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Quel secol fu ben santo e ben perfetto
E quella fu la vera età del oro
O felici a que' dì, Fondi e Trajetto.
Gandolfo Porrino
Aus dem Dunkel der Vorzeit blicken mich zwei schattenhafte Gestalten an, dringend, seltsam beharrlich und wollen nicht weichen. Was verlangen sie von mir? Das einzige, was der Tod vom Leben verlangen kann: daß es in die Speichen greife und das Rad der Zeit rückwärts drehe, damit die Sonne vergangener Tage sich neu entzünde. Und ihre Geschichte heißen sie mich deuten, die halbverschüttet zwischen den Zeilen der Weltgeschichte steht. Werde ich die Kraft haben, ihrem Verlangen zu willfahren? Wo mein Licht nicht hinfällt und meine Gesichte versagen, muß ich die alten Zeugnisse zu Hilfe rufen.
Jetzt füllen sich die Schemen mit Blut, sie kleiden sich in die Form, die im Leben die ihre war, und mit ihnen wird ihre ganze Umgebung wieder zur Gegenwart. Ich sehe ein Schloß mit Türmen und Zinnen, in die uralte Stadtmauer von Fondi verbaut. Portal, behauene Fensterumrahmungen tragen den Prachtstil der Renaissance, alles andere ist mittelalterlich streng und düster. Im Innenhof Palmen und Lorbeergebüsch und eine Fontäne, deren Strahl klingend in eine antike Porphyrschale fällt. Darüber der tiefblaue Sommerhimmel des Glücklichen Kampaniens.
Neben der Fontäne steht ein Paar, das schönste, vornehmste, das die hohe gesellschaftliche Stilkunst des Cinquecento geprägt hat, und beide in der Blüte der Jahre. Den Jüngling mit den dunklen feurigen Augen kennen wir, denn Tizian hat ihn gemalt. Nur noch schöner ist er als auf dem nachgedunkelten Bilde, er hat den schwarzen Bartflaum, der ihm das Düstere gab, bis auf einen bläulichen Schatten um das Kinn wieder abgenommen, sein weltliches Gewand ist glänzender, das Wehrgehenk schmücken unschätzbare Steine. Es ist der Kardinal im Waffenrock, Ippolito de' Medici, Stolz und Verlegenheit seines päpstlichen Oheims und Abgott der Römer. Mit achtzehn Jahren hat man dem heftig Sträubenden den Kardinalshut aufgezwungen und seitdem versäumt er keine Gelegenheit zu beweisen, daß er ihn wider Willen trägt und daß er zu allem eher als zum Schmuck der Kirche geboren ist. Zwar sorgen sich auch die anderen Mitglieder des heiligen Kollegiums der Mehrzahl nach nicht allzuviel um die geistlichen Pflichten ihres Standes, aber dieser verschmäht sogar seine äußeren Abzeichen, und man sieht ihn, die hohen Kirchenfeste ausgenommen, nicht anders als in Kriegertracht. Denn nie kann er vergessen, daß ihm in die Wiege der Anspruch an einen Herrschersitz gelegt war, den jetzt ein Anderer einnimmt. Vergeblich sucht ihn der Papst durch Verleihung der höchsten Ämter mit seiner kirchlichen Würde zu versöhnen. Er hat ihn blutjung zum Vizekanzler gemacht und betraut ihn bei jeder Gelegenheit mit den ehrenvollsten Legationen; die größten Staatsgeschäfte läßt er durch seine frühgeschulten Hände gehen. Umsonst, des Neffen Abneigung bleibt unüberwindlich und er hat keinen glühenderen Wunsch, als sich der unerbetenen Ehre baldigst zu entledigen. »Ritter, Waffen und Amuren« füllen sein Leben wie die Gesänge des Ariost. Aber er gehört zu den Menschen, die sich alles erlauben können, weil sie wissen, daß vollendeter Anstand auch ihr ungewöhnlichstes Tun umgibt und sogar ihre Unarten als Muster feiner Lebensart erscheinen läßt. Der sparsame Clemens hat Rieseneinkünfte auf ihn gehäuft, die er mit unnachahmlicher Großartigkeit um sich streut. Damit weiß er sich Volk und Adel so zu verbinden, daß niemals ein päpstlicher Nepote solche Machtfülle mit solcher Beliebtheit vereinigt besessen hat. Mit seinen Jagden und Waffenspielen, Theater- und Musikfesten entzückt er die Römer nach den mageren Jahren, die auf die Plünderung Roms gefolgt sind, denn kein zweiter in Europa versteht sich auf Repräsentation wie dieser mediceische Jüngling, der durch sein Auftreten sogar die prunkvolle Majestät von Frankreich in den Schatten gestellt und obendrein bezaubert hat. Eine Hofhaltung wie die seinige gibt es in der ganzen Welt nicht mehr. Er ernährt ein Heer von Literaten, Musikern, Künstlern, Hauptleuten und Waffenknechten, auch von Abenteurern und Schmarotzern, denn er sieht so genau nicht zu. Neger sind seine Bedienung, und eine Leibwache von Türken, die er sich mit Sorgfalt herangebildet hat, folgt ihm, wohin er geht. Seine Pferde und Hunde von edelster Zucht werden als Sehenswürdigkeit gezeigt, seine Gärten duften von seltsamer fremdländischer Flora und große gezähmte Raubtiere, mit denen er spielen kann, gehen frei darin umher. In seinem Palast am Campo Marzio wimmelt es von farbigen Menschen aller Rassen und Zonen in den wundersamsten Trachten, die in zweiundzwanzig Sprachen durcheinander reden: Mauren und Tscherkessen als Stallmeister und Bereiter, zentaurenartig mit ihren Pferden verwachsen und ein jeder ein Fürstensohn seines Stammes, tatarische Meisterschützen und Lanzenwerfer, Rothäute aus Neu-Indien mit glatten geschmeidigen Körpern und starren Schöpfen, unübertroffen im Schwimmen und Tauchen und wahre Wunder in jeder Art von Kriegsspiel – er hält sie nicht zur bloßen Schau, sondern zur eigenen Förderung in ihren Künsten, die er im Wetteifer mit ihnen betreibt. Zugleich ist dieses merkwürdige Haus eine Art Freistatt mitten in Rom, denn welcher Mann von Bedeutung mit der Gerechtigkeit zerfällt, der flüchtet vor Strick oder Schwert zum Kardinal Medici, bis das Gewitter vorüber ist und dieser Gelegenheit gefunden hat, den Papst mit seinem Schützling zu versöhnen. Hier nun steht er, der Held aller Abenteuer, gebändigt von zwei himmlischen Frauenaugen.
Und die Frau? Wir kennen sie gleichfalls, denn auch sie hat höchste Bildniskunst der Nachwelt erhalten. Es ist Julia Gonzaga, verwitwete Colonna, die Gräfin von Fondi und Herzogin von Trajetto, von der Ariosto sang:
Julia Gonzaga, der wohin sie immer
Den Fuß, die heitren Sternenaugen kehrt,
Jedwede nicht nur weicht an Glanz und Schimmer,
Nein, sie als neugesandte Göttin ehrt.Ariost, Orlando furioso, übersetzt von Herm. Kurz.
Trotz ihrem dunklen Witwenkleid und dem langen braunen Schleier, der von ihrem wunderbaren Haupte niederfließt, hat die Stimme der Gesamtheit sie für die schönste Frau der Erde erklärt. Aber kann dieses strahlende Geschöpf dieselbe Julia Gonzaga sein, die ein asketisches, dem Himmel zugewandtes Leben geführt hat und, wäre nicht ein zeitiger Tod dazwischengetreten, als Märtyrerin ihrer glühenden reformatorischen Frömmigkeit auf dem Scheiterhaufen der Inquisition geendigt hätte? Wohl ist sie dieselbe, und die Fäden sind schon alle gesponnen, aus denen sich ihr künftiges Leben wob.
Als Dreizehnjährige hat man sie ungefragt dem reichen, kriegsberühmten, aber schon angejahrten, lahmen und kränklichen Vespasian Colonna vermählt. Julia war der regierenden Linie von Mantua nahe verwandt, aber selber von Hause aus unbemittelt, der reichbegüterte Colonna seinerseits war nur ein Feudalherr, dem die hohe Verschwägerung das Ansehen mehrte. Darum bejubelte die Umgebung den beiderseitigen Glücksfall. Nach kaum zweijähriger Ehe starb er und hinterließ die junge Gattin als Erbin seiner sämtlichen Güter und Lehen im Römischen und Neapolitanischen, aber unter dem Beding, daß sie Witwe bleibe. Sie blieb es und sie gibt mit dem Ernst ihrer Witwenschaft der Welt ein Rätsel auf. Kann sie so den eifersüchtigen Toten geliebt haben, der aus der Gruft hervor ihr junges Leben mit seinen Nachlaßbestimmungen umklammert hält? Julia hat niemand je von ihren Gefühlen Rechenschaft abgelegt. Sie wählte sich Fondi an der Via Appia, ein colonnesisches Lehen, zu ihrem Witwensitz und verwandelte es in einen Musenhof, an dem kein Reisender von Ansehen und Bedeutung zwischen Rom und Neapel vorübergeht. Am häufigsten besucht sie der Kardinal Medici. Seit dem Tag, wo er sie zum ersten Male gesehen, hat er sich vor aller Welt zu ihrem Diener erklärt. Seitdem trägt er bei Schaugefechten nur ihre Abzeichen, und ein Eilbote muß es in Fondi melden, wenn sie siegreich waren. Aber so offenkundig seine Huldigungen und so wenig musterhaft sein Ruf, keine Verdächtigung wagt sich an Donna Julia heran. Nicht einmal der Aretin, der schneckenartig allen Ruhm der Mitwelt mit seinem glitzrigen Geifer bekriecht, erlaubt sich das Verhältnis der schönsten Frau zu dem glänzendsten Manne anzutasten. Sie pflegt und hütet, was ihm die Schmeichler von dem angeborenen Adel seines Wesens übriggelassen haben, und darf ihm alles sagen, denn das Gute findet ihn immer willig, wenn es mit Anmut vor ihn tritt. Wie eine schneeweiße Lilie steht die wunderbare Frau in ihrem verderbten Jahrhundert und doch mit einem verwirrenden Hauch unterdrückter Leidenschaft, wie ihn die Lilien ausströmen, und dieses Jahrhundert, dem nichts heilig ist, das sich an lauter lockeren Geschichten weidet, glaubt – das ist das Wunderbarste von allem – an die Reinheit Julia Gonzagas.
So standen sich die zwei an dem tiefblauen Spätsommertag des Jahres 1534 in dem kleinen Garten, zu dem die alten Festungswerke niederdräuen, bei der Porphyrschale gegenüber. Ein gewaltig großer Hund hat sich mit stürmischer Begrüßung an die schöne Frau herangedrängt und wird von ihr zärtlich geliebkost. Und das Gespräch der beiden, von dem beginnenden Barock ihrer Tage angehaucht, kommt wie ein fernes Echo zu mir herüber.
Wenn das Wunder aller Frauen nicht will, daß ich dem wackeren Sacripante gram werde, sagt der Kardinal mit erheucheltem Vorwurf, so möge sie doch nicht ganz den Herrn über dem Hunde vergessen.
Kann der Verwöhnteste aller Sterblichen auf einen armen Vierfüßler eifersüchtig sein? antwortet die Schöne, ohne ihre Stellung zu ändern. Seht Ihr denn nicht, wie er sich über das Wiedersehen freut und wie er in seiner Stummheit so ausdrucksvoll um ein wenig Zuneigung bettelt? Ist soviel Anhänglichkeit nicht eines kleinen Dankes wert?
Wenn Donna Julia so tief in meine Augen blicken wollte, wie in die meines Hundes, so würde sie darin Empfindungen lesen können, für die sie noch nie an einen Dank gedacht hat.
Sie erhebt ein wenig die Augen, aber nicht bis zur Höhe der seinigen, und senkt sie gleich wieder, in die Augen des Hundes.
Mir scheint, die hilflose Tierheit sei der Liebe bedürftiger als der stolze Herr der Erde. Ich kann nicht in so treue Hundeaugen blicken, ohne zu fühlen, daß sie etwas von mir zu fordern haben. Sollten wir nicht der Kreatur eine Vergütung schuldig sein dafür, daß sie, wie die Kirche sagt, unsere Sünden mitbüßt?
Ich weiß nicht, versetzt der Kardinal leichthin, wie ein gelehrter Theologe sich zu der spitzfindigen Frage stellen würde. Was mich betrifft, der ich keiner bin, so kennt mich Donna Julia als Freund aller Kreatur, der wilden wie der zahmen. Doch kam ich nicht nach Fondi, um mit der schönsten Frau der Erde über so tiefsinnige Dinge zu grübeln, sondern um mich einer alten Pflicht zu entledigen. Eure Gnaden entsinnen sich, daß Sie mir befohlen haben, im Wettstreit mit den schönsten Geistern Italiens einen Gesang der Aeneide zu Ehren meiner Herrin zu übersetzen. Ich habe gehorcht, wie weit auch die Aufgabe meine Kräfte überstieg, und ich habe den zweiten Gesang mit der Schilderung vom Untergange Trojas gewählt, warum, wird Euch die Widmung sagen. Um aber meiner kleinen und schwachen Kunst mit einer großen und meisterlichen aufzuhelfen, ließ ich die Schrift mit Miniaturen schmücken, die der Augen, die darauf ruhen sollen, würdig sind. Ich darf wohl sagen, Meister Clovio hat sich selber übertroffen mit dieser Leistung, die Donna Julias Verzeihung für mein eigenes Unvermögen erbitten soll.
Während des Sprechens hat er dem hinter ihm stehenden Pagen ein köstliches eingelegtes Kästchen aus fremden wohlriechenden Hölzern abgenommen, um es in Julias Hände zu legen.
Eure Herrlichkeit erweist mir eine Ehre, für die jedes Dankeswort zu schwach ist. So laßt mich die Gabe am schicklichsten Platz in Empfang nehmen, dort unter dem Lorbeer, auf den sie Anspruch hat.
Auf der Bank im Lorbeerschatten hält Julia nun das Kästchen auf den Knien und schließt es behutsam auf. Der Medici sitzt in schicklichem Abstand neben ihr. Er hat das schöne starke Tier zwischen seine Knie gezogen und seine Hand liegt liebkosend auf derselben Stelle des Kopfes, auf der zuvor Julias Hand geruht hat, während er mit unverwandten Blicken an der durchsichtigen Wunderblume ihres Angesichts hängt. Sie entnimmt dem kostbaren Schrein das Buch mit der Handschrift und öffnet die goldenen Schließen seiner kunstreich in Gold und Silber gepreßten Lederdeckel. Von der ersten Seite leuchtet ihr eine herrliche Miniatur in Rot und Blau und Gold entgegen, die eine brennende Stadt mit einbrechenden Kriegerscharen und flüchtenden Einwohnern darstellt. Es ist wie ein ganz leiser Widerschein dieser Feuersbrunst, was über Julias Wangen läuft, während sie langsam die überreiche Zierschrift des Widmungssonettes entziffert:
IPPOLITO DE' MEDICI
AN DONNA JULIA GONZAGA
Wer Pein erleidet, liebt's nach Trost zu gehen
Bei fremder Pein, die gleiches hat gelitten,
So ich Versengter in des Feuers Mitten:
Aus Trojas Brand ließ ich mir Kühlung wehen.
Denn nichts hat dort der Hellespont gesehen,
Das nicht zu gleicher Qual in mir gestritten,
So heiß die Not, so fühllos meinen Bitten
Der Feind – ich singe, was mir selbst geschehen.
Weil meine Klagen ungehört verhallten
Und kein Erbarmen mich verstehen will,
Muß der Gesang zum Sinnbild sich gestalten.
Im Brand von Troja brennen meine Gluten,
Und meine Wunden sind's die heiß und still
In allen Wunden der Trojaner bluten.
Die Verse sind schwülstig. Allein der Zeitgeschmack steht nun einmal im Zeichen des Barock und fordert das Verstiegene, dem ein vornehmer Dilettant sich nicht entziehen kann. So findet Julia nichts daran auszusetzen. Und diese höfische Übertreibung des Minnedienstes, die ein Spiel aus der Liebe macht, gestattet ihr, von einem Fürsten der Kirche so kühne Huldigungen anzunehmen, wenn auch die Übertreibung bloß eine scheinbare ist und der Kardinal im Grunde nur ausspricht, was er wirklich meint. Und Julia müßte kein Kind ihres Jahrhunderts sein, wenn sie das reizende Spiel mit seiner Gefahr und seinem geheimen schmerzvollen Untergrund nicht doch aus ganzer Seele genösse.
Sie scheint noch zu lesen, während sie schon am Ende ist, und wendet dann noch zögernd das nächste Blatt, damit die aufgestiegene Blutwelle verebben kann, ehe sie den Blick erhebt, leise Bewegungen, die ihm nicht entgehen. Vom Meere weht schon der kühlere Hauch des Spätnachmittags herüber, den sie begierig einsaugt, er lindert ein wenig die Feuerluft, die diese beiden umweht, sobald sie allein sind, und macht die Frau wieder zur Herrin der Lage.
Erlauchter Herr, die Dichtkunst ist erblich im Hause Medici, und Eure Verse sind des Namens, den Ihr traget, würdig.
Er küßt inbrünstig die beiden Hände, die sie ihm dankend gereicht hat.
Mein Ahnherr Lorenzo machte bessere, aber vielleicht ist mein Verdienst ein größeres, weil ich ein Kriegsmann und kein Dichter bin.
Ihr seid ein Dichter und Dichtern muß man viel vergeben.
Nur vergeben, Donna Julia? Ich meinte stets, daß man Dichter belohnen müsse.
Der Lohn des Dichters wächst hier über unseren Häuptern und er soll Euch nicht fehlen, ist ihre Antwort, während sie einen Lorbeerzweig niederbiegt, um ihn zu brechen. Soll ich einen Kranz flechten, um Eure Stirn damit zu krönen?
Ich weiß einen besseren Platz für eine Gabe von Eurer Hand.
Damit schiebt er das Reislein in seinen Busen, nicht ohne es zuvor an die Lippen gedrückt zu haben.
Es ist des Dankes fast zu viel, grausamste Frau. Der Verfasser gehört Euch leibeigen zu und hat darum kein Recht auf Belohnung seiner Dienste als nur, daß Ihr ihn weiter dienen lasset. Er wird auch die einzige Bitte nicht wiederholen, mit der er Euch je zu belästigen wagte.
Welch eine Bitte wäre dies?
Daß Donna Julia endlich einmal diese düsteren Gewänder ablege, durch die sie sich dem Grabe anverlobt zu haben scheint, damit ihre Schönheit wie die Sonne aus wolkenlosem Himmel strahle.
Allein die Witwe des Vespasian Colonna will den Trauerschleier nicht ablegen, der ihr lästige Werber fern hält und mit dem sie das Geheimnis ihrer Entsagung selbst für den verschleiert, den es am nächsten angeht. Sie, die vom Glück der Erde nichts genossen hat, brauchte nur die Hand auszustrecken und sie hielt das Leben in seiner berauschendsten Gestalt. Aber sie streckt die Hand nicht aus, sie hält gleichsam den Atem an, daß nichts an ihren Beziehungen sich verschiebe und der Augenblick daure, wo sie den liebenswertesten und gefährlichsten ihrer Freunde ohne Reue besitzen darf.
Als Ihr unseren großen Meister Sebastiano mit einem reisigen Geleite nach Fondi sandtet, daß er Euch mein Bildnis male, da spracht Ihr eigens den Wunsch aus, ich möge dafür das Kleid anlegen, das ich bei unserer ersten Begegnung trug. Ist Euch nun das Bild um des scheinlosen Gewandes willen leid geworden?
Donna Julia versteht es mich zu quälen. Das Bild ist das erste, woran sich am Morgen meine Augen entzücken, und das letzte, was sie abends noch in sich trinken. Und ewig danke ich's Eurer Güte, daß Ihr dem Meister saßt. Aber bedenkt, Donna Julia, ich stand damals vor dem Abmarsch nach Wien und ich konnte doch nicht gegen den Türken ziehen und mein Herz dahinter lassen. Ich mußte Julia wenigstens im Bilde bei mir haben, um leben zu können. Und da konnte mir die Kunst am besten den Schein des Lebens vorlügen, wenn ich die Einzige so vor mir hatte, wie ich gewohnt war, sie zu sehen. Und wenn ich über den strengen Ernst dieser Gewänder klage, so ist es ja nicht, weil sie Euch nicht doch ganz entzückend kleideten, es ist nur, weil ich dem Toten soviel liebevolle Erinnerung mißgönne.
Julia schweigt und senkt ihre Augen auf das Buch in ihrem Schoße. Wie hoch sie den Frühgeschiedenen schätzte, diese Ehe, die keine war, hat Erinnerungen, vor denen sie die Augen schließt. Sie blättert in der Handschrift, die auf jeder Seite Initialen und Randleisten von überströmender Phantasie der Ornamentik und wunderbarer Feinheit der Ausführung aufweist.
Ich werde wochenlang zu tun haben, bis ich mich an all der Schönheit sättige und gewiß wird, was Ihr selbst gegeben habt, noch immer das Schönste bleiben.
Besäße ich doch das Geheimnis, immer zu wissen, was Donna Julia wohl gefällt. Wären es die drei Barthaare des Satans, ich würde sie Euch holen. Vorhin, als ich Euch im Gespräch mit dem Podestà überraschte, schient Ihr gequält und bedrückt. Ich las einen Kummer in Euren Mienen. Darf ich ihn nicht mit Euch teilen, damit ich in einem Leid von Euch wenigstens ein Stück Eures Herzens an mich nehme?
Dieser Ton erinnert sie, daß sie an dem allvermögenden Nepoten nicht nur den feurigsten Bewunderer ihrer Schönheit, sondern auch den willigsten und hilfreichsten Freund besitzt.
Ihr begreift, erlauchter Herr, daß eine alleinstehende Frau, die große Verantwortungen trägt, leicht in eine Lage kommen kann, der sie nicht gewachsen ist. Vor einigen Wochen ist hier eine Schreckenstat geschehen. Ein ehemaliger Kriegsknecht meines Gemahls, ein gewisser Giacchetto, mit dem Zunamen Garofalo, hat am lichten Tag vor meinen Augen, gerade als ich aus der Messe kam, in sinnloser Wut einen ganz unschuldigen Menschen erdolcht. Ganz Fondi war Tage lang in Aufruhr über die Tat, und nun quält es mich, daß ich nicht weiß, was mit dem Menschen beginnen.
Hängen lassen, das versteht sich.
Das wollte der Podestà. Aber der Mörder hat eine Familie –
Und hatte der Ermordete keine?
Freilich. Aber sollen um des einen Unseligen willen zwei Familien ins Unglück stürzen? Seine siebzigjährige Mutter war bis vor kurzem in meinem Dienst. Sie betet den Menschen an, sie umklammerte meine Knie, und ich muß sagen, daß auch mein Gemahl große Stücke auf ihn als Kriegsknecht hielt. Er hat eine Frau, die ihr siebentes Kind erwartet –
Ich verstehe. Ihr habt ihn also der Gerechtigkeit entzogen?
Ich konnte nicht anders. Aber warum seht Ihr mich so seltsam an?
Ich denke über den unergründlichen Widerspruch des Frauenherzens nach. Soviel Milde und Güte für einen gemeinen Mörder. Und solche Hartherzigkeit gegen den treusten, ergebensten Freund.
Sprecht nicht so, Ihr macht mir Schmerzen, entgegnet sie leise.
Ich werde schweigen, denn Euch Schmerzen zu machen, wäre mein größter Schmerz. – Also, was soll nun aus Eurem Schützling werden?
Das eben ist die Verlegenheit. Hier kann er nicht bleiben, die Familie des Erstochenen würde ihn in Stücke reißen. Und ich kann ihn doch auch niemand mit gutem Gewissen empfehlen.
Niemand als mir. Ich werde ihn unter meine Waffenknechte stecken, wo keine Rache ihn suchen wird. Und so oft mein Auge auf ihn fällt, wird mich der Gedanke beglücken, daß es Donna Julia war, die mir ihn sandte.
Mit solchen Zügen seiner raschen Großmut hat er seit lange Julias Herz weit mehr als mit seinen gereimten und ungereimten Huldigungen gebunden. Aber da sie ihm danken will, wehrt er lächelnd ab.
Wenn Ihr in Eurer überströmenden Güte einmal in die Lage kommt, für den bedrängten Beelzebub eine Bestallung zu suchen, so bitte ich, wendet Euch an keinen als an mich. Ich schwöre Euch, ich bringe auch den im Gefolge eines Kardinals unter, daß er sich wie zu Hause fühlen soll.
Geht, Ihr seid häßlich.
Ich bin häßlich, aber Ihr seid schön, seufzt er. O Julia, Ihr seid übermenschlich schön. Wollte Gott um meiner Ruhe willen, Ihr wärt es minder. Es ist schon ein Gemeinplatz geworden, zu sagen, daß Julia Gonzaga schön ist, seit alle Dichter Italiens von dem göttlichen Ariost bis herab zum kleinsten Verseschmied diese Schönheit besungen haben. Aber so oft ich Euch wiedersehe, immer ist es eine ganz neue, überwältigende Wahrheit. Ach Donna Julia, dürft Ihr es einem armen Sterblichen, der vom Ansehen leben soll, verargen, wenn er dabei ein wenig den Verstand verliert? Es heißt sonst, die Liebe schrecke nicht vor dem Purpur zurück. Und ich, der ihn verabscheut, muß der Erste sein, auf den das tröstliche Sprichwort keine Anwendung findet.
Aber so darf ich Euch wirklich nicht länger anhören.
Er scheint in sich zu gehen und schlägt eine andere Tonart an. Eine Weile gaukelt nun das Gespräch der beiden mit lauter höfischem Nichts wie Schmetterlinge am Rande der Leidenschaft hin, bis von seiner Seite wieder ein Funke hineinfällt:
Was habt Ihr am Ende, wenn Ihr das Leben mit allen seinen Köstlichkeiten wie eine reiche Karawane in der Ferne vorüberziehen laßt?
Meinen Gott, antwortet sie tiefernst.
Euren Gott! – Kann der ersetzen, was blühende Jugend verlangt?
Darf ein Fürst der Kirche das fragen?
Vergebt. Ich vergaß schon wieder die rote Lüge auf meinem Haupt. Man zwang sie mir auf, als ich noch nicht wußte, daß es auf der Erde eine Julia gibt. Seitdem brennt sie meinen Scheitel wie Feuer. Aber sie wird nicht das letzte Wort meines Schicksals sein.
Er rückt ein wenig näher und fährt flüsternd fort:
In einer der letzten Nächte suchten mich die verbannten Florentiner auf. Ich meine ihre Vertreter, denn die Zahl der Verbannten und Geächteten erreicht schon zwei Drittel der besten Bürgerschaft. Hätte Donna Julia gehört, was sie mir von der Greuelwirtschaft in Florenz erzählten, wo ein untergeschobener Neger den Sitz des großen Lorenzo und den Namen Medici schändet. Ein Bauer, der nicht zwei Worte mit Anstand reden kann und sich nur durch Folter und Strick Ansehen zu verschaffen weiß. Wärt Ihr dabei gewesen, wie diese alten starrsinnigen Republikaner, die mich einst in ihrer Verblendung ins Exil trieben, beim Wiedersehen Freudentränen vergossen und meine Hände küßten, und wüßtet Ihr, wie die Daheimgebliebenen mit Knirschen und Beten auf die Rückkehr ihres echten Herrn warten – Ihr vergaßt die Verpuppung, die ich jetzt noch tragen muß, und sähet mich schon jetzt so, wie ich künftig sein werde.
Die wenigen Andeutungen genügen, um der Hörerin das Blut gerinnen zu machen.
Ganz leise erwidert sie:
Bedenkt, daß Herzog Alessandro des Kaisers Schwiegersohn ist.
Er ist es noch nicht und soll es niemals werden.
Aber es heißt, daß der Papst ihn liebe wie –
Sie stockt errötend, deshalb ergänzt er lächelnd:
Wie einen eigenen Sohn. Ich kenne das Gerede. Aber glaubt mir, es ist nur Wind. Clemens ist kalt, wie die Nase des guten Sacripante. Oder wie die Tramontana, wenn sie im März durch die Gassen meiner Heimat fegt. Die schönsten Frauen vermögen sein Blut nicht in Wallung zu setzen. Wie sollte er an einer häßlichen, dicklippigen Mohrin Geschmack gefunden haben, die ihre Gunst zwischen dem Herzog Lorenzo und seinem Stallknecht teilte? Auch mit dem Herzog hat sein Ursprung nichts zu schaffen. Alessandro stammt aus dem Pferdestall von Collevecchio, dessen Stempel keine Erziehung verwischen konnte.
Was hilft es aber, wenn Papst und Kaiser zugleich die Hände über ihm halten?
Dem Kaiser müssen die Augen geöffnet werden, Er ist mir ohnehin noch den versprochenen Dank für den Entsatz von Linz schuldig. Und was den heiligen Vater betrifft, so kenne ich ihn besser als ihn irgend jemand kennt. Er neigt heute dahin und morgen dorthin, aber mit geschehenen Dingen wird er sich abfinden. Überdies, Donna Julia, im tiefsten Vertrauen: die Tage des Papstes sind gezählt. Er sieht aus wie in Wachs bossiert und die Ärzte geben ihm kein Jahr mehr zu leben. Bevor er die Augen schließt, muß meine Saat geschnitten sein.
Der Frau an seiner Seite ist eine kalte Hand mitten ins Herz gefahren. Und doch hat sie kaum etwas Neues gehört. Es ist ein öffentliches Geheimnis, daß die beiden Neffen des Papstes, die letzten Sprößlinge seiner eigenen Linie, deren Erhöhung ihm immer wichtiger gewesen ist als das Wohl der Kirche, Todfeinde geworden sind. Denn Ippolito war schon in Knabenjahren zum Oberhaupt von Florenz eingesetzt worden, das er mit dem ganzen mediceischen Anhang verlassen mußte, als das furchtbare Unglück über den Papst und die Ewige Stadt hereinbrach. So darf sie sich nicht wundern, wenn dieser hochfliegende Geist es nicht auf die Dauer ruhig hinnimmt, daß er nach der gewaltsamen Wiedereinsetzung seines Hauses, die teures Blutopfer gekostet hat, ohne sein Verschulden dem Schlechteren weichen mußte. Sie weiß auch, dieser fürstliche Jüngling ist so klug wie schön, aber ein Gefühl, für das sie keine Worte hat, schnürt ihr die Kehle zu. Irgendwo, das fühlt sie, ist ein Fehler in seiner Rechnung.
Der Kardinal fährt unterdessen halblaut fort:
Wenn mein Oheim Leo noch lebte, wäre alles anders gegangen. Er hatte die größte Gabe des Herrschers: das Glück. Aber Clemens VII. ist ein unglückseliger Mann, der beim größten Scharfsinn alles verdirbt was er anrührt und stets das Unheil, das er aufhalten will, selber herbeizieht. Sie sagen, es komme davon her, daß er nichts auf der Welt liebe oder hasse. Ich weiß aber, daß es etwas gibt, was er zugleich maßlos liebt und haßt: seine Vaterstadt, die er niemals wiedersehen will. Als wir voriges Jahr zur Vermählung meiner Base Caterina nach Marseille reisten, mußte der ganze Hof die schlechten Sieneser Pässe nehmen, nur um die Mauern von Florenz zu meiden. Das Blut, das dort bei der Belagerung geflossen ist, raubt ihm den Schlaf. Ich hörte ihn selber sagen, er wollte, daß es nie ein Florenz gegeben hätte. Er hat den Opfermut seiner Landsleute unterschätzt, als er Caesars Heere gegen ihre Mauern trieb. Denn er rechnet mit allem, nur nicht mit dem Höheren im Menschen, ich hab' es ihm ins Gesicht gesagt, und so verwirrt er aus Überklugheit alle Dinge. Auch mir hat er das Leben verpfuscht und damit zugleich die florentinische Sache. Hätte man mich an die Stelle gesetzt, die mir zukommt, so würde ich die Wunden geheilt und das Volk mit dem Namen Medici ausgesöhnt haben. Gewiß sind in den Augen eines Medici die Florentiner Rebellen, aber ich wüßte nicht, wie ich es angreifen sollte, den Heldensinn nicht überall zu ehren, wo er mir entgegentritt. Keine Florentinerin sollte durch meine Schuld Trauerkleider tragen. Aber er wollte nicht Versöhnung, sondern Unterdrückung und Rache, darum sitzt mein Vetter Wollhaar dort, vor dem kein Weib seiner Ehre und kein Mann seines Lebens sicher ist. Das Untier hätte nicht einmal Michelangelo geschont, wären wir nicht mit einem päpstlichen Breve dazwischen gefahren, das ihm Leben und Freiheit sichert. Ich habe es selber abgefaßt und in so schmeichelhaften Ausdrücken, daß es dem alten Titanen Balsam auf seine Wunden gewesen sein muß. Wer nun aber glaubt, ich lasse es bei dem Unrecht, das mir geschah, bewenden, der hat sich gröblich verrechnet!
Bedarf es denn eines Thrones um groß zu sein? Eure Vorfahren saßen als einfache Bürger in ihrer Vaterstadt, während sie den Erdkreis mit ihrem Ruhm erfüllten. Euch liegt das große Rom zu Füßen. Kann das dem Ehrgeiz nicht genügen?
Julia fühlte selber, während sie sprach, daß sie einen Wasserfall mit dem Strohhalm aufzuhalten suchte. Und die Antwort des Kardinals bewies es:
Die Zeiten meiner Vorfahren waren andere, göttliche Donna Julia. Heute gibt es keine Gleichheit mehr, nur ein Oben und Unten, und wer sich zur Taube macht, den holt der Falk. Auch handelt es sich nicht um mich allein. Das große Rom ist nur ein großes Dorf, schlecht gepflastert und schmutzig, eine Höhle für Räuber und Kurtisanen. In Florenz wurde die neue Gesittung geboren, von meinen Ahnen empfing sie Taufe und Prägung. Das schließt für den Enkel eine Verpflichtung ein. Ich will die Götter zurückführen, die der rohe Neger vertrieben hat.
Waren sie nicht zuvor schon ausgewandert? Ich fürchte, Ihr würdet auch dort die Dinge nicht finden, wie Ihr sie Euch ausmalt.
Warum nicht, meine strenge Herrin?
Weil die großen Menschen fehlen, die wie Halme um Eure Vorfahren wuchsen, und weil Einer allein, auch mit Euren Gaben, kein neues Zeitalter schaffen kann.
Der Genius eines Volkes ist immer gegenwärtig, man darf ihm nur die Flügel stärken. In der Anarchie verkommt er und im Despotismus auch. Unter meinen Händen wird er wieder erwachen, Florenz wird wieder die frohste und geistreichste aller Städte werden, wie sie es unter meinem Ahnherrn Lorenzo war. Dann wird Eine, die mich jetzt voll Schrecken anblickt, an meiner Seite lächeln.
Die junge Frau schließt die Augen wie von einem inneren Schwindel erfaßt. Herzogin von Florenz an seiner Seite! O, ihr Sirenenstimmen des Glücks! Aber sie darf ihn nicht träumen, diesen betörenden Traum, nicht eine Minute lang, wenn sie sich nicht selber verlieren soll. Zum Thron gibt es für eine Frau nur zwei Wege: den der fürstlichen Erbtochter und den der großen Kurtisane. Für eine Julia Gonzaga führt keiner da hinauf. Deshalb geht sie über seine Worte hin, als ob sie ihn nicht verstanden habe.
Denkt Ihr denn, daß Euch der andere jemals gutwillig den Platz räumen werde?
Ippolito zuckt die Achseln.
Unser Haß ist so alt wie wir selber. Als wir gemeinsam unter Leos Augen im Borgo erzogen wurden, verging kein Tag ohne eine Schlacht. Schon damals war mir die Mohrenfratze in den Tod zuwider. Einmal muß es zwischen uns zum Austrag kommen.
Und die Späher des Herzogs, sind sie nicht jetzt schon am Werk? Seid Ihr vor seinen Nachstellungen sicher?
Der Kardinal schüttelt den Kopf zu ihren Besorgnissen.
Er hält mich für einen Weichling, weil ich Kunst und Wissenschaft liebe, die der Tölpel verachtet. Und das ist gut. Er ahnt nicht, welche Lasten von Waffen bei mir im Hause aufgehäuft sind und wie viele noch immerzu unter Ballen von Goldstoff und Gobelins hereingeschafft werden. Genug, um das ganze unglückliche Florenz, dem er sogar die Küchenmesser genommen hat, neu zu bewaffnen bis an die Zähne, nicht nur einmal, nein zweimal, dreimal.
So denkt Ihr ihn gewaltsam zu beseitigen?
Keineswegs. Wir wollen dem Kaiser die Mißstände vorstellen und seine friedliche Entfernung fordern. Das müssen die Verbannten übernehmen. Seine Majestät wird begreifen, daß den Florentinern, wenn man sie zur Verzweiflung bringt, nichts übrig bleibt, als sich dem König von Frankreich in die Arme zu werfen, und Schlimmeres könnte Karl nicht widerfahren. Ist er so vorbereitet, so werde ich ihm beweisen, daß ich in Florenz keinen Feind habe, ausgenommen den, der der Feind aller ist.
Wozu dann die vielen Waffen in Eurem Hause?
Die braucht jeder, der etwas Großes vorhat, antwortet er obenhin.
Ich fürchte, Ihr habt Euch in tödliche Dinge eingelassen, und Ihr vermehrt die Gefahr, indem Ihr sie so sorglos aussprecht.
Er blickt sie lange und lächelnd an:
Wenn ich Eurer Freundschaft nicht sicher wäre, Donna Julia, was gäbe es da für mich noch zu verlieren? Aber jetzt laßt mir Euren holden Mund keine böse Vorbedeutung mehr reden. Versprecht mir, zu vergessen, womit ich Euch erschreckt habe, bis ich Euch meinen Sieg melden kann.
Wie soll ich die Gefahr vergessen, die Ihr im Begriffe seid, heraufzubeschwören?
Indem Ihr meinem Stern vertraut, er hat schon durch manches Wetter geleuchtet. – Ihr wißt, Donna Julia, daß ich einem ungesetzlichen Bund entstamme. Aber das wißt Ihr nicht, daß meine Mutter, um von ihrem erlauchten Hause den Makel zu wenden, mich nach der Geburt mit verbundenem Mund einem Diener gab, daß er mich ins Wasser werfe, wie man junge Katzen ersäuft. Der Mann floh heimlich aus Urbino und brachte mich nach Florenz an meines Vaters Hof, der mich mit Freuden anerkannte. Als dann später beim Sturz meines Hauses die Signoria dem unmündigen Knaben auf die Reise ins Exil ihre Meuchelmörder mitgab, um ihn unterwegs zu beseitigen, da rettete der unmündige Knabe sich selbst und seine Begleitung. Und die Lucchesen, die ihn aufnahmen, gewann er so für sich, daß sie den Mördern seine Herausgabe verweigerten. Seitdem hat mich der Tod so oft gestreift, daß wir gute alte Bekannte sind. Ihr seht wohl ein, daß das Schicksal mit keinem soviel Umstände macht, den es nicht für etwas Großes aufspart. – Julia, unter den Verbannten war ein alter Mann mit schneeweißem Haar, ein ehemaliger Gesandter der Republik; er sollte ihr Sprecher sein. Aber er konnte nur beginnen: Florenz – dann versagte ihm die Rede, und er lehnte sich weinend gegen den Tisch. Wenig fehlte, so hätte ich mitgeweint.
So sehr liebt Ihr, was Euch nur Übles tat?
Es ist mein Los zu lieben, was mir Übles tut. Zwei Frauennamen brennen mir immerdar in der Seele: Fiorenza, meine erste Braut, die mich einst verstieß und die dann ein wildes Tier vor meinen Augen wegschleppte, und Julia, die sich mit einem dreifachen Wall gegen mich umgürtet. Der Tag wird kommen, wo ich mir die eine mit der anderen gewinne. Sollte es aber anders ausgehen, so gibt es Hände, die mich rächen werden.
Soll das ein Trost für Eure Freunde sein? will Julia erwidern, doch die Bewegung reißt ihr die Worte vom Mund.
Wenn Donna Julia in diesem Tone mit mir spricht, so könnte sie die Memme aus mir machen, als die sie mich haben will. Wenn ich ängstlich sein muß, so bin ich schon so gut wie tot. Doch hier kommt zum Glück Euer Haushofmeister, um Euch anzukündigen, daß ein Schwarm von Besuchern eingetroffen ist.
Es war Gandolfo Porrino, ein Poet von beginnendem Rufe, blutjung und blauäugig, der vor kurzem aus dem Dienste des Kardinals Medici in den Julia Gonzagas überging und der nun in Fondi das doppelte Amt eines Sekretärs und Haushofmeisters versah. Er vor allem gibt dem kleinen Hof das literarische Ansehen, um das ihn manche größeren Höfe beneiden, und mit seiner Abtretung hat der Kardinal, der zuerst sein Talent entdeckte, kein geringes Freundschaftsopfer gebracht.
Während Julia ihren Gästen entgegengeht, noch blaß von dem Gehörten, küßt Porrino seinem bewährten Gönner die Hand, der ihn mit gewinnender Güte begrüßt:
Freund Gandolfo, ich wußte schon, daß die Sonne von Fondi deine Poesie zum Blühen gebracht hat, jetzt sehe ich mit Vergnügen, daß sie auch dem Poeten selber zugute gekommen ist.
Eure Herrlichkeit irrt sich, erwidert der Porrino, der auf seine Dichterrechte pochend aus seiner Vergötterung für die schöne Herrin kein Hehl macht. Die Sonne von Fondi hat eine zwiefach verderbliche Kraft, sie trocknet die Gehirne aus wie sie die Herzen in Brand setzt.
Wem sagst du das? Wir Gäste von Fondi leiden alle am gleichen Sonnenstich, lächelt der Kardinal und wendet sich an Donna Isabella, die in diesem Augenblick in einem Kranz von Damen den Garten betritt.
Donna Isabella ist Julias gleichaltrige Stieftochter und Schwägerin, die den Witwensitz in Fondi teilt, denn sie hat wie jene schon früh den Gatten verloren. Sie gilt gleichfalls für schön, wenn sich auch in ihren etwas harten Zügen schon die Ähnlichkeit mit dem Vater ankündigt, der ein sehr häßlicher Mann gewesen. Auch hat sie eine rauhe männliche Stimme, die noch zudem bei den hohen Tönen ins Schneidende fällt. Aber ihr Witz und ihre Munterkeit, womit sie Julias natürliche Schwermut überfunkelt, sorgen dafür, daß sie neben der großen Schönheit nicht allzusehr im Schatten steht.
Zwischen ihr und dem Kardinal Medici herrscht ein eigenes, von ihrer Seite etwas gespanntes Verhältnis. Vespasiano Colonna hatte in seinem Testament eine Verbindung seiner einzigen schwerreichen Tochter mit dem Neffen des Papstes vorgesehen, und nur für den Fall, daß diese Heirat sich zerschlüge, sie einem der Brüder Juliens zugedacht. Julia aber wußte, die erste Bestimmung umgehend, die Augen des jungen Mädchens auf ihren vielgeliebten ältesten Bruder Alvise hinzulenken, der für die Rechte beider Frauen gegen die Habgier der Colonnesen stritt und den die Zeitgenossen seiner unbezähmbaren Tapferkeit wegen den Rodomonte nannten, ein Name, der damals noch nicht den schlimmen Beigeschmack hatte wie später. Die Liebenden vermählten sich insgeheim, aber der Papst ergrimmte tödlich, als er es erfuhr, er wollte die Ehe umstoßen und bedrohte alle Beteiligten mit seiner Rache. Mittelbar hatte Isabella dadurch auch das Geschick Ippolitos, den sie noch gar nicht kannte, entschieden. Denn nach Entgang der Riesenmitgift wußte sich Clemens, der schwerkrank darniederlag und zu sterben fürchtete, bevor der Neffe versorgt war, keinen Rat, als diesen schnell auch gegen seinen Willen durch den Kardinalshut mit unermeßlichen Einkünften zu entschädigen. Isabella hatte ihre Wahl nicht zu bereuen, der liebenswürdige Rodomonte trug sie auf Händen, bis ihn im ersten Vaterglück vor Vicovaro die verräterische Kugel seines Erzfeindes Orsini traf. Erst nachträglich ging es ihr auf, welche Rolle sie an der Seite des glänzenden Nepoten als die erste Dame Roms gespielt hätte. Allgemein aber hieß es, der junge Medici – weit entfernt, die Benachteiligung zu verübeln – habe selber die Heirat seines vorgezogenen Rivalen begünstigt und den Papst mit dem geschehenen Schritte ausgesöhnt, weil er sich aus Isabella samt ihrer Mitgift nichts machte, den Rodomonte aber hoch und wert hielt. Und wer, der das Schöne liebte, hätte den Rodomonte nicht lieben müssen, den Sängerhelden, den Freund Ariosts, der so unbändig focht und so zarte Lieder sang? Von diesem Dienste aber blieb in Isabellas Seele ein Stachel zurück, der sie auch dann noch reizte, als jener längst schon Kardinal von Santa Prassede, apostolischer Legat und Vizekanzler hieß und somit kein Gegenstand für Heiratspläne mehr war. So oft nun sie und der Kardinal beisammen sind, entspinnt sich nach kurzem ein kleines Geplänkel, das von seiner Seite mit heiterer Anmut, von der ihrigen nicht ohne eine gewisse Herbheit geführt wird. Schon in der übertriebenen Ehrfurcht, mit der sie den jungen, so ganz unkirchlichen Kirchenfürsten begrüßt, als ob er von lauter Heiligkeit umweht wäre, liegt eine ganz leise Bosheit, die von ihm mit ebenso überschraubter Beflissenheit beantwortet wird.
*
Im Schlosse findet heute großer Empfang aus dem Stegreif statt. Mit dem Bischof von Fondi, der zu den nächsten Hausfreunden gehört, sind noch andere geistliche Würdenträger erschienen, um dem Neffen des Papstes ihre Aufwartung zu machen, dessen Ankunft blitzschnell in Stadt und Umgebung bekannt geworden ist. Sie haben bei der Begrüßung den Vortritt, dann kommt der Hofstaat der beiden Fürstinnen an die Reihe. Der nachlässig gekleidete ältere Herr mit der Glatze und dem geistreichen Gesicht ist der berühmte Gelehrte und Dichter Francesco Maria Molza, in Diensten des Kardinals, aber seit einigen Wochen als Gast nach Fondi beurlaubt. Er verdient, daß wir ihn etwas näher betrachten, denn er trägt einen der ruhmreichsten Namen seiner Jahrhunderthälfte und ist ein Unikum unter den Literaten seiner Zeit, weil er von allen geliebt wird. Sein Zauber als Mensch und Dichter liegt in einer liebenswürdigen humoristischen Ader, mit der er gerne sich selber und die Dinge zum besten hat, aber niemals andere schädigt. Jedoch nicht ihr verdankt er das literarische Ansehen, sondern seinen überkünstlichen, ernsthaften Sonetten, worin die Geschwollenheit und gewollte Dunkelheit der Zeitmode ihren Gipfel erreicht hat. An dem jungen Medici hängt er mit ebensolcher Verzückung, wie vordem der größere Dichter Polizian an dessen größerem Ahnherrn Lorenzo. Darum ist er von allen Schmeichlern des ehrgeizigen Jünglings der gefährlichste; er schmeichelt weniger um seines Vorteils willen als aus blinder, abgöttischer Liebe und geht vor ihm her wie die lebendige Posaune seines Ruhms. Gleichwohl können die zwei sich nie auf die Dauer vertragen, weil die vielen Liebeshändel und Herzensunruhen, für die der angejahrte Herr von Zeit zu Zeit seinen jugendlichen Gebieter um Nachsicht angehen muß, ihn immer wieder aus dem Geleise werfen. Und wie verständnisvoll dieser auch den zarten Punkt behandelt, die Geduld gehört nicht zu den Tugenden Ippolitos, der, was er anordnet, zugleich schon getan sehen möchte. Auch tut des Dichters ständige Geldnot der Freigebigkeit des Kardinals Unrecht und läßt sich auf keine Weise beheben, weil ihm alles, was er einnimmt, unter den Fingern zerrinnt. Trotz seiner Zerfahrenheit ist er aber doch der verhätschelte Liebling der Gesellschaft; auch die sittenstrenge Julia Gonzaga sieht ihm seines goldenen Herzens wegen seine Schwächen nach. Natürlich glüht er nicht minder als der Porrino für die schöne Schloßherrin und feiert sie in Sonetten, neben deren Gesuchtheit die des Medici noch einfach und natürlich genannt werden müssen. Der Lieblingsgegenstand seiner Muse aber bleibt der hohe Freund und Gönner selbst. Er läßt es sich auch nicht nehmen, ihn gleich mit einer überschwenglichen Ansprache zu begrüßen. Denn obschon die Beurlaubung nach Fondi eine gnädige Form der Ungnade war, so freuen sich doch beide Teile beim Wiedersehen. Ippolitos kirchliche Würden beiseite lassend, feiert er ihn als Heerführer und Besieger des Halbmonds, als Hort der Wissenschaft, als Dichter und Musiker und feinsten Kenner aller musischen Künste. Er nennt ihn die letzte Blüte des Rittertums, den Arbiter elegantiarum, den Fürsten der Jugend, die Synthese des Hauses Medici, und in den Kugeln seines Wappens erkennt er die Abkömmlinge der Hesperidenäpfel.
Der Kardinal nimmt den Schwall mit gewohnter Huld entgegen, und man setzt sich auf der Terrasse, über die der Meerwind streicht.
Währenddessen haben sich zwei junge Mädchen, Zwillingsschwestern, die zur höfischen Erziehung in Fondi weilen, mit dem Hunde geneckt, bis dieser zu bellen anfängt und von seinem Herrn an seine Seite gerufen werden muß.
Wie kommt der Hund zu dem poetischen Namen? fragt Isabella spöttisch, das gutmütige Tier, das schon wieder zutraulich zu den Füßen der Damen liegt, an den Ohren zausend.
Weil er ein tapferer Heide ist, gnädigste Frau, wie der Held des Ariost. Aber vor Wien verließ er die Sache des Propheten und seinen ungläubigen Herrn und schloß sich mir an. Seitdem sind wir Ein Leib und jede Huld, die Eure Herrlichkeit ihm erweist, werde ich als mir selber widerfahren betrachten.
Isabella zieht ihre liebkosende Hand so schnell zurück, daß alle lachen.
Pfui, ein Überläufer. Aber sagt uns, Herr Kardinal, die vielen Türken und Mohren, mit denen Ihr zum Erstaunen der Christenheit Eure hochwürdigste Person umgebt, haben die sich auch von der Sache des Propheten losgesagt?
Das nicht, gnädigste Frau. In die Gewissensangelegenheiten meiner Leute mische ich mich nicht. Ich halte von allen Völkerschaften der Erde Musterproben in meinem Hause. Diese habe ich als die treusten und tapfersten erfunden. Ich würde fürchten, daß sie mit ihrem Glauben auch ihre Gesinnung wechseln könnten.
Darum heißt es auch, Ihr seid schon selber ein Muselmann geworden. Nicht umsonst träumte ich neulich, ich sähe Euch im Turban durch die Tür treten.
Wenn ich die Ehre haben darf, durch Donna Isabellas Träume zu gehen, so will ich auch für eine Nacht den Turban in Kauf nehmen.
Donna Isabella wechselt unter seinem Blick die Farbe und ärgert sich über diese Schwäche, daher sie mit einiger Schärfe entgegnet:
Ich bitte Eure Hochwürden, den Fall nicht zu erweitern. Es geschah nur das einemal und vielleicht war es eine Verwechslung.
Neue Gäste unterbrechen das Scharmützel. Einem anderen würde der Andrang zur Last, aber dem Medici ist solcher Mondhof zur Gewohnheit geworden, ja er würde ihn vermissen, wenn er fehlte, da er seit frühester Jugend im Mittelpunkt der Gesellschaft gestanden und immer nur Verpflichtete um sich gesehen hat, darunter viele von den ersten Namen seiner Zeit.
An der Mahlzeit aber, die in dem kühlen, hochgewölbten Saale der Arazzi stattfindet, nehmen außer dem Hofstaat nur noch der Podestà und der Bischof, sowie die beiden diensttuenden Edelleute des Kardinals teil. Dem prachtliebenden Gaste zu Ehren ist der kostbarste Tafelschmuck des Hauses Colonna aufgestellt und alles mit späten Blumen bestreut. Isabella prangt überreich in dem berühmten Familienschmuck der Colonna, den Julias Güte ihr überlassen hat. Diese selbst, die kein Juwel noch schöner machen kann, trägt nur eine frischerschlossene Rose auf der Brust. Ihren herrlich blühenden Nacken, der jeden Schmucks entbehrt, kann der verschwenderische Ippolito nicht ansehen, ohne den Wunsch, ihn mit preislosen Perlenschnüren behängen zu dürfen. Er möchte am liebsten alle Schätze des Orients über die angebetete Frau ausschütten und ihre Fußstapfen in Gold fassen, während es doch nur Erzeugnisse des Geistes sind, was er ihr zu Füßen legen darf.
An der hufeisenförmigen Tafel sitzen nach einem von Donna Julia eingeführten Brauche die Kavaliere an der äußeren, die weniger zahlreichen Damen an der inneren Seite, daß hinüber und herüber sich nur die Geister berühren und das Gespräch zu einem höheren Ganzen zusammenklingt. Die Gegenwart des Medici wirkt wie Schaumwein auf die Gesellschaft. Ein Redefeuerwerk sprüht auf und zuckt von der einen Seite der Tafel zur anderen hinüber, von der zungenschnellen Isabella immer frisch genährt. Tolle Geschichten werden erzählt, bei denen auch kleine Anzüglichkeiten mit unterlaufen, aber in eine so blumenreiche Sprache verhüllt, daß die Damen in die Heiterkeit mit einstimmen können, ohne zu erröten. Das Lachen läuft wie ein reingestimmtes Glockenspiel die Reihe der Damen hinab, von dem männlichen Baß Isabellas über Julias klangschöne Mittellage bis zu den Silberglöcklein der beiden Zwillingsschwestern, die mitlachen, ohne zu verstehen. Molza, wieder zu Gnaden angenommen, gibt seine komischen Abenteuer, ohne sich selbst zu schonen, preis, doch ist er zu sehr Hofmann, um nicht in Gegenwart des Herrn das eigene Licht ein wenig zu dämpfen. Auch der Podestà, der der Herrin die erzwungene Begnadigung des Verurteilten ein wenig nachtrug, taut heute abend auf. Nur der Bischof bleibt in der feinen Zurückhaltung, die Jahre und geistliches Ornat ihm auferlegen, und unterstützt das Bestreben der Schloßfrau, die überschäumende Fröhlichkeit in ihren Ufern zu halten. Er hat sich mit dem Molza in eine Streitfrage über den Wert des Jahrhunderts, in dem sie leben, verwickelt, und nun beteiligen sich alle leidenschaftlich an dem Für und Wider. Jener hat es als das herrlichste von allen gepriesen, noch herrlicher als die Blütentage von Hellas, da es gleichzeitig deren Werke zurückgewonnen und sie durch eigene Werke übertroffen habe, und er läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, eine Huldigung für das Haus Medici einzuflechten.
Sind wir nicht glücklicher, die wir die Tage Leos X. und Clemens' VII. gesehen haben, als die Zeitgenossen des Perikles, der doch nur einer war und nicht über seine Lebenstage hinauswirken konnte, während in diesem glorwürdigsten Geschlecht der Vater dem Sohn und Enkel, der Oheim dem Neffen die Fackel des Genius herunterreicht?
Der Bischof aber entgegnete seufzend, so glänzend von vorne gesehen die Medaille, so häßlich und trostlos sei die Kehrseite. Und er gab zur Bekräftigung seiner Worte unterschiedliche Proben von der Verworfenheit der Zeit, besonders des Klerus, zum besten, die von dem Molza für komische Erfindungen im Stil des Aretino erklärt wurden.
Der Aretino braucht nichts zu erfinden, bemerkte hier lächelnd der Kardinal. Es ist alles, was seine Darstellung reizt, in Vollkommenheit vorhanden, daß er nur zugreifen darf. Aber soll man daraus schließen, daß die früheren, vielgepriesenen Zeiten so viel besser gewesen wären als die unsrige oder nicht vielmehr, daß wir aufrichtiger sind als jene? Und wenn es wahr ist, daß die Aufrichtigkeit eine Tugend ist, wie doch allgemein behauptet wird, so wäre unser Jahrhundert vermöge seiner Lasterhaftigkeit tugendhafter als alle früheren. Worin wir die Güte Gottes nicht genug bewundern können, die auch aus dem Schlechten das Gute schafft.
Auch wollen wir nicht vergessen, fügte Molza hinzu, daß die Menschen von jeher die Zeit, in der sie gerade lebten, als die allerschlechteste bezeichnet haben. Zu Dantes Zeit ging die florentinische Jugend noch im altväterischen Lucco und hatte noch kein spanisches Wams gesehen. Die Schlacht von Pavia hatte noch nicht die greuelvollste aller Seuchen, die das Schandmal der Liebe ist, in unserem Vaterlande eingeschleppt und schon klagte er über Schamlosigkeit und tiefsten Verfall und drohte mit der Rute Gottes.
Worin man ihm nicht ganz unrecht geben wird, wenn man an die Erzählungen des Dekamerone denkt, warf der Podestà ein.
Uns aber erscheinen Vater Dantes ferne Tage als ein schlichtes und strenges Patriarchentum. Und so ist es zu allen Zeiten gewesen: je mehr wir uns von der Vergangenheit entfernen, um so mehr rückt sie uns in ein sittlich reines Licht.
Was lernen wir daraus, seufzte der Bischof, als daß die Welt zu allen Zeiten schlecht gewesen und daß vielleicht jener große Athener recht hatte, der sagt, Nichtgeborensein wäre das beste, das zweitbeste aber früh zu sterben.
Nun aber ergreift der Kardinal das Wort:
Was mich betrifft, so habe ich das Geborensein stets für die vorzüglichste aller Einrichtungen angesehen. Ich halte dafür, daß das Leben zu allen Zeiten herrlich gewesen ist und daß es zu verachten eine Verirrung wäre, deren ich einen erleuchteten Geist wie unsern Herrn Bischof nicht im Ernste fähig glaube. Sonst wäre er in meinen Augen ein schlimmerer Ketzer als der deutsche Mönch Martinus, der Papst und Kaiser schwitzen macht. Denn wenn es schon für ein Anzeichen schlechter Erziehung gilt, ein wohlgemeintes Geschenk mit saurer Miene zu empfangen, um wie viel schlimmer müßte es sein, dem Schöpfer keine Freude zu bezeugen für das höchste Geschenk, das Leben, ohne das es ein anderes Geschenk überhaupt nicht geben könnte. Und alle die schönen herrlichen Dinge, die er für uns erschaffen hat, daß wir sie uns zueignen sollen mittelst unserer Sinne, durch Augen und Ohren, durch Geruch und Tastsinn, machen sie nicht das Leben zu einem fortwährenden Gottesdienst und uns gewissermaßen selbst zu Göttern?
Aber die Götterstunden gehen vorüber, Herr Kardinal, entgegnete ihm Donna Julia, und all die schönen, herrlichen Dinge, von denen Ihr sprecht, sind inwendig voller Tränen.
Und die Tränen, göttliche Donna Julia, sind sie nicht selber auch eine Lust? Machen nicht gerade sie mich zum Besitzer des Gegenstandes, um den ich weine? Arm ist nur, wer nicht empfindet.
Demnach wäre auch unglückliche Liebe eine Seligkeit? fragt Gandolfo Porrino.
Die größte, die ich weiß, nach der glücklichen. Ihr sagt, Donna Julia, alle Lust sei mit Leid durchtränkt? Ich sage umgekehrt, jedem Leid liege eine geheime, tiefe Lust zugrunde.
So gäbe es nach Euer Herrlichkeit Ansicht überhaupt kein Übel auf der Welt? fragt der junge Poet.
Das Übel geht vorüber, das Gute dauert. Wir haben die Plünderung Roms durch Spanier und Deutsche erlebt, der wüste Blutstrom ist verronnen. Aber der Bau St. Peters wächst in die Lüfte und wird ewig über der ewigen Stadt ragen. Was ein jedes von uns auch an Schmerz und Kränkung erlitten hat, es ist verweht. Aber alles Schöne, das wir lieben, die großen Gesänge der Alten, die Wunderwerke der Neuen, es umsteht uns, es begleitet uns überall hin als unwandelbare Gegenwart und wird noch unsere letzte Stunde reich und glücklich machen.
Wenn ich dreiundzwanzig Jahre alt wäre, würde ich ebenso denken wie Eure Gnaden, antwortete der Bischof. Aber anders sieht sich das Leben an, wenn wir beim Abendschein langsam von der erklommenen Höhe niedersteigen ins Tal, wo die Schatten liegen.
Scheltet mir nicht das Alter, Herr Bischof. Ist nicht das Alter schön? Ist es nicht der Stunde ähnlich, wo der Glutball in Gold und Purpur und Violett zersprüht und nicht mehr sengt? Wenn die Begierden, die uns durchs Leben gehetzt haben, sich wie müde Jagdhunde zum Schlafe legen und nun die große Stille der Seele kommt, wo die Erinnerungen sich zum Bildwerk an den Wänden ordnen, fein gestimmt und ohne aufdringliche Farben so wie dieses hier? Und wir nun zwischen diesem Bildwerk umhergehen, es betrachtend, es genießend: alle vergangenen Kämpfe, alle Freuden und alle Schmerzen, die jetzt eine andere Form der Freude geworden sind, – gleicht nicht ein solcher Zustand dem der Seligen in den elysischen Gefilden? Ihr könnt von einer kühnen Tat hören und es zersprengt Euch nicht das Herz, daß ein anderer sie vollbrachte. Ist das nicht an sich schon Glück? Das Alter gibt Euch Zeit und Sammlung, alle Schönheiten der alten Dichter noch einmal durchzukosten, ohne die Qual des Schulknaben, der erst die Vokabeln erlernen muß, und Ihr wollt Euch beklagen? Ihr könnt den Göttinnen des Olymps gegenübersitzen, ohne daß ihre Nähe Euch den Schlaf kostet, und Ihr wollt Euch beklagen?
Es ist wohl das erstemal, bemerkte Molza, daß die Jugend dem Alter ein so feuriges Loblied singt. Wer das Glück hat, Euch zu vernehmen, gnädigster Herr, der wird der gefürchteten Zeit getrösteter entgegengehen. Und gewiß habt Ihr Recht. Das Alter würde ja nicht das allgemeine Los sein, wenn es nicht auch Wohltaten für uns bereit hielte.
Lassen wir es herankommen, antwortete der Medici, und sorgen wir nur, daß wir ihm eine Mitgift an Erinnerungen zubringen, um die es sich verlohnt, das Buch des Lebens rückwärts zu blättern. Denn jede Stunde ist herrlich und wir müssen danken, daß sie uns, gerade uns zuteil wird.
So habt Ihr nie eine Stunde erlebt, wo sich alle Süße der Welt in Herzensangst und Bitternis wandelte? fragte Julia.
Der Kardinal besann sich.
Ich lag einmal unter meinem gestürzten Pferd, das einen Hellebardenstich durch den Leib erhalten hatte und im Todeskampf mit allen Vieren um sich schlug. Die türkische Reiterei setzte über den Graben weg, in dem ich lag, und es war unmöglich, unter dem Tier hervorzukommen, ich konnte mich nur abwartend und leidend verhalten, was der häßlichste aller Zustände ist. Da wehte von der Böschung des Grabens ein wildfrischer Hauch von Thymian herunter. Durch all den Dunst von Schweiß und Blut und feuchtem Lederzeug drang der schmeichlerische Gruß und ich sog ihn mit solcher Dankbarkeit ein, daß ich für den Augenblick ganz in dem Duft lebte und der Gefahr entrückt schien.
Wie, Ihr dachtet nicht an Gott und an das Sterben? fragte Isabella.
Ich dachte an Gott und an das Leben, gnädigste Frau, antwortete der Kardinal.
Nun sehen wir Euch immer noch unter dem gestürzten Pferde, sagte die weichherzige Schloßfrau. Wollt Ihr uns nicht wenigstens sagen, wie Ihr wieder hervorkamt?
Ja, und wie Eure Freuden wieder eine dem gemeinen Verstand faßlichere Gestalt annahmen, warf Isabella ein.
Daß ich das Glück habe, den Damen hier gegenüber zu sitzen, wäre an sich schon die Antwort. Allein ich will gerne noch sagen, daß es ein Scharfschütze von den Spaniern des Marchese del Vasto war, der Zaumzeug und Abzeichen auf der Schabracke erkannte und mir auf die Beine half, indem er die Stute so sicher durch den Kopf schoß, daß sie ohne Zucken verendete. Nie denke ich an jenen widrigen Moment zurück, daß mir nicht auch der köstliche Thymianduft in den Sinn kommt, mit dem das Leben mich noch einmal zu grüßen schien.
Ich dachte stets, daß Ihr mehr Tore haben müßtet ins Land des Glücks und der Schönheit als wir andern Sterblichen, die wir der Dichter und der Künstler bedürfen, uns da hinein zu führen, sagte Julia. Ihr dichtet Euch selbst die Gesänge Eurer Lebensepopöe mit soviel anziehenden Episoden, als es Euch beliebt. Aber verzeiht, ich habe Euch unterbrochen. Gewiß hattet Ihr uns noch vieles Schöne zum Lob des Alters zu sagen.
Zum Lobe des Alters habe ich vor allem das Eine zu sagen, daß es das einzige Mittel ist, das Leben zu verlängern, durch welches wir allein imstande sind, die Wunder, womit der Schöpfer seine Erde geschmückt hat, zu genießen und ihm durch unser Genießen den Dank für so große Wohltaten darzubringen.
In Wahrheit, versetzte nun der Bischof mit Lächeln, es läßt sich nicht bestreiten, daß Euer Erlaucht Folgerungen gut und treffend sind. Nur kann ich nicht umhin, zu finden, daß wir auf diese Weise zu dem Schluß kommen müssen, jenes Schandmaul, der Aretin, dem alle Großen für ihre Ehre zahlen müssen, damit er sie nicht besudelt, und der nur deshalb nicht auch Gott den Herrn lästert, weil er sagt, er kenne ihn nicht, jener Schlemmer und Prasser, sage ich, der mit goldenen Ketten behängt in seinem Harem stolziert wie ein Hahn mit bunten Federn, und der in allen Genüssen der oberste Meister ist, wäre frömmer und gottesfürchtiger als unser Seraphischer Vater von Assisi, der in zerlumpter Kutte ging und sich von den Wurzeln der Vernia nährte.
Nachdem die Gesellschaft eine Weile auf seine Kosten gelacht hat und er selber mit, ergreift der Kardinal wieder das Wort.
Ihr habt es nun einmal mit dem Aretin, sagt er mit einem feinen Lächeln, denn er allein weiß, was jener Schröpfkopf ihn selber kostet, wenn er ihm auch nicht einen öffentlichen Jahrestribut bezahlt wie der Del Vasto und andere Große, ja die geheiligte Majestät Karls V. selbst. – Aber es scheint mir, Herr Bischof, wir haben uns nicht ganz verstanden. Ich meinte mit dem Genießen der Wunder Gottes nicht das Geschäft der gröbsten Sinne, sondern jenes feinere von geistig-sinnlicher Art, bei dem die Fühlfäden unserer Seele, durch die Sinne hindurchgeleitet, aber sie weit hinter sich lassend, von dem Besitz ergreifen, was nur den Auserwählten zukommt. Und so dürfen wir wohl sagen, daß gerade niemand Gottes Gaben besser zu würdigen wußte, als unser heiliger Vater Franz, der den Sonnenball seinen Bruder nannte und die Wasserflut seine Schwester –
Und die Armut seine Braut, schaltete Isabella trocken ein.
Aber jener ließ sich nicht stören, sondern fuhr in seinen mutwilligen Paradoxen fort, um zu beweisen, was sich selber widersprach, indem er Unvereinbares verknüpfte und phantastische Gedankenbrücken schlug, auf denen er unbekümmert über die Abgründe der Logik wegeilte. Dieser späte Mediceer hatte von seinen hochberühmten Ahnen, wenn auch nicht die Macht und Tiefe, so doch die Feinheit und Schnelligkeit des Geistes geerbt, die er zu zeigen liebte wie eine funkelnde Klinge, mit der der Fechter bald rechts, bald links springt, um jetzt einen Hieb abzufangen, jetzt eine bloße Stelle des Gegners zu treffen. Und da er schon in zartester Jugend am Hofe Leos X. seine Schulung genossen hatte, war es schwer, ihm zu stehen, zumal wenn er dann und wann die Künsteleien der höfischen Rhetorik mit einem plötzlichen Einfall gesunder Vernunft durchschlug, der geistreich und überraschend wirkte, bloß weil er natürlich war. Er hatte am Ende den Bischof so in die Enge getrieben, daß dieser einen scherzhaften Rückzug antrat:
Eure Herrlichkeit hat uns also bewiesen, daß alles, was ist, vollkommen ist und daß es nichts Schiefes noch Mißlungenes geben kann.
Insofern Gott die Vollkommenheit ist, – wollte der Kardinal beginnen. Da erhob sich am untersten Ende der Tafel eine krächzende Stimme, und eine zwergenhafte Gestalt, die einen großen Buckel wie einen Pack auf dem Rücken trug, kletterte plötzlich affenartig auf einen Stuhl, um sich in ihrer ganzen abenteuerlichen und schreckenerregenden Häßlichkeit vor der Gesellschaft bloßzustellen. Es war der Hofzwerg, der nach einem bekannten Riesen aus dem komischen Epos gewöhnlich der Margutte genannt wurde, ein herabgekommener Florentiner aus guter Familie, der in Fondi das bittere Brot des Spaßmachers aß, und der von den Hausgenossen, die er mit bissigen Reden verfolgte, seinerseits aufs grausamste gehänselt ward, mit einziger Ausnahme der gütigen Julia, die ihn in Schutz nahm, wo sie konnte. Das kleine Ungeheuer, das durch eine aufdringliche Kleidung noch abstoßender erschien, als Stiefmutter Natur es gemacht hatte, verbeugte sich von seinem Stuhl herunter und drehte sich in grausamer Selbstverhöhnung rundum, damit kein Bruchteil seiner Häßlichkeit verloren gehe, und rief mit einer Stimme, die an Dohlengekreisch erinnerte:
Betrachten Eure hochwürdigsten Gnaden dieses Werk des Schöpfers und sagen Sie uns, ob es wirklich nichts Mißlungenes gibt und ob Sie auch hier die Spur der göttlichen Vollkommenheit wiederfinden.
Der schöne Kardinal betrachtete den Kleinen aufmerksam, als ob er ihn noch nie gesehen hätte, und ohne eine Miene zu verziehen, von allen Seiten.
In der Tat, Meister Margutte, entschied er dann in anerkennendem Ton, für einen Zwerg bist du recht gut geraten.
Wieder erscholl das vielstimmige Glockenspiel des hellen Frauenlachens, vom Baß der Männer unterstützt.
Der Zwerg sprang zu Boden und schwang sich blitzschnell wieder auf den Sitzplatz, der für ihn durch mehrere Polster erhöht war, so daß seine kleinen Hände bequem den Teller erreichen konnten.
So will ich denn die göttliche Güte preisen, daß sie auch mich nach dem Ideal der Vollkommenheit – will sagen: der vollkommenen Krüppelhaftigkeit – gebildet hat. Aber, hochwürdigster Herr Kardinal, wie steht es um die göttliche Güte, wenn eine solche Vollkommenheit wie die meine zu grauen Haaren kommen muß und ein Liebling der Natur wie der göttliche Raphael in der Blüte sterben?
Ach, Raphael! seufzte eine ältliche Hofdame, die ihre Jugend in Rom verlebt hatte und es nicht vergessen konnte, daß der Unsterbliche ihr einmal bei der Messe in Sankt Peter mit einem bewundernden Blick das Weihwasser gereicht hatte. Raphael! wer ihn nicht gesehen hat, der hat das Glück nicht gesehen und nicht die göttliche Harmonie der Dinge, die einmal und nicht wieder herabstieg, sich in einem Menschenleibe zu verkörpern.
Ich habe ihn gesehen, versetzte der Kardinal. Er spielte mit mir, als ich noch um die Füße meines Oheims Leo kroch, und hat mich auch so gemalt. Später nahm der heilige Vater mich oftmals in seine Werkstatt mit. Gestalt und Stimme des Einzigen sind mir wie die eines Sonnengottes in der Erinnerung geblieben. Als ich dann hörte, Raphael sei tot, und den heiligen Vater weinen sah, da begriff ich es nicht, denn ich meinte, Raphael könne niemals sterben, wie die Sonne niemals auslöschen. Und hatte ich nicht Recht gehabt? Raphael ist nicht tot und von uns gegangen. Er lebt mitten unter uns, ich meine nicht nur in seinen Werken, die unsre Herrin ja nicht so abgöttisch liebt wie wir andern, weil sie sagt, er habe den Schmerz nicht gekannt. Sondern mit der ganzen bestrickenden Anmut einer Persönlichkeit, wie es keine vor ihm und keine nach ihm gegeben hat, die jetzt aber alle fühlen können, auch wenn sie nie in seine bezaubernden Augen geblickt haben, weil sein Wesen ringsum im Raume ausgegossen ist wie der Eindruck eines neuen, einzigen Wohlgeruches, der erst jetzt in der Welt ist und den man zuvor nicht kannte.
Und damit wäre nun auch das letzte Übel aus der Welt geschafft, der Tod, sagte der Bischof, indem er sich erhob. Nun bitte ich die Schloßherrin und Eure hochwürdigsten Gnaden um Verzeihung, wenn ich als der erste nach diesem schönen Abend aufbreche. Wie hoch man auch die Vorteile des Alters anschlage, so steht doch fest, daß ein Mann in meinen Jahren mit seinen Kräften haushalten muß.
Wie, Ihr wollt uns verlassen, Herr Bischof, bevor ich Euch noch ganz von Euren Ketzereien bekehren konnte? fragte der Medici.
Der Bischof wehrte lächelnd ab.
Entlasse Eure Herrlichkeit mich in Gnaden. Es ist schon so spät, daß es, wenn ich noch länger bliebe, früh sein würde. Ihr habt heute abend die drei schlimmsten Feinde des Menschengeschlechts, den Kummer, das Alter und den Tod, unschädlich gemacht, Ihr habt der Sünde die Tugend zur Tochter gegeben, was wollt Ihr noch mehr? Was Ihr auch ferner vorbrächtet, ich müßte zu allem Ja sagen, denn ich bin nicht Sokrates genug für einen solchen Alkibiades. Und somit verneige ich mich vor dieser erlauchten Gesellschaft, spreche der Herrin meinen Dank aus und wünsche allen eine angenehme Ruhe.
Auf dem Nachhauseweg sagte der alte Welt- und Seelenkenner zu sich selber:
Dieser junge Mann birgt unter der leichtfertigen Maske weitausschauende Pläne. Ob sie ihm gelingen werden? Er wäre eine Zierde für jeden ererbten Thron. Aber um Kronen zu gewinnen, muß man, fürchte ich, aus gröberem Stoffe sein. So darf man wohl einigermaßen für ihn bangen. Aber köstlich ist es doch, jung und sorglos sein und nach den höchsten Dingen greifen, auch wenn man darüber ins Unheil rennt. Alter Mann, geh schlafen.
Nach dem Abgang des Bischofs wurden auch die Pferde des Kardinals im Hofe vorgeführt.
Da sagte der Molza rasch zu diesem:
Meint Ihr nicht, gnädigster Herr, daß wir heute abend eine schlechte Rolle gespielt haben, indem wir vor diesem Kranz von Jugend und Schönheit nichts Besseres zu tun wußten als das Alter zu preisen? Sollen wir nicht diese Sünde am heiligen Geist schnell noch gut machen, indem zum Abschied jeder der Herren eine Rede auf die Schönheit hält?
Der Kardinal hatte längst bemerkt, daß der Dichter noch etwas auf dem Herzen hatte, womit er vor den Damen prunken wollte.
Geht nur voran, wenn es die Herrin gestattet, sagte er lächelnd, wir andern folgen Euch.
Nachdem jener sich von Donna Julia die Erlaubnis geholt hatte, verharrte er eine Weile mit geschlossenen Augen wie in tiefer Sammlung. Dann richtete er begeistert den Blick nach der Decke und sagte ein Sonett auf die Schönheit her, das für Stegreifdichtung gelten sollte, sich aber durch seine große Spitzfindigkeit als längst vorbereitet verriet. Es war so verschraubt und dunkel, daß niemand es ohne weiteres verstehen konnte, was indes dem Beifall keinen Abbruch tat. Als nächster kam der junge Porrino mit einer längeren Rede, für die er alle Blumenpracht der mythologischen Gärten plünderte und die im übrigen ihre Herkunft von der Platonischen Philosophie deutlich an der Stirne trug. Da nun die Reihe an den Podestà kommen sollte, entschuldigte sich dieser, daß er kein Redner sei und daß ihm schon die Bewunderung für das Genie der Vorredner den Mut benehmen würde, über einen Gegenstand noch etwas Neues zu sagen, den seit Jahrtausenden die Dichter aller Zungen gefeiert hätten. Dieses Amt müsse er dem fürstlichen Gast überlassen, der gewandter sei als er und jeder Aufgabe, die man ihm stellen könne, gewachsen.
Worauf der Kardinal schnell begann:
Wenn denn auch ich so spät noch ein Wort zum Ruhme der Schönheit sagen soll, deren irrender Ritter ich bin, so muß es mir vor allem gestattet sein, sie aus dem Empyreum, in das Freund Gandolfo sie erhoben hat, wieder herabzuholen und sie mitten hineinzustellen in unsere freudige Gotteswelt. Denn die Schönheit ist die Sprache, durch die der Schöpfer seine liebevollen Gedanken uns immerzu mitteilt, darum ist sie durch die ganze Schöpfung ausgegossen. Wie aber die Sprache nicht aus einem Laute besteht, sondern aus einer Reihenfolge von Lauten, so kann sich die Macht der Schönheit am besten in der Folge ihrer Erscheinungen, ich meine in der Bewegung, mitteilen. Alle Dichter Italiens haben die Schönheit Julia Gonzagas besungen. Sie haben uns ein ganzes Inventar ihrer Reize für die Nachwelt aufgesetzt. (Hier errötete der Porrino, denn er war der Schuldige.) Aber wird nun in hundert Jahren noch ein Mensch wissen, wie das war, wenn Donna Julia durch die Gärten von Fondi hinwandelte wie der Mond durchs Gewölke, oder wie sie den Nacken bog, um einen Hund zu streicheln? Homer sagt uns nicht einmal, welche Farbe die Augen Helenas hatten, aber sie hüllt ihr Haupt in den Silberschleier und steigt mit gerafftem Gewand leichtfüßig die Stufen zum skäischen Turm empor, daß die Greise ihr bewundernd nachschauen, und unsere eigenen Herzen fliegen mit und finden wie jene, daß das um sie vergossene Blut nicht zu kostbar war. Die Bewegung ist das innerste Geheimnis der Schönheit, sie ist die zehnte Muse, sie ist, was vor Gott und Menschen angenehm macht. Wie der Jäger keinen sitzenden Vogel vom Aste schießt, so soll mir der Dichter keine unbewegte, gefrorene Schönheit singen. Er singe mir den Falken im Flug, das Roß im Rennen, den Mann im Gefecht, die Frau im Hinschweben wie Donna Julia und die griechische Helena, er singe den Tanz der Sphären, die Welle, die sich bricht, den Baum, der sich im Winde biegt, die Flüchtigkeit des Zentauren, den Wasserfall, der in Farben zerstäubt –
Das alles hatte er in wachsender Geschwindigkeit gesprochen, daß die Worte nur so um ihn stoben, bis er notgedrungen Halt machte, um Atem zu schöpfen. Die kleine Pause benützend sagte Isabella schnell:
Um Gottes Willen, Herr Kardinal, wenn Ihr so fort macht, müssen wir fürchten, daß Ihr uns selbst wie der Wasserfall in Farben zerstäubet.
Geduld, schöne Frau, ich bin schon am Ende, antwortete er, indem er zugleich den Herren seines Gefolges mit den Augen winkte. – Da es nunmehr feststeht, daß es die Bewegung ist, was angenehm macht, so wollen wir die Erkenntnis alsbald in die Tat umsetzen, indem wir durch unsere Fortbewegung den Damen Gelegenheit geben, die Ruhe aufzusuchen, nach der sie sich schon lange sehnen.
Julia, mit der Raschheit seines Kommens und Gehens vertraut, reicht ihm die Hand, auf die er seine Lippen drückt, und mit allseitigem Dank für die Freuden dieses Abends verabschiedet er sich leicht im Kreise, dann sitzt er nach einer Sekunde schon als lebendes Beispiel der von ihm gepriesenen Beweglichkeit im Sattel, um dem drei Stunden entlegenen Bergstädtchen Itri zuzureiten, wo er für die Zeit seiner Jagdbesuche in dem dortigen Franziskanerkloster Wohnung zu nehmen pflegte. Wie der Hufschlag auf dem Straßenpflaster widerhallt, erhebt sich zugleich ein lautes Lebehochgeschrei in der Ferne: das sind die kleinen Leute von Fondi, die die halbe Nacht hindurch die Hauptstraße, durch die er kommen muß, belagert halten, um den freigebigen Herrn, von dessen Großmut für jeden etwas abfiel, zu ehren.
Müssen die Herren wirklich heute nacht noch bis nach Itri reiten? fragte eine der blonden Zwillingsschwestern, die selber kaum noch die Augen offen hielt, den aufbrechenden Podestà.
Man sieht, daß Ihr Seine hochwürdigsten Gnaden erst seit heute kennt, war die Antwort. Er ist imstande, zu Haus nur Kleid und Pferd zu wechseln und sein bedauernswertes Gefolge gleich mit auf die Jagd zu schleppen. Darum heißt es auch, daß es ebenso bequem wäre, dem Wirbelwind zu dienen, wie dem Kardinal Medici.
Und doch wird jeder, der in seinem Dienste war, immer gerne zu ihm zurückkehren, bemerkte der junge Porrino, dem auf einmal das Herz schwer wurde nach all den bunten Abenteuern, die er zu Rom im Palaste Medici zurückgelassen hatte.
*
Ihr Mauern von Fondi, zerfallende Türme der alten Feste, die ihr heute nur noch Strafgefangene beherbergt, vernehmt ihr nicht, wenn der Jahresring sich wieder schließt, zuweilen noch die Saitenklänge, das Lachen und Plaudern und Singen jener Wundernächte, in denen die holde Julia Gonzaga die Zügel der Freude in reinen Händen hielt und wo von Gaeta und Formia, von Trajetto und von noch weiter her alles, was an Adel, Geist und Schönheit Anspruch erhob, um den mächtigen Nepoten zusammenströmte, dessen Gunst nirgends leichter zu gewinnen war als in Donna Julias Nähe. Es gibt ja Klänge, die niemals ganz verwehen, immer kommt im Lauf der Jahrhunderte wieder einmal ihr Echo zurück und wird von Geistesohren aufgefangen. Die Nächte von Fondi haben solche Klänge geboren, die unvergeßlichen Nächte, wo die Dichter ihre Verse lasen, die Musiker ihre Lieder sangen, der Hof kleine Lustspiele aufführte und das Popolino in seiner genügsamen Weise an den Festen der Herrschaft teilnahm, indem es außen auf den gepflasterten Straßen nach der Musik, die aus dem Schlosse drang, im Sternenschein tanzte. Bis die Flügel des großen Portals aufgingen, den Blick in ein Meer von Licht eröffnend, Hufschlag erdröhnte und der Gefeierte auf seinem Berberhengst erschien, von Fackeln hinausbegleitet und gefolgt von Pagen und Kavalieren, die sein Geld unter die jubelnde Menge streuten. So lange er in Itri weilte, lebte das kleine Fondi in steter Erwartung, denn immer gab es etwas zu sehen, und wenn es nur die farbigen Diener waren, die den besten Teil der Jagdbeute, Fasanen, Schnepfen, Wildenten aus dem Sumpfsee, in die Schloßküche trugen. Der Medici war der Herr der Stunde und alle, hoch und niedrig, wollten eine Weile fröhlich sein in seinem Licht. Wo er nur hereintrat mit der freudigen Musik seines Wesens, da wuchsen den mattesten Geistern die Flügel. Auch solche, die ihm abgünstig waren oder aus strengeren Grundsätzen heraus seine wenig kanonische Lebensführung verurteilten, mochten doch gerne Eine Luft mit ihm atmen, als ob sie da dem Brennpunkt des Lebens näher wären. Bis auf die unmündige Kindheit und das vernunftlose Getier erstreckte sich seine Anziehungskraft.
Isabella, die eine Reise ins Mantuanische zu ihrem Schwiegervater vorhatte, weil dieser seinen kleinen Enkel kennen zu lernen wünschte, verschob ihren Aufbruch immer aufs neue. Wenn sie sich auch wenig mit dem Kardinal verstand, mochte sie doch Tage eines so gesteigerten Daseins nicht versäumen, Tage, von denen der Porrino spät noch in der Erinnerung sang:
Ja diese Zeit war heilig und vollkommen
Und dieses war das wahre Goldene Alter,
Glückselig wart ihr, Fondi und Trajetto.
Auch Julia wurde von der sanft wogenden Strömung fortgetragen, deren Rauschen sie einlullte. Sie ließ sich leise treiben und vergaß im Zauber des Augenblicks, was sie geängstet hatte. Von des Gastes gefährlichen Planen war nicht mehr zwischen ihnen die Rede. Wollte sie mit einem warnenden Worte darauf zurückkommen, so küßte er ihr dankbar die Hand und wendete sogleich das Gespräch. Solange er da ist, kann man sich auch nicht denken, daß er einmal nicht mehr sein könnte. Und wie er um seine Person die Enden der bekannten Erde zusammengebracht hat, die Steppe des alten Asiens und den neuen von Columbus entdeckten Weltteil, so scheint es, während man ihn sieht und hört, als könnte dem Liebling der Menschen und Götter nichts unerreichbar bleiben.
Die beiden beisammen zu sehen, war eine königliche Augenweide, denn nie blühte Julias Schönheit geheimnisvoller und verwirrender als in seiner Gegenwart, die alle Quellen ihres Inneren erschloß. Der Kardinal aber strömte mit jeder Bewegung das unwiderstehliche Etwas aus, mit dem er schon als Kind alles für sich gewann und das ihm jetzt die römische Jugend vergeblich abzulernen suchte, weil es angeboren sein muß, um zu wirken. An Abenden, wo die junge Welt im großen Festsaal neue Tänze einübt, sitzt die Witwe Vespasians mit ihrem hohen Gast in der Fensternische beim Schachbrett, und er berät sie, weil die Kräfte ungleich sind, mit seiner großen Liebenswürdigkeit, wie sie ihn schlagen kann. Wenn im Gobelinsaal die Kerzen angezündet und die Instrumente gebracht werden, singt er ihr Madrigale, die er für sie gedichtet und selber in Musik gesetzt hat. Für jeden Dienst, den er ihr erweisen darf, dankt er, als ob er selbst der Empfangende wäre, und jedes fremde Anliegen, das durch ihre Hände geht, ist im voraus gewährt. Nur dadurch, daß er seine Gefühle gar so offen zur Schau trägt, kann er ihre Stärke einigermaßen vor der Welt verschleiern, denn in der vornehmen Gesellschaft gelten noch die Reste der alten Rittersitte, und es gibt noch Voraussetzungen, die die üble Nachrede ausschließen. Eine solche hat der junge Kardinal geschaffen, indem er seine unbelohnte Liebe der schönsten Frau als einen Strahlenkranz um die Stirn legte, mit dem sie durch die Jahrhunderte geht.
Und doch war diese Frau, die sie wie eine Göttin feierten, weniger glücklich als die letzte ihrer Dienerinnen. Vom Ruhme ihrer Schönheit wurde ja ihr Herz nicht satt, sie war seiner von frühsten Jahren her gewohnt und teilte ihn mit allen Gliedern ihres Hauses, nur daß in ihr die höchste Blüte erreicht war. Wie alle tieferen Naturen hatte sie eine leise Vorahnung ihrer Geschicke wie die Erinnerung an ein vorausgewußtes und wieder vergessenes Künftiges, zur Welt gebracht, und frühe Prüfungen hatten sie lange vor der Zeit gereift. Als ihr Gatte starb, wurde sie samt Isabellen von seinen habgierigen Verwandten mit Waffengewalt aus ihrem Erbe getrieben, ihre Wiedereinsetzung kostete das Leben des Rodomonte. Und schon im ersten Jahr ihrer Witwenschaft war ihr der Mann begegnet, dessen bloßes Dasein ihr jeden Gedanken an eine neue Ehe unmöglich machte. Auf eine rechtmäßige Verbindung mit ihm durfte sie ja nicht hoffen, denn wenn er den Purpur ablegte und sie die Witwenschaft, so waren beide arm, ein Medici aber brauchte unermeßliche Mittel, besonders dieser. Wurde er Herzog, so war er ihr erst recht verloren, denn dann mußte er sein Herz, ob er wollte oder nicht, der Staatskunst opfern. Ihre Schwerblütigkeit, die ein Erbteil ihrer deutschen Blutmischung war, – in den Adern der Gonzaga floß Hohenzollernblut – zwang sie, den Geschicken auf den Grund zu denken, wo sie nicht einmal dem Wunsch erlauben durfte zu blühen. Frömmigkeit und Frauenwürde verboten ihr, den Fürsten der Kirche anders als mit entsagender Neigung zu umfassen, auch vergaß sie nie, daß sie eine Gonzaga war; der abgöttische Familienstolz dieses Geschlechtes hatte auch in dem Busen der sanften Julia einen Sitz. So zahlte sie das Wenige, was das Glück ihr geben konnte, mit dem teuersten Verzicht. Dieses Schicksal ihrer jungen Schönheit mit hoher Stirn und lächelndem Munde zu tragen, erforderte eine Seele, die stärker war als ihre ganze Umgebung, auch stärker als der Mann, um den sie die heimliche Marterkrone trug. Dieser war wohl fein genug, die Süße des ernsten Spieles auszukosten, hinter dem sich seine lange Erwartung barg, aber er vermochte nicht ihr in die Tiefe zu folgen, wo ihr stummes Leid wohnte. Sie mußte lächeln und spielen, mußte ihr Herz zusammenpressen, durfte nicht erröten noch erblassen, wenn sie den Abstand wahren wollte, innerhalb dessen er ihr gehören konnte. Daß ihr das gelang, verdankte sie einer besonderen Schamhaftigkeit des Herzens, die ihr verwehrte, von ihrem Leid, das doch immer gegenwärtig war, zu wissen. Das machte die Lieblichkeit ihres Lächelns so rätselhaft und ließ sie unter den leichten Freuden des Lebens, die wie Wellen um sie zerrannen, immer gleich unberührt und gleich begehrenswert.
*
Jetzt sehe ich die ganze Gesellschaft im Waldesschatten gelagert, mit solchem Glanze, wie die stillen Baumnymphen des Monte Passegnano noch keinen gesehen haben. Denn diesmal war der Medici der Veranstalter, er wollte die Gastfreundschaft des Schlosses mit einem seiner berühmten Waldfeste erwidern, über die sich die Römer, die noch gar nicht zur Naturfreude erzogen waren, als über die größte seiner Seltsamkeiten auf den Kopf zu stellen pflegten. Im Halbrund war eine Lichtung ausgehauen und mit kostbaren Tüchern umspannt, die alle das flammende Liebeswappen des Festgebers trugen: einen Kometen inmitten kleiner Sterne, der lange Strahlen wirft, und den Wahlspruch: »Sic micat inter omnes«, Ippolitos Huldigung an das alles überstrahlende Gestirn seines Lebens. Auch seinem seidenen Wams war er eingestickt und er wiederholte sich in einer Meistermedaille des Caradosso auf dem roten Barett, das neben ihm im Grase lag.
Die Gräfin hatte für dies eine Mal ihre Witwentrauer durchbrochen, sie trug ein weißes, golddurchwirktes Seidengewand und über den kunstreichen Flechten einen spinnwebdünnen Schleier aus Goldfäden wie den Goldgrund eines Heiligenbildes. Dieser Glanz vermochte ihre Schönheit nicht zu erhöhen, aber er schenkte sie dem Leben. Der Kardinal war heute nicht der einzige, der kein Auge von ihr wenden konnte. Seit zwei Tagen befand sich ein durchreisender spanischer Herr als Gast in Fondi, den sie Don Filippo und Fürsten von Sulmona nannten. Es hieß, daß er um Donna Isabella gekommen sei, als er aber Donna Julia erblickte, wurde seine abgemessene Förmlichkeit zur ehrfurchtsvollen Erstarrung und er kam nur wieder zu sich, um der Herrin von Fondi zum stillen Ergötzen des Hofes wie ihr Schatten nachzugleiten. Aus Höflichkeit hatte der Kardinal ihn mit eingeladen, doch ohne an seiner Anwesenheit Geschmack zu finden.
Die Mahlzeit war schon abgetragen und hatte keine Spuren im Grase gelassen. Negerknaben reichten das Handwasser umher und brachten Schalen mit eisgekühltem Getränk, dann verschwanden sie ehrerbietig hinter den Tüchern, die alle Zurüstungen des Festes den Augen entzogen. Die Gäste blickten erwartungsvoll, denn eine Pantomime war angekündigt, und was konnte es anderes sein als die Vermählung des Bacchus, die seit den Tagen des mediceischen Karnevals in Florenz Lieblingsgegenstand der höfischen Darbietungen geblieben war? Die Damen saßen auf straffen Polstern erhöht, die Herren auf Teppichen am Boden, und hinter der Gesellschaft bildete die türkische Leibwache in ihrer bunten Tracht einen Halbkreis von wundervoller Farbenwirkung, alle unbeweglich wie Bildsäulen.
Den besten Platz unmittelbar zu Julias Füßen nahm wie billig der Herr des Festes selber ein. Die andern hatten sich nach Wahl und Gutdünken gesetzt, denn hier außen gab es keine Etikette. Nur hatten sich's alle bei ihrer Ankunft gefallen lassen müssen, daß die Pagen des Kardinals sie mit leichten Waldkränzen schmückten, was dem nackten Schädel des Molza gar spaßig ließ und die gelbfahle Haut des Spaniers noch fahler machte. Dieser saß zerstreut und unaufmerksam bei Isabella und schien den Zweck seines Kommens gänzlich vergessen zu haben. Er hatte sich bei Molza um den Sinn des überall angebrachten Wahlspruchs erkundigt, in dem er eine Beziehung auf Donna Julia ahnte. Als Molza ihm sagte, die Worte seien einer Horazischen Ode auf den überhellen Kometen entnommen, der bei dem Tode Julius Cäsars schien, bemerkte Don Filippo mit großer Höflichkeit, der Herr Kardinal erweise sich durch diese Wahl in der Tat als der überlegene Geist, für den ihn die Allgemeinheit erkläre.
Wie meint Ihr das? fragte der Molza, der selber aus dem Schatze seiner klassischen Studien dem Gebieter diesen Spruch geliefert hatte.
Weil man starken Sinnes sein muß, um ein Himmelszeichen nicht zu scheuen, das einem so schreckensvollen Ereignis geleuchtet hat, antwortete der Fürst von Sulmona verbindlich.
Molza, der die Empfindungen des Gastes durchschaute, entgegnete lächelnd:
Das Wunderzeichen, das wir meinen, hat solche Segenskraft, daß alle böse Bedeutung von seinen Strahlen aufgezehrt wird.
Der Spanier preßte seine schmalen Lippen zusammen und blickte auf Julia, die in diesem Augenblick ihr schönes Haupt zu Ippolito herunterbeugte, und er beschloß mißlaunig, des anderen Tages abzureisen.
Jetzt hörte man aus der Ferne die ersten Paukenschläge, Gesang wie von hundert Kehlen kam den Berghang herunter, in Kehren sich nähernd und wieder entfernend. Man vernahm zerflatternde Fetzen des alten Bacchusliedes Lorenzos des Erlauchten. Dazwischen schwere und leichte Tritte, rollende Räder, Gelächter und dumpfes Brüllen, Gerassel von Becken und Schellen, den Lärm einer unbestimmten, aufgeregten Vielheit.
Da kommt der Gott der Freude, erklärte der Festgeber, zu seiner Dame hinaufblickend. Er kommt mit seinem Gefolge vom Indus her. Hört Ihr seine Panther brüllen? Er hat auf dem Gebirge gerastet, jetzt steigt er herab, um die Erde dem Glück zu erobern.
Als wir das Spiel zum erstenmal aufführten, flüsterte einer der Kavaliere in Isabellens Ohr, da spannte unser hochwürdigster Herr die lebenden Panther aus dem eigenen Zwinger vor. Das Landvolk am Nemisee erzählt noch heute davon. Aber Seine Heiligkeit wurde ungehalten, als Sie es erfuhr, und verbot das freie Umherführen wilder Tiere. Darum brüllen sie heute nur noch durch die Instrumente.
Jetzt ertönte der Lärm unmittelbar in ihrem Rücken. Man unterschied Faunengelächter, kleine Nymphenschreie und Gekicher und den lallenden Brummbaß des Silen, alles getragen von der Jubelmelodie des Bacchusliedes. Das berauschte Durcheinander klang so orgiastisch, daß Julia befremdet blickte. Wollte der Enkel das Ärgernis erneuen, das einst die Zornesblitze des Bruders Girolamo auf die mediceische Weltlust herabbeschwor?
Ihr habt uns, wie es scheint, eine recht unheilige Gesellschaft zugedacht.
Seid ganz ruhig, lächelte der Kardinal zu ihr hinauf. Es ist das lustige Gesindel der Naturwesen, das dem niederen Sinnenleben angehört. Sie ziehen ins Tal hinunter, wo ihr Platz ist, Ihr werdet nichts von ihnen zu sehen bekommen. In Donna Julias Nähe wagt sich nur, was göttlich ist.
Das Bacchuslied verhallte und es wurde einen Augenblick stille.
Dann setzte ganz in der Nähe unsichtbar eine Violine wie mit Menschenstimme ein, es klang wie ein Rufen und Suchen, ein schmelzendes und feuriges Werben, und nun kam auf sanft geneigtem Waldweg der Gott herab. Nicht als Griechengott angetan, sondern in reichen asiatischen Gewändern, nur an den vollen Traubengewinden und dem Stab mit dem Pinienapfel als Bacchus kenntlich. Kein Mann, ein Jünglingsknabe: er hat sich von seinem lärmenden Gefolge getrennt und geht abseits, von einer höheren Sehnsucht gezogen. In schönem, schwebendem Schritt, den die Musik regiert, kommt er heran; ein kleiner geflügelter Liebesgott mit verbundenen Augen führt den Sehenden, zwei Hinduknaben, die braune Haut mit Gold behängt, eilen ihm als Wegbereiter voran. Erst beim Näherkommen erkannten ihn die Gäste: es war des Kardinals Lieblingspage, der immer hinter seinem Stuhl zu stehen pflegte.
Ascanio! flüsterte Julia überrascht. Ich hatte noch nie bemerkt, wie schön er ist. Er darf es wohl wagen, den Freudengott zu verkörpern.
Gebt acht, flüsterte ihr Ritter zurück, gleich wird der Unterjocher finden, was ihn unterjocht.
Aus dem Waldgebüsch gegenüber erhob sich nachtigallengleich der Sang einer Flöte und antwortete der Geige mit ihrer schmelzenden Klage. Die Hinduknaben rissen ein Geflecht von Zweigen auseinander, das einen ins Dickicht gehauenen Zugang verhüllte, und am Ende des schmalen Weges auf einem natürlichen Felsenthron wurde die schlafende Ariadne sichtbar. Aber es war nicht die verlassene Geliebte des Theseus, sondern eine unberührte, heilige Menschenknospe von entzückendem Liebreiz. Die Flöte sang ihren ersten Liebestraum. Bei ihrem Anblick bleibt der Gott gefesselt stehen, er streckt die Arme gen Himmel, wie um dem Schöpfer dieses Wunderbildes zu danken und kann nicht vor- noch rückwärts. Da erhebt sich die Holdselige wie von unsichtbarem Magneten gezogen; mit allen Gliedern an die Flötentöne gebunden, bewegt sie sich leise dem Gott entgegen, doch ohne den Platz zu verlassen, nur wie eine Wasserlilie, die von der Strömung getragen wird, aber im Grunde haftet. Sie schläft im Tanzen und sie tanzt ihren Traum. Nun setzt die Geige wieder ein und führt mit der Flöte melodische Zwiesprach, bis sie vermählt zusammenklingen und die zwei Schönen sich mit einem Male umschlungen halten. Doch das Mädchen schreckt erwachend auf und reißt sich los, er folgt ihr, umfaßt kniend ihre Knie, sie strebt hinweg und eine Zeitlang scheinen sie sich trotzig zu meiden, bis sie sich zaghaft wieder zu ihm kehrt. Sie nähern ihre Gesichter einander, ein erster Kuß, noch schüchtern und ungeschickt, denn auch der Götterjüngling zeigt sich als Neuling in der Liebe, aber schnell folgt ein zweiter feuriger, der vielen der männlichen Gäste zu lang dauerte, denn sie riefen in einer Anwandlung von Eifersucht: Genug! Genug! Während ein Wonnesturm durch alle Blas- und Saiteninstrumente raste, hob der Gott die Geliebte auf, die ihr Gesicht an seiner Wange verbarg, und entführte sie durch das Gezweige wie in ein verborgenes Brautgemach.
Jubelnder und ergriffener Beifall folgte ihnen; auch das hartgesottenste Herz war vor der Reinheit und feurigen Innigkeit dieses Spieles zerschmolzen, und in manchem Auge glänzte eine Träne. Da hörte man Donna Isabellas schneidende Stimme fragen:
Warum wurde denn das Stück von Unmündigen gespielt, hochwürdigster Herr?
Erwachsene wären ja zu deutlich geworden, murmelte der Molza, erstaunt über solche Verständnislosigkeit.
Wir wollten die Liebe nur im Gleichnis zeigen, nicht in der Darstellung, antwortete der Gefragte fein.
Julia streifte ihn mit einem warmen Blick.
Kann man die beiden Liebenswürdigen nicht sehen, um ihnen zu danken?
Auf einen Wink des Kardinals wurden die beiden Spieler hereingeholt. Sie knieten vor Julia nieder, Ascanio legte seinen Kranz zu ihren Füßen und wurde mit einer Schale Wein von ihrer Hand belohnt. Dann zog sie das reizende Mädchen, das in seiner Verwirrung noch immer reizender wurde, in ihre Arme und küßte ihm mütterlich Stirn und Wangen, wobei die schöne Ariadne tief errötete und die Herren des Kardinals bedeutsam blickten.
Nun hat Donna Julia den schönsten meiner Pagen geküßt, und das vor meinen Augen, lächelte dieser, nachdem er die Spieler mit seinem Lob und der Aufforderung, sich jetzt an die Erfrischungen zu halten, entlassen hatte. – Wie soll ich ihm das vergeben?
Ist Ariadne kein Mädchen? fragte sie ungläubig staunend.
So gewiß Bacchus keines ist. Sie sind sogar nur wenig im Alter verschieden. Wir fanden kein Mädchenkind, das so gut zu der Rolle gepaßt hätte. Aber laßt Euch den Kuß nicht reuen. Der Knabe ist noch unschuldig wie er aus dem Mutterleibe kam. Vielleicht wird Donna Julias Kuß wie eine Weihe mit ihm gehen und ihn lebenslang vor allem Schlechten und Niedrigen bewahren.
Die Damen staunten und lachten, das schöne Paar wurde ein zweites Mal herbeigerufen, aufs neue belobt und mit Konfekt belohnt. Inzwischen hatten die Diener Laternen in den Büschen aufgehängt, denn die bläuliche Dämmerung begann leise herabzusinken, und die Schalen wurden frisch gefüllt. Die Gruppen hatten sich gelöst und anders gebildet, Paare plauderten abseits zwischen den Zweigen. Alle Stimmen klangen gedämpfter und alle Reden zarter, als wäre in Wahrheit etwas Göttliches vorübergestreift und hätte eine sehnsüchtige Zärtlichkeit und stille innere Bewegtheit zurückgelassen. Der Kardinal hatte eines der Blasinstrumente ergriffen, dem er mit seinen Lippen einen leisen, schmeichelnden Gesang entlockte.
Als Julia sich näherte, ließ er das Instrument sinken und sagte:
Warum hat die schönste Frau der Erde heute ein Gewand angelegt, in dem sie glänzt wie Beatrice im Paradies, als die Augen ihres Sängers sich vor ihr schließen mußten?
Ich kenne die schönste Frau der Erde nicht, war die Antwort, also kann ich Euch nichts von ihr sagen. Daß Julia Gonzaga heute ihre Trauer unterbrochen hat, geschah dem gütigen Festgeber zu Ehren. Habe ich es ihm nicht zu Danke gemacht?
Zu feurigstem Dank, wenn es ihm allein gegolten hat, – wenn keine andere Bedeutung sich dahinter birgt.
Was könnte das für eine Bedeutung sein?
Daß Donna Julia plötzlich ihrer einsamen Tage und Nächte überdrüssig geworden wäre und ihr Witwenkleid ganz von sich zu tun gedächte.
Woher diese Vermutung? Eure Herrlichkeit kennt mich und meinen Entschluß.
Weiß Donna Julia auch, daß, wenn sie um eines andern willen diesem Entschluß untreu würde, mein Leben verspielt wäre?
Warum wechseln wir so überflüssige Worte, erlauchter Herr?
Wenn sie überflüssig sind, so möge mir die Herrin vergeben und bedenken, daß Liebe einem edlen Rosse gleicht, das wohl mutig in feindliche Lanzen sprengt, aber auch vor dem kleinsten Schatten am Wege scheut.
Julia folgte der Richtung seiner Augen, die auf das aschfarbene Gesicht und die schmächtige Gestalt des Spaniers fielen. Da konnte sie sich des Lächelns nicht enthalten.
Es gibt Schatten, die so klein sind, daß ein edles Roß nicht vor ihnen scheuen dürfte.
Für dieses Wort, Donna Julia, möchte ich den Staub von Euren Schuhen küssen, antwortete er leidenschaftlich.
Allein jetzt trat Don Filippo, wie angezogen von den Blicken, die ihn gestreift hatten, zu den beiden heran, der Glanz ihrer Augen erlosch und das Gespräch wurde höfisch kühl und allgemein.
Unterdessen hatte die bedrängende Süße des Abends in Isabellas Busen einen heimlichen Gärstoff erzeugt. Sollte sie denn ewig an den Triumphwagen dieser jungen Stiefmutter gespannt sein, der das väterliche Testament sie zu lebenslänglichem kindlichem Gehorsam verpflichtete? Warum lebte sie überhaupt in Fondi? Wohin gingen die schönen Jahre? Sollte die Witwenschaft ewig dauern? Unruhig mahnte sie an den Aufbruch, weil schon die Sterne am Himmel stünden, und der bittende Widerspruch des Festgebers reizte nur ihren Eigensinn. Sie grollte Julia, als ob sie die Glücklichere wäre, und irgendwie grollte sie auch dem Kardinal, ohne sich zu fragen, warum. Gegen Don Filippo aber, der bei seinem kümmerlichen Äußeren auch ein so lässiger Werber war, empfand die Witwe des feurigen Rodomonte eine kaum verhohlene Verachtung.
Heftig ging sie voran, nachdem sie ihren Kranz abgerissen hatte, als könnte das schöne Fest nicht schnell genug aufgelöst werden, und ihr kleiner Hofstaat mußte ihr gern oder ungern folgen. Da der schlängelnde, bequeme Waldpfad, den sie heraufgekommen waren, sie ungeduldig machte, eilte sie nach wenig Schritten, ihr Gewand zusammenraffend, geradeswegs bergab, und alles, was jung und leichtfüßig war, ergoß sich hinter ihr über die gelichteten Waldhänge hinunter. Unter den letzten folgten Julia und Ippolito. Ein farbiger Diener eilte mit Windlicht voraus und beleuchtete jeden Fleck, worauf sie traten, denn rasch begann jetzt der Abend zu sinken. Ihnen hatte sich der Fürst von Sulmona angeschlossen, aber wenn auch die Zwei nur redeten, was jedermann hören durfte, und nicht einen Zollbreit näher beisammen gingen als die Sitte guthieß, fühlte er sich doch als überflüssiger Dritter, der den Einklang in ihr Duo nicht finden konnte. Wo ein schmaler Kamm, auf den sie unversehens geraten waren, in rauhen, ungleichen Felsenstufen abfiel, mußte sich Julia von hinten mit gerafftem Kleid auf Ippolitos Schulter stützen, während dieser ihr sorgfältig die Zweige abwehrte. Da blieb der Spanier unversehens zurück und kam erst unten im Tal in Isabellens Nähe wieder zum Vorschein. Die beiden bemerkten sein Verschwinden so wenig wie seine Gegenwart.
Bin ich nicht trotz allem dem Schicksal großen Dank schuldig, Donna Julia? Es hätte sein können, daß ich hundert Jahre nach Euch geboren würde. Wenn ich dann Euer Bildnis von der Hand Meister Sebastianos erblickte – es ist das einzige, das Euch gleicht –, so müßte ich es lieben und müßte vergeblich nach dem Urbild über die ganze Erde suchen, wie vielleicht irgendein Unglücklicher in fernen Zeiten suchen muß. Ich aber darf neben Euch gehen, Eure Stimme hören und die göttliche Nacht hält uns beide wie Geschwister umfaßt.
Eine schönere als diese ist noch nie unter dem Sternenhimmel hingegangen, antwortete Julia leise.
Fühlt Ihr, wie sie uns anhaucht mit dem Atem des Meeres und dem Duft ihrer Waldblumen? antwortete er, indem er langsamer ging, um den gemeinsamen Weg zu verlängern. Sie gibt allen Dingen eine Festigkeit. Hier neben unsren Füßen sind schwindlige Abstürze. Wir sehen sie nicht, Donna Julia, ich kenne sie nur, weil ich hier schon gejagt habe. Wenn Ihr sie sähet, würde Euch bange. So aber gehen wir gefahrlos und sorglos hin wie Geister der Nacht, das heilige Dunkel umgibt uns mit einer Brustwehr, wir lehnen uns an sie und treten sicher.
Julia hörte die Stimme des Freundes wie im Traum, ohne dem Sinn der Rede zu folgen. War er es, der sprach, oder sprach ihr eigenes Innere? Und wovon war die Rede? Von ganz anderem als die Worte sagten. Die Erde war nicht mehr, und die Stimmen vor und hinter ihnen kamen aus einer fremden Welt, sie beide aber schwebten wie befreite Geister im Raum, von Musik und Poesie zusammengetragen. Bis die Stelle erreicht war, wo Fackeln und Sänften auf die Damen, Rosse auf die Herren warteten, und beide mit schmerzhaftem Erwachen plötzlich wieder in ihrem Erdengewande dastanden, sie als Feudalherrin, er als Kirchenfürst, durch unübersteigliche Schranken voneinander geschieden.
*
Mit auflösender, unentrinnbarer Gewalt lagerte jetzt der Spätsommer über Fondi und ringsum bedrängte die Campania felix mit dem Überschwang ihrer Fruchtbarkeit. So weit das Auge von den hohen Palastfenstern über die gartengleiche Ebene ging, sah es halbnackte Menschen bei der Ernte und Fruchtbäume, die sich bogen von ihrer Last. Die Straßen rochen nach jungem Wein, der in den Kufen gor, und nach Obst, das zertreten in den Gossen lag. Überwältigend duftete die neue Orangenblüte an den Spalieren neben der golden reifen Frucht, und verjüngte Rosenfülle schwankte üppig und leuchtend von den alten Mauern. An allen Ecken sah man verliebte Jugend, die sich suchte und fand nach dem ewigen Gesetze dessen, der Mann und Weib erschuf. Auch das Alter schützte nicht vor der süßen Torheit. Der gute Molza, jetzt wieder mit Mitteln versehen und bereit sie wegzuwerfen, verspürte einen neuen Johannistrieb und war in die Netze einer wunderschönen Jüdin geraten, der er Hals und Ohren mit der Großmut seines Herrn behängte. Er verfaßte Sonette über die ehemalige Größe von Zion und das Jammerlos des Volkes, das den Erlöser geboren hat und dennoch heimatlos über die Erde streift. Die schöne Rebekka, die mehr seine Juwelen als seine Verse schätzte, obwohl sie zu seinen besten gehörten, führte ihn aufs artigste an der Nase, in der stillen Hoffnung, durch ihn den Weg zu seinem Herrn zu finden, von dem es hieß, daß er für weibliche Annäherung nicht unempfänglich sei. Aber in Fondi sah er nur die Eine. Auch hütete Molza den entdeckten Schatz wie ein Drache, nur Porrino war den phantastischen Sprüngen des Alten auf die Spur gekommen, und die beiden Dichter tauschten launige Epigramme über des Graubarts angebliches Glück. Die jungen Hoffräulein, vom Auge der Herrin behütet, senkten erblassend ihre Häupter wie Blumen, die am Verschmachten sind. Nur Julia selber trug das ihre aufrecht wie immer. Aber sie brach sich jeden Morgen den Schlaf, um vor Sonnenaufgang, wenn noch alles im Schlosse ruhte, zur ersten Messe in den Dom hinunter zu gehen, der an die Palastmauer stieß, und dann noch lange an der Grabstätte der Colonnesen, neben denen auch ihr Rodomonte lag, zu beten. Sie fürchtete das auflösende Hindämmern und den Halbtraum der Morgenstunde. Und keine Stelle ihres Vaterunsers sprach sie mit solcher Inbrunst wie das Führe uns nicht in Versuchung. Denn seit dem Waldfest weinte etwas in ihrer Seele. Es hatte keine Worte, es klagte nur mit der Flötenstimme, die den Traum Ariadnes sang. Wie leicht war ihr die Haltung gefallen, in die eigener Wille und das Lob der Welt sie bannten, bevor es einen Ippolito für sie gab, und wie anders war es jetzt. Am schwersten, wenn er so wie beim Waldfeste all sein Funkeln und seinen festlichen Übermut von sich tat und nur die verwandten Saiten klingen ließ, die Zartheit des Dichtergemüts, die der andere Pol seines Wesens war.
*
Im Außenbezirk des Schlosses lag damals noch ein schöner Hain von Steineichen mit den Grundmauern einer alten Römervilla, die nach der Meinung der Gelehrten einst dem Petronius Arbiter gehört haben sollte. Wenn man im Boden grub, so fand man römische Münzen aus den Zeiten des Nero und Tiberius, auch viele bemalte Terrakottascherben. Doch war von der einstigen Pracht um jene Zeit schon nichts mehr erhalten als Teile einer Brunneneinfassung, zwischen denen eine mächtige Quelle hervorsprudelte. Ein paar Säulenstümpfe ragten noch, der Rest war Trümmerwerk, zwischen dem dichtes Myrten- und Arbutusgesträuch sproßte. Bei der Quelle stand jetzt eine schön geformte Steinbank für die Herrin. Das Gezweige hatte sie niederbiegen und mit den antiken Säulen zu einer reizenden, luftigen Laube verbinden lassen. Dorthin flüchtete sie, während die Hofgesellschaft in schwülen, verdunkelten Räumen ihre lange Siesta hielt. Unter dem betäubenden Sonnenjubel der Zikaden erwartete sie den feuchtkühlen Meerwind oder die frischere Luft, die des Abends von den Bergen strich. Ein Buch und eine Handarbeit sollten ihr abwechselnd die Zeit verkürzen. Allein zur Arbeit fehlte die Ausdauer und was sie las, erschien ihr schal und farblos, daß sie es nach kurzem weglegte. Da war freilich das köstliche Miniaturenwerk, in dem sich der Lupe noch immer neue Entdeckungen darboten. Aber die Widmungsworte trieben ihr jedesmal das Blut schneller durch die Adern und der Text sprach ihr nach dem Willen des Übersetzers von ganz anderen Dingen, als der alte römische Dichter meinte. Besser, sie nahm den kleinen Vespasian, Isabellas Söhnchen, auf den Schoß, das hier seinen Spielplatz hatte und ihr, sobald sie erschien, am Kleide hing. Das Kind war ihr Schutz und ihre Zuflucht, wenn ihr vor den Stimmen des eigenen Blutes bange wurde, sie sah in ihm die Züge seines Vaters, um den sie nie aufhörte zu trauern. Dieser edelste ihrer Brüder war ihr Beschützer gewesen, so lange sie denken konnte, er hatte ihr die römischen Lehen zurückerobert und durch die Rache ihrer Feinde war er so jung gefallen. Es ging schon ins dritte Jahr, die Tränen der Witwe waren getrocknet, aber im Herzen der Schwester blieb die Wunde frisch. Um des Toten willen ertrug sie die wechselnden Launen Isabellas, die ihr das Leben nicht leicht machten. Ihr Alvise allein, der ruhmreiche Rodomonte, hatte ein brüderliches Herz für sie gehabt, während alle andern Glieder des Hauses nur den bequemen Gegenstand der Familienpolitik in ihr sahen. Noch sterbend hatte er in einem rührenden Kodizill zu seinem Testamente die Angehörigen gebeten, der einsamen Schwester eine Wiedervermählung zu ermöglichen, wenn die richtige Gelegenheit sich böte. Begehrte sie auch keine zweite Heirat, so dachte sie doch mit dankbarer Sehnsucht an den einzigen Menschen, der ihre Verlassenheit verstanden hatte. Und wie stolz war er auf seinen weißen, fleckenlosen Schwan, wie er die herrliche Schwester nannte, gewesen. Über dem Haupte des Knaben erneute sie sich den stillen Schwur, ihr Leben so zu leben, als ob es den Rodomonte noch zum Zeugen hätte, nichts zu tun, was sich vor den brüderlichen Augen verbergen müßte.
Es war ihr liebstes Lebensziel geworden, den Kleinen, der äußerlich so sehr dem Vater glich, auch innerlich zu dessen Ebenbilde zu erziehen. Ein Glück, daß sie nicht ahnen konnte, wie in diesem zarten Gonzagasproß das strenge Ehrgefühl des Rodomonte sich mit der wilden Rachsucht des Colonnesischen Blutes zu künftigen dunklen Tragödien mischte. Das Kind war sehr begabt und frühreif, aber ebenso gewalttätig und herrschsüchtig. Es baute, so klein es noch war, Festungen im Sande mit einem Eifer und einer Geschicklichkeit, als ahnte es schon seinen späteren Ruhm auf diesem Gebiete; wenn sie ihm jemand unbedacht zerstörte, geriet er in sinnlose Wut. Er verlor nie ein Wort von dem, was Julia ihm aus seines Vaters Leben erzählte: wie stark und tapfer er gewesen, daß er ein Hufeisen in der Hand zerdrücken und eine fünffach geflochtene Schnur mit den Fingern zerreißen konnte. Nun wollte er zum hundertsten Male und mit denselben Worten seine Lieblingsgeschichte wieder hören, wie die Feinde des jungen Helden am Hofe von Madrid, da er noch zart und schmächtig war, einen riesenstarken Mohren aus Mohrenland aufstachelten, daß er ihn zum Ringkampf auffordere, –
War er schwarz? unterbrach der Knabe, weil die Erzählerin diesen Umstand vergessen hatte.
Er war schwarz vom Kopf bis zu den Füßen. Und alle Herrn und Damen und der Kaiser selber baten den jungen Helden, daß er die Herausforderung ablehne, weil noch niemand den schrecklichen Mohren bezwungen hatte. Dein Vater aber nahm den Handschuh auf, faßte den Mohren um den Leib und schmetterte ihn mit seiner gewaltigen Kraft zu Boden.
Siebenmal, ergänzte der Knabe atemlos.
Siebenmal warf er ihn zu Boden, bis er liegen blieb. Von da an hieß dein Vater der Rodomonte, das bedeutet: der, den niemand bezwingen kann. Und alle priesen den jungen Helden und der König von England schrieb an den Kaiser –
Hier unterbrach sie leises Klirren und ein Jubelruf des Kindes. Vor ihnen stand mit entzückten Augen der Kardinal. In der Hoffnung, die geliebte Freundin einmal allein ohne den Schwarm des Hofstaates im Freien zu finden, war er früher als sonst von seinem kühleren Itri durch die Sonnenglut herabgeritten, denn ihn kümmerte weder kalt noch warm.
Donna Julia wollte das Kind der Wärterin zurückgeben, um den Ankömmling nach Würden zu begrüßen. Allein er nahm es ihr ohne weiteres vom Schoß, denn er war ein großer Kinderfreund und stand in besonderer Gunst des Knaben, der sich sachkundigen Rat für das Festungsbauen bei ihm zu holen pflegte. Und nun begann ein wildes Spiel, wobei der Kleine bald auf dem Rücken des Hundes saß und zu Boden kollerte, bald hoch in den Armen des Gastes schwebte, als sollte er der jungen Frau, die erschrocken die ihren ausstreckte, durch die Lüfte zufliegen. Kein Fremder hätte bei diesem Schauspiel gezweifelt, ein junges Elternglück vor Augen zu haben. Von diesem Gedanken plötzlich befangen gemacht, bat Julia ihren Gast, das Kind der Wärterin zurückzugeben, weil es sonst zu wild werde und hernach nicht mehr zu bändigen sei, allein der Knabe klammerte sich schreiend an seinen großen Spielgesellen. Am Ende stellte dieser den gelenken Kleinen auf seine Schulter und ließ ihn unter mancherlei Biegungen und Windungen an der schlangenhaften Schönheit seines Körpers niederklettern. Er dachte dabei an sein eigenes Spielkind, den kleinen Asdrubale, den eine dienende Frau ihm geboren hatte und den er abgöttisch liebte und aus der Maßen verzog. Bei der lärmenden Fröhlichkeit entschwebten die zarteren Geister des Waldfestes, der Knabe lachte, die Wärterin schrie, der Hund bellte, Julia schalt, bis zuletzt Donna Isabella, die erwacht war, herunterschickte, den Knaben holen zu lassen. Der Ankömmling hob ihn noch einmal hoch und legte ihn dann zärtlich seiner Freundin in die Arme.
Jetzt aber kommt der Augenblick, wo die beiden allein bleiben oder nahezu allein, denn Sanzia, die Zofe, schläft unter einem Eichbaum, das Gesicht im Grase, und atmet schwer.
Und nun sitzt der wilde Gast, auf einmal stille geworden, neben der Herrin auf der Steinbank, zwischen ihnen das aufgeschlagene Buch. Er nimmt es auf und blättert darin.
Habt Ihr je bedacht, erlauchte Frau, welche Geduld es mich kostete, alle diese Verse für Euch aneinander zu leimen?
Ich habe Eure Ausdauer bewundert. Aber Ihr werdet mir nicht einreden wollen, daß sie alle geduldig mit der Feder in der Hand am Schreibtisch verfaßt seien.
Donna Julia kennt mich zu gut, als daß ich je versucht sein könnte, ihr etwas einzureden, was nicht der Wahrheit entspricht. Ich gebe also zu, daß ein großer Teil davon im Sattel entstanden ist. Ich hoffe damit das Verdienst meiner Ergebenheit in Euren Augen nicht geschmälert zu haben.
Gewiß nicht.
Er schließt das Buch und legt es auf den Tisch, daß der Raum zwischen ihnen frei wird.
Ich habe in der Tat am Stillesitzen über den vatikanischen Geschäften genug; nur zu Pferde bin ich ganz ich selber. Zuweilen kommt es wie ein Fieber über mich, daß ich einer der Zentauren sein möchte, die ehedem an diesem großgriechischen Gestade galoppierten, Roß und Mann Ein Leib. Ich würde mir dann mit meinen Menschenarmen die Schönste wegfangen, sie im Schwung auf meinen Pferderücken setzen und fort mit ihr in meine Höhle im Geklüft!
Eure Höhle, erlauchter Herr, müßte fünfzig Gemächer haben, alle Böden mit Teppichen der Levante bedeckt, und Wände aus Mosaik und Lapislazuli.
Liebliche Bosheit, Ihr redet ja heute fast wie Donna Isabella. Wenn ich meine Höhle schmücke, kommt es doch der Schönsten, die ich darin einsperren will, zugute. Aber, Donna Julia, Scherz beiseite, glaubt Ihr wirklich, daß der äußere Schein mir das Glück bedeute? Wäre ich ein Beduine, so sollte mir mein Zelt mit meinem Pferd als Schlafgesellen ebenso lieb sein wie der Palast am Campo Marzio.
Nun seid Ihr aber kein Beduine, sondern der Mann, von dem sie sagen, daß er in Marseille durch seine Prachtentfaltung sogar Franz I. verblüfft und verdunkelt habe.
Ja, bei der Hochzeit meiner Base mußte ich unser Ansehen vor der Welt retten, denn das Gefolge des Papstes nahm sich ohne mich und die Meinen wie ein Heer falliter Kaufleute aus; wenigstens behauptet das der Aretin, und er hat ausnahmsweise nicht ganz gelogen. Der heilige Vater ist ein sparsamer Mann. Er legte mir noch unlängst durch meinen Haushofmeister nahe, daß ich einen Teil meiner Hofhaltung aufgeben solle, weil ich solcher Menge von Leuten nicht bedürfe. Ich ließ ihm mit aller schuldigen Ehrfurcht vermelden, daß ich ihrer in der Tat nicht bedürfe, sie aber meiner. Wer sollte denn für Dichter und Künstler sorgen, wenn es ein Medici nicht tut? Außerdem sind wir Großen auch dem Volk, das unsere höheren Genüsse nicht teilen kann, eine Augenweide schuldig. Ihr solltet sehen, wie die halbe Stadt zusammenläuft, wenn ich meine Rothäute im Tiber nach einem Goldstück tauchen lasse und die gelenken Leiber solange unter Wasser bleiben, bis mir selber bange wird, ob sie wieder auftauchen werden. Davon zehrt Rom wochenlang, wie zur Zeit Augusts von den Zirkusspielen. Wenn ich nur auf Tage die Stadt verlasse, gleich fühlen meine Quiriten sich ärmer. In Florenz wird es einmal nicht anders sein, dann werdet Ihr wissen, wozu das alles gut war. Ich will wie mein Urahn Cosimo von mir sagen können: Wenn ich gehe, wer bleibt? Wenn ich bleibe, wer geht?
Es war das erstemal, daß er nach dem Gespräch im Schloßgarten auf die florentinische Sache zurückkam. Er ließ jedoch den Gegenstand gleich wieder fallen und drehte jeden Versuch, ihn dabei festzuhalten, in einen Scherz.
Dann blickte er ihr eine Zeitlang ganz nahe in die Augen.
Wißt Ihr, daß Ihr sehr zu bedauern seid, Donna Julia?
Warum?
Weil Ihr, gerade Ihr, das Allerschönste niemals sehen könnt. Ihr seht nicht das Lichtgeflimmer in Euren dunklen Haaren wie das Schiroccomeer in der Dämmerung. Ihr seht auch nicht, was Unbeschreibliches in Euren Wunderaugen vorgeht, wenn Eure Lippen sich zu einer ganz kleinen, ganz holden Bosheit kräuseln wie kurz vorhin.
Ihr wollt heute, wie es scheint, kein einziges ernsthaftes Wort mit mir reden.
Ich hätte Euch manches ernste Wort zu sagen, allein Ihr wollt es nicht hören.
Wir Frauen sind in der Tat zu beklagen, entgegnete sie munter, um keine Pause aufkommen zu lassen. Sind wir häßlich, so beleidigen wir durch unser bloßes Dasein den Herrn der Schöpfung, daß er keinen Blick für uns übrig hat, und wären wir noch so klug. Hat uns Gott aber ein leidliches Gesicht mitgegeben, so wird es Anlaß, daß er nicht wie ein vernunftbegabtes Wesen zu uns sprechen mag. Von Euch heißt es, Ihr hättet einen an allen Lehren der Weisheit geschulten Geist, doch es gefällt Euch nur selten, ihn vor mir zu zeigen.
Aber Schönste, habe ich Euch denn nicht den Porrino abgetreten und den Molza beurlaubt, damit Ihr zusammen an die Quellen der Weisheit hinabsteigen könnt? Braucht Ihr dazu noch Unsereinen, dem Ihr schon längst mit Euren Augen das bißchen Vernunft ausgebrannt habt, das er vielleicht mit zur Welt brachte?
Nun sehe ich wohl, Ihr habt heute Euren schlimmen Tag. Entweder, Ihr hattet Unglück auf der Jagd, oder es ist Euch in der Frühe eine Spinne über den Weg gekrochen. Wenn Ihr so kraus daherredet, weiß ich immer, daß Euch an diesem Tage etwas fehlgegangen ist.
Donna Julia schaut durch mich hindurch wie durch Glas.
Er war wieder ein wenig weggerückt, und beide verstummten. Dann begann er halblaut, nach dem Wasser horchend:
Wie die Quelle rinnt und rinnt und rinnt. Seltsam zu denken, daß schon Nero sie so rinnen und plätschern hörte. Und so wird sie nach Hunderten von Jahren rinnen und plätschern, wenn unser Staub in alle Winde geweht ist.
Ihr habt ganz Recht, ich fühle es ebenso. Rinnendes Wasser mahnt wie rinnender Sand, daß unsre Tage vergänglich sind.
Die Vergänglichkeit möchte hingehen, sie ist Menschenlos. Aber daß man vielleicht von hinnen muß und nicht erreicht hat, wofür man geboren ward.
Edler Herr, mit so schwarzen Gedanken kannte ich Euch noch nie.
Er zeichnete mit einem Stäbchen allerhand Figuren in den Sand, dann sagte er, den Kopf erhebend:
Was mir heute begegnet ist, wollt Ihr wissen? Keine Spinne, göttliche Julia, sondern die spinnende Parze selbst. Ihr kennt den Rohrwald, wohin Ihr einmal vor Jahren die Gnade hattet, uns zur Jagd zu begleiten. Als wir den um Tagesanbruch erreichten, begann mein Pferd zu tanzen und wollte nicht mehr vorwärts. Denn aus dem Röhricht stieg ein altes Weib – wenn es je einen Jägerschreck gegeben hat, so war es diese. Das Pergamentgesicht, die weißen Haare, das wacklige Fußgestell, kurz, das Alter in Person. Mit einer Hand schützte sie die blöden Augen vor der aufgehenden Sonne, in der anderen hielt sie die Spindel und unterm Arm den Rocken mit einem Flöckchen Wolle darauf, die wirkliche, wahrhaftige spinnende Parze. Meine Kavaliere hätten sie am liebsten zerrissen, kaum daß meine Gegenwart ihren Zorn im Zaume hielt. Ich ritt zu der Alten hin und sagte: Gute Großmutter, da du uns heute die Jagd verdorben hast und diese Herren so erbost auf dich sind, daß du ohne meinen Schutz übel angekommen wärest, so weissage mir zur Vergütung aus meiner Hand etwas recht Schönes, das binnen Jahresfrist eingetroffen sein soll.
Und was sagte sie?
Nichts. Ihr Mund mummelte immerzu ohne ein Wort hervorzubringen. Aber sie trat vollends auf den Weg heraus und hart vor mein Pferd, daß es hoch aufstieg, und zeichnete mit der Spindel ein Kreuz auf den Boden.
Ich kenne die Frau, sagte Julia rasch, wie um die böse Vorbedeutung abzuwehren, denn wieder war ihr die kalte Hand ins Herz gefahren, die sie schon einmal gespürt hatte. Ich erkannte sie gleich an Eurer Beschreibung. Sie ist von Jugend auf schwachsinnig, treibt sich in den Wäldern herum, und das abergläubische Volk hält sie, wie alle diese Unglücklichen, für ein auserwähltes Wesen. Das Kreuz galt nicht Euch. Sie malt, wo sie steht und geht, Kreuze auf Türen und Wände, weil sie sich von bösen Geistern verfolgt glaubt.
Da er schwieg, wurde ihr Herz noch immer schwerer. Sie setzte sich etwas näher und sagte leise und bittend:
O wenn es Euch einen Eindruck gemacht hat, dann solltet Ihr auf die innere Warnung hören.
Schon war sein Ernst verflogen und er schüttelte lächelnd das Haupt:
Donna Julia, die schwarze Pforte steht überall offen, bei Tag und bei Nacht, wo Menschen weilen. Es dürfte nicht anders sein. Das eben macht das Leben so berauschend schön, daß jeden Tag aufs neue darum gewürfelt werden muß.
Sie senkte das Haupt, ohne zu antworten.
Da war er dicht neben ihr und legte leise einen Arm um ihre Schulter. Sie wehrte der zarten Berührung nicht, aber plötzlich durchfuhr es sie wie der Schlag eines Zitterrochens, so heftig und jählings hatten sich zwei Arme um ihren Leib geschlungen. Ebenso schnell war sie entglitten und stand aufrecht ohne ein Zeichen von Schreck oder Zorn in der vollendeten Haltung einer Frau, die vornehm verzeihend über die Unschicklichkeit eines bewährten und geehrten Freundes hinwegsieht. Sie fragte nur um eine Schattierung förmlicher, ob Seine Herrlichkeit nicht lieber jetzt ins Haus eintreten möchte, um auch Donna Isabella zu begrüßen, die morgen ihre Reise antrete.
Er folgte ihr unmutig seufzend, während die Zofe, die jetzt plötzlich erwacht war, die zurückgelassenen Sachen zusammenraffte.
*
An diesem Abend wurden keine Reden gehalten und keine Lieder gesungen, der nahe Abschied lag beklemmend in der Luft. Ein ansehnlicher Teil der Hofgesellschaft sollte Isabella begleiten, der daran lag, mit soviel Glanz als möglich vor den Verwandten ihres Gatten aufzutreten. Auch Molza war darunter, er konnte die Reise mit einem Besuch in seiner Heimat Modena verbinden und hatte Isabellen in einem schwachen Augenblick sein Mitgehen zugesagt, für den Fall, daß ihm der Urlaub verlängert werde. Im stillen hoffte er freilich, sein Gebieter würde Einspruch erheben, aber er hatte nicht mit des Kardinals Gefälligkeit gerechnet, der keine Bitte Isabellas abschlagen wollte, und so sah er sich plötzlich ihrem Triumphzug eingereiht, den er ganz ohne Neigung mit seiner Gegenwart verherrlichen sollte. Das Bedauern kam zu spät, er mußte wirklich mit und saß nun im Vorgefühl des Abschieds mit hängenden Flügeln recht kleinlaut da.
Die eingetretene Ebbe wollte ein ehrgeiziger junger Literat benützen, um eine mitgebrachte Dichtung vorzutragen, aber Molza, der am letzten Abend keinem Fremden so viel Ehre gönnen mochte, fuhr dazwischen, indem er den fürstlichen Mäzen bat, aus seinem Gesang der Äneide zu lesen, den Donna Julia immer eifersüchtig für sich allein behalten habe.
Wir haben unsere Herrin oft mit feuchten Augen über dem Buche gesehen und fühlten, daß ihr Herz mehr im Königshause von Troja als in unserer Mitte war, sagte er. Darum brennen wir vor Begierde, noch vor dem Scheiden gleichfalls dahin eingeladen zu werden.
Der Kardinal fand, es stünde ihm schlecht an, wollte er mangelhafte Verse durch mangelhaftes Lesen vor einer so gewählten Hörerschaft bloßstellen; allein die Ausrede wurde nicht angenommen, denn es verstand sich von selbst, daß an dem Lieblingsneffen zweier Mediceerpäpste nichts versäumt war, womit feine Erziehung ihre Auserwählten schmückt. Und als auch die Schloßherrin bat, mußte er sich bequemen. Zwei Riesenkandelaber mit armdicken Wachskerzen wurden hinter seinen Stuhl gestellt, und er nahm das Buch, das ihm Julia reichte, zur Hand, indem er seine Unlust unterdrückend etwas gezwungen sagte:
Wo Damen befehlen, kann kein Ungehorsam aufkommen. Ich bitte aber um Nachsicht, wenn ich von der Gegenwart der Schönheit verwirrt werde wie die unglücklichen Freier der Hippodamia und meine Sache schlecht mache.
Fangt nur an, erwiderte ihm Isabella. Wenn Ihr unsern Erwartungen fehlt, so wollen wir Euch zwar nicht mit spitzigen Lanzen wie der böse König von Elis, wohl aber mit spitzigen Zungen durchbohren.
Wir werden dazu keinen Anlaß haben, sagte Julia verweisend.
Der Medici begann mit den Worten des Äneas an Dido:
Du heißest, Herrin, mich den Schmerz erneuen –
und vergaß in der Wärme seiner eigenen Verse bald den Mißmut über Donna Julias allzustrenge Tugend. Er kam unter gespannter Teilnahme bis zu der Stelle, wo dem schlafenden Äneas der tote Hektor erscheint, um ihn zur Flucht aus der brennenden Stadt zu mahnen. Da schlich sich ein Diener auf den Zehenspitzen herein, um der Herrin flüsternd einen neuen Besuch zu melden. Sie winkte die Störung ab. Doch der feinhörige Kardinal hatte den Namen vernommen, ließ alsbald das Buch sinken und bat, daß man den Gast hereinführe.
Dieser erschien. Es war ein vornehmer florentinischer Kaufherr, der schon wiederholt durch Fondi gereist war, weil er von dem Gewaltherrscher seiner Vaterstadt, der sonst allen Verkehr seiner Untertanen nach auswärts beschränkte, die Erlaubnis hatte, seine Geschäfte in Neapel persönlich zu besorgen. Ippolito hatte ihn noch nie gesehen, wußte aber, daß sein Name bei den Häuptern der Verbannten trotz der Gunst des Herzogs guten Klang hatte.
Der Ankömmling begrüßte den hohen Gast mit Ehrfurcht und entschuldigte sich bei der Schloßfrau, daß er so spät noch störe. Er sei vor Torschluß von Neapel eingetroffen, habe im Schloß noch Licht gesehen und nur schnell im Gasthof die Kleider gewechselt, um im Vertrauen auf Donna Julias bewährte Huld so spät noch Einlaß zu begehren.
Aber mein Unglück will, erlauchte Frau, daß ich den holdesten Empfang durch die unholdeste Botschaft vergelten muß. Wenn nicht der Postreiter aus Neapel einen Unfall erlitten hätte – er fiel zwischen Gaeta und Fondi in die Hände von Räubern –, so brauchte ich Euch nicht mit der bösen Kunde zu überraschen.
Was, den Postreiter angefallen? das ist ja unerhört. Was kann man denn einem Postreiter nehmen?
Seine Kleider und sein Pferd. Wir fanden ihn übel zugerichtet im Straßengraben.
Diese Strolche werden immer frecher, sagte der Kardinal. Ich muß mich wundern, daß der Vizekönig so die Zügel schleifen läßt. Aber die Nachricht, die Ihr uns bringen wolltet?
Nur heute keine Unglücksbotschaft mehr, fuhr Isabella dazwischen. Wir haben schon genug um den alten Priamus weinen müssen. Wartet bis morgen, damit wir wieder frische Tränen haben.
Erlauchte Frau, ich bin trostlos, Euch zu mißfallen, antwortete der Florentiner. Aber die Nachricht, die ich bringe, ist zu ernst, um sich ihr entziehen zu können. In wenig Tagen wird die ganze Christenheit davon erbeben. Um es kurz zu machen: der Barbarossa ist wieder da und brandschatzt die Küste, er sengt und heert, verbrennt Schiffe und Hafenplätze und schleppt mit sich, was er erraffen kann, Kostbarkeiten und Menschen.
Was! Der Korsar? der Airedina? (So klang der Name Khair-Eddins, des Gefürchteten, im weichen Idiom Italiens. Gewöhnlich aber nannte man ihn mit seinem Zunamen Barbarossa.)
Derselbe, leider. Nur heute nicht mehr der gemeine Pirat an der Spitze von ein paar Kaperschiffen, der uns, Gott sei's geklagt, auch so schon Not genug gemacht hat, sondern als Großadmiral der gesamten türkischen Flotte. Er hat sich dem Sultan feierlich unterworfen und setzt unter Solimans Fahnen seine Raubzüge im großen fort. Jetzt ist er in Procida eingefallen und hat dort alles verwüstet, was er nicht mitnehmen konnte. Galeeren, die ihm zufällig im Golf begegneten, hat er ohne weiteres in den Grund gebohrt. Dann war er so frech, am Morgen nach der Tat mit mehr als achtzig Schiffen wie zur Parade hart an Neapel vorbeizufahren, um den Vizekönig zu verspotten. Ehe die Herren sich noch von ihrem Staunen erholt hatten und ihm ein paar Schüsse nachsenden konnten, schwenkte er schon und schwamm auf hoher See. Er soll wieder einmal soviel Gefangene bei sich haben, um alle Märkte der Berberei zu beschicken und die Harems sämtlicher Wesire mit Christenfleisch zu füllen.
Schreck und Kummer bemächtigte sich der Anwesenden bei der bösen Märe. Die einen hatten Freunde oder Verwandte an den heimgesuchten Orten, die anderen fürchteten für ihre eigene Sicherheit.
Gott sei uns gnädig, seufzte der Bischof. Nun wird auch an unserer Küste niemand mehr dem Herrn in Frieden dienen können. Seine afrikanischen Gefängnisse wimmelten zuvor schon von Tausenden von Christensklaven, die er mit teuflischer Grausamkeit behandelt. Und was haben wir je gegen ihn vermocht? Für die paar Schiffe, die ihm Andrea Doria versenkte, hatte er nach wenigen Monaten neue, bessere. Wer soll uns jetzt gegen ihn schützen, wenn er der Generalissimus des Sultans ist?
Der Podestà half ihm seufzen, tröstete sich aber persönlich mit der Erwägung, daß Fondi weit vom Meere entlegen und gut befestigt sei. Auch pflege Khair-Eddin niemals da, wo man ihn etwa erwarten könnte, einzubrechen, sondern er stoße immer unversehens wie ein Habicht auf seine Beute.
Es ist die Schuld unserer beständigen Uneinigkeit, hieß es unter den Männern, hätten wir gleich damals, als er Messina verwüstete, eine tüchtige Flotte aufgebracht, um ihn zu jagen und zu vertilgen. Aber wir ließen den Genuesern die Sorge, die gaben dem Doria ein paar Schiffe, womit er des Schurken nicht auf die Dauer Herr werden konnte. Jetzt zahlen wir zehnfach, was wir damals sparen wollten.
Der Kardinal hatte mit gespannter Miene zugehört. Der alten Männer Schreck und Sorge war dem jungen strahlende Erfüllung. Besseres hätte der Khapudan Pascha nicht für ihn ausdenken können, denn jetzt reifte seine Saat der Ernte zu. Schnell durchflog sein findiger Geist alle Möglichkeiten, die dieser furchtbare Vorfall für ihn mit sich brachte. Den maßlosen Schimpf konnte die Christenheit nicht ungesühnt lassen. Jetzt mußte seine erste Sorge sein, den mattherzigen Papst und das ganze schläfrige Kollegium wachzurütteln, daß sie alle christlichen Fürsten zu einem neuen Kreuzzug aufriefen. Der Kaiser durfte bei dieser offenkundigen Verhöhnung seines Stellvertreters nicht untätig bleiben. Daß der Neffe des Papstes, ohnehin der kriegerische Arm des Vatikans, die päpstlichen Truppen führte, verstand sich seiner Hoffnungstrunkenheit von selbst. Ein berauschendes Gesicht stieg vor ihm auf. Immer war der Kriegsruhm, nach dem er jagte, vor ihm hergeflohen wie die Fata Morgana. Denn die ungarischen Lorbeeren, mit denen Molzas freigebige Muse ihn schmückte, hatte der Kaiser ihn gar nicht verdienen lassen, indem er den Feldzug vorzeitig abbrach und seine Heere ohne Entscheidung heimführte. Jetzt aber hoffte er dem Kriegsgott einmal tief in die blutunterlaufenen Augen zu schauen. Dieser Kreuzzug sollte sein Glücks- und Ruhmestag werden. Es genügte nicht mehr, dem Barbaren zur See eine Schlappe beizubringen, die Ehre erheischte jetzt, daß man ihn in seinem eigenen Hause aufsuchte, seine Gefängnisse zerbrach, alle gefangenen Christen im Triumph herausführte und das Kreuz an die Stelle des Halbmonds setzte. Das Kreuz! Das Kreuz! Heute früh hatte es die weissagende Parze vor ihn in den Sand gezeichnet! Er hatte gestutzt, er hatte nicht verstanden, jetzt verstand er. Der Ruf des Schicksals, den er zu hören glaubte, durchrann den ehrgeizigen Jüngling vom Scheitel bis zur Sohle. Bisher hatte der argwöhnische Oheim, der seine Absichten auf Florenz durchschaute, es immer darauf angelegt, daß er dem Neffen niemals eine größere Streitmacht in den Händen ließ. Aber diesmal mußte er ihn schalten lassen. Und stand er erst einmal mit dem Schwert in der Hand als Sieger da, so steckte er es nicht wieder ein, bevor er sich damit den Weg ins Herz der Toskana gebahnt hatte.
Während diese Gedanken in ihm schafften, bemühte er sich, den Mut der Gesellschaft zu heben.
Es ist nicht anzunehmen, sagte er, daß der Großsultan den Piraten zum Khapudan Pascha gemacht und an die Spitze seiner ganzen Seemacht gestellt haben sollte, nur um unsre Küsten zu brandschatzen wie zur Zeit, wo er noch ein gemeiner Freibeuter war. Es steckt etwas ganz anderes dahinter. Wir wissen in Rom schon seit dem Frühjahr um die Zusammenstellung dieser Flotte und auch um ihren wahren Zweck. Ich habe einen maurischen Schützen in meinem Dienst, der ehedem unter dem Korsaren focht und der ihn auch auf seinem Unterwerfungszug nach Konstantinopel begleitet hat. Der bestätigte mir, was unsere Kundschafter von dort berichteten, daß es einen Handstreich auf Tunis gilt, das in die Gewalt Solimans und seines neuen Vasallen gebracht werden soll. Sie führen sogar den entthronten früheren Herrscher von Tunis mit sich unter dem Vorgeben, ihn in seine Rechte wieder einsetzen zu wollen, was ihre Sache in den Augen der Moslemin zu einer heiligen macht. Den unglücklichen Fürsten dürfte aber unterwegs schon ein schnelles Ende ereilt haben; sie sagen, er habe gebebt wie im kalten Fieber, als seine Gönner ihn an Bord führten. Wenn die Barbaren zuerst an unseren Küsten erschienen sind, so ist es ein Scheinmanöver, um den Dey von Tunis über ihre wahre Absicht zu täuschen, und es dürfte mit dem Handstreich auf Procida und was sonst mit untergelaufen sein mag, sein Bewenden haben.
Hier wurde der Kardinal hinausgerufen. Als er nach längerer Zeit wiederkam, sagte er zu dem Florentiner:
Soeben hat mich die Bestätigung Eurer Nachrichten über Itri erreicht. Auch mein Eilreiter hat unterwegs mit dem Raubgesindel zu tun gehabt, er war aber gut bewaffnet und besser beritten als der Postkurier und konnte sich der Bande erwehren. Er versichert, daß er selbst die ganze Türkenflotte auf hohem Meere schwimmen und in südlicher Richtung verschwinden sah.
Des Herren Schutz sei mit uns allen, sagte der Bischof. Es ist ein wenig viel, was da auf einmal über uns kommt. Zu Lande die Banditen, von der See her die Piraten, die ebensogut wieder umkehren und neue Räubereien ausführen können. Wer steht uns dafür, daß wir nicht mit beiden zu tun bekommen? Wenn Eure kriegerische Nähe nicht wäre, hochwürdigster Herr Kardinal, die Mut einflößt, so würde wohl heute nacht niemand von uns die Augen schließen.
Der Florentiner, der sich währenddessen von den Damen verabschiedet hatte, trat jetzt zu dem Medici.
Euer Erlaucht, Herr Kardinal, sagte er, ich nehme es als gute Vorbedeutung, daß ich das Glück habe, Euch hier zu begegnen. Mit dem Herzog von Nemours, Eurem seligen Vater, habe ich oft als Kind in Euren großväterlichen Gärten zu Florenz gespielt. Da hörte ich einmal den erlauchten Lorenzo zu meinem Vater sagen: er habe drei Söhne, einen unklugen – damit meinte er den unglücklichen Herrn Piero, der Euer Haus ins Verderben stürzte –, einen klugen – das war Seine Heiligkeit, der spätere Papst Leo, der es wieder aufrichtete – und einen guten – den edlen Herrn Julian, Euer Erlaucht zu früh geschiedenen Vater. Ich werde es meinen bedauernswerten Mitbürgern ganz leise sagen, denn auf lautem Sprechen steht der Tod, daß ich den Sohn des guten Medici in Kraft und Herrlichkeit blühen sah.
Sagt Euren Mitbürgern, die auch die meinen sind, daß ich ihre Geschicke immer zu tiefst im Herzen trage.
Der Florentiner verbeugte sich mit dem Ausdruck tiefster Ehrerbietung. Als er gegangen war, sagte der Kardinal:
Meine Gegenwart, von der der Herr Bischof die Güte gehabt hat zu sagen, daß sie Mut ausströme, darf ich leider angesichts der neuen Ereignisse nicht länger hier ausdehnen, denn jetzt werden in Rom Beschlüsse zu fassen sein. Ich muß mit meinen Herren in aller Morgenfrühe dorthin aufbrechen. An eine Gefahr für Fondi glaube ich so wenig wie der Herr Podestà. Die Stadt ist vom Meere entfernt und, soweit ich sehen kann, gut befestigt. Sie liegt in der Ebene, wo eine feindliche Annäherung von weither sichtbar sein müßte, weshalb sie nicht überrumpelt werden kann. Aber doch möchte ich raten, die Vorsicht nicht außer acht zu lassen. Morgen wird wohl ein Teil der Besatzung Donna Isabella begleiten müssen –
Diese meinte, daß bei den Gefahren der Landstraße sogar eine stärkere Bedeckung als die ursprünglich geplante nötig geworden sei.
Der Kardinal lobte diese Vorsicht.
Dafür muß es aber meiner Freundschaft gestattet sein, auf Ersatz zu denken und mehr zu meiner eigenen Beruhigung als zu Donna Julias Sicherheit ihr einen Teil meiner Leibwache aus Itri herüberzusenden. Es sind zwar Ungläubige, aber treue Bursche von unbedingtem Gehorsam und unbedingter Zuverlässigkeit. Nur ihr Anführer, der zugleich als Dolmetsch dient, ist Christ. Sie ließen sich eher in Stücke hauen, als von einem Befehl, den sie empfangen haben, um Haaresbreite abzuweichen. Ich bitte, sie vor allem zum Schutze des Schlosses zu verwenden. Auch können sie die Herrin draußen auf den Wiesen vor der Stadt durch ihre Geschicklichkeit im Reiten und Schießen ergötzen, damit ihr Hiersein einen Zweck hat, denn ihre Tapferkeit werden sie hoffentlich nicht zu zeigen brauchen.
Er zog den Podestà in eine Nische und sprach eine Zeitlang halblaut mit ihm.
Daß ich's nicht vergesse, sagte er am Ende, laßt morgen in aller Frühe Euren Gefangenen außen vor der Stadt zu uns stoßen. Es kommen jetzt Zeiten, wo man für solche Menschen Verwendung hat.
Dann sprach er auch noch mit dem Kastellan über die Stärke der Befestigungen. Die Antwort war beruhigend, und Julia ergänzte sie noch durch die Versicherung, daß ihr Gemahl die Neubauten selber überwacht und daß ihr Bruder Rodomonte das ganze Schloß besichtigt habe, ehe sie als Witwe einzog.
Vor solchen Namen wäre jeder Zweifel Lästerung. Aber noch Eins: an der Grenze des Kirchenstaats halten wir eine starke Küstenwache. Ihr Kommandant ist mir persönlich sehr ergeben. Im Notfall, der nicht eintreten wird, könnte Ascan, den ich gleichfalls bitte hier lassen zu dürfen, dort Verstärkung holen. Er ist weit über seine Jahre gewandt, ein wahrer kleiner Satan, der sich überall durchbeißt, und wird sich auf die mannigfachste Weise nützlich zu machen wissen.
Darauf nahm er Abschied. Der Kastellan, dem die sarazenische Besatzung nicht gefallen wollte, fragte zögernd:
Glauben denn diese Leute nicht mehr an ihren Propheten?
Sie glauben an den Propheten, aber mehr noch an mich. Im übrigen laßt nur den Turmwart fleißig Umschau halten.
Wird es nicht für Euch selber bedenklich sein, die Reise ohne Eure gewohnte Schutzmannschaft zu machen? fragte Julia.
Ippolito lachte.
Das gäbe freilich einen fetten Fang, der Seiner Heiligkeit ein schönes Stück Geld kosten könnte. Aber seid ganz ruhig. Ich und meine Herren sind nicht so leicht abzufangen wie ein armer, verhungerter Postreiter. Und dann haben wir ja noch Euren Eisenfresser, den Garofalo.
Er saß schon im Sattel und sprach die letzten Worte rückwärts gewendet, während der Berberhengst ungeduldig beim Schein der Fackeln unter dem schlanken Gebieter tanzte.