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6.

Eines Morgens wurde Berlin durch eine Neuigkeit überrascht, die sich zuerst im Inseratenteil der gelesensten Zeitungen bescheiden hervorwagte.

»Kauft Apotheker Dähnes Haarbalsam! Die einzige Möglichkeit, den verlorengegangenen Kopfschmuck wiederzuerlangen! Garantiert echt und wirksam nach Gebrauchsanweisung. In Flaschen zu fünf Mark, allein zu beziehen durch den Generalvertrieb von Apotheker Dähnes Haarbalsam, Berlin O, Blumenstraße 128. Nur gegen Nachnahme.«

So war es in gedrängter Schrift auf engem Raume zu lesen. Aber schon nach einigen Wochen prangte dieselbe Anzeige viermal vergrößert, das Hauptsächliche fett gedruckt hervorgehoben, in fast allen Blättern. Und der trockenen Anpreisung hatte man diesmal Bildschmuck beigefügt, der in zwei Männerköpfen bestand, von denen der eine, links, sich als völlig kahl und der andere, rechts, wieder frisch belockt dem werten Publikum zum abschreckenden Beispiel und zugleich zur Anfeuerung darbot. Den Schluß jedoch bildete folgendes wiedergegebene Zeugnis:

»Ich litt lange an andauerndem Haarschwund, was mich als Mann in den besten Jahren traurig stimmte, bis ich Apotheker Dähnes Haarbalsam kennenlernte. Schon nach dem Gebrauch der ersten Flasche hatte die Behandlung glänzenden Erfolg, so daß ich mit voller Zuversicht das Beste erwarten kann. A. G., Kaufmann.« (Einblick in dieses Original-Schreiben und in viele andere jedermann gestattet.)

Es war alles sehr einfach zugegangen. Gläser hatte sich ein leeres Hofzimmer gemietet und es notdürftig mit einem alten Tisch, einigen Stühlen und mehreren Wandregalen ausgestattet. Apotheker Dähne kam jeden Tag und braute den Balsam nach dem Rezept, das er an Gläser für einen Spottpreis verkauft hatte. Dafür erhielt er regelmäßig des Abends einen Taler, den er sofort auf seine Art wieder verkleinerte. Beide hatten einen ordentlichen Vertrag geschlossen, in dem der ehemalige Provisor sich verpflichtete, nur für den Unternehmer zu arbeiten und das Geheimnis der Herstellung zu bewahren. Zugleich mußte er erklären, von der Wirkung seiner Mischung überzeugt zu sein. Das Messer saß ihm an der Kehle, und so hatte er in seliger Stimmung darauflos geschrieben, getröstet durch das Versprechen des anderen, er werde, sobald die Sache im Gange sei, noch reichlich seine »Tantieme« erhalten. Allmählich bekam er Geschmack an der neuen Beschäftigung, der er sich um so eifriger hingab, als abends die Belohnung winkte. Den Genuß der »Schneeluft« mußte er sich allerdings auf Stunden verkneifen, aber der Gedanke, alles dreifach nachholen zu können, ließ ihn die Hände emsig regen. Fast kam er sich wohl dabei vor, sozusagen in ein besseres Gewahrsam versetzt, und so tat er schweigend seine Arbeit, immer auf die Stunde wartend, die ihm Erlösung brächte. Und Gläser nutzte diese Schwäche gehörig aus, ganz in der Art eines berechnenden Menschen, der durch Almosen noch Wohltaten zu erlangen glaubt. Er wußte, daß er ihn vorläufig fest hatte und daß diese armselige Kreatur im Schiffbruch des Lebens immer wieder bei ihm Rettung suchen würde, falls sie einmal nach einem anderen Eiland ausschauen sollte.

Gläser konnte zufrieden sein. Die ganzen Vorbereitungen hatten ihn dreihundert Mark gekostet, und schon am dritten Tage waren zahlreiche Anfragen und Bestellungen eingelaufen. Der »Apotheker« zog, das war gewiß. Nach acht Wochen mußten neue Räume gesucht werden. Man siedelte in das Vorderhaus über, wo zufällig eine ganze Wohnung zu haben war, die in ein richtiges Geschäftslokal umgewandelt wurde. Es gab nun einen Lager- und Packraum, ein Kontor und ein Privatkabinett für den »Chef«. Diesmal war die Küche das Laboratorium, denn Gläser bedurfte dieser häuslichen Einrichtung nicht. Nach wie vor schlief er des Nachts im »Gasthof zur Heimat«, weil er befürchtete, Anna Schiman könnte hinter sein Geschäftsgeheimnis kommen und ihm zu schaffen machen.

Während der ganzen Zeit hatte er sie nur dreimal gesehen und ihr stets vorgejammert, daß er zwar eine Stellung habe, sich aber mit seinem kleinen Gehalt einrichten müsse. Wenn sie hörte, daß er noch immer in dieser elenden Wirtschaft hause, und zwar gegen eine billige Monatsmiete, so würde sie gewiß an seinen Worten nicht zweifeln. Und was Frau Meckert anbetraf, die beim Lesen der Ankündigungen die Hände erstaunt zusammengeschlagen hatte, so war sie gehörig von ihm in die Irre geführt worden. Er habe allerdings dem Apotheker das Rezept abgekauft, sei aber schön dabei hineingefallen, denn bis jetzt ginge die Sache gar nicht. Sein Geld, sein schönes Geld!

Zu Dähne war er sehr brutal gewesen. »Ich wünsche, daß Sie zu ihr gar nichts über unsere Geschäftsverhältnisse sprechen,« hatte er zu ihm gesagt, »sonst sind wir geschiedene Freunde. Ihr Rezept habe ich ja, na, und Leute Ihrer Art gibt's genug.«

Dähne beruhigte ihn, denn es fiel ihm gar nicht ein, sich mit ihm zu entzweien. Gläser brauchte auch nicht zu befürchten, daß sich sein Gehilfe einmal verplappern werde, denn nun, da er regelmäßig Geld in der Tasche hatte, ließ er sich im Gasthof nicht mehr sehen, weil er in der steten Angst schwebte, seine Gönnerin könnte ihn für alle erwiesenen Wohltaten nach und nach in Anspruch nehmen.

Frau Meckert bedauerte Gläser. »Sie sind zu gut, Sie kennen die Menschen noch zu wenig«, sagte sie. »Das ist ja alles Schwindel mit diesem Mittel, ich hab's erprobt. Wem die Haare wachsen sollen, dem wachsen sie von selbst. Nehmen Sie sich nur vor der Polizei in acht.«

Sie sprach damit nur einen Gedanken aus, den Gläser schon längst erwogen hatte, über den er aber leicht hinweggegangen war, weil das Rezept von einem Fachmanne stammte. »Das sagen Sie nicht, dagegen muß ich protestieren«, wehrte er sich lebhaft. »Der Balsam ist gut, ausgezeichnet. Ich selbst habe ihn an mir probiert, und hier oben ist fast alles wieder zugewachsen.« Er lüftete zwar den Hut nur so wenig, daß sie nichts sehen konnte, aber sie glaubte ihm. »Es kommt nur auf die richtige Anwendung an. Ich habe schon glänzende Anerkennungsschreiben, daran mangelt's nicht. Sie werden ja nächstens davon lesen, denn nun kann's noch mehr Geld kosten.«

In der Tat waren ihm solche Schreiben von Leuten in der Provinz zugegangen, denen die Haare infolge einer Krankheit ausgefallen waren und die auf ein Wachsen auch ohne künstliche Mittel hoffen durften, aber im Zweifel darüber schwebten und nun steif und fest glaubten, sie hätten dem berühmten Balsam alles zu verdanken.

»Hier, sehen Sie, ist das vielleicht Schwindel?« rief er wieder aus und holte einige solcher Briefe hervor, die er stets bei sich trug. »Sie sollten auch noch einmal einen Versuch machen, denn Ihre Ponys lichten sich schon bedenklich.«

Und Frau Meckert, wie betäubt davon, vergaß ihre trüben Erfahrungen und bat ihn, ihr am nächsten Tage eine Flasche mitzubringen; sie könne ihm die fünf Mark gleich geben, wenn er es wünsche. Da er ein Probefläschchen in einem Karton gerade in seinem Paletot hatte, überreichte er es ihr großmütig als Geschenk, um sich ihre Freundschaft zu erhalten, und fügte hinzu, daß er eine größere Flasche noch folgen lassen werde. Verzückt drückte sie seine Hand und warf ihm einen jener Blicke zu, wie sie unglückliche Frauen bereit zu haben pflegen, die sich bei jeder Auszeichnung eines Mannes stillen Wünschen hingeben.

Gläser aber legte sich mit der Gewißheit schlafen, daß sie freudig den ganzen Gasthof opfern würde, wenn sie seinen Namen tragen könnte. »Pfui Teufel«, sprach er vor sich hin und spie aus. Aber was tut man nicht alles, um in einem guten Ruf zu bleiben! Dabei sah er wieder die Potsdamerstraße, das alte Haus dort unten und das stattliche Mädchen mit dem vornehmen Parfüm, das ihn auf allen Wegen verfolgte.

Von Tag zu Tag sah er immer mehr, daß die Dummen nicht alle wurden. Er selbst hatte wenig zu tun; nur die Morgenpost machte ihm eigentlich zu schaffen. Er nahm das Geld entgegen und erledigte die Anfragen und Bestellungen, die haufenweise eintrafen. Das übrige besorgten Packer und Schreiber. Im allgemeinen lagen bereits gedruckte Antworten vor. Nur wenn besonders eingehende Auskunft gewünscht wurde, griff er zur Feder, gebrauchte aber stets jene Form, die zu nichts verpflichtete. Auf Zwischenhändler ließ er sich noch nicht ein, denn er wollte den Rabatt selbst verdienen.

In die Küche, die abseits lag und mit großen Buchstaben die Aufschrift »Laboratorium« trug, durfte von den Angestellten niemand hinein, denn Dähne sollte völlig abgeschlossen wirtschaften. Gläser sorgte auch dafür, daß der Apotheker niemals einen Einblick ins Geschäft bekam, damit er seine Ansprüche nicht etwa steigere. Dähne hörte nur immer Klagen über schlechten Absatz, was ihn mit stillem Schrecken erfüllte, trotzdem er sich nicht erklären konnte, wo die Kübel Balsam blieben. Aber fast stumpfsinnig verrichtete er seine Arbeit und entfernte sich still, wie er gekommen, auf der Hintertreppe, schon froh darüber, am anderen Tage aufs neue erscheinen zu dürfen.

Gläser rieb sich vergnügt die Hände, denn in diesem umfangreichen Handel wurde sein Name nie genannt. Er stand sozusagen hinter den Kulissen, leitete alles und steckte den Gewinn ein, der geradezu riesig war. Von der Unsauberkeit dieses Gewerbes überzeugt, freute er sich, in der Öffentlichkeit nicht gekannt zu sein; denn sein Sinn ging nach gesellschaftlicher Anerkennung, die er nur erreichen konnte, wenn sein guter Ruf gewahrt blieb. Und so sah er ein, daß es Zeit sei, andere Lebensgewohnheiten anzunehmen, wenn er allmählich an sein Ziel kommen wollte.

Bisher hatte er das Dasein eines richtigen Geizkragens geführt, der jeden Groschen dreimal umdreht, bevor er ihn für sich selbst ausgibt. Er aß in einer Privatspeiseanstalt für fünfzig Pfennig zu Mittag und trank nur Wasser dazu, weil es dort nichts anderes gab. Des Abends, wenn er allein in seinem Kontor zurückgeblieben war, langte er sich Brot, Butter und Wurst aus seinem Schreibtisch hervor und verzehrte es wie ein knickeriger Mensch, der das Bewußtsein empfindet, sich viel mehr leisten zu können, aber den Willen zur Enthaltsamkeit besitzt. Trotzdem hatte er sich in Berlin bald eingelebt, kannte er alle Verhältnisse der großen Stadt, aber wie der Außenstehende, der durch die Beobachtung die Erfahrung ersetzt. Nach wie vor verschlang er alles, was in den Zeitungen stand; er machte sich wichtige Ausschnitte, die er anhäufte, um ihren Inhalt später verwerten zu können. So war er über alles unterrichtet, was in der sogenannten Gesellschaft vorging, was in den Theatern sich abspielte und was man auf der Börse und im Geschäftsleben ausposaunte.

Einmal hatte es ihn gereizt, sich eine Posse anzusehen, zu der ganz Berlin hinlief. Als er aber im Wallnertheater auf der Galerie stand und seinen Packer dort erblickte, konnte er nicht mehr lachen, und so nahm er sich vor, diese Art Vergnügungen bis auf die Zeit zu verschieben, wo er sich im ersten Rang werde spreizen können. Er hatte sich geschworen, diese neue Gewohnheit erst anzunehmen, sobald er die ersten zwanzigtausend Mark in runder Summe in der Tasche haben würde. Sein größtes Vergnügen war, an Sonntagen durch die Straßen zu gehen und namentlich des Nachmittags Unter den Linden auf und ab zu spazieren in der bunten, geputzten Menge, die dort aus allen Stadtteilen zusammenströmte, um den Feststaat zu zeigen und bei dieser Gelegenheit einmal den alten Kaiser zu sehen. Dann wiegte er sich, eine schlechte Zigarre rauchend, wie immer in den Zukunftsträumen. Oftmals ging er auf die andere Seite hinüber und blieb vor dem berühmten Restaurant von Dressel stehen, wo es ihm dann Spaß machte, ein Weilchen zuzuschauen, wie der betreßte Türhüter die vornehmen Gäste ein- und ausließ. Und er malte sich heimlich den Genuß aus, den er später als großer Mann auch dort drin empfinden würde.

Abends opferte er dann fünfundsiebzig Pfennige und besuchte das Konzerthaus, wo er sich bei einer Flasche Selters in den Seitengängen herumdrückte. Die Musik liebte er, und merkwürdigerweise die schwermütige, ergreifende; und wenn dann die Töne stiegen, kam er sich unendlich einsam und verlassen vor. Dieses Gefühl der Einsamkeit erweckte aber nicht erhebende Gedanken in ihm, sondern gab seinem grausamen Ehrgeiz innerlich neue Nahrung. Während er wie versunken dasaß, menschenscheu, mit finsterem Gesicht, rechnete er, ließ er ungeheure Zahlen in seinem Kopf erstehen, dachte er nur an die großen Unternehmungen, die er aufsteigen lassen wollte, wenn die Zeit dazu gekommen wäre. Die Melodien trugen ihn gleichsam vorwärts, hinein ins kaufmännische Nirwana.

Eines Sonntags, als sogenannter Zweigroschentag war, traf er sich mit Anna Schiman im Zoologischen Garten. Er hatte ihr eine Postkarte geschrieben, wie ein liebender Verwandter an den andern, wohlweislich in der Annahme, die Herrschaft könnte den Inhalt lesen, und dann würde nichts Besonderes daraus zu entnehmen sein. Es war bereits Frühling geworden, und die Märzsonne lachte erwärmend in die Menschenmasse hinein, die aus allen Vorstädten gleich den Einwohnern einer ganzen Stadt zusammengeströmt war, um mit Kind und Kegel das billige Monatsvergnügen zu genießen. Diese Volksmenge zeigte sich ebenso unersättlich wie die Raubtiere, die im Behagen der ersten Freiheit unruhig hinter den eisernen Stäben hin und her liefen, wartend auf die große Fütterung. Ganze Berge belegter Brote wurden verzehrt, und unlöschbar schien der Bierdurst zu sein, der aus hundert Tonnen gestillt wurde.

Gläser schluckte den Staub und atmete die Ausdünstungen dieses vielköpfigen Ungeheuers ein, das etwas Widerwärtiges für ihn hatte, weil er selbst keinen Sinn für Harmlosigkeit besaß. Alle diese lachenden und schwatzenden Menschen, die den Schweiß der vergangenen Woche noch mit sich schleppten, erschienen ihm wie seine persönlichen Feinde, die er bekämpfen müsse und denen er auszuweichen habe. Und doch sah er in ihnen sein Heil, aber wie jemand, der sie benutzen möchte, ohne mit ihnen in Berührung zu kommen.

Endlich stieß er auf Anna, die bei den Löwen auf ihn wartete. Sie war nett und hell gekleidet und hätte mit ihrem frischen Aussehen wie früher Wünsche in ihm aufleben lassen, wenn sein Entschluß nicht so fest gewesen wäre. Trotzdem verstand er ihre herzliche Freude zu würdigen, und so drückte er ihr warm die Hand und markierte den Mann mit der großen Sehnsucht. Erst als er sie glücklich zu einer entlegenen Bank geführt hatte, wurde er etwas zurückhaltend. »Denk' dir nur, dein Geld ist wieder da«, begann er sofort und wühlte in seiner Tasche. »Man hat es jetzt erst gefunden. Weißt du, wo es war? Wirklich auf dem Bahnhof dort. Ein ehrlicher Kerl hat es abgeliefert. Es soll unter verrosteten Schienen gelegen haben, und ich entsinne mich auch, daß da ein ganzer Berg aufgehäuft war ... Gestern wurde ich nach dem Fundbureau auf der Bahn gerufen, und da gab man es mir. Was sagst du dazu?«

Und er schüttete das Geld, das aus denselben Scheinen und Münzsorten wie früher bestand, in seine Hand. Eine Weile war sie sprachlos vor Freude. Dann aber ging ihr diese Überraschung so nahe, daß sie am liebsten hätte weinen mögen; aber tapfer bezwang sie sich, denn nun sah sie nur Glück und die endliche Erfüllung ihres innersten Wunsches. Und kein Zweifel trübte ihre Seele, denn sonst würde er wohl nicht mit dieser Botschaft gekommen sein.

»Nun aber nimm du es an dich, ich habe noch hundert Mark zugelegt, die ich mir erspart habe«, sagte er und drängte ihr den Beutel mit der Ausrede auf, daß er in ihrem Koffer jedenfalls sicherer sein werde als bei ihm in dem Gasthof, wo allerlei Leute ein und aus gingen. Immer noch glaubte sie, daß er in Stellung sei, »da oben im Norden«, wie er ihr erzählt hatte, ohne jedoch nähere Angaben zu machen. Es war ihr recht, denn sie wollte gewiß darauf achten, daß das Mißgeschick nicht zum zweiten Male einträte.

»Weißt du was? Dann gebe ich es der Frau Direktor zur Aufbewahrung, da ist es sicher. Vielleicht bringt's noch Zinsen, denn die versteht's, das kann ich dir sagen. Die hat viel mit Geld zu tun ... Ein Jahr werden wir wohl noch aushalten müssen, wie?«

Er spitzte die Ohren und nickte nur. Jedesmal, wenn sie zusammengekommen waren, hatte sie ihm über Mutter und Tochter erzählen müssen, und dabei hatte er sie vorsichtig ausgehorcht, wie jemand, der so nebenbei nur Interesse dafür hat. Und dann packte sie aus und verschwieg nichts, um ihm einen Gefallen zu erweisen. Er wußte, was für Menschen ein und aus gingen, kannte die Einrichtungen der Schlafzimmer, wußte, wieviel Kleider und Morgenröcke Klothilde besaß und daß sie Hemden in feinster Stickerei trug. Alle Toilettengeheimnisse ließ er sich entschleiern, und wenn er von den teuren, wohlriechenden Seifen hörte, mit denen sie ihre Haut pflegte, und von den Parfümflaschen, die auf ihrem Schönmachetisch standen, dann blähte er unwillkürlich die Nasenflügel und schloß, wie innerlich versunken, die Augen.

»Stopft sie sich auch aus?« fragte er lauernd, bekam aber gleich einen Klaps von Anna.

»Das möchtest du wohl auch noch wissen, wie? Du bist schon einer!« Sie lachte, fand aber dann, harmlos wie sie war, nichts Ungebührliches darin, ihm auch darüber die nötige Aufklärung zu geben, denn schließlich amüsierte sie ihn damit und hielt ihn bei guter Laune. »Was du dir denkst!« fügte sie hinzu. So was gibt's bei dem Fräulein nicht, da ist alles Natur. Du sollst mal sehen, wenn die morgens ihr Bad nimmt. Das Gesicht ist ja nicht mehr jung, aber eine Haut hat sie, glatt wie Elfenbein und weiß wie Schnee. Und das Haar reicht bis zu den Füßen. Sie müsse es doch wissen, denn sie sei bei solchen Dingen immer um sie. Die Alte trage ja schon einen falschen Scheitel; durch Zufall sei sie dahinter gekommen, denn in dieser Beziehung sei die Gnädige sehr vorsichtig und lasse zu einer gewissen Zeit niemand in ihr Zimmer. Und Schmucksachen hätten sie beide, daß man einen kleinen Juwelierkasten damit füllen könnte. Letzthin seien Mutter und Tochter zu einem Balle gegangen, und da habe Klothilde eine echte Perlenkette um den Hals getragen, und in dem seidenen ausgeschnittenen Kleide mit den vollen Schultern habe sie wunderschön ausgesehen, so daß es eigentlich recht schade sei, daß sie so versauern müsse. Aber trotz ihrer schlimmen Erfahrungen sei sie doch ein eitles Ding, das jedenfalls immer noch Sehnsucht nach einem habe, der nur zu ihren Füßen liege und sich ganz von ihr beherrschen lasse. Die Frau Direktor habe es ihr gesteckt, denn manchmal sei die Alte bei guter Laune, und dann krame sie alles aus, als habe sie ihresgleichen vor sich.

Gläser genoß diese Enthüllungen wie ein Feinschmecker, der sich an verbotenen Genüssen berauscht. Still lachte er in sich hinein bei dem Gedanken, daß diese arglose Seele ihm fast die Leuchte hielt auf seinem dunklen Wege, den er zu gehen habe, und als sie ihn einmal fragte, weshalb er denn immer so vergnügt dabei sei, erwiderte er mit seinem kalten Spott: »Jetzt brauche ich nur noch zu wissen, wo der Schlüssel zum Geldschrank steckt.«

Sie hatte den Beutel in ihr Taschentuch geknotet und in ihrer Einfalt weitergeplappert über die Vermögenslage der Frau Teichert, weil ihm ganz besonders daran lag, darüber Genaueres zu erfahren. Trotzdem sie nur einen Scherz in seinen Worten sah, blickte sie sich wie erschreckt um; denn manchmal fürchtete sie sich vor seiner Offenheit über Dinge, woran sie niemals dachte. Schon in der Heimat hatte er dadurch die Leute in Verblüffung gesetzt, so daß die Rede ging, es sei nicht ganz richtig mit ihm; er dagegen pflegte sich immer damit auszureden, daß man den großen Zug in ihm nicht begreife.

»Denk' dir nur, sie haben ja sogar ein Haus,« fuhr sie fort; »es liegt irgendwo da ganz draußen. Sie sind aber zu fein, dort zu wohnen.« Noch manches andere wußte sie, was ihr zufällig in der Wohnung und auf Umwegen im Hause zu Ohren gekommen war. Der verstorbene Versicherungsdirektor hatte sich durch Spekulationen ein ansehnliches Vermögen gemacht, von dem allerdings wieder viel verlorengegangen war, dessen Bestand aber immer noch bedeutend sein mußte, weil Frau Teichert jüngst an faulen Papieren fünftausend Mark eingebüßt hatte, worüber sie sich aber sehr leicht hinwegsetzte. Die Damen hätten sehr laut darüber gesprochen, und schließlich sei die Gnädige mit der Bemerkung hervorgeplatzt, daß sie leider niemand in ihrer nächsten Umgebung hätten, der ihnen mit Rat und Tat zur Seite stünde. Engere Verwandte hätten sie nicht, und die entfernt stehenden wollten nur immer ihre Hilfe in Anspruch nehmen.

»Ich wüßte schon jemand, dem sie Vertrauen schenken könnten«, dachte Gläser, der jedesmal aufs neue aufhorchte.

An diesem Tage war er mit Anna Schiman sehr zufrieden, und so zeigte er sich ihr von der besten Seite, als sie später, da es kühl geworden war, in den Saal gingen und inmitten des Tabakqualms, der wie Pulverdampf in einer Schlacht über dem Gewirr von Menschen aufstieg, ihre Schinkenbrote verzehrten, wobei sie beide aus demselben Glase Limonade tranken. Da sie stets über starken Appetit verfügte, so ließ er sogar noch Würste folgen, denn er hatte die Empfindung, als müßte er heute noch einmal besonders aufmerksam zu ihr sein, bevor er für immer mit ihr bräche. Und während er in Gedanken stets mit dieser Stunde beschäftigt war, kam er plötzlich mit dem Entschluß hervor, sie wieder von dieser Stellung wegzunehmen, denn ihm behage es nicht mehr, daß sie solche Dienste leiste. Ein Mädel wie sie sei eigentlich viel zu schade, alten und überspannten Weibern die Haarnadeln zusammenzusuchen und wer weiß was nachzutragen! Lieber sollte sie in eine Familie mit Kindern gehen, wo sie sich zugleich in der Küche nützlich machen könne, denn mit dem Kochen sei es auch nur soso bei ihr bestellt. Eine zukünftige Hausfrau müsse doch auch den Magen ihres Mannes berücksichtigen können, und gerade hier in Berlin verstünde man einen guten Happenpappen zu schätzen. Schon längst hatte sie das selbst empfunden, und da der Tag der Kündigung erst bevorstand, so hielt man an diesem Vorsatz fest. Sie sollte sich auf keine näheren Erörterungen einlassen, sondern ihren Wunsch nach Veränderung anführen; dann würde alles Weitere folgen.

Sie schwelgte heimlich in dieser Freude, denn nun sah sie aufs neue, wie gut er es mit ihr meinte.


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