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Vierter Act.

Erste Scene.

Crustiew, Baturin und ein Haufen Verschworner (in Crustiews Zimmer. Sie stehen theils in Gruppen, theils gehen sie unruhig auf und nieder).

Erster Verschw. Er kommt noch nicht.

Zweiter Verschw. Es ist schon dunkel.

Crust. Seid unbesorgt, er kommt gewiß.

Dritter Verschw. Tschulosnikoff ist verwegen.

Crust. Benjowsky kühn.

Erster Verschw. Der Gouverneur streng.

Crust. Aber nicht mißtrauisch.

Zweiter Verschw. Er wird es werden.

Crust. Wenn auch, die Stunde der Erlösung ist nicht mehr fern.

Erster Verschw. Ich habe zehn Jahr darnach geschmachtet.

Zweiter Verschw. Ich sieben Jahr.

Dritter Verschw. Ich siebzehn.

Crust. Ich zwei und zwanzig. Denkt euch, Brüder! den süßen Augenblick, wenn wir die Küsten eines freien Landes betreten, wo kein Schnee uns hindert, den Boden zu küssen, und die fruchtbare Erde unsere Freudenthränen einsaugt. Heil! Heil unserm Retter!

Alle. Heil ihm!

Step. (stürzt herein). Wir sind verloren!

Alle. Was gibt's?

Step. Verrathen!

Alle. Verrathen?

Step. Euer Held Benjowsky hat sich die Freiheit erschlichen.

Alle. Wie das? rede! erzähle!

Step. Der Gouverneur gibt ihm seine Tochter zum Weibe.

Erster, zweiter, dritter Verschw. Nun?

Step. Nun? Strohköpfe! folglich hat er uns verrathen.

Crust. Das Folglich ist mir noch nicht klar.

Step. Nicht? Warum ist er frei? Es muß immer etwas Großes sein, ein Verdienst um den Staat; und welches andere wäre wohl in seiner Gewalt, als das Verdienst der Verräterei? – Schwatzen kann er; mit seiner Zunge hat er uns gefangen wie ein Specht die Bienen. Zuerst hat er den Alten bethört, (auf Crustiew zeigend) und der Alte hat uns bethört. Mit Russenblut bezahlt er seine Freiheit, bespritzt er sein Ehebett! Heute sieht er uns zum Richtplatz führen, und morgen feiert er sein Hochzeitfest. Ha! Rache! Rache über den Verräther!

Alle. Rache! Rache!

Step. Sterben müssen wir, doch zuvor Benjowsky.

Alle. Er muß sterben!

Crust. Nicht so rasch, meine Brüder!

Step. Welche Rache schwuren wir dem Meineid? sprecht!

Alle. Den Tod! den Tod!

Crust. Sterben muß er, wenn er schuldig ist. Ich selbst, ich alter Mann, will meine letzte Kraft zusammen raffen, das Mordgewehr in seine Brust zu stoßen. Doch hören müßt ihr ihn! Hat dieser Mann geheuchelt, hat dieses Auge Biedersinn gelogen: so fahre wohl mein Glaube an Redlichkeit und Treue! Ich halte ihn für schuldlos – Hören müßt ihr ihn!

Step. So rede, alter Schwätzer! vertheidige ihn!

Crust. Nicht ich, er selbst muß reden, ihn müßt ihr hören.

Step. Ihn selbst? meinst du, Thor, er werde wagen, noch einmal unter uns zu erscheinen?

Zweite Scene.

Vorige. Benjowsky.

Benj. (tritt herein).

Crust. Da ist er.

Step. Ha! (Den Säbel ziehend.) Nieder mit ihm!

Alle (ziehen die Säbel). Stoßt den Verräther nieder!

Crust. (wirft sich über Benjowsky). So fahre euer Schwert zuerst durch meine Brust. Zurück, Brüder! er ist in eurer Gewalt, ihr müßt ihn hören! Zurück! er kann euch nicht entwischen.

Batur. Crustiew hat Recht, besetzt die Thür.

Benj. Laß mich, Crustiew. Was wollt ihr?

Step. Dein Blut.

Benj. Hab' ich es eurer Freiheit nicht gewidmet? bin ich nicht ein Glied eures Körpers?

Step. Ein Giftgeschwür. Verantworte dich!

Benj. Worauf?

Step. Bist du frei?

Benj. Ja!

Step. Will der Gouverneur dir seine Tochter zum Weibe geben?

Benj. Ja!

Step. Nun Brüder? hab' ich gelogen, was bedarf es weiter Zeugniß? Rache! Rache!

Alle (schwingen die Säbel). Rache! Rache!

Crust. Halt! – Du siehst, Benjowsky, wir begreifen dich nicht, löse uns das Räthsel.

Benj. Ich errathe euch. Würde ich wohl so ruhig hier erscheinen, wenn ich wäre, wozu dieser Bösewicht mich machen will? Seht mir in's Gesicht. Schwimmt Verrätherei in meinen Blicken, leset ihr Gewissensangst in meinen Zügen?

Step. Armseliges Geschwätz!

Benj. Armseliger Schwätzer! – Hört mich, Brüder, und richtet dann. Ich ging zum Gouverneur. Ihr wißt warum. Seine Tochter liebt mich. Er liebt seine Tochter. Sehr natürlich, daß sie um meine Freiheit bat; sehr natürlich, daß der Vater sie bewilligte. Er umarmte mich als seinen Eidam. Was sollt' ich thun? diese Ehre ausschlagen? warum? ich hätte Gründe geben müssen! und welche? War Verstellung hier nicht Nothwehr? Kann meine Freiheit euch nicht doppelt nützen?

Step. Du lügst!

Benj. Ich verachte dich! – Brüder, ich stehe mitten unter euch ohne Wehr und Waffen. Hab' ich euch verrathen, so muß ja wohl in wenig Augenblicken die Wache unser Dorf umzingeln. Dann stoßt mich nieder.

Crust. Er ist unschuldig.

Alle. Er ist's. (Sie stecken ihre Schwerter wieder ein.)

Step. (wüthend). Wirst du, verlarvter Bösewicht, denn immer triumphiren? Nimm ein Schwert! Ich fordere dich zum Zweikampf. Gott sei Richter zwischen mir und dir. Ist dein Gewissen rein, so tritt hervor!

Benj. Gebt mir ein Schwert.

Crust. Mit nichten! wir dulden es nicht. Dein Leben ist uns theuer. Stepanoff wird von der Eifersucht gepeitscht.

Step. Benjowsky ist ein Zungenheld.

Benj. (hitzig). Gebt mir ein Schwert!

Batur. (tritt zwischen sie). Halt! – ich schweige nicht länger. (Auf Stepanoff zeigend.) Dieser hier ist der Verräther.

Step. (erschrickt).

Alle. Was? was ist das?

Batur. (zu Stepanoff). Sieh' mir steif in's Auge.

Step. (verwirrt). Was willst du von mir?

Batur. Seht, wie die glühende Wange bekennt. Sein Blut ist aufrichtiger als seine Zunge. Was ich von dir will? Sagen will ich, was du von mir wolltest.

Alle. Rede! Rede!

Batur. Vor wenig Stunden, Brüder –

Step. Glaubt ihm nicht, er lügt.

Batur. Kam er wüthig in meine Hütte –

Step. Narr, ich war betrunken.

Batur. Fluchte auf Benjowsky.

Step. Männer fluchen, alte Weiber beten.

Batur. Schrieb einen verrätherischen Brief.

Step. (spöttisch). Hast du ihn gelesen?

Batur. Ich weiß den Inhalt aus deinem Munde –

Step. Narr, ich hielt dich nur zum Besten.

Batur. Ich sollte den Brief bestellen –

Step. Du hast geträumt.

Batur. Er war schwanger mit Benjowskys Tode und eurem Untergang.

Alle. Weiter! weiter!

Batur. Ich weigerte mich; er bat und drohte um die Wette. Endlich warf er mir ein Goldstück auf den Tisch, damit ich schweigen sollte.

Step. Ist das Mährchen bald am Ende?

Batur. So stürzte er fort, ich hab' ihn nicht wieder gesehen.

Alle. Verräther! Bösewicht!

Step. Er hat gelogen.

Erster, zweiter, dritter Verschw. (die Säbel ziehend). Stoßt ihn nieder!

Benj. Halt! entwaffnet, bindet ihn, aber auch ihn müßt ihr hören.

Erster, zweiter, dritter Verschw. (nehmen Stepanoff sein Schwert und binden ihm die Hände).

Step. (sträubt sich vergebens).

Alle. Der Brief! wo ist der Brief!

Benj. Stepanoff, du hörst die Frage deiner Bundesbrüder, antworte.

Step. (störrisch). Ich weiß von keinem Briefe.

Benj. Bekenne oder zitt're!

Step. (mit einem Blick voll Verachtung). Zittern, vor dir?

Erster, zweiter, dritter Verschw. Haut ihn nieder!

Benj. Zurück! führt ihn fort! bewacht ihn im Nebenzimmer.

Step. (knirschend, indem er seiner Wache folgt). Kommt denn kein Teufel aus der Hölle mir zu Hilfe?

Benj. Gelassen, meine Brüder! ein Mord ist schnell vollbracht, und Jahre büssen oft den raschen Augenblick. Ist gleich Baturins Zeugniß ehrlich, so mangelt euch doch Stepanoffs Bekenntniß.

Batur. Ich beschwöre meine Aussage, diese Hand soll verdorren, wenn ich falsch Zeugniß rede.

Benj. Nicht genug. Hast du den Brief gelesen?

Batur. Nein.

Benj. Ich bitte euch, Brüder, verfahrt gelinde. Verzeihung dem Feinde ist eine Aussaat, die oft reiche Ernte trägt.

Wir wollen uns begnügen, ihm ein Schrecken einzujagen; vielleicht erpressen wir sein reuiges Bekenntniß!

Crust. Edler Mann! sei du sein Richter, handle nach Gefallen.

Benj. Seid ihr es zufrieden?

Erster, zweiter, dritter Verschw. Ja! ja!

Benj. Wohlan, so bringt mir einen Becher mit Wasser.

Erster Verschw. (bringt einen Becher mit Wasser).

Benj. (setzt den Becher auf einen Tisch, in der Mitte der Bühne). Ich kenne Stepanoffs Krankheit, ich allein kann sein Arzt sein. Führt ihn her.

Erster Verschw. (bringt Stepanoff).

Benj. Tritt näher, Stepanoff. Du bist der Verrätherei überwiesen, du hast, wie wir, dem Verräther Tod geschworen. Sprich selbst dein Urtheil.

Step. Mein Schicksal ist in meines Feindes Hand.

Benj. Du irrst. Alle deine Brüder haben dich verdammt, bekenne.

Step. Ich will nicht.

Benj. Du hast nur wenig Augenblicke noch zu leben, bekenne.

Step. Ich will nicht.

Benj. Du hassest mich?

Step. Ja.

Benj. Was that ich dir?

Step. Nichts.

Benj. Und doch hassest du mich.

Step. Ja.

Benj. Und willst nicht bekennen?

Step. Nein.

Benj. Wohlan, auch Schweigen ist Bekenntniß. Hier steht ein Becher mit Gift, trink' ihn aus.

Step. (trotzig um sich schauend). Brüder, ist das euer Wille?

Erster, zweiter, dritter Verschw. Allerdings!

Step. Mich wollt ihr diesem Fremdling opfern?

Erster, zweiter, dritter Verschw. Trinke! trinke!

Step. Ha! wie sie dursten. Meint ihr, der Tod sei ein Fastnachtsgespenst, und ich ein Kind, das vor ihm läuft? – Ich will trinken. Vorher ein Wort zu dir, Benjowsky! dich hasse ich! dich verabscheue ich, deinen Tod hab' ich gesucht, nicht den Tod dieser Männer. Du thust recht, daß du mich aus dem Wege räumst; du thust recht, daß du diese Faust in Bande schnürst! denn wäre sie frei, bei Gott! der erste Gebrauch ihrer Freiheit wäre ein Stoß nach deinem Herzen!

Erster, zweiter, dritter Verschw. Haut ihn nieder!

Benj. Halt! was wollt ihr von ihm? mich allein hat er beleidigt, und mich ernanntet ihr zu seinem Richter. Man bind' ihn los, ich verzeihe ihm.

Step. Umsonst, Graf Benjowsky! Du verschwendest deine verdammte Großmuth. Ich hasse dich! Wir dürfen nicht neben einander stehen! Einer von uns muß fallen! Gib mir den Tod!

Benj. Bindet ihn los.

Erster Verschw. (bindet Stepanoff los).

Benj. Du bist frei.

Step. Bin ich es? so gebt mir ein Schwert, daß ich meinen Henker niederstoße. (Er will einem der Umstehenden das Schwert entreißen.)

Erster, zweiter, dritter Verschw. (hindern Stepanoff, das Schwert zu nehmen).

Crust. Unsinniger!

Benj. Laßt ihn. Stepanoff, ich kenne den Wurm, der dir am Herzen nagt. (Er zieht ihn auf die Seite.) Sieh', das ist das Bild meiner Gattin.

Step. Deiner Gattin?

Benj. Ich bin verheirathet.

Step. Verheirathet?

Benj. Bin Vater.

Step. Du?

Benj. Und liebe mein Weib.

Step. Gott!

Benj. Kann also nie Afanasjens Hand annehmen.

Step. (gewaltsam erschüttert, in Thränen ausbrechend, und Benjowsky umarmend.). Benjowsky! – Ich muß hinaus in's Freie. (Er stürzt fort.)

Erster, zweiter dritter Verschw. Ihr laßt ihn fort?

Benj. Seid ruhig, er ist unser.

Erster, zweiter, dritter Verschw. Seltsam! unbegreiflich!

Benj. Sehr natürlich. Ein seidener Faden lenkt auch den Starrkopf, wenn man nur weiß, wo dieser Faden angeknüpft ist.

Wasili (tritt eilig herein). Fräulein Afanasja kommt zu Fuß und ganz allein. Sie will Euch sprechen.

Benj. Afanasja? was bedeutet das? Entfernt euch, meine Brüder, hier durch die Hinterthür.

Alle (ab).

Dritte Scene.

Benjowsky. Afanasja.

Benj. (betroffen). Bei Nacht? allein? zu Fuß? so sittsam, schüchtern? und so kühn? –ich ahne nichts Gutes.

Afan. (fliegt athemlos in seine Arme). Ach! ich kann nicht mehr!

Benj. (läßt sie auf einen Stuhl sinken). Was ist Ihnen? woher –

Afan. Ich bin gelaufen, geflogen –

Benj. Warum?

Afan. Man wird keinen meiner Fußtapfen im Schnee erkennen –

Benj. Um Gotteswillen –

Afan. Fühlen Sie mein Herz, wie es pocht – (Er legt seine Hand auf ihre Brust.)

Benj. Erholen Sie sich –

Afan. Ja, ja – es wird schon leichter – es wird schon besser – ich sehe Sie ja wieder – meine Angst verschwindet –

Benj. Ohne Pelz in dieser Kälte.

Afan. Ohne Pelz? wahrhaftig – – Aber mir ist warm, sehr warm –

Benj. Weiß Ihr Vater –

Afan. Niemand weiß – ich allein – die Minuten waren kostbar –

Benj. Erklären Sie mir –

Afan. Gleich! Gleich – (tief Athem schöpfend). –Ah! Geduld, – ach! nun ist's vorüber.

Benj. Sie erschrecken mich. –

Afan. Nicht doch – Sie sind ja hier – es wird wieder hell um mich – ich war ein Kind –

Benj. Diese Räthsel –

Afan. (steht auf, tritt vor Benjowsky, faßt seine beiden Hände, und sieht ihm scharf, doch gutmüthig in's Gesicht). Benjowsky!

Benj. Warum dieser forschende Blick?

Afan. (nach einer Pause). Nein, es ist nicht wahr, er hat gelogen.

Benj. Wer?

Afan. Lachen Sie mich aus, lieber Graf, ich bin eine leichtgläubige Närrin. Mein Kammermädchen – sie hat einen Liebeshandel – Verliebte sagt man, necken gern – da hat er ihr weiß gemacht – aber Sie müssen nicht böse werden.

Benj. Nur weiter.

Afan. Ich erschrack, und ohne Ueberlegung rannte ich fort. Schelten Sie, lachen Sie, ich hab' es verdient.

Benj. Sie machen mich ungeduldig.

Afan. Gewiß, lieber Graf, ich bin nun wieder ganz ruhig, ganz ruhig, wenn ich Sie ansehe, so schäme ich mich zu bekennen – aber es muß doch heraus. – Lassen Sie mein Gesicht an Ihrem Busen ruhen, damit ich freier reden kann. Man sagt – Sie wären das Haupt einer Verschwörung – Sie wollten fliehen – meines Vaters Güte mit Undank lohnen – mich verlassen! (Sie verläßt ihre schüchterne Stellung) So, nun wissen Sie alles, nun kein Wort weiter. Beschämen Sie mich nicht noch mehr durch eine Vertheidigung. Nichts, nicht einmal nein sollen Sie sagen.

Benj. (erschüttert). Afanasja!

Afan. Kein Wort! keine Sylbe! Ich würde den schlagen, der es der Mühe werth hielte, Sie zu vertheidigen.

Benj. Ich muß –

Afan. Schweigen, oder ich halte Ihnen den Mund zu. Weg mit der ehrbaren Falte hier und hier. Aber lachen dürfen Sie, lachen über das alberne, kindische Mädchen. Einen Kuß der Versöhnung, und ich hüpfe froh nach Hause.

Benj. Das ist zu viel! Wer könnte diesen Engel täuschen! Gutes, harmloses Geschöpf! – Man hat dich nicht betrogen.

Afan. Nicht?

Benj. Ich muß fliehen –

Afan. (erblassend.) Fliehen –

Benj. Vielleicht morgen schon –

Afan. Gerechter Gott!

Benj. Mich bindet ein gräßlicher Eid.

Afan. Arme Afanasja!

Benj. Sieg oder Tod schwur ich den Gefährten meiner Leiden.

Afan. Arme, betrogene Afanasja!

Benj. Den Meineid rächt der Tod.

Afan. (die Hände ringend). Mir, mir den Tod!

Benj. Ich kann nicht zurück, ich darf nicht um mich schauen – mein Herz blutet – aber ich muß vorwärts!

Afan. Alles verloren!

Benj. Zersprengen will ich diese Kette, nur meine Leiche soll ein Sklave bleiben! Ich wage viel durch dies Bekenntniß, doch dein gutes Herz betrügen konnte ich nicht. Jetzt bin ich in deiner Gewalt. Geh', entdecke deinem Vater, was du hörtest –

Afan. (weinend). Benjowsky! diesen Argwohn hab' ich nicht um Sie verdient. Wenn Sie mich nicht lieben – wenn Sie fern von mir in einem andern Welttheil glücklich sind; so sollen Sie doch immer mit Wehmuth an mich denken. Mein Geist, der Sie überall umschweben wird, soll das Bekenntniß oft von ihrer Lippe haschen: Afanasja war kein unedles Geschöpf!

Benj. Ach! nur die Trennung von dir wird meinem Herzen schwer!

Afan. Ich werde sterben – ich habe einen Augenblick lang gelebt – man lebt nur, wenn man liebt. – O du Verklärte! nimm mich auf in deine mütterlichen Arme!

Benj. (sehr bewegt). Sei großmüthig, Afanasja! schone mich!

Afan. Sie sind gerührt? – Lieber Graf! bleiben Sie bei mir! – Lieber Benjowsky! bleib bei mir! Es kann dir doch nimmer wohl sein, wenn du an meinen Jammer denkst. Jedes frohe Gemälde würde mein blasses Bild entstellen. Bleib' unter uns! bist du nicht schon frei? Meine heiße Liebe soll dir Blüten aus diesen kalten Steppen locken. Meine starke Liebe soll kämpfen mit der Sehnsucht nach deinem Vaterlande. Ich werde mich bilden, ich werde alles von dir lernen, und du wirst von mir lieben lernen.

Benj. Du folterst mich –

Afan. Sieh, ich klage nicht, ich weine nicht. Muß doch dein Herz das Urtheil sprechen, was hab' ich denn zu fürchten? Vertrauen ist die Münze, mit der man edle Seelen erkauft. Ich vertraue dir, du wirst mich nicht verlassen.

Benj. Meine Bundesbrüder werden mich tödten –

Afan. Komm mit mir! die Gewalt meines Vaters und der Arm der Liebe werden dich schützen.

Benj. Soll ich meine Freunde treulos opfern?

Afan. Ich will meines Vaters Knie umfassen, keinem soll ein Haar gekrümmt werden. Und wäre ihr Urtheil schon mit Blut geschrieben, so sollen meine Thränen die Worte verlöschen.

Benj. (gepreßt). Ich kann nicht!

Afan. Du kannst, ja, du wirst! Was suchst du unter fremdem Himmel? Freiheit? – hat die Liebe nicht schon deine Fesseln zerbrochen? – Schätze? – wirst du nicht meines Vaters Erbe? – Liebe? – o die findest du nirgends wie hier in dieser treuen Brust! – Du meine erste und einzige Liebe! – willst du dein Schiff mit meines Vaters Fluch beladen? willst du in jedem Säuseln des Windes meine Seufzer hören? – ach! und doch – bei jedem Sturm würd' ich am Ufer niederknien, für deine Rettung beten!

Benj. Laß ab! laß ab! ich liebe dich! bei Gott! ich liebe dich! aber –

Afan. Hat die Liebe auch ein aber?

Benj. Ich kann dich nicht betrügen.

Afan. Das wirst du nicht.

Benj. Du mußt alles wissen –

Afan. Noch mehr?

Benj. Sieh' dieses Bild – ich bin verheirathet – es ist mein Weib.

Afan. Ha! (Sie sinkt erschöpft in einen Sessel.)

Benj. (lehnt sich an die Mauer und verbirgt sein Gesicht).

Afan. (Pause. Ihr Busen hebt sich schnell, sie kämpft mit sich selbst. Entschlossen steht sie auf und spricht:) Wohlan, ich entsage dir. (Ihm die Hand reichend) Mein Bruder! darf ich so dich nennen?

Benj. (stürzt zu ihren Füßen, und drückt sein Gesicht auf ihre Hand).

Afan. Fliehe! wenn dein Weib dich liebt– o gewiß liebt sie dich! – wie bekümmert muß sie um dich sein. Eile! Fliehe!

Benj. (aufspringend.) Gott! – Emilie!

Afan. Emilie heißt sie, Emilie? Ein sanfter schöner Name. O gewiß ist deine Emilie sanft und gut. Sie wird mir deine Bruderliebe gönnen. Nicht wahr, Benjowsky?

Benj. Dürft' ich hinaus in die Schlacht!

Afan. Rein und schuldlos bin ich dir ergeben, die Schwester darf den Bruder lieben. Nein, ich verlasse dich nicht! ich kann dich nicht verlassen! ich ziehe mit dir in die weite Welt! Zeuge will ich sein von dem Entzücken deines Weibes bei deiner Wiederkunft. – Ein heller Strahl erwärmt mein Herz auf's neue. Ich selbst führe dich zurück in ihre Arme, finde meine Ruhe in der eurigen – lebe still und sittsam mit euch, unter euch – helfe deinem Weibe in der Wirthschaft – lehre deine Kinder eure Namen lallen –

Benj. Mädchen! du bringst mich um den Verstand!

Afan. Keine niedrige Eifersucht soll sich unter uns schleichen, kein dienstfertiger Nachbar unsere holde Eintracht stören. Herzlichkeit soll mir deines Weibes Liebe, Tugend und Unschuld ihre Achtung gewinnen. Nur immer bei dir, um dich will ich sein, will sehen wie du handelst, hören was du redest, mich freuen und betrüben mit dir. Zerstöre nicht den lieblichen Traum! stoße mich nicht zurück! Gib mir ein Plätzchen in der Kajüte, wo ich dich sehe, einen Winkel auf dem Schiffe, wo ich für dich beten kann.

Benj. Und dein alter Vater?

Afan. (ihr Gesicht verbergend). Ach Gott!

Erster Verschw. (tritt herein). Der Gouverneur will Euch sprechen.

Benj. Ich werde morgen früh –

Erster Verschw. Gleich auf der Stelle.

Benj. Zu einer so ungewöhnlichen Zeit? Was bedeutet das?

Erster Verschw. Die Ordonnanz erzählt, es sei ein fürchterlicher Lärm im Schlosse.

Benj. Ich werde kommen.

Erster Verschw. (geht ab).

Afan. Nimmermehr! – Benjowsky! ich zitt're –

Benj. Wofür?

Afan. Hörst du nicht? Ein fürchterlicher Lärm –mein Vater tobt – das thut er nicht um Kleinigkeiten. Er läßt dich rufen, so spät in der Nacht – es wäre tollkühn zu gehorchen. Laß mich, laß mich allein. Wenn ich Gefahr ahne, und nicht schreiben darf, so soll Feodora dir ein rothes Band bringen. Erblickst du das, so denk' an deine Rettung.

Benj. Wer weiß, ob wir die Mücke nicht zum Elephanten machen. Vielleicht vermißt dich dein Vater und ist unruhig.

Afan. Auch möglich.

Benj. Ich gehe mit dir.

Afan. Nein, nein, meine Angst würde dich verrathen.

Benj. Bedenke, liebe Afanasja –

Afan. Die Liebe bedenkt nicht, sie fühlt nur.

Benj. Sind wir verrathen, jetzt schon verrathen, so ist keine Rettung, denn unsere Anstalten sind noch nicht reif.

Aengstlichkeit verschlimmert nur das Uebel. Den Wanderer unter den Bäumen trifft der Blitz leichter, als den Wanderer im freien Felde, d'rum laß uns geh'n.

Afan. Kann ich auch? – Meine Knie wanken.

Benj. Stütze dich auf meinen Arm. (Sie wollen gehen.)

Vierte Scene.

Vorige. Kudrin.

Kudr. (stürzt herein zu Benjowskys Füßen.) Den Tod, Graf Benjowsky! gebt mir den Tod!

Benj. Mensch, was ist dir?

Kudr. Ich hab' euch verrathen –

Benj. Verrathen?

Kudr. Die Liebe hat mich zum Verräther gemacht.

Benj. Geschwind, erzähle.

Kudr. Ich liebe Feodora – wollte sie mit mir nehmen – vor wenig Stunden – sie stand auf dem Balkon – ich traute der verrätherischen Dunkelheit, entdeckte ihr alles – und wurde behorcht.

Benj. Behorcht? Wer?

Kudr. Der Hettmann.

Benj. Er allein?

Kudr. Allein.

Benj. Und er ertappte dich?

Kudr. Er hielt mich fest, rief die Wache, ich stieß ihn von mir und entschlüpfte. Aber mein Gewissen hat mich die halbe Nacht herumgepeitscht, meiner Brüder Blut schreit um Rache! verzeiht mir und tödtet mich!

Benj. Bist du gewiß, daß nur der Hettmann dich behorchte?

Kudr. Nur er.

Benj. (zu Afanasja). Und ist Feodorens Treue erprobt?

Afan. Ich hafte für sie.

Benj. So steh' auf und geh' in Frieden. Schleiche dich vorsichtig nach dem Hafen, verbirg dich dort auf unserm Schiffe. Morgen wirst du von uns hören.

Kudr. (aufstehend). Wie? kein böses Wort? –

Benj. Worte kosten Zeit, nur handeln kann uns retten. Was geschehen ist, ist geschehen. Vollziehe schleunig meinen Befehl, und laß dich nicht zum zweiten Mal ertappen.

Kudr. Ein erleichtertes Gewissen beflügelt meine Schritte. (Ab.)

Benj. Nun, Afanasja, komm zu deinem Vater.

Afan. Dennoch?

Benj. Allerdings. Nur dreiste Zuversicht kann des Hettmanns Zeugniß entkräften. Gelingt es mir, nur bis morgen, deinem Vater Beruhigung einzuflößen, so haben wir gewonnen Spiel.

Afan. Und wenn es nicht gelingt?

Benj. So ist das Spiel verloren.

Afan. Und dann?

Benj. Dann werd' ich zu sterben wissen.

Afan. Ach Benjowsky! (Sie gehen Arm in Arm ab.)

Fünfte Scene.

(Zimmer im Schlosse.)

Gouverneur. Hettmann. Dann die Ordonnanz. Später Benjowsky und Afanasja.

Gouv. (unruhig auf- und niedergehend.) Habt Ihr auch recht gehört?

Hettm. Hab' ich Ohren? wie? und wenn ich sage Ohren, so verstehe ich darunter große Ohren.

Gouv. Unbegreiflich!

Hettm. Einen alten Narren hat er mich genannt.

Gouv. Für meine Wohlthaten –

Hettm. Vor die Brust hat er mich gestoßen.

Gouv. Mein einziges Kind gab ich dem Heuchler.

Hettm. Man muß eine Knute aus Blitzen flechten.

Gouv. Nein, es kann nicht sein! es wäre zu schwarz! Gesteht mir, Hettmann, Ihr war't betrunken.

Hettm. Betrunken? nun ja, ist ein betrunkener Hettmann nicht mehr werth, als zehn nüchterne Verbannte?

Gouv. Gott! gib mir Fassung, daß ich meiner Würde treu nicht rasch verfahre. Gesetz und Billigkeit sind Richter, das warme Blut soll nicht die Schale drücken.

Ordon. (tritt herein.) Graf Benjowsky wird kommen.

Gouv. Er wird kommen?

Ordon. Sogleich.

Gouv. Wirklich? Das ist Frechheit oder Unschuld. Hat man Feodora gefunden?

Ordon. Nein.

Gouv. Ein Corporal mit Wache soll den Kosaken Kudrin suchen, und gebunden hierher bringen.

Ordon. (ab).

Hettm. Warte, junger Bube! ich will den alten Narren, dir bezahlen. Mich ärgert nur, daß der Kerl ein Kosak ist.

Gouv. Meine arme Tochter!

Benj. und Afan. (treten herein).

Gouv. Ha! Graf Benjowsky!

Hettm. Willkommen, Herr Minister!

Gouv. Was willst du, Afanasja? du kömmst zu ungelegener Zeit, laß uns allein.

Afan. (entfernt sich mit schwerem Herzen),

Gouv. (steht finster in sich gekehrt),

Hettm. (beschaut Benjowsky mit einem dummen Lächeln vom Kopf bis zu den Füßen).

Benj. (Blicke ruhen forschend auf Beiden wechselweise,)

Gouv. (klingelt!).

Ordon. (tritt herein).

Gouv. Ist Feodora noch nicht gefunden?

Ordon. Eben kömmt sie von einer Nachbarin.

Gouv. Wo ist sie?

Ordon. Bei dem Fräulein.

Gouv. Sie soll sogleich hierher kommen.

Ordon. (ab),

Gouv. (Pause, sieht Benjowsky starr an.)

Benj. (dem Gouverneur frei in's Gesicht blickend).

Gouv. (bei Seite). Ist er schuldig, so ist er kein gemeiner Bösewicht.

Benj. Herr Gouverneur, Ihr Gesicht ist nicht, wie es heute und gestern war.

Gouv. Gott gebe, daß unsere Herzen unverändert sein mögen.

Benj. Das gebe Gott!

Gouv. Ich bürge für das Meinige.

Benj. So bin ich ruhig.

Gouv. Das freut mich.

Benj. Sie haben mich rufen lassen –

Gouv. Geduld.

Hettm. Man spricht hier von allerlei artigen Dingen.

Benj. Wie so?

Hettm. Wenn ich sage artige Dinge, so verstehe ich darunter Hochverrath.

Benj. Hat Tschulosnikoff schon wieder –

Hettm. Nichts, nichts, Tschulosnikoff, der sitzt in Ketten und Banden.

Benj. Also ein neuer Verleumder? wo ist er?

Gouv. Er soll Ihnen unter die Augen gestellt werden.

Benj. Das erwarte ich.

Gouv. Die strengste Gerechtigkeit –

Benj. Die ford're ich.

Gouv. Er soll laut bekennen.

Benj. Und beweisen.

Gouv. Das versteht sich.

Benj. Und wenn er nicht beweiset?

Gouv. Die härteste Strafe leiden.

Benj. Ich bin zufrieden.

Gouv. (nach einer Pause). Aber wenn er beweist –

Benj. Dann lege ich meinen Kopf zu Ihren Füßen.

Gouv. (ihn scharf ansehend). Ich hoffe, Graf, Sie sind unschuldig.

Benj. Ich weiß es gewiß.

Gouv. Geliebt und frei; was könnte sie bewegen –

Benj. Folglich –

Gouv. Sie haben Recht. Hettmann! Hettmann! ich fürchte, Ihr habt mir ohne Noth eine üble Stunde gemacht.

Hettm. Ohne Noth? Hat er mich nicht einen alten Narren geschimpft?

Benj. Wer?

Gouv. Davon ist nicht die Rede.

Hettm. Den Geier auch! wovon denn?

Sechste Scene.

Vorige. Feodora.

Feodora (tritt herein).

Gouv. Nur näher, Feodora. Kennst du den Kosaken Kudrin?

Feod. Er ist mein Bräutigam.

Hettm. Da haben wir's!

Gouv. Hast du ihn heute gesprochen?

Feod. Ja.

Gouv. Wo?

Feod. Vom Balkon herab.

Gouv. Wovon sprach er mit dir?

Feod. Je nun, wovon er immer zu sprechen pflegt, von seiner Liebe.

Gouv. Das will ich nicht wissen.

Feod. Was denn?

Gouv. Er hat dir eine Verschwörung entdeckt.

Feod. Verschwörung? was ist das?

Hettm. Bat er dich nicht, mit ihm zu fliehen? he?

Feod. Fliehen? ja.

Gouv. Wohin?

Feod. Ach!

Hettm. Nun, hab' ich gelogen?

Gouv. Rede.

Feod. Verzeihung, gnädiger Herr, für meinen armen Kudrin.

Gouv. Zuvor bekenne.

Feod. Er klagte über des Hettmanns harte Zucht, und schlug mir vor, mit ihm nach Ochozk zu entfliehen.

Gouv. Sonst nichts?

Hettm. Possen! spracht ihr nicht von einer Flucht über's Meer? he?

Feod. Ja, ich sagte, ich wollte mit ihm in die weite Welt geh'n.

Hettm. Wenn ich sage das Meer, so verstehe ich darunter nicht die weite Welt.

Feod. Auch über's Meer, hab' ich gesagt, ob ich gleich mich vor dem Wasser fürchte.

Benj. (lächelnd bei Seite). Vortrefflich!

Gouv. Nun Hettmann, wie klingt das?

Hettm. (den Kopf schüttelnd). Nasen drehen! Spracht ihr nicht von einem herrlichen Lande, wohin ihr fliehen wolltet?

Feod. Nun ja, Ochozk. Er ist dort gewesen, und kann nicht genug rühmen, wie gut sich dort lebt.

Gouv. Aber der Graf? der Graf?

Feod. Der Graf?

Hettm. Ja, ja, der Graf! Sollte der euch nicht nach Ochozk begleiten? he?

Feod. Das höre ich zum ersten Male. Desto besser! so darf ich mein Fräulein nicht verlassen.

Hettm. Sie stellt sich dumm.

Gouv. Bekenne! was spracht ihr von dem Grafen?

Feod. Nicht ein Wort. Doch ja, ich besinne mich.

Hettm. Aha!

Feod. Ich erzählte ihm, daß Graf Benjowsky Fräulein Afanasjen heirathen wird.

Gouv. Sonst nichts?

Feod. Was denn noch?

Hettm. (ungeduldig). Von der Verschwörung, von dem Schiffe, von der Flucht. Wirst du reden?

Feod. Verzeiht mir, Iwan Fedrowitsch, Ihr war't ein wenig benebelt, und ich glaube, Ihr seid es noch.

Hettm. Du Hexe! – die freche Dirne leugnet mir am Ende noch gar den alten Narren ab! wie?

Feod. (weinend und heftig). Ich eine Hexe? eine freche Dirne?

Hettm. Nun, nun!

Feod. Ich bin ein ehrliches Mädchen.

Hettm. Nun, nun.

Feod. Mit dem gnädigen Fräulein erzogen.

Hettm. Ja doch, ja!

Gouv. Ruhig, Feodora! hast du mir nichts verschwiegen?

Feod. Aber mein Gott! da steht ja der Graf selbst, er wird am besten wissen, ob er nach Ochozk zu reisen gedenkt!

Benj. Der Graf, mein gutes Kind, denkt an nichts weniger. Aber es gibt hier dienstfertige Leute, die, wenn sie den Boden einer Flasche sehen, so viel für ihn denken –

Gouv. Hettmann, Ihr wart irrig, der Wein – die kalte Luft –

Hettm. Mag sein, was die Verschwörung anlangt; doch was den alten Narren betrifft, darauf will ich leben und sterben.

Gouv. Nun, wenn es weiter nicht –

Hettm. So? ist das nichts?

Gouv. Ja doch, Iwan Fedrowitsch, man muß ihm die Katze geben lassen.

Hettm. Allerdings.

Gouv. Ich danke Gott, daß kein Verdacht auf einem Manne ruht, der meinem Herzen nahe ist. Ich glaub' es gern und leicht.

Benj. Das Räthsel der sogenannten Flucht kann ich vermuthlich lösen. Ein Entwurf, den der Hettmann mir mittheilte, die aleutischen Inseln betreffend – ich ließ ein Wort davon fallen, Kudrin hat es gehört, und vielleicht übel verstanden.

Hettm. Ach so? das ist ein anderes. Wenn ich sage ein anderes, so verstehe ich darunter –

Feod. (schalkhaft). Nichts.

Hettm. Recht, nichts.

Gouv. (Benjowsky die Hand reichend). Lieber Graf, es bleibt beim Alten.

Hettm. (eben so). Es bleibt beim Alten.

Gouv. Verzeihen Sie dem Gouverneur seinen Argwohn, der Vater war ohne Mißtrauen.

Benj. Es hat mir weh gethan, doch es sei vergessen.

Gouv. Es ist spät. Sollen wir zur Abendtafel gehen?

Hettm. Ein vernünftiger Gedanke.

Benj. Ich beurlaube mich. Der heutige Tag war einer der schwülsten meines Lebens. Ich bedarf die Ruhe.

Gouv. Bis morgen. Leben Sie wohl.

Benj. (ab).

Hettm. Grillenfänger! spricht von schwülen Tagen. Es ist eine Kälte draußen, daß die Zähne an einander frieren.

Gouv. Wo ist meine Tochter?

Feod. Im Speisesaal.

Gouv. Wir wollen zu ihr geh'n. Doch, Herr Gevatter, nehmt Euch in Acht, daß der Wein nicht wieder Phantasien rege macht.

Hettm. (schmunzelnd). Der Wein! Laßt ihn nur kommen, ha! ha! ha! (Sie wollen gehen).

Ordon. (tritt herein). Ein Brief.

Gouv. Wer brachte ihn?

Ordon. Ein Kamtschadale.

Gouv. (entfaltet den Brief und liest).

Hettm. Die Briefe kann ich nicht leiden.

Feod. Warum nicht?

Hettm. Närrin, weil man sie lesen muß.

Gouv. Ha! schon wieder! – Hört doch zu, Iwan Fedrowitsch. (Er liest.) »Graf Benjowsky steht an der Spitze von mehr als hundert entschlossenen Männern. Tschulosnikoffs Schiff ist in ihrer Gewalt. Der morgende Tag entführt dem Gouverneur seine Tochter. Ich bürge mit meinem Kopf für die Wahrheit dieser Nachricht. Der Staat ist mir die Freiheit schuldig. Stepanoff.«

Hettm. Da haben wir's! Was sagt Ihr nun, Gevatter? War der auch betrunken, der diesen Brief schrieb?

Gouv. Ha! so wäre ich doch hintergangen? Ist der Graf schon fort?

Ordon. Er hatte Eile, wie es schien.

Gouv. Ja wohl Eile. (Zu Feodora). Meine Tochter soll kommen.

Feod. (im Abgehen). Ein neues Ungewitter!

Hettm. Ich lasse meine Kosaken aufsitzen.

Gouv. Wie er da stand! Wie täuschend seine Larve Unschuld log, wie ruhig er mir seinen Kopf bot –

Hettm. Einen Kopf haben wir nun gewiß, er oder Stepanoff.

Siebente Scene.

Vorige. Afanasja. Kudrin.

Afan. (mit Feodora kommend).

Gouv. (ihr den Brief hinreichend). Lies diesen Brief.

Afan. (nachdem sie ihn gelesen). Verleumdung, mein Vater.

Gouv. Weißt du nichts?

Afan. Nichts.

Gouv. Aber du wirst bleich?

Afan. Verdruß und Aergerniß, Zorn und Liebe –

Gouv. Aber du zitterst?

Afan. Soll ich nicht zittern, da mein guter Vater allzurasch, vielleicht –

Gouv. Sei unbesorgt, ich werde strenge untersuchen.

Afan. Es thut mir weh, daß ich eines Menschen Unglück machen soll; aber dieser Stepanoff hat es verdient. Mir ist es klar, warum er den Grafen stürzen will. Seine Eifersucht ist erfinderisch.

Gouv. Eifersucht?

Afan. Er liebt mich.

Gouv. Dich?

Afan. Mit einer Art von Raserei. Noch diesen Morgen hat er es gewagt, mich hier im Schlosse zu überfallen, hat getrotzt, gewüthet –

Gouv. Er? gegen meine Tochter?

Afan. Ich wollte Hilfe rufen, da überraschte ihn der Graf. Er stürzte drohend hinaus, und – er hat Wort gehalten.

Gouv. Ich erstaune.

Afan. Eifersucht dictirte diesen Brief, urtheilen Sie nun selbst, mein Vater, ob er Sie beunruhigen darf.

Gouv. Warum sagtest du mir nicht gleich –

Afan. Er dauerte mich, ich hielt ihn für verrückt.

Feod. (bei Seite). Vortrefflich! das Gewitter zieht vorüber.

Hettm. Hm! wieder fehlgeschossen, das ist ein Tag – weder Essen noch Trinken – und eine Nacht – weder Schlaf noch Ruhe.

Gouv. (nachdenkend). Sollte Stepanoff es wagen, seine Lügen aus der Luft zu greifen? Tschulosnikoff – Kudrin – sollte alles das von ungefähr zusammentreffen?

Kudrin (in Fesseln, von einem Corporal und Wache begleitet).

Hettm. Sieh' da! der Vogel ist gefangen.

Corp. Ein paar Minuten später war er uns entschlüpft.

Feod. (zu Afanasja'n). Wir sind verloren!

Afan. Wink ihm zu.

Gouv. Wo grifft ihr ihn?

Corp. Im Hafen.

Gouv. Sind Bewegungen dort?

Corp. Tschulosnikoffs Schiff wird ausgerüstet.

Gouv. (zu Kudrin). Was thatest du im Hafen?

Kudr. (zitternd). Gnade! Gnade! ich will alles bekennen.

Feod. (sich an ihn drängend). Ich hab' schon alles bekannt, lieber Kudrin.

Hettm. Kennst du mich, Bursche? he?

Kudr. Ihr seid mein gnädiger Hettmann.

Hettm. Dein alter Narr bin ich, und folglich dein ungnädiger Hettmann. Wenn ich sage ungnädig, so verstehe ich darunter die Knute.

Kudr. Weh' mir! schont mein junges Blut! ich bin verführt worden.

Gouv. Wer verführte dich?

Feod. Ich hab' ihn überredet –

Gouv. Schweig!

Feod. (bei Seite). Glück steh' uns bei.

Afan. (bei Seite). Wir sind verloren.

Gouv. (zu Kudrin). Du wolltest fliehen?

Kudr. Ach ja!

Gouv. Wohin?

Feod. Hast du nicht Verwandte in Ochozk?

Kudr. Nein.

Feod. Aber Freunde und Bekannte?

Kudr. Ich war in meinem Leben nicht dort.

Gouv. (zu Feodora). Schweig!

Feod. Gnädiger Herr, ich muß für ihn sprechen; die Angst macht ihn verwirrt, er redet sich um den Hals.

Hettm. Desto besser.

Gouv. Nenne deine Mitverschwornen.

Feod. Wer außer mir –

Gouv. Wirst du schweigen?

Kudr. Graf Benjowsky –

Feod. Hat dir abgerathen, ich weiß es, wärst du ihm nur gefolgt.

Gouv. Mädchen, ich lasse dich in deine Kammer sperren.

Feod. Aber, mein Gott, gnädiger Herr, er ist mein Geliebter, mein Bräutigam; durch mich ist er in dies Unglück gerathen. – Hörst du, Kudrin? Ich hab' ihn gebeten mich nach Ochozk zu entführen, er hat eingewilligt, aus Liebe zu mir, das ist es alles, nicht wahr, Kudrin? Schonet seiner! vergebt ihm! er ist der beste Balalaikaschläger im ganzen Lande.

Gouv. Fort auf dein Zimmer!

Feod. Gnädiges Fräulein, ein gutes Wort –

Gouv. Werft sie hinaus!

Afan. Geh', Feodora.

Feod. Ja doch, ja. Du hast gehört, Kudrin? ich nehme alles auf mich, und außer mir hat Niemand d'rum gewußt. (Ab.)

Hettm. Bin ich denn Niemand? wie?

Gouv. Jetzt bekenne frei. Nur die Wahrheit kann dir Gnade gewinnen.

Kudr. Ach! müssen meine Brüder sterben, so will auch ich nicht länger leben.

Gouv. Sind eurer Viele?

Kudr. Viele.

Gouv. An eurer Spitze steht?

Kudr. Graf Benjowsky.

Gouv. Wo habt ihr euch verbunden?

Kudr. Am Altare.

Gouv. Wie wolltet ihr entfliehen?

Kudr. Zu Schiffe.

Gouv. Wann?

Kudr. Morgen.

Gouv. Nun Afanasja?

Afan. (ist einer Ohnmacht nahe).

Gouv. Armes Kind, ich beklage dich! wir haben eine Schlange erwärmt.

Hettm. Einen Drachen.

Gouv. Jede Schwachheit kann mein Herz verzeihen, aber Undank ist ein schwarzes Laster. Führt ihn fort! Euer Leben haftet für ihn.

Hettm. Komm! komm! ich will dir das Quartier bestellen. Brot ohne Sonne, und Wasser ohne Luft, verstehst du mich? er soll kirre werden.

Kudr. (die Hände ringend). Ach! mein edler Graf! meine armen Brüder! (Ab mit Hettmann und der Wache.)

Achte Scene.

Gouverneur und Afanasja.

Gouv. Es gibt Verbrechen, die das Herz empören, Menschenhaß erzeugen, und angebornes Wohlwollen in Grausamkeit verwandeln. Der tückische Bösewicht hat mit meinem Herzen sein Spiel getrieben, er soll mich kennen lernen.

Afan. (zu seinen Füßen). Gnade, mein Vater! ich lieb' ihn noch!

Gouv. Schäme dich! Steh' auf und spare deine Worte, sie schänden dich und mich. Hast du vergessen, daß deines Vaters Ehre und Leben auf dem Spiel stehen? oder hat der Bube dich durch einen Zaubertrank berauscht? ist dir beides gleichgültig geworden?

Afan. O nein! mit meinem Blute –

Gouv. Das erwarte ich von meiner Tochter. Jetzt müssen wir eilen, die Gefahr ist nahe. Setze dich und schreib'.

Afan. (erschrocken). Was?

Gouv. Benjowsky ist der Rädelsführer. Haben wir ihn in unserer Gewalt, so sind die übrigen unnütze Glieder ohne Haupt. Schreib'!

Afan. (zitternd). Was soll ich schreiben?

Gouv. Er wird sein Schicksal ahnen; er wird sich weigern, meinen Befehlen zu gehorchen. Nur du kannst ihn hierher locken. Larve für Larve. Schreib' ihm ein Briefchen zärtlich und süß; lade ihn ein –

Afan. Nimmermehr!

Gouv. Wie? du wolltest –

Afan. Ich kann nicht, mein Vater!

Gouv. Ha! undankbare Dirne! Soll deiner Mutter Segen von deines Vaters Fluch vernichtet werden?

Afan. Halten Sie ein!

Gouv. So setze dich und schreib'!

Afan. (setzt sich an den Tisch). Sein Todesurtheil?

Gouv. Vielleicht.

Afan. Es ist das meinige!

Gouv. Gleichviel.

Afan. Ich bin bereit.

Gouv. (dictirt).

Afan. (schreibt zitternd).

Gouv. »Lieber Graf! Ich muß Sie sprechen, noch in dieser Nacht. Kommen Sie eilig. Feodora wird am Pförtchen Sie erwarten. Fliegen Sie in die Arme Ihrer Afanasja.«

Afan. Es ist geschehen.

Gouv. (übersieht, was sie geschrieben). Kaum leserlich, doch schon gut. Jetzt versiegle schnell.

Afan. (reißt, indem sie versiegelt, unvermerkt eine rothe Bandschleife vom Busen und verbirgt sie in das Billet).

Gouv. (ruft heraus). Ordonnanz!

Ordonnanz (tritt herein).

Gouv. Dies Billet zum Grafen Benjowsky, und sprich, das Fräulein habe dich geschickt, hörst du?

Ordon. Ganz wohl. (Ab.)

Gouv. Leg' dich schlafen, Mädchen, ich will für euch wachen. Geh' und bitte Gott in deinem Abendsegen, daß er diese Leidenschaft in deiner Brust ersticke. Gedenke deiner Mutter! (Gerührt ihre Hand ergreifend.) Gedenke deines alten Vaters! (Ab.)

Afan. (allein). Vater? – Mutter? – Gott verzeih' es mir! ich denke nur an ihn! – Schlafen? und Benjowsky in Gefahr? – beten? – ach! das hilft ihm nicht! – Hinweg du mädchenhafte Schüchternheit! Gesellt euch zu mir ihr unbekannten Freunde: Muth und Kühnheit! Ein Schwert, ein Schwert in meine schwache Faust! Rettung! Rettung dem Geliebten! Sein Schild sei diese Brust! an seiner Seite will ich fechtend sterben.


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