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(Dasselbe Zimmer.)
Bittermann und Peter reißen die Türen auf und lassen den Major hereinereten, der während dieser Scene innere Unruhe verräth.
Bitterm. Ew. hochfreiherrlichen Gnaden habe ich die Ehre in meiner geringen Person den Haushofmeister Kilian Bittermann vorzustellen, welcher die Stunde selig preist, da ihm das Glück zu Theil wird, den hochfreiherrlichen Schwager Seiner hochgräflichen Excellenz von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.
Peter. (den Vater nachäffend) kennen zu lernen.
Major. Keine Umstände, Herr Bittermann; ich bin Soldat und hasse alle Complimente.
Bitterm. Bitte unterthänigst! Der gebührende Respekt.
Peter. Wir bitten um Respekt.
Bitterm. Halt das Maul!
Major. Nun, nun, wir werden schon bekannter werden. Sie sollen wissen, Herr Bittermann, daß ich gesonnen bin, die Einkünfte von Wintersee ein paar Monate lang verzehren zu helfen.
Bitterm. Warum nicht Jahre lang, Ew. hochfreiherrlichen Gnaden? Dem alten Bittermann ist's eben recht. Der hat ohne Ruhm zu melden zusammengespart, daß Se. hochgräfliche Excellenz darüber erstaunen werden.
Major. Desto besser! Ein Sparer will einen Verthuer, und da finden Sie an meinem Schwager Ihren Mann. Sie wissen doch, daß er den Dienst quittirt hat, und sein Leben hier auf Wintersee in Ruhe zu beschließen gedenkt?
Bitterm. Was Sie sagen! nein, nicht eine Sylbe ist mir zu Ohren gekommen.
Peter. Mir auch nicht.
Bitterm. Aber desto besser! nun wird der alte Bittermann erst recht zu leben anfangen.
Peter. Und der alte Peter auch.
Bitterm. Der Herr Graf erhalten posttäglich, wie ich mich noch gar wohl erinnere, den hamburgischen unparteyischen Correspondenten; und wir – wir haben denn auch unsere Quellen.
Peter. Ja, wir haben Quellen.
Bitterm. Wir empfangen Briefe von allen Seiten.
Peter. Ich hole sie von der Post.
Bitterm. Nichts neues, Herr Major, aus der politischen Welt?
Major. Nichts von Bedeutung.
Bitterm. (geheimnißvoll) Hä! hä! hä! wir wissen hier schon seit zwei Monaten, daß der Krieg wieder ausbrechen wird.
Peter. Ja, das wissen wir schon lange.
Major. Wirklich? in der Residenz weiß man noch nichts davon.
Bitterm. Das ist eben der Spaß, hä! hä! hä!
Peter. Hi! hi! hi!
Major. (ungeduldig) Künftig mehr von Politik. Sagen Sie mir doch, Herr Bittermann, wohnt hier nicht auch eine Freundin meiner Schwester?
Bitterm. Eine Freundin der Frau Gräfin? Daß ich nicht wüßte.
Peter. Ne, die wohnt hier nicht.
Major. Madam Müller –
Bitterm. Ja so, Madam Müller!
Peter. Ja, die wohnt im Schlosse.
Bitterm. Ist aber nur eine quasi Haushälterin.
Major. Eine Fremde, nicht wahr?
Bitterm. Leider blutfremd.
Major. Wo mag sie her seyn?
Bitterm. Ja, lieber Gott! das weiß ich so eigentlich nicht zu sagen.
Peter. Ich auch nicht.
Bitterm. Keiner meiner Correspondenten hat mir darüber Auskunft geben können.
Peter. Mir auch nicht.
Major. Wie lebt sie?
Bitterm. I nu, davon wäre viel zu reden.
Major. (erstaunt) Ihre Aufführung –?
Bitterm. Ich will ihr eben nichts Böses nachsagen, aber als einen alten treuen Diener des hochgräflich Winterseeischen Hauses liegt mir ob, der gnädigen Herrschaft allerlei ins Ohr zu raunen, was den Einkünften merklichen Schaden bringt.
Major. Nun?
Bitterm. Der Herr Graf zum Beispiel wird denken, er habe da noch ein 40 bis 50 Bouteillen von dem alten Hochheimer im Keller liegen? ja, prost die Mahlzeit! Kaum 10 oder 15 mögen noch übrig seyn. Ueber meine Zunge ist kein Tropfen gekommen, nicht. einmal an hohen Festtagen.
Peter. Ich habe auch nichts davon bekommen.
Major. (lächelnd) Nun? Madam Müller wird ihn doch nicht ausgetrunken haben?
Bitterm. Sie selbst nun wohl eben nicht, denn sie trinkt keinen Wein. Aber wenn ein Kranker im Dorfe ist, der sich mit einem Schluck Brantwein behelfen könnte, da schickt sie flugs eine Flasche von dem köstlichen Hochheimer hin. Ich habe ihr verschiedentlich und wiederholentlich Vorstellungen darüber gemacht, aber sie antwortet mir immer ganz schnippisch: »ich will es schon verantworten.«
Major. Ich auch, lieber Herr Bittermann.
Bitterm. In Gottes Namen! mich geht es nichts an. Ich habe dem Keller 20 Jahre lang vorgestanden, von mir haben die Armen keinen Tropfen bekommen.
Peter. Von mir auch nicht.
Bitterm. Und wenn sie auf der einen Seite verschwendet, so knausert sie wieder auf der andern zu unrechter Zeit. Als ich eine Staffette, mit der Nachricht von dem Siege bei Leipzig erhielt, da wollt' ich, als ein ächter Deutscher, meine Freude an den Tag legen; ich bat den Herrn Pfarrer und den Herrn Gerichtshalter zu mir, um in Fröhlichkeit des Herzens ein paar Flaschen Wein mit ihnen auszustechen – Was meinen Sie, hochwohlgeborner Herr Major? da speiste sie mich mit Frankenwein ab.
Major. Unerhört!
Bitterm. Es ist eine wunderliche Frau. Der Umgang mit der Frau Pastorin und der Frau Gerichtshalterin ist ihr nicht gut genug, und dann sitzt sie doch zuweilen wieder mitten unter den Bauerweibern.
Peter. Mitten drunter.
Bitterm. Wir beide vertragen uns noch so ziemlich, denn, unter uns, sie hat ein Auge auf meinen Peter geworfen.
Peter. Ich bin der Peter.
Bitterm. Ein derber Bursche, wie der Herr Major wohl sehen. Er lernt jetzt vom Schulmeister schreiben.
Peter. Auch das Einmal Eins.
Major. Gratulier.
Bitterm. Mich dünkt, ich höre die Silberstimme der Madam Müller auf der Treppe.
Major. (für sich, die Hand auf sein Herz schlagend) Sie kommt.
Bitterm. Wenn der Herr Major gnädigst erlauben – die Anstalten zum Empfange Sr. Excellenz –
Major. Gehn Sie, lieber Herr Bittermann, lassen Sie sich nicht aufhalten.
Bitterm. Wenn Ew. hochfreiherrlichen Gnaden dann und wann die Zeit lang werden sollte – ich kann aufwarten mit Briefen aus allen Ländern. Im Vertrauen, ich habe sogar einen Correspondenten in St. Helena. (unter vielen Kratzfüßen ab mit Peter,)
Der Major allein.
Ich werde sie wiedersehn! – An diesem Augenblicke hängt mein Schicksal! – Nun wird sich's zeigen, ob ich Sieger blieb in dem Kampfe mit meinem Herzen. – Als noch Berg und Thal uns trennte, war meine Vernunft so rüstig und prahlte mit ihrer Heilkunst – aber nun – die Stunde der Prüfung schlägt –
Eulalia. Der Major.
Eul. Ich freue mich, gnädiger Herr, den Bruder meiner Wohlthäterin wieder zu sehen.
Major. (sehr verwirrt) Madam ich bin entzückt (bei Seite) Gott! sie war nie so schön.
Eul. Der Frühling hat den Herrn Grafen vermuthlich aus der Stadt gelockt?
Major. (sich fassend) Das wohl eben nicht. Sie kennen ihn. Ihm gilt es gleich, ob wir Regen oder Sonnenschein, Frühling oder Winter haben, wenn nur in seinem Hause ein ewiger Sommer herrscht, das heißt: eine freundliche Frau, eine gut besetzte Tafel und ein paar lachende Freunde.
Eul. Der Graf ist ein liebenswürdiger Epikuräer.
Major. Er hat den Dienst verlassen, um ganz sich selbst zu leben.
Eul. Das macht ihm Ehre.
Major. Wenn nur die Einsamkeit ihm nicht am Ende lästig wird.
Eul. Ich denke, Herr Major, für den, der ein unbefangenes Herz mit in die Einsamkeit bringt, erhöht sie jede Freude des Lebens.
Major. Zum Erstenmale höre ich das Lob der Einsamkeit aus einem so schönen Munde.
Eul. Sie sagen mir eine Schmeichelei auf Kosten meines Geschlechts.
Major. Noch immer, wie vor drei Jahren, scheint jeder Ausdruck meines Gefühls Ihnen Schmeichelei.
Eul. O nichts davon, Herr Major.
Major. (seufzend) Ihnen zu gehorchen habe ich nicht verlernt.
Eul. Sie waren indessen auf Reisen?
Major. Und Sie eine Einsiedlerin?
Eul. Dank sey es der Güte Ihrer Schwester.
Major. So jung und nie ein leiser Wunsch nach Stadt und Menschengewühl?
Eul. Nie, Herr Major.
Major. Das zeugt von einem sehr gebildeten Geiste, oder von einem wunden Herzen.
Eul. (wendet sich seufzend ab und antwortet nicht)
Major. (nach einer Pause) In der That, Madam ohne Ihrem Geschlechte zu nahe treten zu wollen die Weiber scheinen weniger für die Einsamkeit geschaffen, als die Männer. Wir haben tausenderlei Beschäftigungen, tausenderlei Zerstreuungen, welche Ihnen mangeln.
Eul. Darf ich fragen, welche.
Major. Wir reiten, wir jagen, wir spielen, wir schriftstellern wohl gar ein wenig
Eul. Die edle Jagd, und das noch edlere Spiel räume ich Ihnen willig ein, aber ich fürchte, dabei haben Sie wenig gewonnen.
Major. In der That, Madam, ich wünschte einen Tag lang Zeuge Ihrer Beschäftigungen zu seyn.
Eul. O Sie glauben nicht, Herr Major, wie schnell die Zeit vorüber eilt, wenn eine gewisse Einförmigkeit in unserer Lebensweise herrscht. Ein Tag wie der andere, heute wie gestern, da fragt man sich oft: haben wir heute schon Sonnabend? ist der Monat schon zu Ende? Wenn ich an einem heitern Morgen mir den Kaffe auf den grünen Hofplatz hinaustragen lasse, dann ist mir das süße Bild der auflebenden Geschäftigkeit und Thätigkeit immer neu. Die Schwalben schwirren, das Hausgeflügel kratzt und schnattert, das Vieh wird ausgetrieben, der Bauer zieht hinaus auf's Feld und wünscht mir im Vorübergehen einen freundlichen guten Morgen. Alles lebt und webt in froher Munterkeit. Ich eile nun auch an meine Geschäfte, und eins, zwei, drei ist der Mittag da. Gegen Abend fange ich an herum zu schwärmen, aus dem Garten in den Park, aus dem Parke auf die Wiesen. Ich füttere die Tauben, begieße meine Blumen, pflücke Erdbeeren, suche Kräuter
Major. Alles das sind Freuden des Sommers. Aber der Winter! der Winter!
Eul. O wer wird sich nun gerade den Winter denken als einen Greis in Pelz gehüllt, mit dem Muff in der Hand? Der Winter hat seine eigenen Freuden. Wenn draußen Schnee und Hagel an die Fenster stürmen, so thut einem schon der Gedanke wohl: ich sitze hier im warmen Zimmer. Und dann ist's Zeit, den Bücherschrank zu öffnen. Oder ich lasse mir mein Klavier stimmen, so gut unser Schulmeister das versteht. Meinen Sie, die Stadt biete angenehmere Zerstreuungen? etwa das lästige Visiten geben und empfangen? die Sorge, daß man nicht zurückbleibe in der neuesten Mode? Hier fragt Niemand darnach; für die Frau Pastorin ist meine Haube noch immer nach dem neuesten Geschmack.
Major. Aber man will doch zuweilen ein Menschen-Antlitz sehn?
Eul. Fehlt es mir etwa daran? Den Frohsinn, der mir hier von frischen Wangen entgegen lacht, würde ich in der Stadt vergebens suchen. Und dann hab' ich, außer dem Herrn Bittermann und seinem Peter, bisweilen noch eine ganz eigene Gesellschaft, die mich zerstreut und belustigt, nemlich die Bauerweiber aus dem Dorfe. Die kommen im Winter mit ihren Spinnrädern, da setze ich mich mitten unter sie, und da erzählen sie mir und belehren mich über Flachs und Hanf, über Milch und Butter, und was dergleichen mehr ist. Die guten Seelen haben mich alle so lieb, weil ich sie immer um Rath frage, und weil sie sich dabei so wichtig fühlen.
Major. Wahrlich! Sie verstehen, Honig aus jeder Blume zu saugen.
Eul. (wendet sich ab und seufzt.)
Peter. Die Vorigen. Bald nachher der Greis.
Peter. Ja, ich kann ihn nicht halten, er ist schon auf der Treppe.
Eul. Wer?
Peter. Der alte Tobies. Warum haben Sie mir nicht erlaubt, den Sultan auf ihn zu hetzen? (ab)
Greis. (sich hereindrängend) Ich muß guter Gott ich muß
Eul. (sehr verlegen) Ich habe jetzt keine Zeit, guter Alter. Ihr seht, ich bin nicht allein.
Greis. Ah! der gnädige Herr wird mir verzeihen
Major. Was wollt Ihr?
Greis. Danken will ich! Empfangene Wohlthaten sind ja auch eine Bürde, wenn man nicht danken darf!
Eul. Morgen, lieber Alter, morgen.
Major. Keine falsche Bescheidenheit, Madam. Erlauben Sie ihm, daß er seinem Herze Luft mache, und gestatten Sie mir, Zeuge eines Auftritts zu bleiben, der, redender als Ihr Gespräch, mich belehrt, wie edel Sie Ihre Zeit zubringen. Rede, Alter, rede.
Greis. O, daß jedes meiner Worte Segen auf Sie herab beten könnte! Krank und verlassen lag ich in meiner Hütte, Sturm und Regen drangen hinein, ich hatte keine Decke, meine Füße darein zu wickeln, nur mein alter, treuer Hund wärmte mich. Aber nicht einmal ein Bissen Brod war mir geblieben für den treuen Gefährten meiner alten Tage. Ah! da erschienen Sie mir, in der Gestalt eines Engels! und kräftiger als Ihre Arzneien wirkte die tröstende, liebreiche Stimme, kräftiger als der Wein, durch den Sie mich labten. Ich bin genesen! ich habe meinem Gott gedankt! und nun komme ich zu Ihnen, edle Frau lassen Sie mich meine Thränen auf Ihre wohlthätige Hand weinen, lassen Sie mich Ihre Knie umfassen (er will niederfallen, Eulalia verhindert es). Um Ihrentwillen hat Gott mein Alter gesegnet! Der fremde Herr, der seit drei Monaten unten im Parke wohnt, hat mir einen Beutel mit Gold geschenkt, um meinen Hans loszukaufen. Ich bin auf dem Wege nach der Stadt ich hole meinen Hans dann gibt er mir eine brave Schwiegertochter, dann schaukle ich vielleicht noch Enkel auf meinen Knieen! Und Sie wenn Sie dann an meiner glücklichen Hütte vorübergehen wie wohl wird Ihnen seyn, wenn Sie zu sich sagen: Das ist mein Werk!
Eul. (bittend) Genug, Alter, genug!
Greis. Ja wohl, genug! denn ich kann's doch nicht so von mir geben, wie es hier in meinem Herzen geschrieben steht. Das weiß nur Gott! Er mög' es vergelten! (ab)
Eulalia. Der Major.
Eul. (steht verwirrt mit niedergeschlagenen Augen.)
Major. (sehr bewegt, bei Seite) Nun, du kalte Vernunft, bist du endlich überwunden? Freue dich, mein Herz, du darfst wieder lieben.
Eul. (sich fassend) Sie haben gesehen, Herr Major, wie leicht es auf dem Lande wird, ein wenig Gutes zu thun
Major. Ich habe gesehn, daß (einen Augenblick an sich haltend, dann ausbrechend) daß ich ein Thor war, in die weite Welt zu reisen. um Sie nicht zu sehen.
Eul. (überhörend und ausweichend ) Vermuthlich waren Sie auch in Frankreich?
Major. Ueberall, nur da nicht, wo ich hätte seyn sollen. Madam, verzeihen Sie mir eine Frage. Ich thue sie weiß Gott nicht aus leerer Neubegier; Sie waren (ängstlich) oder sind verheirathet.
Eul. (schmerzlich betroffen) Ich war verheirathet.
Major. Also Witwe?
Eul. Ich bitte Sie es gibt Saiten im menschlichen Leben, deren Berührung einen so traurigen Mißton hervorbringt ich bitte Sie, Herr Major
Major. (seufzend) Ich schweige!
Bittermann und Peter reissen die Thüren auf. Es treten herein der Graf und die Gräfin mit ihrem Kinde an der Hand.
Graf. Nun, da wären wir. Gott segne unsern Eintritt! Madam Müller, ich bringe Ihnen einen Invaliden, der künftig nur zu Ihrer Fahne schwören will. (er umarmt sie)
Eul. Meine Fahne weht für die Einsamkeit.
Graf. Und ist mit Liebesgötterchen auf allen Seiten bemahlt.
Gräfin. (welche indessen Eulalien freundschaftlich umarmt und von ihr bewillkommt wird) Sie vergessen, Herr Gemahl, daß ich zugegen bin.
Graf. Zum Henker, Frau Gemahlin, ich kann doch nicht weniger thun, als Ihr süßer Herr Bruder? der hat meine vier Schimmel halb todt gefahren, um nur ein paar Minuten früher anzukommen.
Major. (für sich) Und kam doch viel zu spät!
Gräfin. (zu Eul.) Ist mein Wilhelm nicht recht groß geworden?
Eul. Das süße Kind! (sie kauert sich zu ihm nieder und tiefe Melancholie überzieht ihr Gesicht.)
Graf. (indem er sich den Oberrock ausziehen läßt) Nun, Bittermann, ich hoffe, er hat für eine gute Mahlzeit Sorge getragen?
Bitterm. So gut sich's in der Eile hat wollen thun lassen.
Gräfin. (leise zu dem Major) Herr Bruder, du stehst ja da wie ein Poet, der einen schweren Reim sucht?
Major. Du hast Recht. Alles, was ich that, war ungereimt. Ich habe mit dir zu reden.
Gräfin. Nur jetzt nicht. (laut) Mein Gott! ich habe noch tausenderlei zu besorgen. Das erste und wichtigste, mein Kopfputz. Ich wette, daß der Pastor und der Amtmann mir heute ihre unterthänige Aufwartung machen werden; da muß man wohl den Spiegel ein wenig zu Rathe ziehen. Komm, Wilhelm, wir wollen uns ankleiden. Auf Wiedersehn, liebe Madam Müller. (sie geht mit dem Kinde ab)
Major. (für sich) Mir ist seltsam zu Muthe. (er will gehn.)
Graf. Wohin, Herr Schwager?
Major. Auf mein Zimmer.
Graf. Ei so bleiben Sie doch! wir wollen vor dem Essen noch einen Spaziergang in den Park machen.
Major. Verzeihen Sie. Es spazieren mir so viele Dinge im Kopfe herum ich wünsche allein zu seyn. (ab)
Graf. Nach Belieben. (er hat sich behaglich in einen Sessel geworfen.)
Eul. (steht an der Seite, hat ihren Strickstrumpf hervorgezogen, und wischt sich dann und wann eine Thräne aus den Augen.)
Graf. Nun, Bittermann? ist er noch immer so ein närrischer Kerl?
Bitterm. Ew. hochgräflichen Excellenz unterthänigst aufzuwarten.
Graf. Ich denke, wir wollen recht viel Spaß mit einander haben.
Bitterm. Das wollen wir, geliebt es Gott.
Graf. (auf Peter zeigend) Wer ist denn der große Maulaffe da?
Bitterm. Das ist, mit Respekt zu melden, mein leiblicher Sohn, mit Namen Peter.
Peter. (macht Kratzfüße.)
Graf. So, so wie sieht's denn in der Wirthschaft aus.
Bitterm. Alles wohl und gut. Habe, ohne mich zu rühmen, gearbeitet wie ein Pferd.
Graf. Warum nicht lieber wie ein Esel?
Bitterm. Oder wie ein Esel, wenn Ew. hochgräfliche Excellenz so befehlen. Das Heu ist dieses Jahr trefflich gerathen, auch die Felder prangen mit Gottes Segen; nur das liebe Obst haben die Raupen verzehrt.
Graf. Wie steht's mit der Jagd?
Bitterm. Federwildpret in Menge, und im Frühjahr haben die Hasen dem Roggengras weidlich zugesprochen.
Graf. Ist er auch ein Jäger?
Bitterm. Vor diesem wohl; aber seit 4 Jahren, als mir das Unglück begegnete, daß ich drei zahme türkische Gänse schoß, die ich für Trappen ansah, habe ich keine Flinte wieder losgebrannt. Mein Peter schießt zuweilen Sperlinge.
Peter. Ich schieße Sperlinge.
Bitterm. Ich habe lieber nebenher für Ew. hochgräflichen Excellenz hohes Plaisirchen gesorgt. Den Park sollen der Herr Graf sehn, wie ich den zugestutzt habe! Sie werden ihn nicht wieder kennen. Eine Einsiedelei, krumme Gänge, ein Obelisk, Ruinen eines alten Raubschlosses. Und Alles mit Oekonomie, Alles mit der sparsamsten Sparsamkeit Hä! hä! hä! Da hab ich zum Exempel über den Bach eine chinesische Brücke gebaut. Was meinen der Herr Graf, wo ich das Holz dazu hernahm? Hä! hä! hä! von dem alten eingefallenen Hühnerstalle.
Graf. Den hatte meine selige Großmutter noch gebaut. Das Holz muß verdammt mürbe seyn. Und die Brücke steht noch?
Bitterm. Sie steht noch bis auf den heutigen Tag.
Graf. (aufstehend) Nun, ich will doch die Herrlichkeiten besehen. Laß er unterdessen die Tafel decken.
Bitterm. Ist schon besorgt. Werde die Ehre haben, Ew. Excellenz unterthänigst zu begleiten.
Peter. Werde auch die Ehre haben.
Graf. (im Abgehn) Sie sind ja so fleißig, liebe Madam Müller, als ob Sie Ihr Brod mit Stricken verdienen müßten.
Eulalia allein.
Was ist's, das mich so fürchterlich erschüttert hat? mein Herz blutet, meine Thränen fließen. – Schon war es mir gelungen, Herr über meinen Kummer zu scheinen, und mindestens jene frohe Laune zu erheucheln, die mir einst so eigen war – ach! da schlägt der Anblick dieses Kindes mich tief zu Boden! – Als die Gräfin den Namen Wilhelm nannte – ach! sie wußte nicht, daß sie mir einen glühenden Dolch durch's Herz stieß! – Ich habe auch einen Wilhelm – er muß jetzt so groß seyn als dieser, wenn er noch lebt – Ja, wenn er noch lebt! Wer weiß, ob er und meine kleine Amalie nicht schon lange vor Gottes Richterstuhl Wehe! über mich schreien! – Laß ab, mich zu quälen, düstre Phantasie! ich höre das hülflose Wimmern meiner Kinder – ich sehe sie kämpfen gegen Blattern und Maserngift – lechzend mit dürrer Zunge nach einem Trunke, den die Hand eines Miethlings ihnen darreicht – vielleicht auch versagt! – Denn ach! – sie sind ja verlassen von ihrer unnatürlichen Mutter! (bitterlich weinend ) Oich bin ein elendes, verworfenes Geschöpf! und daß eben heute, da mein Gesicht einer Larve so bedürftig war
Lotte. Eulalia.
Lotte. (im Hereintreten zur Thür hinausbelfernd) Nun ja, das wäre mir eben recht. Warum nicht lieber gar in den Stall? Ihre Dienerin, Madam Müller. Ich bitte mir ein Zimmer aus, wie es sich für eine honnette Person geziemt.
Eul. (sich fassend) Ich denke, man hat Ihnen ein recht artiges Zimmerchen eingeräumt?
Lotte. Ein artiges Zimmerchen? seht doch? hinten an der Treppe, gerade über dem Kuhstalle? Fi! da könnt' ich vor Gestank kein Auge zuthun.
Eul. (sehr gelassen) Ich habe selbst ein ganzes Jahr lang da geschlafen.
Lotte. Wahrhaftig? nun so rathe ich Ihnen, je eher je lieber wieder hinein zu ziehen. Meine liebe Madam, es ist ein großer Unterschied zwischen gewissen Personen und gewissen Personen. Es kommt gar viel darauf an, wie man es von Jugend auf gewohnt gewesen. Mein seliger Papa war Hofkutscher und trug die Livree seiner Durchlaucht. Gewisse Personen sind so aus der Luft heruntergeschneit
Eul. (mit einem tiefen Athemzuge der Erholung) Gott Lob! so etwas war nöthig.
Lotte. Ich dächte, Madam, Sie träten mir Ihr Zimmer ab.
Eul. Wenn die Frau Gräfin es befiehlt, recht gern.
Lotte. Wenn die Frau Gräfin es befiehlt? seht doch! wer wird denn die hohen Herrschaften mit solchen Bagatellen überlaufen?
Peter. Die Vorigen.
Peter. (stürzt athemlos herein) Ach Herr Jemine! ach Herr Jemine!
Eul. Was gibts?
Peter. Die Excellenz ist ins Wasser gefallen! die Excellenz ist ersoffen!
Eul. und Lotte zugleich. Wer? was?
Peter. Der gnädige Herr Graf
Eul. Ist ertrunken?
Peter. Ja.
Eul. Todt?
Peter. Ne, todt ist er nicht.
Eul. So schreien Sie nur nicht so, daß die Frau Gräfin nichts davon erfährt.
Peter. Ich nicht schreien? ach Herr Jemine! die Excellenz trieft wie ein Pudelhund!
Die Gräfin. Der Major (von verschiedenen Seiten.) Die Vorigen.
Gräfin. Was gibt's?
Major. Welch' Geschrei!
Eul. Ein Unfall, gnädige Gräfin, ich vermuthe, ein unbedeutender Zufall. Der Herr Graf ist dem Wasser zu nahe gekommen und hat sich die Füße ein wenig naß gemacht.
Peter. Die Füße? ja, prost die Mahlzeit! bis über den Kopf ist er hinein geplumpt.
Gräfin. Barmherziger Gott!
Major. Ich eile
Eul. Bleiben Sie, Herr Major. Beruhigen Sie sich, gnädige Frau. Was auch geschehen sey, der Herr Graf ist zum mindesten gerettet. Nicht wahr, Mosje Peter?
Peter. Mein Six! die Excellenz ist eben nicht todt, aber sie ist sehr naß.
Gräfin. Rede, junger Mensch!
Major. Erzähle!
Peter. Wir gingen am Bache hinunter, ich, mein Papa und der Herr Graf; da kamen wir an die chinesische Brücke, die mein Papa aus dem alten Hühnerstalle zusammengeschlagen hat. Da ging nun der Herr Graf auf die Brücke, und da sagte er, es wäre recht fein und lieblich anzusehen, wie der Bach sich durch den Busch schlängelte, und da lehnte er sich ein wenig auf das Geländer krach! brach das Geländer entzwei, plumps! lag die Excellenz im Wasser.
Eul. Aber Sie zogen ihn doch gleich wieder heraus?
Peter. Ich nicht.
Eul. Aber der Papa?
Peter. Der Papa auch nicht.
Eul. Sie ließen ihn liegen?
Peter. Ja, wir ließen ihn liegen. Aber wir schrien beide aus Leibeskräften.
Eul. Und da eilten Leute herbei?
Peter. Der fremde Herr kam, der dort unten neben dem alten Tobies wohnt und immer kein Wort spricht. Das ist ein Teufelskerl! mit einem Sprunge war er im Wasser, schwimmen kann er wie eine Ente. Flugs erwischte er die Excellenz bei den Haren und schleppte sie glücklich an's Ufer.
Gräfin. Gott segne den fremden Mann!
Major. Wo bleiben sie denn Alle?
Peter. Sie kommen die Allee herauf.
Eul. Auch der Fremde?
Peter. Nein Sir! der lief davon. Der Herr Graf wollte sich bei ihm bedanken, aber er war schon über alle Berge.
Der Graf. Bittermann. Die Vorigen.
Gräfin. (ihrem Gemahl mit offnen Armen entgegen eilend) Ah, mein Bester!
Graf. Drei Schritte vom Leibe! Sie sehen ja, daß ich triefe.
Gräfin. Um Gotteswillen! geschwind trockne Wäsche!
Graf. Nun ja, ja! Seyn Sie ruhig, es hat keine Gefahr. Ein alter Soldat ist wohl eher ein bischen in der Schwemme gewesen. Aber es hätte übel ablaufen können, wenn nicht der großmüthige Fremde wer ist der Mann? wer kennt ihn? Bittermann hat mir allerlei verworrenes Zeug vorgeschwatzt
Eul. Man kann nicht klug aus ihm werden. Er kam vor einigen Monaten in diese Gegend und miethete von Bittermann das kleine Sommerhaus am Ende des Parkes. Da lebt er ganz im Stillen, sieht Niemand, spricht mit Niemand. Ich selbst sah ihn nur ein paar Mal von ferne. Scheu und gebückt schleicht er umher, und weicht Jedermann aus, allein er thut viel Gutes im Verborgenen.
Graf. Lotte, geh' hin und bitt' ihn auf den Abend zum Essen. Er möchte vorlieb nehmen, er käme in das Haus eines Freundes. (Lotte ab)
Gräfin. Sie vergessen, sich umzukleiden.
Graf. Gleich, gleich.
Gräfin. Und niederschlagendes Pulver einzunehmen. (zu Eulalien) Sie haben doch welches im Hause?
Eul. (nach ihren Schlüsseln greifend) Augenblicklich. (ab)
Graf. Ich habe den Henker von Ihrem Pulver. Ein Glas Mallaga, um das Blut zu erfrischen. Hör' er, Bittermann, das muß ich ihm nachsagen, er hat eine helle, durchdringende Stimme, er kann brüllen, daß man's unter dem Wasser hört.
Bitterm. (noch sehr verzagt) Ew. hochgräflichen Excellenz unterthänigst aufzuwarten.
Graf. Aber mit seiner chinesischen Brücke kann er zum Teufel gehn! (ab. Die Gräfin und der Major folgen)
Bittermann. Peter.
Bitterm. (trübselig) Peter!
Peter. (eben so) Papa!
Bitterm. Wie seh' ich aus?
Peter. Wie unsere selige Frau Muhme, wenn die Gurken erfroren waren.
Bitterm. Ach ich zitt're noch am ganzen Leibe.
Peter. Die ganze Brücke hat gezittert.
Bitterm. Warum sprangst du denn nicht ins Wasser?
Peter. Warum ist der Papa nicht selber gesprungen?
Bitterm. Meine Corpulenz hinunter wäre ich gesunken, wie ein Stück Blei.
Peter. Ich bin ja auch kein Korkstöpsel.
Bitterm. Ah, Peter, komm in meine Arme!
Peter. Na, was soll ich denn da? trink er lieber ein Gläschen Kümmel auf den Schrecken.
Bitterm. Meinst du, Peter? Ach ja! edler Kümmel! Sorgenbrecher! (er wankt fort)
Peter. Was gilt's, mir gibt er keinen Tropfen. Und wenn ich nicht so geschrien hätte, so wäre die Excellenz nun mausetodt. (ab)