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Antonina lag unter einem Blütenbaum, der mit seinen unzählbaren winzigroten, stengellos am Geäst haftenden Knospen einem großen Korallengewächs glich. Das fast gelbe Rot der Decke, die über den Rasen gebreitet war, hob ihres Körpers weiches Braun. Ein kleiner Vandalenknabe, nackt und braun gleich ihr, hielt mit ernstem Eifer einen mächtigen Wedel gegen die blendend weiße Sonne.
Auf den rechten Ellenbogen gestützt, die Linke unter die eine, etwas emporgehobene Brust gehöhlt, besah sie sich mit schläfriger Aufmerksamkeit. »Weiß der Himmel!« klagte sie, ein wenig undeutlich, vom Zuckerwerk in ihrem Mund behindert: »Ich werde sogleich feist, sowie ich nach Byzanz komme! – Ich versichere dir, Theodora, ich war in Afrika schlank wie eine Lanze. Es geht mir zu gut hier.« Sie sank seufzend zurück und nahm wählerisch eine neue der zuckerglänzenden, klebrigen, rosenduftenden, arabischen Süßigkeiten von der Kristallschale.
Theodora, scharf atmend unter den Händen der Sklavin, sagte: »Laß dich kneten wie ich. – Ich verändere mich nie. Ich mache noch jeden Morgen die alten Übungen von einstmals.«
»Entsetzlich!« lachte Antonina träg hingedehnt. »Da will ich lieber mein zartes Fett behalten! – Theodosius sagt ...« sie fuhr aufschreiend empor und riß die Beine an sich. »Geh fort! Gehst du fort? – Ruf ihn Theodora, ich bitte dich – so ruf ihn doch! Er wird mich beißen!« – Theodora stieß einen Pfiff aus und der Bär, der es sich zu Antoninas Füßen behaglich gemacht hatte, trottete gehorsam zur Herrin hinüber und ließ sich krauen.
»Er tut nichts! Nicht wahr, er tut ja nichts! Er will nur spielen!« schmeichelte Theodora. »Daher legen! Schön daher legen! So! Siehst du? Er ist ganz zahm!«
»Ganz zahm! Und der Neger, den er gestern zerrissen hat? – Schick ihn fort, ich bitte dich! Daß du mir immer die schönste Ruhe hier durch diese Bestien verderben mußt!«
Der Bär schnupperte nach der Schale voll Süßigkeiten und Theodora riß ihn am Ohr hinweg. Da er brummte, schlug sie ihn über die Schnauze und beleidigt zog er den dicken Schädel zurück.
»Fürchte dich doch nicht so, Liebe!« lachte die Kaiserin. »Er schläft gleich ein! Sieh her! Überdies liebt er mich. Und es befriedigt mich, wo immer ich meine Macht erprobe! – Gib mir den Spiegel, Crysomallo!«
»Ich bitte dich, was hat er doch für ein Zeichen am Halse?«
»Das? Alle Tiere des Zirkus wurden so gestempelt.«
»Theodora! Es ist doch nicht eine der Bestien vom Nikaaufstand?« Antonina schauderte.
»Dumme, kleine Antonina! Aber, ich liebe dich just darum, weil du so dumm bist! – Du vergiltst es mir freilich übel!«
»Ich?« staunte Antonina erschrocken.
»Ja. Du vertraust mir nicht mehr!«
»Theodora!«
»Sicherlich! Auch wenn du Taubenblicke wirfst. Du erzählst mir nichts mehr von Theodosius!«
»Aber, Liebste, ich sah ihn doch fünf Tage nicht allein! Du weißt es doch, daß Belisar seines kranken Zahnes wegen das Haus nicht verläßt. Wenn er das Schwert nicht in Händen hält, ist er wehleidig wie ein altes Weib!«
»Doch, doch, Herzchen! Gestern abend war Belisar fort, denn er war bei Justinian, ich bin davon unterrichtet. – Ich werde dir eine bessere Nagelschminke senden. Deine Nägel sind ganz blaß.«
»O nein, danke, das ist nur nach dem Bade! – Wie magst du von gestern reden. Kaum hatten wir uns geküßt, kam Belisar heim und schleppte Kallystus mit und Prokopius und deinen Mundus ...«
»Meinen Mundus? Meinen Obersten der Leibwache, willst du sagen!«
»Ach, Theodora, du magst recht haben, wenn du mich dumm nennst, aber blind bin ich nicht! Und seit gestern erst weiß ich alles!«
»So. Seit gestern? – Bitte, sprich weiter. Also Belisar, Prokopius, Kallystus und Mundus traten ein ... nun?«
»Nun, da begannen sie zu zechen und Theodosius saß bis zum Morgen mit ihnen auf.«
»Arme Antonina! Und was sprachen sie? Denn du hast doch sicherlich gehorcht, ob Theodosius nicht etwa mit weingelöster Zunge eine andere Frau preisen werde?«
»Ich? Pfui! Was fällt dir bei! – Also ja. Ich habe ein wenig gehorcht, aber nur um zu erfahren, wann wir endlich nach Italien aufbrechen!«
»Nun, also?«
»Zuerst sprachen sie vom Wein, dann von Schlachten – gewesenen und künftigen. – Dann vom Nikaaufstand ...«
»Was vom Nikaaufstand?«
»Mein Gemahl pries dich wie immer als ...«
»Retterin von Byzanz! Ich weiß. Und weiter?«
»Dann sprachen sie vom Kampf im Zirkus, da gegen jeden der Isaurier sechs Aufständische fochten. Und Belisar sagte, die Freude an solchem Sieg sei ihm durch den Anblick der Zerfleischten verbittert worden. – Wahrhaftig, Theodora, er fährt oft des Nachts aus dem Schlafe und brüllt: »Die Bestien! Die Bestien!« – Und er schwört, wenn er den Schurken fände, der die ausgehungerten Tiere auf die Nikabündler losließ, er würde ihn mit eigener Hand zu Tode peitschen!«
Theodora lächelte. »Würde er? Vielleicht haben sie sich selbst befreit?« und sie klatschte des Bären Rücken, der schläfrig brummte.
»Selbst befreit? Was sprichst du da? Alle auf einmal? Bären, Löwen, Tiger, Elefanten? Am furchtbarsten sollen die Elefanten gewesen sein! Zu denken, daß, während die Isaurier von den obersten Sitzreihen her schossen, die Bestien von rückwärts über sie hereinbrachen ...!«
»Nun, und dann?«
»Dann? Ja –« Antonina machte große Augen. »Dann sprachen sie von Narses. Als nämlich die Entsendung meines Gemahls nach Italien beschlossen ward, soll Narses laut gesagt haben: »So viel Reiche erobert Belisar für einen Herrscher, dem sein Weib keinen Erben bringt.«
Theodora richtete sich heftig auf. »Das hat der Popanz gewagt?«
Antonina war sehr erschrocken.
»O Theodora, ich sage dir ja, Belisar stand neben Kallystus und hat nichts davon vernommen! Vielleicht hat jener es im Rausch erfunden ...«
»O nein! Das erfindet nur ein Narses, kein Kallystus!« Sie sann nach, geduckt, das Kinn auf die Faust gestützt. »Das ist ein Basiliskenei und Narses wird es ausbrüten und Prokopius ist mit ihm! Ein Mittel gäbe es, sie schweigen zu machen. ... Pah! Justinian hat vor mir kein Weib umarmt, wer kann beweisen, daß nicht er der Unfruchtbare sei?«
»Dasselbe sagte auch Belisar! Aber da lallte Mundus: »Umsonst, umsonst, was hab ich mich schon bemüht, aber dies schöne Danaidenfaß füllt keiner! ...«
Theodora starrte Antonina an. Sie beim Handgelenk fassend, zischte sie: »Schwör bei deiner Seele Seligkeit, daß dies wahr ist!«
Antonina, auf den Knien liegend, flehte: »Vergib mir, Basilissa ... ich wollte dich nicht ... o weh! Laß mich! – Ich schwöre! – O, meine Hand! – Basilissa, wirst du ihn strafen? – Er war trunken, er war trunken, Theodora, es ist nicht seine Schuld!« – Theodora trat zurück. Sie war vollkommen ruhig.
»Du hast recht. – Die Schuld ist mein. Ich hätte wissen müssen, daß er zu unrechtester Zeit sich rühmen würde, denn er ist ein Mann. Sei gewiß, – dies wird mir nicht mehr geschehen. Es wird kein anderer mehr Zeit zu prahlen finden! – Du weinst, Liebe? Nein! Du sollst nicht weinen!«
Sie sah sich suchend um, und da sie ihren Spiegel liegen sah, der, ein römisches Wunderwerk der Goldschmiedekunst, mit Juwelen vielfarbig überstreut war, legte sie ihn in Antoninas Schoß. »Besieh dich darin, Liebling, und laß ihn ein Lächeln spiegeln!«
Sie klatschte in die Hände, und als die Sklavinnen hastend sie umringten, befahl sie ruhig und heiter: »Wir kehren heim! Antonina, geh voraus ins Haus. Ich will nur noch einen Strauß jener Rosen brechen. Die Schere, Bylitis! Halte den Zweig!«
Zu dem blütenübersäten Wipfel aufgereckt, schnitt sie Rose um Rose von dem Baum, der aus dem Reis vom Grabe der Liebenden gewachsen war. Die Dienerinnen rafften Mäntel, Decken, Kissen, Essenzenversprenger, Salbentiegel und Fruchtschalen vom Rasen auf. Ukri kam, schwarz und grinsend, inmitten halbnackter, lichter Frauen und führte den Bären hinweg, der schlafgestört grollte.
»Wer befehligt die Wache vor dem Hause?« fragte Theodora im langen pfaublauen Mantel, den Arm voller Rosen.
»Der Oberste Mundus selbst!« antwortete Mizrah.
»Gut. Burbo soll in meiner Sänfte warten.«
Sie trat in das Häuschen, in dem einst der Kaufherr Hekebolos die Dirne Theodora geküßt hatte.
Im Vorraum, der nun weißmarmorn schimmerte, stand Antonina, völlig bekleidet.
»Du planst sicherlich nichts gegen ihn?« flüsterte sie scheu.
»Gegen wen, Kind?« lächelte Theodora.
»Gegen Mundus!«
»Du nimmst so warmen Anteil an seinem Geschick, daß mich wahrhaft dünkt, es sei mehr als nur ein freundschaftliches Gefühl!« sagte Theodora vorbeirauschend.
Als die Kaiserin wenig später, geschmückt und bis zu den Fingerspitzen verschleiert, aus dem Hause trat, war es Mundus, der die Vorhänge der Sänfte vor ihr offen hielt.
Sein Panzer war Gold, sein Mantel Scharlach, sein Antlitz strahlte, schön und glücklich.
Theodora ließ eine der dunklen Rosen fallen, während ihr Fuß das elfenbeinerne Trittbrett bestieg.
Mundus lächelte satt und hob sie nachlässig auf.
Die Träger setzten sich in Bewegung, Antoninas Sänfte und die Tragstühle der Lieblingsdienerinnen folgten. Dem Zug voraus ritt Mundus. Seines Rappen Fell spiegelte unter der Tigerdecke. Das Roß wölbte rund den Hals und drückte den edlen Kopf an die Brust, hochmütig die schlanken Beine mit den vergoldeten Hufen und Fesselringen zu Boden setzend.
Burbo kroch unter dem Lager von Theodoras Sänfte hervor.
»Der Sturm weht scharf, wie's scheint«, sagte er nach einem Blick in Theodoras Gesicht. »Was gibt es?« – »Mundus hat geschwätzt«, flüsterte sie.
Burbo schlug sich, wie er hockte, auf den Schenkel.
»Hab ich's nicht gleich gesagt!« grinste er. »Der scharlachne Bettnässer! – Willst du Petros einen Gesellschafter geben? Er langweilt sich da drunten, so allein, mit Ringlein und Kettlein um den Geierhals!«
»Ich habe ihm vorhin die Rose zugeworfen, wenn er also heute nacht kommt, dann öffnen ihm die Wachen wie gewöhnlich! Du benachrichtigst sie: der die Rose bringt, wird hereingelassen, aber nicht mehr hinaus. Du hast mit Ukri die Wache vor dem Gemach.
Wenn du ihn hinwegführst, wird ihn Ukri niederstechen! Tzikka übernimmt sein Amt.«
»Hm, – du, der Kerl ist stark, und wenn er merkt, daß es sein Leben gilt ...!«
»Ukri ist stärker als er. Nein. Warte! – Ich werde ihn anrufen, sowie er bei der Tür angelangt ist, damit er sich zu mir wendet und euch den Rücken kehrt! Ich werde ihm Kußhände zuwerfen und sagen: »Komm morgen wieder!« – Du lässest Ukri auf dieses Wort hin zustoßen. Hörst du? Erst auf dieses Wort!«
»Wird es nicht auffallen, wenn er plötzlich verschwindet?«
»Der Bosporus ist verschwiegener als er, und es gibt auch falsche Zeugen, die ... Ach wozu, keiner wird fragen! Ich wollte, ich könnte Narses gleich mit bezahlt machen!«
»Still!« hauchte Burbo.
Mundus vandalischer Hengst schnaubte zu Seiten der Sänfte. Einen einzigen Augenblick teilten sich die Vorhänge und winkend zeigte sich eine weiße, beringte Hand.
Der Kaiser blieb, als er das fünfte Schlafgemach erreicht hatte, stehen, zum Zeichen, daß es für diese Nacht gewählt sei.
Er ließ sich Mantel und Diadem abnehmen. Dann verabschiedete er mit einem Wink Kämmerer und Diener bis auf den greisen Pfleger seiner Kindheit, der gebückt und still in einer Ecke harrte.
Justinian begann nach seiner Gewohnheit lautlos auf und abzugehen. Einmal tat er so plötzlich die nach außen sich öffnende Tür auf, daß der Wächter im Gang, hart gestoßen, zurücktaumelte. Noch bevor er die Ehrenbezeigung leisten konnte, verschwand des Kaisers bleiches Gesicht im Türspalt. Zurückgekehrt, sank Justinian im Betpult auf die Knie. Aber der greise Pfleger sah wohl, daß er nicht betete. Der Kaiser erhob sich endlich. Er blieb vor dem spartanischen, vorhanglosen, eisernen Bette stehen, das nur eine dünne Matratze bedeckte; es war so hochfüßig, fast wie ein Tisch, damit kein Mann sich darunter zu verbergen vermöge.
Justinian sah abwesend darauf nieder, die frierenden Hände reibend, als wüsche er sie, und der Alte, in dessen Gegenwart er seine Züge, mehr aus Nichtachtung denn aus Vertrauen, zu bemeistern vergaß, erschrak.
Der Basileus raffte sich jählings auf, er winkte dem Alten stumm, die beiden Türen zum Vorsaal zu verschließen, und sah den zittrigen Fingern zu, wie sie sich mit den Riegeln abmühten. Dann schlürfte der Alte geduckt an der Wand hin, in alle Ecken leuchtend, und öffnete endlich die Vorhänge vor den Fenstern des Ankleideraums, um den Kaiser zu überzeugen, daß niemand versteckt sei. Dabei wurde nicht ein Wort gesprochen. Justinian hielt erst den rechten, dann den linken Fuß hin und ließ sich Schuhe, Gurt und Oberkleider abnehmen. Er setzte sich mittels eines Schemels auf das hohe Bett und der Alte hüllte ihn in das Nachtgewand und half ihm, die Füße hinaufzuziehen. Dann bekreuzte sich der Pfleger und begann, ohne eine Aufforderung abzuwarten, Legenden zu erzählen, deren er hunderte im Herzen bewahrte, um mit frommer Kurzweil seines Herrn schlaflose Nachtstunden hinzubringen.
»Habe ich dir schon die Geschichte vom Abbas Georgios erzählt, Herr, und von dem Grab des heiligen Petros?« – »Nein!« antwortete Justinian. »Zieh die Decke herauf. Mich friert.« – Der Pfleger kam, hüllte den Kaiser ein und schlüpfte zu seinem Platz im Dunkel zurück. »Es begab sich, daß der heilige Abbas Georgios eine Kirche zu Ehren des heiligen Quiricius baute, – ich glaube, es war zu Phasilais – und die Kirche steht heute noch! Sie hatten schon die Grundmauern gelegt, als eines Nachts dem Abbas einer im Traum erschien, und der trug sich wie ein Mönch. Sein Unterkleid war von Hanfstricken gewebt und um die Schultern lag ein kleiner Überwurf von Binsen. Ich weiß das alles sehr gut, denn der Bruder Sophronius, der es oft vom heiligen Abbas gehört hat, hat es mir selbst erzählt. Und der Mann sagte mit leiser Stimme: ›Guter Abbas, hast du wirklich also beschlossen, mich nach solchen Martern und solchen Mühsalen wie einen Hund vor deiner Tür liegen zu lassen?‹ Sagte der heilige Abbas, der ein rechter, unerschrockener Mann war: ›Das will ich aber ganz gewißlich nicht tun ...‹«
»Horch! Was war das?« unterbrach Justinian aufgerichtet.
»Die Wache!« brummte der Alte, ein wenig böse, weil sein Faden entzweigerissen war. Er fuhr sogleich fort: »›Du tust es aber dennoch!‹ versetzte der Traummann. Da fragte der heilige Abbas: ›Ja, aber wer bist du denn eigentlich?‹ Antwortet der: ›Ich bin der heilige Petrus vom Jordan!‹ – Möge er dich segnen, Herr, und deinen armen Diener! Und am Morgen, wie sie draußen jenseits der Mauer aufgruben, fanden sie wahrhaftig seine Leiche, ganz so angetan, wie der Abbas sie im Traum erblickt hatte! Und mein Vater hat das Grabmal mitten in der Kirche gesehen, darin jetzt die heiligen Gebeine ruhen!« Der Alte schwieg und bekreuzte sich. Nach einer Stille sagte der Kaiser: »Du kannst schlafen gehen!« Der Alte prüfte den Docht der Nachtlampe und ging.
Einen Augenblick noch lag der Kaiser mit geschlossenen Augen da. Plötzlich richtete er sich mit einem Ruck auf, stieg aus dem Bett, warf den Mantel um, ergriff die Lampe, aus deren drei Drachenköpfen das Licht blakte und schlich auf leichten Nachtschuhen in den Ankleidesaal. Die Lampe in der Linken haltend, öffnete er eine im Wandgetäfel fast verborgene Tür und schritt den Gang hinab, der zu der Kaiserin Gemächern führte und der auf Justinians Befehl seit den ersten Tagen seiner Ehe dem allgemeinen Verkehr entzogen worden war.
So traf er niemand an, obgleich man erst den vierten Tag der Woche zählte und seit des Kaisers Krankheit sich daran gewöhnt hatte, ihn nur Sonnabends zu erwarten.
Der Gang mündete vor einem Bronzetor, das einst einen Hekatetempel behütet hatte, und in einem Rahmen von getriebenen Fruchtgewinden Darstellungen des finsteren Kults zeigte.
Das Tor tat sich, von Justinians Hand berührt, lautlos auf, und er wäre fast über Ukri gefallen, der auf der Schwelle lag und in schlaftrunkener Verstörtheit ihn erkannte. Der Neger stieß einen gurgelnden Schrei aus, ehe Justinian ihm wehren konnte.
Aus dem Vorhang, der das kleine Vorgemach nach hinten zu abschloß, lugten fassungslose Gesichter.
Justinian schritt unbeirrbar vor und zwischen den auf das Antlitz gefallenen Mädchen und Knaben und Sklaven hindurch. Er sah eine schmale Gestalt und erkannte Mizrah, die wie eine gescheuchte Blindschleiche entschlüpfen wollte.
Der Kaiser streckte die Hand aus, den zweiten Vorhang zu teilen. Da schob sich ihm die Haushofmeisterin in den Weg, der der Nachtdienst oblag.
Sie war nach ihrem Rang gekleidet und geschmückt und das riesige Schleiergebinde auf ihrem Haupte rutschte bei jeder ihrer Verbeugungen tiefer in die Stirne. Ihr fettes Gesicht ordnete sich zu einem Lächeln.
Und Eudoxia flüsterte, den Kopf schief geneigt: »Die allergnädigste Herrin schläft!«
Justinian sah aus halbgeschlossenen Lidern auf sie herab und schritt vorüber.
Aber Unmögliches geschah.
Eudoxia drängte sich am Kaiser vorbei, und nochmals ihm in den Weg gestellt, mit einem Gesicht, in das der Schrecken ungewohnte Falten zog, so daß die dicke Schminkschichte von Sprüngen durchzogen schien, sagte sie: »Die allergnädigste Herrin ist eben erst eingeschlafen.«
Einen einzigen Augenblick lang sah Justinian sie an.
Dann scheuchte die Gebärde der Rechten sie fort wie ein Insekt.
Justinian hörte ihr unterdrückt winselndes Altweiberweinen, da er ins Schlafgemach trat.
Es war hier halbdunkel wie stets. Er roch Essenzen, den Duft verglimmenden Ambers und warmer Nacktheit.
In der Ecke aneinandergedrückt und eilig zu Boden sinkend, drei, vier Frauen Theodoras.
Der Basileus ging ohne Hast auf das Lager zu. Es stand, an allen Seiten gleich breit und von Vorhängen umschlossen, in der äußersten Wandecke.
Justinian sah zu dem plumpgeschnitzten, schmerzverzerrten Gekreuzigten auf. Dann schlug er den orangefarbenen Samtvorhang zurück. Das Bett war leer.
Im gleichen Augenblick fühlte Justinian seine Knie umschlungen und Eudoxias Stimme gellte: »Gnade! Gnade! Es ist nicht meine Schuld! Der Ehebrecherin gebührt Strafe, die die Nächte an Stätten der Lust verbringt, nicht mir! Wie konnte ich sie zurückhalten! Ich habe der Kaiserin Eufemia zwanzig Jahre gedient, ich bin alt, schone meiner!«
Mit einem Male war das Schlafgemach, in weitem Abstand von des Basileus Person, von Lauschenden erfüllt. In den Türen drängten sich entsetzte, gierige, weinende Gesichter.
Der Kaiser trat einen Schritt zurück, um sein Gewand zu befreien, an das die Schluchzende sich klammerte.
Und er sagte mit halbgeschlossenen Augen, gelassen zur Menge hingewandt:
»Sind dergleichen bedauerliche Anfälle schon vorgekommen? Dann hätte man uns wohl benachrichtigen müssen! Man hole unseren Leibarzt Jefraim und lasse der Unglücklichen alle Pflege angedeihen! Doch entferne man die Kranke. Die Kaiserin könnte in ihrer Nachtruhe gestört werden!« Und er schloß eigenhändig den Spalt der Vorhänge.
Eudoxia, die, beide Hände am zahnlos offenen Mund, mit runden Augen gelauscht hatte, schrie auf, von neuem des Kaisers Fuß umklammernd. »Ich bin nicht krank! Ich bin nicht toll! Ich lasse mich nicht wahnsinnig machen um ihretwillen!
Hilfe! Hilfe! Sie morden mich! –
Fluch über dich, du Dämon!« ...
Der Basileus stand reglos, die Brauen teilnehmend hochgezogen, den Kopf ein wenig geneigt, und sah zu, wie Burbo der Schreienden seinen Mantel in den Mund preßte. Ukri riß sie empor und trug sie hinweg. Der Kaiser wandte sich und sagte gedämpft zu dem Rudel erschreckter Frauen: »Wie muß der heutige Empfang die Basilissa ermüdet haben, daß selbst dies Toben sie nicht zu wecken vermochte.«
Und an den aufatmend sich Verneigenden vorbeischreitend, befahl er: »Die nächste Patrizierin im Rang übernimmt den Dienst der armen Geisteskranken!«
»Gib acht! Stütze dich auf mich, du fällst!«
»Halte die Fackel nicht so töricht, dann sehe ich die Stufen selbst. Du störst mich nur!«
»Gib mir die Hand, wen willst du zuerst sehen?«
»Das ist hier. Links. Warte! Die vierte Tür! Halte den Mantel vor, der Dunst ist bestialisch!«
Die eherne Tür, die der Rost blättrig wie feuchter Aussatz bedeckte, knirschte.
Ein Loch tat sich auf, ein schwarzer Abgrund, aus dem der Gestank in Schwaden aufstieg.
»Kann man ihn sehen?« fragte Theodora.
»Es ist zu tief!« antwortete Burbo. Er streckte die Fackel vor. Von dem schmalen, schleimig-schlüpfrigen Rundsteg roter Backsteine, auf dem sie standen, sah man nur die kreisrunden Wände des Schachtes. Tropfen lösten sich und fielen von Zeit zu Zeit klickernd auf Wasser auf.
Theodora bog sich vor.
»Serenus!« rief sie. »Bischof Serenus, hörst du mich?«
Nach einer Pause, als bedürfe die Stimme langer Frist, um den Ton nach oben zu tragen, scholl es: »Wer ruft dem, der ich gewesen bin?«
» Ich rufe dir. Theodora, Kaiserin von Byzanz!«
»Fluch diesem Namen! Fluch dir Verworfene, die du kommst, meiner Leiden zu spotten!«
»Ich kam nicht, dein zu spotten, Serenus, den sie den Fürbitter nennen!
Du kennst die Ursache deiner Leiden! Warum weigerst du mir deine Kraft, die du jeder Bettlerin schenkst! Willige ein, morgen vor dem Altar mich mit Fruchtbarkeit zu segnen und ich mache dich zum Papst von Rom!«
Da kam die Stimme herauf wie Donner.
»Ich schmachte hier in ewiger Dunkelheit, meine heilige Tonsur verwächst, meine Nägel sind Klauen, scharf genug, die Ratten zu zerfleischen! Aber nimmer soll mich leibliche Qual vermögen, deinen Schoß zu segnen, daß er dein und Justinians Kind gebäre, eine Geißel der Menschheit, ärger als Sardanapal, Nero und Heliogabalus! Unfruchtbar sollst du sein wie das Weizenfeld, darüber Legionen schritten! Verflucht sollst du sein, daß Wahnsinn dein Gelächter verkehre in ...«
»Schließ zu!« herrschte Theodora vom Gange her. »Wie lange willst du ihn noch anhören?«
Burbo legte die Schlösser von neuem vor.
»Den sollten wir lassen!« murmelte er. »Sie sagen, er sei ein heiliger Mann und großer Wundertäter!«
»Was kümmert mich, was die Orthodoxen sagen! Haben sie nicht genug der Väter meines Glaubens verfolgt? – Wer schreit da drunten?«
»Priscus!«
»Warum denn hier? Ich befahl scharfes Gefängnis!«
»Es ist keines leer! Serenus und Petros und Alexandras und Marco und –«
»Genug. Ich kenne, die ich strafe.«
Und sich vorbeugend, rief sie durch das Gitterfenster: »He! Alexandras! Buhlt es sich lieblich mit Schlangenfürstinnen und Krötenprinzessinnen? Ja, hättest du früher schon so süße Wollust genossen, du hättest der armen Antonina nachsichtig ihren Theodosius gegönnt und nicht dem wackeren Belisar Dinge enthüllt, über die ich selbst den Schleier geworfen hatte!«
Und ihr unbändiges Lachen hallte in dem dunklen Schacht.
Stöhnen antwortete.
»Was ist das?« fragte sie.
»Fausta. Nun hörst du's selbst, sie stirbt.«
»Um so besser für sie, der Tod vereint sie ihrem teuren Angelobten! Man wagt nicht, ungestraft zu lieben, wo ich begehre!«
»Aber Mundus ist schon seit Monden tot und dein Bett wird seither nicht leer von Männern! Gib sie frei! Das Mädchen und den Fürbitter!«
»Fürbitter du selbst! Halte doch du segnend die Hände über mich, vielleicht kreißt endlich mein Fleisch! Denkst du dran, wie ich im Straßengraben lag und du hocktest bei mir und heultest? Es war ein Knabe!
Lebte er, wer weiß, des Hekebolos Sohn würde einst ›Herr der Welt, schlimmer als Sardanapal, Nero und Heliogabalus!‹ Was glotzest du mich an?
Sperr auf! Gib her, du bist ungeschickt! Leuchte! So!« –
Sie verblieb auf der Schwelle und er leuchtete in das Gelaß, das kaum weiter im Geviert war als ein mittlerer Tisch. In die Wand war eine armlange, bewegbare Stange eingelassen, daran der Halsring angebracht war, an dem Petros hing. Diese Stange erlaubte ihm, an der Wand zu lehnen, wobei er die Füße an der gegenüberliegenden aufstemmte, oder Brot und Krug vom Eckbrett zu langen. Aber er vermochte sich weder zu bücken noch zu setzen, und er schlief stehend, die Hände um den Halsring gekrallt, um dessen würgendes Gewicht zu lindern. Seine Notdurft sammelte sich in einem pesthauchenden Hauf hinter ihm. Tag und Nacht brach kein Lichtstrahl herein und kaum ein Luftzug durch die unerreichbar hohe Ganglucke.
Theodora leuchtete ihm ins Gesicht. Seine vorgequollenen, rotunterlaufenen Augen vertrugen das Licht nicht, sie blinzelten und tränten ausdruckslos.
Der Bart machte sein Gesicht, das von Schmutz starrte, zur Fratze. Das verfilzte Haar, dessen Ungeziefer ihn so sehr quälte, daß er die Kopfhaut blutig riß, zottelte in die Stirne, der zahnlose Kiefer bebte wie bei Greisen.
Theodora zog, ohne Ekel oder Rührung zu zeigen, behutsam den Ring von dem eitrig geschundenen Halse ab und goß aus einem Fläschchen ölige Tropfen aufs Eisen, die sich gierig einfraßen. Der Halsring fiel klirrend in zwei Stücken zu Boden.
»Er wird ohnmächtig!« rief Burbo.
Der Entfesselte schwankte und fiel schwer an Burbos Schulter.
Theodora hatte sich gebückt und hielt prüfend die Teile des Halsringes ans Licht.
»Darum ging es so schnell! Das Eisen war schon fast durchgefeilt, sieh her!« sagte sie mit achtungsvollem Lächeln. »Er ist noch immer der alte Petros! Nimm ihn auf den Rücken und komm!«
Als Petros zu sich kam, befand er sich in einem Gemach, dessen Ampel von smaragdfarbenem Glas das Licht so sehr dämpfte, daß es seinen Augen Wohltat schien. Er griff nach dem Hals. Der Reifen war fort und seine Hand nahm den Geruch des Balsams an, der auf seine Wunden gelegt worden war. Er richtete sich auf. Sein Bett war lachsfarbene Seide. Er war gebadet und sein gesalbter Körper roch nach Blumen. Als er, an die lebendige Pein von Haar und Bart schon gewohnt, an seine Wangen fuhr, da waren sie glatt und auf dem beschnittenen Scheitel fühlte er die Glätte heiliger Tonsur. Aber als der Wunder größtes bestaunten seine trüben Augen den zum Bett gerollten Tisch, den kalte und dampfende Speisen belasteten. Er tat eine Bewegung, als wollte er den Teufelshohn solcher Erscheinung zerrinnen machen, wie oftmals in der Zeit der Kerkerhaft.
Aber die Speisen blieben Wirklichkeit. Er aß wie ein Tier, die Seide seines Lagers mit tropfendem Safte befleckend. Und er verfiel in langen Schlaf, sowie er den einen Becher geleert hatte, den seine Vorsicht ihm gestattete.
Als er zum zweiten Male erwachte, traf sein erster Blick ein über ihn geneigtes lächelndes Mädchengesicht.
Die Kleine kniete nackt, ihr schwarzes Haar fiel bis auf das lachsfarbene Pfühl. Sie hatte die dunklen Augen, wilden Lippen, bräunlichovalen Wangen der Jüdin und glich Noemi.
Einen Augenblick lang wähnte sich Petros in der Zirkustaverne und war geil und glücklich. Aber plötzlich löste er die Zarte von sich los, sah sie fest an und sagte: »Melde der Kaiserin, der Mönch Petros habe nichts gegen den Speck einzuwenden, wohl aber gegen die Falle!«
»Du gefällst mir, Petros«, sagte der Kaiserin Stimme. »Wirklich, du scheinst der, dessen ich bedarf.« Theodora trat aus den Vorhangfalten und das Mädchen entglitt.
»Ich entbinde dich der Ehrerbietung. Siehst du, ich setze mich an dein Bett. Und nun laß uns wie zwei Händler sprechen, von denen der eine Ware besitzt, der andere sie erschachern möchte. –
Die jüngste Vergangenheit war nicht dazu angetan, dankbare Gefühle für mich in deinem Herzen zu wecken. Aber nun bedarf ich deiner, und wenn du klug bist, so nütze mir, und ich bin deine Freundin. Still! Ich kenne deine Anwürfe. Du gabst mir die Nikabündler in die Hand und statt des Bischofsringes, den ich dir versprach, gab ich dir den von Eisen; – nebenbei, es würde mir Genugtuung bereiten, erführe ich, woher du in den Besitz jener vorzüglichen Feile gelangtest. – Aber bedenke selbst, hätte es dir genützt, wenn ich, sogleich da der Aufstand im Blut erstickt worden war, dessen Erreger, der du ja warst, trotz Hypathios, mit offener Gunst bedeckt hätte?«
»Basilissa, es ziemte mir nicht, deine Rede zu unterbrechen. Nun will ich dir antworten. Ich war töricht genug, dir einmal zu vertrauen. Doch darf dich dies mich nicht gänzlich unterschätzen lassen!«
»Petros. Für die geistliche Vorsicht deiner Gespräche mangelt mir die Zeit. Es gibt noch genug Halsringe, die selbst du nicht wirst zerfeilen können. Petros, du verrietest mir die Nikabündler für das Bischoftum Ravenna. Wie, meinst du, würde dich die violette Farbe kleiden? Dies Dekret des Papstes hier, in deine Hand gelangt, macht dich zum Patriarchen!«
Über des Priesters Gesicht zuckten Blitze gieriger Klugheit. Aber jäh sich besinnend riß er das Pergament an sich, Siegel und Schrift zu prüfen. Er behauchte es und hielt es gegen das Licht, erwärmte es, wischte mit dem Ärmel darüber hin, endlich überreichte er es mit achselzuckender Verbeugung an Theodora.
Theodora lächelte ohne Ungeduld.
»Ich werde mit dir zufrieden sein, übst du stets gleiche Vorsicht!« Und sie flüsterte scharf, hastig, herrisch: »Amalasuntha, die Königin der Goten, sucht in Byzanz Zuflucht vor den Wirren ihres Landes. Sie ist schön und hat einen Knaben geboren. Die Räte liegen Justinian heimlich an, seine Ehe mit einer Frau nichtpatrizischer Herkunft, die ihm keinen Erben bringt, zu lösen und die Tochter Theoderichs auf den Thron zu setzen. Ein Gesandter des Kaisers schifft sich in wenig Wochen ein, um Geschenke nach Ravenna zu bringen, die die Gotin der kaiserlichen Gnade versichern. Der Gesandte, der seine hohe Würde in Dienst so guter Sache stellt, bist du, Patriarch von Ravenna!«
»Und es widerfährt ihr ein Unfall während ihrer Herreise?«
»Nein, das wäre zu spät. Der kaiserliche Segler, der dem deinen nachfolgt, um sie mit Prunk nach Byzanz zu bringen, wird von Tribonianus geführt und Amalasuntha verunglückt leider, ehe sie das rettende Schiff erreicht.«
»Und wenn man es entdeckt?«
»Dann hast du deinen Strick verdient, Patriarch von Ravenna! Drei Tage gebe ich dir Zeit, dich zu pflegen. Ich will dir auch dein braunes Speckschwärtlein wieder senden, daran die arme Maus Petros vorhin so gern geknabbert hätte! Am vierten Tage machst du deine Rückkehr von heiliger Pilgerschaft und deine päpstliche Bestallung bekannt!«
»Ich nehme an!« sagte Petros.
»Siehst du, ich wußte, wir würden einig im Handel. Verrätst du mich, verrätst du dich! Leb wohl!«
Auf der Schwelle wandte sich Theodora.
»Eines noch, du liest in jeder Stadt, durch die dein Weg dich führt, drei heilige Messen für eine Leibesfrucht der Kaiserin Theodora!«
Der Basileus saß in einem hochrückigen Stuhl und wärmte seine bleichen Hände an einem kleinen Kohlenbecken, dessen metallene Tragplatte auf seinen Knien ruhte. Prokopius hielt ihm, neben dem Schreibtisch stehend, Brief um Brief zur Siegelprüfung vor und erbrach das Schreiben, wenn der Kaiser genickt hatte.
Dann erklang Prokops eintönige Stimme, als würden trockene Erbsen in einem Siebe gerüttelt »... fünfundachtzigtausendachthundertundfünfzig Säcke Weizen, achtundsechzigtausendvierhundert Säcke Gerste, dreiundzwanzigtausend Kisten Hartbrot, sechsundneunzigtausendsiebenhundertunddreißig Ballen Heu ...«
Der Kaiser klopfte an den Beckenrand. Ein winziger Mohrenknabe sprang aus halbem Schlaf empor, den Handwärmer fortzutragen.
Die Hände nach seiner Gewohnheit fröstelnd in den Ärmeln bergend, fragte er, Prokops Vortrag unterbrechend: »Keine Nachricht aus Italien?«
Prokop sah erstaunt auf.
Fast alle heute verlesenen Schreiben hatten Kunde aus italischen Heerlagern gebracht.
Der Geheimschreiber prüfte des Kaisers Gesicht. Es schien ihm, als sei der Blick ungewöhnlich matt. Die frühgefurchte Stirne lag diademlos offen.
»Er leidet!« dachte der Vertraute und verbarg ein hämisches Lächeln.
»Keine Nachricht von Tribonian, Erlauchter!«
Justinian schien nicht zu hören. »Sie müssen schon an Bord sein. Die ›Leukothea‹ geht sicher«, murmelte er. Er erhob sich jäh und begann an dem kleinen, verschreckten, verschlafenen Neger vorbei auf und ab zu gehen.
»Wann könnte sie, – wann kann die Königin hier sein?« fragte der Kaiser.
Prokop lächelte von neuem. »Nicht vor dem nächsten Neumond, bei schnellster Fahrt.«
»Sie werden wohl so schnell nicht segeln können, da ein Weib an Bord ist.«
»Königin Amalasuntha erträgt des Meeres Unbilden wie ein Mann!«
Justinian wandte sich so rasch, daß sein Mantel am Estrich zurückfegte.
»Woher weißt du das?« fragte er scharf.
»Man sagt es so, Erlauchter.«
»Man sagt es! Man sagt es! Es wird zu viel geschwatzt und zu frühe!« Der Basileus warf sich in den Sessel und herrschte: »Lies weiter!«
Prokop ergriff, sich tief verneigend, den Bericht des Schiffmeisters und las: »Siebzigtausend Fässer gepökelten Hammelfleisches, fünfundvierzigtausend ...«
Vom Saal der Wache scholl Erzgeklirr und der Ruf des Hauptmannes, der das Nahen kaiserlicher Macht verkündete.
Justinian erhob sich langsam, auf den Tisch gestützt. Prokop rollte den Papyros in seinen unruhigen Händen zusammen.
Die Bronzetür flog knirschend zurück. Lichtglanz brach in das nächtliche Arbeitsgemach. Man sah in den Saal hinaus, der voll glitzernder Waffen und farbiger Frauengewänder war.
Theodora, in einem weiten verbrämten Purpur, den Schleier zurückgeschlagen, stand auf der Schwelle. Sie rauschte mit dem Ansturm einer Woge heran, streckte die Hände aus, stammelte: »Mein Gemahl!« zog sie zurück und herrschte, Prokop erblickend: »Schick den da weg!«
Bevor Justinians Gesicht sich ihm noch zuwandte, erhob sich Prokop aus der Proskynese und ging. An der Tür sich nochmals neigend, schloß er sie von außen.
Im gleichen Augenblick lag Theodora zu Justinians Füßen.
Sie lachte wie eine Irre und die Tränen rannen zugleich über ihre Wangen, sie bebte so, daß ihr Schüttern ihn schwanken machte, sie stammelte, daß den Sinn ihrer Worte zu entnehmen fast unmöglich war. »Wir werden ihn haben, wir werden den Sohn haben – den Erben! – –« und wie mit letztem Atem hervorgestoßen »... Er ward mir verheißen!« Sie fiel zurück, die Glieder in allen Gelenken gelockert und zugleich schwer wie Blei.
Justinian riß ihr Haupt empor, sie atmete kaum. Er wußte nicht, wohin sie betten, fegte mit beiden Händen Schriften, Briefe, Erlässe, Gesetzentwürfe in Haufen vom Tisch und hob schwer, denn er war nicht stark, mit des Negerknaben Hilfe ihren schmalen Körper hinauf.
Er raffte die Kissen von seinem Stuhl, die er unter ihr Haupt stopfte und wusch ihre Stirne mit seinem noch unberührten Abendwein. Sie schlug die Augen auf und mit beiden Händen das Gewand an seiner Brust fassend flüsterte sie durchdringend, hastig.
»Er ward mir verheißen!«
»Aber von wem, von wem?« fragte Justinian vor Ungeduld fast barsch.
»Von einem deiner ägyptischen Quacksalber oder Schlangenbeschwörer?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der heilige Simeon war bei mir – im Traum, – in deines Oheims Justinus Gestalt.«
Justinian wollte fragen, sah den kauernden Negerknaben, der offenen Mundes lauschte, unterbrach sich und gebot dem Kleinen ruhig: »Du kannst gehen!«
Dann mit Theodora allein, hin und her gehend, an raschelnde Pergamente streifend, immer nur wenige Schritte neben dem Tisch, auf dem sie lag, sagte er plötzlich:
»Du hast meinen Oheim Justinus nie gekannt!«
»Nein«, sagte sie, mit Augen, die über ihn hinaussahen.
»Aber ich wußte im Traume, daß er so aussah. Er trug einen silbernen Bart und an der Schulter eine Spange mit drei kinderfaustgroßen Smaragden, die den grünen Mantel schloß ...«
»Wahrlich, so ward er beigesetzt«, murmelte Justinian, sich bekreuzend. »Jesus Christus, führ ihn ein, in dein Paradies! – Was also waren seine Worte?« Mit weiten Augen starrend, sagte Theodora, als spräche sie einer nur ihr hörbar versagenden Stimme nach: »Höre mich, Theodora von Byzanz! Ich bin Simeon, der Diener Gottes, und abgesandt, dir zu melden, daß der Herr der Gnade die Strafe der Unfruchtbarkeit von dir nimmt, die er auf dich gelegt hat, um deiner früheren Schuld willen. Baue ein Sühnkloster an der Stätte deiner Sünden und Justinians Same soll aufgehen in dir und du wirst einen Sohn gebären, der wird sein vor allen Königen, im Aufgang und Niedergang!« Sie fiel zurück, ächzend wie eine Sterbende.
»Wenn du mir den Sohn gebierst, Theodora!«
Er ließ sie los. »Ich will ein Kloster bauen! O! Morgen berufe ich die Baumeister. Vigilius muß es von offener Kanzel dem Volk kund tun, daß zu dir der Engel der Verkündigung kam, wie zu Maria ...«
Man pochte in drei Schlägen an die Tür.
»Wer da?« fragte Justinian unwirsch.
»Prokopius von Cäsarea mit Briefen aus Italien. Besondere Eilboten!«
Der Kaiser ging zur Tür und schob sie zum Spalt auf.
Theodora lag und lächelte.
»Ich lese selbst!« sagte Justinian, nahm die beiden Rollen an sich, die das Zeichen der Eilbotschaft trugen, schloß die Tür und kam zurück.
Er zögerte einen Augenblick, ging dann zum Tisch und begann, der Lampe zugewandt, nach hastiger Siegelprüfung zu lesen.
Er hatte kaum die ersten Zeilen überflogen, als er den Kopf hob und Theodora ansah. Sie schien zu schlummern. Er riß den zweiten Brief auf, der sehr kurz war, legte beide Blätter auf das kleine Tischchen, ging einmal auf und ab und trat dann zu Theodora.
Er fragte plötzlich und laut: »Weißt du, daß Amalasuntha ermordet worden ist?«
Die Ruhende schlug langsam die Lider auf und sah ihn an, als begriffe sie nicht, plötzlich nahm ihr Antlitz Ausdruck an. Sie richtete sich empor und mit großen Augen erschreckt fragend, die Hände zusammengeschlagen, stammelte sie: »Was sagst du?«
»Amalasuntha ist ermordet worden!« wiederholte er laut und scharf, ohne sie mit Blicken loszulassen. Theodora neigte ihr Gesicht. Und nach einer Stille sprach sie erschütterten Tones: »O Justinian, wie müssen diese streitenden Gotenfürsten das arme Weib gehetzt haben, ehe sie sie erschlugen! – – Und ich habe sie so tief gehaßt, weil sie hieher kommen wollte und mir dich rauben!«
Justinian riß ihr Antlitz am Kinn empor. Ihre Augen waren feucht.
»Nein, nein!« murmelte er, »Christ steh mir bei, wie mocht ich's denken! – Nein, Theodora, sie kam nicht von der Hand der Fürsten um, sie ertrank im Bad, das ein rachsüchtiger Thermenwärter ihr bereitete. Petros schreibt's und Tribonian bestätigt es. – O Theodora! Nun werden wir wohl endlich Ruhe haben von dieser Knabengebärerin!« »Gott hat es anders gewollt!« flüsterte sie. »Aber Justinian, gibt es nicht noch der Fürstinnen hohen Blutes genug, die über mein zertretenes Herz hinweg deinen Thron ersteigen können?«
»Nicht, nachdem uns dies verheißen ist! Nimm meinen kaiserlichen Eid!
O du Leib, der meinen Erben empfangen wird ...«
Theodora entsann sich unter seinen Küssen jener Nacht, da sie zu dem Knaben Burbo gekommen war, auch seinen Knechtschaftsschwur zu empfangen.
Und sie dachte: »Lüge – Brunst – Mord, Mord – Brunst – Lüge!«
Narses trat in den Vorsaal der Kaiserin, der von Wartenden erfüllt war. In dem Gemach, dessen polierter Marmorboden wie ein Spiegel verwirrende Reflexe und Bilder der Hin- und Widergleitenden fing, standen Gruppen flüsternder Würdenträger jedes Alters und Ranges in Gewändern von wetteifernder Kostbarkeit.
Von allen Anwesenden war nur einem einzigen ein Stuhl geboten worden. Der uralte Patriarch von Antiochia saß, braun und verrunzelt, in seinen leuchtenden Gewändern da. Von Zeit zu Zeit öffnete er tränende, verpichte Lider, und seine farblosen Greisenaugen blinzelten.
Mit einem Schlage beugten sich sogleich die tonsurierten Lockenhäupter zweier starker und schöner Jünglinge vor, und die beiden Diakone hinter seinem Lehnstuhl forschten flüsternd nach des heiligen Vaters Begehr. Dann hob der Alte mühsam seine zitternde Mumienhand zum Segen und schlief von neuem.
Als man Narses erkannte, ging Raunen durch den Vorsaal der Kaiserin.
Er dankte den Verneigungen, lächelte und wechselte Grußworte. Plötzlich fühlte er sich am Mantel gefaßt.
Des Quästors Basilides feistes, ehrliches Gesicht sah ihn, bedeutungsvoll nach einer Nische zwinkernd, an.
»Welch gnädiger Zufall, der mir deine ehrwürdige Gegenwart schenkt!« sagte Narses, aus der Verneigung auftauchend.
»Es ist meinen armen Augen Labsal, Eure Großwürdigkeit zu sehen!« gab der Quästor zurück.
Kaum dem Gewühl ein wenig entfernt, flüsterte er sehr erschrocken: »Bist du doch gekommen? Ganz Byzanz wettet heute, ob du den Mut haben würdest, ihr als Sieger entgegenzutreten!«
»Dann muß jene eine Hälfte, die durch mein Hiersein gewinnt, zumindest recht wohl auf mich zu sprechen sein.«
»Bist du so spaßhaft gelaunt? Glaube mir, die da drinnen ist nicht dazu geschaffen, Niederlagen zu erdulden. Und sie wird sich und Belisar an dir rächen!«
»Wenn die da drinnen Niederlagen nicht erdulden kann, dann ist ja Belisar der Mann, an den sie sich wenden muß. Sancta Sofia, wie haben der Goten Rosenfäustchen an seiner Lorbeerkrone gezaust!«
»Narses, ich bitte dich um unserer Knabenfreundschaft willen, geh fort von hier, verbirg dich – ich fürchte für dich!«
»Du vergissest, daß des Kaisers Wille diesmal gegen den ihren steht!«
»Des Kaisers Wille! Haha! Du Narr! Hoffst du darauf? Den schmilzt eine einzige Nacht!«
»Nicht mehr! Nicht mehr!« frohlockte Narses. »Endlich nicht mehr, seit sich dartat, daß der gute Sanct Simeon falsch zu weissagen geruht hat! Der Verbindungsgang von ihm zu ihr ist verrammelt, Basilides! Verrammelt!«
»Ich habe nie nach Kammergeheimnissen gefragt! – Ein Kaiser ist nicht minder ein Mann! – Aber sei dem so, und sie fühle ihre Macht sich verringern, wähnst du wirklich, sie wüßte ihren ärgsten Feind nicht zu treffen?«
»Ich wette, du forderst mir noch den Eid ab, in Italien kein Bad zu nehmen, um nicht auf beliebte Weise zu ›verunglücken‹, Alter!« Narses brach jäh ab.
»Auf ihrer Gottähnlichkeit, der erlauchten Kaiserin Theodora Befehl, einen Sitz für Narses, den obersten Heerführer des Basileus!« rief ein Kämmerer in den Saal.
Er war jung und geschmeidig und flammte wie eine Tulpe, gelb und rot.
Auf seinen Wink schleppten zwei Mohren den elfenbeinernen Stuhl herbei und warfen sich flach vor ihm zu Boden.
Als Narses den Ehrensitz eingenommen hatte, rafften sie sich blitzschnell auf und verschwanden, während der Kämmerer, hochmütig sich in den Hüften wiegend, durch den Saal hin abging, den schlanken Stab vor sich hertragend. Narses saß auf dem sehr hohen Sessel, von dem seine Beine herabbaumelten. Er fühlte, welch Bild er bot. Sein Gesicht war zu fratzenhaftem Grinsen verzerrt und zwischen Eitelkeit und Selbstverhöhnung schwankend, kicherte er: »Sitz ich nicht hier wie Agamemnon?«
Er lispelte dabei stark, wie immer, wenn er verlegen war.
»Ich weiß nicht, ob deine Ehrwürdigkeit sich meiner entsinnt, mein Feldherr?« flötete ein kleiner, magerer Mann in strahlenden Gewändern. »Ich bin deiner Ehrwürdigkeit Diener, Johannes, des Lividius Eidam. Sieh ihn hier selbst!«
»Guter Himmel, Freund Lividius,« sagte Basilides erschrocken. »Warum diese düstere Miene? Ich will nicht hoffen, daß einem der Deinen ein Unglück zugestoßen sei?« Der alte Senator hob langsam das zuckende Gesicht.
»Das wissen die Fische des Bosporus,« murmelte er. »Die Fische, die vielen stummen Fische.«
Der Eidam fiel hastig ein: »Der Vater will sagen, daß mein Schwager Longinus auf einer Lustfahrt ins Meer stürzte, mach ihn der Himmel selig. Amen!«
Der Alte murmelte hinter seiner Hand. »Die Fische wissen es und ich weiß es. Aber ich bleibe nicht so stumm wie jene!« Der Schwiegersohn zuckte die Achseln. »Deine Sehrwürdigkeit sieht, wie es mit ihm steht. Wir haben um die Gnade angesucht, von der Basilissa empfangen zu werden, zu deren Ehrendienst Longinus erwählt worden war. Aber nun warten wir schon den achten Tag und mir entgehen die Geschäfte ... Gerade jetzt, wo Bauholz so begehrt ist!« – Lividius war noch näher an Basilides herangetreten. »Wohl Narses und denen, die sind wie er! Aber du hast drei Söhne! Hüte dich! Ich habe nur einen gehabt. Die Zeit des Knabenmordes von Bethlehem ist wiedergekehrt! – Er war achtzehn Jahre alt! Achtzehn Jahre!«
Der Eidam hing sich, Schweigen deutend, an ihn.
Es ging ein jähes Aufrauschen durch den Saal. Die Türflügel im Hintergrund waren auseinander geglitten.
Feist, groß und glitzernd, trat der Haushofmeister aus dem Vorhang. Er stieß dreimal seinen mannshohen Stab auf und räusperte sich feierlich. Ein Halbkreis entstand um ihn, das erregte Rieseln der Seidengewänder zischelte durch die Stille.
Selbst der Patriarch tat die Augen auf, die die eines toten Huhnes waren. Und ein Wachstäfelchen weit von seinen Augen ab vor dem achtungeinflößenden Bauche haltend, rief der Haushofmeister: »Seine Sehrwürdigkeit, Narses, oberster Feldherr des gottähnlichen Kaisers Justinianus!«
Narses fuhr empor, verhaspelte sich fast in seinen langen, scharlachenen Prunkmantel und kam mit Johannes' Hilfe zu Boden.
»So schnell!?« lächelte er verwirrt, spöttisch und geschmeichelt in einem und hastig die Verneigungen erwidernd, hinter denen er Neid, Haß, Hohn wie ein Greifbares fühlte, schlürfte er auf den überhohen Kothurnen, jenem tulpenhaft strahlenden Kämmerer entgegen, der tiefgeneigt die Vorhänge vor ihm raffte.
Narses zählte fünf Säle, durch die ihn der Kämmerer, stets eilig vorangleitend, führte.
Sie strahlten von Fackelglanz und waren öde und kalt. Dann öffnete der Begleiter eine Tür und harrte stumm gebückt, bis Narses eingetreten war. Als der Feldherr den fast dunklen Raum betrat, ließ ihn eine Unheilsahnung nach dem Dolch tasten.
Aber er entsann sich, daß ihm gleich allen anderen Audienzsuchern die Waffen beim Eintritt in den Palast abgefordert worden waren. Er sah sich nach dem Kämmerer um. Der war fort. Er hüstelte. Nichts regte sich. Er rüttelte an der Tür, die ihn eingelassen hatte.
Sie bot von innen keine Klinke. Seine Augen bis zum äußersten anstrengend, suchte er die Dämmerung zu durchforschen. Der Saal schien leer.
An drei Wänden hatte das Gemach Türen. Hohe, schmale, grifflose Türen, drei an jeder Wand. Sie waren aus schwarzem, schimmernd poliertem Holz gefügt und von grellroten, am obersten Sims angebrachten Ampeln beleuchtet. Der Widerschein sah aus, als träufle Blut an ihnen herab, als lauerten Ungeheuer des Abgrundes hinter ihnen. An allen neun Pforten klopfte und rüttelte Narses und sie alle waren verschlossen.
Die vierte Wand verblieb in unenträtselbarem Dunkel. Nur das winzige Glimmen eines Kohlenbeckens war unterscheidbar, nach dem sich Narses nun mit vorgestreckten Händen hintastete, immer des mörderischen Zupackens gepanzerter Hände gewärtig.
Ein leises Zischen klang dicht vor ihm, als würde Schnellentzündliches auf die glimmenden Kohlen geschüttet. Eine blaue, grade Flamme schlug auf. Narses sah Theodora auf einem Thronsessel sitzen, vor dem der Dreifuß flammte. Auf der ersten Thronstufe kauerte, geduckt wie ein Affe, ihr Neger Ukri, ein breites, blankes Schwert über den Knien.
Narses sank, erregt und unwillig über solch Gaukelspiel zur Proskynese nieder und fühlte: »Nun winkt sie – und das Schwert zischt auf meinen gebeugten Nacken herab!«
»Erhebe dich, Großwürdenträger unseres Reiches!« sagte die Kaiserin. »Es ziemt uns nicht, den vor uns knien zu sehen, vor dem die Goten im Staube liegen werden!« Narses hob den Kopf.
Das von Edelsteingehängen umzitterte Antlitz lächelte: »O Narses, wir sehen nur mit beunruhigtem Herzen den treuesten Diener und Ratgeber unseren gottähnlichen Gemahl verlassen. Aber wir erkennen, daß die höchste Würde des Reiches nicht in bessere Hände gelegt zu werden vermochte als in die deinen. Wir erflehen den Sieg der Himmlischen für deine Waffen und begleiten dich mit unseren besten Wünschen!«
Theodora ließ ihre Hand unter dem Mantel hervorgleiten, Narses legte, ins Knie gesunken, nach Sitte der Ehrfurcht, seines Mantels Ende zwischen seine Hand und die der Kaiserin, da er sie seinen Lippen entgegenführte. Aber der schwere Samt entglitt dem Ungeschickten und einen Augenblick lang ruhte die lebendig warme Rechte Theodoras in der feuchten, kalten des Verwachsenen.
Narses erhob sich rasch. Und er sagte mit dem gewohnten Grinsen seiner Zwinkerfratze: »So unerwartete Gnadensonne blendet mich armen Erdenwurm, o Gottähnliche! Deine Schönheit erhellt sich im eigenen Schein, wie die der guten lieben Englein. Aber ich muß fast fürchten, das Dunkel täusche dir einen andern, Gunstwürdigeren an meiner Stelle vor! Oder sollte das unerwartete Glück dieser Stunde mich auch äußerlich begnadet und mir Haare und Zähne wiedergegeben haben, und was sonst mir noch abhanden kam?« Theodora sah ihm mit großen, ernsten Augen ins Gesicht.
»Verbirgst du dich wieder hinter der Satyrmaske, Narses?« sagte sie leise und langsam. »Verbirg dich nicht vor mir! Ich weiß, daß du ein Zärtlicher bist und ein Sehnsüchtiger!«
Er hatte alles erwartet, nur nicht dies, und er zuckte wie unter einem Schlag.
Seiner Züge Grinsen zerfloß und sein Gesicht war wie zitternde Gallerte. Sie schnitt sein Stottern ab. »Ich habe mein Gefolge entfernt!« sagte sie, den Kopf ungeduldig in den Nacken werfend, »weil ich endlich, endlich als Mensch zu dir sprechen wollte und nicht als Herrscherin! Flüchte dich nicht hinter ein Lächeln! Ach, ich wußte es ja, ich wußte es, daß du feige sein würdest wie alle anderen und den Mut nicht finden, zu vertrauen ...« Sie hielt inne wie in einem erkaltenden Anfall von Ekel, von Enttäuschung. Ein Schweigen entstand. Theodora hielt den Blick unverwandt in ihren Schoß geheftet.
Der Verwachsene tat mehrmals die zitternden Lippen auf. Endlich gehorchte die Stimme.
»Du vergibst mir, wenn ich staune, Gottähnliche! Deiner Huld so ungewohnt ...«
»Huld!?« blitzte Theodora ihn an. »Ich biete dir Freundschaft und du sprichst von Huld? Ich halte den Spiegel vor deine Seele und du mißtraust? Geh, du bist ein Sklave wie alle anderen!«
Narses stand, den Kopf vorgestreckt, den Mund offen, und als wäre ihm zugleich mit seinem Hohnlächeln alle Kraft geraubt, stieß er heiser und fast tölpisch grob hervor: »Was verlangst du von mir?«
»O Narses!« sagte sie und ihre Stimme klang tief und weich, »wie oft habe ich mich nach dieser Stunde gesehnt und darnach, dich zu fragen, warum du, gerade du! mein Widersacher warst, von Anbeginn? Gegen andere war ich grausam und verächtlich und hart, das ist wahr, und ich werde es nie leugnen, nicht vor Gott und nicht vor dir! Aber sie küßten ja noch den Fuß, der sie zertrat. Gegen deinen Geist aber habe ich nie zu streiten gewagt! Und jede deiner Taten, von Anfang her, war ein Schwertstoß gegen mein Herz! Du warst es, der die Patrizier gegen mich aufrief, du warst es, dessen Spottworte immer von neuem meine Vergangenheit aufwühlten, du hast Justinian die Erblosigkeit zur Schande werden lassen! Du rissest mir die Krone vom Haar und teiltest sie der Barbarin zu, der Gotin! Und niemals fand ich, wenn ich litt, Antwort auf die Frage: Warum haßt mich der einzige, dessen Geist ich achte? Warum kann ich ihn nicht besiegen und nicht bestechen? Warum sind einzig für ihn meine Locken nicht weich, meine Lippen nicht rot?«
Da brach der Verwachsene vor ihr zusammen und das jahrelang Verhohlene barst auf wie ein Geschwür ...
»Ich wagte ja nicht – ich wagte ja nicht! Ich starb ja innen und wagte ja nicht ...«
Und der von Natur und Menschen Verstümmelte wand sich zuckend zu ihren Füßen, die er mit speichelnden Küssen deckte.
Da sprang Theodora vom Thron auf und schlug in die Hände.
»Sieh her, wie ich dich ehre, mein stürmischer Werber!« sagte sie.
Von allen Seiten her, durch alle die neun heimtückischen Pforten des Unheils, brachen Männer herein.
Der Schein ihrer Fackeln war so grell, daß Narses die gelbe Farbe ihrer Gewänder erkannte und die hoch zugespitzten Mützen der Palasteunuchen, vierundzwanzig an der Zahl.
Und wie sie im Halbkreis auf ihn eindrangen, sangen sie in einer schrillen, sägenden Fistel den Chorus:
»Du unser Mitbruder Narses, Heil dir!
Du unser Trost, o Narses, Heil dir!
Du unser König Narses, Heil dir!«
Und sie setzte ihm eine spitze, gelbe Mütze auf, den ihren gleich, nur mit Blech bediademt. Narses schrie auf, schleuderte die geballte Mütze nach der Kaiserin, und es war, als würde er sie ermorden.
Aber Ukris Schwert war kaum erhoben, als Narses in sich zusammenfiel. Er kauerte, wie ein Igel zusammengerollt, das Antlitz in den Fingern bergend, und rings um ihn begannen die Gelbberockten, sich an den Händen fassend, den Kreis zu schließen. Sie hopsten in dämonischem Reigen, Gestalten, bald von klappriger Hagerkeit, bald von schwappender Fettüberfülle, und sie johlten wie berauscht unzüchtigste Gesänge, hoch und schneidend zirpend wie Grillen. Die Finger in die Ohren gepreßt, suchte er im Ansturm hier und da und dort ihre gelbe Kette zu sprengen und stürzte, da sie sich endlich seinem Rasen teilte, stolpernd, fallend, wiederaufgerafft, von der Meute verfolgt, mit Geheul durch die leeren Säle, bis er endlich im Vorsaal der Wartenden unter epileptischen Zuckungen zusammenbrach.
Hinter ihm drein scholl unauslöschlich Theodoras Gelächter.
Sancta Sofia, die große Heilige selbst, hatte es so gefügt, daß am Vorabend der Einweihung ihres endlich vollendeten Kirchenbaues der Schnelläufer anlangte, der keuchenden und lachenden Mundes die erste Siegeskunde des Narses überbrachte.
Als der Herold des Kaisers die Nachricht von der Niederlage der Goten bei Taginä über die Stadt hinausschmetterte, ließen die Byzantiner Schlaf und Bett und zogen mit Gesang und Fackeln aus, die Stadt in einen Lustgarten umzuwandeln.
Kein Häuschen wollte sich so arm und winzig schelten lassen, daß es sich nicht vom Giebel bis zum Boden mit Blumenketten umwunden, von Kreuzfähnlein umflattert, vom Bildnis der Sancta Sofia beschützt, gezeigt hätte.
Jede Straßenkapelle war zur Blütenlaube umgewandelt und die Weisheitskirche selbst, deren Gerüst noch nicht gänzlich abgetragen war, schien wie aus Grün und Knospen aufgebaut.
Der Hafen, von erster Sonne überglänzt, wimmelte von Segeln. Schiff um Schiff schüttete Scharen von Pilgern ans Land, die von weither kamen, an der neuen Glaubensstätte zu knien. Und die Menge der Schaulustigen, die die Feststraße zu beiden Seiten einfaßte, ward zur fünf- und siebenfachen Mauer.
Kaiserliche Söldner drängten die Ungeduldigen zurück. Aber die Kinder schlüpften unter den Lanzen und Pferdeleibern hindurch und stampften, ihre Kreuzfähnlein schwingend, hin und her, die Grasschwaden aufwirbelnd, wie im Herbst die welken Blätter. Wo die Feststraße, just vor der efeuüberrieselten Mauer von Agathons neuem Hause, sich zum Platz weitete, erhob sich ein schöner, alter Brunnen, einen schlafend hingelehnten Bacchanten darstellend, aus dessen umgestoßenem Krug das Wasser quoll und das weite Porphyrbecken füllte. Einer frommen Seele war die unbekümmerte Blöße des Weinseligen als solch heiligem Tage nicht angemessen erschienen, und so schlief der Bacchant mit einem hüllenden Strauß von Anemonen im Schoß, über der wasserspritzenden, kämpfenden, schreienden Schar von Straßenjungen, die das hohe Brunnenbecken zu ihrer heiß umfochtenen Tribüne gemacht hatten.
Ein singender, brauner Dattelverkäufer lockte immer neue Knaben herbei, die jene früheren Platzanwärter zu verdrängen suchten, bis deren Anführer seine Rechte endlich von zwei Fremden ernstlich gefährdet sah.
Ein Jüngling, dessen Tracht und Haarfarbe die barbarische Herkunft verriet, hatte sich, den balgenden Knäuel teilend, an seinem langen Speer auf den Brunnen hinaufgeschwungen, wo er nun lachend saß, und Wasser nach den Untenstehenden schnippte.
»Findest du es klug, da oben zu thronen, wo du mehr gesehen wirst, als du siehst?« fragte sein Gefährte unzufrieden.
»Komm nur, komm! Es ist prächtig hier!« klang es mit Lachen, und die nasse Hand bot sich dem Unwilligen dar, der, ohne der Hilfe zu achten, mit einem leichten Sprung den Brunnenrand gewann. Die Knaben schielten herauf, tuschelten und stießen einander an.
»Holla, was habt ihr denn? Was willst du, Kleiner?« fragte der blonde Fremde in schlechtem Griechisch.
Schweigen, Püffe, stumme Zeichen.
»Weil, weil ... schon seit Sonnenaufgang kämpfen wir mit den anderen, damit wir den Platz behalten – und müssen jetzt fort!« stotterte der kleine Anführer und war dem Weinen nahe.
»Aber nein! So kommt doch herauf! Kommt nur, kommt alle! Es gibt hier Platz genug! Aber freilich, wenn ihr uns hier nicht leiden wollt, meinen Freund und mich; dann gehen wir lieber.«
Der Anführer sog aus seinem schmutzigen Daumen die Antwort.
»Du kannst bleiben. Und der andere auch! Aber hilf mir hinauf!« Der Lachende streckte seinen Speer vor und hob die dran sich Klammernden nach und nach wie krabbelnde Käfer an einem Halm empor. Eine Schar junger Mädchen, die in der äußersten der Menschenreihen stand, hatte sich gewendet und sie sahen flüsternd und kichernd dem jungen Athleten zu, der ihrer Blicke so wenig gewahr ward wie der noch wärmeren einer üppigen jungen Frau, die ein eifersüchtiger Buckliger scheltend bewachte.
»Ich sehe etwas Helles da unten! Der Zug ist nicht mehr allzu fern, denke ich!« sagte der ältere der Gefährten. Mit einem Sprung stand der Blonde aufrecht und spähte, die Hand über den Augen, die Feststraße hinab. Der bucklige Bäcker begann seine Frau am Arm hinwegzuzerren. Aber die Bäckerin beachtete ihn kaum. Sie stand hoch und voll da und sah verzückt zu dem Jüngling auf. Er war sehr groß und wenig bekleidet. Sein Körper leuchtete wie der einer Frau. Sein Fleisch hatte an Schultern, Armen, Brust noch knabenhaft weichliche Fülle, obgleich sich in der schönen Freiheit der Bewegung wie in der Ausbildung der Muskeln hohe Kraft verriet. Er hatte zu den Schultern des Ringers die Beine des Läufers und war schlank um die Lenden, die der erzbeschlagene Schwertgurt eng umfing. Sein flachsenes Haar war straff von der Stirne zurückgestrichen, über dem Wirbel verknotet und fiel lang und dick wie eines falben Rosses Schweif über seinen Rücken hinab. Das Gesicht war nicht schön, gesprenkelt von Sommersprossen, doch das Lächeln schien das strahlende eines Kindes, das gutmütig törichte eines jungen Wilden.
»Jetzt sehe auch ich etwas! Das müssen die Vorreiter sein!« sagte er erregt, zu dem Gefährten zurückgewandt. »Sie kommen!«
Der Angerufene zog ihn zu sich hinab. Er sprach nahe dem Ohr und leise, aber flehentlich drängend. »Aistulf, ich bitte dich, ich beschwöre dich zum letzten Male, überlaß es mir! Es war ein Unrecht von mir, zu losen! Überlaß es mir ganz!« Aistulf warf die lichten Haarsträhne zurück und lachte wie ein Knabe, der beim Würfelspiel den andern überlistet.
»Das Los gilt! Und ich gäbe seinen Spruch nicht um den Blutthron von Byzanz! Bist du neidisch? Dir bleibt noch genug des Ruhmes, übergenug! Und, gesteh! Den Wurfspeer führe ich besser!«
Der Freund sah sich behutsam um. Nein. Da waren keine Lauscher mehr. Selbst die Frau da drunten, diese schamlose Frau, hatte den Blick von Aistulf abgewandt, denn nun kam Roßgetrappel und Tubengedröhn und Erzgeklirr, jetzt kamen die Reiter!
In einem großen Bogen drängten sich die Schauenden nach vorne, von den Isauriern mühsam zurückgetrieben. Die Schimmel warfen schnaubend ihre Köpfe. Die blaugewandeten Bläser, mit dem Goldschild kaiserlichen Dienstes auf der Brust, schmetterten den stolzen Ruf, und ihre Gesichter blähten sich, rot wie Mohn. Während des jauchzenden Geschreis der Volksmenge raunte der Freund: »Denke daran, daß du es nicht tun darfst, ehe sie von der Kirche zurückkehren!« Aistulf ward sehr zornig. »Bin ich ein Kind oder ein Neuling im Waffengebrauch, daß du so schwatzest? Ich werde stillhalten und kämen alle Fratzen der Hölle vorbei! Aber dann! Dann – fffft! mitten in die aufgelösten Reihen hinein! Ha! wie werden sie schreien!«
Der Freund legte die Hand auf Aistulfs weißen Arm. »Mir ist bange!« seufzte er, vom Gebet der herannahenden Mönche übertönt, in das die Menge murmelnd einstimmte. Selbst die Gassenjungen am Brunnenbecken knieten, die Zehen hinter sich ins Wasser getaucht, und bekreuzten sich, wie all das Volk, durch dessen Reihen nun Hunderte von jungen Mönchen zogen.
Sie trugen ganz schwarze oder ganz weiße Festgewänder. Riesige Kruzifixe schwankten über den bloßen Häuptern, deren Tonsuren schimmerten. Ihre nackten Füße versanken im blumenvermengten Grase. Sie hielten die Augen gesenkt, die Hände gefaltet und der leiernde Sprechgesang ihrer ersten Reihen klang schon gleich einem Echo fern, da die letzten einfielen.
»Nimmt das noch kein Ende?« staunte Aistulf. »Ich wußte immer, es gäbe der Mönche zu viel, aber ich hab ihrer noch nie solche Mengen gesehen!«
»So knie doch, knie!« befahl der Freund, »sie werden dich sonst ergreifen!«
»Aligern! Ich? Knien? Eher laß ich mich von all diesen schwarz-weißen Elstern zerhacken!« – »Hör doch! Hör!« zischte der Freund, bleich unter seiner braunen Haut.
»Heil Theodora! Heil Theodora! Segen über die Kaiserin!« jauchzte das Volk. – Die Männer drängten im Ansturm vor, die Isaurier fluchten. Frauen schluchzten. Andere winkten mit ihren Tüchern.
»Kommt sie jetzt?« stammelte Aistulf vorgebeugt.
»Nein, nein! Du kennst doch die Reihenfolge! Jetzt kommen die Huren, denen sie das Himmelreich gekauft hat!«
Das Volk jubelte der Kaiserin Namen. Zum Klange heiliger Lieder kamen, immer fünf in einer Reihe, die fünfhundert Freudenmädchen vorüber, die Theodora ihrem Gewerbe entzogen und im Sühnkloster der Sancta Magdalena zu Dienerinnen der Kirche hatte werden lassen. Fünfhundert junge, fahle, vom Schwarz des Schleiers umrahmte Gesichter zogen vorüber, denen Schminke einst trügende Schönheit verliehen hatte. Fünfhundert Leiber in der schwarzen Tracht ihres geistlichen Gefängnisses, die einstmals Spielzeug der Lust gewesen waren, fünfhundert Augenpaare, dem Himmel zugewandt, dessen Freuden ihnen nicht süßer schienen als jene, die man ihnen genommen hatte ...
»Sieh die Alte, sieh! Sie schreitet wie eine Büßende und gleicht doch einer Königin!« sagte Aistulf.
Von zwei Nonnen gestützt, folgte die Äbtissin Anastasia, unablässig ihren Segen austeilend, während Kinder und kniende Frauen nach dem Zipfel ihres Kleides haschten.
»Die Sprößlinge der Edelgeschlechter!« sagte Aligern. »Sieh die Knaben an! Meines Schildträgers Kebssohn hat tüchtigere Glieder! Diese Spinnenärmchen! Und das ist das Volk, an dem wir verderben!«
»Nicht so schnell!« lachte Aistulf. »Laß sie nur erst hinweg sein, diese Weiberertränkerin, Männerfresserin, Länderzerstörerin ...«
Aligern erfaßte sein Handgelenk.
»Die Leibwache Justinians!« Und seine Augen flammten.
Aufs neue Tubengedröhn. Rappen, spiegelnd wie aus schwarzem Stein gehauen, die Schaumflecken wegwehend vom goldenen Gebiß.
Die Fransen der rotseidenen Satteldecken bis an die Erde reichend und im Sattel Isaurier, braun, sehnig, hart, unterm feuerfarbenen Helmbusch.
Numidier, schlank und mit weißflatterndem Mantel auf Pferden, schnell wie der Wüstenwind, stolz wie ihre Reiter, verzärtelter als deren Kinder und Frauen.
Heruler, auf mächtigen Schecken, riesig, rothaarig, den Bart struppig bis an die hellen Augen.
»Zu denken, daß germanische Treue ihn vor uns schützt ...!« sagte Aistulf.
»Justinian!« stieß Aligern hervor, die Hand am Schwert.
»Wo? Wo?«
»Unter dem Thronhimmel!«
»Das? Aber nein! das ist ja eine Puppe?«
Das Volk kniete.
An stummen Reihen der anbetenden Menge vorbei, kam der Kaiser heran, langsam, Schritt um Schritt, auf goldenen Kothurnen.
Der riesige Thronhimmel, den vier geistliche und vier weltliche Würdenträger über sein Haupt hielten, leuchtete von Juwelen.
Justinian trug die Krone des Konstantinus, die ihn um Haupteslänge erhöhte und so schwer war, daß er den Kopf ganz in den Nacken zurückbog. Sein edelsteinüberstreuter Mantel war der seiner Krönung. Die Hände, in fingerlosen Handschuhen aus Goldbrokat, hielten das Zepter genau vor der Brust. Hinter ihm trug ein Knabe sein Schwert, das mit Lorbeer umwunden war.
»Ich werfe! Bei allen Göttern – ich werfe!« keuchte Aistulf, vorgebeugt den Speer wiegend.
Aligern entriß ihm blitzschnell die Waffe. »Bist du toll?« knirschte er. »Du verdirbst den Plan und uns und das Reich!«
»Gib mir die Waffe zurück!«
»Nein!«
»So gib sie mir doch zurück! Er verschwindet ja indessen!«
»He! Holla, meine jungen Freunde! Ihr streitet, und mein Kopf bekommt die Püffe ab ...« rief eine lachende Stimme sie an.
Der Mann, der sein Gesicht mit beiden Händen vor dem Rückstoß des langen Speerschaftes schützte, begegnete dem zornigen Mißtrauen ihrer Blicke mit solcher Freundlichkeit, ja so sichtlichem Wohlwollen, daß selbst Aligerns Stirne sich glättete.
Aistulf hatte sogar Mühe, ein jähes Knabenlächeln zu unterdrücken. Denn der zierlich Gekleidete glich, mit weißlichem Gesicht, hellem, langen Haar und vorragenden Zähnen, ganz und gar einem hispanischen Kaninchen.
»O du Achilleus dieses Patroklos,« wandte sich der Mann an Aligern, »wolltest du so gütig sein, von deinem Standort, über dem ›aus sich selbst sich erneuernden Gewässer‹ zu mir herabzusteigen? Ich habe dir einiges zu sagen, wobei das Auditorium der Straßenjungen unerwünscht erscheint!
Wann, ihr kleinen Kerle, ihr gottverlassenen Dreckflegel, werdet ihr doch endlich ins Bad gehen, statt euch für mein dazu verabfolgtes Geld Datteln und Koloquinten zu kaufen?«
Die Knaben, die des Mannes Scheltreden erwartet zu haben schienen, jauchzten in so heller Lust, daß zwei alte Weiber sich ingrimmig nach ihnen wandten. Denn nun zog der Patriarch Vigilius heran, gefolgt von der höchsten Geistlichkeit von Byzanz.
»Kommt mir nur nicht mit euren Händen zu nahe! Weg da, Leukris! Wirst du wohl meinen Mantel loslassen, kleines Ungeheuer? Der Faltenwurf hat mich zwei Stunden meines Morgenschlafes gekostet! Fort mit euch, Gesindel! Hier! – Aber bitte, legt doch zumindest die Hälfte hievon in Bädern an!«
Der Mann lächelte den entschlüpfenden Knaben nach. Dann winkte er den Freunden und sah mit fast gierigem Staunen dem Absprung der beiden vom Brunnenbecken zu.
»Das war hübsch, wahrhaftig, das sieht man nicht alle Tage!« lobte er.
»Ich glaube, ihr habt heute der Mönchskutten schon genug geschaut und versäumt nicht viel, wenn ihr mir einen Augenblick Gehör schenken wollt! – Ich bin Agathon aus Athenä, kein Staatsmann also, kein Byzantiner, und –« schloß er mit einem feinen Lächeln, »ehre die Tapferkeit auch im gotischen Heerlager.«
Aligerns Blick traf ihn, und es war Agathon, als zehre diese blaue Flamme ihn auf und lasse nur Asche zurück. Aber zum zweiten Male lächelte Aligern besänftigt auf das seidene Männchen herab.
»Sprich schnell!« sagte er, ohne das Entzücken des Griechen an seinem nahen Antlitz zu beachten.
Agathon streckte sich und flüsterte, nachdem er sich umgesehen hatte: »Versteht mich wohl! Ich habe keinen Grund, den Genius des Mannes zu mimen, dem dein Patroklos hier übelwollte. Aber mein neues Haus ist von Isidoras nach meinen eigenhändigen Plänen erbaut, und es von einem wütigen Pöbel oder von kunstblinden Isauriern erstürmt zu sehen, steht mir nicht an. Ich bin auch sicher, daß dabei dieser alte Brunnen mit seinem Becken aus selten schön geädertem Porphyr zu Schaden käme! Aber wer hat denn da oben den Blumenstrauß angebracht? Erlaube doch, Freund, deinen Lanzenstock! – So, fort damit! Daß diese verchristlichten Eroskrüppel nicht einmal mehr eine bronzene Männlichkeit vertragen können, pfui!
Ja, wie ich es vorhin sagte. Ich habe nichts dagegen. Gar nichts. Und ihr mögt auf meine Verschwiegenheit bauen! Aber bitte: erledigt dies nicht just vor meinem Hause!«
»Du hast recht!« sagte Aligern. »Wir wollen darum gehen!«
»Nein doch, nein!« wehrte Agathon erschrocken. »Was fällt dir ein, ihr sollt nur als meine Gäste von hier fort! – Da sind schon die Frauen der Kaiserin! Ihr wollt doch nicht hinweg, ohne die stolzen Schönheiten von Byzanz entschleiert zu sehen? Freilich, der Mummerei gibt's noch immer genug! Wehe dem Anstand, bliebe auch nur ein Streifen Haut unbedeckt! Und, o gute Honoria, wie flach wogt der christliche Busen unterm spannlangen Kreuz!«
»Ist dies Theodora?« fragte Aistulf jäh erregt.
»Wo? O nein! o nein! Wie magst du Praxedis für die schönste Frau von Byzanz nehmen? Dies ist Prokops Gemahlin. Da drüben im roten Gewand geht Glycere, die Tochter des Basilides, und die mit dem Silberreif ...«
»Das ist sie, das ist sie!« knirschte Aistulf, die Fäuste ballend.
»Das ist Antonina, der Kaiserin Freundin. Schön, aber dick und töricht. Belisar, der Löwe von Afrika, sitzt unbeachtet daheim. Und wie ritt er einst im Triumphzug einher! O Zeiten! – Hört ihr die Flöten? Jetzt, mein Freund, kommt die Kaiserin! Wenn die guten Leute nur nicht so brüllten! Aber der Kaiser wünscht es so, während er jeden Beifall bei seinem eigenen Erscheinen verbietet! Da ist Theodora! Und sie hat noch immer nicht ihresgleichen!« Im selben Augenblick hatte Aistulf sich gewandt und suchte Aligern den Speer zu entreißen. Da er aber sah, daß es dazu eines Kampfes bedurfte, ließ er ab und stand mit einem wilden Schwung von neuem auf dem Brunnen. Der Thronhimmel schwankte heran. Acht kleine Mädchen in der Kleidung des Patriziats trugen Blumen voraus. Acht andere klingelten mit ihren Silberglöckchen. Blaugekleidete Flötenknaben folgten. Der Thronhimmel aus purem Silber war von einer Blumenkrone überdacht. Kämmerer breiteten Purpurgewebe über das Gras, die sogleich zusammengerollt wurden, sowie die Kaiserin vorübergetragen worden war.
Der Tragstuhl stammte aus dem Schatz des Gelimer und im Sonnenflimmern leuchteten regenbogenfarbene Juwelen. Theodora saß aufrecht, die Arme auf beide Sessellehnen gelegt, und neigte das bediademte Haupt grüßend nach allen Seiten.
Einen Augenblick schien es Agathon, als erfasse ihr kalter Blick die Gestalt dort am Brunnenrand, hoch über einer anbetenden Menge. Aber schon zog der Thronhimmel vorbei. Der Purpur ward aufgerafft. Die berittene Leibwache folgte mit gezogenen Schwertern.
»Hole doch deinen Patroklos vom Brunnen herab,« sagte Agathon, »er scheint ja festgewachsen! – Achtung da, mein schöner Reitersmann! Der Huf deines Pferdes schmerzt drum nicht minder, weil er vergoldet ist! – Kommt, Freunde – was nun folgt, hat nur für den balgenden Pöbel noch Interesse!« Er wies auf einen schmalen, braunen Mann, der, den Zug beschließend, Hände voll Silberlinge aus einer Truhe nahm, die einem schneeweißen, braven Pferdchen aufgeladen war, um sie rechts und links in die Menge zu werfen. »Kommt in mein Haus!« lud Agathon ein. »Das Volk duftet Erhitzung aus, und mir wird übel! Seht, wie sich das balgt, wie sich das entwürdigt!«
Plötzlich erfaßte Burbo den Geldschrein selbst und warf ihn so hoch in die Luft, daß ein silberner Regenschauer über die gebückten Schädel, gekeilten Körper, aufgereckten Arme niederging.
»Kommt, kommt, mich widert's! Es wird uns gemeldet werden, wenn der Zug zurückkehrt!« rief Agathon, da sich Geheul erhob. Aistulf, der mit gesenktem Haupt, wie in dunklem Traum befangen, verharrt war, wandte sich, als letzter sich anschließend. Da fühlte er sich am Mantel erfaßt. Der schmale, braune Mann, der die Silberlinge verteilt hatte, reichte ihm mit Lächeln eine Rose, auf die Aistulf ratlos blickte. Sie war wunderschön. Er hatte nie solch eine Blume gesehen, tiefrot, fast schwarz, gleich geronnenem Blut.
»Gib heute um die zehnte Stunde diese Rose einem der Palastwächter am Südtor, und es soll dein Glück sein!« raunte der Mann.
Aligern, der an Aistulf vorbeistürmend mit gezogenem Schwert die kreischende Menge teilte, erreichte ihn nicht mehr.
Als die beiden Freunde, von Agathon sanft gedrängt, sein Haus betraten, schien dieser sich zu wandeln, eine sicherere, freiere Haltung anzunehmen.
In diesem Hain, der zwischen der neuen Mauer und dem neuen, weißmarmornen Haus der alte, platanenbeschattete, blühende, von Göttern belebte geblieben war, gewann er an Bedeutung und Eigenart zurück, was er seiner Umgebung geliehen hatte. Schöne Knaben, die nackt oder in der losen Tracht der hellenischen Zeit ihnen entgegeneilten, führten sie durch blumengeschmückte Hallen, deren kühler Friede die von der Straße Erhitzten wohlig umfing. Aistulf senkte verwirrt den Blick vor der Entblößtheit junger Mädchen, die dem Verlegenen im silbernen Becken Handwasssr reichten.
Aber in Aligerns Antlitz beobachtete Agathon nichts von solcher Verwirrung. Er sah fremd über die Nacktheit hinweg und hielt seine Hand in schweigender Abwehr über die Panzerschnalle, die eine der raschen Nymphen hatte lösen wollen, worauf jene statt seiner errötete.
Der Grieche saß entzückt gegenüber und tätschelte der erschreckten Sklavin tröstend die Wange.
In dem kleinen Hausgärtlein, wohin der Lärm der Straße nur wie fernes Rauschen drang, warteten ihrer die Tafelsklaven mit dem ausgewählten Mahl. Aistulf besah die Zubereitungen – Schüsseln, Blumen, den Garten und das römische Wandmosaik – mit staunenden grauen Augen. Doch auch Agathon blickte nicht minder erstaunt, als er Aligern das Ruhebett einnehmen, unter den dargebrachten Weinen den besten wählen, die vorgeschnittenen Speisen mit selbstverständlicher Anmut verzehren sah.
»Verzeih, wenn ich, das Gebot der Gastfreundschaft brechend, eine Frage wagen möchte!« begann der Wirt zwischen Fisch und Pastetchen.
Aligern hob den Blick. »Es ist mehr als eine Frage, die dein Herz bedrückt!« sagte er, mit einem kleinen Lächeln. »Du möchtest wissen, wer wir sind, woher, warum und wie wir hierherkommen, an wessen Tisch ich's lernte, nicht gleich einem Tier zu grunzen oder in alle Schüsseln zu tappen. – Ich bin gewillt, deine Neugierqual zu stillen. Wir sind Goten, wie du es erkanntest, und während mein Freund Aistulf in Bergabgeschiedenheit erzogen ward, war es mir vergönnt, als Spielgesell und Blutsbruder des jungen Königs Athalarich am Hofe Amalasunthas zu leben. – Daß wir denen nicht gut gesinnt sind, die sie ermordeten, weißt du auch.
Und dir ist große Belohnung gewiß, wenn du Justinian Gelegenheit gibst, zwei Amaler zu töten.«
»Halt ein!« wehrte Agathon nicht ohne Würde ab und sein bläßliches Gesicht rötete sich. »Wir Athener ehren die Freiheit und wissen, was es heißt, für sie zu kämpfen.«
Aligern sah ihn fest und groß an, dann nickte er. »Du bist zwar ein Grieche, aber deren sind nicht alle Verräter. Ich habe zu Ravenna genug gelernt, um zu erkennen, daß dieses Haus und dieser Garten Kunstwerke sind. Es ist schön hier und du gefällst mir!« Agathon errötete vor Vergnügen.
»Du mir noch viel besser!« schmunzelte er und, sogleich sich besinnend, gegen Aistulf geneigt, setzte er höflich hinzu, »auch dein Freund! – Mein Häuschen ist hübsch, nicht wahr? Isidoros hat es ganz nach meinen eigenen Plänen gebaut, er sagte, er wüßte an ihnen nicht das geringste zu ändern. – Wahrlich, euch hier unter meinen Statuen und Blütenbüschen zu sehen, ist Beglückung. Obgleich mich eines quält. Ich bedenke nämlich all die Zeit, wie ich wohl in einem Gedicht deine Augen schildern würde! Ich habe mich nämlich schon des öfteren im Verse versucht und, wie ich mich hinzuzufügen getraue, mit Erfolg! – Aber für deine Augen, mein Freund, weiß ich keinen Vergleich. Tiere, selbst große Raubvögel, von der gleichen Kraft des Erspähens, demselben Stolz des Blickes, haben nicht ihre Bläue, Juwelen nicht ihre lebendige Gewalt. Am ehesten träfen Elemente zu. Weites Wasser, Luft, Flammen, aber das alles ist verbraucht!« schloß er zögernd, den Kopf zurückgelehnt, Aligern mit grübelnder Stirne betrachtend. Dieser hatte die Lider gesenkt, ließ ihn reden und genoß das zu Bissen vorgeschnittene Haselhuhn. Ein kleiner Knabe kam und brachte in einer hohen, glimmernden, ägyptischen Vase die Rose, die Aistulf achtlos verloren hatte, und stellte sie neben seinen Becher.
»Sieh!« lachte Agathon, »der Knirps weiß dies Symbol besser als du zu würdigen. Weißt du wohl, mein Freund, daß, der es brachte, ein Bote Theodoras war?«
»Ein Bote der Kaiserin an mich?« stammelte Aistulf, bis in die vollen Lippen erblassend.
»Ich ahnte es«, sagte Aligern und legte schwer die Faust auf den Tisch. »Darum sucht' ich ihn zu fassen! Erzähle, was du weißt!«
Agathon, hinter seinem Silberteller voll Trauben und Datteln, feuchtete genießerisch die Lippen, ehe er mit Lust seine schön auszuspinnende Erzählung begann.
»Ich weiß nicht, ob die Kunde zu euch gedrungen ist, daß Theodoras Herkunft ›vom Dunkel des Geheimnisses beschattet‹ war, wie der Dichter sagt ...«
»Doch. Sie war Mimikerin im Zirkus und Schlimmeres noch und ihre Gefährten zählten zu dem Auswurf der Hafenstädte.«
»Nicht alle, bitte. Nicht alle! Es waren auch nette Leute darunter, ehrwürdige Leute! Nun also, wie ich sehe, komme ich um die Einleitung meiner Idylle. Ich muß mich darauf beschränken, dir zu sagen, daß die Kaiserin, lang ehe sie den Thron bestieg, mit einem meiner hübschesten Freunde in einem seiner hübschesten Häuschen lebte, welch letzterem sie noch nach der Krönung solch süßes Erinnern bewahrte, daß sie es ihm durch den Fiscus enteignen ließ. Sie lebt dort fast allsommerlich, obgleich ihre Sklaven, in ungenügende Wohnräume gepfropft, fast sämtlich am Fieber sterben. In dem Garten jenes Häuschens nun wachsen diese Rosen und nirgends sonst in Byzanz. Wenn ein Jüngling der Basilissa gefällt, so pflegt sie ihm dies Zeichen zuzusenden, da sie ihn nicht mehr anzurufen vermag, wie einst in der Hafengasse. Dir also, mein Freund, blüht das Glück, heute im Palast erwartet zu werden.«
Im nächsten Augenblick warf sich Aligern über den Tisch, aber ehe seine Hand die Vase erfaßte, war Aistulf schon aufgesprungen, die Rose an seine Brust pressend.
»Sie ist mein, laß!«
Aligerns Augen loderten. »Gib sie mir! Ich beschwöre dich, gib sie mir!« bat er so weich, wie Agathon es nie erwartet hätte. »Dies ist nichts für dich, laß mich gehn!«
»Wähnst du, sie würde auch mich umgarnen, diese Menschenfresserin? Das Schicksal selbst liefert sie an mein Messer! Ist dies nicht besser als das feige Lauern auf Rückkehr und Unachtsamkeit des Zuges nach dem Kirchgang? – Tu du an Justinian deine Pflicht. Ich gehe zu ihr!«
»Du gehst nicht! Wenn dir dein Leben lieb ist, wenn ich dir lieb bin und unser Reich ...«
»Dein Freund hat recht, dich zu warnen«, sagte Agathon langsam. »Diese Rose erschließt zwar alle Eingänge des Palastes. Aber, daß sie auch die Ausgänge erschließt, davon weiß ich nichts.«
Aligern faßte seinen Arm. »O, davon raunte Petros der Bischof, aber ich achtete dessen nicht! Man sieht sie nie wieder, die in den Palast eingehen?«
»Mein Freund, würden sie in einem Olymp der Freude festgehalten, ich wäre Theodora sicherlich nicht böse, aber, was sich dort begibt, ist minder hübsch! – Denn man sagt, die Fische des Bosporus und die Aasgeier der Küste sähen, was wir nicht sehen!«
»Und was sehen sie?«
»Du fragst sehr viel, mein Freund. – Zugenähte blutige Säcke sehen die Fische und ihres Herzens Freude sehen die Aasgeier!«
»Sollt ich ein Amaler sein und solchen Frevel dulden?« schrie Aistulf. Mit einem Sprung den Schenken überrennend, dem der Weinkrug entfiel, gewann er die Säulenhalle, setzte an Sklaven vorbei, über Sklaven hinweg, verfing sich an einem Postament, riß sein Leinengewand in Fetzen los und verschwand im Garten. Im gleichen Augenblick erscholl von der Straße her Tubagedröhn und in langgezogenem Schrei meldete eine Knabenstimme vom Dache: »Sie kommen zurück, Herr! Sie kommen!«
»Wenn er die Straße erreicht, ist er verloren ...« schrie Aligern.
Agathon sah ihn in drei, vier hohen, weiten, wilden Sätzen dem Freunde nachstürmen, verlor sie aus den Augen, raffte sein langes, weites Gewand mit beiden Händen und rannte keuchend, stolpernd, rollend, atemlos vor Entzücken, hinterdrein, um noch Aistulf oben von der Gartenmauer sich lösen zu sehen, mit gebreiteten Armen sich auf die Straße herabwerfend wie ins Meer. Des Griechen Augen genossen noch einmal das unerhörte Schauspiel, da Aligern, den gebückten Panthersprung des Freundes wiederholend, die Mauer erreichte. Der Gote stand oben bleich und keuchend still und sah auf die wirbelnde, heulende, Psalmen singende, jubelnde Menge der rückkehrenden Kirchgänger herab, in der Aistulf untergetaucht war.
»O ihr Götter, ihr guten alten Griechengötter!« stammelte Agathon, »daß es dies noch gibt im sechsten Jahrhundert der Verhäßlichung und der Selbstzerstörung! Diese Körper! O heiliger Praxiteles! Diese Körper! Wie schade, daß sie nicht nackt waren! O, diese vom Haß besessenen, für die Liebe geschaffenen Körper!«
»Wird man mich hier auch nicht finden?« stammelte Aistulf hastig und verwirrt, als der hagere, graue Mönch den riesigen Schlüssel in das Schloß der eisernen Pforte steckte.
Der Bruder wandte sich. »Die Kirche des heiligen Konon wahrt ihr Asylrecht gegen jeden Verfolger«, sagte er, den schmallippigen Mund kaum bewegend. »Nicht unsere Sache ist es, zu fragen und zu richten, und der Verbrecher schafft sich die Strafe selbst wie die Schuld!«
»Ich bin kein Verbrecher!« sagte Aistulf trotzig, »ich kam nur hierher ... um ...!«
Der Mönch hob abwehrend die knochige Hand.
»Wir alle sind Verbrecher oder im Begriff, es zu werden!« murmelte er tonlos. Da öffnete sich das widerspenstige, schwere Tor. Aistulf trat – verwirrter noch – in das dunkle, weite Gewölbe. Der Mönch ging geräuschlosen Tritts in den Flur hinaus, brachte einen Tonkrug und einen Viertellaib braunen Brotes sowie ein winziges Öllämpchen, stellte alles auf den Tisch an der Wand und wollte sich mit dem Gottesgruß entfernen.
Aistulf faßte ihn am Ärmel und stammelte: »Bruder, aber ich muß am Abend von hier fort ...«
Der Mönch sah gleichgültig mit müden Augen über ihn hinweg und murmelte: »Der Herr segne den Eingang wie den Ausgang! Du brauchst nur ans Tor zu pochen.«
Die Tür fiel mit gähnendem Laut ins Schloß. Aistulf schüttelte sein langes, falbes Haar zurück, das sich im Laufe gelöst hatte. Er hielt die Rose in den Lichtkreis der trüben Lampe, in deren kleeblattförmigem Einguß der Docht schwelte, und erschrak, da er sie welk fand. Er besprengte sie aus dem Tonkrug, bis die Tischplatte troff und stellte sie vorsichtig ins Wasser, als ein Gelächter ihn zusammenzucken ließ.
Er raffte die Lampe empor und leuchtete um sich. Das Gewölbe war niedrig, schwarz verraucht und feucht, und außer einer Wandbank war nur der schwere Tisch zu sehen, an dem Aistulf stand. – Im Hintergrund waren aus der Dicke der Kellermauern fünf Nischen ausgespart, in denen hölzerne Pritschen standen. Auf einer derselben regte sich nun ein dunkles Ding, einem Fetzenbündel ähnlich, und ein versoffenes, verschwollenes Gesicht grinste Aistulf entgegen.
»Die Rose! Hi, die schöne Rose! Hat deine Großwürdigkeit sie von einem schönen Händchen, daß du sie so pflegst? Oder willst du meinen Palast hier schmücken? Hättest mir lieber einen Sauern gebracht! Habe die drei Tage hier nichts gesoffen. Verdammte Schweinerei da, mit ihren Wasserkrügen! Wollt schon hundertmal von hier fort, aber nein, ich tu dem Hund, dem Bäcker die Freude nicht, ich tu sie ihm nicht! – Was siehst mich so vornehm an? Mir wirst du nichts weismachen! Hast doch selbst einen auf die Seite gebracht! Hä?«
»Was meinst du?« fragte Aistulf zusammenschreckend.
Der Alte streckte eine blaurote Hand nach der Rose aus und kicherte. »Sie hat dir die Rose gegeben, er war eifersüchtig, ihr habt euch geprügelt – und zum Schluß hast du ihn erstochen! Sag, daß es nicht so war! War's nicht so? Ich kenn die Weiber, die Rosen schenken. War auch einmal ein Kerl wie du, hab zwei Schenkel gehabt wie zwei Kirchensäulen und sie haben gern bei mir zur Mette geläutet! Ob du es glaubst oder nicht, wenn's im Zirkus Konstantin hieß: ›der Unterwärter Lollius‹, da fingen den Weibern durch die Bank die Knie zu schlottern an ..., konnt sie mir aussuchen. – Und jetzt sitz ich drei Tage schon in dem dreckigen Loch ohne einen Schluck Sauern, weil der bucklige Geiz, der Bäcker, dazukam, als ich in seiner Lade kramte. Sollt lieber auf sein Geweih achten und auf seine Frau Bäckerin als ...«
»Still!« winkte Aistulf vorgebeugt, scharf lauschend.
»Es soll mir nicht darauf ankommen, ehrwürdiger Vater, der Kirche eine Zuwendung zu machen, deren Höhe festzusetzen dein Vorrecht sei ...« sagte draußen die Stimme Agathons.
»Was gibt's, sind wieder Häscher da? Können lange warten, bis sie uns kriegen!« kicherte der Alte.
Aistulf bedeutet ihm heftig, zu schweigen. Er hatte die Türluke entdeckt und spähte hinaus. Er erblickte Aligern und den Griechen, der mit ihm war, und viele Sklaven.
»Der Kirche des heiligen Konon erscheint ihr unantastbares Asylrecht kostbarer als irdische Güter«, antwortete die gleichgültige Stimme des Mönches.
»Aber ich sagte dir doch schon, es gelte nicht Verfolgung noch Verbrechen! Ich bin in Sorge um einen Freund! Sprich nur ein Ja oder Nein, damit ich wisse, ob er lebt, ob er hier weilt.«
Aistulf zitterte, da Aligern sprach. »Der Kirche des heiligen Konon ist es nicht vergönnt, dergleichen Fragen zu beantworten!« sagte der Mönch.
Agathon lächelte.
»Wir wollen einen Ausweg finden, der beiden Teilen zu ihrem Recht verhilft. Aligern, bitte den sehrwürdigen Vater um Asyl, und er wird es dir sicherlich nicht verweigern!«
»Dies ist wahr!« jubelte Aligern. »Nimm mich auf, Vater!«
»Hättest du, da du kamst, des heiligen Konon Asyl erbeten, es hätte dir gewährt werden müssen!« erwiderte der Mönch. »Doch sei Gott vor, daß ich es einem zuteil werden ließe, dem es nur eine List bedeutet, um zum Ziele zu gelangen, das – wer weiß – im Guten liegen mag – wer weiß – im Bösen!«
»Öffne, Pfaffe, oder ...«
»Nicht doch!« wehrte Agathon. »Wir müssen Pflichtgefühl ehren, wo wir es auch finden! – Komm! Vielleicht hat der Sklave sich doch getäuscht und er ist gar nicht hier!«
»O, wenn ich nur diese Türe mit den Fäusten zerschmettern könnte«, knirschte Aligern. »Kannst du nicht fühlen, Mönch? Hast du niemals um einen Freund gebangt?«
»Den Dienern des heiligen Konon ist es nicht erlaubt, sich weltlichen Erinnerungen hinzugeben«, antwortete der Mönch und das Klirren seines Schlüsselbundes verhallte zugleich mit den sich entfernenden Tritten der Eintrittheischenden.
Aistulf warf sich an die Tür und pochte, nach dem Freunde rufend, bis seine Fäuste schmerzten. Als niemand kam, taumelte er zum Tisch zurück. Sein Trotz schmolz hin, da er Aligerns Neigung ermessen lernte und ihm schien nichts lebenswert als dies, nach des Freundes Wunsch zu handeln und seiner Einsicht zu folgen.
Er sah von neuem die heimatliche Berghütte, durch die langobardischen Söldner des Narses bestürmt, sah den Waffenmeister tot und sich selbst einer höhnenden Übermacht einsam gegenüber, fühlte von neuem das Entzücken von einst, da Aligerns Mannen zur Hilfe hereinbrachen, und jener selbst den Anführer zu Boden schlug, dessen Schwert schon Aistulfs Brust berührt hatte! ...
»Wie das kollert und kräht und sich bläht! Verlogenes Mönchspack! Tun, als sei dieser Keller da sicher wie Abrahams Schoß und braucht nur mein Töchterchen Theodora zu kommen, so liefern sie doch jeden armen Galgenvogel aus! – Ja! Was glotzest du?« fuhr Lollius fort, da Aistulf ihn anstarrte. »Meinst du, es sei nicht wahr? Weil ich da auf der Pritsche liege und nichts gesoffen habe und mich nicht auf die Straße getraue, weil sie mich bei des Bäckers Geldlade erwischt haben? Es ist doch wahr, wenn du noch so glotzest! Von Rechts wegen sollte ich auf goldenen Betten mich wälzen und Sizilianer trinken und schöne kleine Mädchen in die Goldärschchen zwicken! Aber meine Tochter, die Kaiserin, Gott sei's gebeichtet, hat ihren guten Vater schon gering geachtet, als sie noch – mit Verlaub zu sagen – eine Jedermannshure war! Wie oft, wenn ich mir ein kleines Mütchen getrunken hatte, ging ich gerade hin zum Palasttor und sagte: ›Liebe Wache, gute Wache, laß einen sehnsüchtigen Vater ein zu seinem Töchterchen!‹ Aber weißt du, was sie getan haben? Geprügelt haben sie mich, die Gottverfluchten, und aus vollen, stinkigen Mäulern mich ausgelacht! Nur mein braver Sohn gibt seinem Vater manchmal was für seine alte Kehle ...«
Aistulf rüttelte den Trunkenbold hart an beiden Schultern. »Was sagst du da? Du bist ihr Vater, sagst du? O, das Schicksal zeigt mir, Blitz um Blitz, den Weg! Was weißt du von ihr? Weißt du von ihren Schandtaten? Hast du von ihren Morden gehört? Erzähle!«
»Bist du auch einer, dem sie ein Schnippchen geschlagen hat? Ja, das tut sie gern, mein Töchterchen Theodora! Bist du gar um ihretwillen in dies dreckige Mausloch gekrochen? Da warne ich dich, daß es dir nicht wie dem jungen Photius ergeht, auch ein hübscher Kerl wie du, weiß wie ein geschälter Nußkern. Der sprang auf den Altar des heiligen Konon drüben, hinauf zwischen die Kerzen und Reliquien und schrie: ›Asyl! Asyl!‹ aber ihre Knechte zerrten ihn doch herab und erstachen ihn, daß das Blut dem Heiligen bis zwischen die Augen spritzte! – Und als der junge Hortalus mit zwei Freunden hierher geflüchtet war, da erbrachen ihre Häscher das Schloß, was die Mönche auch schrien und piepsten, und ihr Neger, der ein Kerl ist zum Berge versetzen, hob einen nach dem andern und schmiß sie gegen die Wand. Du kannst den braunen Fleck noch dahinten sehn, aber das schlimmste ist, daß sie mir ..., uah, wie bin ich müde ..., daß sie den Christus geraubt hat ... und nur zwanzig Silberlinge gegeben – nicht einmal dreißig – o du Judasweib, vermaledeites! Du bist auch ein Judas, weil du keinen Sauern mitgebracht hast, das ziemt sich doch ... wenn man hieherkommt! Verschlafen wir's, das Schlafen ist doch noch ein Trost in dieser dreckigen Welt!«
Aistulf stand und starrte, von Grauen durchschüttelt, lange auf den Schnarchenden herab.
Es klirrte an der Tür, sie öffnete sich und der Mönch trat ein, die zuckende Flamme seines Lämpchens mit der Hand beschattend. »Du sagtest, du wolltest zur Zeit des Angelus in die Welt zurückkehren«, sprach er gleichmütig, ohne Aistulf anzusehen.
Der Knabe warf das Haar zurück. Sein Antlitz flammte. »Ja! mich ruft ein Geschäft!« antwortete er so laut, daß Lollius sich brummend wandte.
Aistulf war schon auf den finstern Kirchplatz hinausgestürmt, als er jählings dessen inne wurde, daß er die Rose vergessen hatte. Und er lief wie gejagt zurück, um sie zu holen.
Er kannte den Weg zum Südtor nicht und scheute sich zu fragen, da ihm war, als müsse jeder Blick den dunklen Plan von seiner Stirne lesen. Und zwischen Verlassenheit und trotzigem Wagemut hin und her geworfen, durchirrte er die abendliche Stadt, immer flüchtend, in Angst, Aligerns hohe Gestalt um die Ecke biegen zu sehen ...
Er war wie verschüttet von dem Geschehen dieses Tages und die Tat allein war als ersehnte Erlösung das Ziel seiner Gedanken. Aistulf fand sich endlich auf dem weiten Platz des Augusteions und sah einen Trupp herulischer Söldner zur Wachablösung in das riesige Osttor einziehen.
Mit den hohen Germanengestalten kam auch er in die Halle und bot einem Manne mit abwartendem Blick die Rose.
Der Heruler lachte. »Was soll mir das, Freund? bin ich ein Mädchen?« und warf sie zur Erde. Aistulf bückte sich zornig nach ihr und gab dem Wächter einen Faustschlag ins Gesicht, der den Mann taumeln machte. Wachen stürzten herbei und suchten den von langem Haar umflatterten jungen Wilden zu bändigen.
Aistulf erschlug fast einen fetten Eunuchen – Ruhewächter des Kaisers –, der zeternd herbeiwatschelte. Die Vorhalle wimmelte im Nu von Türhütern, Ansagern, Verschnittenen, Kriegern, Sänftenträgern. Aistulf hatte sich des Angriffes von vielen zu erwehren und zugleich ein so leicht verletzliches Ding wie eine Blume zu hüten. In einem Gewirr von zappelnden Armen und Beinen brach er zu Boden. Da scholl eine donnernde Stimme: »Was gibt es hier?« – und Clotar, der Oberste der Leibwache, bahnte sich durch den Knäuel einen Weg. Er half dem Wildblickenden, sich aufzurichten. Seiner barsch-freundlichen Frage antwortete Aistulf nur, indem er ihm mit großem Blick den halbentblätterten Kelch wies.
Und Clotar, der die Kaiserin kannte, begriff. –
»Wie hat der Esel sich nur hierherverirrt?« murmelte er. Und plötzlich, gegen den engen Kreis der Späher gewandt, brüllte er. »Auseinander!« Ein wildes Flüchten entstand. Clotar zog ein tönernes Fläschchen aus dem Gurt und setzte es an Aistulfs Lippen, der wie verschmachtet trank.
»Dies war nicht der Empfang, den du erhofftest, was? Aber, bei allen Dämonen, wer hieß dich mit deinem Stengel hier angetrabt kommen? Hier gehts zum Kaiser und nicht – nicht dorthin, wo du hinzukommen wünschest. Nun geh nur da rechts, den Gang entlang und dann, halt, halt! – Rechts hab ich gesagt – weißt du nicht, wo rechts ist? Mir scheint, bei dem Geschäft muß ich auch noch den Zutreiber machen! – Holla, das sind einmal Muskeln, die man in die Finger bekommt, wenn man dich anfaßt! Schade! Wahrhaftig schade! Solltest dich lieber unter meine Heruler einreihen lassen! Was? Nicht? Nun, dann behalte wenigstens die Augen offen, dort, wo wir hingehen! Oder verstehst du gar kein Griechisch?« Und der Gallier wiederholte dem stummen Begleiter in zornigem Mitleid seine Warnung in jedem germanischen Idiom, das er kannte.
»Heda, Kämmerer!« schrie Clotar böse, da ein Mann ihnen in dem schmalen, schlecht erhellten Gang entgegenkam. »Da ist ein Esel, der gehört zu euch hinüber, wär fast von meinen Wachen erschlagen worden! Sieh dir an, was er da mit sich herumträgt!« – und Clotar hob Aistulfs schlaffe Hand, die noch immer die Blume umklammerte. »Nimm du ihn mit, er ist stumm oder ein Narr, was weiß ich. Und diese Arme dabei und dieser Brustkorb! Ich muß zu meinen Leuten zurück, kann ihn nicht länger spazieren führen. Das gehört auch nicht zu meinem ehrlichen Geschäft. Ich diene dem Basileus, das da geht mich nichts an, dank dem Himmel!« und kehrte um.
»Ja, es hat jeder Dienst seine Eigenheiten!« lachte der Kämmerer, der auf Brust und Rücken die Initialen der Kaiserin trug. Und er rief hinter Clotar her: »Gelobt sei Jesus Christus!« Aber der Gallier brummte nur vor sich hin und verschwand.
Der Kämmerer lud Aistulf mit einer Verneigung ein, ihm zu folgen. Sie kamen durch strahlend erhellte, durch dämmerige und durch Finsternis erfüllte Säle. Durch Gänge mit unzählbar vielen Türen und Heiligennischen, vor deren jeder der Führer sich bekreuzte, durch Höfe, über die der glitzernde Sternhimmel sich spannte, und je weiter sie hinschritten, desto stärker ward in Aistulf das Gefühl, als müsse er sich wenden und im rasenden Laufe dem Palast und seinem lauernden Schrecken entrinnen. Aber immer, wenn dies Gefühl so mächtig ward, daß er ihm zu gehorchen willens wurde, wandte sich der Kämmerer mit seinem steten Lächeln nach ihm um, und Aistulf ging ... und ging ...
Gärten taten sich auf. Pinienwipfel ragten schwarzumschnitten in den Nachthimmel. Springbrunnen rieselten. Knirschende Kieswege leiteten den Schritt zu Blütenhecken, deren Duft warm und schwer über Aistulfs Gesicht strich wie eine Hand. Einmal zuckte er aus dumpfem Brüten auf und sprang zur Seite. Dicht vor ihm brüllte es urwaldhaft und eines Tieres wilde Lichter schienen im Dunkel. Da vernahm er des Kämmerers höhnisches Kichern. Dies und das wilde Flattern aufgeschreckter Vögel sowie der Affen kreischendes Gekeif belehrte ihn, daß jener den Ungewarnten zwischen die Käfige eines Tierparks geführt habe und er fühlte sich versucht, den Spötter zu erschlagen. Aber der Gedanke daran, führerlos irrend die kostbare Gelegenheit dieser Nacht zu versäumen, hielt ihn ab.
Nun führte der Weg an Gebäuden hin, schlafenden und erhellten. Je weiter sie kamen, desto belebter ward es um sie her. Sie begegneten eilenden Knaben, geschürzten Sklavinnen, gelbmützigen Eunuchen, Wächtern, Kämmerern, Negern, und alle grinsten, da sie Aistulf erblickten. Er ging, ohne zu sehen, ohne zu fühlen.
Er war unendlich müde, zugleich gleichgültig und erregt, und sein Denken setzte aus.
Plötzlich war das Rauschen von Frauenkleidern um ihn. Hinter edelsteinfunkelnden Fächerplatten hervor, blitzten ihn Augen an. Er blieb stehen und strich sich mit einer ungeschickten Bewegung seiner sommersprossigen Hände die Strähnen aus der Stirn. Der Kämmerer war fort. Aistulf fing Blicke auf, die ihn seiner nackten Arme und Beine, seines zerrissenen Kleides bewußt werden ließen.
Er fühlte: »Bin ich es, Aistulf der Amaler, der hier steht? Die Rose zertreten, das Schwert ziehen, mir durch all die Fratzen den Weg bahnen zu ihrer Brust!«
Da erhob sich eine der Frauen, kam heran und legte die seidigen Fingerspitzen an seinen Arm. Er starrte zu ihrem Lächeln hinab und ließ sich durch eine Tür drängen ...
Aistulf hatte nie ein Wunder geträumt wie dies, von dem er sich nun umfangen wähnte.
Die Grotte schien aus rosig glimmerndem Quarz gehauen. Von der Decke hingen eiszapfenähnliche, ungleichförmige Tropfsteingebilde herab, die bald glitzrig weiß, bald mit dem roten Schein offener Lohe leuchteten.
Rieselnde, dampfende Quellen füllten ein Becken an, um das Farne wuchsen.
Aistulf überkam wie eine dumpfe Angst das Gefühl der feindlichen Nähe, der Spannung, der Entscheidung.
Er tat ein paar Schritte über den lautlosen Moosboden hin, da fühlte er, daß Hände nach seinem Schwertgurt tasteten. Er kam zuvor und kehrte sich, die rasch entblößte Waffe bereit zum Stoß.
Ein Mädchen lag vor ihm auf den Knien, zart und nackt unter grünem Flor, wie eine Waldfrau. Ihre Augen waren die der Rehgeiß, so feucht, so erschrocken. Sie duckte die schmalen Schultern und streckte scheu die Hand aus, die Riemen seines Fellschuhs zu lösen.
Er errötete tief, eine Frau das niedere Amt eines Schildknechts üben zu sehen, wer immer sie auch war.
In der Rechten das Schwert haltend, bog er sich zu ihr und zog den Körper auf, der willenlos nachgab. Er hatte nie noch im Leben ein Weib so nah gefühlt. Das braune Haar fiel wie ein schweres Seidentuch über seinen Arm. Sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Lippen waren ein wenig aufgesprungen, das sah er, so nah war sie.
Plötzlich tat ihr brauner Blick sich auf und sie lächelte, aber wieder verdunkelten sich ihre Augen und mit einem Schaudern auf die Waffe deutend, flüsterte sie: »Gib das fort, ich fürchte mich so!«
Das Schwert entglitt seiner Hand, es fiel, und er wußte nicht wohin. Sie schlang die Arme lachend um seinen Hals und küßte ihn. Es war sein erster Kuß. Aber da scholl plötzlich helles Gelächter und er sah der Waldfrauen viele, rot, blond und schwarz, die sich herangeschlichen hatten. Es ward licht von ihrem kaum verhüllten Fleisch. – Sie drängten sich um ihn, aus dessen Arm die Beschämte entglitten war, mit Necken und Gelächter, und forderten gleiche Küsse von ihm, der verwirrter ward, je mehr er entbrannte.
Er dachte daran, welche Lust es gewesen wäre, gleichem Getümmel mit aller seiner Kraft zu begegnen, hätten ihn Feinde, Männer überfallen. Aber er wußte sich dieser lachenden Törinnen nicht zu erwehren, da Gewalt gegen Frauen schimpflich war. So mußte er ihr Streicheln dulden, das wie kribbelndes Feuer über den Leib lief, ihre Umarmungen, in denen ihn Schwindel überkam. Brüste drängten sich, klein und atmend, in seine abhaltenden Hände – Schenkel an seine Schenkel, Fleisch gegen sein sich bäumendes Fleisch. Sein Schwertgurt löste sich – ehe er es wußte – sein zerrissenes Gewand fiel von ihm ab und er schämte sich seiner nackten Mannheit.
Aber die Übermütigen lachten seiner, der sich schämte, nach der Sehnsucht der Frauen geschaffen zu sein. Sie drängten ihn in das Badbecken, in das stetig die warme Quelle sich ergoß, und sie wuschen ihn und trockneten und küßten und streichelten ihn auf dem Moosbett, bis er fast weinte vor Scham.
Sie lachten: »Er hat noch nie eine Frau gesehen! Er hat noch nie eine nackte Frau gesehen!«
Und sie zerrissen ihre florenen Hemden und wölbten sich vor ihm. Und endlich ward er besinnungslos vor Ungeduld und griff eisern nach ihnen, – aber da flohen sie kreischend und ließen ihn allein.
Eine Stimme rief ihn an und er sah Theodora.
Das Bewußtsein der Tat, die seiner harrte, brach für einen Augenblick über ihn herein ...
Aber da sagte sie: »Komm! Ich warte.« Und er vergaß Bluteid, Freund und Reich darüber, daß sie ein Weib war.
»Nun wirst du gehen müssen!« flüsterte Theodora. Er wandte sich, schlaff, mühsam, dumpf vor dem Entsetzen bangend, das ihn überfallen würde, sowie er die Augen auftat.
Aber da er sie endlich öffnete, sah er sie über sich geneigt, sah den Mund, den er geküßt, das Haar, das er zerwühlt, die Brust, darauf er sich gebettet hatte. Und die jähe Dankbarkeit für diese Frau, die ihm die erste Manneslust geschenkt hatte, ward eins mit einem Besitzerstolz, der ihn noch über seine letzte Kraft hinaus entflammte.
Das Erlöstsein seines Körpers sprang auch auf die Seele über. Solange von der angespannten Erregung dieses dunklen Tages niedergehalten, schnellte sein Herz auf zu dem unbedenklichen, gläubigen Knabenfrohmut, der ihm gewohnt war.
Und er preßte sie an sich und küßte sie wild und lachte ein unbändiges Gelächter.
»Warum lachst du?« fragte Theodora.
»Ach – nur weil wir solche Narren waren! Einer kam und machte einen rechten Unhold aus dir, mit Wolfszähnen und Klauen, und wir glaubten es ihm beide! – Hahahahaha!«
Theodora richtete sich auf. »Es gibt viele, die meine Wohltaten mit Undank lohnen.«
»Ich will dir's danken, solang ich lebe!« schwor er unter Küssen.
»Das glaub ich dir!« lächelte Theodora.
»Wie weich du bist! ... Ich habe nie vor dir eine Frau berührt.«
»Ich wußte es!« sagte sie, spielerisch sein flachsenes Haar verwirrend und wieder glättend.
»Wußtest du es? O! Wieso wußtest du es? Sage, wie kam es, daß du mir den Boten sandtest? Ich will dich etwas fragen. Ist dies wirklich schon geschehn, daß du auch andere hierher beschieden hast? Denn es ist doch unmöglich, daß du anderen das gleiche wie mir gestattest! Du weißt nicht, wie sie dich verleumden, Theodora! – Nicht, bitte laß jetzt mein Haar!«
»Also, was sagen sie!«
»Sie sagen, du locktest die Männer zu dir und ließest sie, wenn deine Lust gestillt sei, den Geiern zum Fraß!«
Theodora sah ihn durch halbgeschlossene Lider an.
»Wer ist es, der meine Würde so freventlich anzutasten wagt?«
»O, ich wußte ja, daß es nicht wahr sei! Du, es ahnt ja kein anderer als ich, wie du bist! Ich werde Aligern sagen, daß unser Gastfreund ein schändlicher Lügner ist, ich selbst werde ihn töten! Nein, ich habe sein Brot gegessen! Aber den Pfaffen werde ich töten! Weißt du, Theodora, was der Pfaffe zu Ravenna sagte? Er habe auf deinen Befehl unsere Königin ermordet!«
Und als fasse ihn das Entsetzen von neuem, starrte er in Theodoras Gesicht. Es war völlig unbewegt. Aistulf umfaßte ihre Handgelenke.
»Theodora, der Pfaffe schwur aufs Sakrament, du habest ihn zu Amalasunthas Mord gedungen. Er lag schon am Boden und Aligern setzte ihm das Schwert auf die Brust, da beschuldigte er dich! Und er schwur es bei seiner Seele Seligkeit ...!«
»Dann dürfte er wohl Meineid begangen haben!« sagte sie ruhig. Plötzlich aber, als besinne sie sich, blitzte sie ihn an.
»Die Hände weg, Wahnsinniger, was wagst du? Willst du dich an meinem gesalbten Haupte vergreifen? Kamst du her, mich zu morden?«
»Theodora! Verzeih! Verzeih mir! Sieh mich an! Ich kannte dich ja nicht. Schwertmänner sollen nicht auf Mönche hören! Aber er zeigte die Narben vom Halsring, an den du ihn geschmiedet hättest! Er hieß Petros – Petros der Patriarch, Theodora!«
»Ich kenne den Mann nicht!« sagte sie.
»O, und wir schwuren einen Bluteid wider euch – unser Reich zu retten, unsere Königin zu rächen ...«
Er warf sich kniend über sie und barg sein Antlitz in ihrem Schoß.
»Gegen euch? Also auch gegen den Kaiser! – Auch gegen Justinian? – Wo ist dein Mitverschworener?«
Er hob den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich hab ihn verloren. Ich lief zu dir.«
»Wolltest du mich morden, wenn ich in deinen Armen läge? Warum tust du es nicht? Hier bin ich!«
Er hatte Mühe, ein knabenhaftes Schluchzen zu unterdrücken. Er schüttelte stumm und wild den Kopf und warf sich in ihre Arme.
Sie küßte ihn lange. Und dann fragte sie leise: »Wie heißest du?«
»Aistulf«, murmelte er, tief errötend, da die Frau, die sich ihm geschenkt hatte, nun erst seinen Namen erfragte.
»Du wirst nun gehen müssen, Aistulf!« lächelte sie sanft. Und sie gab, in die Hände klatschend, ein Zeichen. Er zitterte. Sein ganzes Herz auf den Lippen, fragte er: »Werd ich dich wiedersehn?«
Der schmale, braune Bote, den er kannte, der Rosenbringer, stand schon vor ihm und kreuzte lächelnd die Arme über der Brust.
Aistulf sprang empor in heißer Scham vor diesem Wissenden, den er hätte erwürgen mögen.
Geduckt, als mache er so seine Nacktheit weniger sichtbar, ging er bis zur efeuverhangenen Öffnung, die der Mann ihm wies.
Da, fast schon unters niedere Sims gebückt, hörte er ihren Ruf: »Aistulf!«
Er wandte sich mit einem hellen Jauchzen um.
Da hauchte sie, entgleitend – mit jenem Flüstern, das noch alle Kraft und tiefe Süße der Stimme bewahrte: »Komm morgen wieder!« Im gleichen Nu drang auch schon Ukris langes Messer mit dem oft geübten Stoß in seinen Rücken.
Aistulf fiel mit einem einzigen Aufgurgeln vornüber. Und Ukri wischte, breitbeinig über ihm stehend, seine Klinge an den langen, falben Haaren blank.
Über dem Meere lag erstes Dämmern.
Die Fluten, weithin schwarz und glanzlos, hatten nah der Küste die Farbe von träg schmelzendem Blei. Der Himmel hing entstirnt, finster und wolkig darüber, nur im Osten zeigte sich erster Frühschein in orangefarbenen und blaßgelben Streifen.
Es blies kühl vom Wasser her und die Wipfel der Zitronenbäume, die die rote Palastmauer überragten, rauschten schläfrig.
Einige Fischerboote schwammen draußen, jenseits der Klippen, an denen sich das Wasser schäumend staute. Die grellen Tagfarben ihrer Segel waren verwischt zu dämmerigem Grau.
Ein Kahn, neuer und größer als die anderen, hielt an der Palastmauer, und der darin saß, war ein wohlgebauter, hübscher Junge, obgleich er just Kopfhänger und Duckmäuser gescholten ward.
Das Mädchen, das auf der Gartenmauer stand, schien sehr zornig. Sie war jung, stark und frisch gleich ihm. Ihr nachtwirres schwarzes Haar lockte sich um ihr Gesicht. Arme, Knie und die runden Schultern waren nackt. Aber der junge Fischer vermied solch erwünschten Anblick. Er band mit gesenktem Blick gedankenlos den Seemannsknoten der Netzleine auf und zu.
»Daß du es nur weißt, ich freue mich nur, wenn du nicht mehr kommst! Immer heißt es: ›Was hat der Flavius nur, daß er dasitzt wie der Uhu im Baumloch?‹ Selbst der Vater, der nie was merkt, fragt: ›Hat's was gegeben zwischen euch, oder ist ihm auf einmal die Gärtnerstochter zu schlecht?‹
Wenn ich bedenk, was für ein Kerl du warst! Die Weiber hätten mir die Augen auskratzen mögen! Und jetzt! Schau dich an, du Achttagregenwetter! So antworte doch, wenn man zu dir spricht, oder ich werfe dir was an den Kopf! Bei der heiligen Gottesgebärerin, der Stephanos ist mir tausendmal lieber als du!« Der junge Fischer ließ das Netz fallen und hob den Kopf, ohne sie anzusehen.
»Dann kann ich dich nicht halten!« sagte er erstickt. Er setzte sich zurecht, ergriff das Ruder, um abzustoßen, und das Boot glitt langsam ins Meer hinaus. Das Mädchen starrte, vorgebeugt, als traue sie ihren Sinnen nicht.
Sie schrie: »Flavius!« und streckte die Hände nach ihm aus, aber da er nur heftiger ruderte, sah sie verzweifelt um sich und sprang mit einem besinnungslosen Anschwung von der hohen Mauer ins Meer, ihm nachzuschwimmen.
Er war im Nu bei ihr, riß die Triefende ins Boot und an seine Brust.
Sie verschmolzen im Kuß und er trocknete ihr wechselnd Gesicht und Hände und näßte sie mit seinen Tränen. Aber als das Mädchen, das nichts anderes als die neu gefundene Sicherheit seiner Liebe fühlte, beseligt sich seinem Kusse gab, begann er jählings verzweifelt zu schluchzen.
»Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich kann's nicht mehr ertragen!« – Und sie sah von neuem in seinen Augen den Ausdruck, der sie entsetzt hatte. Ihre tausend Bitten und Küsse, ihre Liebesworte und Fragen entlockten ihm endlich das Geständnis seiner Verwandlung. Auch er entsann sich, wie sie selbst, sehnsüchtig jener Zeit, da seine nächtlichen Meerfahrten durch reichlichen Ertrag ihre Vereinigung nah zu bringen schienen. Es sei wie eine schwere Krankheit über ihm. Manchmal, wenn das Entsetzliche für Wochen aussetze, glaube er den Fluch gewichen, und hänge sich an sie, und wolle das Leben in seiner heißesten Lust genießen. Aber es komme wieder und wieder, und jetzt könne er nicht mehr! Es habe ihn ein Ekel vor allem Fleisch, vor der Hinfälligkeit alles Fleisches erfaßt, auch vor ihr – ja, auch vor ihr. Mitten im Kuß habe er sie einmal so gesehen – wie jene, und seither sei er wie ein Greis! Deshalb habe er sie gehen lassen wollen – zu einem andern gehn, obgleich er gliederweis verbrenne bei dem Gedanken daran! Und obgleich er sie liebe, begehre, alles, alles! – Aber nein, das könne sie nicht so begreifen, das müsse sie sehen ...«
Er drängte sie hastig auf den Haufen nasser Netze, die im Boot lagen. Ein paar winzige Fischlein glitzerten verstreut auf den feuchten Planken.
Als er schon die Ruder ergriffen hatte, nahm sie ein kleines Bildnis der Sancta Sofia von ihrem Hals, hing es ihm rasch um und küßte ihn heiß und ernst auf den Mund. Dann fuhren sie und er hielt auf die Klippe zu, um die große Vögel krächzend schwebten. Er ruderte geschickt zwischen den scharfen Felsen hin. Plötzlich richtete er sich auf und deutete mit dem Ruder gradaus.
»Da ist es!« sagte er mit angehaltenem Atem. »Immer bin ich es, der es findet, von allen Fischern immer ich! Quintus hat einen heraufgefischt und bei seiner Hütte begraben, da ward er ergriffen und des Mordes beschuldigt. Sixtus fand zwei und hängte sich an den Dachbalken. Was geschieht mit mir? Wo ich fische, draußen, drüben oder hier, immer verfolgt es mich, ich werfe das Netz aus und mitten im Vaterunser zieh ich sie aus dem Wasser! Ich werf sie wieder hinab und seh sie doch schwimmen! Die ganze Luft ist voll von ihnen, ich seh sie bei Tag und bei Nacht. Herr, du mein Jesus, was hab ich verbrochen, daß du mich so schlägst!«
Das Mädchen starrte – die Hände an die Wangen gepreßt – auf den Ballen, der zwischen angetriebenem Holz, Tang und Schilf halb verdeckt, leise auf und nieder schaukelte.
Es war ein Sack von grobem Leinen, und er zeigte verwaschene, braune Flecken.
An einer Stelle waren die flüchtigen Stiche aufgegangen und eine Strähne hellen Haares schwamm auf dem Wasser.
»Jesus und alle Nothelfer! Eine tote Frau!« stammelte sie.
Plötzlich sagte der Fischer: »Was will das Boot da? Das ist kein Fischerkahn! Sie halten ja hierher! Komm fort, komm fort! Wenn sie uns hier finden, klagen sie mich an, wie Quintus! – Komm, komm, die Ruder! Nimm die Ruder! Ach, wenn wir Wind hätten!«
Sie arbeiteten beide keuchend und ihr Schifflein schoß dahin.
»Sie kommen näher!« sagte das Mädchen. »Unser Boot ist zu schwer!«
»Wenn wir den Hafen erreichen, verbirgt uns das Gewühl! Halt aus Julia, halt aus!« – »Sie winken! Einer steht am Steuer und winkt!«
»Treff ihn der Blitz! Wir sehen nichts, halt aus!«
»Hollaho! – Anhalten! Hollaho!« scholl es herüber.
Das verfolgende Boot kam weiß, schlank, rauschend heran, von acht Sklaven gerudert. Es war Agathons Lustschiff »Triton« und für schnelle Küstenfahrt gebaut. Der Grieche saß vermummt, übernächtig und fröstelnd in seinem weichen, braunen Mantel am Steuer. Ein seidenes Kissen stützte seinen Hinterkopf und er hielt einen Becher heißen Weines. »Wir haben sie!« lächelte er zufrieden. »Sagte ich's dir nicht? Ich nehme stets nur Cyprioten zu Schiffssklaven!«
Aligern stand aufgereckt, die Lippen verpreßt und maß den Abstand von Schiff zu Schiff.
Und dann sprang er in weitem Bogen in das verfolgte Boot, über dessen niederen Bord das Wasser spritzte.
Hinter ihm schrie Agathon auf.
Der Fischer hob langsam und drohend das Ruder.
»Diene mir und fürchte nichts!« sagte Aligern. »Willst du mir den Fang dieser Nacht verkaufen, so sollst du zufrieden sein!«
Der Fischer stammelte hastig: »Herr, hier siehst du, was ich gefangen habe, eine Handvoll armseligster Fische! Das ist nichts für deine Tafel, Großwürdiger!« – Er hielt stotternd inne, unter Aligerns Blick zuckten seine Lider herab, als sause ein Schwert von seinem Antlitz nieder.
Der Gote löste die Schnur eines Beutels, Gold rieselte klingend herab und blieb blinkend im Spülwasser liegen, auf dem die sechs, acht toten Fische schaukelten.
»Sancta Sofia!« kreischte der Fischer, »das alles soll unser sein? Gutes Gold! Julia, schau doch, Julia! Das hat dein Amulett getan! O Sancta Sofia, gepriesen sei dein Name! Weißt du, was das gibt, Julia? Ein Haus gibt das, dort wo man kein Wasser sieht, ein richtiges Haus und Felder!« Er kniete, wie von Sinnen, lachend, schluchzend, schwatzend, fischte Goldstück um Goldstück aus dem Bordwasser und wischte es an der Jacke blank. Das Mädchen schwieg und sah forschend lange in Aligerns Gesicht.
»Der, den ich suche, war mein Bruder!« sagte Aligern leise.
Sie warf sich wild in die Ruder und das Boot hielt pfeilgerade auf die Klippen hin.
Der »Triton« folgte rauschend und Agathons Stimme rief unwillig herüber: »Was? will diese nacktbeinige kleine Gespielin Amphitrites uns da in die Klippen jagen? Hä! Aligern!«
Da sah Aligern schon und murmelte: »Sein Haar ...«
Die großen Vögel schleuderten sich gestört kreischend in die Luft. Der Sack hing am Zackenwerk der Felsen.
Aligern zog sein Schwert und durchschnitt das halbgelöste, grobe Stichwerk.
Da war das wassergeblähte Totengesicht, mit blaugeschwollenen Lippen und gebrochenen, offenen Augen. Über die volle weiße Knabenschulter lief wie Spülicht wäßriges, braunes Blut.
Aligern verhüllte die Schrecken dieses Angesichts und hob allein den schweren, rinnenden Sack ins Boot.
Er sah aufgereckt zum heiligen Palast hinüber, über dessen vergoldeten Kuppeln die Sonne aufging.
Im Thronsaal des heiligen Palastes tagte ein Konzil.
Zwischen den brausend ausgespannten, winderfüllten Flügeln zweier Niken erhoben sich die Thronstühle und schieden die beiden weiten Halbkreise der feindlichen Gottesstreiter. Zur Rechten des Kaisers, der seit frühester Morgenstunde, ohne das mindeste Zeichen von Beistimmung oder Ablehnung, dem Redekampf folgte, reihten sich die Verkünder der orthodoxen Lehre, Archimandriten, Exarchen, Sendlinge des Papstes, Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe und die Scharen der Mönche, die von weither entsandt worden waren, dem großen Wettstreit beizuwohnen. Theodora zur Linken drängten sich, auf die Steinfliesen hingekniet, die Befehdeten, denen sie ihren Schutz verliehen hatte. Monophysiten, Sabbathianer, Arianer, Apollinariten, Aphthartodoketen.
Theodora war so tief verschleiert, daß sie selbst nur wie durch einen Nebel all diese Verfolgten sah, die rauhe Kutten aus zottigem Kamelhaar trugen, deren Brust und Beine fellgleich behaart waren, die Bärte wie Vogelnester hatten und Haare, spröder als Gestrüpp. Es gab Gesichter, dem ähnlich, das sich zu Alessandria in Traurigkeit und Zorn und Mitleid über sie geneigt hatte. Es gab junge Streiter, deren Händefalten ein Fäusteballen war, und alte, in deren trüben Augen die Sehnsucht nach dem Tode brannte, dem Wegweiser zur unendlichen Freude.
Theodora wandte den Blick. Die regierende Kirche hatte sich wie zum Siegesfeste gekleidet, in chinesische Seide und arabischen Sammet. Die Mitren blitzten von Steinen, die Krummstäbe waren Gold, und über die Bänke, die die Kirchenfürsten einnahmen, waren schwere Gewebe gebreitet.
In dem weiten Abstand, der die beiden Halbkreise schied, war diesseits und jenseits ein Kämpfer vorgeschoben worden.
Vigilius saß vor einem Tisch, auf dem, mit ungeschliffenem Edelgestein beschwert, Schriften und Aufzeichnungen geschichtet lagen, die ihm Petros, der Patriarch von Ravenna, wechselnd darreichte. Ein Knabe mit hellen Locken hielt Krug und Becher auf einer Schenkplatte bereit.
Der Monophysit Zooras hatte kurzerhand alle Kissen von seinem Sitz herabgeworfen. Er saß auf der äußersten Kante seines Stuhles und wenn er die Arme hob, schlugen die zerfransten Ärmel seiner Kutte wie die Flügel eines Raubvogels. Er war sehr groß, breitschultrig, grobknochig, mit birnenförmigem, rundgestirntem Schädel. Das grau und weiße Haar hing lang in den Nacken. Der zahnlose, weißbebartete Mund hatte seit Morgengrauen geredet und manchmal in schnellem Eifer gewettert und geflucht, und doch sah Theodora, daß er sanft und hilflos rührend war wie der eines Kindes. Nur der Gotteskampf schien diesem Antlitz für den steten Ausdruck gütigen Lächelns jenen eines drohenden und hoheitsvollen Ernstes aufzuzwingen. Theodora sah zu Vigilius' rosigglattem Gesicht hinüber und entsann sich ...
Selbst Mutter Anastasia schien des Einsiedlers Gewalt zu fühlen. Sie küßte, so oft Zooras zu neuer Rede ansetzte, das Christuskreuz an ihrem Rosenkranz, als fürchte sie es bedroht. Und die sechsunddreißig jungen Nonnen, die hinter ihr kniend ihre Glieder von der Eiseskälte des Estrichs ergriffen fühlten, zogen, sich mit ihr neigend, Kreuz um Kreuz hinter ihren schwarzen Schleiern.
»Wie sollte mein einfältiges Hirn an einen Tritheismus glauben, wie er uns schlimmer nicht aus Tempelfratzen alter, grausiger Heiden entgegengrinst!« sagte Zooras, und an seinem dürren, faltigen Halse tanzte der Adamsapfel.
»Es will mir nun und nimmer eingehen, wie die große Kirche dies anzweifeln kann, was just das H erzrührendste ist, das Tiefstbewegende, und wie's jemand nicht verstehen könnte, daß unser lieber Herr Christus nur dann Gott war, wenn er mehr als wir alle Mensch gewesen ist!«
Vigilius bog sich höflich lächelnd vor, immer im Tone, als spreche er zu einem Kinde oder einem Irren. Und während Flüstern und Gekicher fortdauerten, erwiderte er: »Vorzüglich, Herr Bruder! Aber darf ich, dem Eindruck der Mehrheit nachgebend, bitten, für jetzt persönliche, wenn auch noch so eindringliche Gefühle der historischen Wichtigkeit dieser Stunde hintanzusetzen? Ich glaube hiemit im Sinne der gesamten hohen Geistlichkeit sowie des geliebten Herrscherpaares zu sprechen«, fügte er hinzu. Die Priester riefen: »Ja!« und »Gewiß!« – manche lachten, Theodora und Justinian saßen, ohne sich zu regen. »Hier gibt es kein ›Ich glaube!‹« fuhr Vigilius fort, »nur ein ›Woran glaube ich?‹ und ›warum glaube ich es?‹
Wo? in welchem Lager ist die Wahrheit? und also frage ich, entsinnst du dich dessen, wie der große Basilius den Ketzer Apollinaris zerschmetterte, indem ...«
»O Herr! O Bruder!« unterbrach Zooras, dessen Lippen schon lange zur Erwiderung offen standen. »Was sprichst du armen Menschen von Wahrheit? Die ist in Gottes Hand und es ist gut so, unser Teil ist allein der Glaube! Erkennt aber einer von uns ein Stücklein Wahrheit, so hat er sie doch nur für sich selber erkannt und kann sie einem andern so wenig mitteilen, wie er die eigene Haut von sich abziehen könnte, den andern zu wärmen, wenn's jenen fröre! Deshalb, als die Botschaft und Ladung für diesen Tag bis in meine Höhle kam, war mir bang gewesen im Innersten, und ich dachte: Der Glaube ist so was Feines und Gebrechliches, daß man ihn nicht herzeigen sollte vor vielen, dafür aber sollte jeder den andern bei dem seinen lassen und sollte genug sein für alle Zeiten damit, daß unser herzgeliebter Herr ist für seinen seligen Glauben gekreuzigt worden!«
Der Alte senkte den Kopf auf die armen, gefalteten Hände und über seine hohlen, bestoppelten Wangen sickerten Tränen.
»Sehrwürdiger Bruder!« sagte der Patriarch und trommelte mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte. »Sehrwürdiger Bruder, wollen wir nicht von dieser gewiß rührenden Darstellung geistlichen Seelenlebens zum Zweck dieses Tages zurückkehren? – Ich frage: Deine Lehre nimmt die ganze Menschennatur Christi an. Ausgezeichnet! – Jeder nach seinem Herzen! – Aber wird die ganze Menschennatur Christi angenommen, wie kommt es dann – –«
»Wie kommt es dann, daß der Heiland auferstand?« fiel ein junger Bischof der Orthodoxen ein.
»Nein!« kopfschüttelte Vigilius, sich rasch nach ihm wendend. »Nicht so! Da kann unser lieber Bruder antworten: Vom Momente der assumptio an sei auch der Leib als unvergänglich, ja als ungeschaffen zu betrachten!
Dies ist nichts, dies sagte schon der Ketzer Irenäus und auch bei Gregor von Nyssa findet sich eine ähnliche Stelle! Aber, Sehrwürdiger, beantworte, bitte, dies: Die Menschennatur Christi angenommen, wie konnte er dann die Menschheit erlösen?«
»Und kann anders als vom Menschen der Menschheit Erlösung werden? Wie, frage ich diesmal, wollt ihr die Leiden am Kreuze erklären? Konnte ein Gott sie erleiden?« Zooras sprach nun erregt, er atmete schwer und sein Antlitz glitzerte vom Schweiß der Ermüdung. Vigilius leerte den Becher, den sein Knabe ihm reichte, in sorglichen Schlucken und antwortete mit dem Lächeln der Nachsicht: »Warum sollte die Göttlichkeit nicht menschliche Leiden empfinden können, wenn sie es wollte?«
Zooras hob die Hände, während Gemurmel der Entrüstung unter den Monophysiten ausbrach. »O du mein gekreuzigter Heiland! Gewollt hast du deine sieben Leidenstationen, wie ein launenhaftes Spielknäblein nasse Füße will und in Pfützen stapft? Vergib ihnen, Herr, denn sie wissen nicht, was sie tun! Umsonst hat deine Seele aufgeschrien ›Eli, Eli, lama asabthani!‹ – dies Wort, das da an jedes Menschen Herzen reißt, ob er sei des Arius Jünger oder Orthodox, oder Jud, oder Mohr, oder Barbar! Die deine eigene Lehre predigen, begreifen dich nicht! Und du wirst in deine alten Wunden gekreuzigt alle Tage!«
Zooras trocknete mit dem Kuttenärmel das von Schweiß und Tränen feuchte Gesicht, und wie er darüber wischte, hinterließ der rauhe Stoff Streifen von Schmutz und Farbe, daß er scheckiger schien als eine Elster.
Darob entstand großes Gelächter unter den Orthodoxen und einige junge Kleriker wußten sich nicht zu lassen vor Fröhlichkeit. Die Monophysiten aber stießen grimmige Zurufe aus und junge Mönche sprangen von den Knien auf und liefen hin, dem Sehrwürdigen beizustehen und sei's mit Faustgewalt. Mutter Anastasia aber hatte ihm schon ihr linnenes Schweißtüchlein in die Hand gedrückt und geflüstert: »Wisch dir dein Gesicht ab, Vater, am ärgsten ist's auf der linken Wange.«
Zooras rieb sein Antlitz hilflos mit dem dünnen Linnen, um das Übel nur ärger zu gestalten. Schon waren einzelne Widersacher hier und dort aneinandergeraten, als sich Vigilius nasenrümpfend zu seinem Diakon wandte: »Sie bringen ihre Zöllnersitten bis ins Konzil!« sagte er laut.
Zooras bog sich vor. »Sind wir Zöllner, so seid ihr Pharisäer!« rief er. »Die ihr des Armen lachet, wie der ewige Jud des Gekreuzigten! – Wähnt ihr, des Glaubens und der Kirche Ehre bestünden in einem Prunk, wie er den Huren besser anstünde als den Priestern? Wehe dem Volk, dessen Hirten es mit goldenen Hirtenstäben leiten! Leiden allein macht den Menschen ehrwürdig und vernichtet die Tierheit in ihm! Deshalb wuchs der Menschensohn, der über alles menschliche Leid hinaus litt, auch über alles Menschenmaß hinaus und ward Gott unter seiner Dornenkrone!«
Der Lärm ließ ihn nicht weiterreden. Die Orthodoxen trampelten, schrien, lachten. Bischöfe waren auf die Bänke gesprungen. Vigilius saß zurückgelehnt in seinem Sessel und hielt nur manchmal die Finger an die Ohren.
»Wir sind zu einem Konzil gekommen und nicht zu einer Schulpredigt!« schrie ein junger Bischof unablässig und Petros gellte: »Den Ketzer ans Kreuz!«
»Den Ketzer ans Kreuz! – fort mit ihnen allen, hinaus aus dem Lande die Ketzer!« Zooras aber schlug mit geballter Faust auf den schweren Tisch vor ihm, und die Tischecke brach ab mit Krachen und Splittern. Keiner hätte seinen Händen diese Kraft angesehen. Des Alten Augen sprühten Blitze und er donnerte in die Stille des Erstaunens hinein: »Wähnt ihr, mir sei der Tod ein Feind wie euch, da er zu euch kommt, euer irdisch Himmelreich zu enden?! In Sanct Pauli Brief an die Korinther steht geschrieben: ›Wisset ihr nicht, daß die Ungerechten werden das Reich Gottes nicht ererben? Weder die Hurer noch die Abgöttischen, noch die Ehebrecher, noch die Weichlinge, noch die Knabenschänder! Und solcher sind eurer etliche gewesen!‹«
Zooras stand hoch aufgerichtet und sah gewaltig über die erregten Rufer hin.
»Murrt ihr über mich? Wenn meine Rede euch bitter dünket, eure Taten dünken Jesum noch bitterer.«
Da warfen sich die Mönche auf ihn, den seine Schar verteidigte und es entstand wüstes Gewühl und Lärmen.
Aber plötzlich rief eine Frauenstimme:
»Wollt ihr wohl ablassen von den Gläubigen, denen ich Schutz zugeschworen habe?« Und ein Blitzendes wirbelte durch die Luft und fiel schwer mitten im Gewühl der Kämpfenden zu Boden.
Da erkannten sie der Kaiserin Zepter, das sie zornig zwischen sie geschleudert hatte. Im Nu entstand ein weiter Raum um Zooras, in dem er allein ragte, beschmutzten Angesichts, mit zerfetztem Gewande.
»Wähnst du nun, Theodora, ich würde dich darum segnen, weil du nicht duldetest, daß ich vor deinem Angesicht zerfleischt würde? – Schande genug für dich, Justinianus, daß du da oben saßest, lau wie einer derer, die des Herrn Mund ausspeien wird am jüngsten Tage! Wähnst du, ich wüßte nicht, wie auf dir die Blutschuld an all der Treugläubigen Martertod lastet? Du, der du deine blutgierige Habsucht an den Opfern des gottverdammten, des bestochenen kalzedonischen Konzils stilltest, wirst zittern am Tage des Gerichts!«
In dem atemlosen Schweigen sah man Justinian unter dem Thronhimmel sitzen. Er war weißer als die Marmorniken, die den Lorbeer über ihn hielten. Er sprach sehr ruhig und langsam: »Zooras, ich ehre den Priester auch noch in dir, der in einem Tone des Aufruhrs zu mir spricht, wie kaiserliche Macht ihn nie und nimmer dulden darf! Du allein und deinesgleichen, ihr seid die Aufwiegler, die Verführer, deren Opfer ich strafen muß, um meine Untertanen vor böser Ansteckung zu bewahren! Sprächest du wahr, so würde Gott nicht zögern, meine Schuld durch ein Zeichen kundzutun! Solange ich aber dies Zepter halte, werde ich niemals gestatten, daß die Würdenträger der Kirche und ein gerechtes Konzil verleumdet werden, und der, der Gottes heiliges Kleid also schändet, mag des Todes in den Wellen des Bosporus gewiß sein!«
»Verlangst du noch Zeichen und forderst Gott heraus, du Wurm?« donnerte Zooras, daß die goldene Kuppel klang und widerhallte und der schüchterne Beifall der Orthodoxen erstarb. »Über mich kommet der Geist, daß ich euch sage: Die Zeichen, nach denen du riefest, werden euch werden, dir und deiner gekrönten Metze, deren Leib schon zu faulendem Geschwür wird unter dem Purpur und zur Jauche ihr Gehirn unter dem Diadem!«
Die Kaiserin erhob sich vom Thron, und es ward deutlich, daß sie den Saal verlassen wollte. Sie schritt die Stufen herab und ging, hoch und hoheitsvoll, durch den Saal. Wie einst, da sie noch Semiramis, Roxane, Kleopatra mimte, dachte Theodora nur daran, stolze Würde in jeden ihrer Schritte zu legen.
Aber plötzlich zuckte sie zusammen. Und sie starrte geradeaus und hielt inne, ohne es zu wissen. Tief innerlich erschreckend sah sie, mitten in der Menge verschwimmender Gesichter, ein Antlitz, nein, zwei Augen, die sich bereit hielten, daß ihr Blick in sie fiele.
Sie ward verbrannt von blauer Flamme und fühlte »Mord!« so deutlich, daß ihre Hand an die Kehle griff.
Als habe der Engel des Schwertes, der Engel des Dunkels sie angetreten, taumelte sie, hörte Stimmengemurmel. »Ein Zeichen! Das Zeichen!« und hatte unter der ziehenden Macht dieser Augen nur noch Kraft zu dem stöhnenden Schrei: »Wache!« Sie fiel in Mutter Anastasias Arme.
Justinian erhob sich. Er rang seinen bebenden Lippen die Worte ab, die im raunenden Entsetzen des Saales untergingen. »Unserer gottgesandten Gemahlin ist übel. Wir beschließen die heilige Zusammenkunft des Tages!« – An der leblosen Kaiserin vorbei verließ Zooras mit seinen Jüngern den Saal. Es wagte sie keiner zu kränken und die Wachen senkten die Speere vor ihnen wie vor fremden Fürsten.
Dem Drängen des Volkes sich fügend, gebot Justinian die Wiedereröffnung des Zirkus Konstantinus. In dem von Isidoras neu aufgerichteten Amphitheater hatten an vier Altären Vigilius und die drei zum Konzil herbeigeeilten Patriarchen von Nikomedia, Antiochia und Ravenna ihre Gebete zugleich nach allen Himmelsrichtungen ausgestreut und die Stätte blutigen Aufruhrs entsühnt. Auf jenen Rängen, von denen herab die Isaurier Väter, Brüder und Gatten mit Pfeilen überschüttet hatten, drängte sich das Volk, denn Kaiser und Kaiserin sowie die gesamte orthodoxe Geistlichkeit des Konzils hatten ihre Anwesenheit verheißen, um die in der Stadt verbreiteten Gerüchte niederzuschlagen.
Vor Beginn der Schaustellungen durchschritt der Basileus, von Theodora und den vier Kirchenfürsten samt Gefolge begleitet, den mit Pracht erneuten Bau.
Theodora zeigte sich unverschleiert. Unter dem purpurnen Wedel, den Ukri über sie hielt, schien ihr rötlich beschattetes Antlitz sorglos-heiter und von verjüngter Schönheit.
Sie schritt hinter dem Kaiser einher, der sich kein einziges Mal nach ihr wandte. Ihr Begleiter war der Patriarch Petros, den sie mit sichtbarlichster Gunst aufgenommen und an ihrer Seite festgehalten hatte.
Petros trug nun die reiche Tracht des Klerus und seine kostbar beringten Hände falteten sich über einem werdenden Bäuchlein. Das Fett nahm dem Antlitz viel an Ausdruck und Besonderheit und reihte es unter die Schar der feisten Mönchsgesichter ringsum ein.
Der Baumeister Isidoros führte die weltlichen und geistlichen Herrscher von dem Rund des Amphitheaters fort, durch riesige Höfe zu den Häuschen der Wärter, Ringer, Mimiker und Tänzer.
Entfernt vom Gebrüll und der Ausdünstung der Tiere bot die neue Anlage noch Raum für kleine Gärtchen und schien, verglichen mit den feuchtdunklen Menschenpferchen von einst, ein Paradies.
Wohin der Zug kam, lagen Männer und Frauen auf den Knien und geputzte Kinder wurden dem Segen der heiligen Väter entgegengehalten. Theodora lächelte den Knienden zu und strich hier und dort einem schönen Kinde übers Haar. Der Kaiser schritt achtlos vorüber, nur manchmal zu den Erklärungen seines Baumeisters nickend. Sie kamen nun zu dem »Tierhaus«, einem Anbau des Amphitheaters und mit ihm in vielfacher Verbindung stehend. Isidoras öffnete selbst das schwere, eiserne Tor, dessen Hebelwerk ein Kind zu bedienen vermochte und das für alle Zukunft einen Ausbruch der Bestien in die Zirkusgänge, wie zur Zeit des Nikaaufstandes, unmöglich machen sollte.
Die scharfe, heiße Ausdünstung wilder, großer Katzen schlug ihnen entgegen und erderschütterndes Gebrüll ward laut, in das sich erregtes Trompeten von Elefanten mischte. Die eilenden Männer, die hin und wieder huschten oder schon Büffelpanzer und Helm anlegten, oder den Tieren mit Flüchen und Schmeicheleien zusprachen, achteten der hohen Gäste wenig, kaum daß einer vor den goldenen Krummstäben ins Knie sank.
Isidoras führte die Herrscher die Treppe zur Galerie hinauf. Er zeigte, wie von hier aus, ohne jede Gefahr für den Wärter, die Fallbrücken in Bewegung gesetzt werden könnten, um ein gewünschtes Tier in die Arena zu befördern.
»Wozu diese Spielereien?« lachte Theodora, mit weitgeöffneten Nüstern den Tiergeruch einatmend. »Mit der Eisenstange in der Faust ging es auch!«
»Aber es waren viele Menschenleben zu beklagen!« murmelte Isidoras, der die Kaiserin niemals ansah oder anredete, vor sich hin.
»Damit müssen Tierwärter rechnen,« antwortete Theodora kurz.
Ein ohrenzerreißender Lärm, als streife man mit eisernen Keulen an eisernen Gittern entlang, unterbrach sie und das Trompeten des erregten Elefanten klang wie die Posaunen des Gerichtes. Die braunen Männer zappelten und überschrien sich und flehten. »O Herr der Weisheit, geruhe dich niederzulegen. O grauer Berg der Tugend, wollest so gnädig sein, dir dein Prunkgeschirr anlegen zu lassen! Sei stille, du Hurensohn, du Vater und Großvater und Urgroßvater von Huren!«
Theodora bog sich vor und rief hell über allen Lärm hinweg: »Holla! Ihr da unten! Warum gebt ihr ihm kein Wasser?«
Die scheltenden, schreienden, armfuchtelnden Männer vor dem Gehege wandten die Köpfe und starrten die Kaiserin an. Endlich sagte einer von ihnen: »Er hat Wasser genug, aber sein Führer ist gestern gestorben. Wir werden ihn vergiften müssen.« »Narretei!« herrschte Theodora. Sie war im Nu, rauschenden Gewandes, die Stiege hinabgeeilt. Der Lärm dauerte an. Löwen und Tiger, erregt von den durchdringenden Trompetenstößen, brüllten und warfen ihre Leiber an die Gitterstäbe. Die Wärter riefen alle Flüche der Hölle auf den Elefanten herab, der mit unablässigen Kopfwendungen seine mächtigen Stoßzähne am Gitter hin und her streifte, als lasse er ein ehernes Harfenspiel erklingen.
Das Tier sah Theodora jählings sich gegenüber. Es hielt sogleich inne und seinen ungetümen Körper seitlich mit dem Rhythmus der Klageweiber des Orients schaukelnd, sah es Theodora mit seinen roten, unbewimperten, wilden Augen an. Nach einem kurzen Augenblick schien der Elefant mit der Einschätzung ihrer Person zu Ende gelangt. Er warf den Rüssel in die Luft und begann seine Trauermusik von neuem.
Da stieß Theodora einen Ruf aus, einen gutturalen, langanhaltenden Ton, der sich in nadelspitzem Schrei überschlug.
Der Elefant brach jählings ab und stand zitternd still. Theodora wiederholte den Ruf, und der »graue Berg der Tugend« legte sich sanft und gefügig.
»Gebt ihm jetzt nur Zuckerrohr und viel Wasser!« sagte die Kaiserin zu den staunenden, lachenden Männern.
»Vielleicht weiß die allergnädigste Kaiserin auch ein gutes Wörtlein für Panther?« bat ein Alter. »Ich habe da solch einen schwarzen Teufel. Da drüben, Allergnädigste, da drüben!«
Theodora sah auf die große Katze herab, die nachtschwarz, zum Sprung geduckt, mit vorgestreckter Kehle lag, die Augen aus schmalem Spalt glitzernd wie gelbgrünes Gestein. Neben ihr rollte, tanzte, knäulte sich ein weiches, bewegliches, glänzend-schwarzes Etwas, nicht größer als eine Hauskatze.
»Welch schönes Tier!« sagte Theodora. »Aber das Gehege der Giraffen drüben ist viel zu nahe! Sie wittert sie, das macht sie so unruhig. Das Junge will ich für mich! Du bringst es in den Palast, Burbo!«
»Herrin!« murmelte der Alte. »Sie hat nur dieses eine! Zwei starben auf der Überfahrt. Sie ist doch auch eine Mutter!«
»Burbo, mach den Mann bezahlt!« befahl die Kaiserin.
Oben auf der Galerie sagte Justinian mit lauter Stimme: »Es ist an der Zeit, die Spiele beginnen zu lassen!« und er ging voraus, ohne sich umzusehen.
Theodora wandte sich. Ihre Augen blitzten, aber sie folgte Justinian sogleich nach. Sie winkte Petros von neuem an ihre Seite und während Isidoras die Eisenpforte öffnete, raunte sie: »Bleibe hier zurück. Ich habe einen neuen Handel für dich!«
Petros erschrak sichtlich. »Nicht, o nicht! Nie mehr! Ich bin Patriarch von Ravenna!«
»Hält das dich ab, Papst von Rom zu werden? Warte hier, ich sende Burbo, dich in meine geheime Kammer zu führen!«
Die Torflügel fielen zu und schlossen den Zaudernden ein.
Das Pantherweibchen, dem man sein Junges genommen hatte, brüllte.
Als der Kaiser auf dem Kathisma Platz genommen hatte, gab der Herold der tausendköpfigen Menge das Zeichen, sich zu setzen. Aber kaum hatten die achtundvierzig syrischen Schwerttänzer ihren Reigen begonnen, als Justinian sich zu Clotar wandte.
»Der Elefant, den die gottgesandte Kaiserin, meine Gemahlin, selbst zu zähmen die Gnade hatte,« sagte er in seiner unbewegten, langsamen Weise, mit einer kaum hörbaren Betonung des Wortes »selbst«, »ist uns hiedurch zu wertvoll geworden, um ihn der Hand eines geringen Mannes fürderhin anzuvertrauen. Er wird sogleich vergiftet.«
Der Oberste der Leibwache legte die Linke auf die Brust, neigte sich und gab den Befehl an eine schnell enteilende Wache weiter.
Theodora hatte scheinbar nur dem waffenumblitzten Spiel der braunen, schlanken Knabenleiber Beachtung geschenkt.
Sie hob nun nachlässig die elfenbeinerne, mit geschnitzten Darstellungen der biblischen Geschichte gezierte Fächerplatte wie zum Schutz gegen die glühende Sonne und plötzlich war ihr Gesicht ein verwandeltes, zornsprühendes, und sie zischte.
»Wagst du ›nein‹ zu sagen, wo ich ›ja‹ sage, Justinian? O Heldentat, ein Tier zu töten, das nach seinem Herrn schrie und das ich in seiner Sprache tröstete! Muß es dafür leiden, daß ich dich dadurch an meine Herkunft zu gemahnen wagte, dich – und was dich ein viel größerer Frevel deucht – auch andere? Hast du in den Armen der Sklavin, an der du in dieser Nacht deine Männlichkeit erprobtest, so sehr auf Herkunft achten gelernt? Wähnest du, deine Unfruchtbarkeit würde zeugen, nun sie sich mit dem Dreck paart?«
Der Kaiser schien nicht zuzuhören. Er saß, die Hände im Schoß ineinandergelegt, schmal und gerade da und sah dem Schwertspiel zu. »Vortrefflich. Sieh nur, es ist dein Namenszug, den sie nun bilden, Theodora,« sagte er ruhig.
»Justinian!« sagte sie drohend. »Bist du der einzige Mann der Welt, der Theodora sein Ohr zu versagen wagt, wenn sie spricht? Wirst du das Weib fortjagen? Sie ist noch in deinem Palast! Antworte mir oder, bei Gott, du sollst öffentliches Ärgernis an mir erleben!«
Der Kaiser wandte sich ihr langsam zu. Er hielt die Lider gesenkt und lächelte. »Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß dies im Bereich deines Willens liegt, begannst du doch jetzt eben damit, das Kathisma zur Bühne deiner öffentlichen Schaustellungen zu machen. Ich hingegen halte den Zirkus, in dem du dich zu Hause fühlst, nicht für den Ort ehelicher Auseinandersetzungen. Zumindest liebe ich hiebei nicht so aufmerksame Beobachter wie jenen Mann an der dritten Säule, der unverwandt nach dir starrt, und um dessentwillen ich dich ersuche, Ton und Gebärde zu mäßigen.«
Theodoras Blick suchte den Mann.
Sie erkannte sofort mit völligster Sicherheit und tiefinnerstem Erschrecken diese Augen wieder. Aber gleich darauf kam ein Gefühl der Erleichterung über sie.
Im hellen Sonnenlicht schienen diese blaubrennenden Augen nichts mehr von dem nachwirkenden Entsetzen zu behalten, das Theodora ihrer Sinne beraubt hatte. Nicht »Mord«, nein, »Liebe« schien denken zu müssen, wer diesem Antlitz begegnete. Ein schöner, junger Barbar mit gebräuntem, schmalem Gesicht zwischen schulterlangem Haar, von fahlem Holzbraun. Schöne Augen eines Jünglings, schöne, blaue Augen! Aber sicherlich ohne andere Kraft, als die seiner süßen Jahre. Theodora legte ihr Haupt ein wenig zurück und sah ihn zwischen halbgeschlossenen Lidern an, während ihr Mund sich lächelnd erschloß.
Der Blick des Barbaren blieb unverwandt im gleichen, großen Schauen auf sie geheftet, und in seinem Antlitz veränderte sich kein Zug. Theodora wandte sich langsam zu Justinian, und ihr Gesicht war die weiße, wunderschöne Maske stolzer Würde, die Byzanz kannte.
»Es steht allein bei meinem Herrn und Gemahl, den Ort zu bestimmen, an dem er die Gnade haben will, mir sein Ohr zu leihen.«
Justinian erwiderte, der Bühne alle Aufmerksamkeit schenkend: »Die besten Gaukler sind doch immer noch die milesischen.«
Theodora ließ ihren Fächer fallen. Wie sie es erwartete, war es Burbo, der, vor ihrem Thronsessel kniend, ihr ihn wieder reichte. Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und las auf seinem Gesicht die Antwort, die sie wünschte. Sie atmete tief auf. Ihre Nüstern blähten sich und sie lächelte mit geschlossenen Lippen. »Das Riechfläschchen!« befahl sie laut. Und sich zu dem Knienden neigend, raunte sie: »Den Mann im braunen Mantel, dritte Säule!«
Die Kaiserin gab das Fläschchen zurück und wandte sich, da sie schnelle, klirrende Schritte hinter sich hörte. Sie sah die ausgesandte Leibwache Clotar Meldung erstatten. Der Mann war erregt und Clotar unterdrückte einen Ruf des Entsetzens. Theodora widmete alle ihre Aufmerksamkeit dem beginnenden Ringkampf.
Clotar trat hinter des Kaisers Stuhl, an seine linke Seite und flüsterte seinen Bericht. Der Kaiser gab drei, vier scharfe, leise Befehle. Er wandte sich hierauf an Isidoros. Der Baumeister sprang bei seinem ersten Wort vom Sitz und schien überrascht verzweifelte Entschuldigungen und Beteuerungen zu stammeln.
Der kaiserliche Herold in seinem feurigen Gewand trat an die teppichüberhangene Brüstung und ließ seine silberne Drommete schmettern.
»Im Namen Justinians und Theodoras, Kaiser und Kaiserin von Byzanz, sind die Spiele für drei Tage geschlossen erklärt. Dem Volk von Byzanz wird Kunde von dem gottgewollten plötzlichen Sterben des heiligen Vaters Petros, Patriarchen von Ravenna, gegeben. Sein Irdisches wird auf Wunsch des Basileus in der Kirche der heiligen Sofia beigesetzt, um des Verstorbenen großer Heiligkeit willen. Im Namen Justinians und Theodoras, Kaiser und Kaiserin von Byzanz!«
Theodora gab das Zeichen und hörte sogleich klirrende Schritte sich der Tür nähern.
Tzikka, der Oberste der Leibwache, stieß einen Mann in den Saal, dem die Hände mit Ketten auf den Rücken geschlossen waren und der eine Binde um die Augen trug.
Sie ward ihm abgenommen, und Tzikka herrschte: »Bete an, du stehst vor der Basilissa!«
Der Mann stand reglos.
»Hörst du nicht? Nieder mit dir!« schrie Tzikka.
»Ich bete nur Gott an,« erwiderte der Mann.
»Das ist Beleidigung kaiserlicher Würde!« donnerte der Thraker und riß ihn an den gefesselten Armen nieder, daß er fast ins Knie brach.
Aber der Mann war im gleichen Nu wieder aufgeschnellt wie ein Fisch.
»Kaiserliche Würde beleidigt nichts, wenn der Anblick Gefesselter sie nicht beleidigt.«
Tzikka sah unsicher zum Thron hinüber und Theodora, hoch und glitzernd, im Schatten des Baldachins, senkte bejahend die Augenlider. Hinter dem Manne fielen klirrend die Ketten zu Boden.
Er hatte endlos gedehnte Stunden in einem halb mannshohen Kerkerloch zugebracht und seine Handgelenke waren von der Ketten Gewicht blutig geschunden. Aber er stand nun angespannt, hart und aufrecht vor ihr wie ein Fechter.
Tzikka beugte das Knie vor der Kaiserin und ging. Seine Schritte hallten nach.
»Wie heißest du?« fragte die Basilissa.
»Aligern«, antwortete der Mann.
Ihr Thron war an der Rückwand des Saales aufgerichtet, am Mittelpfeiler zweier mächtiger Rundbogen, in deren marmornem Rahmen der mondglänzende Zitronenhain sich fing, und sein Blick schweifte hinaus, an ihr vorüber.
»Woher stammst du?« fragte die Kaiserin.
»Ich bin Gote.«
»Als unsere Diener dich fingen – denn sie sahen dich zu wiederholtenmalen in frecher und verdächtiger Art an unsere heilige Person herandrängen – da gabst du anderen Namen an und andere Herkunft.«
»Kramen deine Griechen sogleich ihr Herz vor fremden Sklaven aus?« fragte er höhnisch.
»Unsere Gottähnlichkeit muß nun annehmen, du hegtest böse Absicht wider uns, Mann mit dem Doppelnamen und der Doppelzunge.«
Sein Blick traf sie und es durchzuckte sie.
Sie zog die Brauen empor. Er gefiel ihr. Sie gestattete ihm, ihr zu gefallen.
»Tritt näher!« gebot sie.
Aligern kam über die spiegelnde Weite des Estrichs her. Sie sah seine Schenkel schreiten und genoß ihn im voraus.
»Wir wünschen zu wissen, was dich bewog, dich an all den Orten einzufinden, an denen du hoffen durftest, uns von Angesicht zu sehen?«
Sie lehnte sich zurück. Über ihren Knien spannte sich der starre Stoff und sank zwischen ihnen ein, leise gehöhlt, wie die Fläche eines Opfersteines.
Er schwieg und hielt sie mit dem Blick. Ja, er gefiel ihr. In seinen Schultern verdoppelte sich fast die Schmalheit seiner Lenden, und seines Mundes herbe Röte aufzuschließen, mußte Lust sein über viele Lüste. Sie fragte, fast ehe sie es wollte.
»Warum ließest du mich zwei Nächte lang warten, da ich nach dir sandte?«
Er sah sie noch immer reglos an. Eine lange nicht mehr gefühlte Gier, der sie dankbar zu willfahren bereit war, lohte in ihr auf, ein unbezähmbares Weibverlangen nach diesem bronzenen Sieger mit den Augen aus Lapislazuli.
Sie glitt im Thronstuhl vor, daß sie fast lag.
»Tatest du es, um mich sehnsüchtiger zu machen?« flüsterte sie. »Oder liebst du mich so sehr, daß du Erfüllung fürchtest? Keine Nacht deines Lebens wird süßer als diese sein!«
»Wohl glaublich, wenn du mich am Morgen vor die Bestien wirfst wie Petros!« sagte er hart und leise.
Sie sah in seinen Augen den Tod so nah wie nie und bäumte sich wie eine Schlange auf.
Aber im gleichen Augenblick warf er sich auch schon über sie, seine furchtbaren Hände an ihrer Kehle.
»Du wirst sie nicht herbeizetern, Mordmetze, hörst du? Du wirst verrecken, wie du hast deine Opfer verrecken lassen, stumm und ohne Gnade!« Theodora rang gegen seine unbarmherzige Gewalt. Ihre Gedanken jagten. Mit aller Kraft gegen seine Brust gestemmt, warf sie sich rückwärts und gurgelte mit letztem Atem: »Nicht ich! Justinian!«
Der einzige Augenblick, in dem sich sein Griff lockerte, genügte ihr, um sich loszuwinden. Sie schnellte ihren Körper am Boden hin, wie Eidechsen dahinschießen, und verkroch sich, tief und pfeifend atemholend, auf dem Berge regenbogenfarbiger Kissen, der ihrer Lust gehäuft worden war.
Er war mit einem Sprung bei ihr, riß sie empor, schüttelte sie mit haßverzerrtem Gesicht, fast in Angst, seine Rache zu früh in ihrem Tode enden zu sehen.
Und nochmals, während sie in wirbelndem Bedenken den Rettungsfaden spann, fühlte sie die unverhoffte, längstentbehrte Begier und war dessen in Triumph gewiß, daß diese Nacht, die mit Todesgrauen begann, in des Lebens wildestem Erleben enden würde.
Und sie warf sich vor ihn hin: »Nicht sterben!« schrie sie und brach in Tränen aus. »Ich will nicht um seinetwillen sterben! Er hat mich gekauft, er hat mich an sich gekettet, er hat meine Jugend in sein müßiges Bett gezerrt, er hat meine Freunde verfolgt, meine Neider erhöht und mich unselig gemacht, unselig!«
Sie schlug die Hände vor's Antlitz und ihre Schultern schütterten in bitterlichem Weinen. »Was willst du von mir? Ich habe nichts getan, ich weiß von nichts, ich will nichts wissen!«
»Theodora!« sagte er hart. »Ich selbst stand in des Wärters Kammer versteckt und sah deinen Diener, den gleichen, der eine Stunde später dein Bote an mich war, das Hebelwerk der Fallbrücke in Bewegung setzen! Ich selbst hörte ihn zu Petros sagen, du erwartetest ihn im geheimen Raum und sah, wie er dem Patriarchen weislich den Vortritt ließ, da jener die Brücke zum Pantherkäfig betrat!«
»Burbo? Oh! Also auch Burbo!« schrie sie, wie auf einbrechender Eisdecke, Schritt um Schritt sich vortastend. »Hat Justinian auch ihn bestochen? Nun begreife ich vieles! Und ich traute ihm! Dem allein traute ich! O, Justinian wußte, daß der arme Petros seinen Dienern niemals in die Todesfalle folgen würde! Wenn du in jener Kammer verborgen warst, sahst du es ja auch, daß Petros an jenem Tag an meiner Seite ging und ich ihn, vor allen anderen, ehrte. Darum, weil er mein Freund war, starb Petros! Darum allein.«
»O, du Mimikerin vom Zirkus! Ich weiß, warum du Petros vor die Bestien warfst. Du begannst den Mitwisser an Amalasunthas Tod zu fürchten, als er Ravenna, dessen Patriarchat sein Mordlohn war, verließ, um dem Konzil beizuwohnen!«
»Amalasuntha?« wiederholte Theodora mit einem Staunen, in das sie so eingelebt war, daß ihr vor Gott und ihrer Seele erschien, es wäre ihr dieser Name leer und fremd. »Was habe ich mit dem Tode der Armen zu schaffen, die im Bade ertrank?«
Aligern ergriff ihre Handgelenke und warf die Halbaufgerichtete zurück.
»Du lügst! Justinian wollte Amalasuntha zu seinem Weibe machen, darum ließest du sie ertränken!«
»Hätte er es doch getan!« schrie Theodora wild. »Hätte er sie doch zur Kaiserin gemacht und mich freigelassen. Wähnst du, mir läge an diesem Thron, den ich mit einem Schlottergerippe teile? Ich bin keine Kaiserin, ich bin ein Weib! – Macht das ein Weib glücklich, wenn man sie mit Juwelen behängt und in eisige Säle sperrt, daß sie stirbt vor Sehnsucht? Was quälst du mich? Ich habe kein Teil an ihm und seinen Werken, sage ich dir! Wenn ich jemals Sünde auf mich lud, so war es die, mich in seinem Bett nach Schönheit zu sehnen und nach Mannesstärke. O du! Deine Hände sind so warm, so lebendig! Ich will mich lieber von ihnen würgen lassen, als von den seinen streicheln! Sage mir, warum standest du an allen Wegen, an denen ich vorüberkam, und sahst mich mit deinen wilden Augen an? Ich habe nie solch ein Blau gesehen! Die Wachen nannten dich ›den Mann mit den Augen!‹ Warum küssest du mich nicht?«
»Hast du auch schon den Sack vorbereitet, Theodora, und das Messer? Warten die Fische des Bosporus schon auf mich? Metze, teuflische, lügnerische Metze! Mag Gott Amalasuntha an dir rächen und Petros und die unzähligen, geheimen Opfer. Aistulfs Mord räche ich selbst mit diesen meinen Händen!«
Einen Augenblick jagte Theodoras Erinnern dem barbarischen Namen nach, im nächsten warf sie sich vornüber, schlug mit den Fäusten auf den Estrich, zerwühlte ihr Haar und, während sie im Untergefühle eines rasenden Zornes dachte: »schlafen denn die Wachen, daß sie den Lärm nicht hören?« empfand sie zugleich fast Angst, sich vielleicht frühzeitig durch Hereinstürzende unterbrochen zu sehen. Denn nun schrie sie zuckend, stammelnd, schluchzend: »Er fängt sie! Wenn sie von mir gehen, fängt er sie, ich sehe sie nie mehr wieder und alle sind schön und jung und heiß von meiner Lust, und er tötet sie darum! Er wird auch dich töten, denn du bist schöner als alle. – Du! O du!«
Aligern schwieg, gegen seine Verwirrung kämpfend. Da hob sie das Haupt, lauerte in sein Gesicht und wand sich an ihm empor, das tränenbetaute Antlitz glühend vor Erregung. »Er hat Wachen aufgestellt und wird dich unter Martern töten lassen. Nie wird er es glauben, daß ein Mann des Nachts allein mit Theodora sein könne, ohne ihrer zu begehren. Er wird dich töten, weil du Arianer bist wie ich, es wird ihm Triumph sein, einen Anhänger meines Gottes zu vernichten! Er wird dich töten, weil du schön und stark bist und ich von dir den Sohn empfangen könnte, den seine Lenden nicht zeugen. Er wird dich töten, weil du ihm zuvorzukommen nicht den Mut hast!«
Theodora sah, daß dies eine Waffe war.
Und sie warf sich an seine Brust. Die Arme um ihn geschlungen, jagenden Atems stammelte sie. »Wer ihn tötete, beginge eine Tat der Befreiung, keinen Mord! Er ist feige und unbarmherzig und schlecht und der Dämon seines Landes! – Er hat Testamente gefälscht, Waisen enterbt, Witwen ihr Brot geraubt. Tausendfache Blutschuld klebt an seinen Händen. Wer ihn ermordete, der würde das Volk der Goten vom Henkertode retten, er würde der Herrscher einer seligen Welt. Tu es! Tu es! Tu es sogleich! – Nein, warte, es ist Sofientag, und er liegt die ganze Nacht in der Kirche auf den Knien. Aber morgen. Morgen wirst du es tun. Ich lasse dich von Tzikka waffnen und aus dem Palaste geleiten. Fällt dich einer an, so wehr dich! Und morgen nachts wirst du kommen und ich werde auf dich warten, du! Morgen! Es führt ein geheimer Gang von meinem in sein Schlafgemach. Den wirst du hinabgehen und wirst ihn töten! Und wenn du wiederkehrst, werden sie deine Füße küssen und dich mit der Krone des Konstantinus krönen! Geh jetzt! Geh jetzt, geh!«
Sie drängte ihn zum Ausgang hin, mit einem schluchzenden Lachen, zwischen Spiel und Wahrheit, zwischen zuckender Begierde und höhnischem Triumph. Sie klatschte in die Hände und er sah eines Mohren kyklopische Gestalt den Türrahmen füllen. Aligern stammelte: »Theodora!«
Und sie, in einem neuen, verwirrenden Gefühl, das keine Worte fand, als die gewohnten des Abschieds, wollend, ohne zu wollen, sagte: »Komm morgen wieder!«
Da stieß Ukri ihm das Messer in den Rücken.
Aligern schrie auf und warf sich herum. Er riß den Neger zu Boden und rollte mit ihm auf dem Estrich hin. Er hob ihn, schüttelte ihn und warf ihn schwer zu Boden, hob ihn noch einmal und zum drittenmal empor, und jedesmal schlug des Negers Kopf dröhnend auf, bis er reglos lag, Schaum vor den grauen, offenen Lippen, die Augäpfel weiß, verdreht und gebrochen.
Theodora sah den Sieger über ihm zusammensinken und sie bedauerte fast, daß das Schicksal gegen ihn entschieden hatte. Sie wandte sich zum Gehen.
Da richtete sich Aligern auf den Knien auf und sah sie an. In diesem Augenblick schien es Theodora, als sei sie unfähig, ein Glied zu rühren, zu atmen, zu schreien.
Er schleppte sich zu ihr hin. Er kroch auf Händen und Knien, niederbrechend, wiederaufgerafft, und das springende Blut zog sich wie ein breites, scharlachnes Band hinter ihm her durch den Saal. Sie sah sein Antlitz genau. Das Mondlicht, das vom Garten hereinfiel, füllte seine Augen, und sie glitzerten. Sie waren nicht mehr blau, sondern sie glimmerten in farblosem Sternglanz, wie Berylle.
Und diese unertragbaren Augen auf sie heftend, richtete er sich schwankend empor und sagte, klar und laut, dreimal in drohender Bejahung mit dem Haupte nickend: »Ich komme wieder!« ehe er zusammenbrach.
Vor dem hochfüßigen Bambusbette, auf dem der Kaiser lag, kauerte Lalji, die seine Sklavin war, und rieb mit ihren zimmetbraunen Fingern seine Fersen. Der Basileus war nach der in der Sofienkirche kniend verbrachten Nacht frosterstarrt heimgekehrt und gönnte sich noch eine Stunde der Ruhe.
Lalji saß, die nackten, reifumringten Beine unter sich gekreuzt, und wiegte sich vor- und rückwärts, daß die Ketten um Hals und Handgelenke rasselten.
Die großen Augen geschlossen haltend, summte sie leise und eintönig das Lied, das die Mädchen daheim des Abends sangen:
»Ich kränze mich mit roten Beeren,
Dran der Uwa-Vogel naschhaft gepickt hat,
Und schneller als der Uwa-Vogel fliegt,
Eil' ich zu dir, mich in deine Arme zu stürzen!«
»Hör auf!« sagte Justinian, ohne sich zu regen. »Es klingt, als knarre ein endlos getriebenes Wasserrad!«
Lalji hielt mitten im Wort inne. Sie neigte das Antlitz, seine Füße zu küssen, aber sie schmiegte nur die Wange an das Laken, darauf sie ruhten. Nach einer Weile richtete sie sich empor und flüsterte: »Denkt mein Herr? – oder darf Lalji zu ihm reden?«
Der Kaiser, der mit im Nacken gekreuzten Armen auf dem Rücken ausgestreckt lag, wandte nachlässig sein bleiches Gesicht. »Störe mich nicht, Lalji.«
Sie senkte ergeben das Haupt, und Schatten gingen über ihr Gesicht. Lalji war schön. Die zarte Linie ihrer braunen Wangen floß in reinem Oval im weichen Kinn zusammen. Der Scheitel war glänzend glatt und kompakt, wie aus Ebenholz geschnitten. Die Augen waren die der Antilope, traurig und scheu, von bläulichem Weiß umrahmt, der Mund breit, voll, mit Zähnen, die das gerngekaute Pflanzenmark rötlich gefärbt hatte.
In der Stille des Gemaches war nur das Klirren ihrer Silberkettchen, das trockene Rasseln der zu Schmuckschnüren aufgefädelten Fruchtkerne hörbar. Plötzlich hob sie flehend beide Handflächen gegen ihn auf und verharrte so, bis sein Blick auf sie fiel. »Was willst du denn?« fragte der Kaiser, nicht unfreundlich. »Warum störst du mich?«
»O mein Herr«, murmelte sie. »Sei gütig zu Lalji, denn ihr Herz ist eine Regenwolke, und ihre Handflächen sind gegen dich gekehrt.«
»Lalji, meine Ruhezeit ist um, bald werden die Männer meines Landes kommen, um meinen Ratspruch zu erbitten, und ich werde nichts zu antworten wissen, weil Lalji meine Gedanken abgerissen hat.«
Im Augenblick, da Justinian zu sprechen begann, war Lalji vorgesunken, die Stirne bis zum Estrich beugend. Da er schwieg, erhob sie sich zu kniender Stellung und sah ihn an. Ihre Lippen zitterten. »Du mein Stern!« sagte sie. »Du mein Wasserquell, meine Morgenkühle, du bist weiser als die Priester, die den Regen herbeisingen, wende dein Angesicht nicht ab, ehe du auch Lalji deinen Ratspruch gesagt hast!«
»Sprich!« sagte er, »aber mache es kurz.«
»O Herr, Lalji hat sich von dem goldenen Mann das Kreuz von Bein um den Hals hängen lassen, weil dein Zauber ihr Zauber sein soll. Aber sage, was begibt sich nun, wenn Lalji still, ganz still liegt und der warme Hauch aus ihr gewichen ist?«
»Wenn du gestorben sein wirst, Lalji,« sagte Justinian sanft, »dann wird der Patriarch, der goldene Mann, wie du sagst, über dir wie über jedem rechten Christen einen Segen sprechen, und Lalji wird mit ihren schönsten Tüchern und allen ihren Ketten in die Erde gebettet, damit Rosen aus ihren Lippen wachsen und aus ihrem Herzen.«
»Daran ist nichts Arges!« sagte sie langsam nickend. »Nein. Daran ist nichts Arges. Aber wird mein Herr, um der Blüte willen, die er Lalji genommen hat, daran denken, sie so zu betten, daß ihre Augen nach der Heimat schauen und ihre Füße die Richtung dahin finden, wenn die Erweckung kommt, von der du sprachst? Denn Lalji wird bald kalt liegen.«
»Warum solltest du sterben?« fragte Justinian, mit Besitzerhänden über den zimmetbraunen Körper streichend. »Du bist jung und gesund!«
»Lalji weiß! O mein Herr, wolle deine Großmut dessen gedenken, wenn es geschehen ist!«
»Was fürchtest du? Niemand darf wagen, dir ein Haar zu krümmen, denn du bist mein!«
Jemand lachte.
Der Kaiser fuhr empor und sah Theodora an der Wand lehnen. Ihr Gesicht war weiß wie ein Laken und der Blick, der Lalji umfaßte, flackerte. »Ich will nicht hoffen, euch erschreckt zu haben«, begann sie lächelnd. »Aber wenn die Türen nur Sklavinnen offen stehen, muß die Basilissa geheimen Eingang suchen!«
Justinian meinte im Augenblick fast, sie sei berauscht. Aber sie gewann sogleich die gewohnte Herrschaft über Antlitz und Rede wieder. »Dies also ist sie, die Lust Justinians, des Herrn der Welt? Komm doch einmal her und laß dich besehen, Kleine!«
Der Kaiser, an dessen Brust Lalji sich barg, fühlte sie beben. »Geh jetzt fort!« befahl er, ihre Arme von sich lösend, »laß uns allein!« Sein Zorn brach aus und, ohne die Kaiserin anzusehen, stieß er hervor: »Denn es müssen wichtige Nachrichten sein, wie sie der Kaiser stets nur aus zweiter Hand zu empfangen gewohnt ist, die die Basilissa hierherführten!«
Lalji erhob sich und schlich mit bebenden Knien an der Wand hin zur Tür.
Sie legte schon ihre Hand an die Klinke, als Theodora mit drei, vier rauschenden Schritten bei ihr war und sie am Handgelenk ergriff.
Lalji blieb ohne Laut stehen, das Haupt auf die Brust gesunken, und Tränen rannen über ihr Gesicht.
»Fürchtest du dich vor mir? Fürchte dich doch nicht!« lächelte Theodora, sanft das gesenkte Kinn emporhebend. »Welch ein süßes Gesicht! Sage deinem Herrn, Lalji, er habe wohlgewählt, und ich sei es zufrieden. Ich freue mich an seiner Freude mit und liebe die, die ihn lieben.« Und sie schloß die Schwankende in die Arme.
Der Kaiser stand aufrecht, in seinen Mantel gehüllt, und trommelte mit den Fingern auf dem Bettknauf. »Ließest du sie nicht besser gehen?« sagte er, kaum beherrscht.
»Bist du eifersüchtig?« fragte Theodora lachend zurück, den zarten Körper mit den gekreuzten Armen an ihre Brust pressend. Im selben Augenblick schrie Lalji auf, riß sich los und flüchtete zur Tür. Sie hielt den Kopf zur Seite und sah bebend auf den dünnen roten Streifen, der über ihren linken Oberarm hinlief.
»Oh! Hast du dich an meiner Busennadel geritzt, du Arme!« sagte Theodora bedauernd. Sie zog langsam eine goldene lange Pfeilnadel aus ihrem Oberkleid und warf sie in die Ecke. »Fort mit ihr! So, mein Herzchen, es ist nur ein Hautritz! Bist du sehr erschrocken? Nun geh nur, Kind, geh!«
Lalji öffnete die Tür, warf einen schweren, tränendunklen Blick auf Justinian und schlich hinaus. Der Kaiser ging mit hartem Schritt zur Tür, warf den Riegel vor, trat zum Betpult, auf das er die Ellenbogen stützte und, das schmale Kinn in der schmalen Hand, sagte er abgekehrt: »Nun?«
Theodora schwieg. Plötzlich brach er aus, zornig, gehässig: »Was suchst du hier?«
»Justinian!« antwortete sie mit großer Würde. »Du verwechselst mich mit jener, die eben aus dem Zimmer ging! Ich kam nicht hierher, zu bitten, sondern um den Dank zu empfangen, den du mir schuldest.«
»Dies kenne ich!« sagte er eisig. »Was immer auch geschieht, die Rechnung schließt ein Schuldposten auf meiner Seite.«
»Den du mit der gangbaren Münze der Fürsten, mit Undank begleichst, Justinian! Zur Zeit des Nikaaufstandes war es nur dein Thron. Heute ist es dein Leben, das ich rettete.«
Er wandte ihr das Antlitz über die Schulter hin zu. »Wie hoch schätzest du es ein, das heißt, wie teuer muß ich es nun einlösen?«
»Ich habe die schalen Spässe satt und dächte, du tätest gut daran, mich anzuhören, wenn ich rede! Meine Wachen fingen vor wenigen Stunden einen Verdächtigen, der sich in den Palast eingeschlichen hatte. Sie brachten ihn vor mich und ich entriß ihm das Geständnis geplanten Meuchelmordes an dem Basileus selbst.«
»Sonderbar, daß er just deinen Wachen in die Arme lief! Sonderbarer noch, daß er zu seinem bedrohlichen Vorhaben just die Nacht des Sofienfestes wählte, die ich alljährlich betend in der Kirche verbringe, was jedes Kind zu Byzanz ihm hätte erzählen müssen! Dein Mann ist ein Unglücksrabe, Theodora, er hat nicht viel Begabung zum Tyrannenmörder!«
»Und doch träumte er davon, ein ganzes Volk vom Henkertode zu befreien.«
»Ein Gote?«
»Siehst du, wie du zuckst!«
»Du sprachst mit ihm?«
»Ja. Und ich entwand ihm sein Geständnis. Ist es nicht besser, Theodora an seiner Seite zu wissen, als kleine plärrende Abessiniermädchen? Was wärest du gewesen ohne mich? Damals ein landlos irrender Bettler und heute ein verscharrter Kadaver!«
»Was war sein Plan?«
»Mord! Und nach dem Mord das Umsichscharen aller germanischen Wachen. Die Thronbesteigung und Vereinigung des erlösten Italien mit dem erneuten Byzanz!«
»Und nun kommst du zu mir, damit ich ihn morde wie alle! Wo ist er?«
»Dort, woher keiner wiederkehrt!« sagte sie langsam. Sie sah starr über den Kaiser hinweg, auf die leere Wand. Plötzlich raffte sie sich auf, war neben ihm und zischte: »Pflanze seinen Kopf am Augusteion auf, zur Warnung aller, die kommen wollen!«
Ein Wimmern drang ins Gemach, ein gurgelndes Stöhnen, schwache Hände schlugen und kratzten an der Tür.
»Jesus, was ist das?« flüsterte Justinian.
»Mach nicht auf, mach ja nicht auf!« raunte die Kaiserin und krallte sich an seinem Arm fest. Plötzlich schlug es donnernd gegen die Türbohlen und Clotars Stimme rief: »Mord! Basileus, Mord!«
Der Kaiser schüttelte Theodora ab und riß den Riegel zurück. Als er die Tür öffnete, fiel, an ihr herabgleitend, Lalji mit dem Oberkörper ins Zimmer.
Clotar sah mit einem wilden Blick zu Theodora hin, raffte den zarten, zuckenden Leib behutsam auf und bettete ihn, ohne zu fragen, aufs Bambuslager. Sie schrie durchdringend, so wie er an sie rührte.
»Das ist Gift!« sagte Clotar hart und bestimmt und sah das Gesicht der Kaiserin zucken wie in unbeherrschbarem Lachkitzel.
Lalji war unkenntlich. Ihre Lippen klafften blau, ihre Augen waren vorgequollen, mit unnatürlich vergrößerten Pupillen. Der linke Oberarm war unförmig geschwollen und darüber lief als ein schwarzer, aufgebrochener Strich die Wunde.
Die Kaiserin sah den Leib in Zuckungen sich wälzen und plötzlich brach ihr Lachen aus, daß sie sich am krachenden Fußgestell des Bettes festhalten mußte. Justinian, zu Häupten des Bettes, bemüht, den letzten Blick aus Augen aufzufangen, deren ahnende Todesangst er nicht verstanden hatte, hob plötzlich die Faust gegen sie und schrie: »Satanas! apage Satanas!«
Die Kaiserin lachte noch immer.
Inmitten eines Kreises von lachenden, flüchtenden und wieder vordrängenden Frauen kniete Theodora auf dem Teppich und lehrte den jungen Panther vom Zirkus Konstantinus mit beharrlicher Geduld alle Kunststücke, deren sie sich noch entsann.
Das schwarze, knochenlos geknäulte Tierchen rollte spielend auf dem Teppich hin, knurrte dünn, fauchte, den Frauen Entzückungsrufe entlockend, und zeigte, sogleich bestraft, doch stets aufs neue anspringend seine zackigen Kinderzähne. Endlich schien das junge Raubtier das unablässig wiederholte Gebot zu erfassen und verharrte, nach Katzenart ruhend und lauernd zugleich, mit dem Schweif den Boden schlagend.
»Das Fleisch, Ukri, schnell!« befahl Theodora und entsann sich erst beim Anblick des neuen Sklavengesichts seines Hinganges. Sie schüttelte die Erinnerung an jene Todesstunde wie ein Körperliches ab und begann, dem Tiere die Fleischstücke vorzuwerfen, die mit einem Klatschen hier und da auf dem Estrich auffielen. Als die Schüssel geleert war und der Panther, knurrend über einem Fleischfetzen liegend, schlang, gähnte sie müde und rückhaltslos. »Wir gedenken uns nun zur Ruhe zu begeben«, sagte sie, während sie die Hände ins Waschwasser tauchte, das die Haushofmeisterin darreichte. Die Frauen knieten tief gebeugt, und die Kaiserin schritt durch ihre Reihen zur Tür, während Burbo die Lampe voraustrug.
Im Augenblick, da Theodora die Schwelle überschreiten wollte, trat der Namensnenner hastig in den Saal und meldete, in der Proskynese verharrend: »Die sehrwürdige Antonina, die Gattin des Feldherrn Belisar!«
»Antonina?« staunte die Kaiserin unwillig. »Seit wann meldet man uns Antonina?«
Der Alte hob den Kopf. »Sie selbst gebot es, Gottähnliche!« stammelte er.
»Führe sie ein, schnell! Fort mit dir!« Sie stampfte auf. Der Alte hastete. Keine der Frauen wagte ein Wort. Die Kaiserin hörte eilige Schritte und das Klirren der zurückgerissenen Vorhangringe. Antonina war in einem Ansturm bei ihr, warf sich nieder, umklammerte ihre Knie und schluchzte: »Gnade, Gnade für Belisar!«
»Stehe auf!« sagte Theodora. »Was ist geschehen? Stehe auf, ich höre dich nicht an, wenn du wie eine Sklavin am Boden liegst! Haushofmeisterin, wir entbinden alle unsere Frauen vom Dienste und wünschen Ungestörtheit. Wirf die Riegel vor, Burbo! Und nun sprich, Antonina, was ist geschehen?«
»Heuchle nicht!« schluchzte die Kniende. »Warum tust du, als wüßtest du nicht darum? Rette ihn! Begnadige ihn! Er war der treueste deiner Diener!«
»Bei den fünf Wundmalen, ich weiß nichts!« schwor Theodora.
»Unmöglich!« schrie Antonina, ihre Hand an die Stirne pressend. »Justinian weigert Belisar den Eintritt in den heiligen Palast und du weißt nichts davon?«
»Nein!« antwortete Theodora betäubt.
»Die Wachen stießen ihn mit Gewalt aus dem Tor, als er eindringen wollte, sie verhöhnten ihn, ihn, Belisar, den Besieger Gelimers, den Löwen von Afrika! Ganz Byzanz weiß es, die Knaben singen Spottverse vor unserer Tür, nur du hast es nicht erfahren?«
»Nein!« wiederholte Theodora und wuchs langsam im Sessel auf.
»Theodora, dies bedeutet Böses!« flüsterte Burbo angstvoll. Sie ergriff im blindaufrauschenden Zorn den zum Abendtrunk bereiteten Kelch und schmetterte ihn auf den Boden. »Dies wissen wir selbst!« zischte sie.
Antonina sank in sich zusammen. »Steht es so? Dann ist er verloren! Ich wollte nie glauben, was sie sagten. – O, Theodora, Süße, wären wir doch in Agathons Haus verblieben! Nun ist dein Glück zu Ende wie meines!« und sie weinte laut.
Theodora biß in die Unterlippe und starrte vor sich hin. Ihre Faust fiel schwer auf das Tischchen neben ihr und machte es schwanken. »Noch sind wir Kaiserin von Byzanz!« sagte sie, »und wehe jedem, der dies vergißt!«
»Theodora, rette Belisar und er wird dich retten! Ventidius stahl sich des Abends heimlich zu uns, denn wir sind vereinsamt wie Pestkranke. Er sagte, es sei Anklage wider Belisar erhoben, er habe Verschwörung angesponnen, um sich selbst zum Kaiser von Italien zu krönen! Der Narr, hätte er's doch getan! Als er dies hörte, weinte er wie ein Kind. Er kleidete sich in die goldene Rüstung seines Triumphes und so erwartet er des Kaisers Todesboten! Rette ihn, Theodora, ehe es zu spät ist! Wenn du es tust, will ich deine Sklavin sein, die Sklavin deiner Sklavin! Ich will meine Haare scheren und härene Gewänder tragen und büßen und nie mehr kosten, was dem Weibe das Süßeste ist!« Antonina warf sich platt zu Boden und ihr Weinen war das wimmernde Heulen eines Hundes.
»Was verlangst du von ihr, Herrin?« sagte Burbo zornig ausbrechend. »Siehst du nicht, daß die Basilissa mehr wie eine Gefangene gehalten wird als wie eine Kaiserin!«
Theodora hielt die Augen geschlossen, die Fäuste geballt.
»Den Skorpion stechen, bevor er sticht!« flüsterte sie, tat die Augen auf und lächelte mit geschlossenen Lippen. »Was meinst du, Antonina?«
Ohne die Antwort abzuwarten, richtete sie sich zu ihrer schlanken Höhe auf. »Knie nieder, Antonina, wir machen dich zur Überbringerin kaiserlicher Botschaft! Sage Belisar, Theodora vergäße nicht Freund noch Feind. Sage ihm, er sei sicherer, als jene, die ihn bedrohen. Sage ihm, er möge sich statt in Gold in Eisen waffnen!«
»Was planst du?« flüsterte Antonina scheu, wie immer, wenn die Freundin sich zur Gebieterin wandelte.
»Die Rettung deines Gatten!« lächelte Theodora. Antonina, durch Lächeln und Stimmklang fast getröstet und der Führung sich vertrauend, die seit Jahren ihr Leben glücklich bestimmte, schmiegte sich an der Kaiserin Brust.
»Wie viele von Belisars Isauriern stehen zu Byzanz?« fragte Theodora nach flüchtiger Liebkosung.
»Kaum tausend mehr!« antwortete Antonina unsicher.
»Mit ihrer dreimal tausend entledigte ich mich des Nikabundes. – Sollten tausend nicht genug sein für einen einzigen?« Sie zog scharf die Luft durch die Nüstern ein. »Küsse mich, Antonina, und scheide geruhigen Herzens! – Burbo, meine eigene Sänfte für die edle Antonina!«
Theodora winkte der an der Türschwelle sich Wendenden lächelnd nach. Ein silberweißes Seidenäffchen, gebrechlich und winzig, wie die Basilissa es liebte, schlich heran und zupfte, um die gewohnte Süßigkeit bettelnd, an ihrem Ärmel. Theodora zuckte zusammen, wandte sich, nahm das Äffchen hastig auf und spähte nochmals mißtrauisch nach allen Winkeln hin. Sie rief scharf: »Zainab!« Und nochmals »Zainab! Haliwah!« Da niemand kam, goß sie selbst so viel Öl in die Nachtlampe nach, daß es übertropfte. Burbo kam zurück und sie herrschte: »Wo sind meine Frauen? Muß die Kaiserin warten?«
»Du hast sie doch selbst fortgesandt!« erinnerte er.
»Soll ich angekleidet zu Bette gehen?« stampfte sie. Er war schon bei der Tür. »Ich werde rufen!«
»Nein! Laß! Entkleide du mich. Ich bin müde. Er sprang hinzu und öffnete kundig Spangen und Haken.
»Theodora!« sagte er nach einer Stille. »Was meintest du mit den tausend Isauriern?«
»Was schiert es dich? – Löst man so ein Schuhband? Die Schnalle zuerst! So! Endlich!«
»Höre Theodora! Mir behagt es seit einiger Zeit nicht mehr zu Byzanz. Wie wär's, wenn wir nachsähen, ob der Himmel auch anderswo blau ist? Ein hübsches, kleines Schiff, mit allem was dazugehört, und wir schaukelten so über's Meer hin, nach Tenedos, – nach Cypros ...!«
»Schweig!« herrschte sie.
»Warum nicht? Ich würde für Begleitung sorgen ...!«
»Narr!« Sie lachte. »Es gibt noch Arbeit zu Byzanz!« Sie zog aus dem halbgelösten Gürtel ein langes, scharfblinkendes Messer und legte den Finger auf den Mund.
»Was hast du da? Ukris Messer! Was willst du mit Ukris Messer? Gib es her! Du wirst dich verwunden!«
»Mich? Nein! – Laß! Laß los!« Sie stieß ihn zurück, strich mit dem kleinen Finger über die haarscharfe Schneide, lächelte lüstern und barg das Messer unter den Kissen ihres Bettes.
»Theodora, mir ist bange! Dies endet schlecht! Jesus, komm fort von hier! Manchmal erschreckt mich dein Gesicht. Du bist so bleich, ich wollte schon lange Jefraim befragen!«
»Ich bete jetzt!« unterbrach sie scharf, vor dem Christusbild niederkniend. Er schwieg und faltete die Hände gleich ihr, aber er wußte von früherlernten Gebeten nur die Anfänge mehr und wartete stumm und verstört, bis sie sich erhob.
Dann bettete er sie, hüllte sie in samtene Decken und fragte, wie zur Kinderzeit über sie gebeugt: »Liegst du gut?«
Theodora sah ihn mit einem fremd-sinnenden Blick an und hielt seine Hand fest. Mit überraschend sanfter Stimme sagte sie: »Burbo, ich glaube, ich habe nicht viel Gutes in diesem Leben getan, aber ich habe niemals derer vergessen, die mich von Jugend an begleiteten. Ich habe des Vigilius Macht über päpstliche Macht gestellt. Ich habe Antonina zur zweiten Frau des Reiches gemacht. Ich habe die Hand über Belisar gehalten, bis sein Niedergang das Reich in Gefahr brachte ...«
»Du sprichst, Gott schütze dich! wie auf dem Totenbette! Was ist dir, Theodora? Verhehlst du mir ein Leiden? Laß mich einen Arzt holen!«
»Bleib!« befahl sie. Und gleich darauf, in dem sinnenden Tonfall von vorhin fortfahrend: »Ich dachte daran, als ich mit Antonina sprach. Ich habe an alle Macht und Glanz und Herrschaft verschenkt und keinen Dienst unbelohnt gelassen als den deinen!«
»Theodora!« sagte er, tief errötend. »Nicht so, sprich nicht so!«
»Du hast für mich gehungert, gestohlen, gekuppelt, gemordet!« fuhr sie, immer mit gleicher ungewohnter Sanftheit fort. »Ich bin in deiner Schuld, Burbo, und weiß deinen Gaben nichts entgegenzusetzen. Wollte ich dein Gemach mit Gold bis zur Decke füllen, du fühltest dich doch nur als solchen Reichtums Verwahrer, für mich bedrohende Zeiten späterer Not. Schenkte ich dir ganz Italien, so bätest du mich, dich nicht von meiner Schwelle fortzuweisen. Es gibt nur eines, Burbo ...! Einen Lohn! – Entsinnst du dich jener Nacht, da du bebend an mein Bett kamst? Damals schon zahlten sie vierfachen Sold für Theodoras Lust. Die Kaiserin von Byzanz ist ohne Preis ...!«
Sein Gesicht war nun so sehr erblaßt, wie es vorher errötet war. Es zuckte und zitterte. Die Kinnmuskeln spannten sich gewaltsam und endlich kam der längst verhaltene Ausbruch. Er lag zu ihren Füßen und weinte sich satt.
»Nein!« flüsterte er, da er die Sprache wiedergewann.
»O nein! Du bist mir wie die Gottesgebärerin geworden. Du auf dem Thron und ich zu deinen Füßen, so ist es recht.« Er brach von neuem in Schluchzen aus, raffte sich auf, zog nochmals ihre Decken zurecht, ging schwankend wie blind durch das Zimmer zur Leuchte, die er ausblies. Theodora, über die die Dunkelheit hereinbrach, hörte ihn, sich zur Tür tasten.
»Gute Nacht!« flüsterte er noch von der Schwelle.
Sie gab keine Antwort mehr. Müdigkeit überwältigte sie und sie schlief sogleich tief und traumlos ein ...
Nach Stunden erwachte sie und wollte sich im Halbschlaf wenden.
Da fühlte sie lastende Schwere auf ihrer Brust. Sie griff im Dunkel zu, meinte aber, nichts zu greifen als den Sammet der Decken, die sie vergebens fortzuschieben versuchte.
Sie öffnete mühsam die Lider und hob den Kopf. Im gleichen Nu ward sie völlig wach in eisigem Entsetzen.
Dicht vor ihr glimmerten, losgelöst im Dunkel schwebend, zwei Augen voll grünen Lichtes, glitzernd wie Berylle.
Ein Rest wachen Willens ließ sie das Messer hervorreißen. Sie stach in die schwere Nacht hinein, hörte Todesröcheln, Warmes floß auf ihre Brust.
Sie stieß alles mit wilder Kraft von sich, sprang nackt aus dem Bett, zähneklappernd vor Grauen, und sah die Augen, die sie kannte, tanzend im Dunkel, verzehnfacht, verhundertfacht.
Burbo, den ihr Schreien aus dem Schlafe riß, kam mit Licht.
»Er ist wieder gekommen!« stammelte sie, kaum verständlich. »Er ist wieder gekommen!«
Und sie schüttelte den Kopf, als Burbo ihr den erkaltenden Körper des jungen Panthers im Bette zeigte.
Die Basilissa befahl all ihre Frauen, ihre Kämmerer, ihre Würdenträger und hielt sie ganze Tage über bei sich fest. Sie saß, in den weiten Thronsessel eingesunken, geneigten Hauptes, reglos und stumm unter ihnen und ließ die Perlenfransen ihres Gürtels durch ihre Finger rinnen. Um sie her standen Männer und Frauen des Patriziats, ihrer Anrede harrend. Die Würdenträger, von Hunger und Durst, von Bedürfnissen des Leibes gefoltert, die Herrinnen so sehr erschöpft, daß sie, unfähig dem Zwange der Hofsitte sich noch länger zu fügen, auf den Teppich sanken, zu den kauernden Sklavinnen hin.
Das Schweigen verdichtete sich immer mehr. Endlich hörten sie es, wie Scheintote die herabkollernde Graberde. Hin und wieder schrie einer der kostbaren Vögel der Kaiserin, die Halsringe von Jade und Fußketten von Gold trugen, auf. Dann wandten sich alle und die Frauen lauschten dem häßlichen Laut wie Erlöste nach. Wenn die Dämmerung hereinbrach, wandelte sich die Kaiserin.
Sie sprang auf, rief ihre Lieblinge mit Koseworten zu sich, hatte gütige Ansprache für neu sich ermunternde Würdenträger, klagte unter Gelächter und in überstürzter Rede über Langeweile, plante Feste und Zirkusspiele. Sie gab Befehle und war später erstaunt, ihre Ausführung gemeldet zu hören. Sie meinte Wünsche ausgesprochen zu haben und schalt unwillig vermeintliche Versäumnis. Sie hieß die Eunuchen Truhen herbeischleppen, in denen Stoffe und Silbergewebe verwahrt wurden. Dann zerrte sie die Ballen aus den schützenden Leinenhüllen, entrollte sie, verfing sich darin, zerriß ungeduldig die blütenblattzarten Gewebe und verschenkte deren fremdländische Pracht an eine Sklavin, die einen entzückten Ausruf gewagt hatte. Sie hüllte die jüngsten ihrer Frauen in kaiserliche Gewänder und pries die Schönheit der Schämigen den aufglühenden Männern in ihren Einzelheiten an.
Sie ließ alles, was es an Lampen gab, herbeischaffen, denn die Dunkelheit gehöre für Fledermäuse, lachte sie. Ungezählte Fackeln wurden entzündet und in den Saalecken brannten Pechpfannen. Dann verlangte sie, daß man einen mannshohen Silberspiegel in die Mitte des Raumes trage, und setzte sich davor, der Tür den Rücken kehrend, die sie durch die Haushofmeisterin verschließen ließ. Sie fand sich bleich und ließ sich Schminke auflegen, deren Gebrauch sie in all den Jahren verschmäht hatte. Bei verschlossenen Türen und vor den Augen von Würdenträgern ließ sie an ihrem Antlitz Frauenkünste der Verschönerung üben und die Patrizier waren empört, dabei festgehalten zu sein, gleich Sklaven, deren Gegenwart man nicht beachtet. Als ihr Gesicht von der Paste wie von zartrosigem Email überzogen war, wandte sie sich und forderte Ventidius Worte der Bewunderung ab.
Der Römer verneigte sich tief und schweigend. Die Kaiserin sah ihn an, lachte verwirrt auf und sagte: »Ich benehme mich zu übermütig? Was? Ventidius?« Sie verließ, immer mit dem gleichen harten Lachen den Spiegel und plötzlich sah man sie so gierig lauernd nach der Tür starren, daß alle nach dem vermeintlich Eingetretenen sich umwandten.
Es stand niemand an der Tür. Die Patrizier tauschten Blicke.
»Jetzt wollen wir recht fröhlich sein!« sagte die Kaiserin mit einer seltsamen, spröden, blechernen Stimme. Sie ging mit steifen Schritten durch den Saal, den Kopf zurückgebogen, die Hände geballt. Während sie die Thronstufen erstieg, hielt sie plötzlich an und wandte sich, als sei ihr jemand auf ihr schleppendes Gewand getreten.
Sie klatschte in die Hände.
Gaukler kamen und spannten unter der Kuppel ein rosenrotes Seil, darauf ihre nackten, gelben Glieder hintanzten. Die Kaiserin befahl noch mehr Fackeln, da sie den Schaustellungen sonst nicht folgen könne. Der Saal ward wie von Sommersonne erhellt.
Tierbändiger kamen mit einem Bären, der zahm wie ein Hund seine Kunststücklein vollführte. Die Kaiserin ließ den Wärter zu sich kommen und sprach leutselig mit ihm. Um zu beweisen, wie gewiß sie ihrer Macht über Tiere sei, ließ sie den Bären heranholen. Aber das Tier schnob und brummte, verkroch sich und war durch alle Schläge seines Herrn nicht zu bewegen, die Schmeicheleien der Basilissa zu erdulden. Theodora lachte und wandte sich ab. Sie befahl Wein, mit dem sie zuzutrinken begann, die Anwesenden zum Leeren der Becher zwingend. Die Frauen, die nach der Qual des Dienstes nun auch von vielem Wein benommen waren, zu dem keine Speisen verabreicht wurden, wagten es endlich, an die späte Stunde zu gemahnen, die der Gottähnlichen kostbare Gesundheit gefährden könne.
Die Kaiserin wollte davon nichts hören. Sie begann zu verschenken, was ihr unter die Hände geriet. Sie drängte die Zögernden, unter verstreuten Reichtümern zu wählen. Immer wieder mitten in sprudelnder Rede sich wendend, als träte ein Ungeschickter auf ihr Gewand, um mit einem kleinen, harten, verlegenen Lachen fortzufahren.
Sie ließ Kitharaspieler kommen, Mimiker und Ringer. Einer der Kämmerer hatte es gewagt, sich verstohlen zu einer Seitentür hinauszuschleichen, und es begann eine heimliche verzweifelte Flucht der Mutigeren, die die Kaiserin nicht zu bemerken schien. Sie scharte jene nur um so enger um sich, die aus Habgier oder Angst oder Ehrfurcht noch verweilten.
Endlich aber kniete die Haushofmeisterin vor ihr nieder und bat, ihren weißen Haaren die wenigen übrigen Stunden des Schlafes vergönnen zu wollen. Die Kaiserin preßte ihr schnell die Hand auf die Lippen, zog einen haselnußgroßen Smaragd vom Finger und steckte ihn an die flehend erhobene Rechte. »Warte nur ein wenig, denn nun erst kommt das Schönste!«
Aber Burbo murmelte, es sei keine Schaustellung mehr zu erwarten. Die Basilissa stampfte auf und befahl, daß man die heute gezeigten Künste nochmals vorführe. Aber die Gaukler waren gegangen.
»Dann werde ich selber tanzen!« schrie die Kaiserin. »Müßt ihr die ganze Nacht schlafen? Ihr, ihr!«
Und sie tat ein paar Tanzschritte.
Sie stolperte sogleich und Burbo fing sie auf. »Ist es so arg heute?« murmelte er erstickt.
Sie schlug ihn mit der Faust in sein tränenüberströmtes Gesicht und rang sich los. Die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt, vorsichtig lauernd, als gelte es, einen hinter ihr flatternden Schmetterling in hohler Hand zu fangen, wandte sie sich um und hob haschend die Hand. Niedergeschlagen, wie nach vergeblichen Bemühungen, sagte sie flüsternd zur Haushofmeisterin: »Das muß doch jeder verstehen, daß man nicht tanzen kann, wenn die Augen hinter einem sind!«
Plötzlich vor ihrem fassungslosen Gesicht sich zusammenraffend, wandte sie sich von ihr ab, kühl und listig lächelnd, wie nach einem Scherz.
Die Haushofmeisterin tastete sich, ohne den Blick von der Lächelnden abzuwenden, einige Schritte an der Wand hin, sank in die Proskynese nieder, raffte sich auf und floh zur Saaltür, an der sie in ansteigendem Entsetzen rüttelte, bis sie sich dessen entsann, sie selbst verschlossen zu haben.
Die Kaiserin stand starr, den Kopf in die Schultern gezogen, drehenden Blickes, ohne dessen zu achten, daß ein offenes Flüchten all derer begann, die nicht schon trunken oder schlafend auf dem Teppich lagen.
Der graue Morgen schlich sich in den Saal, in dem es nach schwelenden Dochten und verbranntem Pech stank. Da sah Burbo, der schluchzend ihre Schultern rüttelte, daß ihr kreisender Blick ihn erfaßte. Und er flehte, ihren Worten zuvorkommend: »Komm schlafen, Theodora, der Morgen dämmert schon.«
Theodora reckte sich auf, wies mit gnädiger Gebärde auf ihren Schuh, der sich zum Kuß unter dem Kleidsaum vorschob und sprach feierlich: »Wir erkennen deine treuen Dienste an! Sei unserer ganzen Gnade versichert! Wir haben Antonina zum Papst von Rom gemacht und krönten Belisar zum Kaiser von Italien ...«
»O Gott, der arme Belisar, der im Kerker sitzt! Theodora! Herz! Schau mich doch an! Erkennst du mich?«
»Du bist Burbo und dich haben wir zum Beherrscher von Persia ausersehen! – Knie nieder und danke deiner Kaiserin!«
»Theodora, ich will nichts, nichts, als daß du schlafen gehst!« schrie er.
»Du mußt nicht glauben, daß Ukri dich dann vielleicht auch ...« Sie lächelte zwinkernd und machte die Gebärde des Messerstechens. »Das ist aus. Er erlaubt es nicht mehr!« schloß sie weinerlich und erschreckte ihn, die Hand am Hinterkopf, durch ein tränenloses, hilfloses Wimmern.
Er hob sie auf und trug sie in ihr Schlafgemach. Er legte sie auf das Bett, das er mit Weihwasser besprengt hatte und um das herum, Kreuzarm an Kreuzarm, kleine Kruzifixe einen Ring bildeten.
Das Christusbild war frisch und barbarisch bemalt und zu seinen Häupten brannten zwölf Ampeln, gefüllt mit heiligem Öl. Theodora lag wie ein gebundenes Tier, mit offenem Munde keuchend. Burbo entkleidete sie mit behutsamster Zärtlichkeit und hüllte sie in die Decken. Er zog unzählige Kreuze über sie vom Scheitel bis zur Sohle. Seine Tränen fielen auf ihre Brust, während er mit all seiner inneren Kraft immer aufs neue das eine alte Kindergebetchen hersagte, dessen er sich noch entsann. Dann bettete er sich zu ihren Füßen, und Theodora hörte fast gleich darauf seine gleichmäßigen, tiefen Atemzüge.
Eine unbekämpfbare Schläfrigkeit ergriff auch sie. Sie lockerte die warmen Hüllen, setzte sich mit gewaltsamer Anstrengung nochmals auf und spähte mit aufgerissenen Augen in die Winkel hin. Sie versuchte sich mit Psalmen wachzuhalten, aber es zwang sie in die Kissen zurück und sie ergab sich willenlos dem überwältigend Furchtbaren ...
Sie fand sich plötzlich auf einer alten, zerschlissenen Binsenmatte, hörte das Pfauchen und Brüllen großer Tiere und wußte drüben im Dunkel Mutters großes Bett.
»Wie bin ich denn in den Zirkus zurück geraten!« dachte sie erstaunt und versuchte mit aller Kraft sich aus dem aufzuraffen, was, wie sie genau wußte, nur ein Traum war. Aber während sie das Gefühl eines Schwimmers hatte, der, unter eine Strömung geraten, mit Armen und Füßen rudert, um an die Wasseroberfläche zu kommen, fühlte sie auch schon, daß das Feindliche im Zimmer und alle Gegenwehr vergeblich sei.
Es war jemand hinter sie getreten und machte, daß sie lahm, blind und stumm verharren mußte. Einzig ihr Gefühl sagte ihr, daß das Feindliche hinter ihr langsam, langsam, ganz langsam seine zum Zufassen bereite Hand nach ihr ausstrecke, eine Hand mit Klauen, langen, zugespitzten, gebogenen Klauen. Die Zeit, die diese Hand bedurfte, um heranzukommen, war eisige Ewigkeit. Endlich fühlte sie die Klauenspitzen ganz nahe, so nahe, daß sie die Schultern hochzog, den Atem anhielt, die Brust vorwölbte und sie sah sich dabei schon als leere, durchscheinende Hülse, in ihrem Griffe pendelnd.
Aber ehe das Grausigste geschah, hatte sie plötzlich ihr Selbst wieder erlangt und jetzt rannte sie, rannte um ihr Leben, denn das Feindliche war hinter ihr her. Sie durchlief das Zimmer und hatte just noch Zeit, die Türflügel – klapp, klapp – zuzuschlagen und, während sie in atemloser Angst das linke Knie dagegen stemmte, den schweren Riegel vorzuwerfen, der mit einem Knall einschnappte.
Einen Augenblick lang fühlte sie sich geborgen. Dann sah sie, wie der Riegel sich von selbst zurückschob und die Türflügel sich nach innen zu bauchen begannen, daß sie sich augenblicklich auftun mußten, wie Erbsen im Wasser aufplatzen. Dann rannte sie von neuem durch ein Zimmer, schlug eine zweite, eine dritte, vierte Tür knapp vor dem Entsetzlichen ins Schloß und ward dabei von zitternder Neubegier gequält, zu verweilen und »es« zu sehen, denn es wollte sie manchmal glauben machen, es sei ein Tiger oder ein Molosserhund, während sie doch mit listiger Bestimmtheit wußte, was es war und es sie mitten in der Angst fast lächerte.
Aber alles dieses war nichts, solange die Jagd durch die Reihe von Gemächern ging. Doch plötzlich geriet sie in die Säulenhalle von Agathons Haus und erkannte, daß »es« sie hier einholen würde.
»Wenn ich nur die viertausendste Säule erreichte!« wünschte sie inbrünstig. Dann war nicht mehr die Glätte des Marmorbodens unter ihrem Fuß, sondern weite Sandfläche, und sie wußte, daß sie dem Meere zuschritt. Sie eilte auch gar nicht mehr, denn »es« war in der Säulenhalle zurückgeblieben oder es hatte sie nicht mehr eingeholt. Auf jeden Fall war es gleichgültig geworden.
Sie ging vorsichtig über den sehr nassen Sand hin. »Achtung! Das ist Quicksand!« sagte Semeos, der Seemann aus Alessandria, und lachte. Sie antwortete nicht und gab auf ihre Füße acht. Wo sie hintrat, füllten sich ihre Fußstapfen mit Wasser und das Wasser gluckste: »Quick – quick«. Sie begriff, daß hievon der Quicksand seinen Namen hatte und war glücklich. Je weiter sie kam, desto mehr verwunderte sie sich. Denn es waren keine freien, großen, heranrollenden Wogen, was sie vor sich sah, sondern zähe, gestockte Schlammassen, die wie ein grüner Aussatz das Wasser bedeckten.
Über dieser endlos gedehnten Fäulnis stand eine dunkle, erzgewölbte Kuppel, und erst da sie lange hinstarrte, sah sie, daß es Hunderttausende von ungeheueren Geiern waren, die mit ausgebreiteten Schwingen schwebten. Und plötzlich bekam der grüne Schorf Sprünge, als berste er hier und dort, und es kam Bewegung in die Hunderttausende von Geiern, die ihre Schnäbel wetzten, ihre Krallen öffneten und mit ihren dämmerungserfüllten Schwingen schlugen.
Theodora sah, daß die ganze Decke in Bewegung geriet, wie Eis bei des Eisgangs Beginn. Und es hob sich und senkte sich hüben und drüben und knackte und rauschte und flatterte, und Theodora wußte mit einem Entsetzen, das ihre Schädelhaut prickelnd zusammenzog, daß »es« da unten sei, und daß sie sterben müsse, wenn es aufsteige.
Da sah sie eine Assel herankommen und obgleich sie glauben wollte, daß es eine Assel sei, wußte sie doch, es sei der Leichenwurm.
Das Ungetüm war alt, es war haarig wie eine Raupe und hatte vier rote Pünktchenaugen, gestielt wie die einer Schnecke.
Es kam mit betäubender Schnelligkeit bis an Theodora heran. Und dann hob es sich mit dem schaukelnden Vorderleib gekrümmt in die Luft.
Und sie sah, daß es vom Halse ab mit Brüsten behängt war wie die römische Wölfin. Jede dieser Zitzen aber hatte ein Saugmaul, das von faulem Leichensafte troff. –
Theodora heulte langgezogen und gellend auf und erwachte.
Die Kaiserin stand gesenkten Haupts an die graue Mauer gelehnt, während der Türklopfer in Burbos Hand an die Pforte des Sühnklosters donnerte.
»Wie sich alles hier verändert hat!« seufzte er, um sich blickend. »Zumindest Agathons geliebten Garten hätten sie stehenlassen mögen! Weißt du noch, wie du auf dem Dache tanztest, wenn Vigilius kam? Ach, das war eine andere Zeit!«
Die Türflügel glitten knarrend auf und ein mißgestaltetes Geschöpf in der groben Kutte der Magdalenen stand auf der Schwelle. »Wir wünschen die heilige Mutter Äbtissin zu sprechen!« sagte Burbo.
Die Verwachsene zuckte die schiefe Schulter, legte den Finger auf Mund und Ohr und lud Theodora mit heftigen Gebärden ein, ihr zu folgen. Als Burbo die Schwelle überschreiten wollte, hob sie abwehrend die Hände, deutete kopfnickend auf Theodora, kopfschüttelnd auf ihn und zornig begriff er, daß Männern der Eintritt in den heiligen Bezirk versagt war. »Währt es mir zu lange, dann steige ich über die Mauer!« rief er Theodora nach, als das langsam zufallende Tor ihn ausschloß. Die Kaiserin folgte der winkenden und grinsenden Mißgeburt, die eifrig voranwatschelte, über einen peinlich gepflegten Kiesplatz, der noch die Spuren des Rechens trug, und dessen Steinchen in der Sonne glitzerten. Innerhalb der grauen Mauer gab es nichts, was die Blicke mit weltlichem Entzücken füllen konnte.
Das Sühnkloster selbst, niedrig, streng, drückend, trug über seinem Eingang ein Mosaikbild, die Verkündigung Maria darstellend. Der Gebenedeiten, der die Sohnesgeburt vom Engel verheißen ward, hatte der Kaiser in jener Zeit des Hoffens Theodoras Züge leihen lassen.
Die taubstumme Pförtnerin blieb grinsend stehen, wies auf eine Nonne, die tief gebückt die ins Haus führenden Stufen wusch, und entlief. Die Kaiserin tat ein paar zögernde Schritte vorwärts, schlug den Schleier zurück und sagte zu der Niedrigdienenden: »Führe mich zur heiligen Mutter selbst!«
Die Nonne senkte den kapuzenverhüllten Kopf noch tiefer und fuhr ohne Antwort fort, die Steinschwellen reinzuspülen. Endlich erhob sie sich. Sie wrang abgewandt das Scheuertuch aus, trug den Kübel voll Spülicht fort, kehrte wieder und winkte, Theodora voranschreitend, ins Haus. Ihre schweren Holzsandalen klapperten auf den noch von Feuchtigkeit glänzenden Fliesen. Sie beugte vor jedem der unzähligen Heiligenbilder das Knie, nahm Weihwasser von jedem der unzähligen Kesselchen. Theodora folgte durch die langen und dunklen, modrig-kühlen Gänge, deren Kellergeruch der Weihrauch übertäubte, an stillen Nonnen vorbei, die schattengleich vorüberglitten und von denen manche den zerfetzten Ärmel der Alten an ihre Lippen zogen. Endlich tat sich eine Zelle auf, die kaum für mehr Raum bot, als für Pritsche und Betschemel. Die Nonne wandte sich, schlug die Kapuze zurück und breitete die Arme: »Bist du endlich gekommen, mein Kind?«
Theodoras Züge gewannen Leben, so wie sie Anastasia erkannte. »Heilige Mutter!« begann sie rasch und halblaut, als werde sie belauscht. »Ich komme, um deinen Segen zu erbitten. Es soll deines Klosters Schaden wahrlich nicht sein!«
Anastasias Glückslächeln erlosch. Sie neigte sich vor und sah der Knienden tief in die Augen. »Heilige Mutter, lege mir deine Hände auf!« wiederholte Theodora befehlend.
»Die Beichtväter der heiligen Kirche verweigern den reuig Bekennenden nicht Segen noch Absolution. Wir Schwestern des Magdalenenordens haben nicht die lösende Macht«, sagte Anastasia ruhig.
»Tust du, als verstündest du mich nicht?« zischte Theodora zornig. »Verstehst du mich nun besser? Bei diesem Zeichen, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!«
Sie riß das perlenbesetzte Kreuz von Amethyst aus dem Mantel. In Anastasias faltigem Antlitz veränderte sich kein Zug. »Warum weisest du mir das Kreuz des Herrn, das Zeuge meiner Sünde wider ihn war? Glaubst du, Arme, damit den Muttersegen zu ertrotzen? Wie du ihn zuerst erkaufen wolltest?« Es ging ein Zucken um Anastasias harten, schmalen Mund und ihre Augen wurden feucht. »Ich dachte mir dein Kommen anders!« schloß sie mit schwankender Stimme.
Plötzlich begann Theodora zu weinen. Sie schluchzte tränenlos und ihre Schultern zuckten, als würde sie gepeitscht. Manchmal entrangen sich ihr atemlose tierische Laute und sie preßte die Faust vor den Mund, sie zum Schweigen zu bringen. Im Nu kniete Anastasia neben ihr und zog sie an ihre Brust. Da das Schluchzen ausklang, flüsterte die Mutter mit einer neuen, anderen Stimme.
»Sieh, Theodora, in allen Jahren unzulänglicher Buße hielten mich nur die Sehnsucht und die Hoffnung aufrecht, daß du kommen würdest! O du mein armes Kind. Du zitterst wie die Tiere der Hürde vor dem Löwen zittern!«
Theodora richtete sich stöhnend auf den Knien auf und fuhr sich gefaßter mit dem Tränentüchlein über die Augen. »O Mutter, ich bin eine große Sünderin!« sagte sie, die Blicke niederschlagend.
»Wir wollen beten zu dem Allerbarmer!« antwortete Anastasia, die Hände faltend. »Bekenne deine Sünden, auf daß sie von dir genommen werden!«
»O Mutter!« flüsterte Theodora, »Wie kann ich meine Sünden aufzählen, die unzählbar sind?«
»So du bereust, sollen sie von dir genommen sein, wie die Sünden aller derer, um derentwillen Er am Kreuz erblich!« sagte Anastasia geschlossenen Auges, in sich versenkt.
»Wie kann ich meine Sünden vor dir ausbreiten, da ich herkam, um deinen Segen zu erzwingen? Die Wagschale zieht und zieht hinab, wenn du ihn nicht in die andere wirfst, Mutter!« Anastasia schwieg.
»So will ich denn bekennen!« sagte Theodora trotzig und rasch. »Ich war Hure und habe meinen Leib verkauft von Kindheit an. Ich habe gemordet, die Ehe gebrochen, selbst gestohlen habe ich, denn wenn mich hungerte, leerte ich den trunkenen Seefahrern ihre Beutel. Ich habe Meineide geschworen und was noch? Sind dies schon sieben? Oder gibt es eine Todsünde, die ich nicht beging?«
Da sah Theodora, daß Anastasias Antlitz von Tränen überströmt war. »Theodora!« sagte die Heilige und schlug die Augen auf. »Nicht so, nicht so! ...« Ihre Stimme versagte. »Der Geist des Aufruhrs ist über dir und die Nacht der Verzweiflung!« begann sie wieder. »Aber Gott ist die Barmherzigkeit! Amen! Du klagst dich an und klagst doch nur die an, die dich gebar! Jesus Christus, ich will ihre Sünden auf mich nehmen!« schrie sie, auf den Knien gegen das Kruzifix hinrutschend, mit beiden Fäusten gegen ihre Brust schlagend. »Du weißt es! Du allein weißt es!« Und sie schluchzte laut.
»Mutter!« schrie Theodora auf. »Wenn dies geschehen könnte! O, ich ließe jedes zehnte Haus in Byzanz zur Kirche machen! Aber es kann nicht, es kann nicht geschehen!«
Anastasia hob die zitternde Hand zum Kruzifix. »Was ist Ihm unmöglich, der alles weiß? O du Arme, du Geschlagene, mein Herz will mir zerspringen! Klagst du dich der Hurerei an? Wie hättest du ehrbar leben mögen, da keine Mutter deiner Keuschheit Hüterin und Vorbild war!« Sie berührte Theodoras Scheitel und tat, als schütte sie eine Last in gehöhlter Hand auf ihr eigenes Haupt. »Im Namen dessen, der am Kreuz erblich, sei abgetan diese Sünde von dir und deiner Seele und gehäuft auf mein eigenes Haupt, meine eigene verlorene Seele!«
»Mutter!« rief die Hingeworfene, »wie vermagst du dies zu tun? Du kennst mich nicht, du weißt nichts! ... Gott hat seine Hand von mir genommen!«
Die Heilige hielt die Hände verpreßt an die Lippen, die sich betend bewegten. Sie war totenbleich und in ihren weitaufgerissenen Augen flammte überirdische Kraft. »Jesus Christus, Gottes eingeborener Sohn, der du die Stimme hörst selbst der Verworfenen, laß sie nicht büßen für die Entweihung des geheiligten Bettes! Wie hätte sie die Ehe ehren mögen, sie, die von einem Augenblick sträflicher Lust gezeugt war! In deinem Namen sei abgetan diese Sünde von ihr und ihrer Seele und auf meine verlorene Seele gehäuft!«
Theodora kniete hinter ihr, die Fäuste um ihre Schultern klammernd, und sie keuchte: »Sprich zu Ihm, Mutter! Sprich zu Ihm! Vielleicht zürnt Er mir um des neuen Glaubens willen! Sage Ihm alles! Sage Ihm, daß ich heilige Priester getötet habe und gemartert. Sage Ihm, daß ich gemordet habe, unzählige, um der Lust, um der Rache, um des Vorteils willen gemordet!«
Auf Anastasias Stirne stand perlender Schweiß und sie schien Mal um Mal gebückter, geringer zu werden, wie von wachsender Last zu Boden gedrückt. »Jesus Christus, Gottes eingeborener Sohn! Laß sie nicht verstoßen sein von deinem Angesicht! Wie hätte sie in deinem echten Glauben verharren sollen, da keine Mutter ihrem Kinderlallen deine Gebete vorsprach? Wie hätte sie lieben sollen, die die Mutterliebe nie kennen gelernt hat? In deinem Namen sei die Sünde von ihrer Seele abgewälzt auf meine verworfene Seele!«
»O!« lachte Theodora, mit einem wilden Jauchzen der Befreiung. »Mutter, ich glaube, Er will es. Ich glaube, mir wird ganz leicht ums Herz! Mutter, nun sollst du Alles wissen, auch das, was mich hierhergetrieben hat! Ich glaube, daß du mich retten wirst, Mutter! Ich fühle, daß es machtlos ist, seit ich hier bin! Aber wenn ich hinaustrete, dann überfällt es mich und tötet mich! Rette mich! rette mich! Aber das kannst auch du nicht ...!« Sie sank zusammen von Frost geschüttelt. Ihre Augen wurden starr. »Du bist die erste, der ich es sage. Burbo will Jefraim befragen, aber der wird es Einbildung nennen und Justinian wird mich auf Reisen schicken und einen Vorwand haben, unsere Ehe zu trennen. Aber ich bin nicht wahnsinnig! Es ist ... nein, ich kann nicht!« schloß sie schaudernd und ihre Zähne knirschten.
Anastasia riß sie an ihre Brust. Und nun stammelte Theodora lallend, zuckend, von Fieberschauern durchrüttelt: »Ich habe ihn ermordet. Viele. Aber es ist nur der eine, der mich tötet. Ich wollte ihn gar nicht morden! Vielleicht hätte ich ihn zum Herrscher der Welt gemacht! Jetzt hetzt er mich. Man kann es nicht sagen, nein, man kann es nicht sagen ... Plötzlich sind Tausende von Augen da, vor mir. Hast du Irrlichter über einem Moor gesehen? Sie tanzen wie Irrlichter über einem Moor. Aber das alles ist nur nichtiges Feuerwerk, Blendwerk, damit ich mich nicht umkehre und die wirklichen hasche. Denn die sind immer hinter mir und saugen und bohren und fressen sich in meinen Hinterkopf ein, bis sie ... Ich will es dir sagen, ich will dir auch das sagen!« grinste Theodora. »... es ist nämlich zu lustig! Weißt du, was das Ende ist? Seine Augen fressen sich da, da durch mein Hirn, bis sie an meine Augen kommen. Und dann stoßen sie sie heraus, daß sie selbst aus meinen Augenhöhlen schauen! Ist das nicht ein hübscher Hundetod für eine gekrönte Kaiserin von Byzanz?« Theodora lachte gellend.
Anastasia saß ganz zusammengekrümmt, ihre gekrampften Hände flogen. Mit Aufgebot aller Kraft betete sie: »Lamm Gottes, der du der Allerbarmer bist! Gib nicht zu, daß mein Frevel gestraft werde an dem Kinde meiner Wollust! Nimm, o Herr, die Strafe von ihrem Haupt und wälze sie auf mein aschebestreutes, zerschmettertes!«
»Glaubst du das? Glaubst du, daß Er das tun kann? Was hat Er geantwortet, du? Glaubst du, daß es für mich eine Vergebung geben kann? Glaubst du, daß diese Qual enden könnte, diese Qual, diese Qual ...! Nein! der mit den Augen vergißt nicht! Glaubst du, daß er mich lassen muß, wenn Christus befiehlt? Ist es wahr, daß Er selbst meine Sünden auf sich nahm?«
Anastasia hielt ihr verklärtes Antlitz zum Kreuze auf. »So wahr, als ich nach zehenmal zehentausendjähriger Buße in Seinen Glanz einzugehen hoffe!«
»Sage, hast du nun alles von mir genommen? Kann es nicht sein, daß ich irgendeine Sünde begangen habe, die Gott nicht verzeiht, und alles beginnt von neuem?«
»Es gibt keine Sünde, die seine Gnade nicht umfaßte, außer der einen, die du nie begangen hast!«
»Mutter, welch eine Sünde ist dies? Vielleicht habe ich auch sie begangen!«
»Wie hättest du die Sünde wider die Mutterschaft begehen können, du Unfruchtbare, du abgerissenes Glied der Menschenkette von Ewigkeit zu Ewigkeit, an der ich weiterschmiedete!«
»Mutter, dann mußt du auch dies von mir nehmen, denn ich habe ein Kind in mir getötet, ehe es geboren ward!«
Anastasia zuckte zusammen wie unter einem Schlag und stieß Theodora von sich. Sie raffte sich langsam von den dumpfgewordenen Knien auf und es war, als wüchse sie Zoll um Zoll empor.
»Warum betest du nicht?« herrschte Theodora ungeduldig. »Ich lag im Straßengraben und hungerte und es war ja noch gar kein Kind! Hätte ich es dir doch nur nicht erzählt! Nimm die Sünde von mir, wenn es wirklich Sünde war! Du mußt es von mir nehmen! Wozu hast du mich sonst geboren?«
»Ja, ich habe dich geboren!« sagte Anastasia voll aufgerichtet unter dem Kruzifix. »Ich habe dich ausgesetzt in feiger Furcht vor den Menschen. Ich habe dich ohne Gottesgesetz aufwachsen lassen, ich habe dir des Vaters Mordinstinkte mitgegeben, der Mutter heimliche Brunst, aber ich habe dich geboren! Ich wollte deine Sünden von dir nehmen um meiner Schuld willen, deine Strafe, deinen Tod und dein ewiges Fegefeuer! Aber niemals kam es mir in den Sinn, die Frucht meiner Schande abzutun und Gottes heiligstes Gesetz zu schänden, das der Mutterschaft! Darum gehe hin in deiner Sünden Blüte, das zu erdulden, was dir bereitet ist!«
»Ich gehe nicht!« schrie Theodora. »Ich gehe nicht von hier fort und sollte ich ewig deine Füße umklammern! Du mußt mich retten, du hast es mir zugeschworen! Ich will nicht deiner Torheit wegen verrecken! Ich will nicht, ich will nicht –: ich werde dich und deinen Gott zwingen!«
... Als Burbo endlich in die Zelle eindrang, fand er Theodora, die, am Boden kauernd, noch immer mit Krallenfingern die Kehle der Heiligen umspannte. Sie verfluchte die Gemordete, ihre eigene Geburt, ihre Todesstunde, die Menschheit und Gott.
Bei Einbruch der Nacht ließ Theodora Marmorhalle und Zitronenhain mit Tzikkas wildesten Söldnern umstellen.
In der Halle brannten siebenhundert von der Kuppel schwebende Ampeln und der Zitronenhain war von Pechbränden erhellt. In seiner ganzen Ausdehnung war der Estrich in ein einziges, gigantisches Pfühl von vielfachen Teppichen, Fellen, Kissen und Blumen verwandelt. Der Thron stand zwischen den beiden weiten Torbogen, durch die man in den Garten hinabsah, der fackelerhellt von silbernen, goldenen und demantenen Wipfeln gebildet schien.
Viele der dreihundert zu Gast geladenen Frauen hatten noch niemals den Glanz solch eines Raumes erträumt, den Geschmack solcher Speisen, den Duft der Kissen, die zur Trunkenheit ladende Süße des ungemischten Weines.
Andere, kindliche, aus der kasteienden Zucht von Klöstern gerissen, oder aus dem sanften Alltag des Elternhauses, schluchzten, mit Haar und Händen ihre Blöße deckend, und zitterten vor der thronenden Gestalt, die schwarze Schleier verhüllten.
Die Negerinnen, die schwer an Krügen und Speiseplatten trugen, mengten die dunklen Farbentöne ihrer Leiber in das nackte Meer von weißem und rosigem und gelblichem Fleisch.
Manche waren von ihrem Gewerbe aufgebrauchte, freche Dirnen, die die Narben des Eros nicht minder stolz trugen, als Kämpfer jene des Ares. Andere mit schon vom Wein aufgelockerten Gesichtern wälzten sich, weiß, weich und prall, die Reibung an fremdem Fleisch suchend, das heiß und willig sei wie ihres. Ihr Gelächter übertönte die Musik phrygischer Liebesgesänge und das Schluchzen der kleinen Mädchen.
Es gab vornehme Hetären im Saal, die von der weinenden Tugend an eigene Vergangenheit gemahnt wurden. Sie schritten im Bewußtsein ihrer kostbaren Nacktheit aufrecht und verächtlich an den feindlichen Gruppen der unbeherrscht Kreischenden vorbei, kamen zu den vor Scham Bebenden und strichen mit zarten, vergoldeten Fingerspitzen über die feuchten Wangen.
Sie versuchten tröstend oft geübte Zärtlichkeit und Schmeichelei von neuem und entflammten daran die eigenen Sinne. Endlich setzten sie alle ihre sonst so teuer verkaufte Glut ein, um die Hüllen, die sie vorerst selbst über bebende Glieder gebreitet hatten, abgestreift zu sehen, und sie vereinten ihre Lippen den jungfräulichen, denen nächtliche Küsse so ungewohnt waren wie ihnen deren Entbehrung.
Die verschleiert Thronende sah vorgeneigt zu und schlug unwillig befeuernd in die Hände.
Es trat ein Mann in den Saal der dreihundert Frauen, aber er trug die spitze, gelbe Mütze, das lange, gelbe Kleid des Eunuchen. Er zirpte zum aufreizenden Klang des Beckens und die kleinen Mädchen horchten mit heißen Wangen dem Liede, das jene als Toren verlachte, die von der Speise Ambrosia nicht äßen, die zu verkosten ihm selbst die Zähne mangelten. Und sein »Eros, ach Eros!« trillerte durch den Saal, das Gelächter der Hafendirnen übertönend.
Dann begann der Tanz eines seltsamen Vogelpaares. Aus dem schlichtgrauen Federkleid der Henne, dem schillernden des Hahnes sahen die braunen Gesichter der Tänzerinnen. Als des Hahnes Balztanz endete, wälzten sich die Dirnen in entfesselter Laune und die zarten Kinder bargen sich erglühend an der Hetären schöner Brust. Die Einsame auf dem Thron gab ein neues Zeichen.
Ein Mädchen, gelbbraun wie Bernstein und wie eine Libelle leicht, tanzte um ein gigantisches Symbol. Sie kniete vor der Mannheit. Sie breitete ihr die Arme entgegen. Sie bot sich ihr, von einem Krampf der Lust geschüttelt. Als die Thronende das erste Paar von Weib und Weib in Umschlingung sah, lächelte sie. Eunuchen trugen ein großes, aus weißen Blüten geformtes Ei in den Saal. Es zerfiel in einen Blumenregen und ließ einen Knaben und ein Mädchen frei, die makellos und so weiß waren wie die Blumen. Als erneuere sich die süßstaunende Erkenntnis der ersten Paradiesesmenschen, so tasteten sie sich zueinander, stürzten einer in des anderen Umarmung.
Es schien, als erfasse das Beben ihrer Leiber alle diese dreimal hundert entflammten Körper auf dem einzigen weichen Pfühl der Lust. Und die Weiber, nach dem Manne stöhnend, zerrissen mänadengleich des Eunuchen Gewand, zerrten ihn am kümmerlichen Barte und rissen mit ihren Nägeln Stücke seines fetten, schlotternden Fleisches aus seinem Körper. Dann entsannen sich etwelche unter den Dirnen der Wachen und stürmten die Treppen hinab und in den Zitronenhain hinaus. Aber die Thraker, denen Tod angedroht war, schlugen geschlossenen Auges mit flachen Klingen auf die gedehnten Glieder ein.
Des Eustinus Tochter, eine weiße Blüte edelsten Stammes, hauchte, den Küssen einer Hetäre überlassen: »Sage, du weißt es, ist Eros wahrlich so süß?« und bot wehrlose Glieder der niegeahnten Liebkosung. Weiber der Gosse lagen, Schaum vor dem zu Brunstschreien geöffneten Mund, und umfingen sich in unerfüllter Umarmung. Plötzlich riß die Thronende den Schleier ab.
Theodora war von Füßen zu Häupten in Juwelen gekleidet. Sie trug die geheiligte Krone von Byzanz auf dem Haupt wie am Tage ihrer Krönung. An ihrem ganzen Leibe war kein fingerbreiter Streifen ihres nackten Fleisches, der nicht von Ketten haselnußgroßer Perlen, eigroßer Türkise und Rubine bedeckt gewesen wäre. Das Licht sprühte in Strahlengarben um sie her, und jede Bewegung weckte das kalte Klirren und Klickern der unzähligen Perlenschnüre, die vom Gürtel auf ihre goldenen Schuhe niederhingen. Ihr Antlitz wetterleuchtete und sie schrie in den von gekrampftem Weiberfleisch dampfenden Saal. »Wartet nur, wartet ein wenig, schon kommen eure Buhlen!« und sie lachte ein atemloses, kreischendes Lachen.
Da brachen vom Zitronenhain her, treppan auf allen Vieren huschend, dunkle riesige Schatten – der Kaiserin schwarze Affen – in den Saal.
Theodora sah Flüchtende von langen haarigen Armen erfaßt, sah zartes Weiß ringen gegen Urwaldsmacht. Sie sah Geängstigte hinter Schenktischen verschanzt, mit Goldkrügen dreinschlagen, von denen die Kameen splitterten, und sie lachte ihr unmenschliches Gelächter, in das sich Tränen und Schreie mengten.
Plötzlich aber losch das Lachen in ihren Augen aus und sie wurden starr und sie quollen aus den Höhlen hervor, während der verzerrte, weit offene Mund das Antlitz zu einer Maske des Grauens werden ließ.
Und sie schrie einen an, den sie allein sah. Schrie gellend, außer sich, mit den Fäusten gegen die bediademte Stirn schlagend: »Was willst du? Ist es noch nicht genug? Geh fort! So geh doch fort! Töte mich nicht! Hab Erbarmen! Erbarmen!«
Und sie rutschte wimmernd auf den Knien und schrie über den rasenden Saal hin: »Ich will nicht sterben!«
Und an den von schwarzen Teufeln Gehetzten und Flüchtenden vorbei, über Zerfleischte, Trunkene und Hoffnungslose hinweg, schleuderte Theodora ihren Gürtel in den Saal, ihre Ketten, Ringe und Halsgehänge, daß die Kissen weithin von Juwelen glänzten. Und sie schrie: »Da hast du, was du wolltest!« da sie den Schätzen die heilige Krone von Byzanz nachwarf.
Als Tzikka, mit seinen besten Männern dem Todesbefehl trotzend, die Treppe erstieg, sahen sie die Kaiserin in Zuckungen und Krämpfen über die Thronstufen hingestreckt. Aber es war keiner unter den Kriegern, der diesen Saal zu betreten wagte, und Tzikka verhüllte sein Gesicht mit dem Reitermantel.
Ein großer Affe, mit dem Nacken eines Bullen und der Fratze eines Dämons, war die Thronstufen hinaufgeflüchtet und hielt in seinen Pranken, an denen blondes, blutiges Frauenhaar klebte, neugierig äugend die Krone der heiligen Helena, der Mutter des ersten christlichen Kaisers Konstantinus.
Kaiser Justinian und Vigilius hatten sich seit Stunden eingeschlossen. Manchmal drang die Stimme des Patriarchen bis an Clotars Ohr, der vor der Tür Wache hielt und der Gallier murmelte verächtliche Flüche.
»Entschließe dich, mein Sohn! Tue sie ab aus deinem Herzen!« drängte Vigilius. »War sie nicht auch mir wie eine Tochter teuer und wie eine Fürstin verehrungswürdig und doch habe ich mich von ihr abgewandt! Tue sie öffentlich ab, mein Sohn, und bekenne!«
Der Kaiser hob matt sein Antlitz aus den Händen. »Wie könnte ich?« sagte er kopfschüttelnd und trübe. »Wie könnte ich gegen mein eigenes Gesetz aufstehen und es Lügen strafen? Darf ein Basileus Verblendung einbekennen vor dem Volke, das er zu führen berufen ist? Werden sie nicht mit Fingern auf mich weisen? Wie wenige würden meine Seele verstehen, wenn sie redete!«
»Gibst du den Menschen Gesetze und lassest dich von ihnen beherrschen?« sagte Vigilius. »Verstehn? Warum auch sollten sie dich verstehn? Wenn du dir brennendes Öl über die Hand gießest und Blasen ziehen auf und du erhebst ein jämmerliches Geschrei, so wird die große Menge lachen über dein schmerzliches Mundverziehen. Ein einziger vielleicht, der sich selbst schon einmal verbrühte, wird dich bemitleiden und um Balsam laufen. Wir sind Menschen, mein Sohn! Verstehen heißt, an Gleichem gelitten haben. Verzeihen heißt, Gleiches gesündigt haben! Dies ist ja das Göttliche an Jesus, daß er, der allein niemals sündigte, doch der Verstehende ist allen Sündern.«
Der Kaiser sah starren Blickes vor sich hin.
Eine erregte Stimme schrie draußen: »Ich muß zum Kaiser! Laß mich zum Kaiser, Freund!«
»Nicht den heiligen Johannes selber, ohne Befehl!«
»Ich muß zum Kaiser! Es gilt Leben und Tod!«
Der Kaiser öffnete die Tür. »Was gibt es? Du Prokop?« Und er sah erstaunt das bittere, boshafte, vergrämte Gesicht, verjüngt von einem wilden Triumph. Der Geheimschreiber warf sich aufs Angesicht, zugleich mit Tzikka und einem Alten, der bei des Kaisers Anblick in Schluchzen ausgebrochen war.
»Dinge von Wichtigkeit?« fragte der Kaiser.
»Von höchster!« bestätigte hastig Prokop, mit einem Blick auf den Priester.
Vigilius lächelte in feinem Einverständnis. »Ich bin es gewohnt, weltlichen Dingen den Vorrang vor den himmlischen eingeräumt zu sehen!« und er verließ lautlos das Gemach. Prokop schloß die Tür.
Der Kaiser begann hin und her zu gehen. »Ich warte!« sagte er.
Prokop warf sich von neuem aufs Antlitz. »Gottähnlicher! wie lange diene ich dir nun?«
»Was soll dies? Seit meiner Krönung! Also?«
»Gottähnlicher, willst du mir um dieser zehn Jahre getreuen Dienstes willen gestatten, dir eine Fabel zu erzählen?«
»Mach's kurz!« sagte Justinian.
»Es gab zu Olims Zeiten einen weisen, mächtigen, gesetzeskundigen, prachtliebenden, herrlichen Fürsten ...«
»Sicherlich hatte er billige Schmeichler zu Dienern, wie ich! Nun? Was hat das mit Tzikka und dem Schatzmeister Johannes da draußen zu tun?«
»Gestatte mir, Erleuchteter! – Dieser Fürst hatte eine Tochter und er erließ bei deren Geburt ein Gesetz, wer immer jemals eine Anklage gegen sie erheben würde, werde ungehört verbannt und seiner Güter beraubt werden!«
Prokop machte eine Pause.
»Weiter!« befahl der Kaiser, der ihm den Rücken wandte.
»Des Fürsten Tochter nützte ihre unbeschränkte Macht zu Grausamkeiten und Willkür aus, von denen der Fürst niemals Kunde erlangte, da er die Lippen seiner Getreuesten versiegelt hatte!«
»Der Fürst selbst merkte nichts?« fragte es von der Ecke her.
»Ich erzähle die Fabel nur, wie sie mir überliefert ward, Basileus! – Endlich aber machte sie das Maß ihrer Schandtaten voll und vergriff sich an den Heiligtümern ...«
»Was ist geschehen, Prokop?« fragte der Kaiser und trat ein paar hastige Schritte auf den Knienden zu.
Prokop neigte die Stirne zur Erde und flüsterte: »Basileus, das Gesetz besteht noch!«
Justinian schwieg einen Augenblick, dann legte er die Schwurfinger an das Kreuz seines Diadems. »Bei Christi heiligem Namen geben wir dir Sicherheit.«
Da sprang Prokop empor und seine Augen flammten. »Basileus!« keuchte er. »Man ist in das Schatzgewölbe gedrungen und hat die Krone der heiligen Helena geraubt. Die Wachen, die dem Räuber nachsetzten, verwundeten ihn schwer, aber er entkam mit dem Schatz. Die Söldner erkannten ihn mit aller Bestimmtheit. Ich sprach sie selbst!«
»Wer war es?« fragte der Kaiser.
Prokop kannte diesen Tonfall. Er atmete tief auf und antwortete fest. »Burbo, der Sklavenaufseher der Basilissa!«
Eine große Stille entstand.
»Ist dies alles?« fragte der Kaiser scharf.
»Nein! Die Isaurischen Söldner deiner Gartenwache sahen im Morgengrauen eine schwarze Gestalt mit unbegreiflicher Geschicklichkeit durch die Wipfel fliehen. Die Pfeile numidischer Bogenschützen holten den Flüchtling herab. Man erkannte in ihm einen von der Kaiserin fremdländischen Affen und er hielt in seinen Pranken – dies!«
Prokop schlug den Mantel auseinander und hielt dem Kaiser die Tiara entgegen. Sie war verbeult und von furchtbaren Zähnen zerbissen. Die goldenen Fäden unschätzbarer Perlengehänge schaukelten leer und der ungeheuere Smaragd des Mittelstückes war herausgerissen.
Der Kaiser warf einen einzigen Blick auf die Krone.
»Bist du nun zu Ende?« fragte er heiser.
»Nein! Als die Wachen Treibjagd auf die Bestie machten, fanden sie, je weiter sie in den Hain der Basilissa eindrangen, um so furchtbarere Verwüstung vor. Frauenleichen lagen grauenhaft zerfleischt im Gebüsch. Sie schaukelten an ihren Haaren von den Bäumen. Die Wachen traten in den blutigen Brei, der der Überrest von Körpern war. Man fand ein Häuflein von Frauen, halb irrsinnig vor Angst, in einer Badegrotte. Von dreihundert zu einem Fest der abscheulichsten Lust Zusammengetriebenen waren sie die einzig Überlebenden.«
Justinian wandte Prokop zum ersten Male voll das Antlitz zu. Er war leichenfahl, seine Augen sprühten.
»Es ist genug!« sagte er abgehackt und leise. »Es ist übergenug! – Man hole uns den Patriarchen Vigilius und unseren Rechtsgelehrten Tribonianus! Dies wird ein Ende erfahren!«
Da stürzte Prokop zu des Kaisers Füßen und rief: »Das sprach Gott selbst aus dir, Herr, der nicht will, daß das Volk in Empörung seinen Kaiser richte! Flüchtende haben die Nachricht vom Geschehen dieser Nacht in allen Stadtteilen verbreitet. Ja man bringt selbst der heiligen Mutter Anastasia geheimnisvoll plötzlichen Tod mit einem Besuch in Zusammenhang, den die Basilissa der Sehrwürdigen abgestattet haben soll! – Das rasende Volk zertrümmert die Standbilder der Gottähnlichen auf allen Plätzen! Der Geist des Aufruhrs herrscht, und Redner verlangen, öffentlich bejubelt, in entwürdigenden Worten die Absetzung der Kaiserin, ja ihren Tod!«
Der Kaiser beugte sich zu dem Knienden herab und sah ihm voll in die Augen. »Und das kränkt dich sehr, nicht wahr, mein Prokopius?«
Er schritt, ohne die Antwort abzuwarten, zur Tür. Als er sie öffnete, sah er Tzikka, den er schon vergessen hatte, vor sich und fragte scharf: »Was hast du zu melden?«
Der alte Soldat sank auf ein Knie und hob die Hände empor. »Entlasse mich gnädig aus dem Palastdienst, Basileus!« stammelte er.
Justinian sah auf das braune, greise Gesicht herab, dessen bärtige Wangen zuckten. »Du stehst unter der Kaiserin Befehl. Nicht unter unserem!«
»Ich kann der Kaiserin Befehl nicht mehr gehorchen!« erwiderte Tzikka. »Laß mich im Kloster Vergessenheit finden!«
Der Kaiser sprach leise wie zu sich selbst: »Es ist wie eine Flucht! Mit der Haushofmeisterin begann es und alle Kämmerer und Frauen des Hofes wurden jählings unheilbar krank.«
Er richtete sich auf. »Du hast uns aufs erste Pferd gehoben, Tzikka. Willst du nicht in unseren eigenen Dienst treten?«
Der Thraker küßte des Kaisers Gewand. »Ich werde im Kloster für dich beten!« murmelte er. Der Kaiser winkte kalt und unzufrieden »Entlassen!« und schritt vorbei.
Der Leibarzt der Kaiserin, ein nie beachtetes, nie beschäftigtes Männchen, warf sich ihm in den Weg. Er keuchte purpurn vor Erregung. »Basileus! Es haben sich Zeichen einer höchstbedenklichen Erkrankung bei ihrer Gottähnlichkeit gezeigt, ein tiefster Zustand der Verwirrung!«
Der Kaiser ging schweigend an dem Knienden vorbei. Er war schon an der Tür angelangt, als er über die Schulter zurück sagte: »Man sende ihr unseren Leibarzt Jefraim. – Prokopius, gibt es nicht Krankheiten, die gelegen kommen? Aber, bei Gott, wir werden sie zu heilen wissen!«
»Jefraim!« sagte der Kaiser zu dem vor ihm Knienden. »Wir haben deinen Bericht zu Ende gehört, wünschen aber doch noch einige Aufschlüsse zu empfangen!
Entsinne dich, als wir vor zehn Tagen dich beriefen, um das Urteil des Leibarztes ihrer Gottähnlichkeit, deren Gesundheitszustand betreffend, von dir überprüfen zu lassen, da kamst du zu uns, der Hoffnung und der guten Worte voll und versprachst sichere Heilung einer, wie du es nanntest, ›vorübergehenden Stimmungstrübung‹. Und nun dieser Bericht! Wir sind erschüttert, aber nicht überzeugt, Jefraim! Und wir müssen uns fragen: Konnte binnen zehn Tagen solch bedrohliche Änderung eintreten? Vielleicht liegt ein Irrtum vor? Aber wenn dies geschah, wann irrtest du? Damals, als du Heilung oder nun, da du Untergang prophezeiest?«
Der Jude breitete beide Arme aus und aus seinen greisen Augen rannen Tränen. »O Herr!« schluchzte er, »als du mich zu der Kaiserin sandtest, erkannte ich sogleich, daß die Hand Gottes auf ihr laste und meine Kunst sei wie Spreu vor dem Sturm. Gott gab mir ein, zu dir zu gehen und dir alles zu offenbaren, wie ich es dir nun offenbare! Aber Herr, ich bin ein alter Mann, ein armer Mann, der gerechte Gott ist mein Zeuge, daß ich mich nicht wie alle anderen bereichert habe, nicht in deines Oheims Dienst, noch in dem deinen! Und da überdachte ich es und fürchtete um mein Amt zu kommen, wenn ich vor dich träte und sagte: Herr! Gott hat sie geschlagen und sie wird zehnmal zehn Tode sterben! Und ich entsann mich dessen, daß ich einst dich in deiner großen Krankheit für verloren gehalten hatte und doch tat Gott ein Wunder an dir und du lebst und wirst leben bis zu Methusalems Alter! Ich aber dachte, vielleicht tut Gott ein zweites Wunder und verstopfte meine Ohren der Stimme des Herzens und ging zu dir und sagte: Herr, es wird vorübergehen! Aber von Stunde an konnte ich nicht schlafen und nicht essen und nicht vergessen! Ich sah sie Tag und Nacht vor mir, wie sie auf den Steinfliesen lag und in den Staub der Verwüstung mit ihrem Finger immer nur ein Wort schrieb, das Wort ›Verflucht!‹ Und ich kreiste um ihren Palast wie der Mörder um die Blutstätte. Ich wartete darauf, daß du kommen würdest, sie zu sehen und ihr Elend zu erkennen und bangte zugleich davor, denn dann mußtest du mich ja fortpeitschen wie einen schlechten Sklaven! Aber du kamst nicht. Zehn lange Tage und Nächte setztest du nicht den Fuß über die Schwelle derer, die dein Weib war ... Blitze mich nur mit deinen Augen an, Herr! Jetzt fürchte ich nur mehr Gott! Du kannst mich töten, aber solange ich lebe, werde ich Gnade für sie erbitten!«
Justinians Antlitz zuckte. »Sprich weiter!« herrschte er.
»Sie hat durch Burbo, der bei ihr ist, die Eingänge mit Kisten und Truhen verstellen lassen, und da drinnen hausen sie und verhungern und schreien um die Wette, sie, weil sie sieht, wovor Gott uns beschützen möge, und er, weil seine ungepflegte Wunde am lebenden Leibe fault. Und als ich das sah ...«
»Wie konntest du es sehen, wenn die Türen verrammelt sind?« warf der Kaiser ein.
»Es ist eine Luke hoch in der Mauer, durch die spähte ich und rief ihn an, er solle um Gottes willen herauskommen und sich die Wunde von mir ausbrennen lassen! Aber sie klammerte sich an ihn und flehte ihn herzzerreißend an, nicht die Türen aufzutun, sonst käme irgendein Feind über sie! Und da riß er – so wahr Gott mir helfe! – ein Messer unter dem Bett hervor und hackte sich die linke Hand oberhalb der Wunde ab, daß ich meinte, er müsse auf der Stelle verbluten. Und ich lief zur Tür hin und klopfte und rüttelte und rief, aber da begann sie drin zu schreien – zu schreien ...!«
Der Jude duckte sich und preßte die Finger in die Ohren, als höre er es noch.
Endlich fragte Justinian geschlossenen Auges, kaum verständlich: »Unrettbar?«
Des Juden gefaltete Hände bebten. »Herr!« flüsterte er, »wäre es nicht dies, so wäre der Tod ihr doch bereitet in dem Übel, das ihren Leib zerfrißt. Gott ist ein harter Gott, und er straft uns, wo wir am schwersten sündigten!«
Justinian erhob sich mit einem Ruck. »Komm!« sagte er. Der Jude streckte wie erlöst die Hände aus, aber der Kaiser war schon aus der Tür getreten. Er eilte an Clotar vorbei, dem er winkte, nachzufolgen, und durchmaß die Säle so raschen Schrittes, daß die Wachen kaum Zeit fanden, das Schwert zu ziehen und den Gruß der Ehrfurcht zu leisten.
Endlich wandte sich Justinian, sah den Arzt noch weit zurück, blieb, mit dem Fuß den Boden klopfend, stehen und schritt, so wie jener herangekommen war, durch die Tür, die Clotar weit vor ihm offen hielt.
Der Kaiser ging rasch den Säulengang hinab. Den Kopf tief gesenkt, die Hände gefaltet. Auf dem ganzen Wege tat er nur eine einzige Frage, als sie von den wachenwimmelnden Sälen in die endlose Säulenhalle kamen, die des Kaisers Palaststadt mit jener Theodoras verband und in der kein Helm zu sehen war: »Wo sind die Wachen?«
»Die Posten haben ihren Dienst verlassen, Gottähnlicher!« antwortete Clotar unsicher. Der Kaiser antwortete nicht.
Sie traten nun in einen Raum, der Vorsaal der Kaiserin gewesen war.
Er dehnte sich leer. Die Luft war schwer und gestockt, das Licht trübe wie in jahrzehntelang nicht bewohnten Räumen.
Blumen standen mit farblos vertrockneten Kelchen, Stengel und Blätter zu tiefgrüner, übelriechender Masse aufgelöst, im faulen Wasser der großen Gefäße.
Sie kamen durch einen Säulenhof, in dessen Mitte sich ein riesiges Porphyrbecken befand, in dem Silberfischchen gehalten worden waren. Nun schwammen sie tot auf trübem Gewässer. An den vielen hohen Stangen hingen die fremden Vögel der Kaiserin, die Halsringe aus Jade trugen, schlaff an ihren goldenen Fußketten herab, die eingekrallten Klauen starr in die Luft ragend.
Sie gingen weiter und ihre Schritte hallten in der marmornen Ödigkeit.
Alle Türen standen offen, man sah weithin durch Säle in Säle. Und alle waren leer und kalt und von eisiger Verlassenheit. Und wo sie vorbeikamen, sahen sie die Spuren dieses unerhörten, dieses panischen Grauens.
Sie sahen die Federbesen und Tücher nächtlicher Aufwärterinnen, denen es oblag, vor dem Erwachen der Kaiserin die Säle zu reinigen, die geordnet zu finden so selbstverständlich war, daß man niemals nachdachte, wann und durch wen diese Arbeit verrichtet wurde.
Sie sahen die Futterkörbe derer, denen oblag, die Vögel zu betreuen, und angesichts derer die Tiere verhungert waren. Sie sahen die umgeworfenen Kleiderpressen, in denen man die Gewänder der Gottähnlichen beim Erwachen zur Auswahl bringen wollte. Sie sahen die goldene Tasse mit der Kanne Frühweins und den zerkrümelten, hartgewordenen Kuchen, zu der Kaiserin Morgenimbiß bereitet. Sie sahen die fortgeworfene Geißel des Ruheerhalters, den ausgetrockneten Krug der Wasserträgerin, die weggeworfenen Schilde und Lanzen der Leibwachen.
Und über all den verlorenen Dingen lag der Staub, als wolle die Zeit sie mit ihrem Moder verschütten, lag ein Geruch wie Fäulnis und Tod, ein Geräusch wie von bröckelndem Mörtel und Gebälk, als sterbe der Palast zugleich mit seiner Herrin.
Sie gingen und gingen, bis ein Schrei die Luft zerriß.
»Es ist nichts!« raunte Jefraim, da der Kaiser zusammenzuckte. »Nur die Tiere, die in ihren Gehegen verhungern!«
Der Kaiser ging schneller und Jefraim, der sein Antlitz beobachtete, sah das unbeherrschbare Beben der Mundwinkeln.
In dem Thronsaal Theodoras, der Fürsten gesehen hatte, die den Teppich unter ihren Schuhen küßten, kroch ihnen ein winziges, klägliches Etwas entgegen. Der Kaiserin seidenhaariges Äffchen, nicht größer als eine Spanne. Es war beschmutzt, zu einem winzigen Gerippchen abgemagert und streckte ihnen mit jammernden Menschenlauten die kleinen rosigen Hände entgegen.
Clotar nahm es auf und barg es unterm Mantel, so hastig, als stehle er.
Jefraim legte den Finger auf den Mund und sie schlichen über die Teppiche hin.
Sie waren nun bis zu Theodoras Schlafgemach gelangt, dem innersten Kern aller Gemächer, und Justinian legte langsam die Hand an den Türgriff. Er gab nicht nach.
Aber Jefraim zeigte die Luke, hoch oben an der Wand, an die er von außen einen schweren Tisch gerückt hatte. Und Clotar half dem Kaiser hinaufzusteigen. Als der Kaiser sein Antlitz der Öffnung näherte, ließ ihn der Pesthauch verdorbener Luft zurückschaudern.
Er sah Theodora auf den ersten Blick, aber er vermochte sein Herz nicht sogleich glauben zu machen, daß sie es sei, die er sähe.
Sie kauerte zu Füßen des Bettes, das schief ins Gemach hineingerückt war, inmitten eines Chaos von umgeworfenen Truhen und Sitzen, von Scherben, von blutgetränkten Tüchern und zu Atomen zerrissenen Geweben.
Sie war nackt und in einen vom Betthimmel herabgerissenen Vorhang gehüllt, der fortwährend von ihren Schultern glitt, wenn sie mit ihren spitzen, bis zum Entsetzen abgemagerten Armen in der Luft focht, als fange sie Fliegen.
Das Haar, das leichtflockig gewesen war und tausendfach geringelt, starrte wüst um das beschmutzte, eingefallene Gesicht. Es war von jahrelangem Gebrauch der Kräuselschere versengt, kurz und dünn geworden, und Justinian sah, daß frühgebleichte Strähne darein vermengt waren.
Er sah das Antlitz, das man die »Sonne von Byzanz« genannt hatte, Mal um Mal von einem Grinsen zerrissen, das zwischen den von einem Muskelkrampf gestrafften Lippen die gelb vorgebleckten Zähne zeigte. Die Augäpfel, die weit aufgerissen glitzerten, bewegten sich bei starrem Blick in einem unaufhörlichen Zittern.
Clotar sah in des Kaisers Gesicht, sprang sogleich auf den Tisch nach und hielt die Arme hinter ihm ausgebreitet, als befürchte er dessen Fall.
Und über des Kaisers Schulter sehend, schrie er: »Sie hat ja seine Leiche im Bett!«
Da sah auch Justinian Burbos offene Totenaugen unter den gehäuften, blutbesudelten Decken.
Plötzlich regte sich Theodora und Justinian tat einen entsetzten Schrei, da sie ein langes, rostiges Messer hervorholte.
Sie richtete sich mit tierischer Schwerfälligkeit auf, klammerte ihre beiden fliegenden Hände um den Messergriff und stieß vielmals vergeblich auf ein Kissen ein.
Endlich klaffte die bestickte Seide und in rosiger Wolke quoll der Flamingoflaum vor.
Das Grinsen kam wieder und hielt lange an.
Theodora griff mit den Händen, die nicht gehorchten, ins Kissen, holte eine Handvoll der Federn hervor und blies erst Klümpchen um Klümpchen, dann Flaum um Flaum ins Zimmer.
Als alle Federchen verblasen waren, brach sie in langanhaltende, gurgelnde Schreie aus, die ihren abgezehrten Leib erschütterten.
Clotar fing den Kaiser auf und hob ihn hinab.
»Er weint!« flüsterte Jefraim und faltete die Hände.
Die Leibwachen Justinians hieben mit Streitäxten auf die Eichentür ein.
»Alles umsonst!« sagte einer und wischte mit dem Ärmel des Waffenhemdes den Schweiß von seiner Stirne. »Es weicht nicht und wankt nicht! Sie müssen die schwersten Dinge dagegengelehnt haben, die sie nur auffinden konnten!«
»Besser wär's, wir ließen sie drin! Hin ist hin!« murrte ein Hüne. »Sie steinigen sie ja doch, wenn sie davonkommt!«
Einer lachte: »Ich wollte nur, ich hätte so viele Goldstücke, als sie Männer verspeist hat, dann wäre ich reicher als der Agathon!«
»Es ist dir leid, daß du nicht einer davon warst, was, Kerl? Rufe sie doch an. Sag, es wäre just was bei dir zu holen! Wette, die wird gesund, wenn sie's hört!«
»Greift an, Männer!« rief Clotar. »Wir haben des Kaisers Befehl zu erfüllen! Alle zugleich und mit der Breitseite! Eins, zwei, drei – jetzt!«
»Die Tür gibt nach!« schrie eine Stimme mitten im taktfesten Dröhnen der Axtschläge.
»Nochmals drauf! Eins, zwei ...«
Jefraim kam gelaufen. Sein altes Gesicht war käseweiß bis an die Lippen. »Sie übersteht's nicht! Sie übersteht's nicht!« jammerte er. »Ich habe durch die Luke geschaut! Schema Jisroel! Bewahre uns vor solchem Sterben!«
»Jetzt kostet sie's selber, wie's schmeckt!« lachte der Hüne. »Verfluchte Bestie! Hat ihrer genug hinübergeschafft! Wär ich der Kaiser, ich gäbe ihr Rattengift, damit's schneller ginge, statt Messen für sie lesen zu lassen, in leeren Kirchen!«
Clotar hielt dem Mann schweigend seine riesige, rote Faust vor Augen. Der nahm murrend die Axt auf und tat einen wilden Schlag.
Krachend und splitternd riß das Eisen ein Stück des Bohlens heraus und neue Schläge machten die Tür zittern.
»Nochmals!« befahl Clotar. »Nochmals!«
Der Ansturm verschob drinnen die mächtige Truhe, auf der der Berg von verrammelnden Schwergewichten aufgebaut war und dieser brach mit dröhnendem Krachen und Poltern zusammen.
Im gleichen Augenblick hörten die Eindringenden einen Schrei, einen wilden, langgezogenen, spitzen, unvergeßlichen Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
Clotar hob Jefraim über die Trümmer hinweg.
Er wandte sich sogleich und Jefraim legte die Hand über die Augen.
»Man muß es dem Kaiser melden,« stammelte Clotar.
Keiner regte sich. Der Jude zitterte am ganzen Leibe.
»Man muß ihr die Augen zudrücken!« flüsterte er. An der Tür murmelten sie.
Der Oberste der Leibwache schrak zusammen. »Das kann ich nicht!« sagte er und hielt den Atem an.
»Dann muß ich es tun!« sagte der Arzt. Er nahm sein seidenes Tuch vom Halse und drückte die Lider zu, die nicht halten wollten.
Clotar zog ihn durch die Verwüstung des Zimmers hin, in die fernste Ecke und flüsterte, als könne sie es noch hören.
»Hat sie ... hat sie nicht immer schwarze Augen gehabt?«
»Ich weiß nicht!« antwortete der Jude schaudernd.
»... denn jetzt waren sie blau wie Stahl!«
»Still!« sagte Jefraim. »Man soll nicht fragen, wenn Gottes Hand im Spiele ist!
Holt eine Bahre, wir können sie hier nicht lassen!«
Der Hüne war ins Gemach gedrungen, stand nun breitbeinig vor der Leiche und spie ihr mitten auf die Brust. »Bist du endlich wirklich hin, Bestie, gottverdammte?«
Der Arzt legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ist es nicht genug, daß sie so allein starb, so allein?« fragte er.
Und er deckte fast zärtlich seinen Mantel über die Tote.
Ende