Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Weise begnügt sich nicht mit dem Studium der Natur und der Wahrheit; – er wagt es auch, letztere auszusprechen um der kleinen Zahl von Menschen willen, welche denken wollen und können, ohne Rücksicht auf die große Menge der Sklaven des Vorurtheils, welche ebenso wenig an sie heranzureichen vermögen, als es den Fröschen zu fliegen vergönnt ist.
Die philosophischen Systeme über die Seele des Menschen lassen sich auf das ältere System des Materialismus und das System des Spiritualismus zurückführen.
Die Metaphysiker, welche der Materie die Befähigung zu denken beizulegen genöthigt gewesen sind, haben sich nichts Unvernünftiges zu Schulden kommen lassen. Warum? Weil sie in dem Vortheile sich befinden (denn ein Vortheil ist es in diesem Falle) sich blos falsch ausgedrückt zu haben. In der That, wenn man fragt, ob die Materie denken kann, ohne sie von einem anderen Gesichtspunkte als dem der ihr innewohnenden Eigenschaften zu betrachten, – so könnte man eben so gut fragen ob die Materie es ist, welche die Stunden zu bezeichnen vermag. Man sieht im Voraus, daß wir jene Klippe vermeiden werden, an welcher Locke zu scheitern das Unglück gehabt hat.
Die Leibnitzianer, mit ihren Monaden, haben eine unverständliche Hypothese aufgestellt. Sie haben die Materie eher vergeistigt, als aus der Seele etwas Materielles gemacht. Wie kann man auch etwas definiren wollen, von dessen Natur man absolut keine Wissenschaft hat?
Descartes und alle Cartesianer, zu denen man seit lange auch die Malebranchisten zählt, haben denselben Fehler gemacht. Sie haben zwei genau zu unterscheidende Substanzen in dem Menschen angenommen, als ob sie solche gesehen und richtig gezählt hätten.
Die Klügsten haben gemeint, daß die Seele einzig und allein mit der Fackel des Glaubens erkannt werden könne; jedoch als vernünftige Wesen haben sie das Recht der Prüfung sieh darüber vorbehalten zu können geglaubt, was die heilige Schrift mit dem Worte »Geist« hat sagen wollen, welches sie gebraucht, wenn sie von der menschlichen Seele redet. Sie sind freilich bei ihren Untersuchungen mit den Theologen nicht zu gleicher Meinung über diesen Punkt gelangt; – aber sind denn die Theologen unter sich von größerer Einigkeit über alle die anderen Punkte?
Ich will kurz das Resultat aller ihrer Erwägungen andeuten:
Wenn es einen Gott giebt, so ist er der Urheber der Natur wie der Offenbarung. Er hat uns die eine gegeben, um die andere damit zu erklären, und es ist Aufgabe der uns außerdem verliehenen Vernunft, Natur und Offenbarung mit einander in Einklang zu bringen.
Es hieße die Natur und die Offenbarung für zwei sich zerstörende Gegensätze halten, wollte man den aus beseelten Körpern zu schöpfenden Erkenntnissen nicht trauen. Man kann doch nicht die abgeschmackte Behauptung wagen, daß Gott in seinen verschiedenen Werken sich widerspricht und uns betrügt.
Wenn es eine Offenbarung giebt, kann diese also die Natur nicht verwerfen. Durch die Natur allein kann man den Sinn der Worte des Evangeliums, dessen wahrhafte Ansiegerin allein die Erfahrung ist, enträthseln. In der That haben die anderen Commentatoren bis dahin die Wahrheit nur verwirrt. Wir wollen hierüber durch den Autor des »Schauspiels der Natur« uns gleich ein Urtheil bilden: »Es ist erstaunlich«, sagt er (über Locke), »daß ein Mensch, welcher von der Seele die herabwürdigende Meinung hat, daß sie aus Koth bestehe, die Vernunft zum Richter und unumschränkten Ausleger der Mysterien des Glaubens einzusetzen wagt; denn welche wunderbare Vorstellung müßte man vom Christenthum haben, wenn man der Vernunft über dasselbe Gehör geben wollte?« Abgesehen davon, daß diese Erwägungen in Bezug auf den Glauben keine Aufhellung gewähren, bilden sie so frivole Einwendungen gegen die Methode derjenigen, welche die heiligen Bücher glauben auslegen zu können, daß ich mich beinahe schäme mit ihrer Widerlegung die Zeit zu verlieren.
Das Hervorragende der Vernunft hängt nicht von einem großen sinnlosen Worte ab (ihrer Unkörperlichkeit nehmlich), sondern von ihrer Gewalt, ihrer Ausdehnung oder ihrer Scharfsichtigkeit. Wenn demnach eine Seele aus Koth augenblicklich alle die Beziehungen und den Zusammenhang einer unendlichen Menge schwer erfaßbarer Gedanken zu begreifen vermag, so würde sie augenscheinlich einer thörichten und dummen Seele, wäre diese auch aus den köstlichsten Stoffen gemacht, vorzuziehen sein. Das macht noch keinen Philosophen, mit Plinius über das Erbärmliche unseres Ursprungs zu erröthen. Das, was hier gering erscheint, ist gar sehr kostbar; – scheint doch die Natur darauf ihre größte Kunst und die meisten Apparate verwendet zu haben. Aber wie der Mensch, selbst wenn sein Ursprung aus einer dem Anscheine nach noch trüberen Quelle herzuleiten wäre, nichtsdestoweniger das vollkommenste aller Wesen sein würde – gleich viel, woher seine Seele käme, so ist eine Seele, welche rein, edel und erhaben ist, als schöne Seele zu bezeichnen, als eine Seele, welche denjenigen achtungswerth macht, der mit ihr ausgestattet.
Die zweite Folgerungsweise von Pluche scheint mir schon im System fehlerhaft, welches dem Fanatismus sehr nahe kommt; denn wenn wir uns in die Vorstellung eines Glaubens hineindenken können, welcher mit den klarsten Principien, mit den unwiderleglichsten Wahrheiten in Widerspruch steht, – so müssen wir zur Ehre der Offenbarung und ihres Urhebers glauben, daß diese Vorstellung falsch ist und daß wir noch nicht den Sinn der Worte des Evangeliums kennen.
Von zwei Dingen ist nur das eine möglich; entweder Alles ist Täuschung, sowohl die Natur selbst, als auch die Offenbarung, oder es kann nur die Erfahrung über den Glauben Auskunft ertheilen. Aber was giebt es Lächerlicheres als die Meinung unseres Autors? Mir däucht, daß ich einen Peripatetiker höre, welcher sagt: »Man darf an die Erfahrung von Toricelli nicht glauben; denn wenn wir an sie glauben, wenn wir den Abscheu vor der Leere im Raume ablegen wollten, welche wunderbare Philosophie müßten wir dann haben?«
Ich habe gezeigt, wie falsch Pluche urtheilt, Er sündigt augenscheinlich durch eine Petitio principii. um zunächst zu beweisen, daß, wenn es eine Offenbarung giebt, sie nicht hinlänglich durch die bloße kirchliche Autorität und ohne Prüfung der Vernunft dargethan ist, wie alle diejenigen behaupten, welche letztere fürchten; – dann aber auch, um die Methode derjenigen vor aller Anfechtung zu sichern, welche den Weg, den ich ihnen, vorzeichne, betreten möchten, nehmlich die Auslegung übernatürlicher, an sich unbegreiflicher Dinge an die Einsicht, welche Jedem von der Natur verliehen ist, zu knüpfen.
Die Erfahrung und die Beobachtung müssen in dieser Beziehung uns hier allein zu Führern dienen. Diese sind in unzähliger Menge in den Jahrbüchern der Aerzte zu finden, welche Philosophen gewesen sind, und nicht etwa bei den Philosophen, welche nicht zugleich Aerzte gewesen sind. Jene haben das Labyrinth des Menschen durchwandert und aufgeklärt; sie allein haben uns jene Triebfedern enthüllt, welche unter Bedeckungen, die unseren Augen soviel Wunder entziehen, verborgen sind; jene allein, in ruhige Betrachtung unserer Seele versenkt, haben sie sowohl in ihrer Erbärmlichkeit, als in ihrer Größe tausendmal überrascht ohne sie in dem einen dieser Zustände mehr zu verachten, als in dem anderen zu bewundern. Noch einmal, die Naturforscher allein sind es, welche ein Recht haben, hier mitzusprechen. Was sollten uns die Anderen sagen und besonders die Theologen? Ist es nicht lächerlich, sie ohne Scheu über einen Gegenstand entscheiden zu hören, welchen sie nicht in der Lage gewesen sind kennen zu lernen? Sie waren ja im Gegentheil gänzlich von trüben Studien, die sie zu tausend Vorurtheilen hingeleitet haben, abgelenkt, sie waren, um Alles mit einem Worte auszudrücken, dem Fanatismus anheimgefallen, welcher ihrer Unwissenheit in Betreff des körperlichen Mechanismus noch außerdem Vorschub leistet. Aber obschon wir die besten Führer gewählt haben, werden wir noch viel Dornen und Widerwärtigkeiten in dieser Laufbahn finden.
Der Mensch ist eine Maschine, welche so zusammengesetzt ist, daß es unmöglich ist, sich zunächst von ihr eine deutliche Vorstellung zu machen und folglich sie zu definiren. Deßhalb sind alle Untersuchungen theoretischer Natur, welche die größten Philosophen angestellt haben, das heißt, indem sie gewissermaaßen auf den Flügeln des Geistes vorzugehen versuchten, vergeblich gewesen. Also kann man nur practisch, oder durch einen Versuch der Zergliederung der Seele, nach Art der Aufklärung über die körperlichen Organe, ich will nicht sagen mit Sicherheit die Natur des Menschen enträthseln, aber doch wenigstens den möglichst höchsten Grad von Wahrscheinlichkeit über diesen Gegenstand erreichen.
Ergreifen wir also den leitenden Stab der Erfahrung und lassen wir die Geschichte aller eitlen Ansichten der Philosophen unberührt auf sich beruhen. Wenn man blind ist und doch glaubt, man könne sich ohne diesen Stab begehen, so ist das der höchste Grad der Verbendung. Wie sehr Recht hat doch ein Neuerer, der da sagt, daß nur die Eitelkeit allein aus den folgenden Ursachen nicht denselben Nutzen zieht als aus den ersten!
Man kann und man muß alle jene schönen Geister selbst in ihren nutzlosesten Arbeiten bewundern, Descartes, Malebranche, Leibnitz, Wolf etc., aber welchen Vortheil hat man aus ihren tiefen Gedanken und aus allen ihren Werken zu ziehen vermocht? Beginnen wir also und sehen wir uns an, nicht das, was man gedacht hat, sondern das, was man um der Ruhe des Lebens willen denken muß.
Soviel Temperamente es giebt, ebenso viele verschiedene Geister, Charaktere und Sitten kann man aufzählen. Galenus sogar hat diese Wahrheit gekannt, welche Descartes und nicht Hippokrates, wie der Verfasser der Geschichte der Seele meint, soweit getrieben hat, daß er die Medicin allein für fähig hält, die Geister und die Sitten mit dem Körper verändern zu können. Wahr ist es, daß das melancholische, das cholerische, das phlegmatische und sanguinische Temperament je nach der Beschaffenheit, dem Reichtum und der verschiedenen Anordnung der Säfte aus jedem Menschen einen verschiedenen machen. Während der Krankheiten verdunkelt sich entweder die Seele und zeigt kein Zeichen ihres Daseins, in einem anderen Falle möchte man meinen, daß sie verdoppelt sei, so heftig wird sie im Zustande der Wuth erregt; in einem noch anderen Falle verliert sich der Schwachsinn und die Wiedergenesung gestaltet aus einem Blödsinnigen einen vernünftigen Menschen.
Endlich aber kann der schönste Geist verdummen und ist nicht wieder zu erkennen; denn dahin sind die mit so großem Aufwand, mit so vieler Mühe erlangten schönen Kenntnisse! Hier ist ein Gelähmter, welcher fragt, ob sein Bein in seinem Bette sei. Dort ist ein Soldat, welcher sich im Besitze des Armes wähnt, welchen man ihm abgeschnitten hat. Das Andenken an seine gewohnten Empfindungen und an den Ort, an welchen seine Seele sie hinversetzte, bringt seine Täuschung und diese Art von Phantasie zu Wege. Es genügt eine Bemerkung über das ihm fehlende Glied, um ihn an alle Bewegungen desselben zu erinnern und sie ihn fühlen zu lassen, wobei die Vorstellung in das unaussprechlichste Mißbehagen versetzt wird.
Dieser da weint wie ein Kind beim Nahen des Todes, welchen jener verspottet. Was war denn bei Canus Julius, bei Seneca, bei Petronius nöthig, um ihre Unerschrockenheit in Kleinmüthigkeit oder in Feigheit zu verwandeln? Eine Verstopfung in der Milz, der Leber, ein Hinderniß in der Pfortader. Warum? Weil das Vorstellungsvermögen sich mit den Eingeweiden ebenfalls verstopft. Und so entstehen aus derselben Quelle alle jenen sonderbaren Erscheinungen hysterischer und hypochondrischer Zustände.
Was würde ich Neues sagen, wollte ich mich näher über diejenigen auslassen, welche in Wehrwölfe, Hähne, Vampyre verwandelt zu sein glauben, welche sich einbilden, daß die Todten sie aussaugen? Wozu mich erst bei den Irren aufhalten, welche ihre Nase oder andere Glieder ihres Leibes in Glas verwandelt sehen und denen man rathen muß auf Stroh zu schlafen, weil sie sonst fürchten, daß ihr Körper zerbrechen könne; die man aber Gebrauch und Fleisch ihrer Glieder wiederfinden läßt, indem man Feuer in's Stroh legt und ihnen so die Furcht beibringt, verbrannt zu werden? Der Schreck hat in diesem Falle schon manchmal die Gliederlähmung behoben. Doch ich kann über Jedermann bekannte Dinge leicht hinweggehen.
Ich will mich auch nicht länger bei den Einzelheiten über die Wirkung des Schlafes aufhalten. Man sehe einen müden Soldaten! Er schnarcht im Graben, beim Donner von hundert Kanonen. Seine Seele hört nichts, sein Schlaf ist ein vollkommener Schlagfluß. Eine Bombe ist im Begriff ihn zu zerschmettern; vielleicht wird er sie weniger empfinden, als das Insekt einen Fußtritt.
Andrerseits kann jener Mensch, welchen die Eifersucht, der Hass, der Geiz, oder der Ehrgeiz verzehrt, nirgends Ruhe finden. Der stillste Ort, die erfrischendsten und beruhigendsten Getränke sind sämmtlich für denjenigen unnütz, welcher sein Herz nicht von der Qual der Leidenschaften befreit hat.
Seele und Körper schlafen zusammen ein. Sobald die Blutbewegung ruhiger wird, verbreitet sich eine sanfte Empfindung von Frieden und Ruhe in der ganzen Maschine. Die Seele empfindet süße Beruhigung beim Sinken der Augenlider und verliert ihre Spannkraft mit den Fibern des Gehirns. Sie wird auf diese Weise nach und nach wie gelähmt mit allen Muskeln ihres Körpers. Die Muskeln können die Last des Kopfes nicht mehr tragen, der Kopf kann das Gewicht des Gedankens nicht mehr aushalten, er ist im Schlafe, als sei er nicht vorhanden.
Wenn der Blutumlauf mit zu großer Schnelligkeit von Statten geht, kann die Seele nicht schlafen. Wenn die Seele zu aufgeregt ist, kann das Blut sich nicht beruhigen; es jagt durch die Adern mit hörbarem Geräusch. Das sind die beiden wechselseitigen Ursachen der Schlaflosigkeit. Ein bloßer Schrecken im Traume ruft ein Klopfen des Herzens mit verdoppelten Schlägen hervor, und entreißt uns der Nothwendigkeit oder der Behaglichkeit der Ruhe, wie ein lebhafter Schmerz oder drückende Sorgen es thun würden. Wie endlich das bloße Aufhören der Seelenverrichtungen Schlummer hervorruft, so giebt es sogar während des Wachens (welches alsdann nur ein halbwacher Zustand ist) eine Art von Halbschlaf der Seele, welcher sehr häufig ist, Träume nach Schweizer Art, welche beweisen, daß die Seele nicht immer, um zu schlafen, auf den Körper wartet: denn schläft sie auch nicht ganz und gar, wie viel fehlt noch daran! Ist es ihr doch unmöglich gewesen, einen einzigen Gegenstand zu finden, der ihre Aufmerksamkeit zu erwecken vermocht hätte unter jener unzähligen Menge verwirrter Einfälle, die, wie eben so viele Wolken, gewissermaaßen den Dunstkreis unseres Gehirns erfüllen.
Das Opium steht mit dem Schlafe, welchen es verschafft, in zu nahen Beziehungen, um seine Erwähnung hier zu unterlassen. Dieses Heilmittel berauscht eben so wie der Wein, der Kaffee etc. jeden in seiner Weise und je nach der Dosis. Es macht den Menschen glücklich in einem Zustande, welcher das Grab jeder Empfindung, gleich wie das Bild des Todes ist. Wie angenehm ist diese Lethargie! Die Seele möchte sich ihrer niemals entäußern. Sie war eine Beute der größten Schmerzen: nun fühlt sie nur noch das einzige Vergnügen, nicht mehr zu leiden und die reizendste Ruhe zu genießen. Das Opium ändert sogar den Willen: es bezwingt die Seele, welche wachen und sich unterhalten wollte, derart, daß der Mensch geht und sich ins Bett legt. Ich übergehe mit Stillschweigen die Geschichte der Gifte.
Der Kaffee, das bekannte Gegengift des Weines, erregt in hohem Grade unsere Phantasie, leitet dadurch den Kopfschmerz ab und zerstreut unseren Kummer, ohne uns, so wie das auch mit jenem Getränke der Fall, hiervon für den folgenden Tag verschonen zu können.
Betrachten wir die Seele in ihren anderen Bedürfnissen:
Der menschliche Körper ist eine Maschine, welche selbst ihr Triebwerk aufzieht, das lebendige Bild eines zzziyyyperpetuum mobilezzz/iyyy (beständig bewegten Gegenstandes). Die Nahrungsmittel unterhalten, was das Fieber erregt. Ohne jene schmachtet die Seele, geräth in Wuth und stirbt im höchsten Grade der Ermattung. Sie ist wie eine Kerze, deren Licht, ehe es erlöscht, noch einmal aufflackert. Aber wenn man den Körper ernährt, wenn man in seine Gefäße einen kräftigen Saft, stärkende Getränke eingießt, dann wird auch die Seele stark wie diese und bewaffnet sich mit stolzem Muthe; der Soldat, welcher beim bloßen Genuß von Wasser geflohen wäre, wird heldenmüthig und geht unter dem Klang der Trommel freudig in den Tod. In solcher Weise setzt erhitzendes Getränk das Blut, welches durch kühlenden Trunk beruhigt worden wäre, in stürmische Bewegung.
Welche Gewalt übt doch ein Mahl! Die Freude erwacht in einem traurigen Herzen wieder; sie erfüllt die Seele der Tischgenossen, welche durch anziehende Lieder, in denen der Franzose sich hervorthut, sie ausdrücken. Der Melancholische allein ist niedergedrückt, und der Mann des Studiums ist hierzu nicht mehr geeignet.
Das rohe Fleisch macht die Thiere wild; die Menschen würden bei derselben Nahrung es werden. Letzteres ist so wahr, daß die englische Nation, welche das Fleisch nicht so gekocht wie bei uns, sondern roth und blutig ißt, an dieser mehr oder weniger großen Wildheit welche theils solchen Nahrungsmitteln, theils anderen durch die Erziehung allein unschädlich zu machenden Ursachen entspringt, Theil zu nehmen scheint. Diese Wildheit ruft in der Seele Hochmuth, Hass, Verachtung anderer Nationen, Ungelehrigkeit und ähnliche den Charakter herabsetzende Regungen hervor, wie denn grobe Nahrung den Geist plump und schwerfällig macht, so daß seine wesentlichsten. Eigenschaften in Faulheit und Gleichgültigkeit bestehen.
Pope hat die ganze Herrschaft der Gefräßigkeit wohl gekannt, wenn er sagt: »Der ernste Catius spricht immer von Tugend und glaubt, daß derjenige, welcher die Lasterhaften leidet, selbst lasterhaft ist. Diese schönen Grundsätze dauern bis zum Mittagessen; dann zieht er einen Bösewicht, der einen feinen Tisch führt, einem frugalen Heiligen vor.«
»Man sehe einmal«, sagt er außerdem, »denselben Menschen, so lange er gesund oder wenn er krank ist; man betrachte ihn im Besitze eines schönen Amtes oder nach dem Verluste desselben; man sieht ihn dann das Leben lieben oder verabscheuen, närrisch aufs Jagen, trunken in einer Provinzial-Versammlung, artig auf dem Balle, ein guter Freund in der Stadt, ohne Vertrauen am Hofe«.
Wir haben in der Schweiz einen Richter, Namens Steigner von Wittighofen, gehabt, der nüchtern der rechtschaffenste und selbst nachsichtigste unter den Richtern war. Aber wehe dem Unglücklichen, welcher vor Gericht stand, wenn jener von einem großen Mittagessen kam! Dann war er der Mann dazu, den Unschuldigen wie den Schuldigen hängen zu lassen.
Wir denken als rechtschaffene Menschen und sind sogar nur rechtschaffene, wenn wir heiter oder beherzt sind; Alles hängt von der Weise, in welcher unsere Maschine gestimmt ist, ab. Man könnte in gewissen Momenten sagen, die Seele wohne im Magen und Van Helmont, der ihren Aufenthalt in den Pylorus versetzte, habe sich nur darin geirrt, daß er den Theil statt des Ganzen nahm.
Zu welchen Ausschreitungen kann der grausame Hunger uns treiben! Keine Rücksicht mehr für diejenigen, welchen man das Leben verdankt, oder denen man es gegeben hat; man zerfleischt sie ohne Weiteres, man macht sich aus ihnen abscheuliche Feste, und in der Wuth, von der man hingerissen wird, wird der Schwächste immer die Beute des Stärksten.
Die Schwangerschaft, dieses ersehnte Abbild der Bleichsucht, begnügt sich nicht in ihrem Gefolge am häufigsten die krankhaften Veränderungen des Geschmackes, welche beide Zustände begleiten, auftreten zu lassen, sie hat auch hin und wieder die Seele zur Vollstreckerin der scheußlichsten Komplotte gemacht; es waren dies die Wirkungen eines vorübergehenden Wahns, der ja sogar das natürliche Gesetz erstickt. So verändert sich das Gehirn, jene Gebärmutter des Geistes, mit derjenigen des Leibes in seiner Weise zu verderblicher Thätigkeit.
Ein anderes Beispiel gewährt die Leidenschaft des Mannes oder Weibes, welche von der Enthaltsamkeit und Gesundheit geplagt werden. Dann gehört wenig für dieses schüchterne und bescheidene Mädchen dazu, um jegliche Scheu und Schande zu verlieren; es sieht seine Erniedrigung mit denselben Augen an, womit eine zweideutige Frauensperson den Ehebrecher ansieht. Wenn ihre Bedürfnisse nicht rasche Befriedigung finden, wird sie sich nicht auf die einfachen Zufälle einer Gebärmutterwuth, auf die Manie etc. beschränken, diese Unglückliche wird an einem Uebel, wofür es so viele Aerzte giebt, sogar sterben müssen.
Es bedarf nur zweier Augen, um den nothwendigen Einfluß des Alters auf die Vernunft zu sehen. Die Seele folgt den Fortschritten des Körpers, wie denjenigen der Erziehung. Im schönen Geschlechte folgt die Seele noch der Zartheit des Temperaments. Daher rühren diese Zärtlichkeit, diese Zuneigung, diese lebhaften Gefühle, welche mehr auf Leidenschaft als auf Vernunft zurückzuführen sind; diese Vorurtheile, dieser Aberglauben, deren starkes Gepräge kaum vertilgbar ist etc. Der Mann, im Gegentheil, bei dem Gehirn und Nerven an der Unerschütterlichkeit alles Festen Theil nehmen, erfreut sich eines stärkeren Geistes, kräftigerer Gesichtszüge. Die Erziehung, welche bei den Frauen mangelhaft ist, stellt seine Seele auf eine noch höhere Stufe der Kraft. Mit solchen Hilfsmitteln der Natur und Kunst, wie sollte er da nicht erkenntlicher, großmüthiger, beständiger in der Freundschaft, fester im Unglück sein? etc. Aber wer (um etwa dem Gedankengange des Verfassers der Briefe über die Physiognomieen zu folgen) die Anmuth des Geistes und des Körpers mit fast allen zartesten und feinsten Empfindungen des Herzens verbindet, darf uns nicht um die doppelte Stärke beneiden, welche dem Manne nur deshalb gegeben zu sein scheint, um sich besser mit dem Beize der Schönheit zu durchdringen, anderntheils um zu seinem Vergnügen besser beitragen zu können.
Es ist nicht nothwendiger ein eben so großer Physiognomiker als dieser Autor zu sein, um den Vorzug des Geistes aus der Gestalt, aus der Bildung der Züge zu erraten, wenn sie bis zu einem gewissen Punkte ausgesprochen sind, – als man ein großer Arzt zu sein braucht, um ein Uebel mit allen deutlichen Symptomen zu erkennen. Man betrachte die Bildnisse von Locke, Steele, Boerhaave, Maupertuis etc., man wird nicht erstaunt sein ihre Physiognomien kräftig und mit Adleraugen zu finden. Man überblicke eine Menge anderer, man wird immer das Schöne des großen Geistes und oft sogar den braven Mann im Schelme unterscheiden. Man hat beispielsweise bemerkt, daß ein berühmter Dichter (in seinem Bildnisse) den Ausdruck eines Diebes mit dem Feuer des Prometheus vereinigte.
Die Geschichte liefert uns ein denkwürdiges Beispiel von der Macht der Luft. Der berüchtigte Herzog von Guise war so vollkommen überzeugt, daß Heinrich III., welcher ihn hundertmal in seiner Gewalt gehabt hatte, niemals zu ermorden wagen würde, daß er nach Blois reiste. Der Kanzler Chyverni erfuhr seine Abreise und rief aus: »der Mann ist verloren!« Als die verhängnisvolle Voraussage eingetroffen war, fragte man ihn nach der Ursache und er antwortete: »Ich kenne den König seit 20 Jahren; er ist von Natur gut und sogar schwach; aber ich habe bemerkt, das das Geringste ihn ungeduldig macht und ihn in Wuth setzt, wenn es kalt ist.«
Manches Volk ist schwerfälligen, dummen Geistes; manches andere von lebhaftem, leichtem, durchdringendem Verstande. Woher sollte dies anders kommen, als theilweise in Folge der Nahrung, theilweise in Folge väterlicher Uebertragung, Die Geschichte der Thiere und der Menschen beweist die Herrschaft der Erblichkeit von den Vätern auf den Geist und den Körper der Kinder. theilweise aus jenem Gemische verschiedenartiger Elemente, welche im unermeßlichen Luftraume schweben? Der Geist hat wie der Körper seine epidemischen Krankheiten und seinen Scorbut.
Die Herrschaft des Klima's ist der Art, daß ein Mensch, welcher es wechselt, diesen Wechsel unwillkürlich empfindet. Er ist eine wandelnde Pflanze, welche sich selbst überpflanzt hat; ist das Klima nicht mehr dasselbe, so muß sie folgerichtig entarten, oder sich verbessern.
Man nimmt ferner Alles von denjenigen, mit denen man lebt, an, ihre Gesten, ihre Stimmen etc., gleich wie das Augenlid sich senkt bei der Drohung des Schlages, auf den man vorbereitet ist, oder aus derselben Ursache, aus welcher der Körper des Zuschauers maschinenmäßig und unwillkürlich alle Bewegungen eines guten Pantomimikers nachmacht.
Was ich eben gesagt habe, beweist, daß die beste Gesellschaft für einen geistvollen Menschen die seinige ist, wenn er nicht eine ähnliche findet. Der Geist verrostet mit denjenigen, welche keinen haben, weil er nicht geübt wird; beim Ballspiel wirft man den Ball schlecht zurück wenn er von Jemand schlecht ausgeschlagen wird. Ich möchte lieber einen einsichtsvollen Menschen, der gar keine Erziehung gehabt hat, als einen, der schlecht erzogen worden, vorausgesetzt daß er noch jung genug wäre. Ein schlecht geleiteter Geist ist wie ein Schauspieler, welchen die Provinz verdorben hat.
Die verschiedenen Zustände der Seele stehen also immer in einem bestimmten Verhältnisse zu denjenigen des Körpers. Aber am diese ganze Abhängigkeit und ihre Ursachen besser darzulegen, wollen wir hier die vergleichende Anatomie benutzen, wir wollen die Eingeweide des Menschen und der Thiere öffnen; um die menschliche Natur kennen zu lernen, wenn uns hierüber nicht schon eine zutreffende Parallele der Bauart Beider aufklärt.
Im Allgemeinen ist die Gestalt und die Zusammensetzung des Gehirns der Vierfüßler beinahe die gleiche, wie beim Menschen. Dasselbe Aussehen, dieselbe Anordnung überall, jedoch mit dem wesentlichen Unterschiede, daß der Mensch von allen Thieren am meisten Gehirn – und dieses am meisten gewunden – im Verhältniß zu seiner Körpermasse hat; dann kommen der Affe, der Biber, der Elephant, der Hund, der Fuchs, die Katze etc., nehmlich die Thiere, welche am meisten dem Menschen gleichen, denn man bemerkt auch bei ihnen dieselbe stufenweise Analogie in Bezug auf das zzziyyycorpus callosumzzz/iyyy, in welches Lancisi den Sitz der Seele bereits vor dem verstorbenen de la Peyronnie verlegt hatte, welcher jedoch diese Meinung durch eine Menge von Erfahrungen erläutert hat.
Nach allen Vierfüßlern sind es die Vögel, welche am meisten Gehirn haben. Die Fische haben einen dicken Kopf, aber er ist leer an Verstand, wie der Kopf vieler Menschen. Sie haben kein corpus callosum und sehr wenig Gehirn, das auch den Insecten mangelt.
Ich werde mich nicht weiter in Einzelheiten über die Varietäten in der Natur, noch in Meinungsäußerungen hierüber einlassen, denn die Varietäten, wie die Meinungen sind zahlreich; man lese bloß – um selbst darüber urtheilen zu können – die Abhandlungen von Willis zzziyyyDe Cerebrozzz/iyyy und zzziyyyDe anima brutorumzzz/iyyy.
Ich werde nur das, was aus diesen unwiderleglichen Beobachtungen klar sich ergiebt, vorbringen, daß nehmlich
1) je wilder die Thiere sind, sie desto weniger Gehirn haben;
2) daß dieses Eingeweide sich einigermaßen nach Verhältniß ihrer Gelehrigkeit zu vergrößern scheint;
3) daß hier eine eigenthümliche Bedingung für immer von der Natur festgestellt ist, die darin besteht, daß man um so mehr an Instinkt verliert, je mehr man von Seiten des Geistes gewinnt. Was ist nun größer, der Verlust oder der Gewinn?
Man glaube übrigens nicht, daß ich hierdurch behaupten will, der Umfang des Gehirns allein sei genügend, um über den Grad der Gelehrigkeit der Thiere urtheilen zu dürfen; die Beschaffenheit desselben muß auch noch der Menge entsprechen und die festen Theile müssen mit den flüssigen in dem für die Gesundheit ersprießlichen Gleichgewichte sich befinden.
Wenn der Schwachsinnige nicht Mangel an Gehirn hat, wie man gewöhnlich bemerkt, so wird an diesem Eingeweide eine fehlerhafte Consistenz, eine zu große Weichheit beispielsweise, auszusetzen sein. Dasselbe gilt von den Narren; die Fehler ihres Gehirns entziehen sich nicht immer unseren Nachforschungen; aber wenn die Ursachen des Schwachsinns, der Narrheit etc. nicht wahrnehmbar sind, wo soll man da die Gründe für die Verschiedenheit aller Geister aufsuchen? Sie würden Luchs- und Argus-Augen entschlüpfen. Ein Nichts, eine kleine Faser, etwas, was die feinste Anatomie nicht entdecken kann, würde zwei Thoren aus Erasmus und Fontenelle, welcher es selbst in einem seiner besten Gespräche bemerkt, gemacht haben.
Außer der Weichheit des Hirn-Markes bei den Kindern, bei den kleinen Hunden und bei den Vögeln, hat Willis bemerkt, daß die zzziyyyCorps cannelészzz/iyyy zerstört und wie entfärbt bei allen diesen Thieren sind und daß ihre Striae eben so unvollkommen gebildet sind wie bei den Gelähmten. Er fügt der Wahrheit gemäß hinzu, daß der Mensch eine sehr große zzziyyyProtuberantia annullariszzz/iyyy hat, und darauf, immer stufenweise abnehmend, der Affe und die anderen vorher genannten Thiere, während das Kalb, der Ochse, der Wolf, das Schaf, das Schwein etc., bei denen dieser Theil von sehr geringem Umfang ist, sehr große zzziyyyNateszzz/iyyy und zzziyyyTesteszzz/iyyy haben.
Man mag immerhin nur vorsichtig und zurückhaltend aus diesen und vielen anderen Beobachtungen über eine gewisse Unbeständigkeit der Gefäße und der Nerven Folgerungen ziehen, jedoch können so viel Verschiedenheiten nicht zufällige Spiele der Natur sein. Wenigstens bezeugen dieselben die Nothwendigkeit einer guten und ergiebigen Organisation, weil in dem ganzen animalischen Gebiete die Seele sich mit dem Körper erkräftigt und um so mehr Schärfe erlangt, je mehr der letztere erstarkt.
Bleiben wir bei der Betrachtung der verschiedenen Gelehrigkeit der Thiere stehen. Ohne Zweifel führt die Aehnlichkeit, wenn sie des richtigsten Verständnißes sich erfreut, den Geist zu keiner anderen Erkenntniß, als daß die von uns erwähnten Ursachen die ganze Verschiedenheit zwischen jenen und uns ausmachen, obgleich man gestehen muß, daß unserem schwachen auf die gröbsten Beobachtungen beschränkten Verständniß, das Band, welches Ursache und Wirkung verknüpft, unsichtbar ist. Es liegt hier eine Art von Harmonie vor, welche die Philosophen niemals erkennen werden.
Unter den Thieren giebt es einige, welche sprechen und singen lernen; sie behalten Melodien und fassen alle Töne eben so genau wie ein Musiker. Die anderen, welche indeß mehr Geist zeigen, wie die Affen, bringen dies nicht zu Stande. Wie kann dies anders als durch einen Fehler in den Sprachorganen geschehen? Aber gehört denn dieser Fehler so zur Bildung des Thieres, daß man ihm mit keinem Mittel zu Hilfe kommen kann? Mit einem Worte, sollte es durchaus unmöglich sein, dem Thiere eine Sprache zu lehren? Ich glaube es nicht. Ich würde vorzugsweise den großen Affen nehmen, bis der Zufall uns eine uns ähnlichere Art hätte entdecken lassen; denn der Annahme steht nichts entgegen, daß in uns unbekannten Gegenden es solche Affen giebt. Dieses Thier gleicht uns so sehr, daß die Naturalisten es als wilden Menschen oder Waldmenschen bezeichnet haben. Ich würde ihn unter denselben Bedingungen, wie Amman seine Schüler, nehmen; nehmlich ich möchte, daß er weder zu jung noch zu alt sei; denn diejenigen, welche man uns nach Europa bringt, sind gemeiniglich zu alt. Ich würde denjenigen wählen, der die geistreichste Physiognomie besäße und der am besten in tausend kleinen Verrichtungen, was diese mir versprochen, hielte. Endlich, da ich mich nicht für würdig halte, sein Erzieher zu sein, würde ich ihn in die Schule zu dem eben genannten ausgezeichneten Lehrer geben oder zu einem anderen eben so geschickten, wenn es einen giebt.
Man weiß aus dem Buche von Amman und aus allen denjenigen, Der Verfasser der Naturgeschichte der Seele etc. welche sein Verfahren übersetzt haben, alle die Wunder, die er an Tauben von Geburt, in deren Augen er – wie er sich selbst ausdrückt – Ohren gefunden hatte, zu verrichten wußte, und in wie kurzer Zeit er sie verstehen, reden, lesen und schreiben lehrte. Ich behaupte, daß die Augen eines Tauben heller sehen und verständnißvoller auffassen, als wenn er nicht taub wäre, weil der Verlust eines Gliedes oder eines Sinnes die Kraft oder das Verständnißvermögen eines anderen erhöhen kann. Aber der Affe sieht und hört, er begreift was er hört und sieht; er faßt so vollkommen die Zeichen, welche man ihm macht, daß er, wie ich nicht bezweifle, bei jedem Spiele, oder bei jeder Uebung Amman's Schüler überragt. Weshalb sollte also die Erziehung der Affen unmöglich sein? Warum konnte der Affe nicht, wenn man die nöthige Sorgfalt auf ihn verwendet, nach Art der Tauben die erforderlichen Bewegungen nachahmen, um zu sprechen? Ich wage nicht zu entscheiden, ob die Sprachorgane des Affen, mag man auch machen was man will, im Stande seien, deutlich und vernehmlich zu reden, aber die absolute Unmöglichkeit würde mich in Erstaunen setzen wegen der großen Aehnlichkeit des Affen und des Menschen, und weil es bis jetzt kein bekanntes Thier giebt, dessen Inneres und Äußeres dem letzteren in so auffälliger Weise gleichen. Locke, welcher gewiß niemals der Leichtgläubigkeit verdächtig gewesen ist, hat keinen Anstand genommen an die Geschichte zu glauben, welche der Chevalier Temple in seinen Memoiren erzählt, nehmlich von einem Papagei, welcher passende Antworten gab und, wie wir, sich hintereinander zu unterhalten gelernt hatte. Ich weiß, man hat sich über diesen großen Philosophen lustig gemacht; Der Verfasser der Geschichte der Seele. aber würde derjenige viel Parteigänger gefunden haben, welcher der Welt angezeigt hätte, daß es Zeugungen giebt, welche ohne Eier und ohne Weibchen vor sich gehn? Und doch hat Trembley Zeugungen, welche ohne Vermischung und durch bloße Theilung stattfinden, entdeckt. Wäre Amman nicht auch für einen Narren gehalten worden, wenn er sich, bevor er sich auf glückliche Erfahrung berufen konnte, gerühmt hätte, Schüler, wie die seinigen, zu unterrichten, und noch dazu in so kurzer Zeit? Indeß haben seine Erfolge die Welt in Staunen versetzt und er ist wie der Verfasser der Geschichte der Polypen in raschem Fluge zur Unsterblichkeit gelangt. Wer seinem Geiste die Wunder, welche er beweist, verdankt, überragt meines Erachtens den, welcher die seinigen vom Zufall hat. Wer die Kunst, das schönste der Reiche noch mehr zu verschönern und ihm Vollkommenheiten, welche es noch nicht hatte, zu verlesen, entdeckt hat, muß über den müßigen Stifter leichtfertiger Systeme oder den eifrigen Urheber unfruchtbarer Entdeckungen gestellt werden. Die Entdeckungen Ammans sind wohl von einem höheren Werthe; er hat Menschen dem blinden Triebe entzogen zu welchem sie verurtheilt zu sein schienen; er hat sie mit Ideen, mit Geist, mit einem Worte mit einer Seele ausgestattet, die sie sonst niemals gehabt hätten. Welches Können möchte man höher veranschlagen! Die Hilfsmittel der Natur sind schrankenlos, unendlich, besonders mit Unterstützung von großer Kunst.
Dieselbe Mechanik, welche den Eustachischen Kanal bei den Tauben eröffnet, könnte sie nicht auch die Affen zum Sprechen bringen? Könnte das glückliche Verlangen, des Lehrers Aussprache nachzuahmen, nicht auch die Sprachorgane der Thiere, welche so viel andere Zeichen mit so großer Geschicklichkeit und Erkenntniß nachmachen, von ihrem Bann befreien? Ich besorge nicht nur nicht, daß man mir irgend eine wirkliche beweisende Erfahrung aufführen könne, welche meine Meinung in das Bereich des Unmöglichen und Lächerlichen zu verweisen vermöchte, sondern die Aehnlichkeit der Bauart und der Verrichtungen des Affen ist auch von der Art, daß ich fast nicht zweifle, wenn man dieses Thier vollkommen übte, man käme damit zu Rande, ihm das Aussprechen und folglich das Verstehen einer Sprache zu lehren. Das würde alsdann kein wilder noch verfehlter Mensch sein, sondern ein vollkommener, ein kleiner Stadt-Mensch, der ebenso viel stoffliche Grundlage oder Musculatur als wir selbst besäße, um zu denken und seine Erziehung sich zu Nutze zu machen. Von den. Thieren zu den Menschen ist der Uebergang nicht gewaltsam; die wahren Philosophen werden dies zugeben. Was war der Mensch vor der Erfindung der Worte und der Kenntniß der Sprachen? Ein Thier in seiner Art, welches mit weit weniger natürlichem Instinkt, als die anderen, für deren König er sich damals nicht hielt, nur in demselben Verhältniß vom Affen und den anderen Thieren unterschieden war, wie der Affe es von den letzteren ist, nehmlich durch Gesichtszüge, auf welchen ein höherer Grad von Unterscheidungskraft ausgeprägt ist.
Lediglich zu der Anschauungs-Erkenntniß der Leibnitzianer gezwungen, sah er nur Gestalten und Farben ohne etwas unter diesen unterscheiden zu können; alt wie jung, ein Kind in jedem Alter, stammelte er seine Gefühle und seine Bedürfnisse, wie ein Hund, der ausgehungert oder von der Ruhe gelangweilt ist, zu fressen oder herumzulaufen verlangt. Die Worte, die Sprachen, die Gesetze, die Wissenschaften, die schönen Künste, sind gekommen, und durch sie ist endlich der rohe Diamant unseres Geistes geschliffen. Man hat einen Menschen abgerichtet wie ein Thier; man ist Schriftsteller geworden wie Lastträger. Ein Geometer hat erlernt die schwersten Beweise und Berechnungen darzulegen, wie ein Affe seinen kleinen Hut abzunehmen oder aufzusetzen und auf seinem gelehrigen Hunde zu reiten. Alles ist durch Zeichen zu Wege gebracht; jede Art hat begriffen, was sie begreifen konnte, und so haben die Menschen auf diese Weise die symbolische Erkenntniß, wie selbige von unseren deutschen Philosophen noch heute genannt wird, erlangt.
Man sieht also, nichts ist so einfach wie die Mechanik unserer Erziehung! Alles läßt sich auf Töne oder auf Worte zurückführen, die von dem Munde des einen durch das Ohr des andern ins Gehirn gehen, welches zu gleicher Zeit vermittelst der Augen die Gestalt der Körper erhält, deren willkürliche Zeichen diese Worte sind.
Aber wer hat zuerst geredet? Wer ist der erste Lehrer des Menschengeschlechts gewesen? Wer hat die Mittel erfunden die Gelehrigkeit unserer Organisation nutzbar zu machen? Ich weis darüber nichts; der Name jener glücklichen und ersten Geister ist in der Nacht der Zeiten verloren gegangen. Aber die Kunst ist die Tochter der Natur; letztere hat ihr lange vorangehen müssen.
Man muß annehmen, daß die am besten organisirten Menschen, diejenigen, für welche die Natur ihre Wohlthaten erschöpfte, die anderen unterrichtet haben werden. Sie werden beispielsweise kein neues Geräusch haben hören, keine neuen Gefühle empfinden, nicht von allen diesen schönen Gegenständen, welche das entzückende Schauspiel der Natur bilden, haben lebhaft berührt werden können, ohne sich in dem Falle jenes Tauben von Chartres, dessen Geschichte uns der große Fontenelle zuerst mitgetheilt, zu befinden, der zum ersten Male mit 40 Jahren, den wunderbaren Klang der Glocken hörte.
Sollte nun der weitere Schluß abgeschmackt erscheinen, daß diese ersten Sterblichen nach Art dieses Tauben oder nach der Art der Thiere und der Stummen (wieder eine andere Gattung von Thieren) ihre neuen Gefühle auszudrücken versuchten und zwar durch Bewegungen, welche von der Einrichtung ihres Vorstellungsvermögens abhingen, und folglich dann durch angezwungene Töne, wie sie jedem Thiere als natürlicher Ausdruck seines Erstaunens, seiner Freude, seines Entzückens oder seiner Bedürfnisse eigenthümlich sind? Denn diejenigen, welche die Natur mit einem feineren Gefühle begabt hatte, haben gewiß auch mehr Geläufigkeit es auszudrücken gehabt.
So haben nach meiner Auffassung die Menschen ihr Gefühl oder ihren Instinkt angewendet, um Geist, und endlich ihren Geist, um Kenntnisse zu empfangen. Durch folgende Mittel, soweit ich die Sache begreife, hat man das Gehirn mit Gedanken, zu deren Aufnahme die Natur es geschaffen hatte, erfüllt. Dabei half eins dem andern, der kleine Anfang führte zu allmäliger Vergrößerung, bis alle Dinge im Weltall so leicht unterschieden wurden, als ständen sie im Kreise herum.
Wie eine Violinsaite oder eine Klaviertaste erbebt und einen Ton von sich giebt, so sind die Saiten des Gehirns, von hellen Funken getroffen, zur Ueberlieferung oder Wiedergabe der Worte, welche sie berührten, angeregt worden. Aber da der Bau des Gehirns von der Art ist, daß, sobald die einmal zum Sehen wohl geformten Augen das Gemälde der Gegenstände erhalten haben, es nicht umhin kann, die Bilder und die Verschiedenheiten derselben aufzunehmen, so hat ebenso die Seele, wenn die Zeichen dieser Verschiedenheiten im Gehirn angegeben oder eingegraben worden sind, nothwendigerweise ihre Verhältnisse geprüft, eine Prüfung, welche ihr ohne die Entdeckung der Zeichen oder die Erfindung der Sprachen unmöglich war. In jenen Zeiten in denen das Weltall fast stumm war, war die Seele bezüglich sämmtlicher Gegenstände, wie ein Mensch, welcher, ohne eine Idee von Proportion, ein Gemälde oder Sculpturen betrachtet; ein solcher Mensch könnte hieran nichts unterscheiden; oder er würde sich wie ein kleines Kind verhalten, (die Seele war ja damals in ihrer Kindheit) welches in seiner Hand eine gewisse Anzahl Strohhälmchen oder Holzstückchen hält und sie im Allgemeinen mit zerstreutem, oberflächlichem Blicke, ohne sie zählen oder unterscheiden zu können, ansieht. Aber man setze eine Art Flagge oder Fahne an jenes Stück Holz z. B., welches man Mast nennt, man setze dergleichen an einen anderen ähnlichen Körper, man lasse den zuerst angetroffenen vermittelst des Zeichens 1, und den zweiten vermittelst des Zeichens oder der Ziffer 2 gezählt werden, so wird dieses Kind sie zählen können und auf diese Weise hintereinander die ganze Rechenkunst lernen. Sobald eine Figur ihm einer anderen durch ihr Zahl-Zeichen gleich erscheinen wird, wird es ohne Mühe schließen, daß dies zwei verschiedene Körper sind, daß 1 und 1 zwei, daß 2 und 2 vier sind. Es giebt Heute noch Völker welche, aus Mangel an einer größeren Zahl von Zeichen, nur bis 20 zählen können.
Diese wirkliche oder scheinbare Aehnlichkeit der Gestalten ist die Grundlage aller Wahrheiten und aller unserer Kenntnisse, unter denen diejenigen, deren Zeichen weniger einfach und weniger begreifbar sind, sich offenbar schwerer als die anderen erlernen lassen, weil sie mehr Geist erfordern, um jene unendliche Menge von Worten zu umfassen und zu vereinigen, durch welche die Wissenschaften, die ich meine, ihre Wahrheiten zum Ausdruck bringen; während die Wissenschaften, welche durch Ziffern oder andere kleine Zeichen sich kundgeben, leicht erlernt werden; und ohne Zweifel verdanken die algebraischen Berechnungen dieser Leichtigkeit mehr noch als ihrer augenscheinlichen Gewißheit ihre große Beliebtheit.
Dieses ganze Wissen, womit der Wind die Gehirnkugel unserer hochmüthigen Pedanten schwellt, ist also nur eine ungeheuere Anhäufung von Worten und Gestalten, welche im Kopfe alle die Wege ausmachen, durch welche wir unterscheiden und uns der Gegenstände erinnern. Alle unsere Gedanken erwachen, gleichwie ein Gärtner, welcher die Pflanzen kennt, sich alle ihre Benennungen bei ihrem Anblicke vergegenwärtigt. Diese Worte und diese Gestalten Diese Worte und diese Gestalten, welche durch erstere bestimmt werden, sind im Gehirne so aneinander geknüpft, daß man sich ziemlich selten eine Sache vorstellt, ohne den Namen oder das Zeichen, welche mit ihr verbunden sind.
Ich gebrauche immer das Wort Vorstellen, weil ich glaube, daß man sich Alles vorstellt, und daß alle Theile der Seele mit Recht auf das Vorstellungsvermögen allein zurückgeführt werden können, da jene alle von diesem ihre Aeußerungsweise zugetheilt erhalten, so daß also der Verstand, das Urtheil, das Gedächtniß nur Theile der Seele sind, welche keineswegs selbstwaltend auftreten, sondern auf die markige Umhüllung eingeschränkt sind, auf welche die im Auge gemalten Gegenstände wie von einer magischen Laterne zurückgeworfen werden.
Aber wenn das merkwürdige und unbegreifliche Ergebniß der Gehirn-Organisation ein solches ist, wenn Alles durch das Vorstellungsvermögen sich erfassen und auseinandersetzen läßt, wozu braucht dann das denkende Princip im Menschen getheilt werden? Machen die auf Seite der Einfachheit des Geistes Stehenden sich nicht eines offenbaren Widerspruches schuldig? Denn ein Ding, welches man theilt, kann ohne Abgeschmacktheit nicht mehr für untheilbar angesehen werden. Dahin führt also der Mißbrauch der Sprachen und die Anwendung jener großen Worte Spiritualität, Immaterialität etc., welche man ganz nach Belieben anwendet, ohne daß sie, selbst von geistreichen Leuten, verstanden werden.
Nichts ist leichter als ein System, welches, wie dieses hier, auf das innige Gefühl und die eigene Erfahrung jedes Individuums gegründet ist, darzuthun. Ist das Vorstellungsvermögen, oder jener phantastische Theil des Gehirns, dessen Natur uns ebenso unbekannt als die Art seiner Thätigkeit ist, von Natur klein oder schwach, so wird es kaum die Kraft haben, die Uebereinstimmung oder Aehnlichkeit seiner Ideen zu vergleichen; es wird nur das ihr Gegenüberstehende oder es am lebhaftesten Afficirende sehen können; und noch dazu auf welche Weise! Aber immer bleibt es wahr, daß das Vorstellungsvermögen allein begreift; von ihm werden alle Gegenstände mit den Worten und Gestalten, welche sie charakterisiren, vergegenwärtigt, und ich wiederhole demnach, daß das Vorstellungsvermögen die Seele ist, weil es in allen Rollen derselben auftritt. Durch dieses Vermögen, durch seinen schmeichelnden Pinsel nimmt das kalte Skelett der Vernunft lebhaftes und rothes Fleisch an: durch dasselbe blühen die Wissenschaften, verschönern sich die Künste, reden die Wälder, seufzen die Echos, weinen die Felsen, athmet der Marmor, Alles gewinnt Leben unter den leblosen Körpern. Dasselbe fügt der Zärtlichkeit eines verliebten Herzens den pikanten Reiz der Wollust hinzu; es läßt dieselbe im Cabinet des Philosophen wie des staubigen Pedanten keimen; es bildet endlich die Gelehrten wie die Redner und Dichter. In thörichter Art von den Einen verschrieen, von Anderen unnütz ausgezeichnet, und von Allen schlecht gekannt, folgt es der Spur der Grazien und der schönen Künste und malt nicht nur die Natur, sondern vermag sie auch zu beurtheilen. Es überlegt, richtet, dringt ein, vergleicht, ergründet. Könnte es so gut die Schönheiten der Gemälde, welche einen Eindruck in ihm hervorgerufen, empfinden, ohne deren Verhältnisse zu entdecken? Nein; da es den Vergnügungen der Sinne sich nicht zuwenden kann, ohne ihre ganze Vollkommenheit oder Wollust zu kosten, kann es über das, was es mechanisch aufgefaßt hat, nicht in Erwägungen eingehen, ohne alsdann das Urtheil selbst zu sein.
Je mehr man die Vorstellungskraft, oder den kärgsten Geist übt, desto mehr nimmt er, so zu sagen, an Umfang zu, desto mehr vergrößert er sich, wird stark, mächtig, umfassend und denkfähig. Die beste Organisation bedarf dieser Uebung.
Die Organisation ist das erste Verdienst des Menschen; vergebens machen die Moralphilosophen den Eigenschaften, welche man von der Natur erhält, den Rang von schätzenswerthen Vorzügen streitig und lassen nur die Talente, welche man mit Hülfe von Ueberlegung und Gewandtheit erlangt, gelten; denn ich möchte wissen, woher Geschicklichkeit, Wissenschaft und Tugend kommen, wenn nicht eine gewisse Anlage uns geeignet macht, geschickt, gelehrt und tugendhaft zu werden? Und wer giebt uns diese Anlage? Doch Niemand anders als die Natur. Nur durch sie besitzen wir schätzenswerthe Eigenschaften, ihr verdanken wir Alles, was wir sind. Warum sollte ich nicht diejenigen, welche natürliche Vorzüge besitzen, ebenso wie die achten, welche durch erworbene und gleichsam entliehene Tugend glänzen? Gleichviel welches das Verdienst sei und woher es auch stamme, es ist der Achtung würdig; man muß es nur zu würdigen verstehen. Geist, Schönheit, Reichthümer, Adel, obgleich Kinder des Zufalls, haben alle ihren Werth, so gut wie Geschicklichkeit, Gelehrsamkeit, Tugend etc. Diejenigen, welche die Natur mit ihren kostbarsten Gaben überhäuft, müssen diejenigen beklagen, denen sie verweigert worden sind; aber sie dürfen ihre Ueberlegenheit ohne Hochmuth und als Kenner würdigen. Eine schöne Frau wäre eben so lächerlich sich für häßlich zu halten, als ein geistvoller Mensch, der ein Thor zu sein glaubt. Uebertriebene Bescheidenheit (wahrlich ein seltener Fehler) ist eine Art Undankbarkeit gegen die Natur. Ein anständiger Stolz dagegen ist das Zeichen einer schönen und großen Seele, welche edle Züge, gleichsam als seien sie vom Gedanken geformt, verrathen.
Wenn die Organisation ein Verdienst ist, und zwar das erste Verdienst, und die Quelle aller anderen, so ist der Unterricht das zweite. Sei ein Gehirn noch so gut gebaut, ohne ihn würde es dem reinen Untergange geweiht sein, ebenso wie ohne den Einfluß von Gesellschaft der wohlgestalteteste Mensch nur ein grober Bauer wäre. Aber ebenso drängt sich die Frage auf, welches denn die Frucht einer noch so vorzüglichen Schule sein würde, ohne ein Gehirn, welches dem Eingange oder der Aufnahme der Gedanken sich nicht vollkommen eröffnet hätte? Es ist eben so unmöglich auch nur eine Idee einem Menschen zu geben, der alles Verstandes beraubt ist, als ein Kind bei einer Frau zu erzeugen, bei der die Natur die Zerstreutheit so weit getrieben hätte, daß sie ihre Geschlechtstheile zu bilden vergaß, wie ich es bei einer Frau gesehen habe, welche weder Schamspalte, noch Scheide, noch Gebärmutter hatte und welche aus diesem Grunde 10 Jahre nach ihrer Hochzeit von ihrem Manne wieder geschieden wurde.
Aber wenn das Gehirn zugleich gut organisirt und gut unterrichtet ist, so ist es ein vollkommen besäetes, fruchtbares Land, welches das Hundertfache von dem, was es empfangen, hervorbringt, oder, (um den bildlichen Styl, der, um das Gemeinte besser auszudrücken und selbst die Wahrheit anmuthig zu machen, oft nöthig ist, aufzugeben) das Vorstellungsvermögen, durch Kunst zu der schönen und seltenen Würde eines hervorragenden Geistes erhoben, faßt alle begriffenen Ideenverbindungen genau auf, umfaßt mit Leichtigkeit eine erstaunliche Menge von Gegenständen, um daraus endlich eine lange Kette von Schlüssen zu ziehen. Diese sind zuvörderst nur neue Beziehungen, welche aus der Vergleichung der ersten hervorgingen, mit welchen die Seele eine vollkommene Aehnlichkeit findet. So ist, meines Erachtens, die Zeugung des Geistes. Ich sage findet, wie ich früher die Bezeichnung »Augenscheinlich« für die Aehnlichkeit der Gegenstände gewählt habe. Nicht daß ich denke, unsere Sinne trügen, wie Vater Malebranche es behauptet hat, oder daß unsere Augen, von Natur ein wenig trunken, die Gegenstände nicht sehen, wie sie an und für sich sind, obgleich die Mikroskopiker es uns alle Tage beweisen; sondern um keinen Streit mit den Pyrrhoniern zu haben, unter denen Bayle sich hervorgethan hat.
Ich sage von der Wahrheit im Allgemeinen, was Fontenelle von gewissen Dingen im Besonderen sagt, man müsse sie der gesellschaftlichen Annehmlichkeit zum Opfer bringen. Es ist der Sanftmuth meines Charakters eigen, jedem Streite vorzubeugen, wenn es sich nicht darum handelt der Unterhaltung einen stärkeren Reiz zu verleihen. Die Cartesianer kämen hier vergeblich zum Zeugenbeweise mit ihren angeborenen Ideen; ich gäbe mir gewiß nicht den vierten Theil so viel Mühe als Locke, um solche Hirngespinnste anzugreifen. Wozu sollte in der That die Abfassung eines großen Buches nützen, um eine Lehre, welche vor dreitausend Jahren zum Grundsätze erhoben war, darzulegen.
Nach den Grundsätzen, welche wir aufgestellt haben und welche wir für wahr halten, muß derjenige, welcher am meisten Vorstellungskraft hat, zugleich als der am meisten mit Geist oder mit Genie ausgestattete angesehen werden, denn alle diese Worte sind gleichbedeutend und ich wiederhole, es ist ein schändlicher Mißbrauch, wenn man verschiedene Dinge zu sagen glaubt, während man nur verschiedene Worte oder Laute, an welche man keinen wirklichen Gedanken oder Unterschied geknüpft hat, vorbringt.
Das schönste, größte oder stärkste Vorstellungsvermögen ist also am meisten für die Wissenschaften, wie für die Künste geeignet. Ich entscheide nicht, ob es mehr Geist bedarf, um in der Kunst eines Aristoteles, oder eines Descartes, als in derjenigen eines Euripides oder eines Sophokles sich auszuzeichnen, und ob die Natur sich in größere Unkosten versetzt hat, um Newton, als um Corneille zu erschaffen, (was ich sehr bezweifle;) aber es ist gewiß die verschieden angewendete Vorstellungskraft allein, welche ihren verschiedenen Triumph und ihren unsterblichen Ruhm hervorgerufen hat.
Wenn Jemand in dem Rufe steht, wenig Urtheil, aber viel Vorstellungskraft oder Phantasie zu besitzen, so will dies sagen, daß letztere, sich selbst zu sehr überlassen, gleichsam fast immer beschäftigt, sich in dem Spiegel ihrer Empfindungen zu beschauen, nicht genügend gewöhnt worden, diese selbst mit Aufmerksamkeit zu prüfen, weil sie von den Eindrücken oder den Bildern tiefer durchdrungen war, als von ihrer Wahrheit oder ihrer Aehnlichkeit.
In der That ist die Lebhaftigkeit der Phantasie so groß, daß sie ohne die Aufmerksamkeit, welche der Schlüssel oder die Mutter der Wissenschaften ist, die Gegenstände nur oberflächlich zu berühren und zu streifen im Stande ist.
Man betrachte den Vogel auf dem Aste, es sieht aus, als sei er zum Davonfliegen immer bereit; ebenso ist es mit der Vorstellungskraft. Immer von dem Wirbel des Blutes und der Einfalle davongetragen, zeichnet eine Welle die Spur, die die folgende wieder verwischt; die Seele sucht oft vergebens sie einzuholen und muß darauf gefaßt sein das nicht rasch genug Ergriffene und Zurückgehaltene zu beklagen. Und so zerstört und erneuert die Vorstellungskraft ohne Unterlaß – ein treues Bild der Zeit – ihre Schöpfungen.
So steht es durch Verwirrung und beständige und rasche Aufeinanderfolge mit unseren Gedanken; sie jagen sich wie eine Woge die andere treibt, so daß wenn die Vorstellungskraft nicht, so zu sagen, einen Theil ihrer Muskeln in Thätigkeit setzt, um ihr Gleichgewicht auf den Seilen des Gehirnes zu erhalten und eine Zeit lang dadurch auf einem fliehenden Gegenstande festen Fuß zu fassen, ohne gleich auf einem andern, dessen Beschauung erst später erfolgen soll, zu fallen, – sie niemals des schönen Namens »Verstand« würdig sein wird. Sie wird in lebhafter Weise, was sie ebenso empfunden haben wird, ausdrücken; sie wird die Redner, die Musiker, die Maler, die Dichter, aber niemals einen einzigen Philosophen ausbilden. Wenn man im Gegentheil die Einbildungskraft schon von Kindheit an daran gewöhnt, sich selbst einen Zaum aufzulegen, sich nicht zu ihrem eigenthümlichen Ungestüm, der nur glänzende Schwärmer erzeugt, fortreißen zu lassen, seine Gedanken zu fesseln und beisammenzuhalten und sie nach allen Seiten zu beleuchten, damit man einen Gegenstand von allen Gesichtspunkten betrachten könne, – dann wird es, durch Vereinigung von leichter Auffassung und Ueberlegung, den größten Kreis von Gegenständen umspannen, und seine in der Kindheit, wenn sie durch Bemühung und Uebung gezügelt ist, für eine so gute Vorbedeutung gehaltene Lebhaftigkeit wird sich dann zu jenem klaren Scharfsinn gestalten, ohne welchen man wenig Fortschritte in den Wissenschaften macht.
Hiermit sind die einfachen Grundlagen angegeben, auf denen das Gebäude der Logik aufgerichtet worden ist. Die Natur hatte sie dem ganzen Menschengeschlechte dargeboten, aber einige haben sie benutzt, andere gemißbraucht.
Ungeachtet dieser Vorzüge des Menschen vor den Thieren thut man ihm nur Ehre an, wenn man ihn in eine Klasse mit ihnen einreihet. Bis zu einem gewissen Alter ist er wahrhaftig mehr Thier als sie, weil er weniger Instinct bei der Geburt mitbringt.
Welches Thier würde denn mitten in einem Milchstrome sterben? Nur der Mensch. Aehnlich jenem alten Kinde, von welchem ein Neuerer, nach Arnob's Vorgange erzählt, kennt er weder die sich für ihn eignenden Nahrungsmittel, noch das Wasser, welches ihn ertränken, noch das Feuer das ihn zu Asche machen kann. Man lasse zum ersten Male ein Kerzenlicht vor den Augen eines Kindes brennen, so wird es unwillkürlich den Finger hineinstecken, als ob es erfahren wollte, von welcher Art die neue, von ihm wahrgenommene Erscheinung sei; es wird auf eigene Unkosten die Gefahr kennen lernen, aber nicht zum zweiten Male dabei ertappt werden.
Man setze das Kind ferner mit einem Thiere an den Rand eines Abgrundes, es wird allein hineinfallen; es ertrinkt, wo das Thier sich durch Schwimmen rettet. Mit vierzehn oder fünfzehn Jahren merkt der Mensch kaum die großen Vergnügungen, die seiner bei Fortpflanzung seiner Gattung harren; ist er schon Jüngling, versteht er sich nicht allzu gut bei einem Spiele zu benehmen, welches die Natur so rasch den Thieren lehrt; er verbirgt sich, als ob es eine Schande wäre, Vergnügen zu empfinden und dazu geschaffen zu sein, damit man glücklich werde, während die Thiere damit prahlen, Cyniker zu sein. Ohne Erziehung, sind diese auch ohne Vorurtheile. Aber lasset uns ferner diesen Hund und dieses Kind betrachten, welche alle beide ihren Herrn auf einer Heerstrasse verloren haben: das Kind weint, es weiß nicht welchen Heiligen es anrufen soll; der Hund, durch seinen Geruch besser als das andere von seiner Vernunft geleitet, wird ihn bald gefunden haben.
Die Natur hatte uns also geschaffen, um unter den Thieren zu stehen, oder um eben hierdurch die Wunder der Erziehung, welche uns allein aus dem gleichen Stande mit ihnen zieht und uns endlich über sie emporhebt, besser in die Augen springen zu lassen. Aber sollte man diesselbe Unterscheidung den Tauben, den Blindgeborenen, den Schwachsinnigen, den Narren, den wilden Menschen oder den im Walde mit den Thieren erzogenen, sollte man sie denjenigen bewilligen, deren hypochondrische Stimmung das Vermögen der Vorstellung verloren hat, endlich allen jenen Thieren mit menschlicher Gestalt, welche nur den gröbsten Instinkt an den Tag legen? Nein, alle diese Menschen, die es zufolge ihrer Leibesbeschaffenheit und nicht in Folge ihres Geistes sind, verdienen keine besondere Klasse.
Wir haben nicht die Absicht uns zu verhehlen, daß man zu Gunsten der ursprünglichen Unterscheidung des Menschen von den Thieren, gegen unsere Meinung Einwendungen aufwerfen kann. Es ist, sagt man, im Menschen ein natürliches Gesetz, eine Kenntniß des Guten und des Bösen, welche in das Herz der Thiere nicht eingegraben worden ist.
Aber ist dieser Einwand, oder vielmehr diese Behauptung auf die Erfahrung gegründet, ohne welche ein Philosoph Alles verwerfen kann? Besitzen wir eine solche, welche uns überzeugt, daß der Mensch von einem allen anderen Thieren verweigerten Strahle erhellt worden ist? Wenn es also eine solche nicht giebt, so können wir auch nicht sowohl das, was in den Thieren und selbst in den Menschen sich zuträgt, erkennen, als vielmehr nur empfinden, was das Innere unseres eignen Seins schmerzlich berührt. Wir wissen, daß wir denken und daß wir Gewissensbisse haben; ein inneres Gefühl zwingt uns nur allzusehr es einzuräumen; aber um anderer Leute Gewissensbisse zu beurtheilen, genügt das in uns lebende Gefühl nicht; deßhalb muß man anderen Menschen auf ihr eignes Wort, oder nach Maaßgabe der wahrnehmbaren und äußeren Zeichen, welche wir in uns selbstbemerkten, als wir dasselbe böse Gewissen und dieselben Qualen empfanden, in dieser Beziehung Glauben schenken.
Aber um zu entscheiden ob die Thiere, welche nicht reden, das sittliche Naturgesetz auch empfangen haben, muß man sich folgerichtig an die Zeichen halten, von denen ich eben gesprochen, vorausgesetzt, daß sie vorhanden sind. Die Tatsachen scheinen dafür zu reden. Der Hund, der seinen Herrn gebissen, weil er ihn reizte, scheint dies im nächsten Augenblicke schon zu bereuen; man sieht ihn traurig, betrübt, er wagt nicht sich zu zeigen und gesteht seine Strafbarkeit durch eine demüthige, beschämte Miene ein. Die Geschichte bietet uns ein berühmtes Beispiel von einem Löwen, welcher einen seiner Wuth überlassenen Menschen nicht zerreißen wollte, weil er ihn als seinen Wohlthäter wiedererkannte. Wie wünschenwerth wäre es doch, daß der Mensch selbst immer die gleiche Erkenntlichkeit für Wohlthaten und dieselbe Achtung vor der Menschlichkeit an den Tag legte! Man hätte dann weder die Undankbaren, noch jene Kriege zu fürchten, welche die Geißel des Menschengeschlechts und die wahren Henker des natürlichen Sittengesetzes sind.
Aber ein Wesen, dem die Natur einen so frühzeitigen, klaren Instinct gegeben hat, welches urtheilt, verknüpft, überlegt und nachdenkt, soweit der Kreis seiner Thätigkeit sich erstreckt und es ihm erlaubt; ein Wesen, welches von Wohlthaten angezogen, von übler Behandlung verscheucht wird und es bei einem besseren Herrn versucht, ein Wesen, von einem dem unsrigen ähnlichen Baue, welches dieselben Verrichtungen, dieselben Schmerzen, dieselben dem Gebiete seiner Vorstellung und der Beschaffenheit seiner Nerven entsprechenden, mehr oder weniger lebhaften Vergnügungen hat, ein solches Wesen sollte nicht deutlich veranschaulichen, daß es sein eignes und unser Unrecht wohl empfindet, daß es Gutes und Böses kennt und mit einem Worte sich seines Thuns und Lassens bewußt ist? Sollte seine Seele, welche dieselbe Freude, dieselben Kränkungen, denselben Schrecken wie die unsrige bezeugt, ohne jeden Widerwillen bei dem Anblick des zerfleischten Mitgeschöpfs bleiben oder gar nachdem es dieses selbst unbarmherzig zerstückelt hat? Wenn man dies anzunehmen nicht berechtigt ist, so wäre also die fragliche kostbare Gabe den Thieren nicht verweigert worden; denn weil sie uns deutliche Zeichen ihrer Reue, wie ihrer Einsicht blicken lassen, so dürfte es keine abgeschmackte Ansicht sein, daß Geschöpfe, Maschinen fast von derselben Vollkommenheit als wir, gleich uns zum Denken und zum Empfinden der Natur geschaffen seien.
Man wende mir nicht ein, die Thiere seien meist wilde Wesen, die das Unglück, das sie anstiften, zu fühlen außer Stande sind; denn wissen sämmtliche Menschen besser zwischen Lastern und Tugenden zu unterscheiden? Es hat unsere Gattung ebenso gut Wildheit aufzuweisen als die ihrige. Die Menschen, welche aus barbarischer Gewohnheit das Naturgebot übertreten, sind aus diesem Grunde nicht so gepeinigt, als diejenigen, welche es zum ersten Male überschreiten und welche die Macht des Beispiels nicht verhärtet hat. Dasselbe gilt von den Thieren, wie von den Menschen. Beide können mehr oder weniger wild von Temperament sein und sie werden es noch mehr in Gesellschaft derjenigen, welche es sind. Aber ein sanftes, friedliches Thier, welches mit anderen ähnlichen Thieren und von milden Nahrungsmitteln lebt, wird dem Blute und dem Gemetzel Feind sein; es wird innerlich erröthen es vergossen zu haben, mit dem Unterschiede vielleicht, daß, da bei ihnen Alles den Bedürfnissen, dem Vergnügen und der Lebensbequemlichkeit, die sie nicht mehr als wir gemessen, geopfert wird, es so scheint, als brauchten ihre Gewissensbisse nicht so lebhaft als die unsrigen zu sein, weil wir nicht derselben Nöthigung als sie unterworfen sind. Die Gewohnheit stumpft ab und erstickt vielleicht die Gewissensbisse, wie die Vergnügungen.
Aber ich will einen Augenblick annehmen, daß ich mich täusche und daß es nicht richtig sei, daß fast die ganze Welt über diesen Punkt sich im Unrecht befinde, während ich allein Recht haben sollte; ich räume ein, daß die Thiere, selbst die ausgezeichnetsten, die Unterscheidung zwischen dem moralisch Guten und Schlechten nicht kennen, daß sie kein Gedächtniß für die Aufmerksamkeit, für das Gute, das man ihnen erwiesen, keine Empfindung ihrer eigenen guten Eigenschaften haben; daß jener Löwe beispielsweise, dessen ich nach so vielen Anderen Erwähnung gethan, sich nicht erinnern solle, daß er das Leben jenem Manne nicht habe rauben wollen, den man zu einem Schauspiele, das unmenschlicher als alle Löwen, Tiger und Bären war, seiner Wuth überliefert hatte, – während unsere Mitbürger sich schlagen, Schweizer gegen Schweizer, Brüder gegen Brüder, sich erkennen, fesseln und ohne Gewissensbisse tödten, weil ein Fürst ihre Mordthaten bezahlt. Ich nehme endlich an, daß die natürliche Moral den Thieren nicht verliehen worden sei; was wird sich daraus ergeben? Der Mensch ist nicht aus einem kostbareren Leim geknetet, die Natur hat nur ein und denselben Teig verwandt und nur die Sauerteige sind dabei verschieden ausgefallen. Wenn das Thier also die Verletzung des innern Gefühls, von dem ich rede, nicht bereut, oder wenn es desselben vielmehr gänzlich beraubt ist, so muß der Mensch nothwendigerweise sich in demselben Falle befinden, und damit lebe wohl Naturrecht und alle jene schönen Abhandlungen, welche man hierüber veröffentlicht hat! Das ganze Thierreich würde des ersteren durchweg beraubt sein. Aber wiederum, wenn der Mensch nicht umhin kann zu gestehen, daß, wenn die Gesundheit ihm nur die Freiheit des Willens läßt, er immer die Rechtschaffenen, Edeldenkenden, Tugendhaften, von den Unedlen, Nichttugendhaften und Unrechtschaffenen unterscheidet; wenn es leicht ist, das Lasterhafte von dem Tugendhaften schon durch das bloße Vergnügen, oder andrerseits durch das eigene Widerstreben – gleichsam die natürlichen Wirkungen Beider – zu unterscheiden, – so folgt daraus, daß die aus demselben Stoffe gebildeten Thiere, einem Stoffe, welchem vielleicht nur ein Grad von Gährung gefehlt hat, um in Allem den Menschen gleiche Thiere daraus hervorgehen zu lassen, an denselben Vorrechten des animalischen Wesens Theil nehmen müssen, und daß also keine Seele, keine empfindende Substanz dem Gefühle der Reue fremd sein kann. Die folgende Ueberlegung soll das Gesagte erhärten:
Man kann das sittliche Naturgesetz nicht zerstören. Es ist allen Thieren so stark eingeprägt, daß ich durchaus nicht zweifle, auch bei den wildesten und rohesten gebe es Augenblicke der Reue. Ich glaube, daß das wilde Mädchen von Chalons in der Champagne die Strafe für ihr Verbrechen in sich getragen haben wird, wenn es wahr ist, daß sie ihre Schwester gefressen hat. Ich denke dasselbe von Allen, welche selbst unfreiwillige Verbrechen oder dieselben auf Grund eigenthümlicher Beschaffenheit ihres Körpers begehen: von Gaston von Orleans, der sich zu stehlen nicht enthalten konnte; von einer gewissen Frau, die in der Schwangerschaft demselben Laster unterworfen war, welches auch auf ihre Kinder sich vererbte; von dem Weibe welches in demselben Zustande ihren Gatten fraß; von jenem andern, welches die Kinder erwürgte, ihre Körper einsalzte und davon alle Tage, wie von kurzer Zeit im Salze gelegenem jungen Schweinefleisch zehrte; von jener Tochter eines Räubers, welche im Alter von 12 Jahren zur Menschenfresserin wurde, und die, obschon sie als einjähriges Kind ihre Eltern verloren hatte, von rechtschaffenen Leuten auferzogen worden war; – und von so vielen andern hier nicht weiter erst zu nennenden Beispielen, von denen unsere Beobachter erfüllt sind und welche alle beweisen, daß es tausend erbliche, von Eltern auf Kinder, von Amme auf Säugling, übergehende Laster und Tugenden giebt. Ich sage also und räume ein, daß diese Unglücklichen die Ungeheuerlichkeit ihrer That meist nicht auf der Stelle empfinden. Die Freßsucht z. B. kann jeden Funken von Gefüllt erlöschen; es ist dies eine heftige Begierde des Magens, welche man zu befriedigen gezwungen ist. Aber wenn jene Frauen wieder zu sich gekommen und gleichsam nüchtern geworden sind, welche Gewissensbisse für sie bei der Erinnerung an den Mord, welchen sie an dem Theuersten, was sie hatten, begangen haben! Wie schrecklich die Strafe für eine unfreiwillige Uebelthat, welcher sie nicht widerstehen konnten, bei welcher sie des Bewußtseins beraubt gewesen! Jedoch ist dies ein Zustand, welcher den Richtern nicht hinlänglich klar ist. Von den erwähnten Frauen wurde die eine gerädert und verbrannt, die andere lebendig begraben. Ich verkenne keineswegs, was das Interesse der Gesellschaft, erheischt. Aber unzweifelhaft wäre wünschenswerth, daß als Richter nur ausgezeichnete Aerzte fungirten. Sie allein könnten den unschuldigen Verbrecher vom schuldigen unterscheiden Wenn die Vernunft die Sklavin eines verderbten oder wüthenden Sinnes ist, wie sollte sie ihn dann beherrschen können?
Aber wenn das Verbrechen seine mehr oder weniger grausame Strafe selbst mit sich bringt, wenn die längste und barbarischeste Gewohnheit die Reue aus den unmenschlichsten Herzen nicht ganz herauszureißen vermag, wenn sie vielmehr durch die bloße Erinnerung an ihre Frevelthaten zerrissen werden, warum will man das Vorstellungsvermögen schwacher Geister mit einer Hölle, mit Gespenstern und mit Feuerschlünden schrecken, welche in Wirklichkeit noch weniger vorhanden sind, als diejenigen Pascals. In einem Zirkel oder bei Tische bedurfte er immer einer Vormauer von Stühlen, oder Jemandes in seiner Nachbarschaft zur Linken, um keine furchtbaren Ab gründe zu sehen, in welche er manchmal hineinzufallen fürchtete, so sehr er sich auch bewußt war, daß es Täuschungen seien. Welche schreckliche Wirkung der Phantasie oder eines sonderbaren Blutumlaufs in einem Gehirnlappen. Einerseits ein großer Mann, war er anderseits zur Hälfte ein Narr. Die Narrheit und die Weisheit hatten jede ihr Departement oder ihren durch die Sichel getrennten Lappen. Von welcher Seite hielt er so viel auf Port-Royal? Ich habe diese Thatsache in einem Auszuge der Abhandlung über den Schwindel von la Mettrie gelesen.
Was braucht man denn zu Fabeln seine Zuflucht zu nehmen, wie ein rechtgläubiger Papst selbst gesagt hat, um dieselben Unglücklichen zu quälen, welche man dem Tode geweiht, weil man sie durch ihr eigenes Gewissen, welches ihr erster Henker ist, nicht hinlänglich bestraft findet? Ich will damit nicht sagen, daß alle Verbrecher ungerecht bestraft würden; ich behaupte nur, daß diejenigen, deren Willen verderbt und deren Gewissen erloschen ist, vermöge ihrer Gewissensbisse, wenn sie wieder zu sich selbst kommen, genügend bestraft sind, Gewissensbisse, ich wage nochmals diese Bemerkung, von denen, wie mir scheint, die Natur in diesem Falle von einer unheilschwangeren Nothwendigkeit fortgerissene Unglückliche hätte befreien müssen.
Die Verbrecher, die Boshaften, die Undankbaren, endlich diejenigen, welche keine Empfindung für die Natur haben, unglückliche und des Tages unwürdige Tyrannen, mögen aus ihrer Barbarei sich immerhin ein grausames Vergnügen bereiten, in Augenblicken der Ruhe und Ueberlegung erhebt sich doch das Gewissen, zeugt wider sie, und verurtheilt sie, fast unaufhörlich von seinen rächenden Händen zerrissen zu werden. Wer die Menschen quält, wird von sich selbst gequält, und die Pein, welche er empfindet, wird das gerechte Maaß der von ihm Anderen bereiteten sein.
Andererseits ist es ein so großes Vergnügen Gutes zu thun und das erfahrene Gute zu fühlen und dankbar zu erkennen, es liegt eine große Befriedigung in der Ausübung der Tugend, in dem Besitze der Sanftmuth, Menschlichkeit, Zärtlichkeit, Nächstenliebe, des Mitgefühls und der Großmuth (dies Wort allein schließt alle Tugenden in sich), daß, wer auch immer das Unglück hat nicht tugendhaft geboren zu sein, von mir für genug bestraft erachtet wird.
Wir sind ursprünglich nicht, um Gelehrte zu sein, erschaffen worden; wir sind es vielleicht nur durch eine Art Mißbrauch unserer organischen Fälligkeiten geworden, und zwar zur Last des Staates, der eine Menge Müßiggänger ernährt, welche die Eitelkeit mit dem Namen Philosophen geschmückt hat. Die Natur hat uns einzig und allein erschaffen, um glücklich zu sein; ja Alle, vom Wurme, der auf dem Boden kriecht, bis zum Adler hinauf, der sich in den Wolken verliert. Deßhalb hat sie allen Thieren einigen Antheil an dem Naturgebot gegeben, einen mehr oder weniger auserlesenen Antheil, je nachdem die normal beschaffenen Organe jedes Thieres es mit sich bringen.
Wie werden wir nun das Naturgebot definiren? Es ist dies ein Gefühl, welches uns lehrt, was wir nicht thun sollen, indem wir wünschen, daß man es uns nicht thue. Ich darf wohl diesem allgemein bekannten Satze hinzufügen, daß dieses Gefühl mir nur eine Art Furcht oder Schrecken zum Heile der Gattung und des Individuums zu sein scheint; wir achten nehmlich die Börse oder das Leben Anderer vielleicht nur darum, weil wir uns unsere Güter, unsere Ehre und uns selbst erhalten wollen, ähnlich jenen Ixions des Christenthums, welche nur, weil sie die Hölle fürchteten, Gott lieben und so viel eingebildeten Tugenden nachhängen.
Man sieht, daß das Naturgebot nur ein inneres Gefühl ist, welches noch zum Vorstellungsvermögen gehört, gleich allen anderen, zu denen man den Gedanken zählt. Folglich setzt es einleuchtenderweise weder Erziehung, noch Offenbarung, noch einen Gesetzgeber voraus, man müßte es denn mit den bürgerlichen Gesetzen nach der lächerlichen Art der Theologen vermengen wollen.
Die Waffen des Fanatismus können diejenigen, welche diese Wahrheiten behaupten, vernichten, aber sie werden diese Wahrheiten selbst niemals zerstören.
Damit ziehe ich das Vorhandensein eines höchsten Wesens nicht in Zweifel; es scheint mir im Gegentheil der höchste Grad von Wahrscheinlichkeit für dasselbe zu sprechen; aber da diese Existenz nicht in höherem Grade die Nothwendigkeit einer Gottesverehrung, als jede andere beweist, so ist dies eine theoretische Wahrheit, welche mit der Praxis ganz und gar nichts zu thun hat, so daß, da man nach so vielen Erfahrungen sagen kann, die Religion setze vollkommene Rechtschaffenheit nicht voraus, dieselben Gründe zu der Meinung berechtigen, sie sei durch den Atheismus nicht ausgeschlossen.
Wer weiß übrigens, ob die Ursache des menschlichen Daseins nicht eben in seinem Dasein liege? Viel leicht ist er auf irgend einem Punkte der Erdoberfläche dem Zufall hingeworfen worden, ohne daß man wie oder warum wissen kann, nur daß er, gleich jenen von einem Tage zum andern erscheinenden Pilzen oder jenen die Gräben begrenzenden und die Mauern bedeckenden Blumen, leben und sterben muß.
Verlieren wir uns nicht ins Unendliche, wir sind nicht dazu angethan, hiervon auch nur die geringste Idee zu haben; es ist uns durchaus unmöglich zum Ursprunge der Dinge den Pfad aufzufinden. Es ist überdies für unsere Ruhe gleich, ob der Stoff ewig sei, oder ob er erschaffen worden ist, ob es einen Gott giebt oder keinen. Welche Narrheit ist es, sich um deßwillen zu quälen, was zu erkennen unmöglich ist und was uns nicht glücklicher machen wurde, wenn wir damit zu Stande kämen.
Aber, sagt man, lesen Sie alle Werke eines Fénelon Nieuwentit, Abadie, Derham, Raïs etc., nun gut! Was werde ich aus ihnen lernen, oder was habe ich vielmehr aus ihnen gelernt? Das sind nur langweilige Wiederholungen beeiferter Schriftsteller, von denen der eine dem andern nur ein die Grundsätze des Atheismus mehr zu stärken als zu untergraben geeignetes Geschwätz hinzufügt. Der Umfang der Beweise, welche man aus dem Anblicke der Natur schöpft, verleiht ihnen keine größere Kraft. Der Bau eines Fingers, eines Ohres, eines Auges allein, eine Beobachtung von Malpighi, beweisen Alles und ohne Zweifel viel besser als Descartes und Mallebranche; oder vielmehr alles Uebrige beweist nichts. Die Deisten und selbst die Christen müßten sich also mit der Bemerkung begnügen, daß in dem ganzen animalischen Reiche dieselben Absichten mit Hilfe einer unendlichen Menge verschiedener, jedoch durchweg genau abgemessener Mittel ausgeführt werden. Denn mit welchen stärkeren Waffen könnte man die Atheisten niederstrecken? In der That scheinen, wenn meine Vernunft mich nicht trügt, der Mensch und das ganze Weltall zu dieser Einheit der Absichten auserkoren worden zu sein. Die Sonne, die Luft, das Wasser, die Organisation, die Gestalt der Körper, Alles ist in dem Auge wie in einem Spiegel angeordnet, welcher der Vorstellung getreu die darin abgemalten Gegenstände in der gesetzmäßigen Weise darstellt, wie sie für die unendliche Menge von durch das Gesicht wahrzunehmenden Körpern erforderlich ist. Im Ohre finden wir überall eine auffallende Verschiedenheit, ohne daß diese verschiedene Einrichtung beim Menschen, den Thieren, den Vögeln, den Fischen, verschiedene Gebrauchsweisen mit sich brächte. Alle Ohren sind mit so großer mathematischer Genauigkeit gebildet, daß sie in gleicher Weise denselben einzigen Zweck, nehmlich den zu hören, erstreben. Sollte der Zufall, frägt der Deist, denn ein so großer Meßkünstler sein, daß er die Werke, für deren Urheber man ihn hält, so verschieden gestaltet, ohne daß so große Unterschiede ihn an der Erreichung desselben Ergebnisses hindern können? Er fügt noch als Einwarf jene zu künftigem Gebrauche in dem Thiere augenscheinlich enthaltenen Theile hinzu: den Schmetterling in der Raupe, den Menschen im Samenthierchen, einen ganzen Polypen in jedem seiner Theile, die Klappe des ovalen Lochs, die Lunge im Fötus, die Zähne in ihrem Alveolen, die Knochen in den Flüssigkeiten, welche sich von ersteren absondern und auf unbegreifliche Weise erhärten. Und da die Anhänger dieses Systems nichts vernachlässigen, um es zur Geltung zu bringen und daher Beweis auf Beweis zu häufen niemals müde werden, wollen sie Alles benutzen und selbst die Schwäche des Geistes in gewissen Fällen. Sehet, sagen sie, die Spinoza, die Vanini, die Desbarreaux, die Boindins, Apostel, welche dem Deismus mehr Ehre als Unrecht anthun; die Dauer ihrer Gesundheit ist das Maats ihrer Ungläubigkeit gewesen; und in der That ist es, so fügen sie hinzu, selten, daß man den Atheismus nicht abschwört, sobald die Leidenschaften mit dem Körper, ihrem Werkzeuge, schwach geworden sind.
Das ist gewiß Alles, was man zu Gunsten des Vorhandenseins eines Gottes sagen kann, obgleich dieser letzte Beweisgrund insofern hinfällig erscheint, als solche Bekehrungen nur kurz sind und der Geist fast immer seine alten Meinungen wieder aufnimmt und sich diesen Meinungen gemäß verhält, sobald er in den Körperkräften seine frühere Kraft wiedererlangt oder vielmehr wiedergefunden hat. Wenigstens ist dies bedeutend mehr als der Arzt Diderot in seinen »philosophischen Gedanken«, einem erhabenen Werke, welches einen Atheisten nicht überzeugen wird, sagt. Was soll man in der That einem Manne antworten, welcher sich folgendermaßen äußert: »Wir kennen die Natur nicht; in ihrem Innern verborgene Ursachen könnten Alles hervorgerufen haben. Sehet doch einmal den Polypen von Trembley an! Enthält er nicht in sich die Ursachen, welche zu seiner Erneuerung Veranlassung geben? Warum sollte denn die Ansicht so abgeschmackt sein, daß es physische Ursachen für alles Erschaffene giebt, woran die ganze Kette des weiten Weltalls so nothwendig gebunden und denen sie so unterworfen ist, daß nichts von dem, was geschieht, nicht auch nicht geschehen könnte; Ursachen, deren durchaus unüberwindliche Unkenntniß uns zu einem Gotte die Zuflucht nehmen ließ, welcher – nach der Meinung Einiger – nicht einmal ein vernünftiges Wesen ist. Auf solche Art den Zufall vernichten, heißt nicht das Vorhandensein eines höchsten Wesens beweisen, weil es ja möglich ist, daß etwas dazwischen liegt, was weder Zufall noch Gott ist; ich will einmal sagen die Natur, deren Studium folglich nur Ungläubige erzeugen kann, wie die Art zu denken bei ihren glücklichsten Erforschern beweist.«
Das »Gewicht des Weltalls« ist also weit entfernt, einen wirklichen Atheisten zu vernichten, es erschüttert ihn nicht einmal, und alle diese tausend und abermals tausend mal aufs Neue widerlegten Beweise eines Schöpfers, welche man hoch über die sonst bei uns übliche Art zu denken stellt, sind, mag man diese Gründe noch so weit fortsetzen, nur den Antipirrhoniern einleuchtend, oder denjenigen welche Vertrauen genug in ihre Vernunft setzen, um über scheinbare Dinge zu urtheilen, denen, wie man sieht, dir Atheisten vielleicht eben so starke und durchaus widersprechende Wahrscheinlichkeiten entgegensetzen können. Denn wenn wir die Naturalisten weiter hören, so werden sie uns sagen, daß dieselben Ursachen, welche in den Händen eines Chemikers und durch den Zufall verschiedener Mischungen den ersten Spiegel hervorgebracht haben, in den Händen der Natur das reine Wasser, welches der einfachen Schäferin zum. Spiegel dient, geschaffen, haben; daß die die Bewegung, welche die Welt erhält, sie hat erschaffen können; daß jeder Körper den Platz, welchen seine Natur ihm anwies, hat einnehmen müssen; daß die Luft aus demselben Grunde die Erde umgeben mußte, aus welchem das Eisen und die anderen Metalle das Werk ihres Innersten sind; daß die Sonne ein eben so natürliches Erzeugniß als die Entstehung der Electricität ist, daß sie mit nicht mehr Grund zur Erwärmung der Erde und aller ihrer Einwohner, welche sie manchmal auch verbrennt, geschaffen worden, als der Regen, um die Körner hervorzubringen, welche er oft auch zu Grunde richtet; daß der Spiegel und das Wasser nicht mit mehr Vorsatz gemacht worden sind, damit man sich darin ansehen könne, als alle glatten Körper, welche dieselbe Eigenschaft haben; daß das Auge in der That eine Art von Spiegel ist, in welchem die Seele das Bild der Gegenstände, so wie sie ihm von diesen Körpern gezeigt worden sind, beschauen kann, – aber daß nicht bewiesen ist, dieses Organ sei wirklich ausdrücklich um dieser Beschauung willen gemacht oder in die Augenhöhle eingestellt worden; daß es endlich wohl möglich sei, Lucrez, der Arzt Lamy und alle alten und neuen Epicuräer hätten Recht, wenn sie behaupten, daß das Auge nur dadurch, daß es so gestaltet und gestellt ist, wie dies eben der Fall, zum Sehen geeignet sich zeigt, und daß, dieselben Regeln der Bewegung vorausgesetzt, welche die Natur in der Erzeugung und Entwicklung der Körper sonst befolgt, dieses merkwürdige Organ unmöglich anders organisirt werden und einen andern Platz erhalten konnte.
Das ist das Für und Gegen, das sind in Kürze die großen Ursachen, welche die Philosophen für ewig in zwei Heerlager theilen werden. Ich ergreife keine Partei.
Nicht unsere Sache ist es, so große Streitigkeiten beizulegen. Dieses sagte ich einem mir befreundeten Franzosen, einem eben so freien Skeptiker als ich, einem Manne von viel Verdienst und der eines bessern Schicksals würdig war. Er gab mir darauf eine sehr sonderbare Antwort: Es ist wahr, sagte er zu mir, daß das Für und das Gegen die Seele eines Philosophen nicht beunruhigen soll, welcher sieht, daß nichts mit hinlänglicher Klarheit bewiesen ist, um sich seine Uebereinstimmung abnöthigen zu lassen, und daß bestimmtere Anzeichen, die sich von der einen Seite darbieten, alsbald von abweichenden Gedanken, welche sich von der andern Seite zeigen, zerstört werden. Jedoch, meinte er, wird die Welt nur, wenn sie dem Atheismus huldigt, glücklich sein. Folgendes waren die Gründe dieses »abscheulichen« Menschen: Wenn der Atheismus allgemein verbreitet wäre, so würden, sagte er, alle Zweige der Religion alsdann mit der Wurzel zerstört und ausgeschnitten sein. Dann gäbe es keine Religionskriege mehr, nicht mehr die schlimmste Art von Soldaten, Soldaten der Religion! Die von einem geheiligten Gifte angesteckte Natur würde ihre Rechte und ihre Reinheit wiedererlangen. Taub für jede anderen Stimme, würden die ruhigen Sterblichen nur den ungezwungenen Rathschlägen ihrer eignen Individualität Folge leisten; denn diese sind die einzigen, welche man nicht ungestraft verachtet und welche allein durch die angenehmen Pfade der Tugend uns zum Glücke zu führen vermögen.
So verhält es sich mit dem Naturgesetze, und wer es streng beachtet, ist ein redlicher Mann, der das Vertrauen des ganzen Menschengeschlechts verdient. Wer ihm dagegen nicht gewissenhaften Gehorsam leistet, mag er die scheinbaren Außenseiten einer andern Religion so viel zur Schau tragen als er will, ist ein Betrüger, oder ein Heuchler, welchem ich nicht traue.
Hiernach mag ein eitles Volk immerhin anderer Meinung sein; mag es zu behaupten wagen, daß man mit der Offenbarung die Rechtschaffenheit selbst verloren giebt, daß man mit einem Worte einer anderen als der Natur-Religion bedarf, welche sie auch sein mag! Welch' ein Elend! Welch' ein Mitleid! Und die gute Meinung, welche jeder von der Religion, die er gewählt, uns beibringen will! Wir buhlen hier nicht um die Stimme des Pöbels. Wer in seinem Herzen dem Aberglauben Altäre errichtet, ist zur Anbetung der Götzen geboren und nicht um Tugend zu empfinden.
Aber wenn nun alle Fähigkeiten der Seele dermaaßen von der eigenthümlichen Organisation des Gehirns und des ganzen Körpers abhängen, daß sie augenscheinlich nur eben diese Organisation selbst sind, so halten wir eine sehr erleuchtete Maschine vor uns. Denn wenn dem Menschen das Naturrecht auch allein zu Theil geworden wäre, wäre er deßhalb weniger eine Maschine? Räder, einige Federn mehr als in den vollkommensten Thieren, das Gehirn dem Herzen verhältnißmäßig näher und auch mehr Blut empfangend bei gleichem Verhältniß, was weiß ich noch? Unbekannte Ursachen würden immer dieses zarte Gewissen, das so leicht verletzlich ist, diese Gewissensbisse, welche dem Stoffe ebenso wenig fremd, als der Gedanke sind, und mit einem Worte die ganze hier vorausgesetzte Verschiedenheit hervorbringen. Würde denn die Organisation zu Allem genügen? ja, noch einmal. Da doch der Gedanke sich sichtlich mit den Organen entwickelt, warum sollte der Stoff, aus dem sie bestehen, nicht ebenso für Gewissensbisse empfänglich sein, wenn er einmal mit der Zeit die Fähigkeit zu empfinden erlangt hat.
Die Seele ist also nur ein nichtiger Aasdruck, von dem man keine rechte Vorstellung hat und dessen sich ein guter Kopf nur zur Benennung des in uns denkenden Princips bedienen sollte. Nimmt man auch nur den geringsten Grund zur Bewegung an, so wird es den beseelten Körper nicht an dem Nöthigen fehlen, sich zu bewegen, zu fühlen, zu denken, zu bereuen und sich mit einem Worte in der physischen Welt so wie in der davon abhängenden moralischen angemessen zu benehmen.
Wir setzen nichts voraus; wer da meinen sollte, es seien noch nicht alle Schwierigkeiten behoben, der wird Erfahrungen vorfinden, die ihn vollends befriedigen werden.
Wir hätten hiernach mehr Thatsachen als wir brauchen, um unwiderleglich darzuthun, daß jede kleine Faser, oder jeder kleine Theil der organisirten Körper sich vermöge eines eigenthümlichen nicht wie bei den freiwilligen Bewegungen von den Nerven abhängigen, Princips bewegt; weil die Bewegungen, von denen hier die Rede ist, ausgeführt werden, ohne daß die Theile, von welchen sie ausgehen, in irgend einem Zusammenhange mit dem Blutumlauf ständen. Wenn demnach diese Kraft sich sogar in kleinen Faserstückchen bemerklich macht, so muß das Herz, da es eine Zusammensetzung von eigenthümlich verflochtenen Fasern ist, dieselbe Eigenschaft haben. Die Geschichte von Baco brauchte mir nicht erst diese Ueberzeugung beibringen. Mir war es leicht hierüber zu einem Urtheile zu gelangen, sowohl wegen der vollkommenen Aehnlichkeit des Baues beim Menschen- und Thierherzen, als auch wegen des Gewichts des ersteren, in welchem diese Bewegung sich nur, weil sie darin unterdrückt ist, den Augen verbirgt, als auch endlich, weil in den Leichen Alles kalt und unterdrückt erscheint. Wenn man zum Tode verurtheilte Verbrecher, deren Körper noch warm sind, zerlegen könnte, würde man an ihrem Herzen dieselben Bewegungen erblicken, welche man an den Gesichtsmuskeln enthaupteter Leute wahrnimmt.
Dieses Bewegungsprincip ganzer Körper oder in Stücke zerschnittener Theile bringt nicht ungeregelte Bewegungen hervor, wie man geglaubt hat, sondern sehr regelmäßige, und zwar sowohl in warmen und vollkommenen, als auch in kalten und unvollkommenen Thieren. Es bleibt also unseren Gegnern kein anderes Hilfsmittel übrig, als tausend und abermals tausend Thatsachen, welche jeder leicht bestätigen kann, zu leugnen.
Wenn man mich jetzt frägt, welches denn der Sitz dieser unseren Körpern innewohnenden Kraft ist, so antworte ich, daß sie ihn sehr deutlich in dem von den Alten so genannten Parenchym hat, das heißt in der eigenthümlichen Substanz der Theile, abstrahirt von den Venen, Arterien, Nerven, mit einem Worte von der Organisation des ganzen Körpers; und daß folglich jeder Theil in sich mehr oder weniger lebhafte Triebfedern je nach Bedürfniß enthält.
Treten wir einmal in eine etwas nähere Betrachtung dieser Triebfedern der menschlichen Maschine ein: alle vitalen, animalischen, natürlichen und automatischen Bewegungen geschehen durch die Wirksamkeit derselben. Zieht sich nicht der Körper maschinenmäßig zurück, wenn er beim Anblick eines unerwarteten Abgrundes von Schrecken ergriffen wird? Senken sich nicht die Augenlider bei der Drohung eines Schlages? Verengt sich die Pupille nicht vor der Tageshelle, um die Netzhaut zu schonen, und erweitert sie sich nicht, um in der Dunkelheit die Gegenstände zu sehen? Schließen sich die Poren der Haut nicht maschinenmäßig im Winter, damit der Frost nicht ins Innere der Gefäße eintritt? Hebt sich nicht der Magen, vom Gifte erregt, durch eine gewisse Menge Opium, durch alle Brechmittel etc.? Ziehen sich das Herz, die Arterien, die Muskeln nicht während des Schlafs, wie während des Wachens zusammen? Leistet die Lunge nicht den Dienst eines beständig in Bewegung gesetzten Blasebalges? Sind nicht alle Schließmuskeln der Blase, des Mastdarmes etc. maschinenmäßig in Thätigkeit? Zieht sich das Herz nicht stärker zusammen als jeder andere Muskel? Erheben die aufrichtenden Muskeln das männliche Glied nicht beim Menschen, wie bei den Thieren, welche sich damit auf den Bauch schlagen, und selbst beim Kinde, dessen Glied, wenn es gereizt ist, der Aufrichtung fällig wird? Es beweist dies – nebenher gesagt – eine eigenthümliche Schnellkraft dieses Körpertheils, welche noch wenig gekannt ist und deren Wirkungen, trotz aller anatomischer Einsicht, noch nicht recht erklärt sind.
Ich werde mich nicht weiter über jene kleinen untergeordneten von Jedermann gekannten Triebwerke verbreiten. Es giebt aber ein anderes, feineres, und wunderbares, welches sie alle belebt; es ist die Quelle aller unserer Gefühle, aller unserer Vergnügungen, aller unserer Leidenschaften, aller unserer Gedanken; denn das Gehirn hat seine Muskeln um zu denken, wie die Beine die ihrigen um zu gehen. Ich meine jenes anregende und ungestüme, von Hippocrates zzziyyyenormônzzz/iyyy (die Seele) genannte Princip. Dieses Princip ist vorhanden, und es hat seinen Sitz im Gehirne am Ursprunge der Nerven, durch welche es seine Herrschaft auf den ganzen übrigen Theil des Körpers ausübt. Hierdurch erklärt sich Alles, was erklärt werden kann, sogar die überraschenden Wirkungen der Krankheiten des Vorstellungsvermögens.
Aber damit der Leser nicht durch übermäßige Fülle und falsch angebrachte Ausführlichkeit gequält werde, muß ich mich auf eine kleine Anzahl von Fragen und Betrachtungen beschränken:
Warum erzeugen der Anblick, oder die einfache Vorstellung von einer schönen Frau sonderbare Regungen und Wünsche in uns? Kommt das, was dann in gewissen Organen vorgeht, von der bloßen Natur dieser Organe? Keineswegs; sondern von den Beziehungen und einer Art Sympathie dieser Muskeln mit dem Vorstellungsvermögen. Wir haben hier nur als ersten Antrieb das zzziyyybene placitumzzz/iyyy der Alten, oder das Bild der Schönheit, welches ein anderes gleichartiges erregt, das in tiefem Schlummer lag, als die Vorstellungskraft es erweckte; und wie sollte dies anders zu Wege gebracht werden, als durch die Hast und das Geräusch des Blutes und der Geister, welche mit außerordentlicher Schnelligkeit galoppiren und die cavernösen Körper zum Schwellen bringen?
Weil es deutliche Vereinigungswege zwischen Mutter und Kind giebt, Wenigstens durch die Gefäße. Ist es sicher, daß es solche nicht auch vermittelst der Nerven giebt? und weil die Verleugnung der von Tulpius und anderen ebenso glaubwürdigen Schriftstellern (es giebt keine, die es mehr wären), berichteten Thatsachen eine Härte wäre, so werden wir glauben, daß der Fötus auf demselben Wege den Ungestüm der mütterlichen Vorstellung empfindet, wie ein weiches Stück Wachs allerhand Eindrücke empfängt; wir werden glauben, daß dieselben Zeichen oder Maale der Mutter sich an dem Fötus abdrucken können, so unbegreiflich dies ist, was auch Blondel und alle seine Anhänger darüber sagen mögen. Hierdurch geben wir Mallebranche eine Ehrenerklärung, da er wegen seiner Leichtgläubigkeit viel zu sehr von Schriftstellern verspottet wurde, welche die Natur nicht genügend beobachtet und ihn zu ihrer Meinung haben bekehren wollen.
Wir wollen uns einmal das Bildniß jenes berühmten Pope, der wenigstens der Voltaire der Engländer war, ansehen. Die Anstrengungen, die Nerven seines Geistes malen sich in seinen Gesichtszügen; sie sind ganz in Zuckungen; seine Augen verlassen die Augenhöhle, seine Augenbrauen erheben sich mit den Stirnmuskeln. Warum? Weil der Ursprung der Nerven sich einer Anstrengung unterzieht und weil der ganze Körper gewissermaaßen eine mühsame Entbindung mitempfinden soll. Gäbe es nicht innerlich einen Strick, der solchergestalt an den äußeren zöge, woher sollten alle diese Erscheinungen kommen? Zu ihrer Erklärung erst die Annahme einer Seele zulassen, das hieße zur Thätigkeit des heiligen Geistes seine Zuflucht nehmen.
In der That, wenn das, was in meinem Gehirne denkt, nicht ein Theil desselben und folglich des ganzen Körpers ist, warum erhitzt sich, wenn ich ruhig in meinem Bette den Plan zu einem Werke fasse, oder wenn ich einem abstracten Gedanken nachhänge, mein Blut? Warum geht das Fieber meines Geistes in meine Adern über? Fragt nur die Männer von Phantasie, die großen Dichter, diejenigen, welche ein gut ausgedrücktes Gefühl entzückt, welche ein auserlesener Geschmack, die Reize der Natur, der Wahrheit oder der Tugend in Wonne versetzen! Durch ihren Enthusiasmus, aus der Schilderung ihrer Empfindungen, werdet ihr über die Ursache aus der Wirkung euch ein Urtheil bilden; durch jene Harmonie, welche Borelli, welche ein einziger Anatom besser als alle Leibnitzianer erkannt hat, werdet ihr die materielle Einheit des Menschen erkennen. Denn kurz und gut, wenn die Dehnung der Nerven, welche Schmerz erzeugt, das Fieber verursacht, von welchem der Geist in Verwirrung und Willenlosigkeit versetzt wird, und wenn wiederum der allzu angegriffene Geist den Körper in Unordnung und jenes verzehrende Feuer zu Wege bringt, welches einen Bayle schon in seinem Mannesalter dahingerafft hat; wenn mancher Kitzel mich begehren läßt, mit glühendem Verlangen mich zu wünschen zwingt, worum ich mich in keiner Weise den Augenblick vorher kümmerte; wenn gewisse Gehirneindrücke ihrerseits dasselbe Prickeln und dieselben Wünsche erregen, – wozu in etwas Zwiefaches verwandeln, was augenscheinlich nur eins ist? – Man beruft sich vergeblich auf die Herrschaft des Willens. Für einen Befehl, den er ertheilt, fügt er sich hundertmal unter das Joch. Und was ist es für ein Wunder, daß der Körper im gesunden Zustande gehorcht, weil ein Strom von Blut und von Geistern ihn dazu zwingt, da dem Willen eine unsichtbare Legion von flüssigen Elementen, welche lebhafter als der Blitz und immer bereit ihm zu dienen sind, zur Seite stehen. Aber da seine Macht vermittelst der Nerven geübt wird, so wird er auch durch diese gehemmt. Wird der beste Wille eines erschöpften Liebhabers, wird die heftigste Begierde ihm seine verlorene Kraft wiedergeben? Ach! nein; und er wird dafür zuerst bestraft werden, weil, unter gewissen Umständen, es nicht in seiner Macht liegt, kein Vergnügen zu wollen. Was ich oben von der Lähmung etc. gesagt habe, kommt hier wieder zur Anwendung.
Die Gelbsucht überrascht Euch! Wisset Ihr nicht, daß die Farbe der Körper von der der Gläser, durch welche man sie betrachtet, abhängig ist? Wisset Ihr nicht, daß wie die Färbung der Feuchtigkeiten, so auch die der Gegenstände ist, wenigstens mit Rücksicht auf uns, die wir das eitle Spielwerk von tausend Täuschungen sind? Aber entfernt aus dem Auge diese Färbung der wäßrigen Feuchtigkeit, lasset die Galle durch ihr natürliches Sieb fließen, dann wird die Seele, weil sie andere Augen haben wird, nicht mehr gelb sehen. Giebt man nicht ferner durch Niederdrückung des grauen Staars, durch Einspritzung in den Eustachischen Canal, den Blinden das Gesicht, den Tauben das Gehör wieder? Wie vielen Leuten, welche vielleicht nur geschickte Charlatane in den Jahrhunderten der Unwissenheit waren, hat man große Wunderthaten zugeschrieben! O über die schöne Seele und den mächtigen Willen, der nur in soweit zu handeln vermag, als die Körperverhältnisse es ihm erlauben und dessen Geschmack mit dem Alter und dem Fieber sich verändert! Darf man denn erstaunen, daß die Philosophen immer die Gesundheit des Körpers vor Augen gehabt haben, um die Gesundheit der Seele zu erhalten? Wenn Pythagoras mit eben solcher Sorgfalt Diät verordnet, als Plato Wein verboten hat? Ein maaßvolles diätetisches Verhalten, welches dem Körper wohlthut, ist immer dasjenige, mit welchem vernünftige Aerzte den Anfang zu machen rathen, wenn es sich um die Bildung des Geistes, um die Erhebung desselben zur Erkenntniß der Wahrheit und Tugend handelt. Vergebliche Stimmen während verwirrender Krankheit und erregter Sinnesthätigkeit! Ohne die Vorschriften der Gesundheitspflege predigen Epictet, Socrates, Plato, etc. vergebens; jede Moral ist unfruchtbar für die Unmäßigen; die Mäßigkeit ist die Quelle aller Tugenden, wie die Unmäßigkeit diejenige aller Laster ist.
Bedarf es noch mehr, (und wozu soll ich mich in die Geschichte der Leidenschaften verlieren, welche alle durch das Hippocratische zzziyyyenormônzzz/iyyy sich erklären?) um zu erweisen, daß der Mensch nur ein Thier ist, oder eine Vereinigung von Triebfedern, welche sich durch gegenseitigen Einfluß verstärken, ohne daß man sagen kann, auf welchem Punkte des menschlichen Kreises die Natur angefangen hat. Wenn diese Triebfedern von einander abweichen, so geschieht dies nur nach Maaßgabe der Körperstelle und vermöge einiger Abstufungen ihrer Kraftverhältnisse, und niemals vermöge der Verschiedenheit ihres eigentlichen Wesens; und folglich ist die Seele nur ein Bewegungsprincip, oder ein empfindlicher materieller Theil des Gehirns, den man, ohne einen Irrthum zu fürchten, von dem Gesichtspunkte betrachten darf, daß er eine Haupttriebfeder des ganzen Maschinenwerks ist, welche einen sichtlichen Einfluß auf alle anderen zu üben und sogar zuerst geschaffen worden zu sein scheint; so daß also alle anderen von ihr nur ein Ausfluß wären, wie man aus einigen Beobachtungen, welche ich bringen werde und welche an verschiedenen Embryonen gemacht worden sind, ersehen wird.
Diese Schwingung, welche zur Natur oder Eigenthümlichkeit unserer Maschine gehört und eine Eigenschaft jeder Faser, sowie, so zu sagen, jedes fibrösen Elementes ist, kann, wie dies auch beim Pendel der Fall, nicht beständig währen. Man muß sie erneuern, so oft sie sich verliert; ihr Kräfte geben, wenn sie schwach wird; sie schwach machen, wenn sie durch ein Uebermaaß von Stärke und Kraft unterdrückt ist. Hierin allein besteht die wahre Medicin.
Der Körper ist nur eine Uhr, und der frische Chylus der Uhrmacher. Die erste Sorge der Natur, wenn er ins Blut tritt, ist die Erregung einer Art Fieber, welches die Chemiker, welche nur von Oefen träumen, für eine Gährung halten mußten. Dieses Fieber ruft eine größere Klärung der Lebensgeister hervor, die maschinenmäßig die Muskeln und das Herz, als ob sie auf Befehl des Willens zu ihnen geschickt worden wären, beleben.
Das sind also die Ursachen oder die Kräfte des Lebens, welche auf diese Weise während 100 Jahren die beständige Bewegung des Festen und Flüssigen, welche dem einen wie dem andern nothwendig ist, unterhalten. Aber wer kann sagen, ob das Feste zu diesem Spiele, mehr als das Flüssige, und umgekehrt, beiträgt? Alles, was man hierüber weiß, ist, daß die Thätigkeit der festen Bestandtheile bald ohne die Hülfe der flüssigen vernichtet sein würde. Diese Flüssigkeiten erwecken und erhalten die Elasticität der Gefäße, von welcher ihre eigene Circulation abhängt, durch ihren Stoss. Daher kommt es, daß nach dem Tode die natürliche Triebfeder jeder Substanz mehr oder weniger noch stark ist, indem sie auf die letzten Lebensäußerungen folgt und über dieselben hinaus bleibt, um zuletzt zu erlöschen. In solchem Maaße ist es thatsächlich, daß diese Kraft der thierischen Theile – obschon sie sich durch die Macht des Kreislaufs zu erhalten und zu vermehren vermag – von der Circulation unabhängig ist, daß sie auch ohne die Unverletztheit jeglichen Gliedes oder Eingeweides wohl zu bestehen im Stande ist, wie man gesehen.
Mir ist freilich bekannt, daß diese Lehre nicht von allen Gelehrten gut geheißen werden, und daß besonders Stahl sie sehr gemißbilligt hat. Dieser große Chemiker hat uns überzeugen wollen, daß die Seele die einzige Ursache aller unserer Bewegungen sei. Aber das heißt als Fanatiker und nicht als Philosoph reden.
Um die Stahl'sche Hypothese zu vernichten, bedarf es nicht so großer Anstrengungen, als man, wie ich sehe, vor mir gemacht hat. Man braucht nur auf einen Violinspieler sein Augenmerk zu richten. Welche Biegsamkeit, welche Beweglichkeit in den Fingern! Die Bewegungen sind so schnell, daß die Reihenfolge derselben beinahe verschwindet. Demnach bitte ich die Anhänger von Stahl, oder ich glaube vielmehr nicht, daß sie es können, obschon sie so gut wissen, was in der Seele vorgeht, – mir zu sagen, wie es möglich ist, daß diese so rasch alle Bewegungen ausführt, Bewegungen, welche so weit von ihr, und an so verschiedenen Stellen, vorgehen. Das ginge eben so wenig wie bei einem Flötenspieler, welcher glänzende Cadencen auf unendlich vielen Oeffnungen, die ihm unbekannt und auf die er nicht einmal den Finger legen könnte, ausführen sollte.
Aber lasset uns mit Hecquet sagen, daß es nicht Jedermann erlaubt ist, nach Corinth zu gehen. Und warum sollte Stahl von der Natur nicht noch mehr begünstigt gewesen sein, denn als Chemiker und Praktiker? Er müßte (o der glückliche Sterbliche!) eine andere Seele als der übrige Theil der Menschen erhalten haben. Eine regierende Seele, welche mit einer Herrschaft über die willkürlichen Muskeln unzufrieden, ohne Mühe die Zügel aller Körperbewegungen an sich hielte, sie nach Belieben aufheben, beschwichtigen, erregen könnte! Mit einer so unumschränkten Herrin, in deren Händen sich gewissermaaßen die Schläge des Herzens und die Gesetze der Circulation befänden, würde es gewiß kein Fieber mehr geben; keinen Schmerz, kein Siechthum; weder beschämende Impotenz, noch betrübenden Priapismus. Die Seele will, und die Triebfedern spielen, sie richten sich auf oder mäßigen ihre Anspannung. Wie konnten die Federn der Stahlseilen Maschine so rasch verderben? Wer einen so großen Arzt bei sich hat, müßte unsterblich sein.
Stahl ist übrigens nicht der einzige, welcher den Grundsatz der Schwingung der organisirten Körper verworfen hat. Größere Geister haben ihn nicht angewandt, wenn sie die Thätigkeit des Herzens, die Aufrichtung der Ruthe haben erklären wollen. Man braucht nur die Institutionen der Medicin von Boerhaave zu lesen, um zu sehen, welche mühsame und verlockende Systeme dieser große Mann sein mächtiges Genie hat schweißtriefend gebären lassen, weil er die an den Körpern haftende so deutlich erkennbare Kraft nicht zugelassen hat.
Willis und Perrault, zwar etwas untergeordnete Geister, aber fleißige Beobachter der Natur, welche der berühmte Professor in Leyden nur durch Andere gekannt und – so zu sagen – nur aus zweiter Hand gehabt hat, scheinen lieber eine im Körper allgemein verbreitete Seele, als das Princip, von dem wir sprachen, gewollt zu haben. Aber in dieser Hypothese, welche schon Virgil, sowie alle Epikuräer hatten, und welche anfänglich durch die Geschichte des Polypen etwas für sich zu haben scheint, kommen die den Organismus, welchem sie anhaften, überlebenden Bewegungen von einem Seelenüberrest, den die sich zusammenziehenden Körpertheile noch behalten, ohne ferner durch das Blut und die Lebensgeister gereizt zu werden. Man sieht hieraus, daß diese Schriftsteller, deren tüchtige Werke leicht alle philosophischen Fabeln verdunkeln, sich nur in Betreff der Form dessen, was der Materie die Fähigkeit zu denken gegeben, getäuscht haben, ich meine, weil sie sich schlecht ausgedrückt haben, in dunkeln und nichtssagenden Worten. In der That, was ist das »Seelen-Ueberrest«, wenn es nicht die bewegende Kraft der Leibnitzianer bedeuten soll, die schlecht durch einen solchen Ausdruck wiedergegeben wird, die jedoch besonders Perrault wirklich erblickt hat. (Siehe seine Abhandlung über die Mechanik der Thiere.)
Nunmehr, da klar gegen die Cartesianer, die Stahlianer, die Malebranchisten und die hier mit aufzustellen wenig würdigen Theologen bewiesen ist, daß die Materie sich von selbst bewegt, nicht allein wenn sie z. B. so, wie in einem ganzen Herzen, gestaltet ist, sondern selbst dann, wenn eine solche Gestaltung vernichtet ist, – so möchte die menschliche Neugierde gern erfahren, wie denn ein Körper, eben dadurch, daß er von seinem Entstehen an mit einem Lebenshauch begabt ist, sich demzufolge mit der Fälligkeit zu empfinden und endlich mit derjenigen zu denken ausgestattet findet. Und um mit dieser Sache zu einem Ergebniß zu gelangen, haben gewisse Philosophen sich – bei Gott – wer weiß wie angestrengt! Und wie geduldig habe ich über diesen Gegenstand so manches Gewäsch gelesen!
Alles, was die Erfahrung uns lehrt, ist, daß, so lange die Bewegung bestellt – so gering sie auch in einer oder mehreren Fasern sei – man diese nur zu reizen braucht, um eine derartige beinahe erloschene Bewegung zu erwecken, zu beleben, wie man dies in jener Menge, von Erfahrungen, mit denen ich die Systeme bewältigen wollte, gesehen hat. Es ist also bekannt, daß die Bewegung und das Gefühl sich wechselseitig erregen, sowohl bei den Körpern, wenn sie noch ganz, als auch bei denselben Körpern, wenn ihr Bau zerstört ist; gewisser Pflanzen nicht zu gedenken, welche uns dieselben Phänomene der Vereinigung des Gefühls und der Bewegung darzubieten scheinen.
Aber mehr noch, wie viel ausgezeichnete Philosophen haben bewiesen, daß der Gedanke nur eine Eigenschaft des Empfindungsvermögens ist; und daß die vernünftige Seele nur die empfindende Seele sei, welche zur Betrachtung von Ideen und zum Ueberlegen verwendet worden. Hierdurch allein wäre bewiesen, daß, wenn die Empfindung erloschen, der Gedanke es nicht minder ist, wie dies in der Apoplexie, der Lethargie, der Catalepsie etc. der Fall ist. Denn diejenigen, welche angenommen haben, daß die Seele nicht weniger in den soporösen Krankheiten gedacht hätte wenn sie sich auch nicht der gehabten Gedanken zu erinnern vermöchte, haben etwas Lächerliches behauptet.
Es wäre eine Thorheit über die Aufsuchung eines Mechanismus in Betreff der hier obwaltenden Entwicklungsgesetze die Zeit zu verlieren. Das Wesen der Bewegung ist uns ebenso unbekannt, als das der Materie. Das Mittel zu entdecken, auf welche Weise jene sich in derselben erzeugt, ist, mit dem Verfasser der Geschichte der Seele die alte und unverständliche Lehre der »wesentlichen Formen« wiederzuerwecken. Ich bin demnach ganz ebenso ruhig, darüber in Unkenntniß zu sein, wie die unwirksame und einfache Materie, thätig und zur Zusammensetzung von Organen verwendet wird, als über die Unmöglichkeit ohne rothes Glas in die Sonne sehen zu können; und ich bin ebenso zu einem gütlichen Vergleich rücksichtlich der anderen unfaßbaren Wunder der Natur, der Entstellung des Gefühls und des Gedankens in einem Wesen, welches ehemals unseren beschränkten Augen nur ein Stückchen Koth erschien, bereit.
Man gestehe mir nur zu, daß mit der organischen Materie ein Bewegungsprincip verbunden ist, welches sie allein von dem nicht organisirten Stoffe unterscheitet (dies wird man der unwiderleglichsten Beobachtung nicht versagen?) und daß Alles in den Thieren von der Verschiedenheit dieser Organisation, wie ich es genügend dargelegt habe, abhängt; das ist genug, um das Räthsel der Dinge und des Menschen zu lösen. Man sieht, daß es überhaupt nur eins im Weltall giebt, und daß der Mensch das vollkommenste ist. Er ist im Vergleich zum Affen, zu den klügsten Thieren, was Huygens's Planetenuhr im Vergleich zu einer Uhr des Königs Julianus ist. Wenn man mehr Werkzeuge, mehr Räder, mehr Federn zur Bezeichnung der Planetenbewegungen bedurfte, als zur Bezeichnung der Wiederholung der Stunden; wenn Vaucanson größere Kunst anwenden mußte, seinen Flötenspieler zu machen als für seine Ente, so hätte er noch bei Weitem bedeutendere Kunst zeigen müssen, um ein sprechendes Gebilde hervorzurufen, was – besonders unter den Händen eines modernen Prometheus – nicht mehr als unmöglich erachtet werden kann. So war es denn ebenso nöthig, daß die Natur mehr Kunst und Aufwand zur Erschaffung und Unterhaltung einer Maschine, die während eines ganzen Jahrhunderts alle Schläge des Herzens und des Geistes angeben konnte, verwandte; denn wenn man daran auch nicht die Stunden nach dem Pulse zählen kann, so kann man wenigstens nach dem Barometer der Hitze und Lebhaftigkeit über die Natur der Seele ein Urtheil gewinnen. Ich täusche mich nicht, der menschliche Körper ist eine Uhr, aber eine erstaunliche, und mit so viel Kunst und Geschicklichkeit verfertigt, daß, wenn das Rad, welches zur Angabe der Sekunden dient, zum Stillstehen kommt, das für die Minuten sich weiter dreht und seinen Schritt weiter geht, sowie auch das Viertelstundenrad seine Bewegung fortsetzt, und ebenso die anderen Bäder, wenn die ersten verrostet oder aus irgend welcher Ursache verdorben, ihren Gang unterbrochen haben.
Ist die Verstopfung einiger Gefäße nicht in eben derselben Weise ungenügend zur Zerstörung oder Unterbrechung des Hauptsitzes der Bewegungen, welcher im Herzen, das gleichsam den für die Eröffnung der Maschine bestimmten Theil bildet, sich befindet; weil ja im Gegentheil die Flüssigkeiten, deren Umfang vermindert ist, einen kürzeren Weg zu machen haben, und ihn um so rascher, wie von einem neuen Strome fortgerissen, durchlaufen, als sich die Kraft des Herzens wegen des Widerstandes, den es am Ende der Gefäße findet, vermehrt? Wenn der Sehnerv allein, durch einen auf ihm lastenden Druck, das Bild der Gegenstände nicht mehr durchläßt, ist es denn da nicht klar, daß die Beraubung des Gesichts eben so wenig den Gebrauch des Gehörs hindert, als die Beraubung dieses Sinnes, wenn die Functionen der zzziyyyPortio molliszzz/iyyy aufgehoben sind, nicht zugleich die des andern voraussetzt? Ist es denn nicht ferner Thatsache, daß der Eine hört, ohne sagen zu können, daß es geschieht, (außer nach dem Krankheitsanfalle) und daß der Andere, welcher nichts hört, aber dessen Zungennerven im Gehirn frei sind, maschinenmäßig alle durch den Kopf schießenden Träumereien hererzählt? Solche Erscheinungen können helldenkende Aerzte nicht überraschen. Sie wissen, wie sie die Natur des Menschen aufzufassen haben; und – um es im Vorübergehen zu sagen – von zwei Aerzten ist meines Erachtens immer derjenige der bessere, der am meisten Vertrauen verdienende, welcher am meisten in der Naturlehre oder der Mechanik des menschlichen Körpers bewandert ist, der sich um die Seele und um alle die Besorgnisse, welche diese Chimäre den Thoren und Unwissenden einflößt, nicht kümmert, und der bloß wesentlich sich mit dem reinen Naturalismus beschäftigt.
Mag also ein gewisser Charp sich immerhin über die Philosophen, welche die Thiere als Maschine betrachtet haben, lustig machen. Wie verschieden von ihm denke ich! Ich glaube daß Descartes ein in jeder Beziehung achtungswerther Mann wäre, wenn er, in einem nicht aufklärungsbedürftigen Jahrhundert geboren, den Werth der Erfahrung und Beobachtung und die Gefahr sich von ihnen zu entfernen, gekannt hätte. Aber es ist nicht weniger gerecht, daß ich diesem großen Manne eine autentische Ehrenerklärung angedeihen lasse, um aller jener kleinen Philosophen mit ihren schlechten Witzen und ihrer übel gelungenen Nachäffung von Locke willen, welche statt unverschämt dem Descartes ins Gesicht zu lachen, besser thäten sich zu überzeugen, daß ohne ihn das Feld der Philosophie, wie dasjenige des gesunden Verstandes ohne Newton, vielleicht noch unbebaut wäre.
Es ist wahr, daß dieser berühmte Philosoph sich vielfach getäuscht hat und Niemand stellt es in Abrede. Aber bei alledem hat er doch die thierische Natur gekannt; er hat zuerst völlig bewiesen, daß die Thiere reine Maschinen seien. Wohlan denn, soll man nach einer Entdeckung von solcher Wichtigkeit, von so viel dazu erforderlichem Scharfsinn, ihm nicht – um gerecht zu sein – alle seine Irrthümer zu Gute halten!
Sie sind in meinen Augen durch dieses große Bekenntniß alle wieder gut gemacht. Denn kurz, man merkt, obschon er sich über die Unterscheidung der beiden Wesenheiten ausläßt, daß dies nur ein Kunstgriff, eine stylistische List ist, um die Theologen, unter dem Anschein einer jedermann auffallenden und nur von ihnen allein nicht wahrgenommenen Aehnlichkeit, ein verborgenes Gift schlucken zu lassen. Denn diese starke Aehnlichkeit eben zwingt alle Gelehrte und wahrhaft Urtheilsfähige einzugestehen, daß jene stolzen und eiteln Wesen, welche mehr durch ihren Hochmuth als durch den Namen von Menschen sich hervorthun – wie groß auch ihre Lust ist sich zu erheben – im Grunde genommen nur senkrecht in die Höhe gereckte Thiere und Maschinen sind. Sie haben alle jenen merkwürdigen Instinct, aus welchem die Erziehung Geist macht und der immer seinen Sitz im Gehirn, und – an seiner Stelle – z. B. wenn es fehlt oder verknöchert ist, im verlängerten Marke, und niemals in dem kleinen Gehirne hat. Denn ich habe es beträchtlich verwundet gesehen, und Andere Haller in den Transact. philosoph. haben es krebsig entartet gefunden, ohne daß die Seele ihre Vorrichtungen zu üben aufgehört hätte.
Eine Maschine sein, fühlen, denken, das Gute vom Bösen unterscheiden können wie das Blaue vom Gelben, mit einem Worte mit Erkenntnißvermögen und einem sicheren Triebe geboren sein und doch nichts als ein Thier sein, das sind also einander nicht mehr widersprechende Dinge, als ein Affe oder ein Papagei sein, und es verstehen sich der Lust hinzugeben. Denn weil die Gelegenheit sich einmal darbietet es zu sagen, wer hätte jemals a priori errathen, daß ein Tropfen von der Flüssigkeit, welche sich bei der Begattung ergießt, mit himmlischem Vergnügen verbunden ist, und daß aus ihm ein kleines Geschöpf hervorgehen würde, welchem einst, wenn gewisse gesetzmäßige Bedingungen nicht fehlen, derselbe Genuß zu Theil werden könnte? Ich halte den Gedanken so wenig unverträglich mit der organisirten Materie, daß er vielmehr eine Eigenthümlichkeit derselben grade so wie die Elektricität, die Bewegungskraft, die Undurchdringlichkeit, die Ausdehnung etc. zu sein scheint.
Will man noch neue Beobachtungen haben, so fehlt es mir nicht an solchen, welche keinen Einwurf gestatten und beweisen, daß der Ursprung des Menschen vollkommen demjenigen der Thiere gleiche, wie dies mit alle dem, was wir bereits zur Vergleichung der letzteren mit den ersteren für wesentlich gehalten haben, der Fall ist.
Ich berufe mich dabei auf die Glaubwürdigkeit unserer Beobachter. Sie mögen uns sagen, ob es nicht wahr ist, daß der Mensch nach seinem Ursprünge nur ein Wurm ist, aus dem ein Mensch wird, wie aus der Raupe der Schmetterling. Die gewichtigsten Boerhaave Inst. Med. und so viele Andere. Autoren haben uns gelehrt, wie man zu verfahren habe, um dieses Thierchen zu sehen. Alle Neugierigen haben es gesehen, z. B. Hartsoeker, und zwar im Samen des Mannes und nicht in dem der Frau; nur die Thoren haben über dasselbe sich Skrupel gemacht. Obgleich jeder Tropfen Samen eine unendliche Menge dieser kleinen Würmer enthält, so besitzt, wenn dieselben in den Eierstock geschleudert werden, doch nur der geschickteste oder stärkste die Kraft in das von der Frau gelieferte Ei, welches ihm alsdann seine erste Nahrung giebt, einzudringen und sich darin einzupflanzen. Dieses Ei, welches man manchmal in den Fallopischen Trompeten auffindet, wird durch diese Canäle in die Gebärmutter gebracht, wo es Wurzel faßt, wie ein Getreidekorn in der Erde. Aber obgleich es daselbst durch sein Wachsthum von 9 Monaten sehr groß wird, unterscheidet es sich nicht von den Eiern der anderen Thiere weiblichen Geschlechts, außer das seine Haut (das Amnios) sich niemals verhärtet und sich ungeheuer erweitert, wie man dies zu ersehen im Stande ist, wenn man den Fötus im Augenblick, wo er das Ei zu verlassen im Begriff steht, (was ich zu meinem Vergnügen bei einer Frau, die einen Augenblick vor ihrer Niederkunft gestorben war, beobachtet habe) mit anderen kleinen ihrem Ursprung sehr nahen Embryonen vergleicht, denn alsdann ist es immer das Ei in seiner Schale und das Thier im Ei, welches, in seinen Bewegungen gehindert, sich maschinenmäßig ans Licht zu bringen sucht, und zu diesem Behufe zerbricht es zunächst mit dem Kopfe diese Membran, aus der es ausschlüpft, wie das Huhn, der Vogel etc. aus der ihrigen. Ich werde eine Beobachtung hinzufügen, welche ich nirgends finde; nehmlich daß das Amnios darum nicht dünner ist, weil es sich außerordentlich ausgedehnt hat; indem es hierin der Gebärmutter ähnlich ist, welche durch in ihre Substanz infiltrirte Säfte sich aufbläht, unabhängig von der Anfüllung und Entfaltung aller ihrer Gefäßbiegungen.
Betrachten wir den Menschen in und außer seiner Schale, prüfen wir mit einem Mikroskope die jüngsten Embryonen von 4, von 6, von 8 oder 14 Tagen; nach dieser Zeit genügen dazu die bloßen Augen. Was sieht man? den Kopf allein; ein kleines rundes Ei mit zwei schwarzen Punkten, welche die Augen bezeichnen. Vor dieser Zeit ist Alles unförmlich, man bemerkt nur eine markige Masse, welche das Gehirn ist, in welchem sich zuerst der Ursprung der Nerven, oder der Anfang der Empfindung und das Herz, welches schon von selbst in dieser Masse die Fähigkeit zu schlagen hat, ausprägt; letzteres ist das Punctum saliens von Malpighi, welches vielleicht schon einen Theil seiner Lebhaftigkeit dem Einflusse der Nerven verdankt. Hierauf sieht man nach und nach den Kopf den Hals verlängern, der durch Erweiterung zunächst den Brustkorb bildet, in welchen das Herz schon hinabgestiegen ist, um sich daselbst zu befestigen, woran sich der durch eine Scheidewand (das Zwerchfell) getrennte Unterleib anschließt. Diese Erweiterungen ergeben dann einerseits die Arme, die Hände, die Finger, die Nägel und die Haare; andrerseits die Schenkel, die Beine, die Füße etc. mit dem bekannten Unterschiede in der Lage, vermöge deren der Körper sich stützt und im Gleichgewicht hält. Ueberall eine auffallende Vegetation. Hier sind es die Haare, welche den Scheitel unserer Köpfe bedecken, dort sind es Blätter und Blumen. Ueberall leuchtet dieselbe Verschwendung der Natur hervor, und endlich ist auch der Geist, der in den Pflanzen herrscht, an dem Orte, an welchem wir unsere Seele, diese andere beste Kraft des Menschen, haben.
Man fängt an die Einheit der Natur zu fühlen, ebenso die Aehnlichkeit des animalischen und Pflanzenreichs, wie auch die des Menschen mit der Pflanze. Vielleicht sogar giebt es animalische Pflanzen, welche nehmlich während ihres Wachsthums sich entweder wie Polypen schlagen, oder andere den Thieren ähnliche Inductionen verrichten.
Das ist beinahe Alles, was man über die Zeugung weiß. Daß die Theile, die sich anziehen, welche zur Vereinigung und um die oder jene Stelle einzunehmen geschaffen sind sich alle ihrer Natur gemäß verbinden, und daß sich auf diese Weise die Augen, das Herz, der Magen und endlich der ganze Körper bilden, wie es große Männer in ihren Schriften gesagt haben, ist wohl möglich. Aber da die Erfahrung uns mitten in diesen Feinheiten verläßt, werde ich keine Vermuthungen aufstellen und betrachte Alles, was meinen Sinnen nicht auffällt, als ein undurchdringliches Geheimniß. Es ist so selten, daß beiderlei Samen sich bei geschlechtlicher Zusammenkunft begegnet, daß ich versucht bin zu glauben, der Same der Frau sei zur Erzeugung unnöthig.
Aber wie soll man die Erscheinungen ohne dieses bequeme Verhältniß der Theile, welches so gute Rechenschaft über die Aehnlichkeit der Kinder zu geben vermöchte, warum sie bald dem Vater, bald der Mutter ähnlich sind, erklären? Und soll denn andrerseits der Umstand, daß man um eine Erklärung verlegen ist, eine Thatsache aufwiegen? Mir scheint, das männliche Geschlecht macht Alles, mag die Frau dabei schlafen oder noch so wollüstig erregt sein. Die Anordnung der Theile würde also von jeher auf dem Keime oder gar auf dem Wurme des Mannes beruhen. Aber das geht ja Alles über den Horizont der ausgezeichnetsten Beobachter. Denn da ihnen hierin nichts Greifbares zu Gebote steht, können sie über den Mechanismus der Bildung und der Entwickelung des Körpers nicht besser urtheilen, als ein Maulwurf über den Weg, den ein Hirsch zu durchlaufen vermag.
Wir sind wahre Maulwürfe auf dem Gebiete der Natur; wir machen auf demselben durchaus keinen andern Weg als dieses Thier, und nur unser Hochmuth begrenzt die Dinge, die keine Grenzen darbieten. Wir befinden uns in dem Falle einer Uhr, welche sagen würde; (ein Fabel-Schmidt würde daraus eine Person von Wichtigkeit in einem werthlosen Werke machen) »Was, jener thörichte Handwerker hat mich gemacht, mich, die die Zeit eintheilt, mich, die so genau den Lauf der Sonne bezeichnet, mich, die laut die Stunden, die ich angebe, wiederholt!« Nein, das ist unmöglich. Wir verschmähen ebenso, undankbar wie wir sind, diese gemeinschaftliche Mutter aller Herrschaften, wie die Chemiker sagen. Einer Ursache, die höher steht als diese, sind – wie wir uns vorstellen oder vielmehr vermuthen – wir für Alles dankbar verpflichtet, einer Ursache, welche wirklich Alles auf unfaßbare Art gemacht hat. Nein, die Materie hat nur in Augen, welche aus Mangel an Scharfsichtigkeit sie in ihren glänzendsten Werken verkennen, etwas Niedriges, und die Natur ist keine beschränkte Werkmeisterin. Sie bringt Millionen Menschen mit mehr Leichtigkeit und Vergnügen hervor, als ein Uhrmacher bei der Anfertigung der zusammengesetztesten Uhr Mühe hat. Ihre Macht giebt sich in gleicher Weise bei der Erzeugung des niedrigsten Insectes, als bei Hervorbringung des herrlichsten Menschen kund; das Thierreich kostet ihr nicht mehr Mühe als das Pflanzenreich, das prächtigste Genie nicht mehr als eine Getreideähre. Urtheilen wir also nach dem, was wir sehen, über das, was sich der Neugierde unserer Augen und unserer Nachforschungen entzieht, und gehen hierüber mit unseren Vorstellungen nicht hinaus. Verfolgen wir den Affen, den Biber, den Elephanten etc. in ihren Verrichtungen. Wenn es einleuchtend ist, daß sie ohne Verstand nichts auszuführen vermögen, warum ihn diesen Thieren absprechen? Und wenn Ihr ihnen eine Seele zusprechet, Ihr Fanatiker, so seid Ihr verloren; Ihr möget künftig erklären, so viel Ihr wollt, daß Ihr über die Natur derselben zu keiner Entscheidung gekommen, während Ihr mit dieser doch die Unsterblichkeit für unverträglich haltet. Wer sieht nicht, daß dies eine ungegründete Behauptung ist? wer sieht nicht ein, daß die Seele entweder sterblich oder unsterblich wie die unsrige sein muß, mit der sie das gleiche Schicksal, welches es auch sein mag, zu theilen hat, und daß man also in die Scilla hineinfällt, will man die Charybdis vermeiden?
Brechet die Kette Eurer Vorurtheile, bewaffnet Euch mit der Fackel der Erfahrung und Ihr werdet der Natur die verdiente Ehre erweisen, statt aus der Unkenntniß, in welcher sie Euch gelassen, Schlüsse zu ihrem Nachtheile zu ziehen. Oeffnet nur die Augen und lasset das für Euch Unbegreifliche auf sich beruhen; Ihr werdet dann sehen, daß jener Ackersmann, dessen Geist und Einsicht sich nicht über die Grenzen seiner Furche erstreckt, nicht wesentlich von dem größten Geiste abweicht, wie die Zerschneidung der Gehirne von Descartes und Newton es bewiesen hätte; Ihr werdet überzeugt sein, daß der Schwachsinnige oder der Dumme Thiere mit menschlicher Gestalt sind, wie der Affe mit seiner Fülle von Verstand ein kleiner Mensch unter einer anderen Gestalt ist, und kurz daß, da Alles durchaus von der Verschiedenheit der Organisation abhängt, ein gut gebautes Thier, welchem man die Astronomie gelehrt hat, eine Finsterniß voraussagen kann, so gut wie die Heilung oder den Tod, wenn es einige Zeit Geist und Scharfsicht für die Schule des Hippocrates und auf das Krankenbett verwandt hat. Durch diesen Faden von Beobachtungen und Wahrheiten gelangt man dahin, mit der Materie die wunderbare Eigenthümlichkeit des Denkvermögens zu verknüpfen, ohne daß man das verknüpfende Band zu sehen vermag, weil die Ursache dieser Eigenschaft uns in ihrem Wesen unbekannt ist. Wir wollen nicht sagen, daß jede Maschine, oder jedes Thier gänzlich untergeht oder eine andere Form nach dem Tode annimmt, denn wir wissen davon durchaus nichts. Aber wenn man versichern wollte, daß eine unsterbliche Maschine ein Hirngespinnst sei, oder ein Wesen mit Vernunft, so wäre dies ein eben so ungereimter Gedanke, als den z. B. Raupen haben würden, welche beim Anblick der abgefallenen Hüllen Ihresgleichen das Schicksal ihrer Gattung, als ob dieselbe der Vernichtung anheimfiele, bitter beklagten. Die Seele dieser Insecten (denn jedes Thier hat die seinige) ist zu beschränkt, um die Verwandlungen der Natur zu begreifen. Niemals hätte ein einziges unter den Klügsten von ihnen sich vorgestellt, daß es zum Schmetterling werden sollte. Dasselbe gilt von uns. Was wissen wir mehr von unserer Bestimmung als von unserem Entstehen? Unterwerfen wir uns also einer unüberwindlichen Unkenntniß, von welcher unser Glück abhängt.
Wer also denkt, wird klug, gerecht, ruhig über sein Schicksal, und folglich glücklich sein. Er wird den Tod erwarten, ohne ihn zu fürchten oder zu wünschen, und mit der Liebe zum Leben begreift er kaum, wie in dieser freudenvollen Welt das Gefühl der Unlust ein Herz verderben könne. Voll Achtung für die Natur, voll Dankbarkeit, Anhänglichkeit, Zärtlichkeit, nach Maaßgabe des Gefühls und der Wohlthaten, welche sie ihm verliehen, endlich auch glücklich darüber, daß er sie empfindet und bei dem reizenden Schauspiele des Weltalls gegenwärtig ist, wird er die Natur gewiß niemals weder in sich, noch in Anderen zerstören. Was sage ich! Voller Menschlichkeit wird er ihren Charakter sogar in seinen Feinden lieben. Man urtheile, wie er die Anderen behandeln wird. Er wird die Lasterhaften beklagen, ohne sie zu hassen; in seinen Augen werden dies nur mißgestaltete Menschen sein. Aber er wird, wenn er auch die Fehler der Geistes- und Körperbildung mit Nachsicht zu beurtheilen hat, nicht Weniger ihre Schönheiten und ihre Tugenden bewundern. Diejenigen, welche die Natur begünstigt, werden ihm mehr Rücksichten zu verdienen scheinen, als diejenigen, welche sie stiefmütterlich behandelt haben wird. So hat man also die Ueberzeugung gewinnen können, daß die Gaben der Natur, die Quelle von Allem, was zu erlangen möglich, in dem Munde und dem Herzen des Materialisten, sich der Anerkennung erfreuen, welche jeder Andere ihnen ungerechterweise versagt. Da schließlich der Materialist, so sehr seine eigene Eitelkeit sich dagegen auflehnt, überzeugt ist, daß er nur eine Maschine, oder ein Thier ist, so wird er seines Gleichen nicht übel behandeln; ist er ja allzusehr über das Wesen dieser Handlungen, deren Unmenschlichkeit immer im Verhältnisse zu der vorhin dargelegten Aehnlichkeitsstufe steht, belehrt und mit einem Worte nicht Willens dem allen Thieren verliehenen Naturgesetze gemäß, an Anderen zu verüben, was er an sich nicht verübt sehen möchte.
Behaupten wir also dreist, daß der Mensch eine Maschine ist und daß es in der ganzen Welt nur eine einzige verschieden geartete Wesenheit giebt. Das ist ja keine durch Fragen und Vermuthungen zu Wege gebrachte Hypothese, es ist dies weder ein Werk des Vorurtheils, noch sogar meiner Vernunft allein; ich hätte einen Führer, welcher mir so wenig für sicher gilt, verschmäht, wenn meine Sinne, so zu sagen mit einer Fackel versehen, mir nicht Veranlassung gegeben hätten, mit ihrer Leuchte jener zu folgen. Die Erfahrung also sprach bei mir für die Vernunft; so habe ich sie beide mit einander vereint.
Aber man hat wohl auch nicht außer Acht gelassen, daß ich mir das stärkste und ganz unmittelbar auf das Ziel losgehende Urtheil erst nach vielfachen physikalischen Beobachtungen, welche kein Gelehrter widerlegen wird, gestattet habe; und so erkenne ich auch nur die Gelehrten als Richter über meine Schlußfolgerungen an, – und weise jeden Menschen mit Vorurtheilen, jeden, der weder Anatom noch mit der einzigen hier zulässigen Philosophie, derjenigen des menschlichen Körpers, bekannt ist, zurück. Was vermöchte gegen eine so feste und dichte Eiche jenes schwache Rohr der Theologie, der Metaphysik und der Schulen; kindische Waffen, ähnlich den Rappieren auf unseren Fechtböden, die wohl das Vergnügen der Fechtkunst gewähren, aber niemals ihrem Gegner erheblichen Schaden zufügen. Brauche ich erst zu sagen, daß ich von jenen hohlen und trivialen Ideen rede, von jenen gestürzten und erbärmlichen Ansichten, welche man über die vermeintliche Unverträglichkeit von zwei sich unaufhörlich berührenden und bewegenden Substanzen äußern wird, so lange der Schatten des Vorurtheils oder des Aberglaubens auf der Erde bleibt? Das ist mein System, oder vielmehr die Wahrheit, wenn ich mich nicht sehr irre. Sie ist kurz und einfach. Streite jetzt, wer da will!