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Als nun Asiens Ufer die Griechen erreichten, der breite Hellespont fast verdeckt von den zahllos wimmelnden Schiffen, Da sprang Protesilaus vom hochgeschnäbelten Fahrzeug Allen voraus als Erster ans Land, frohlockend und jubelnd. Ach, nicht lange! Schon stürmte der helmumflatterte Hektor, Priamus tapferster Sprößling, heran, um die Landung zu hindern, Und von Weitem bereits wirft, schleudernd mit Macht, er die Lanze Auf ihn, Protesilaus, und hofft, in den Staub ihn zu strecken. Aber er hatte noch Zeit, vorher sich niederzuducken, Daß ihm die sausende Lanze nur leichthin schrammte die Schulter, Doch als Protesilaus darauf in die Höhe sich reckte, War er bereits in den Händen des furchtbarsten Kriegers von Troja. Hektor hatte das Schwert aus der Scheide gerissen und traf ihn, Da wo der Hals sich fügt an den Nacken, so kräftig und wüthend, Daß er den Kopf vom Rumpf abtrennte. Der Kopf mit dem Helme 36 Hüpft' auf der Erde dahin, indeß aus den Wirbeln das Mark schoß Auf wie ein Strahl, bis der Rumpf hinsank entseelt auf den Boden. Aber im Kopfe bewegten die Augen sich noch, und die Lippen Regten sich noch, als wenn Lebwohl! er sagte der Gattin Laodamia, der schönen und zärtlichen eben vermählten. Aber ein Jammergeschrei drang nun aus dem Heer der Achaeer, Als sie den herrlichen Jüngling so grausam in Stücke gehau'n sahn.« »Was ist das für ein Volk, die Achaeer? Sind das nicht die Leute, Die man schmeißt aus der Thür, wenn sie mit den Rechnungen kommen, Und uns mahnen um Geld?« So fragte ein alter Matrose. »Nein, entgegnet' ich ihm; Du meinst, mein Freund, Manichaeer. Aber Achaeer ist nichts, als ein anderer Name für Griechen, Die man Hellenen auch nennt und Danaer. Alles dasselbe. Das ist gehüpft wie gesprungen. Es bleiben die nämlichen Leute.« »Nun gut, wenn man's nur weiß.« So brummte der alte Matrose, Den es verdroß, daß man wegen der Manichaeer gelächelt. »Doch schon eilte herbei aus sämmtlichen Schiffen die Mannschaft, So viel springend und watend den Strand zu erreichen vermochten, Aber mit Schrecken erblickten die Troer die Menge der Feinde, Die rasch wachsend sich über ihr Land unaufhaltsam ergossen. Also sieht man zu Zeiten der Herbstnachtgleiche die Salzfluth Donnernd sich über das Land und die Werke der Menschen ergießen, Und nicht eher verlaufen die wüthenden Wasser sich wieder, 37 Bis daß Alles zerstört und verwüstet ist, Dörfer und Felder. Als nun die Troer erkannt, sie könnten die Landung nicht hindern, Gingen sie hinter die Mauern zurück mit entmuthigten Herzen, Und sie schickten hinaus nach Phrygien, Mysien, Lydien, Weit durch Asien hin zu sämmtlichen Bundesgenossen, Beistand ihnen zu leihn, vor der Uebermacht sie zu retten. Anfangs waren die Griechen so weit zahlreicher gewesen, Wenn sie sämmtlich in Haufen zu Zehn auf dem Felde gestanden Und bei jeglicher Schaar ein Wein einschenkender Troer, Hätten nicht wenige Haufen des dienenden Schenken ermangelt. Doch als die Bundesgenossen zu Fuß und zu Roß und zu Wagen Waren zusammengeströmt, um Priamus Veste zu retten, Glichen die feindlichen Heere dem Ringerpaare im Wettkampf, Das um die Hüften gefaßt, mit geschwollenen Muskeln sich abmüht, Einer den Andern zu Boden zu werfen; doch keiner vermag es. Zwischen den Mauern der Stadt, überragt von Pergamus Zinnen Und dem mit Wall und Graben befestigten Lager der Griechen, Ward aus dem grünen, doch bald zu Staube zertret'nen Gefilde Täglich herüber das Seil des Kampfs und hinüber gezogen, Ohne daß Jahr für Jahr die Entscheidung des Krieges gefallen. Zehn Jahr mußten die Griechen noch kämpfen, bis Troja erobert.« Doch nicht länger vermochte nun mehr Fritz Runge zu schweigen. Schwarz und glänzend von Haar, sorgfältig gescheitelt, so daß ihm 38 Ueber das Haupt bis zum Nacken herunter der leuchtende Strich lief, Troff Fritz Runge ja stets von Pomade und höherer Bildung. Und so ließ er denn jetzt von oben herab sich vernehmen: »Ja, der trojanische Krieg hat noch zehn Jahre gedauert, Und Du willst uns doch nicht, wie Homer in der Ilias, alle Kämpfe berichten, mein Sohn? Man schläft bei solchem Bericht ein. Hunderte nennet Homer uns und Tausende, Namen auf Namen, Die vor Troja gebissen ins Gras. Wir kennen sie gar nicht, Und wir kümmern um sie uns nicht so viel! Aber es hilft nicht, Vater Homer erläßt uns keinen von alle dem Kropzeug. Wer ihn getödtet und wie, das wird ausführlich berichtet, Grad als wäre Homer ein Feldscheer oder ein Wundarzt. Ob von rechts, ob von links dem Menestheus oder Hypsenor Fuhr der Speer in das Maul, der die Zunge durchschnitt und die Zähne Knirschten am Eisen dabei, das ist vollkommen mir schnuppe. Oder ob in das Gesäß die Lanzenspitze dem Darus Eindrang und ihm die Blase durchbohrte und nah an dem Schambein Wieder herausfuhr, ei, das ist ja Muß wie Miene, so däucht mir. Nein, wir sind doch weiter gekommen! Gebildete Völker Können sich nicht mehr freu'n an barbarischem Würgen und Morden.« Zoilus, Geißel genannt des Homers, konnt' ärger den Dichter Nicht zerzausen als unser gebildeter, leichter Matrose. »Heinrich, verschon' uns, so bitt' ich, mit sämmtlichen Kämpfen vor Troja.« »Wie? Sie verschmähen die Ilias ganz?« »Das thu' ich! Entschieden! Denn ich bewahre mir stets ein unabhängiges Urtheil. 39 Mag man die Ilias preisen, so laut wie man will, ich behaupte, Daß langweilig sie ist. Langweilig, behaupte ich kühnlich. Davon red' ich nicht mal, daß sich die homerischen Helden, Ehe sie kommen zum Kampf, ausschimpfen einander wie Knaben. Viel anständiger geht es doch zu in gesitteten Zeiten. Ein französisches Heer und ein englisches standen einmal sich Bei Dingsda, ich vergesse den Namen, zum Kampfe begierig Gegenüber, da zogen die Herrn Officiere von Frankreich Höflich den Degen und winkten damit und riefen von ferne: »Wollen gefälligst die britischen Herrn anfangen mit Schießen!« Seht, das heiß' ich ritterlich sein! Wozu denn das Schimpfen? Mochte auch Vater Homer für rohere Zeiten genügen, Aber ich preise mich glücklich, in unseren Tagen zu leben. Troja war ein erbärmliches Nest, wenn wir es vergleichen Wollen mit Metz und Paris; doch zehn Jahr brauchten die Griechen, Um's zu erobern. Wir nahmen Paris in wenigen Monden Und wir hätten's noch eher gekonnt, wenn Moltke nur früher Hätte Bum! Bum! gemacht. Geh' mir mit der Ilias, Heinrich. Ja, ich glaube geboren zu sein, um der Welt zu beweisen, Daß langweilig die Ilias ist.« Er warf in die Brust sich, Ein Kunstrichter nach neustem Geschmack, bei solcher Erklärung. »Dann, Herr Runge, erlaube ich mir zu bemerken, dann wär' es Besser gewesen vielleicht, daß Sie gar nicht wären geboren.« »Unser Fritz, gar nimmer geboren?« so brummte der Bootsmann. »Ei, da müßten wir ja in ewiger Finsterniß sitzen. Sonne und Mond und Fritz, das sind ja die Leuchten des Weltalls.« Runge verdroß es schon längst, daß Klaus ihn dutzte und fritzte; Doch mit dem Bootsmann anzubinden, erschien ihm nicht räthlich. 40 »Heinrich«, sagt' er, »Du bist noch hinter den Ohren nicht trocken; Darum ist Dir zu rathen vielleicht, daß gegen Erwachs'ne Du Dich nicht mausig machst, sonst giebts was!« sprach er verdrossen. »Soll ich denn Euch gar nichts vom trojanischen Kriege berichten?« »Nein! Ich habe genug mit Ermordung des Protesilaus. Also verschone mich, Freund, mit dem übrigen ganzen Gemetzel. Nur Eins, möcht' ich von Dir noch berichten mir lassen: das Ende. Denn ich erinnre mich wohl, daß bei der Zerstörung von Troja Hat ein hölzernes Pferd was zu schaffen, 'ne griechische Kriegslist; Aber ich bringe nicht mehr es zusammen. Erzähle davon uns. Denn, nicht wahr, ein Pferd war dabei?« Ich sagte mit Lachen: »Ja, ein Pferd ist dabei! So sprach auch der Bauer, nachdem man Ihm die Maschine gezeigt, und den Bahnzug, Alles und Jedes, Dennoch ließ er's sich nicht ausreden; ein Pferd muß dabei sein. Aber Ihr habt ganz Recht, Herr Runge, am Falle von Troja Trägt ein hölzernes Pferd die Schuld und die List des Odysseus.« »Nun, so erzähle davon, und wenn Troja zerstört ist, erzähle Uns von den Abenteuern zu Wasser und Land des Odysseus. Kann ich die Ilias auch nicht, wie man saget, verknusen, Macht doch Homers Odyssee mir immer das größte Vergnügen.« Also erzählt' ich zuerst die Geschichte vom hölzernen Rosse. »Was durch Tapferkeit nicht Achilles vermochte, das wußte Ithakas Fürst, Odysseus, durch Klugheit und List zu erreichen. Nach zehnjährigem Krieg und nach unendlicher Mühsal 41 Hatten die Griechen verzweifelt, des Priamus Stadt zu gewinnen, Und sie verlangten nach nichts, als wieder nach Hause zu kommen. Murrend nur hörten Odysseus sie an, sobald er ermahnte, Ferner noch auszuharren. Es war: »Zu Schiffe! Zu Schiffe!« Einzig die Losung im Heere der heimathverlangenden Griechen. Aber Odysseus behielt, wie der Wagenlenker den Grenzstein, Immer sein Ziel vor Augen mit still ausharrendem Geiste. Jeglichen Umstand wußt' aufmerkend er stets zu benutzen. Und so erhob er sich denn und sprach in des Volkes Versammlung: »Auf denn, gehn wir zu Schiff nach dem lieben Lande der Väter, Dann wird Troja rings von Lust und Jubel erschallen, Und dann werden sich bald aus den Thoren die Bürger ergießen, Um das verlassene Lager zu schaun. Wir könnten versuchen, Ob sie im Siegsrausch nicht nachlässiger werden und sorglos, Und wir die Stadt vielleicht durch Ueberrumplung erobern, Darum ist mein Rath, wir stechen in See mit dem Heere, Aber wir segeln nicht weiter, als hinter die waldige Insel Tenedos, welche die Schiffe verbirgt vor den Augen der Troer, Und wir kehren zurück, sobald spät Abends die Stadt nun Lieget in Wein und in Schlaf wie begraben. Auch weiß ich ein Mittel, Um die erlesensten Männer des Heers unbemerkt von den Troern Einzuführen vorher in Priamus lustige Veste.« Hochauf merkte das Volk, doch verrieth nicht Weitres Odysseus. »Nicht für Viele, für Wenige nur ist dieses«, so sprach er. Doch für das Uebrige laßt Zeus sorgen allein und die Fürsten.« 42 Alsbald wurden nun Bäume gefällt und gesägt und behauen Und ein gewaltiges Roß aus dem Holze von Fichten gezimmert, Das hoch ragte hervor mit dem Hals wie – wie – Ja, was sag' ich? »Sage Giraffen!« so sprach Claus Babbe mit Lachen. »Giraffen? Nein! so versetzt' ich, die wären ja neben dem Rosse von Troja Nur wie irgend ein Thier aus der Arche Noä gewesen, Welches am Weihnachtsbaum ein Kind zum Geschenke bekommen. Stellet ein Ungeheuer Euch vor, auf Rädern zu rollen, Aber der Bauch war hohl und ein Pförtchen zum Oeffnen gelassen. Als nun die griechischen Schiffe nach Tenedos segelten, stiegen Durch dies Pförtchen Odysseus hinein, Diomedes und Ajax, Alle die Ersten des Heeres mit Wehr und Waffen. Das Roß nun Ward, ein Wunder zu sehn, zurück am Strande gelassen. Und bald strömten die Troer hinaus, um das Lager zu schauen. Freilich, was werthvoll war, das war auf die Schiffe geladen, Aber es zeigten die Troer, erfreut von der glücklichen Wendung, Hier auf die Stätte, wo einst das Gezelt des Peliden gestanden, Dort auf Patroklus Grab, das nun auch barg den Peliden, Beider Asche vereint in der prächtigen goldenen Urne.« Hier fiel mir in das Wort Fritz Runge von Neuem und sagte: »Ich bin stets, wie Allen bekannt, für Bildung und Fortschritt, Aber den Leib in die Erde zu graben, als Speise für Würmer, Statt ihn verzehren zu lassen von reinlichem Feuer, wie alle Menschen vor Zeiten gethan und selber die römischen Kaiser, Dies, ich muß es gestehn, dies scheint mir eher ein Rückschritt, Ja, ich bekenne es laut, ich bin für die Feuerbestattung, Und ich hoffe, es wird noch Gutes kommen von Gotha.« 43 »Ja, das hoffe ich auch!« so sprach Claus Babbe, der Bootsmann. »So, das hofft Ihr auch? Und darf ich fragen: warum denn?« »Nun, ich denke dabei an die Würste, die trefflichen Würste, Welche von Gotha kommen.« Wir hielten die Seiten vor Lachen. Also die Troer besahn neugierig das Lager der Griechen. Hier war das Thor, das Hektor gesprengt mit dem mächtigen Felsblock. Und dort wars, dort brannte das Schiff des Protesilaus, Das mit der Fackel entzündet der helmumflatterte Hektor; Aber das riesige Roß ward doch vor allem bewundert; Während man staunend sich fragte: »Wozu? Was soll das bedeuten?« Doch, da Jedem bekannt, daß heilig das Roß dem Poseidon, Deuten es Alle dahin, daß die Griechen sich glückliche Meerfahrt Wollen verschaffen mit ihm, von dem Erdumgürter Poseidon, Durch ein Weihegeschenk, desgleichen noch nimmer gesehn ward. Während die Schaaren noch stehn vor dem Wunder und laut es besprechen, Wird ein Grieche gebracht, auf dem Rücken die Hände gebunden, Welchen die Hirten versteckt auffanden im Sumpf und im Röhricht, Ganz entstellt von dem Schlamm und: »Tödtet ihn! Nieder!« so schallt' es Unter den Troern bereits. Sie haßten den griechischen Flüchtling, Seine gesammte Nation, die unheilvolle für Troja, Und sie schritten mit großem Geschrei zum Verhör des Verräthers, Der, mißhandelt bereits und den Tod vor Augen, so klagte: »Sinon heiß' ich und bin, ich muß es gestehen, ein Grieche. 44 Ist das genug, um mich zu verdammen, so nehmt mir das Leben. Kaum entgangen dem Tod von den Händen der Landesgenossen, Werd' ich jetzt auch bei Euch, Ihr Troer, bedroht vom Verderben.« Dies Wort änderte plötzlich die Stimmung der lärmenden Menge. »Sage, was ist es mit Dir? Was hast Du verbrochen?« »O gar nichts. Ich bin dürftig geboren, allein von redlichen Eltern, Und Palamedes verwandt. Ich folgte vor Troja dem Fürsten, Unter den Menschen berühmt durch Erfindungen, Tugend und Weisheit, Längst schon hatt' er den Griechen gerathen, nach Hause zu kehren, Denn niemals wär's ihnen beschieden vom Ordner der Welt, Zeus, Daß sie Pergamus schön ummauerte Veste zerstörten. Darum war er Odysseus verhaßt, der durch listige Ränke Wußte dem Palamedes den Untergang zu bereiten. Durch ein lärmendes Volksgericht ward Jener verurtheilt, Und sie steinigten ihn, der ein besseres Schicksal verdiente. Da ich für Palamedes gezeugt und ihn eifrig vertheidigt, Lud ich Odysseus Haß auf mich und die lauernde Rache. Als zur Abfahrt fertig die Flotte der Griechen sich machte, Sieh, da verkündete Kalchas, der Priester, der stets mit Odysseus Heimlichkeit pflegt – sie sind zwei Vögel vom selben Gefieder, Gleich wie in Aulis die Flotte, bevor absegeln sie konnte, Durch ein blutiges Opfer versöhnte die zürnenden Götter, Müßt' auch, ehe sie jetzt absegelten, bluten ein Opfer. 45 Jeglichem klopfte das Herz im Heer, ob das Loos ihn nicht treffe, Und so fühlten sich Alle befreit, als der listige Kalchas, Lange sich sträubend zum Schein, den Namen des Opfers zu nennen, Endlich den meinigen sich entreißen ließ. Und ich sah mich Plötzlich ergriffen und fort in den Kerker geschleppt, am Altare Morgen als Opfer zu bluten, bevor absegeln die Schiffe. Aber ich sprengte die Bande des Nachts und verbarg mich im Schilfe, Hungernd und frierend; mir schien, als ende die schreckliche Nacht nicht. Und so fanden die Hirten mich denn, und mir wurden die Arme Wieder von Neuem geschnürt, und ich ward blutrünstig geschunden.« – Hier ward Sinons Stimme erstickt durch strömende Thränen. Priamus war darüber hinzugekommen; voll Mitleid Ließ er den schlauen Betrüger erlösen von seiner Bestrickung, Ließ ihn baden und ihn mit Trank erquicken und Speise, Ehe der gütige Greis ihn weiter befragte: »Nun, Sinon, Sage mir jetzt, was bedeutet das Roß? Ist das Pferd von den Griechen Gott Poseidon geweiht, daß günstige Fahrt er verleihe?« »Ja! So ist es! Ein Weihegeschenk für den wilden Poseidon, Und sie beteten viel, daß er nicht auf der Fahrt sie verderbe, Sondern mit günstigem Wind sie geleite zum Lande der Väter.« »Warum aber so riesig? Ein Ungethüm, niemals gesehen?« Sinon schwieg, als kämpften in ihm zwei streitende Seelen, Doch dann sprach er entschlossen: »O, Priamus, mildester König, Siehe, Du hast mich gemacht zu der Deinigen Einem. Ich will nicht, 46 Kann nicht Grieche mehr sein, drum verrath' ich Dir jetzt ihr Geheimniß: Kalchas verkündigte ihnen, der Seher, sobald die Trojaner Zögen das Roß in die Stadt, so würden der Himmlischen Gunst sie Ziehen auf Troja herab. Um dies zu verwehren den Feinden, Müßten sie bauen ein Roß, so riesig, daß nicht durch die Thore Trojas ginge das Werk und es steh'n hier bleib' an dem Strande, Bis sie glücklich die Heimath erreicht. So redete Kalchas. »O, wenn Segen und Heil abhängt von des Rosses Besitze«, Meinten da Einige schon, »so könnten wir doch wohl versuchen, Jenen gezimmerten Berg in die Stadt zu versetzen.« Da rannte Aber ein Priester herbei, der eben mit Opfer beschäftigt. Zornig kam er gelaufen und rief: »Was wollt Ihr beginnen? Wie? Ihr wollt ein Geschenk annehmen aus griechischen Händen? Lug und Trug ist Alles ja nur bei dem listigen Volke. Irgend ein Unheil birgt dies Ungeheuer im Schooße. Auf, legt Feuer daran! Wo nicht, in die Fluth mit dem Unthier! Ja, ich fürchte die Griechen, auch wenn sie Geschenke uns bringen.« Und so reißt er den Speer aus den Händen dem Nächsten und stößt ihn Rasch mit des Zornes Gewalt in die Lende des hölzernen Pferdes, So daß leise die Waffen im Bauch anstoßend erklirren; Niemand achtete drauf bei solcher Erregung der Geister, Sonst war Troja gerettet. Schon stritt und zankte die Menge, Als ganz plötzlich verstummte der Lärm. Es begab sich ein Wunder! 47 Siehe, von Tenedos her kam über die silbernen Wellen Dunkel ein schreckliches Paar von riesigen Schlangen gezogen, Hinter sich schleifend den Schweif in gräßlichen Ringeln, die Hälse Steil in die Höhe gereckt mit blutigem Kamme; so rauschen Sie mit feurigem Aug' und züngelnd im offenen Rachen Gierig nach Nahrung, ans Land und kriechen gebäumt durch die Menge, Welche von Furcht entfärbt zur Rechten und Linken hinwegflieht, Grad auf den Altar zu, wo der Priester, geschmückt mit der Binde, Wiedergekehrt, sein Opfer vollendet, bedient von den Söhnen. »War nicht der Name des Priesters Laokoon?« fragte mich Runge. »Richtig. Ihr wißt doch in Allem Bescheid.« Und Runge versetzte: »Ja, ich hab' in Berlin die Laokoongruppe gesehen«, »Ein gar herrliches Werk, nicht wahr?« »So sagt man. Ich weiß nicht – Kann ein vernünftiger Mensch wohl Vergnügen empfinden, sobald er Seinesgleichen erblickt von häßlichen Schlangen umwunden? Und nun nachzubilden es gar in Marmor! Ich danke! Seht, ich habe gesunden Verstand vom Schöpfer erhalten Und so plapper' ich nicht blos nach, was Andere sagen, Sondern bewahre mir stets mein unabhängiges Urtheil.« Also sprach Fritz Runge mit seinem gewöhnlichen Prahlen Selbstzufrieden sich aus, und mit und ohne Verständniß War Fritz immer bereit sich aufzuwerfen als Richter. Und so fuhr ich denn fort nach der Unterbrechung des Opfers: »Hat ein Sterblicher schon Laokoons Qualen empfunden? 48 Seht, die entsetzlichen Schlangen umschlingen die zitternden Knaben, Beißen hinein in den blühenden Leib und stillen die erste Gier des Hungers am Blut von Laokoons jammernden Söhnen. Als ihr Vater entsetzt zum Beistand eilet, ergreifen Schon Laokoon selber, den unglückseligen Vater, Beide Drachen gesellt, umschnüren den Nacken ihm doppelt Und umstricken zugleich ihm Brust und Hüften. Er will sich Ihrer erwehren, doch kann schon nicht mehr regen die Arme Oder bewegen das Bein, sein Körper erstarrte zur Säule. Als er zu schreien versucht, so sind ihm die Brust und die Rippen Fest zusammen gepreßt, so daß ihm der Atem versaget, Und sein edles Gesicht, von Schmerzen verzerret, allein sagt, Gegen den Himmel gewandt, von den trostlosen Qualen der Seele. Und schon liegen entseelt am Altar mit dem Vater die Söhne, Während die Schlangen verschwinden im Heiligthume des Tempels. »Das ist ein Zeichen von Gott! Das ist Laokoons Strafe, Weil er das Weihegeschenk vor den Augen des Volkes verunglimpft.« Jetzt, da die stockenden Herzen von Neuem zu schlagen beginnen, Jetzt ist alles entschlossen, das Roß nicht draußen zu lassen, Sondern die Stadt in Besitz des verheißenen Glückes zu setzen. Einige rollten das riesige Roß heran zu der Mauer, Andere rissen die Mauer schon ein, damit durch die Lücke Rolle das Göttergeschenk in die Stadt, die auf ewig beglückte. Wer nur berührte den Strang, woran man das hölzerne Pferd zieht, Fühlt sich entzückt; es begleiten mit heiligen Liedern die Knaben 49 Und Jungfrauen die Last, die verehrte. Zwar stockt an der Schwelle Dreimal das Roß mit gewaltigem Ruck, daß wieder die Waffen Klirren, doch Niemand merket darauf, so sind sie verblendet; Und Kassandras Stimme verhallt, wie immer, vergebens. »Wer ist«, fragte der Koch und unterbrach die Erzählung, »Wer ist Kass – Wie sagtest Du doch? Ein närrischer Name, Fast wie Kasserolle.« »Kassandra«, sagt' ich. »Kassandra«, Nahm Fritz Runge das Wort, »war die Tochter des Königs von Troja, Mit wahrsagendem Geist, die stets weissagte das Unglück, Trojas Fall und so weiter, allein sie wurde verspottet, Denn man glaubte ihr nicht. So gehts den gescheidtesten Leuten. Mir selbst ist es geschehn, daß ich Unglücksfälle voraussah, Aber man glaubte mir nicht. Und es kam doch stets, wie ich sagte. Gebt Acht! sagt' ich sogleich, als wir stürmten die Höhe von Spichern, Gebt Acht! sagt' ich voraus, wir stürmen nun auch den Montmartre, Ist ein Berg bei Paris – soviel als: »Paris wird genommen«. Und ich wette darauf, daß nächstens Napoleon futsch ist. Traf es nicht wunderbar ein? Auch sagt' ich am Tag, eh der Kaiser Alexander so jämmerlich ward an der Newa ermordet, Gebt Acht! sagt' ich, es nimmt mit ihm kein glückliches Ende, Denn er ist viel zu gut, das Nilistengesindel zu boshaft.« »Ja, da haben Sie Recht, Herr Runge, wie stets! Die Nilisten 50 Sind ein schlechtes Gesindel, drum nennt man sie auch nach dem Nile, Maßen es wimmelt im Nile von Krokodilen und Schlangen.« Und so wollt' ich denn weiter von Troja berichten, doch hatte Lange nicht Proben genug von seinem prophetischen Geiste Uns Fritz Runge gegeben und wußte davon nicht zu enden. »Prieschen gefällig?« so sagt' ich zu ihm, hinhaltend die Dose. Und kaum hatt' er die Nase versorgt, so niest' er und nieste. Gottlob; denn sonst hätt' er noch lange gestört die Erzählung. Und so fuhr ich denn fort: »Kassandra warnte vergebens. Eher nicht ruhte das Volk, bis das Roß sie mühsam nach oben Hatten geschleppt auf die Burg und nach dem Palaste. Die Nacht kam, Wo es bestimmt vom Geschick, daß die heilige Ilios falle. Wieder zurück von Tenedos kamen die Schiffe der Griechen Unter dem Schatten der Nacht, und Sinon gab von der Mauer Ihnen mit Feuer das Zeichen, daß Alles nach Wunsche geglückt sei. Als nun der Jubel verstummt in Trojas Hallen und Jeder War vom Wein und vom Schlafe bezwungen, da ward es im Rosse Rege; sie öffnen das Pförtchen, die eingeschlossenen Helden, Und Diomedes zuerst, Odysseus und alle die Andern, Auch Epeus zuletzt, der Erbauer des hölzernen Rosses, Ließen am Strick sich herab inmitten der Burg. Und die Griechen Strömten indeß schon herbei von den Schiffen und fanden die Thore Uebel bewacht und das Skäische schon von den Ihren geöffnet, Drangen hinein, und nun ist das Ende gekommen von Troja Und von meiner Erzählung zugleich, da ich müd' wie ein Hund bin, 51 Und ich habe die Nacht noch Backbordwache zu halten.« Als ich geendigt, so schwieg um mich das versammelte Schiffsvolk. Hatt' ich mich auf Lobsprüche gespitzt, so war ich betrogen, Aber sie hatten gespannt doch gelauscht auf meine Erzählung, Und sie nicht nur mit dem Kopf, nein, auch mit dem Herzen verstanden. Einige baten mich einst, aus der Ilias, welche der Klügling, Runge, verpönt, ein Mehreres ihnen erzählen zu wollen. Und ich hatt' ihr Verlangen erfüllt mit vielem Vergnügen, Denn mein Lieblingsheld war der helmumflatterte Hektor. Als ich nun kam zu dem Skäischen Thor, und Andromaches Abschied, Wie sein Weib ihn beschwor, nur einmal, nur heute nicht wieder Fortzugehen von ihr in die männermordende Feldschlacht, Nicht sie zur Wittwe zu machen und ihren Knaben zum Waisen, Sah ich, daß Claus Babbe in sonst nicht gewöhnlicher Weise Zu hantiren begann mit dem rothbaumwollenen Sacktuch. Manch ein Knäblein war ihm und manch ein Mägdlein geboren, Aber sie starben ihm zeitig hinweg, und Andere kamen Gar nicht lebend zur Welt. Nach mancher verlorenen Hoffnung Wurde noch spät ein Sohn ihm geschenkt, sein Liebstes auf Erden. Als ich vom Knaben Astyanax nun und Hektor erzählte, Wie ihn der Vater gewiegt auf dem Arm und den Segen der Götter Flehte herab auf das Kind, wenn es sein muß, daß er dahingeh, 52 War's Claus Babbe, als wiegt' er das eigene Kind auf den Armen, Und so ging das gerührte Gefühl denn durch mit dem Bootsmann, Zwei verschwiegene Thränen, ein Tropfen aus jeglichem Auge, Rannen ihm über die Backen, zum grau schon gesprenkelten Vollbart. Und so trocknete still er den Bart und wischte die Augen, Schnäuzte die Nase sich auf und sagte mit Husten (der Heuchler!): »Ich bin heute verkältet; das kommt allein von dem Daake.« |