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Allmälig trat jedoch in dieser Lage eine merkbare Änderung ein.
Jaques hatte in seiner Vaterstadt, die mitten in einer meilenweit sich dehnenden Pußta lag und eher ein großes Dorf genannt werden konnte, ein eigenes Geschäft errichtet, wozu ihm die Mitgift Blümele's die Mittel bot. Ihr aber, der vom Hause aus, trotz ihres leichten Sinnes, das ängstliche Abwägen in Sachen des Erwerbes gleichsam angeboren war, ihr kam es gleich anfangs vor, als habe Jaques für die gegebenen Verhältnisse ›zu groß‹ begonnen. Sie war es aus Böhmen gewohnt, zu sehen, unter welchen Entsagungen und Kämpfen auf der Grundlage sorgfältig zusammengehaltener Kreuzer ein nur mäßiger Wohlstand aufgebaut wird. Jaques aber hatte die Dinge so angelegt, wie es zu Hause nicht einmal von den Reichgewordenen geschieht. Das sah Blümele klar; sie schwieg aber dazu – und schwieg lange. Aber als sie einmal eine finstere Wolke auf der Stirne ihres Mannes zu erblicken glaubte, die stets so heiter, so übermüthig sorglos leuchtete, wagte sie eine Bemerkung, die Jaques sehr übel aufnahm. Er schalt sie eine »Böhmin«, der die kleinlichen Begriffe und Vorstellungen als Erbtheil ihrer Landsleute mitgefolgt seien. Sie möge aber nicht vergessen, daß sie nicht mehr in Böhmen lebe; die Welt wäre ein unausstehlicher Aufenthalt, wenn lauter Böhmen darin wohnten. Darum ja sei Ungarn geschaffen worden.
Wollte Jaques nur sich selbst, wollte er nur Blümele täuschen?
Aber von diesem Augenblicke an trat zwischen den beiden Eheleuten der klaffende Riß zur Schau, den innerlich ganz entgegengesetzte Naturen immer erzeugen müssen. Jaques nannte »böhmisch« was seinem hochfahrenden Sinne und seiner alles Kleinliche verachtenden Sorglosigkeit in den Weg lief. Blümele sah bereits mit geschärftem Auge, daß seine Verhältnisse in dem Maße sich verschlimmert hatten, als er einen gewissen Hochmuth, den sie doch in jungen Jahren so bewunderungswürdig gefunden hatte, zur Schau trug. Jaques mochte es unerträglich finden, das Auge seiner Frau, wenn sie auch nicht sprach, als einen festen Frager auf sich gerichtet zu sehen. Er wandte sich von ihr ab, er vernachlässigte sie; sein Haus und sein Kind hatten für ihn allen Reiz verloren. Statt seiner ›Geschäfte‹ sich anzunehmen, brachte er die meiste Zeit außer dem Hause zu, meist in Gesellschaft ungarischer Edelleute, mit denen er spielte, ritt und auf die Jagd fuhr. Jetzt erst schien seine innerste, nur durch Geburt und Verhältnisse anders bestimmte Natur den eigentlichen Boden gefunden zu haben, worin sie gedeihen konnte. Jaques war kein Kaufmann – er war ein geborener Edelmann!
Von nun an hielt sich Blümele für verloren.
Zu diesen Leiden, doppelt schwer zu ertragen, da sie in der fremden Umgebung keiner Seele sie anvertrauen konnte, gesellte sich mit einem Male das Gefühl eines so unbezwinglichen Heimwehs, daß sie ernstlich krank zu werden befürchtete. Nur der Hinblick auf ihr Kind gab ihr den Muth und die Kraft. Sie hatte von einem durchreisenden Handwerksgesellen aus Böhmen erfahren, daß ihre Mutter längst todt sei. Von nun an hörte sie in ihrer Seele keinen andern Laut, als das Wort: »Jahrzeit«. Auf das Grab der Mutter zu gehen, sich daselbst auszuweinen, nichts zu thun, als zu weinen, und dann wieder zurückzukehren, erschien ihr als eine Seligkeit, der gegenüber alles Leid verschwand. Sie sprach einmal mit Jaques davon, der aber meinte: »Was hat Deine Mutter davon, ob Du den weiten Weg von Ungarn nach Böhmen machst oder nicht?« Da schwieg sie; nun kannte sie ihn erst recht.
Einige Zeit darauf verreiste Jaques, wie er Blümele mittheilte, für mehrere Wochen. Nach vierzehn Tagen kam ein Brief mit dem Poststempel: Liverpool! Jaques war nach Amerika gezogen; das Schreiben war einen Tag vor seiner Einschiffung geschrieben. Er habe, schrieb er, in Ungarn das Glück nicht gefunden, auf das er gehofft; Ungarn sei überhaupt nicht mehr das Land, was es gewesen – es scheine nach Amerika versetzt zu sein. Darum sei auch er diesen Weg gegangen, den vor ihm Hunderttausende zu ihrem Heile betreten. Er grüßte Blümele und das Kind – und versprach schließlich, von Californien aus von sich hören zu lassen.
Seltsam! Blümele fühlte sich gleichsam erlöst. Mit dem Reste ihrer Habe – denn Jaques hatte seine Angelegenheiten in größter Unordnung zurückgelassen – das Kind in ihren Armen, machte sie sich auf den Weg nach Böhmen. Nur erst die ›Jahrzeit‹ auf dem Grabe der Mutter vorüber! dann mochte alles Leid, alle Verfolgung und Pein über sie ergehen und sie wollte nicht murren! In der Jahrzeit wollte sie ihre schuldbewußte Seele wieder heiligen...
»Gott soll Dir's gedenken, Blümele«, rief Maier, nachdem sie geendet, tief erschüttert, »daß Du den Gedanken gehabt hast. Er wird Dir auch beistehen.«
Er war aufgestanden und durchmaß mit hastigen Schritten die kleine Stube.
»Die ganze Nacht draußen zuzubringen... und ich habe es nicht gewußt... Geht das nicht vor Gott?...«, sprach er mit sich selbst. Dann blieb er vor Blümele stehen, die still vor sich hinweinte.
»Willst Du mir etwas versprechen, Blümele?« rief er, und sein Auge blitzte und er erschien in diesem Augenblicke weit über sein Maß gewachsen.
Blümele nickte mit dem Kopfe.
»So versprich mir, nur dasjenige zu thun, was ich Dir anrathen werde; vor Allem: Dich aus dieser Stube nicht zu entfernen, bis ich Dir sage: Gehe!«
»Und die Jahrzeit?« meinte Blümele traurig.
»Die fällt erst auf übermorgen. Bis dahin lass' mich für Dich sorgen und denken. Willst Du?«
Blümele reichte ihm sprachlos die Hand. –
Der Morgen war angebrochen, in der ›Gasse‹ regte sich das neuerwachte Leben. Maier hielt es nun an der Zeit, sein Geschwisterkind zu verlassen, theils um zu erfahren, ob die Anwesenheit Blümele's bereits ruchbar geworden, theils um mit seinen Gedanken allein zu sein; denn sein Blut war in Wallung und machte ihn unfähig, die nächsten Schritte zu berathen.
Er ging mehrmals durch die ›Gasse‹, hielt jeden Schulgänger an und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Alle erzählten ihm von der seltsam verstörten Nacht und dem Gebell des Hundes, aber keiner wußte von Blümele!
Allmälig begann sich sein unruhiger Gedankenweg zu ebnen; er kam zu dem Entschlusse, den Eltern mitzutheilen, welchen Gast sie beherbergten. Welch' ein ungläubiges Staunen und Verwundern, als die Alten diese Nachricht erfuhren! Sie wollten das heiligste Stillschweigen bewahren, versprachen sie; nur nicht zu lange, meinte Maier's Mutter, denn Blümele im Hause zu haben und sie nicht sehen können, das gehe über ihre Kräfte.
Sie billigten übrigens vollständig, was Maier gethan.
Ein unendliches Wohlsein durchströmte ihn, als er gleich darauf die enge Treppe zu seiner Stube hinanstieg und, an der Thüre lauschend, inne wurde, daß darin tiefe Stille wartete. Mutter und Kind schliefen... Maier schlich sich geräuschlos wieder fort.
Später ging er zu Jacob Löw; er mußte den Alten sehen, er mußte sein Gesicht durchforschen. Maier's Herz klopfte hörbar, als er an der steinernen Bank vorüberkam, auf der heute Blümele ein so hartes Nachtlager gehabt.
Er traf den Vetter beim Frühstück.
»Weißt Du, Vetter«, rief er, nachdem er ihn begrüßt hatte, »daß Dein Hund heute Nacht alle Leute in der Gasse rebellisch gemacht hat?«
»Wie so?« fragte Jacob Löw, und Maier glaubte ein hämisches Lächeln um seine Mundwinkel spielen zu sehen.
»Das Thier hat keine Ruhe gehabt und unaufhörlich gebellt.«
»Er wird etwas gesehen haben!« meinte Jacob Löw trocken.
Da faßte ein grimmiges Gefühl an die sonst so sanftmüthige Seele Maier's.
»Vetter!« rief er mit beinahe drohenden Blicken, indem er dicht vor Jacob Löw stand... »Vetter! Bis jetzt habe ich Dich geachtet und geliebt, wie Dein eigenes Kind... aber eine solche Härte gegen Dein Fleisch und Blut hätte ich Dir nicht zugetraut...«
»Was ist Dir, Maier?« meinte Jacob Löw ruhig... »Darf ich mir etwa keinen Hund halten?...«
Durch diese Frage ward Maier einigermaßen verwirrt. That er dem Vetter vielleicht Unrecht, wenn er vorausetzte, Blümele's Anwesenheit sei ihm bekannt?«
»Vetter«, sagte er nach einer Weile mit besänftigter Stimmung... »weißt Du, daß übermorgen Deiner Esther ›Jahrzeit‹ fällt?...«
»Ich weiß, ich weiß!« sagte Jacob Löw... »Oder willst Du mich daran gemahnen, daß ich meiner Esther allein ›Kadisch‹ nachsagen muß...«
Was ging mit Maier in diesem Augenblicke vor? Sein Antlitz hatte einen so leuchtenden, fast verzückten Ausdruck, als hätte sich ein Gedanke göttlicher Offenbarung darauf niedergesenkt. Seine Brust hob sich stürmisch, auf seinen Lippen schien unausgesprochen eine bedeutende That zu schweben...
Er empfahl sich dem Vetter; wie beschwingt eilte er dem väterlichen Hause zu. Lauschend an der Thüre seiner Stube vernahm er, daß Blümele und ihr Kind schon erwacht seien. Er trat ein. Blümele saß wieder auf dem niedern Schemel und hielt den Knaben auf ihrem Schooße; sie weinte wieder.
»Blümele«, rief er athemlos, »kann Dein Kind schon lesen?«
Sie verneinte dies kopfschüttelnd.
»Auch nicht im Gebetbuch?«
»Jaques hat nichts auf die Religion gehalten«, sagte Blümele.
Maier's Antlitz verdüsterte sich, aber alsbald wurde es wieder hell.
»Ich will der Lehrer Deines Kindes sein!« sagte er.
Blümele sah zu ihm auf und verstand ihn nicht.
»Was willst Du mit dem Kinde?« fragte sie.
»Ich will ihn das ›Kadischgebet‹ lehren!...«
Wie Maier dies begonnen, welche Lehr- und Lernkünste er anwandte, um dem Knaben die unverständlichen, nie gehörten fremdartigen Laute der heiligen Sprache in's Gedächtniß zu prägen, wie er vor Allem das Kind dazu brachte, daß es ruhig auf seinem Schooße aushielt und stundenlang dasjenige nachsprach, was er ihm vorsagte, ja nicht müde war, zu begehren, daß er fortfahre... wie er es dahin brachte, daß der Knabe schon nach der ersten halben Stunde die zarten Ärmchen um seinen Hals schlang und die weichen Kindeslippen auf die seinen drückte – es wäre dies unendlich schwer, aber auch sehr leicht zu sagen.
Maier's Lehrtalent war wie eine jener Wunderblumen, die über Nacht ihre ganze Herrlichkeit entfaltet. Die Blume seines Talents sproßte auf dem warmen Grunde seines Herzens...
Ab und zu brachte Maier als sorgsamer Hauswirth Trank und Speise.
Als Blümele am Abende ihren Knaben zu Bette brachte, sprach er unaufgefordert das ganze Kadischgebet vom Anfang bis zum Ende, ohne den geringsten Anstoß zu begehen.
»Welch' einen merkwürdigen Kopf das Kind hat!« rief Maier begeistert. »Das thut ihm kein großer Mensch nach.«
Dann ging er. Es glitt ihm ein langer, unsäglich trauriger Blick aus den Augen Blümele's nach.
Am andern Morgen überzeugte sich Maier aufs Neue, daß das Gedächtniß des Knaben ein wunderbar treues sei; das Kind hatte während der Nacht auch nicht das kleinste Wörtchen des schweren Gebets verloren. Zur Belohnung ersann er die heitersten Spiele und lachte mit dem Kinde und freute sich mit ihm, und war selbst ein seliges Kind geworden.
Gegen Abend, als es zu dunkeln anfing, brachte Maier ein mit Öl gefülltes Glas, worauf ein Docht schwamm.
»Jetzt, Blümele«, sagte er, »beginnt die ›Jahrzeit‹ um Deine Mutter! Zünde das Licht an!«
Blümele that, was ihr Maier hieß. Dann setzte sie sich in einen Winkel der Stube auf den niedern Schemel und sprach an diesem Abende kein Wort mehr.
Zur selben Stunde, da Blümele das Jahrzeitlicht für ihre Mutter anzündete, flammte es auch in einem andern Hause der Gasse auf.
So nahe waren sich Vater und Tochter, daß sie von ihren Stuben aus die flackernden Flämmchen gegenseitig erblicken konnten – und doch wieder so weit von einander! –
Der Donnerstag war gekommen. Als Maier am frühen Morgen sein Geschwisterkind wecken wollte, fand er das Kind und Blümele bereits angekleidet. Maier sah übernächtig aus; alle Geister des Zweifels, ob das, was er vor hatte, auch gelingen würde, hatten an seinem Schlaf gerüttelt.
»Kommst du mich für die Jahrzeit abholen?« fragte Blümele.
»Du mußt mir Dein Kind auf einige Zeit anvertrauen!« sagte Maier mit bewegter Stimme.
»Was willst Du mit ihm, Maier?« rief Blümele, und legte, von einem Gefühle von Ängstlichkeit ergriffen, die Hand auf den Kopf ihres Kindes.
»Es soll Deiner Mutter ›Kadisch‹ nachsagen.«
Erst jetzt stand das Vorhaben Maier's in aller Klarheit vor Blümele; nun erkannte sie mit vollem Bewußtsein, welcher Liebesdienst aus dem Gemüthe dieses armen, einst von ihr verlachten und verhöhnten Maier ihr entgegenblühen sollte.
»Maier!« rief sie, »was bist Du für ein Mensch!«
»Lass', lass', Blümele,« bat er, »bis es vorüber ist.«
»Und ich? Was soll ich indessen thun?«
»Ist nicht die Jahrzeit Deiner Mutter heute?« sagte Maier mit bedeutungsvollem Ernste...
Auf seinen Armen trug Maier den Knaben zur ›Schul'‹ und es traf sich gut, daß er auf dem Wege Niemanden begegnete, dem er Rechenschaft über die seltsame Last abzulegen hatte. Der Morgengottesdienst war noch nicht zu Ende, dennoch blieb Maier draußen in der Vorhalle stehen; doch hatte er sich früher überzeugt, daß sich sein Vetter Jacob Löw auf seinem gewöhnlichen Betplatze befand. Mittlerweile hieß Maier den Knaben, ihm noch einmal das eingelernte Gebet vorzusprechen; das Kind bestand diese letzte Prüfung vortrefflich. Trotzdem hämmerte es in Maier's Adern fast zum Zerspringen, sein Kopf glühte, seine Lippen zuckten krampfhaft...
Endlich näherte sich der Gottesdienst seinem Schlusse. Schon sah Maier, wie sich sein Vetter erhob und zum Platze des Vorbeters hin sich bewegte. Der entscheidende Augenblick war gekommen. Rasch hob Maier den Knaben auf und trug ihn durch die Reihen der Beter bis zu Jacob Löw hin, an dessen Seite er ihn stellte. Dieser, versenkt in die Erinnerung, die dieses Gebet, und in dieser Stunde schmerzlicher als je, in ihm wach rief, sah vor sich hin und bemerkte nicht, was um ihn vorging.
Er begann das Gebet... aber heller und immer heller ertönten die nämlichen Laute neben ihm aus dem Munde eines Kindes. Da füllten sich seine Augen unwillkürlich mit Thränen... er hielt inne und lauschte und ließ das Kind allein sprechen... All, sein Jammer, all' der starre Herzenskrampf, der ihn durch so viele Jahre krank gehalten, sich selbst und Anderen zur Qual, löste sich und zerfloß vor diesen reinen und hellen Kindeslauten. Was er im tiefsten Winkel seiner Seele stets verborgen, die Sehnsucht nach der verlorenen Tochter, was er glaubte, daß nie eine menschliche Seele ihm entlocken könne das bewirkte dies Kind...
»Wer ist das Kind?« schrie er mit markdurchschütternder Stimme, kaum als die letzten Worte des Gebets verklungen waren.
»Vetter!« rief Maier hinter ihm... »Es ist Dein und Esther's Enkel... es ist Blümele's Kind!«
Mit einem leisen Schrei taumelte Jacob Löw nach rückwärts und hätte einen schweren Fall gethan, wenn ihn nicht Maier in seinen Armen aufgefangen. Sein Antlitz war todtenbleich, eine Ohnmacht hatte ihn befallen.
Unter den Betern entstand große Bewegung; sie drängten sich hinzu; etwas nie Erhörtes ereignete sich vor ihren Augen.
Mit einem Male richtete sich Jacob Löw in den Armen Maier's auf. Er begann bitterlich zu weinen.
»Wo ist das Kind?« rief er, da er vor herabstürmenden Thränen es nicht bemerkte; »wo ist Blümele's Kind?...«
Da hob Maier den Knaben auf und legte ihn an des Großvaters Brust. Zitternde Arme umfingen das Kind...
»Blümele! Wo ist mein Blümele?« rief Jacob Löw.
So hatte das Gebet des Kindes Vater und Tochter entgegengeführt.
Noch an demselben Tage sah man Jacob Löw in Begleitung Blümele's zum ›guten Orte‹ gehen, wo Esther und die fünf Knaben ruhen. Als sie von dort zurückkehrten, lag auf den Gesichtern Beider jener Schimmer von Selbstheiligung, wie ihn Menschen in Augenblicken erlangen, in denen es ihnen gegeben ist, Liebe um Liebe, Versöhnung um Reue auszutauschen.
Blümele blieb fortan in der alten Heimat.
Sie befand sich kaum vier Monate daselbst, als ein Schreiben einlief, das die Nachricht vom Tode des Gatten enthielt. Jaques hatte sein Ziel kaum erreicht, als ihn mitten unter neuen Lebensentwürfen in San Francisco der Tod erteilte. Dem Briefe beigeschlossen war die amtliche Bestätigung.
Blümele trauerte um den Verstorbenen ein volles Jahr! –
Und Maier?
Dürfen wir auch jetzt noch das alte bittere Spitzwort wiederholen: »Maier mit den vier Händen?«
Nun, wer noch vor wenig Jahren an Jacob Löws Hause vorüberkam, der konnte, namentlich an lauen Sommerabenden, einen Haufen rothbackiger und gesunder Knaben um einen alten weißhaarigen Mann herumtollen sehen, die sich alle, bis auf die abweichenden Körpergrößen, zum Verwechseln ähnlich sahen. Welch' ein sonniges Lächeln auf den Lippen dieses Alten! Welch' ein Aufleuchten seiner Augen, wenn sich manchmal eines dieser Kinder vom Spiele entfernte und zu ihm kam, um sich liebreich an seinen Leib zu schmiegen!
Es waren Maier's und Blümele's Kinder!
Diesmal hatte sich Jacob Löw nicht verrechnet.
Wiewohl unstatthaft nach dem Gebrauche, der in der ›Gasse‹ herrscht, daß Kinder bei Lebzeiten ihrer Eltern einem Dahingeschiedenen das ›Kadisch‹ nachsagen, haben Maier und Blümele es durchgesetzt, daß Jacob Löws Enkel sich als dessen Kinder betrachten dürfen.
Nicht weniger als acht Enkel sprechen ihm an seiner ›Jahrzeit‹ das heilige ›Kadisch‹ nach!