Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
So ging es zu, als Margareta Fredkulla, die nach Norwegen reiten sollte, um sich mit dem König Magnus Barfot zu vermählen, in das Storgårddorf in Westgotland kam, das am südlichen Alfufer liegt, ein Stück oberhalb von Kungahälla.
Zuerst von allen hatten die beiden alten Mütterchen Karin Wullum und Valborg Toot, die oben im großen Walde gewesen waren, um Moos zu sammeln, einen Schimmer der Prinzessin, von einer hohen Bergspitze aus, zu sehen bekommen. Sie warfen allsogleich die Last, die sie trugen, ab und stürzten hinunter ins Dorf, um zu erzählen, daß etwas Helles und Holdes weit weg über den Waldweg ritt, daß schöne Menschen unter den Bäumen einherzogen. Aber niemand, der sie hörte, wollte ihnen Glauben schenken. »Wehe euren trüben Augen!« rief man ihnen zu. »Das kann keine Prinzessin gewesen sein, das war sicherlich nichts anderes als der Moornebel, der unter den roten Fichtenstämmen tanzte.«
Gleich nach den alten Weiblein kam Rasmus, der Köhlerjunge, gelaufen. Die Augen leuchteten in seinem Gesicht, und er war so atemlos, als er ins Dorf kam, daß er kaum zu sprechen vermochte. Aber sobald er Worte hervorbringen konnte, begann er überlaut zu rufen: »Freuet euch! Die Prinzessin kommt! Ich habe die Holde gemach unter den Bäumen reiten sehen. Freuet euch!«
Rasmus, der Köhlerjunge, hatte auf dem dreieckigen Platze mitten im Dorfe Halt gemacht, da, wo drei Wege sich begegnen. Ein paar Bauern standen da und flüsterten miteinander davon, daß der Krieg mit Norwegen bald aufs neue ausbrechen sollte, und als sie Rasmus hörten, glaubten sie, er wollte seinen Spott mit ihrem Unglück treiben. »Bärenjunges,« sagten sie und drohten ihm mit den Fäusten, »schweig, wenn dir dein Leben lieb ist! Kein Wort mehr davon, du Wechselbalg!«
Aber Rasmus, der Köhlerjunge, war nicht so leicht zum Schweigen zu bringen. Er begann noch einmal mit seinem Sprüchlein: »Die Prinzessin kommt. Die stummen Vögel des Fichtenwaldes hörte ich zwitschern, um sie zu grüßen. Wo sie einerzog, schwang sich das Eichhörnchen aus den Baumwipfeln herab und saß stille auf dem untersten Zweig, den Schwanz aufrecht in die Höhe und mit Augen wie Feuerkohlen. Und der Auerhahn flog zwischen den Bäumen auf, knatternd wie Donner.«
Als er dies gesagt hatte, stürzte Per, der Schmied, vor und nahm Rasmus, den Köhlerjungen, beim Ohr. »Die Prinzessin,« zischte er ihn an, »du sagst, daß du die Prinzessin gesehen hast! Es war ein Geist, verstehst du, ein schöner Waldgeist. Die Prinzessin kommt nicht. Gott erbarme sich, die Prinzessin kommt nicht!«
Aber obgleich niemand das Gerücht glauben wollte, lief es im Augenblick durchs ganze Dorf, und Leute kamen von allen Seiten hinab auf den Platz, um zu hören, was der Knabe zu sagen hatte. Das Storgårddorf war während des Krieges der früheren Jahre zum größten Teile verbrannt worden und bestand nun zumeist aus schwarzen Brandplätzen, auf denen man aus Furcht vor dem Kriege nicht gewagt hatte, neue Häuser zu errichten. Aber aus Kellern und elenden Erdlöchern, in denen die Menschen hausten, kamen sie herangeschlichen, abgezehrt und in Lumpen. Sie gingen sehr still und trauten sich kaum recht, zu Rasmus, dem Köhlerjungen, hinzutreten, so, als wagten sie es nicht, seine Botschaft zu hören.
Aber als Per, der Schmied, sah, daß ihrer immer mehr kamen, kniff er den Jungen so hart ins Ohr, daß er jammerte. Gleichzeitig versuchte der Schmied mit klugen Worten den Knaben zu überreden, daß er schwieg. »Du sollst keinen Scherz mit uns armen Bauern treiben, die im Grenzland leben, in diesen schlimmen Zeiten, wo die Könige des Nordens den Frieden nicht halten,« sagte er. »Wir sind Schafe, die von der Herde getrennt sind. Wir sind von Bären gejagt, wir sind in Abgründe gestürzt. Jeden Tag und jede Stunde blicken wir dem Tod ins grimmige Antlitz.«
Während der Schmied sprach, kamen immer mehr und mehr Bauern zur Stelle. Da kam einer mit Namen Hallvard, der am vorigen Tage so gewiß gewesen war, daß der Krieg von neuem beginnen würde, daß er seine Schatzkiste hinaus auf die Heerstraße gestellt und alle Vorübergehenden gebeten hatte, daraus zu nehmen, was sie wollten. Und da kamen die Leute aus dem Westerhof, die all ihr Erbgut in Bier und Essen verwandelt hatten und den Krieg erwarteten, indes sie sich in Sünden wälzten, und zum Schlusse kamen die Menschen von einem kleinen Hofe ganz am Ende des Dorfes, die sich jüngst daran gemacht hatten, selbst all ihr Heu zu verbrennen und ihr Vieh zu schlachten, damit die Norweger keinen Nutzen davon haben sollten.
Als der Schmied all diese Menschen kommen sah, noch immer stumm und still, aber mit Augen, in denen der Wahnsinn brannte, da erschrak er vor dem, was sie tun konnten, wenn sie jetzt genarrt wurden, auf Frieden zu hoffen.
»Begreifst du nicht, daß es die Waldelfe war?« sagte er wieder zu Rasmus und sprach laut, damit alle ihn hören sollten. »Die geht dort oben im Walde um und lächelt und winkt und verdreht euch Köhlern den Kopf. Das kannst du wohl denken, daß die Waldelfe weiß, daß König Inge eine Friedensverhandlung mit dem norwegischen König Magnus im vorigen Sommer zu Kungahälla abhielt. Sie weiß wohl, daß da bestimmt wurde, daß der Friede solchermaßen befestigt werden sollte, daß König Inges Tochter nach Norwegen kommen und sich mit König Magnus vermählen müsse. Und da die Waldelfe sich nun denken kann, daß wir alle einhergehen und nach der Friedensjungfrau spähen und ausgucken, so verzaubert sie unsere Augen und zeigt sich in der Gestalt einer Prinzessin. Solchen Schabernack spielt das Trollpack nur zu gerne.«
Rasmus, der Köhlerjunge, stand stille und hörte Per, dem Schmied, ganz fromm zu, so daß dieser glaubte, er hätte den Knaben überzeugt, und ihn los ließ. Aber kaum war Rasmus befreit, als er auch schon noch lauter als früher zu schreien begann: »Die Prinzessin kommt, ich habe die Prinzessin gesehen!«
Und damit man ihm glaubte, hub er an, von der Krone zu erzählen, die gleich einer Blume mit Perlentau war, und von der Satteldecke, die so prächtig leuchtete wie der rote Fliegenpilz.
Aber da trat das alte Mütterchen Sigrid Torsdotter aus dem Haufen. Sie schwang ihren Stock hoch in die Luft und begann zu rufen: »Wer ist es, der sagt, daß die Prinzessin kommt? Ich weiß, ich, was kommt. Den lieben langen Winter saß ich allein in meiner Hütte und sah den Rauch vom Herde aufqualmen. Aber jeden Abend war der Rauch voll Zeichen. Er füllte sich vor meinen Augen mit Gestalten, die Schwert und Panzer trugen. Und ich weiß, was es bedeutet, wenn der Rauch voll Krieger ist. Es sind Vorboten von anderen, die in einer dunklen Nacht, wenn wir in tiefem Schlummer liegen, an unsere Häuser herangeschlichen kommen, wir hören sie nicht, wenn sie nahen, denn wir schlafen, aber wir erwachen, wenn der rote Hahn auf dem Dache zu krähen beginnt, wenn wir erstickt werden in unseren raucherfüllten Hütten, wenn die Mannen des norwegischen Königs Siegesgeschrei ausstoßen vor den brennenden Mauern.«
Alle Menschen fühlten Schauer der Furcht, als sie Sigrid Torsdotter hörten, aber der Köhlerjunge stellte sich ihr gerade in den Weg.
»Ich schere mich einen blauen Teufel um eure Rauchwolken,« sagte er. »Ich habe die Prinzessin gesehen. Hold und schön leuchtete ihr Angesicht unter der Krone.«
Per, der Schmied, der für die getäuschten Hoffnungen der armen Menschen fürchtete, warf sich über Rasmus, den Köhlerjungen, und schleifte ihn fort zu der Erdhöhle, wo er seine Schmiede hatte, führte den Knaben dort hinein und wälzte vor den Eingang den großen Stein, der als Türe diente.
Aber Rasmus schrie ohne Unterlaß:
»Ich habe die Prinzessin gesehen, und mich dünkt, ihr solltet euch freuen, daß sie kommt!«
Aber kaum hatte Per, der Schmied, den Köhlerjungen fortgeschafft, als ein Mann, der mehrere Jahre hindurch friedlos im großen Walde umhergewandert war, hinab ins Dorf kam. Er sah aus wie ein wildes Tier, in seinen Fellen und mit seinem langen, ungestutzten Bart, aber er lachte laut vor Freude, wie er da gelaufen kam, und er schwenkte einen grünen Zweig über seinem Haupte als ein Friedenszeichen. Er lief durch das ganze Dorf, blieb bei einem jeden der schwarzen Brandplätze stehen und rief so laut, daß man es bis hinab in die dunklen Keller hörte, wo das Volk wohnte: »Die Prinzessin kommt. Ich habe die Prinzessin gesehen.«
So kam der Friedlose auch zu Folkes, des Landrichters großem Hof, und rief dort ebenso laut wie anderswo. Aber Folke, der Landrichter, der ihn hörte, kam alt und gebückt aus einem Kellergang und rief ihm zu: »Friede sei mit dir, du Friedloser. Du mußt nicht mit Lügen kommen, um uns zu locken, dir zu verzeihen. Ich hebe den Fluch von deinem Haupte. Du sollst nicht in den Wald zurückkehren, wir sind selbst gleich Friedlosen, wir verdammen keinen, geächtet von uns zu gehen.«
»Warum willst du mir nicht glauben?« sagte der Friedlose. »Weißt du nicht, daß König Inge gelobt hat, im Lenz die Friedensjungfrau zu entsenden.«
Als er dieses sagte, sah der Alte ihn mit müden, hoffnungslosen Blicken an. »Nicht weiß ich, daß es Frühling ist, jetzund,« sagte er. »Freund, für uns arme Bauern ist nun Herbst und Frühling eins und dasselbe. Für uns kann der Schnee auf dem Acker liegen bleiben, denn wir werden ihn nicht mit unseren Pflügen furchen. Der Regen mag in den Wolken hängen und der Samen still in der Erde liegen, ohne zu keimen und zu wachsen, wir werden nicht säen noch ernten. Wir sitzen still und harren des Verderbens.«
Aber mittlerweile kamen arme Jäger und Knechte, die ihrem Herrn entlaufen waren, aus dem Walde herab und brachten dem Volke, das sich auf dem dreieckigen Platze versammelt hatte, neue Kunde. Aus vielen Augen begann die Hoffnung zu leuchten, nur das alte Mütterchen Sigrid Torsdotter saß noch trübe und düster da und erzählte von ihren Träumen.
»Wehe dem, der hofft, ehe er die Prinzessin mit eigenen Augen geschaut,« rief sie. »Wenn sie am Waldessaume flimmert auf silberbehuftem Fohlen, wenn die Perlenkrone übers Tal leuchtet, dann ist es Zeit für die Grenzbauern, zu hoffen.«
Kaum hatte sie dies gesagt, als Karin Wullum und Valborg Toot ein »Mutter Gottes, hilf uns!« ausstießen und zum Waldessaum aufsahen, wo der Weg aus dem dichten Walde wie aus einem Kellergewölbe hervorkam.
Und alle begannen durcheinander zu rufen: »Kommt her und seht! – was ist das? Mutter Gottes, hilf uns! – Beschattet eure Augen mit der Hand und blickt zum Walde auf! – Macht das Kreuzeszeichen und seht zum Walde auf!«
»Ist es nicht eine Jungfrau, die dort naht, mit herrlichem Troß? Sehen wir sie alle?«
All die erschreckten und verwilderten Menschen begannen zu rufen und die Hände emporzustrecken.
»Ist dies nicht ein Waldgeist?« schrien sie. »Ist es nicht ein Gaukelspiel der Hölle? Sehen wir alle eine Prinzessin?
Sie warfen sich auf die Knie und fingen an, zu beten und fromme Lieder zu singen. Sie eilten hin zum Glockenstuhl und läuteten, um zu prüfen, ob die holde Jungfrau ein Troll war und Glockengeläute fürchtete.
Aber als die alte Sigrid Torsdotter mit ihren weitsichtigen Augen sah, daß eine Jungfrau aus dem dunklen Wald geritten kam, da zögerte sie nicht mehr, sondern war die erste, die rief:
»O du Liebe, du Holde, du Morgensonne und Blume. Du bist keine Waldelfe, du bist eine Königstochter! Danket, lobet den Herrn! O Teure, daß du endlich gekommen bist! Daß du nun hinabreitest in unser Tal!«
Sigrid Torsdotter schwang den Stock hoch über ihrem Haupt, und von allem Volke gefolgt, eilte sie der Prinzessin entgegen.
»Du Liebe, du Holde, du Morgensonne und Blume!« riefen sie alle ihr zu.
Und als sie ihr ganz nahe waren, riefen sie:
»Du Liebe, du Holde, wie leuchtest du herrlich unter der Krone, schlage das Seidentuch zurück. Laß uns dich recht sehen!«
Sie drängten sich dicht an den großen schwarzen Traber, der feierlich einherschritt unter seiner Purpurdecke, mit großem wehenden Federbusch am Ohr, die Mähne in Flechten geteilt und mit Goldbändern durchwunden.
»Du Liebe, du Holde!« riefen sie. »Es ist wohl sanft, das große schwarze Pferd. O, Liebe, daß du endlich gekommen bist!«
Wie Margareta FredkullaFredkulla, zu Deutsch Friedensjungfrau. geritten kam, folgten ihr viel edle Herren und Frauen aus ihres Vaters Land, aber vor ihrem Pferde ging ein armer Bauer, der eine zerbrochene Lanze in der Hand trug und unablässig rief:
»Hier reitet die schöne Friedensjungfrau. Hier reitet Margareta Fredkulla!« Während ihres ganzen Rittes durch das Grenzland hatte die Prinzessin gesehen, wie Ruhe und Freude sich unter dem Volke ausbreitete, wohin immer sie gekommen war, hatte sie Bauern gesehen, die den Pflug in die Erde senkten, und Hausmütter, die Linnen auf die Bleiche trugen. Hungrige Herden waren auf die Weide geführt worden, die Jugend hatte wieder gewagt, sich mit Armspangen und Ringen zu schmücken. Helme und Schwerter waren in die Waffentruhe geworfen worden.
Wo immer sie vorbeigezogen war, waren Kinder und Frauen ihr mit Blumen und mit zartem Frühlingslaub entgegengeeilt. Und oben im tiefen Walde war der alte wilde Köhler gelaufen gekommen und hatte sie in seine Hütte gebeten und ihr erfrorene Beeren vorgesetzt.
Aber niemals war die schöne Königstochter mit solcher Freude begrüßt worden, wie im Storgårdsdorfe.
Ein paar der Männer nahmen das Pferd am Zügel und begannen es behutsam den steilen Abhang hinabzuführen.
»Gott segne dich!« riefen sie ihr zu. »Gott segne dein schönes Angesicht! Gott segne dich, Fredkulla!«
Während der Zug sich hinab zum Storgårdsdorfe bewegte, liefen die Bauern neben der Königstochter einher und erzählten ihr keuchend, wie sie geharrt und gelitten. Sie sagten ihr alles, was sie während des langen Unfriedens ausgestanden.
Als sie endlich hinab auf den dreieckigen Platz gekommen waren, nahm Fredkulla die Zügel an sich und hielt den stattlichen Traber an. Sie hatte nie zuvor so viel Elend gesehen. Sie sah auf die Brandplätze und die geplünderten Häuser, und sie sah auf die armen Menschen. Und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Aber da küßten die Bauersfrauen ihre Hände und riefen ihr zu, nun wären sie nicht mehr betrübt, da sie gekommen war. Nun hatten sie die Friedensjungfrau in ihrer Mitte, nun waren ihre Leiden vorüber. »Denke nicht an uns, o Fredkulla,« sagten sie, »weine nicht über unser Elend. Denke an König Magnus, den herrlichen Helden, dem du angehören sollst. Lächle ihm in Huld. Streichle in Gedanken sein langes helles, seidenblasses Haar.«
Und da sie noch immer still auf dem Pferde saß und weinte, fingen sie alle an, sie zu trösten.
»Jetzt ist es nicht Zeit, zu weinen, Jungfrau,« riefen sie. »siehst du, hier liegt der Alf, und am andern Ufer ist Norwegen, da ist das schiffreiche Kungahälla, wo dein Bräutigam deiner harrt. Gott segne dich! Er freut sich wohl der Stunde, wo er dich in seine Arme schließen darf.«
»Sieh, Jungfrau, nun weiß man es schon längs der Ülfgestade, daß du gekommen bist. Sieh' die Freudenfeuer, die auf allen Hügeln aufflammen! Sieh das Volk hinab zum Ülf strömen! Und höre, dort drüben rufen sie schon: ›Fredkulla, heil!‹ Du kannst die Worte hören, sie werden deutlich über das Wasser getragen.«
Aber Fredkulla ließ sich nicht trösten, sondern hielt noch immer betrübt das Pferd an und ließ ihre Blicke von dem einen zum andern wandern. Sie sah sie krank und zerlumpt. Sie sah sie verwildert, so daß sie nicht mehr gleich Menschen waren.
Da erhob sie die Hand zum Zeichen, daß sie sprechen wollte, und es wurde still rings um sie.
Dann sprach Margarete Fredkulla auf dem Platze des niedergebrannten Storgårddorfes, und all die armen Menschen hörten sie, und ebenso hörten sie die hohen Herren und Frauen, die in ihrem Gefolge ritten.
»Ich will, daß ihr alle es im Sinn behaltet, was ich nun gelobe, bei Gott und allen Heiligen, solange ich Worte auf meiner Zunge, solange ich Blut in meinem Herzen habe, solange will ich das Werk des Friedens wirken.«
Hier verstummte sie, als begriffe sie, daß in dem, was sie versprochen, eine Gefahr lag, und dann fügte sie hinzu: »Und sollte es mich auch Glück und Leben kosten.«
Als die Königstochter dieses Gelöbnis abgelegt hatte, blickte sie mit freudigem Mute auf und weinte nicht mehr. Sie trieb das Pferd auf dem Weglein vorwärts, das hinab zur Flußfähre führte.
Aber da saß am grünen Wegesrand ein kleiner Hirtenbube. Der war so froh wie nur irgend einer, und er wollte der Prinzessin das Beste geben, was er hatte. So fing er an, ihr ein kleines Liebesliedlein vorzusingen, von einem König hoch oben im Norden, der sich nach der Kaiserstochter im Morgenlande sehnte.
Und wieder saß Fredkulla stille auf dem Pferde und horchte dem Knaben, der mit hoher und klarer Stimme sang:
Eine gibt es, die mich bindet,
Tag und Nacht an sie zu denken.
Und sie wird doch nimmer, nimmer
Mir ihr Herz in Liebe schenken.
Die holde Maid im Osten
Hat kriegerischen Mut;
Matilda, Kaiserstochter,
Dir weih' ich Gut und Blut.
Nichts köstlicher auf Erden
Als stolz-vielliebe Fraue.
Ach, nun folgt mir mein Sehnen
Wohl über Feld und Aue.
Vom Thing die Sorge reitet
still neben mir zu Pferde,
Die sorge, daß ich niemals
Der Schönen Liebster werde.
So lautete die Weise, und als die Königstochter sie zu Ende gehört hatte, lächelte sie dem Knaben zu und fragte, wer sie gedichtet hätte.
Und da ist keiner, der es vermag, den Hirtenknaben zu hindern, und er antwortet auf die Frage, stolz darauf, Bescheid zu wissen:
»Es ist König Magnus, der das Lied gedichtet hat, in Gedanken an Matilda, des Kaisers Tochter.«
Ach, welche Betrübnis ergreift da die liebliche Fredkulla.
»Hat König Magnus die Weise gedichtet!« ruft sie. »Was soll ich dann bei ihm, der sich in Liebessehnsucht nach der Kaisertochter des Morgenlandes verzehrt? Für mich hat er keine Weisen gedichtet, die von Mund zu Mund gehen, wohl übers ganze Land. Zu mir trägt er keine Liebe im Herzen.«
Und in großer Bestürzung vernahmen die armen Bauern, wie die Jungfrau ihr Gefolge rief.
»O, liebe Herren und gute Frauen, geleitet mich wieder heim! Habt Erbarmen mit mir, ihr meines Vaters gute Diener! Laßt mich nicht zu König Magnus ziehen. Hörtet ihr nicht das Lied? Nicht nach mir schmachtet er, dieser Mann. Er sehnt sich nach einer schönen Kaisertochter.« Als Fredkulla dies sagte, hörte sie, wie die Volksschar, die den Weg entlang stand und wartete, laut rief: ›Fredkulla, Heil!‹Und von all den Tausenden, die aus dem großen Kungahälla strömten, um sie zu empfangen, ertönte es in vielstimmigem Wiederhall: ›Fredkulla, Heil!‹
Aber die Jungfrau fuhr fort, zu klagen und zu bitten.
»Liebe, gute Herren und edle Frauen, führet mich heim! Hörtet ihr nicht das Liedchen? Wir begehen eine Sünde gegen den König. Ich will mir den Namen einer Königin nicht erzwingen. Ich will nur heim.«
Und immer riefen die, die in der Ferne entlang der Ülfgestade standen: ›Fredkulla, Fredkulla!‹
Da hielt Fredkulla sich die Hände vor die Ohren. Sie hatte schon das Pferd gewendet und es mit lauten Zurufen vorwärts getrieben. »Ach, daß das Volk doch schwiege,« sagte sie. »Fredkulla rufen sie, aber es wird wohl auch Friede, wenn ich gleich nicht komme. König Magnus beginnt keinen Krieg um meinetwillen. Es bringt ihm nur Freude, wenn ich wieder heimkehre.«
Noch immer, noch immer fuhren die, die am Wegessaume standen und warteten, fort, ihr ›Fredkulla‹zu rufen. Aber die, welche nahe standen, fingen an zu fragen und sich zu verwundern: »Wohin reitet sie? Wohin reitet sie?«
Und als sie sahen, daß sie hinauf zum Walde reiten wollte, da stürmten sie ihr nach.
»Höre, Königstochter, was diese alte Frau sagt,« riefen sie.
»Mein Kopf ist schwank unter der Last der Jahre,« sagte sie, »soll mir nun der Krieg meinen Sohn rauben?«
»Nun, Königstochter,« schrien sie, »nun werden alle Türen im ganzen Tal ins Schloß fallen. Nun werden die Waffentruhen geöffnet! Der Bauer wird die Pflugschar aus der Erde reißen, was meinst du damit, daß du die Hände vor die Ohren hältst? Du mußt hören, hören, hören!«
»Fredkulla,« riefen sie, während sie hinter ihr her jagten. »Du trägst deinen Namen vergebens. Fredkulla, wir wagen nicht, Samen in die Erde zu streuen! Fredkulla, unsere Tochter wird dieses Jahr nicht Hochzeit feiern! Fredkulla, wenn unsere Gehöfte niedergebrannt sind, werden unsere alten Frauen einen Schandpfahl aufrichten auf dem schwarzen Grunde, und darauf werden sie deinen Namen eingraben, Fredkulla, Fredkulla!«
Der ganze Haufe aus dem Storgårdsdorfe war hinter ihr her. Sie brüllten rings um sie, all die unglücklichen Menschen.
»Fredkulla, denke an uns, wenn wir fallen! Wenn uns unsere Herden geraubt werden, denk' an uns! Wenn wir unsere Blutsverwandten rächen, denke an uns. Wenn wir wilde Taten ausüben, denke an uns! Denke an uns, sowie wir immer an dich denken werden!«
»Du darfst nicht heimwärts reiten, Jungfrau. Du darfst nicht von uns reiten. Was hast du eben erst geschworen, du Meineidige! Hörst du, was das Volk dir vom anderen Ülfgestade zuruft?«
Und das Volk aus dem Storgårdsdorfe umringte Fredkulla und warf sich vor ihr auf den Weg.
»Über unsere Leiber, Jungfrau, kannst du heimreiten!« riefen sie.
Aber einige küßten die Hände der Jungfrau und baten leise und herzinniglich »O, bleibe, reite nicht von uns fort!«
Sie sah, daß sie ihr nichts zuleide tun wollten. Aber das arme, elende, kriegsmüde Volk wußte sich keinen Rat. Einige griffen nach den Zügeln des Pferdes, um es umzuwenden.
Da hielt Fredkulla ihr Pferd an, obgleich sie wohl wußte, daß sie unversehrt nach Hause reiten konnte, denn wenn auch einige wilde Männer aus dem Walde da waren, und einige friedlose, denen sie Verzeihung versprochen, und die nun drohend die Messer gegen sie zückten, so küßten sie doch gleichzeitig den Saum ihres Gewandes. Sie ließ die Reitgerte mitten in die Schar sausen und rief: »Hinweg, hinweg!« Und als die Bauern das sahen, wichen sie von ihr zurück und standen da, von Verzweiflung gelähmt. Sie sahen, daß eine solche Angst auf ihr lastete, daß sie es nicht wagten, ihre Barmherzigkeit zu verlangen. »Dein Wille geschehe, o Jungfrau!« riefen sie, »dein Weg ist frei.« Fredkulla saß regungslos, und ihre Blicke glitten sehnsuchtsvoll zu den bewaldeten Hügeln in der Ferne. Hinter denen lag die Heimat, in die sie fliehen wollte, so wie ein verwundetes Tier in seine Höhle flieht. Eine lange Weile blieb sie so sitzen und starrte aus Augen, die so heiß waren, daß jegliche Träne in ihnen vertrocknete.
Dann wandte die Königstochter ganz still ihr Pferd und ritt wieder hinab ins Tal.
Sie kehrte um, allein, nicht gezwungen, aus Liebe zu dem großen schönen Frieden.
Wieder ging es hinab ins Tal, aber nicht rasch und munter, nur Schritt für Schritt.
Sachte ritt Fredkulla den Waldabhang hinab zum Storgårdsdorf, vorbei an den Brandstätten hinunter zum Ülf und zur Fähre.
Das Volk schlich stumm hinter ihr her und flüsterte und sagte, man sollte die Jungfrau ungestört lassen, niemand sollte es wagen, ihre Tat zu preisen.
Als Fredkulla in dem großen Nachen über den Ülf fahren sollte, da stieg sie vom Pferde und blieb stehen und blickte ins Wasser hinab. Und sie begann stille zu sich selbst zu sprechen.
»Siehst du hier dieses große Wasser,« sagte sie, »das unerbittlich hinab zum Meere geführt wird? Die weichen Wogen, sie dürfen nicht zögern, sich in die Umarmung des Starken zu werfen, wenn es auch bitter und furchtbar scheint. Wenn die Welle auch eine kleine friedliche schilfumkränzte Bucht findet auf ihrem Wege, nie darf sie dort weilen. Und wenn sie zurückkehren wollte zu dem friedlichen Quell im tiefen Versteck des Waldes, sie kann es nicht. Sie muß vorwärts, immer, unerbittlich vorwärts. Siehst du, also ist die Bestimmung. Du mußt die sanfte Welle sein, die in den Unfrieden der Welt gegossen werden soll.«
Aber mittlerweile reiten ein paar stolze Rittersleute von Kungahälla aus und nähern sich der Fähre.
Möge nun die Jungfrau den Blick vom Boden erheben! Möge sie König Magnus schauen! Auf dem Helm ruht der goldene Löwe, der sein Merkzeichen ist, es flattert von dem Banner über seinem Haupte, es leuchtet von seinen rotseidenen Gewändern. Möge sie ihn sehen, er selbst ist des Nordens Löwe! Sehen, wie das lange, seidenblasse Haar um die Schultern flattert, seine stolze Haltung sehen, den Kriegerblick in seinen Augen.
Nun kommt er. Eine Staubwolke fliegt vor ihm auf. Er kommt. Sein schwarzer Schatten reitet im Abendsonnenschein weit über das Feld, und die Erde bebt unter dem Ritte. Schlage die Augen auf, Jungfrau, und lächle dem Bräutigam zu! Denke nicht mehr, daß du dich lieber unter diese raschen Hufe, die dir entgegenkommen, werfen wolltest, um dem Tode zu begegnen.