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Herrn Haller, Prof. der Medizin in Göttingen. Albrecht von Haller 1708 in Bern geboren und befleißigte sich, von ungewöhnlichen Geisteskräften unterstützt, sowohl der Dichtkunst als der Medizin. 1729 ward er Arzt in Bern, 1736 Professor in Göttingen und 1749 in den Reichsadelstand erhoben.
Es ist keine Zueignungsschrift, die ich hier an Sie richte; Sie sind über alles Lob erhaben, das ich Ihnen ertheilen könnte, und ich weiß nichts Unnützeres und Faderes als eine sogenannte akademische Rede. Auch will ich keine Auseinandersetzung der neuen Methode bringen, die ich befolgt habe, um einen oft wiederholten und erschöpften Gegenstand wieder aufzunehmen. Sie werden dieses Verdienst wenigstens selbst herausfinden und im Uebrigen beurtheilen, ob Ihr Schüler und Freund seine Lehrzeit wohl verwendet hat. Nur von dem Vergnügen will ich reden, das ich bei Abfassung dieses Werkes empfunden, mich selbst, nicht mein Buch Ihnen weihen, um mich über die Beschaffenheit jenes erhabenen Wohlgefühls aufzuklären, welches die Forschung gewährt. Dies ist der Gegenstand meines Vorworts. Ich wäre nicht der erste Schriftsteller, der, weil er nichts zu sagen weiß und der Unfruchtbarkeit seiner Phantasie zu Hilfe kommen möchte, ein Thema wählt, bei dem es niemals derselben bedurft hat. Sagen Sie mir also, Apollo's zwiefacher Sohn, berühmter Schweizer und moderner Zertrümmerer, die Sie Alles zugleich verstehn: die Natur zu messen und, was noch mehr ist, sie zu empfinden, ja sogar sie auszudrücken; sagen Sie mir, gelehrter Arzt und noch größerer Dichter, durch welchen Zauber das Studium Stunden in Augenblicke verwandeln kann: erklären Sie mir das Wesen dieser Geistesvergnügungen, die sich von den gewöhnlichen so sehr unterscheiden ... Aber die Lectüre Ihrer eigenen reizenden Dichtungen hat mich selbst damit zu sehr erfüllt, als daß ich nicht versuchen sollte zu sagen, was sie mir eingeflößt haben. Der Mensch hat, unter einem solchen Gesichtspunkt betrachtet, nichts meinem Gegenstände Fremdartiges.
Die Wollust der Sinne, so lieblich und begehrt sie sein mag, so viel Lob ihr auch die offenbar ebenso dankbare als feine Feder eines jungen französischen Arztes ertheilt hat, gewährt nur einen einzigen Genuß, der zugleich ihr Grab ist. Wenn ihn das völlige Vergnügen nicht ganz und gar tödtet, so bedarf er doch einer gewissen Zeit, um wiederzuerwachen. Wie ganz anders die Quellen der geistigen Vergnügungen! Je näher man der Wahrheit kommt, desto reizender findet man sie. Ihr Genuß vermehrt nicht nur das Verlangen, sondern man genießt schon, sobald man zu gemessen strebt. Man genießt lange und doch rascher als der Blitz vorüberfährt. Darf man sich auch wundern, daß das Vergnügen des Geistes dem der Sinne in gleichem Masse überlegen ist, als der Geist dem Körper? Ist nicht der Geist der oberste Sinn, der Sammelplatz aller Wahrnehmungen? Münden sie nicht alle in ihn, wie Strahlen in einen Mittelpunkt, der sie hervorbringt? Suchen wir also nicht länger den unwiderstehlichen Zauber, durch welchen ein Herz, welches die Liebe zur Wahrheit entflammt, sich plötzlich gleichsam in eine schönere Welt versetzt fühlt, wo es Götterfreuden schmeckt. Von allen Anziehungen der Natur ist die stärkste, wenigstens für uns beide, mein lieber Haller, die der Philosophie. Welch schönem Ruhm giebt es, als in ihren Tempel durch die Vernunft und die Weisheit geführt zu werden! Welche ehrenvollere Eroberung, als sieh alle Geister zu unterwerfen!
Lassen wir an uns vorüberziehn alle Gegenstände jener Freuden, die den gemeinen Seelen unbekannt sind. Wie schön und umfassend sind sie! Zeit, Raum und Unendlichkeit, Erde, Meer und Firmament, alle Künste und Wissenschaften geben ihren Beitrag zu dieser Art von Genuß. Ihm genügt nicht die enge Schranke dieser Welt, er ersinnt sich Millionen andere. Die ganze Natur ist seine Nahrung und die Phantasie sein Triumph. Betrachten wir Einzelnes.
Bald ist es die Dichtkunst oder die Malerei, bald die Musik oder die Baukunst, der Gesang, der Tanz u.s.w., welche dem Kenner entzückende Freuden bereiten. Siehe dort die Delbar (Piron's Frau) in einer Opernloge; abwechselnd bleich und roth schlägt sie mit Rebel den Takt, geräth mit Roland in Wuth und wird gerührt mit Iphigenien. Alle Eindrücke des Orchesters zeichnen sich auf ihrem Antlitze, wie auf Leinwand. Ihre Augen besänftigen sich und ersterben, lachen und bewaffnen sich mit kriegerischem Muthe. Man hält sie für närrisch. Aber sie ist es nicht, man müßte denn Empfinden des Vergnügens Narrheit nennen. Sie ist nur von tausend Schönheiten durchdrungen, die mir entgehn.
Voltaire vermag sich bei seiner Merope der Thränen nicht zu enthalten; weil er sowohl des Werkes als der Künstlerin Werth zu ermessen weiß. Sie haben seine Schriften gelesen, während er zu seinem Unglück die Ihrigen nicht zu lesen im Stande ist. In wessen Händen und Gedächtniß findet sie sich nicht? Wessen Herz wäre so hart, von ihnen nicht gerührt zu werden, und wie sollte sich sein Geschmack nicht Anderen mittheilen? Er spricht mit Entzücken hiervon.
Wenn ein großer Maler – ich habe es erst jüngst mit Vergnügen bemerkt, als ich die Vorrede zum Richardson las – von der Malerei spricht, wie großes Lob ertheilt er ihr nicht! Er betet seine Kunst an, er setzt sie über Alles und zweifelt beinahe, daß man glücklich sein könne ohne Maler zu sein. So sehr ist er von seiner Kunst bezaubert.
Wer hat nicht eine ähnliche Empfindung des Glückes wie Skaliger oder der ältere Malebranche verspürt, wenn er schöne Stellen aus griechischen, englischen oder französischen Tragikern oder gewisse philosophische Werke las? Die Dacier hatte nie auf das gerechnet, was ihr Gatte ihr versprach, und sie fand hundertmal mehr. Wenn man schon eine Art Begeisterung beim Uebersetzen und Entwickeln der Gedanken Anderer empfindet, was dann erst, wenn man selbst denkt? Was bietet dann jenes Hervorbringen und Erzeugen von Ideen, welche durch den Geschmack an der Natur und durch das Forschen nach Wahrheit erweckt werden? Wie soll man jenen Akt des Willens oder des Gedächtnisses beschreiben, durch welchen die Seele sich gewissermaaßen auf's Neue schafft, indem sie eine Idee mit der Spur einer ähnlichen verbindet, damit aus ihrer Uebereinstimmung und Verknüpfung eine dritte sich bilde? Denn wunderbar ist die Schöpfungsweise der Natur. Sie ist so gleichförmig, daß ihre Gebilde fast alle auf dieselbe Art entstehen.
Die Vergnügungen der Sinne verlieren, wenn sie ohne Zucht bleiben, ihre ganze Lebendigkeit und sind dann keine Vergnügungen mehr. Hierin gleichen ihnen die Freuden des Geistes bis auf einen gewissen Grad. Auch sie muß man zeitweise aussetzen, um sie zu kräftigen. Mit einem Wort: die wissenschaftliche Forschung hat ihre Höhepunkte wie die Liebe. Auch den Geist ergreift in solchen Augenblicken, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine Starrheit und Regungslosigkeit, bei welcher ihn der Gegenstand, der ihn erfaßt und entzückt, so wonnetrunken macht, daß er in Gedanken von seinem eignen Körper und von Allem, was ihn umgibt, losgelöst scheint, um ganz und gar dem anzugehören, was er verfolgt. Durch vieles Empfinden empfindet er nichts. So groß ist das Vergnügen, welches man hat, wenn man die Wahrheit sucht oder findet. Von der Macht ihrer Reize gibt uns die Extase des Archimedes ein Beispiel; bekanntlich kostete sie ihm das Leben.
Mögen die andern Menschen sich in das Gewühl stürzen, um sich nicht kennen zu lernen oder um sich gar zu hassen: der Weise flieht die große Welt und sucht die Einsamkeit. Warum gefällt er sich nur, wenn er mit sich oder mit seines Gleichen allein ist? Weil er in seiner Seele einen treuen Spiegel besitzt, in welchem seine gerechte Selbstliebe ihre Rechnung durch Selbstbetrachtung findet. Wer tugendhaft ist, hat von seiner Selbsterkenntniß keine andere Gefahr zu fürchten, als die angenehme, daß er sich lieben lernt.
Wie in den Augen eines Menschen, der die Erde von der Höhe des Himmels aus betrachtet, alle Größe der übrigen Menschen verschwinden, die stolzesten Paläste sich in Hütten wandeln und die stärksten Armeen einem Ameisenhaufen gleichen würden, der sich mit der lächerlichsten Wuth im Kampfe um ein Getreidekörnchen befindet, so erscheinen die Dinge einem Weisen, wie Sie es sind. Er lacht über die eiteln Bemühungen der Menschen, wenn sie durch ihre Menge die Erde versperren und sich um ein Nichts, das mit Recht keinen von ihnen befriedigt, drängen und stoßen.
Wie erhaben tritt Pope in seinem Versuche über den Menschen auf. Wie klein erscheinen vor ihm die Grossen, die Könige. Sie, mein Lehrer und noch mehr mein Freund, der von der Natur dieselbe Kraft des Geistes erhalten aber nicht gebraucht hat und ob seiner Undankbarkeit nicht verdiente, einen so hohen Rang in der Wissenschaft einzunehmen, Sie lehrten mich, gleich jenem großen Dichter zu lachen oder zu seufzen über das Spielwerk und die Kleinigkeiten, welche die Monarchen so ernstlich beschäftigen. Ihnen allein verdanke ich all mein Glück. Nein, die Eroberung der ganzen Welt wiegt das Vergnügen nicht auf, welches der Philosoph in seinem Cabinet empfindet, wenn er von seinen stummen Freunden umgeben ist, die ihm Alles sagen, was er zu hören wünscht. Möge mir Gott nur das Unentbehrliche und die Gesundheit lassen, das ist Alles, was ich von ihm verlange. Mit der Gesundheit wird mein Herz ohne Widerwillen das Leben lieben; mit dem Unentbehrlichen wird mein Geist stets zufrieden die Weisheit pflegen.
Ja, das Studium ist ein Vergnügen jedes Alters, jedes Ortes, jeder Jahreszeit und jedes Augenblickes. In wem hat Cicero nicht die Lust nach solch beglückender Erfahrung angefacht? Eine Unterhaltung in der Jugend, mäßigt es die aufbrausenden Leidenschaften, und um es recht zu genießen, sah ich mich manchmal veranlaßt, der Liebe zu opfern. Denn die Liebe flößt dem Weisen keine Furcht ein: sie weiß Alles zu verbinden und eins durch das andere zur Geltung zu bringen. Die Wolken, welche seinen Verstand umnebeln, machen ihn nicht träge, weisen ihn nur auf jenes Mittel hin, sie zu zerstreuen – und wahrlich, nicht schneller kann die Sonne die Wolken der Luft entfernen.
Im Alter, in jener Zeit der Erstarrung, wo man andere Vergnügungen weder zu bieten noch zu empfangen vermag, welch reiche Quelle ist dann die Lectüre und das Nachdenken! Welcher Genuß, alltäglich unter seinen Augen und Händen ein Werk heranwachsen und sich bilden zu sehen, welches einst künftige Jahrhunderte und noch die eigenen Zeitgenossen entzücken wird! »Ich wollte, so bemerkte einst Jemand, dessen Ehrgeiz sich auf die schriftstellerische Laufbahn zu werfen begann, ich wollte gern mein Leben damit zubringen, daß ich von meinem Hause zum Drucker hin und her ginge.« Hatte er Unrecht? Und erwirbt man Lob, – welche zärtliche Mutter kann denn mehr Freude darüber empfinden, daß sie ein liebliches Kind geboren?
Aber wozu noch die Genüsse des Studiums preisen? Weiß doch Jeder, daß es ein Gut ist, welches den Widerwillen oder die Unruhe anderer Besitzthümer nicht in seinem Gefolge hat, daß es ein unerschöpflicher Schatz ist, der das sicherste Gegengift der grausamen Langeweile bildet, der mit uns geht und mit uns in die Ferne zieht, mit einem Worte uns überallhin folgt. Glücklich, wer die Kette aller Vorurtheile zerbrochen hat; denn er allein wird dieses Vergnügen in seiner ganzen Reinheit kosten. Er allein wird die süße Ruhe des Geistes, jene volle Zufriedenheit einer starken Seele, die ohne Ehrgeiz ist, genießen, die das Glück erzeugt oder vielmehr das wahre Glück selbst ist.
Verweilen wir einen Augenblick, um Blumen zu streuen auf die Spuren jener großen Männer, welche Minerva gleich Ihnen mit unsterblichem Lorber bekränzt hat. Hier steht Flora, welche uns einladet mit Linné auf neuen Pfaden die Eisgipfel der Alpen zu besteigen, um hier am Fuße eines anderen Schneegebirges einen Garten zu bewundern, den die Hände der Natur gepflanzt haben und der einst das ganze Erbe des berühmten schwedischen Professors war. Von da steigen wir in jene Auen, deren Blumen ihn erwarten, um sich in eine Ordnung zu reihen, die sie bis dahin verschmäht zu haben schienen.
Dort sehe ich Maupertuis, den Ruhm der französischen Nation, den eine andre zu genießen das Verdienst hat. Er erhebt sich vom Mahle eines Freundes, welcher der größte unter den Königen ist. Wohin geht er? Vom Rathe des Königs in den der Naturforscher, wo ihn Newton erwartet.
Was soll ich vom Chemiker, vom Geometer, vom Physiker und Mechaniker, vom Anatomen u.s.w. sagen? Der letztere hat fast so viel Vergnügen beim Untersuchen des Todten, als der Erzeuger beim Verleihen des Lebens.
Aber alles tritt zurück vor der großen Heilkunst. Der Arzt ist der einzige Philosoph, der sich um sein Vaterland verdient macht, wie man längst vor mir gesagt hat: er erscheint wie Hellenen's Brüder im Sturm des Lebens. Welcher Zauber, welch Entzücken! Schon sein Anblick beruhigt das Blut, giebt der erregten Seele den Frieden wieder und läßt aufs Neue die süße Hoffnung im Herzen der unglücklichen Sterblichen erblühn. Er verkündet Leben und Tod, wie der Sternkundige die Sonnenfinsterniß. Jeder hat seine Lebensfackel, die ihn erhellt. Aber wenn der Geist das Vergnügen genießt, die Regeln aufzufinden, die ihn lenken, welcher Triumph für ihn – wie Sie dies alltäglich zu erfahren so glücklich sind – wenn die Thatsache seine Kühnheit bestätigt.
Der erste Nutzen der Wissenschaften besteht daher in ihrer Pflege selbst; sie ist allein schon ein reelles und solides Gut. Glücklich, wer Geschmack findet am Studium; glücklicher, wem es gelingt, durch dasselbe seinen Geist von Täuschungen und sein Herz von Eitelkeit zu befreien. Sie sind zu diesem wünschenswerthen Ziele in einem noch zarten Alter von den Händen der Weisheit geführt worden, während so viele Pedanten nach einem halben Jahrhundert von Nachtwachen und Arbeiten, gebeugter unter der Bürde der Vorurtheile als unter derjenigen der Zeit, Alles, nur nicht das Denken, gelernt zu haben scheinen. Das ist führwahr eine seltene Kenntniß, besonders unter den Gelehrten, während sie doch wenigstens die Frucht aller übrigen Kenntnisse sein sollte. Ihrer allein habe ich mich seit meiner Kindheit befleißigt. Mögen Sie, mein Herr, beurtheilen, ob es mir gelungen, und mögen Sie dieses Zeugniß meiner Freundschaft stets der Ihrigen werth erachten.