Anton Kuh
Von Goethe abwärts
Anton Kuh

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Von Goethe abwärts

Alles Unglück kommt von der Terminologie.

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Sternheims Dramen sind eine wörtliche Übersetzung aus dem Nochnichtdeutschen ins Nichtmehrdeutsche.

(Zwar fehlt dieser Mühe der Zwang. Aber zu »wörtlich« assoziiert sich bald »klassisch«.)

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Gerhart Hauptmann oder: der Gewerkschafts-Olympier.

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Den Dichter François de Probelaîme hat es nicht gegeben. Nichtsdestoweniger war er der Stammvater aller Problematik, die mit dem Finger auf die Stirn weist.

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Oh Faust! – Theologie, Juristerei, Medizin und leider auch Philosophie studiert habendes 16 Urbild des Bürgers, dessen Liebe Zerstörung ist und dessen Werk der Katzenjammer! Der gebrochene Seelen braucht, um seinen Kanal zu bauen!Der Aphorismus über Faust wurde wegen seiner besonderen Richtigkeit einem anderen Buch des Autors entlehnt.

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Es müßte ein Gesetz erlassen werden, wonach ein polemisierender Literat nur dann »Quousque tandem . . .?!« sagen darf, wenn er kein Material in der Lade hat.

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Nestroy steht insofern über Schopenhauer, als ihm für dessen Erkenntnis der Dialekt gut genug ist.

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Lassalle: das arithmetische Mittel aus Mirabeau und Rechtsanwalt Levysohn.

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Chesterton sagt einmal, die Lüge alles Theaterspiels läge darin, daß der Schauspieler des Hamlet während des berühmten »Sein oder nicht sein«-Monologs 17 weder Nasenbluten bekommen noch niesen dürfe. Ich glaube aber, es liegt hierin die Lüge der Tragödie überhaupt.

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Was die Werke der Franzosen so unwiderstehlich-reizvoll und auf die Dauer unerträglich macht, ist unsere Ungewißheit: ob sie sich ihrer Tiefe schämen oder mit ihrer Seichtheit haushalten.

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Raimund: er war weniger durch Melancholie als durch das Wort »Melancholie« vergiftet – für ihn der Inbegriff aller Dialektsehnsucht nach hochdeutscher Würde des Schicksals. Man konnte seine Stücke entweder Parodien nennen, die in ihr Objekt unglücklich verliebt sind, oder Tragödien, die ihre Plebejerscham mit Witz bemänteln.

Ich stelle mir ein Stück vor, in dem Raimund, als Held auftretend, fortwährend die Phrase wiederholt: »Melancholie, nix als Melancholie, Euer Gnaden.« 18

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Hans Reimann (aus Leipzig): Roda³.

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Selbiger: der Schmockabout.

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Die Unsichersten sind die fanatischsten Gleichgewichtsdrakonisten.

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Frank Wedekind: ein diabolischer Platzagent, der der Kultur ein Offert unterbreitete, wie sie sich am besten aufhängen könne.

Seine Haltung war: Subordination der Tollwut, Satanismus, habtachtgestellt vor dem guten Ton. – Ja, er hatte ein Faible für bürgerliche Tracht und Sitte. Aber aus purem Schuldbewußtsein. Er fürchtete sonst als Täter alles dessen erkannt zu werden, was er seine Helden für sich begehen ließ.

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Wenn Gretchen ihr Kind nicht erwürgt hätte, – wie hätte Euphorions Stiefbruder ausgesehen? Wie Goethes Sohn August. 19

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Ich teile die Literatur ein in Tisch und Nebentisch. Am Tisch wird erlebt, was der Nebentisch, sich aneignend, desavouiert.

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Es gibt ein einziges argumentum ad rem: das argumentum ad hominem.

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Karl Krausens Lebenswerk: eine vieljährige § 19-Berichtigung an die Öffentlichkeit, daß er mit sich weder verwandt noch identisch ist.Der § 19 ist der Berichtigungsparagraph des Österreichischen Preßgesetzes, durch den die Nichtbediensteten der Öffentlichkeit Zutritt in diese erlangen.

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Impressionen sind Gleichungen mit n Gliedern, von denen  1 gegeben sind.

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Shaws geistiger Mechanismus: Ihr glaubt, zwei mal zwei sei vier? Falsch! Es ist vier.

Seine Technik: Die melodramatische Rückentwicklung vom Gemeinplatz zum Paradox. 20

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Stendhal: der Herrenreiter der Schriftstellerei.

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Henri Beyle: der Salonheide.Henry Beyle: Stendhal.

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Nichts Odioseres als Wortreiter, die nie aus dem Sattel fliegen!

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Theodor Däubler: ein etwas korpulenter Astralleib.

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Daß ein Autor die Nacht als einsame Bühne seines Denkens braucht, spricht wenig für ihn. Dem Großen ist auch bei Tage Nacht. In den Nächten aber, die Antithesen des Tages sind, rauscht bloß die Antithese.

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Anton Wildgans oder: der Mittelstandswedekind.

(In ihm verehren die österreichischen Staatsbeamten von der X. Rangsklasse aufwärts den Mann, der ihre Problematik entdeckte.)Die X. Rangsklasse nehmen hierorts jene Beamte ein, deren Tätigkeit zwischen dem Markenaufkleben und Jugenderziehen figuriert. 21

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Das Herz hüpft einem vor Freude bis zum Hals, wenn man bei Sainte Beuve nachliest, wie sich Rousseau, der Schöpfer des sentimentalen, häßlichen Mädchens, von einem Exemplar dieser Gattung verfolgt, voll Angst zurückzog. Der die Lüge erschuf, haßte ihren Anblick.

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Hanns Heinz Ewers: eine spannende Verwechslung von Spuk und Spucke.

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Die deutschen Gegenpole, um die sich Hebbels Welt dreht, sind: Scham und Notzucht. Daher dramatischer Träger: das Kleid. Könnten sichs die Helden im Anprall des ersten Augenblicks einander vom Leib reißen, sie wären kleiner und reiner. Daß sie es behalten, schafft ringsum eine solche Wollustraserei der Enthaltung, als bade ein Pensionatszögling in Caracalla-Träumen.

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Peter Altenberg, das glatzköpfige Baby, trieb sich die Nächte lang im Leben umher, voll 22 Trauer, daß ihm kein besorgtes Mutteraug' von der Türe aus folge, voll Zuversicht, daß es ihn dennoch erwarte.

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Derselbe: er machte sich so oft einen Knopf ins Sacktuch, zwischen seinen vier Wänden heute unwiderruflich zu sich zu finden, bis er sich zu Haus nicht mehr antraf.

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Leonhard Frank's »Räuberbande«: Genosse Sempers Jugendland.

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Woher die optische Täuschung: Strindberg, den Emanzipations-Bürger, als Riesen zu sehen? Weil er das Gesetz so riesig sah. Nie war ein Kleiner größer!

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Durch Maupassant's Erotik zieht Parfum- und Lysolduft. Sie ist Lyrik im vorinfektiösen Stadium. 23

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Wer produktiv sein will, muß eine metaphysische Diät halten. Zuweilen fordert die von ihm, daß er sich den Magen verderbe.

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Karl Kraus: ein leuchtender Saphir an Nietzsches Krone.

(Moritz Gottlieb Saphir, geboren 1795 zu Budapest, gestorben 1858 zu Wien, Subjekt des berühmten Satzes: ». . . hat gepflegt zu sagen.«)

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Der Dilettant steht dem Genie um soviel näher als dem Talent, wie der Verbrecher Gott näher steht als dem Bürger.

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Sckopenhauer überwand die Todesangst, indem er Gott zeitlebens die Zunge herausstreckte.

Franz Mehring, der Sozialist, nennt ihn den »Philosophen für Rentner«. Wußte er, wie richtig der Ausspruch war? Nichts paßt dem Rentner besser in den Kram als Weltverneinung. Beim Optimismus schmeckt der Braten nicht halb so gut. 24

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Ist schon jemand draufgekommen, daß der kleine, fanatisch-ehrgeizige, mörderisch-schamhafte Napoleonschwärmer Julian Sorel in Stendhals »Rot und Schwarz« niemand anderer ist als Napoleon selbst?

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Es gibt Opfer ihres Namens. So Eduard Stucken, der Stucker altdeutschen Stucks.Stucker ist soviel wie: Viellerner, Büffler.

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Die Selbstmorde bei Wedekind sind in effigie zu verstehen. Sie bedeuten eine heroisch-logische Übernahme des Sprachgebrauchs in die Wirklichkeit. Wo der sagt: » Es ist zum Haarausraufen!« oder »Ich möchte aus der Haut fahren!« – da rauft sich Wedekind selbst vor Aktschluß stückweise seine Haare aus oder stellt sich mit einem: »voilà« neben die eigene Haut. Er opfert sein Leben für den Dichter, der um diesen Preis das seine behalten darf. 25

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Robert Müller: ein in Amerika diplomierter Denkingenieur.

(Anders: ein Goalkeeper der Abstraktion.)

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Schillers Rothaarigkeit war sein flammender Protest gegen die Vorstellung, die der nachgeborene Philister von ihm hat. Die »Räuber« sind dafür noch zu blond!

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Charles Louis Philippe oder: Lues in Japanfarben.

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Der Kurt Hiller transpiriert in Sperrdruck und Ausrufungszeichen.

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Welche Teufelsverlockung der deutschen Sprache, daß die Worte »keusch« und »Fleisch« einen unreinen Reim geben!

(Welche Wollustmarter für moralische Ohren, 26 daß das gezwungene »eu« immer an das freie »ei« erinnert!)

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Artur Schnitzler oder: post coitum omne animal est typisch wienerisch-graziös.

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Soweit ich die Literaturen kenne, ist Stendhal der einzige, der das ungeschriebene Gesetz des Romanciers beachtet: die Welt bisexuell zu sehen. Sein Griffel wird nicht unbewußt strenger, wenn er Männer, als wenn er Frauen zeichnet. Daher das erquickliche Gefühl nach der Lektüre: daß man der eigenen Grazie nicht entrinnen kann.

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Da ihr die Fremdworte nicht leiden könnt: Was heißt »Obszön« auf deutsch? Unselbstverständlich.

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Als Goethe Schillern bei der ersten Begegnung unterm Arm nahm und nachhause begleitete, da 27 ahnte dieser nicht, daß es seinem Begleiter weniger darauf ankam, ihn zu begleiten als ihn unterm Arm zu nehmen.

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Für den Glaubensmathematiker Pascal sind die Wunder Axiome des Glaubens.

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Georg Kaiser oder: Sudermann als Tiefstapler.

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Idem: die Kunst, mit wenig Worten wenig zu sagen.

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Am gefährlichsten sind die Werke, welche mit der größten Kunstfertigkeit für die Revolutionierung der Menschheit nichts tun. (Flaubert). Sie gestatten nämlich, ihre Versäumnisse als Problematik zu empfinden. 28

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Es gibt jetzt einen großen Wettlauf der Eitelkeit darum, wer die Menschheit noch ernster nimmt.

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Matthias Claudius: das unergründliche Sprichwort – Herz und Welt im Reime!

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Es gibt Melancholiker des Raums und der Zeit.

Byron, auf Alexanders des Großen Spuren, raum-melancholisch wie er, trank Europas Weite in sich von London bis Venedig und von Venedig bis Missolunghi. Er flog in Terzinen über die Landschaft.

Die Zeitmelancholiker brauchen nicht mehr als eine Zelle dieser engen Welt. Sie erschüttert das Vorher und Nachher. Unter ihnen zerschellt, sie dahinzubringen, das Flugzeug der Sprache.

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Franz Werfel oder: das Ethos als Mastkur.

(Mit welcher Sprachgefräßigkeit schwört er doch dem Leibe ab!) 29

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Derselbe:

Seine Stärke ist der ekstatische faux pas.

Seine Schwäche: daß er ihn beherrscht.

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Kennt man noch das Drama des Goethe-Freundes Klinger: »Der Hauslehrer«? Darin kastriert sich der Held, der einen Einbruch in die bürgerliche Moral versucht hat, am Schlusse selber. Es ist der genialste und symbolischste Akt. Der Hauslehrer, der sich kastriert, und Karl Hetman, der sich erhängt, sie sind identische Gegenpole. Zwischen beiden ist die Tiefebene der deutschen Moral.

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Mein Einwand gegen Artur Schnitzler: daß er eine Welt in Spiritus gesetzt hat, die keinen hat.

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Der Expressionismus verhält sich zum Impressionismus wie die Psychoanalyse zur Psychologie. 30

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Altenberg schildert einmal die Bemühung eines Bordellmädchens um einen braungebrannten, keuschen Sport- und Gesundheitsjosef, den sie am Ende frozzelt: »Aus'n Hirn aussaschwitzen kannst dir's a net!« Altenberg fügt hinzu: »Ich kann!« Er konnte gottlob nicht. Daher seine stets erigierte Kunst. Aber es soll von Hebbel abwärts etwelche geben, die können.

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Hans Müller: der zum Kotzebue. Er ist der meisterhafteste Dramatisierer vorgestellter Inhaltsangaben.

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Der Autodidakt haßt das Komplizierte, wie der Plebejer das Monocle. Scheinbar als das Überflüssige. In Wirklichkeit als das Unerreichbare.

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Die Thomas Männer sind der Meinung, daß eine glatt aufgegangene schwere Wortrechnung das Fundament der Welt ist. Sie oktroyieren ihre Selbstberuhigung den andern als Freude auf. 31

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Das »Mensch! Bruder! Gott!«-Pathos:

Spationierte Blutarmut.

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Alle Kunst lebt von dem Glauben an eine Urkunst, die einmal da war und nicht mehr wiederkommt. In der Überzeugung, Nachhall zu sein, wird sie Vorbild.

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Walt Whitman: der Sandwichman der Menschheit.

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Otto Flake, Fritz v. Unruh und andere sind die Mehrheitsexpressionisten. Sie verkaufen das neue Wort an den alten Sinn – und leben von der Mischkulanz. Ihr Grundsatz: lieber das Drittletzte mit Attitude, als das Letzte mit Risiko.Mischkulanz: ein Dialektwort für Kompromiß.

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Strindberg: die Standard-Beruhigung der Unerotischen. Sie glauben, seitdem es ihn gibt, im Bett lümmeln sei faustisch. 32

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Die Quelle des französischen Witzes ist die Höflichkeit. Die braucht nämlich bloß an einem Punkt abzureißen, damit er entsteht. Ich sah einmal in einem Stück, wie sich zwei Leute an der Türe solange wegen des Vortritts bekomplimentierten, bis der eine den andern hinauswarf. Das war pantomimisch dargestellt: ein französisches Aperçu.

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Ein Typus, der in Osterreich doppelvornamig gedeiht: der intelligente Trottel.

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Dem Rückblick ergeben sich zwei Typen in ewiger Abwandlung: des Shakespearehelden und des Shakespearenarren; des Schicksalsblinden, der an seinem Willen verblutet, und des Einäugigen, der dahinter das Nichts sieht.

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Magnus Hirschfeld: der Hugo Heller der Päderastie.Hugo Heller: Tüchtiger Wiener Buchhändler und Konzertagent, der Rabindranath in Tagore, Chamisso in Ganzleinen, die Kultur der Gegenwart und meine Vorträge in Verschleiß hat. 33

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Hermann Graf Keyserling: der Dalcroze der Verinnerlichung.

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Was ist es, das einem Kunstwerk die Luft der Unbegrenztheit und Weite gibt? Daß ein Stück Beobachtung immer noch über den Schlußpunkt der letzten Forderung hinausgeht.

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Das wäre für die Deutschen eine Erlösung von hundertjährigem Albdruck, wenn sich herausstellte, daß Goethes Urahn Rabbiner war!

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Thomas Mann: Oh, über das Taugenichtslächeln, das der Sprachdiurnist zur Schau trägt! Je blutiger er sich nächtlich mit der Quadratur des Zirkels herumplagt: aus der Selbstbelügung sprachglatten Geist zu machen, desto heiterer blickt am Tage sein Gesicht. Teils, weil das Lächeln die Qual verschleiert; teils, weil sich jeder entspannt fühlt, der sich eben wieder glücklich entlaufen ist. 34

Aber seht ihm voller ins Auge – die Schminke fließt, die Unruh hat ihn wieder.

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Zusatz: Rudolf Borchardt, eine gequälte Nobelresultante aus Ghetto und Goethe.

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Felix Dahn: Romanvater Jahn.

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Fall Shaw:

Die Wahrheit als Paradox auszusprechen, ist in einem puritanischen Land weniger ein Zeichen von Geist als von Feigheit.

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Hätte Hamlet wirklich

»– wär' er hinaufgelangt,
»Sich höchst königlich bewährt –?«

Wenn »königlich«: »zäsarisch« heißt, ja. Seine Melancholie ist das Wetterleuchten einer dereinstigen Macht, die nicht um ihren Zweck und Sinn weiß. Man könnte ihn darum auch »Kronprinz Nero« nennen. 35

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Dr. Karl Schönherr: ordiniert täglich von 2–3.Schönherrs Ordinationsstunde bezieht sich darauf, daß er kein Dichter ist.
Das häufige Vorkommen des Namens Werfel, daß er einer ist.

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Die Dadaisten sind kubistische Schlaraffen.

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Die Augen des Schuldbewußtseins vergiften die Welt.

Sie gehören den Schönheitsschlürfern.

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Karl May schildert irgendwo das Herstellungsverfahren einer Tinte für den Prärie- und Urwaldgebrauch: man tunkt ein Blatt Papier in Urin, schreibt darauf und trocknet es sodann über dem Feuer. Alsbald heben sich auf dem pergamentgelben Blatt die Schriftzeichen in brauner Tönung ab.

Ich glaube, alle Komödien Sternheims sind mit dieser Tinte und auf solchem Papier geschrieben. Zweitens deshalb, weil er die Dinge vom primitiven Standpunkt einer Chrestomatie sieht, in der er heut' über hundert Jahre vorzukommen gedenkt. 36

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Kleist oder: Shakespeares Unruh.

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Das sogenannte »Kosmische« der Deutschen ist eine Fortsetzung ihres Subordinationsbedürfnisses im Jenseits.

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Hebbel: der Urzeuger aller Problematik, die aus der Konstruktion des Verbums »Denken« mit »über« statt dem innern Akkusativ stammt. Den Zwischenraum durchschnuppern die Tieflingsnasen.

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Liliencron war in das Leben verliebt, wie das Kinderauge in die Hand des Erwachsenen, die eine Zigarette hält. Er behielt die Kunst, sich rauchend um die Geste des Rauchens zu beneiden.

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Variation:

Er trug das Leben als Extra-Montur. Und sah die Bäume vor dem Schöpfer habtachtstehen. 37

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Der vornehmlichste Zweck der Literatur ist die Diskreditierung der Genies.

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Der Gedankenstrich, den Wedekind zuweilen zwischen Subjekt und Prädikat setzt, ist nicht, wie der Schauspieler glaubt, die Atempause vor dem Sprung, sondern ein Sprungbrett für dessen Atem.

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Karl May: der erste U-Boot-Held der deutschen Literatur.

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Die furchtbarste mitteleuropäische Erscheinung ist der Intelligenzplebejer: der Klassenhysteriker mit Grütze. Er schwört in der Regel auf Weininger und Kraus. Und läßt des Letzteren Fackelheft stolz aus der Rocktasche gucken, nicht ahnend, daß der rote Fleck ein gelber ist.

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Jugendliche Namensträger wie Tagger, Baudisch, Rehfisch werfe ich ungelesen zu den Drecklektikern. 38

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Jeder Ismus ist eine Auflehnung des Gewissens gegen die Larvenerstarrung eines ursprünglichen Sinnes. Jeder Ist verfertigt die Larve.

Daher: alle Ismen sind prinzipiell zu bejahen, alle Isten prinzipiell zu verneinen.

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S. J.; der Praktikant auf Lessings Bücherleiter.S. J.: Siegfried Jacobsohn.

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Bei den Franzosen riechen selbst die Latrinen nach Peau d'Espagne. Leider aber auch die Wiesen.

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Sehr bezeichnend wahrhaftig, daß in Ernst Weissens, des Hystero-Realisten, Bordellroman »Tiere in Ketten« alle Typen der Branche vorkommen, die Figur des Begehrten ausgenommen, den das Mädchen gratis vorläßt und wieder zu kommen bittet.

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Was wäre aus Goethe alles geworden, wenn er den Ur-Götz beibehalten und jene berühmte Botschaft an den Reichshauptmann nicht interpunktiert hätte?! 39

Im Augenblick, wo er es tat, rief eine Stimme von unten: »Gerichtet.«

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Christian Morgenstern, der edle Amateur, war vorsätzlich tief und organisch seicht; trotzdem einzig. Aber plaudert dieser vorgeborene Schüler des Grafen Keyserling nicht aus dessen Schule die Wahrheit aus, daß sich der Vorsatz zur Tiefe nur mit seichten Organismen verbindet?

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Ich verordne den Literaten: Soda bicarbona und Geschlechtsglück.

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Schopenhauer ging von seinem 26. Lebensjahr an wie ein leibhaftiges »Vide pag. 1!« durchs Dasein.

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Sie haben Flaubert's Schweiß geerbt und halten ihn für Flaubert's Genie. 40

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Das englische Schnurrbärtchen ist bei jenen Schriftstellern beliebt, die sowohl auf Tolstoi's Prophetenbart wie auf Wilde's Glattrasiertheit prätendieren. Anspruch: verspielte Tiefe. Bedeutung: gestutzte Mühsal.

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Franz Blei: der Enzyklopädist der Randbemerkung.

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Im neuen Gefilde gibt es eine Gruppe von Stotter-Simulanten, die ich Neo-Dilettanten nennen möchte. Es sind Kriegsstotterer der Sprache, die nie im Feld waren.

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Der Fanatiker, der Stiefsohn Gottes, der wider die väterliche Hand schlägt, weil sie ihn nicht streichelt – und damit sie ihn streichle.

Wie glänzend paßt dazu, daß der Marquis von Casti-Piani zwei Sekunden vor seinem Tode sich im Stuhl aufrichtet: »Man muß den hohen Herrn doch stehend empfangen.« Dem hohen Herrn war ja alles zugedacht! 41

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Hölderlins »Rhein«: die »Glocke« für Nichtspießer.

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Ibsen: ein Mittel, im dämmerdunkeln, geheimnisraschelnden Zimmer bedeutsam zu rülpsen.

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Die Güte der Neu-Ethiker ist einem Manne vergleichbar, der den Hilferuf neben seinem Ohr nicht hört, weil er in Meidling eine Mission hat.

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Alfred Polgar: ein Mausoleum der Nuancen.

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Kennt Ihr übrigens die vorsichtigen Adjektivkapitalisten, die auf die Kongruenz von Thema und Vokabel wohlbedacht sind, damit durch die Übereinstimmung ihr Gesicht verschwindet? Nichts kann sie aus ihrer vornehmen Sicherheit reißen. Bloß die Sicherheit der Andern. 42

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Es gibt Lichtalben und Schwarzalben. Am gefährlichsten aber sind die Graualben.

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Antwort Gottes auf Ehrensteins »Briefe an Gott«:

Sie haben Ihre Briefe falsch adressiert. Sie hätten sie an sich richten müssen, damit sie mich erreichen. Aber so seid Ihr: da beklagt Ihr Euch bei mir über Eure Ungeliebtheit, schwört, daß Ihr bereit seid, für das Geliebtsein alles zu opfern und würdet doch das wichtigste nie dafür hingeben: die Genugtuung Eures Gehirns, mit mir in Briefverkehr zu stehen. Ja seht Ihr denn nicht ein, daß Ihr deshalb ungeliebt seid? P. S. Wenn Sie den Werfel treffen, sagen Sie ihm, er soll meinen Sohn in Ruh lassen.

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Herbert Eulenberg: Kleists Kleister.

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Wenn Otto Weininger sein Werk überlebt hätte, hätte sein Werk nicht ihn überlebt. 43

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Der Aphoristiker G.: ein Nadeltänzer des sexuellen Schuldbewußtseins. Jeder Stich eine Spitze.

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Herz und Schmerz soll sich schon lieber reimen.

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Johann Georg Hamann sagt in seiner Verteidigung des Sokrates: »Die metaphysische Liebe sündigt grober am Nervensaft als die tierische an Fleisch und Blut.« Kein Wunder, daß ihn die Deutschen von Goethe abwärts den »Dunklen« nennen. Ist ihnen doch alles dunkel, was mutig und klar ist, und alles hell, was erst aus der Brechung im moralischen Idiom vielfarbig aufblitzt!

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Peter Hille gleicht dem Peter Altenberg wie der Pfarrer Kneipp dem Diogenes.

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Bei den Dichtern der jungen Generation gibt es etwas, was ich den »vorlauten Anlaut« nennen 44 möchte. Ihre Alliterationen klingen so klanggierig-unkeusch, daß sie zu Ritzen werden, durch die man ihr Keuchen und Kämpfen hört. So freilich erfährt man ihr Bestes: die Schwäche.

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Eugen Dühring: der Querulanto-Promethide.

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Wie ekelhaft, wenn sich der Intellekt produziert, weil das Auge nicht klar sieht!

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Wildgans nennt seine Akte pathetisch »actus primus«, »secundus«, »tertius« usw. – fraglos aus Scham vor dem Nebensinn jenes Wortes. Er hätte, sag' ich Euch, die pathetischen Aktusse nicht nötig, wäre ihm einmal ein richtiger Akt geglückt.

(N. B. Wer den Knaben in sich nicht erwürgen kann, erinnert sich gerne daran, daß er Latein gelernt hat.)

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45 Stendhals noch nicht eingeholte Modernität.

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Für Jakob Hegner (Hellerau) ist der Katholizismus ein Garderoberaum, wo er seine Jenseitsskrupel in Depot gibt, damit ihm das Diesseitsgulyas besser schmeckt.

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Der Name Goethe: das idealste Mundwasser für Parvenus.

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Wo's dunkel wird, beginnt das Okkulte.

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Auch das Brüderpaar Thomas und Heinrich Mann beweist, daß die Welt ein Spielball zwischen zwei Brüdern ist, die sich, des anderen geheime Anlage als eigene Art produzierend, wechselseitig ad absurdum führen.

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Albert Ehrenstein: Hamlet vor der Matura. 46

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Die Impressionsgötter, die Witz und Pathos der Übung danken, mit großer Gebärde den Kosmos gegen die Realität auszuspielen, vergessen, daß Gott keine Zeitung liest. Ihm kommt kein Tonfall so bekannt vor, als daß für sein Gehör irgendwo der Kosmos endete.

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Einem Dilettanten:

Leben Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist!

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Oscar Wilde hat seine 2 Jahre Zuchthaus in Reading redlich verdient. Nicht wegen eines erotischen Delikts. Sondern wegen des kläglich-revozierenden, märtyrerbilligen »De profundis«.

Die Einkehr war passiver Puritanismus, wie das Laster negativer war. Sie machte es erst sträflich, indem sie den simulierten Leitspruch seines Lebens umwarf: die Selbstverständlichkeit.

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Stefan Zweig verkehrt mit sich ausschließlich durch einen französischen Dolmetsch. Er könnte 47 sich bei näherer Intimität zu einem Innenleben hinreißen lassen.

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Warum sich noch kein Nachwuchstalent des Themas »Onanie« bemächtigt hat? Hier gäbe es Aussage, Erlebnis, Gestaltung. Aber sie schreiben lieber Bordellepen und türmen mit nässender Hand Berge der Beziehung vor uns auf. Lieber hauen sie ihr Unerlebnis in Granit, als ihr Erlebnis in Lehm.

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Wenn dich ein Autor als Mensch enttäuscht, hast du sein Werk überschätzt.

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Ibsens Gestalten tragen ihre Problematik wie einen innerlichen Schlußrock.

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Nil Novi. Um 1820 erscheint »Buridans Esel«, die Parodie Kotzebues auf den sprach- und denkeigenen Schlegel, schildernd, wie dieser, 48 erhabene Textstellen im Munde, die durch Vater, Mutter, Braut und Schwester repräsentierte Prosa der Bürgerstube in Rebellion bringt. Schlegels Ernst riskierte Gebärden. Kotzebues Unheiterkeit gab sie den Spießern preis.

1920: »Literatur« von Karl Kraus. Setz für Werfel Schlegel, für Kraus Kotzebue.

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Die Kunst des Romanciers liegt im ökonomischen Wechsel von Beteiligtheit und Unbeteiligtheit.

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Rudolf Pannwitz oder: die Synthese als Misthaufen.

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Ich sah einen dadaistischen Prospekt. Alles ging drunter und drüber. Die »i« standen schief, die »u« auf dem Kopf, Worte zerflossen, Endsilben quieckten, ein höllischer Letterntaumel. Nur eines blieb in der Verwirrung grad, aufrecht und lesbar: das war der Vermerk rechts oben vom Titel: »Preis 50 Pfennige«. 49

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Schopenhauers Philosophie: das letzte Zucken des Westnervs der Ost-Erkenntnis.

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Seit Goethes Ausspruch: »Gedichte sind gemalte Fensterscheiben« streichen sich die Sprachparvenus aller Zonen ihre Fenster an, damit ihnen niemand hereinschaut.

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Hugo von Hofmannsthal fehlt zum Genie nichts als ein Gesicht.

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Derselbe: der Meister der Lektüre-Wiedergabe.

So tief er in seine Seele hinablangt, er findet nur Stoffe der Weltliteratur. Er ist von ihr so gründlich bearbeitet, daß er erst zu sich kommt wenn er sie bearbeitet.

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Altenbergs Ausspruch: »O Gott – was bist du für ein Shakespeare!« ist sein Shakespeareanteil an der Kunst. O Shakespeare – was warst du für ein Engländer! 50

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Irgendwo las ich von Tollers »Masse Mensch«.

Durch einen Zufall der Optik und Gewohnheit las ich: »Menasse Mensch«. Das wird nicht ganz falsch sein.

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Was Grillparzer von Platen sagt: es sei bei ihm alles warm konzipiert und erstarre auf dem Papier zu Kälte, trifft in Übertragung auf ihn selbst zu; sein Gefühl ist original – auf dem Papier wird es Anklang. Es ist, als habe den Dichter Grillparzer der k. k. Finanzkonzeptspraktikant gleichen Namens beaufsichtigt, der alles, was jener empfand und dachte, in Goethes und Schillers Jamben und Calderons Trochäen zu Protokoll nahm.

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Was ist ein Kaffeehausliterat? Ein Mensch, der Zeit hat, im Kaffeehaus darüber nachzudenken, was die andern draußen nicht erleben.

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Die Deutschen sind die unbestrittenen Meister in der Kunst: aus der Unfähigkeit einer direkten 51 Verbindung von Aug' zu Objekt metaphysische Gedankengänge abzusetzen.

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Die Psychoanalytiker: Assozia-Zionisten.

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Nietzsches Tragik: daß ihn der Haß gegen die Sprachwerte zum Sprachrausch hinriß. Er war ein Prometheus, der am Felsen der Trunkenheit festgeschmiedet, in die Tiefen blickte. Aber: nüchtern wäre er hinabgestürzt; berauscht blieb er oben.

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Dostojewsky: der Reliefabdruck des Gebirges Shakespeare. Dessen Höhen sind seine Tiefen.

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Nochmals P. A.: ein Afrikaforscher der Alltäglichkeit.

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Nur jene Aphorismen sind wichtig, die ein Gesicht, nicht jene, die ein Tonfall miteinander verbindet. 52

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Fall Barbusse:

Kriegsromanciers, die zum Erlebnis erst Quantitäten des Grauens herbeischleppen, sind suspekt. Ich war einmal Zeuge der Begebenheit, wie ein schmächtiger, hinfälliger Bursche, verurteilt, mit den beiden Armen zwei Koffer von sich zu strecken und die tiefe Kniebeuge dabei zu machen, vom Korporal an den Haaren auf- und abgezogen wurde. Das war mein Kriegsroman, den kein Zeitgenosse genial genug war zu schreiben.

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Idem: Daß die Lobreden des Friedens doch immer die Miesmacher des Lebens sein müssen.

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Deutsch-jüdisches Grundthema:

Die Desertion als Vogelschau.

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Grillparzers Bemerkung über Raimund: er wäre, hätte er Bildung gehabt, ein zweiter Shakespeare geworden, ist nur als Huldigung richtig. Er wäre dann nämlich nicht einmal Raimund geworden. Vielleicht aber: Grillparzer. 53

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Nicht das Schicksal, der Denkvorsatz furchte Dehmels Antlitz. Er war: Dionysos in Schweiß.

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Die Türe hinterm Wort, die Nietzsche titanisch hinter sich zuwarf, schloß der Scholast Christian Morgenstern bescheiden von rückwärts wieder auf.

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»Mit der linken Hand schreiben« – das ist das ganze Geheimnis, die rechte auszubilden.

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Shakespeare fing die Sprache als Galerie-Echo im Gehör auf, bevor sie ihm das Gehirn erweckte.

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In der Gegend der Anthroposophie rieche ich Briefmarken und getrocknete Schmetterlinge. Dann erst den Tod.

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Die Wenigsten wissen, daß auch das Nichtschreiben die Frucht langer und mühseliger Arbeit ist. 54

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Entweder hat man ein Weltbild oder man lebt in einer Bilderwelt.

Im ersten Fall braucht man bloß darüber Bericht zu erstatten und der Bericht wird Stil sein. Im anderen braucht man Stil, aber es wird nie einer sein.

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Hans Blüher: Der Über-Boche als Unter-Nietzsche.

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Die schwerste Arbeit des Schriftstellers besteht darin, die Handwerklichkeit, in die sich sein Enthusiasmus verwandelte, wieder in Enthusiasmus zurückzuverwandeln.

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Was ist Geist? Die Luftline vom Gehirn zur Sache.

 


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