, mein alter Freund, die fünfhundert müssen Sie schon noch lose machen. Davor rettet Sie kein Gott. Tante Thekla ist höllisch im Schwindel; die Harpyien der Barmherzigkeit haben sich mit dem Rummel hier mächtig verkalkuliert.«

»Aber Herr Graf,« antwortete eine belegte Stimme, »ich bin wahrhaftig selbst im Druck. Mein Wohltätigkeitskonto ist dieses Jahr schon mit über fünftausend Mark belastet. Können Herr Graf nicht einmal einen anderen beglücken?«

Isidor Cohn bog sich vorsichtig vor. Es hatte ihn förmig durchrieselt; ein Graf, ein echter, Graf, eines der Sonnenkinder, denen das Glück lächelnd des Lebens Krone in die Wiege gelegt!

Schon in seinen Schuljahren hatte Isidor mit jungen Grafensöhnen auf einer Bank gesessen, aber damals hatte er die Bedeutung dieser Erwählten, Auserlesenen noch nicht zu würdigen gewußt.

Ein riesiger Kürassier, auf dem Koller das Kreuz des Johanniters, die Brust voller Orden, viel zu groß, um seine Charge auf den Epauletts erkennen zu lassen, stand vor einem untersetzten Zivilisten mit feistem, roten Gesicht. Der Offizier sah behäbig auf ihn herab; die mächtigen Schenkel breit gespreizt, den Pallasch vor sich auf den Boden gestemmt, bot er ein Bild überlegener Ruhe, während der Zivilist aufgeregt vor ihm hin und her trat und sich immer wieder, entschuldigte.

»Mensch,« brummte der Graf ärgerlich, »Handeln Sie doch nicht wie ein elender Schnorrer um lausige fünf blaue Lappen! Ja oder nein?«

»Wollen Herr Graf mir bis morgen Zeit geben, – bis morgen früh um zehn? Ich läute den Herrn Grafen dann an. Wahrhaftigen Gott, – was gemacht werden kann, mach' ich, – mein Wort darauf ... Mein Wort darauf!« fügte er, noch einmal eilig hinzu.

Das Orchester hinten im Saal setzte mit voller Wucht ein. Isidor Cohns Augen hingen verzückt an der gewaltigen, bärenmäßigen Figur des Kürassiers. Wieder lebte der Traum seiner Kindheit in ihm auf, die unerfüllbare Hoffnung, nur ein einziges Mal in Waffenrock und Helm, den klirrenden Säbel an der Seite, sich sehen zu dürfen. Noch heute knirschte er mit den Zähnen, wenn er an den Augenblick seiner Gestellung dachte. Ein Oberarzt fragte ihn während der Untersuchung nach seinem Beruf und sagte dann lachend: »Seien Sie froh, daß Sie sich nicht mit Ihrer Muskeln Kraft ernähren müssen!« Und als ihn ein höherer Arzt von oben bis unten gemustert, hatte er unter lauter Heiterkeit der Anwesenden höhnisch bemerkt: »Nein, mein Lieber, so sehr ist unsere Armee denn doch noch nicht auf den Hund, als daß wir solche Exemplare nehmen müßten!« Auch ein Geschenk seines Elternhauses, ein Erbteil seiner Rasse ...

Die Aufmerksamkeit des Offiziers wurde durch Isidors Blick, der sich förmlich in ihn hineinbohrte, auf diesen gelenkt, – graue, kühle, souveräne Augen unter buschigen Brauen, die überlegen an der Gestalt des schmächtigen Mannes hinabglitten.

Isidor wandte sich erschrocken ab.

Geld wollte der Graf von jenem da, Geld für Wohltätigkeitszwecke. »Lieber Berner,« hatte der Graf zu ihm gesagt. Isidor wußte, daß es eine größere Brauerei dieses Namens in der Stadt gab. Was musterte der Graf ihn selbst so kalt und abweisend? Und warum sagte er zu dem anderen, von dem er etwas erhoffte: »Lieber Berner?« Er, Isidor, hatte genug Geld, Geld in Hülle und Fülle! War er nicht ebenso reich, als dieser Bierbrauer, dessen Vater selbst noch auf dem Kutschbock seine Fässer ausgefahren hatte? Stand sein Verlag nicht festgefügt, jedem Sturm gewachsen? Das wußte der vornehme Offizier nicht. Und wenn er es wüßte, würde er auch zu ihm »Lieber Cohn« sagen?

* * *

 


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