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Wie der Schwan mit Menschenstimme redete – Die Wäscherinnen am Meere – Wie die beiden Fischer kamen – Wie Gudrun Gerlinds Kleider ins Meer warf
*
Es war an einem nebligen Abend zur Fastenzeit, da standen Gudrun und Hildburg am Meeresstrande und wuschen, wie alle Tage. Der Wind kam in eisigen Stößen daher und klatschte das nasse Gewand todeskalt an ihre Glieder, wie sie mit aller Gewalt die schweren Mäntel auswrangen, die sich eingerollt wanden wie große Schlangen. Hildburg hielt nur mit aller Kraft sich aufrecht. Sie war seit Tagen elend und krank, aber sosehr Gudrun auch bat, nie und nimmer wollte sie Frau Gerlind um Muße betteln.
Solange noch die Holzfäller und Jägerknechte Gerlinds durch den Wald gekommen waren, hatten die Jungfrauen bei der Arbeit gelacht und gesungen, damit man der üblen Königin die Kunde ihres stolzen Mutes brächte. Später aber kamen nur mehr die Krähen, die hungrig von den Bäumen schrien, und einmal eine rote Fehe mit drei spitzschnäuzig witternden Füchslein, die barmherziger waren und nicht wie Gerlind Freude an ihren Tränen hatten.
Aber nun kam auch die Fehe nicht mehr, und die Königstöchter waren sehr allein. Düster und grau stand vor ihnen der Himmel und schwarz der Wald hinter ihnen. Die Sonne sank immer tiefer, und immer noch häufte sich so viel des ungewaschenen Gewandes.
Da begann Hildburg leise zu wehklagen, und nichts war zu hören als ihr stilles Weinen und das Anrauschen des Meeres, das grau und erbarmungslos herankam wie Tag um Tag ihres Lebens und sickernd verrann über rieselnd-bewegten Kieselsteinen.
Gudrun wusch weiter, als habe sie nichts vernommen. Und obgleich Horand sie gelehrt und gezogen hatte, im Unglück wie im Glück der Vergänglichkeit zu gedenken, war ihr doch, als könne ihr Herz dies nicht länger ertragen, nicht die wiederkehrende Welle, nicht den markerkältenden Wind, nicht das schwache Weinen, neben dem sie stark bleiben sollte.
Und so wenig ahnen wir Blinden von dem uns bestimmten Lose, daß Gudruns Stärke just in dem Augenblicke wich, da die Hegelinge den Fuß ans Normannenland setzten.
Und als Hildburg so zusammengekauert schluchzte und Gudrun mit erstarrten Händen Hartmuths schwere Mäntel auswrang, da teilte sich jäh, wie von einem Schwertschlag zerspalten, der brauende Nebel vor ihnen.
Und auf der dämmrigen Flut kam ein großer weißer Vogel herangeschwommen, lautlos gleitend, den Hals in sanftem Bogen hergeneigt, näher und näher ziehend, wie ein silbriger Schimmer.
»Du schöner Schwan!« sprach Gudrun. »Du erbarmst mich so sehr! Bist du heimatlos wie wir, daß du abends spät noch schwimmst auf kaltem Meere?«
Und sie tat ein paar sachte Schritte und bog sich vor, die gewölbten Schwingen von der Farbe des Firnschnees zu streicheln, da der Vogel stillehielt und sie ansah mit klugem, gelbem Auge. Und jäh zuckte ihre Hand zurück, denn der Vogel sprach – laut sprach er mit menschlicher Stimme.
»Ein Bote Gottes, komm ich zu dir, Gudrun! Denn deine Leiden sind zu Ende, und willst du mich befragen, du edle Magd, so will ich dir Antwort sagen!«
Da wich die Jungfrau zurück zu Hildburg, und sie drängten sich aneinander und wollten ihren Sinnen nicht trauen, da der wilde Vogel mit Menschenstimme redete. Sie spähten um sich und in den Wald, denn immer noch meinten sie, man triebe schlechtes Spiel mit ihnen. Aber da war niemand auf dem kahlen Strande als die verlassenen Frauen und der weiße Vogel, der glänzte wie ein Widerschein unsichtbarer Sterne. Gudrun sank ins Knie und breitete dem Schwan die Arme entgegen.
»Wenn Christ dich selbst gesandt hat, du süßer Bote, so sage mir in seinem Namen, lebt, noch Frau Hilde, meine Mutter?«
Sprach der Vogel, auf- und niederschaukelnd auf schwarzen Gewässern: »Hilde, deine Mutter, hab ich gesund gesehen, meine Schwingen brausten über Matalane. Ein Heer hat sie geworben, wie nie ein Weib vor ihr, um deinetwillen.«
Die arme Wäscherin faltete die Hände unterm Kinn, darauf tropfend ihre Tränen fielen. »Sage mir, süßer Bote, ich bitte dich, lebt noch mein Bruder Ortwin, das Kind?«
Sprach der schöne Vogel, sich wiegend auf kristallklaren Gewässern: »Groß wuchs Ortwin, und er trägt Herrn Hettels Schwert in die erste Schlacht. Bald erweist er sich als rechter Mann!«
Da jauchzte Gudrun, und mit flammenden Wangen rief sie: »Sage mir mehr noch, du süßer Bote! Lebt der, den ich geküßt habe, Herwig, mein blonder Liebster?«
Da ward das Wasser wie strömendes Gold, darauf der Schwan sich wiegte, und er lachte mit Menschenstimme: »Es lebt, es lebt Herr Herwig von Seelanden!«
Und er breitete mit Rauschen seine Schwingen aus und hob sich in goldenem Tropfensprühn aus den Wogen.
Da rutschte Gudrun ihm auf den Knien nach, über den nassen Kies, und streckte die Hände nach ihm aus. »Um Christi Leiden willen beschwör ich dich, wie lange müssen wir noch dulden? Und wird Hildburg ihre Heimat wiedersehen? Und leben Wate und Frute, die schon unjung waren?«
Da war der Vogel nur mehr wie ziehender Nebel in sinkender Nacht, nur der Schein strahlte noch im Wasser. »Da du mich rufst in Christi Namen, muß ich noch einmal Antwort geben. Harret aus, denn kurz ist eure Frist! Zwei Boten seht ihr morgen, euch lieber noch, als ich bin!«
Und als er das gesagt hatte, floß er dahin, und Nacht war vor ihnen, und Nacht war um sie her. Aber aus dem kalten Winterhimmel war tröstlich ein Stern getreten.
Sie kamen heim, aufgewühlten Herzens und unsicherer Freude voll, und wurden übel von Gerlind empfangen, die ihr Tagewerk schlecht fand und ihren Eifer gering. Sie aßen ihr Roggenbrot und tranken ein Schlücklein Wasser nach jedem der harten Bissen, und je länger sie sich beredeten, desto mehr schien es den armen Wäscherinnen, als hätten sie geträumt.
Sie streckten sich zum Schlafe auf die harten Bänke, und Hildburg hustete viel, wie sie so schauernd lag, ohne Kissen und Decken, die die üble Gerlind lange schon ihnen weigerte.
Früh erwachten sie, vor Kälte steif, und der erste Tag dämmerte durch die Luke. Da stand Hildburg mühsam auf, um nach dem Wetter zu sehen. Und als sie gewahrte, daß der Schnee stäubte in schrägen Flocken, preßte die elende Magd weinend die Hand an die fieberglühende Stirn.
»Hilft Gott uns nicht und muß ich bis zum Abend barfüßig auf dem Eise waschen, so werden sie mich tot auf dem Kiese finden.«
Da strich Gudrun über ihre wirren Schwarzlocken und tröstete: »Freundin! Wir wollen zur Wölfin Gerlind gehen. Vielleicht, daß sie uns Schuhe gibt und wärmere Kleider!«
Sie gingen auf den Zehen durch die Gänge der schlafenden Burg, und Hildburg preßte die Hände vor den Mund, ihren Husten zu ersticken. Sie standen lange vor dem Schlafgemach und horchten auf Herrn Ludwigs Atem, der im Gleichmaß ging. Endlich öffnete Gudrun die Türe. Da lag Frau Gerlind, und Herrn Ludwigs graues Haupt ruhte friedlich auf ihrem Arm. In weichen Decken und Schneehasenfellen schliefen sie, und das Feuer knisterte schon in der Kammer. Hildburgs leises Weinen weckte Gerlind.
Sie fuhr aus dem Schlaf auf und fragte böse: »Was untersteht ihr euch wohl? Längst solltet ihr am Strand stehen und waschen!«
»Ich weiß nicht, wie wir waschen sollen«, sprach Gudrun. »Neuer Schnee ist gefallen die ganze Nacht, und Hildburg glüht im Fieber!«
»Waschen sollt ihr gehen, ob es euch sanft tut oder übel! Nicht anders habt ihr es gewollt, und ich selbst warnte dich, Hildburg! Palmsonntag ist nahe, und schafft ihr unseren Helden nicht weiße Kleider zur Kirche, so soll euch Arges widerfahren!« Und als der Husten Hildburg von neuem rüttelte, da schrie die üble Gerlind, daß Ludwig unwillig vom Schlafe aufkam: »Mich schert es wenig, und ob ihr beide auch tot vor mir läget!«
Sie sprang aus dem Bette und stieß Gudrun einen mächtigen Kleiderpacken vor die Füße.
Da nahm Gudrun ihn am verknoteten Tuch auf mit aller ihrer Kraft und sagte ihr still ins hämische Gesicht: »Dies wird Euch Gott vergelten, Frau Gerlind.« Und sie trug allein die Last und stützte Hildburg noch dabei, da sie durch den Schnee des Schloßhofes wateten mit bloßen Füßen.
Da kam ihnen schlurfend das Waschweib nachgelaufen, das sie gelehrt hatte, wie sie waschen sollten. Die gab Hildburg ihre eigenen hölzernen Schuhe und ihr rotes Schultertuch und ließ jede von ihnen ein Becherlein heißer Ziegenmilch trinken; denn die gelitten haben, wissen, was Leiden sind.
Und sie nahm Gudrun den Packen ab und trug ihn auf ihrem breiten Rücken bis zum Strande.
Dann standen die Königskinder dort, wie alle Tage, und wuschen für Hartmuths Ingesinde. Hildburg ging nur langsam das Werk von Händen, denn ihre Brust schmerzte, und über ihre Glieder rannen eisige und siedende Schauer. Gudruns Hände aber flogen, und sie sah mit schweifenden Blicken nach allen Seiten und hinaus aufs Meer, wo der Vogel herangeschwommen war, der verheißen hatte.
Aber die karge Wintersonne stieg auf und neigte sich, und keiner kam. Nasser Schnee fiel und eisiger Regen, und der Wind blähte die gewaschenen Mäntel, daß sie wie Segel schwollen, und die Finger waren fühllos erfroren. Des Wintertages frühe Dämmerung fiel ein, immer öfter feierten Hildburgs Hände. Gudrun aber hob den Kopf nicht mehr, sie fronte hoffnungslos, tief gebeugt über das Linnen.
Da sah Hildburg eine winzige Barke herankommen, die ruderten zwei Fischer in ihren braunen Kapuzenmänteln. Sie sprach zögernd: »Sieh doch, sieh! Sollten das deine Boten sein, Gudrun?«
Gudrun stand von den Knien auf, sie sah aufs Boot und sah an sich herab, und Scham färbte ihr blasses Gesicht. »Und gibt es Gott, daß dies meiner Mutter heimliche Boten sind, so ist es mir lieb und leid, wenn sie mich hier finden! Sollen sie meiner Mutter erzählen, sie hätten mich hier am Strande waschen gesehen? Nimmermehr könnte sie das verwinden!«
Sie umfing Hildburgs Hand mit beiden Händen. »Rate mir, Liebste, was sollen wir tun? Sollen wir fliehen und die Rettung verwirken? Sollen wir bleiben und unsere Schande dartun vor meiner Mutter Ingesinde?«
Da sprach die sanfte Hildburg: »Verlangt nicht meinen Rat. Alles, was Ihr tut, will ich mit Euch tun und bei Euch bleiben, wie es Euch ergehe!«
Die Fischer rührten mit starken Armen die Ruder, so daß die schmale Barke nah und näher schoß, und schon winkten sie und riefen.
Da aber faßte Gudrun Hildburg an der Hand, und sie liefen über den gefrorenen Sand nach dem Walde. Das sahen die beiden Fischer wohl. Sie sprangen aus dem Boot an Land, und der größere rief, daß es schallte: »Warum habt ihr es so eilig, ihr schönen Wäscherinnen? Wir sind Fremde, und uns ist nur schlecht zu trauen. Laßt ihr eure Gewänder allein, so könntet ihr sie verlieren!«
Als Gudrun die Stimme vernahm, da strömte ihr alles Blut zum Herzen, daß ihre Hand danach fuhr, als müsse es sonst zerspringen. Ihre Knie wankten unter ihr, aber da sie sich wandte, das Antlitz unter der Kapuze zu erkennen, da war ihr doch, als habe sie es noch nie gesehen. Und Herwig, König von Seeland, der wenig ahnte, wie nah er seiner Liebsten war, rief zum zweiten Male: »Ihr schönen Kinder, kommt zum Strande zurück, um aller Jungfrauen Ehre willen! Kein Falsch soll euch widerfahren.«
Da tat Gudrun den ersten Schritt ihm entgegen und sagte sanft: »Unehre brächte es mir, weigerte ich nun mein Kommen, da Ihr bei aller Jungfrauen Ehre mich beschworen habt!«
Und die beiden Frauen gingen zum Strande zurück. Ihre nassen Hemden schlugen um die Glieder, daß sie vor großem Frost zitterten, wie sie gingen. Sie trugen Tücher ums Haar, und der Märzwind hatte Strähnen gelöst, die hingen schneenaß in Stirn und Wangen. Aber den Männern schien es, als leuchteten ihre Glieder in der Dämmerung weißer als der Schnee, über den sie schritten. König Herwig neigte sich und bot den Armen edlen Gruß, anders als es wohl Fischern ziemte und Wäscherinnen. Und langentbehrte Süße lag den Frauen darin, denn selten hatte ihre üble Herrin einen guten Wunsch geboten zum Abend oder Morgen.
»Nun lasset uns Antwort hören«, sprach Ortwin, der Junge, und sogleich sank Gudruns Herz. Denn sie dachte, wenn der eine wirklich Herwig, ihr Liebster, wäre, dann wäre wohl Horand bei ihm oder sonst der guten Gesellen einer und nicht ein Fremder, dessen Stimme sie nicht kannte. »Wer ist es, der euch so üble Dienste anbefiehlt, die ihr beide so schön erscheinet und von so edlem Gehaben? Hat der noch mehr solch schöner Wäscherinnen, dem ihr dienet?«
Da sagte Gudrun traurig zu den Männern, deren Angesichter ihr nun ganz fremd erschienen unter den Kapuzen: »Manche wird wohl schöner sein als ich Arme. Nun fraget schnell, was immer ihr hören wollt. Mich dünkt, ein Holzknecht schritt eben durch den Tann, und erzählt er unserer Meisterin, daß wir mit euch sprachen, so läßt sie uns wohl bitter darum büßen.«
»Fürchtet nichts!« sprach Herwig, »und nehmet hier unseren Sold. Diese vier Spangen wollen wir euch geben, sagt ihr uns Kunde, nach der wir verlangen!«
»Gott lasse euch eures guten Goldes selig werden, wir nehmen keinen Lohn!« sagte sanft Gudrun, und von neuem war ihr, als sei es Herwigs liebe Stimme, die sie höre.
»So sagt uns, nur mit Dank belohnt, wessen sind die hohen Burgen, die wir ragen sehen?«
»Herrn Ludwigs ist die eine, Herrn Hartmuths die andre, ihnen eignet das Land Normandie.«
»Wir träfen die Könige gerne«, sprach Herr Ortwin. »Könnt ihr uns sagen, ob sie just daheim hausen und ob ihre Helden mit ihnen sind?«
Gudrun sprach mit Jubel und Hast: »König Ludwig hab ich heut morgen in seinem Bette schlafen sehen, und mit ihm sind wohl zehntausend Mannen.«
Fragte Herr Herwig: »Vermagst du uns zu sagen, du schöne, schöne Wäscherin, warum Ludwig im tiefen Frieden so starken Heerbann auf seiner Feste hält?«
Da kam Gudrun nah, und in der Dunkelheit des schneeichten Märzabends hing ihr Blick brennend an seinem beschatteten Gesicht. »Ich weiß, warum Ludwig sich hinter Schilden verschanzt. Ein Geschlecht fürchtet er; man heißt es: die Hegelinge.«
Da sah der Fürst von Seeland, daß die arme Wäscherin am ganzen Leibe bebte, und er wähnte, es sei um der Kälte willen. Er riß den Fischermantel ab und wollte ihn um sie legen. Sie aber sah ihn an und sprach sehr sanft: »Gott lohne Euch Eure Güte, aber an meinem Leibe sollen niemals Männerkleider gesehen werden, solange ich lebe!«
Sie blickten einander an, und im Dunkel schien es Herwig, als gliche sie einer, die er schmerzlich entbehrte, und er seufzte schwer.
Sprach Ortwin: »Da du die Hegelinge nennst, Mädchen, weißt du wohl auch davon, daß aus Hegelingeland eine Königstocher hierher kam mit ihrem Ingesinde.«
Da sprang Herwig vor und rief: »Herr Ortwin, lebt Eure Schwester auf Erden, dann ist es diese Jungfrau, die ihr gleicht wie keine andre!«
Als aber Gudrun Ortwins Namen hörte und als Herwigs warme Hand die ihre ergriff, da war es ihr, als müsse sie jähen Todes sterben.
Doch ihr Herz warnte sie zu erproben, ob Herwigs Liebe sich nicht gewandelt habe und ob sie stark genug sein werde, ihre Erniedrigung zu vergessen. Sie zog sanft ihre Hand aus seiner. »Suchet Ihr Gudrun, dann suchet sie nicht unter denen, die leben. Die Magd von Hegelinge ist lange schon vor übergroßem Elend gestorben.«
Da fielen Herrn Herwigs Arme herab, und er schwankte wie ein Mann, den ein Pfeilschuß ins Herz traf. Herr Ortwin aber wandte sich schweigend ab, seine aufschießenden Tränen zu bergen.
Sprach Gudrun mit unsicherer Stimme. »Ihr trauert so sehr, ihr Herren, ist die Magd euch anverwandt gewesen?«
Und sie achtete dessen nicht, daß Hildburg sie am Ärmel zog mit geheimen Zeichen. Da warf Herwig das Haupt zurück und breitete die Arme, in Erz klirrend, unter dem Fischermantel. »Reue füllt mich um Gudruns Tod, und weinen werd ich um sie bis ans Ende meiner Tage. Hätte ich sie nur als mein Weib von hinnen geführt, da man mit Eiden sie mir zu eigen gab. Jetzt ist durch Ludwigs List mein Glück verloren für immer.«
Da streckte Gudrun die Hand ihm dar und sprach unter Tränen: »Herwig, kennst du diesen Ring?« Und sosehr es dunkelte, Herwig erkannte wohl den Stein von Arabé, den noch seine Mutter getragen. Und er riß sie an sich und küßte sie mit Küssen, die sie kannte, und ließ ab, um sie anzusehen, und küßte sie wieder, ungezählte Male, und küßte auch Hildburg, die an sich erfuhr, daß Freude die beste von allen Arzneien der Erde ist.
Als aber Lachen und Weinen und staunende Seligkeit durchgekostet waren, da fragte der Bruder Ortwin im Scherze, was Herwig banger Ernst gewesen war und das böse Gespenst einsamer Nächte: »Wie vermag es zu geschehen, daß Herr Hartmuth Euch hier waschen läßt, Schwester? Da Ihr doch seiner Kinder Mutter seid?«
Gudrun sah ihn offen an, mit goldenen Augen. »Wie käme das, daß ich Kinder wiegte? Allen ist es kund im Normannenland, daß ich darum am Strande wasche, weil ich Hartmuths Liebe nicht begehrte noch seine Krone.«
Als sie das gesagt hatte, stieß Herwig ein Lachen aus wie ein trunkener Mann. Er faßte Gudrun, hob sie hoch auf und schlug sie fest in seinen braunen Mantel. Und ihr Gesicht mit Küssen deckend, trug er sie über eisigen Sand und über eisige Welle – er war schon fast an der Barke, da Ortwin rief: »Herwig, Herwig, wohin willst du mit Gudrun?« Der Held wandte sich, einen Fuß schon im Kahn. »Keine Nacht mehr lasse ich sie unter Hartmuths Dach!«
»Nimmermehr!« schrie Ortwin. »Sind wir gekommen, um Frauen zu stehlen wie schlechte Knechte? Hätte ich hundert Schwestern, keiner dürfte darum von meiner ersten Heerfahrt sagen, daß wir als Diebe wiedernahmen, was uns im offenen Sturm geraubt ward.«
Da trat Herwig zögernd vom Boot zurück, aber er preßte Gudrun nur fester ans Herz. »Dies ist meine Angst, Ortwin, daß sie, wenn sie uns erst erspähen, die Jungfrauen verbergen, wo wir sie nimmermehr finden!«
»Willst du Gudrun eigensüchtig retten und ihre edlen Frauen ganz verlassen? Eher sollst du mich in Stücke hauen, ehe ich zu solchem Verrat die Hand böte!«
Da begann Herwig den Weg zurückzuwaten über eisige Welle, über vereisten Sand, und Gudruns Arme schlangen sich um seinen Hals, angstvoll, als wolle sie ihn nie mehr lassen. »O weh mir Armen!« rief Gudrun, und es war, als sei all ihre stolze Kraft von ihr gewichen, seit sie wieder Mannesschutz erfahren. »Ortwin, mein liebster Bruder, was hab ich dir je Böses getan, daß du es mich jetzt willst entgelten lassen?«
Ortwin küßte ihren Mund und bat: »Glaube mir, Gudrun, nicht aus Haß geschieht, was geschehen muß. Nur in ritterlichen Ehren darf ich dich von hinnen führen!«
Er sprang in den Kahn und erfaßte das Ruder. »Herwig! Herwig! Es ist an der Zeit!« rief er übers Wasser.
Da riß Herwig sich los mit aller seiner Macht. Gudrun aber brach ins Knie.
»Die Erste war ich und bin die Letzte nun: Wem lassest du mich, Herwig, daß er mich tröste?«
Da rief Herwig zurück und sandte Küsse mit seiner Hand: »Du bist die Letzte nicht, die Erste bist du in meinem Herzen! Ehe morgen die Sonne dich weckt, komme ich wieder mit achtzigtausend Mannen, so wahr du mir Treue gehalten hast!«
Da half Hildburg Gudrun von den Knien auf, und solange sie noch einen Schattenriß sahen in der völligen Dunkelheit, winkten sie der Barke nach, die all ihr Hoffen entführte.
Als Gudrun vernommen hatte, daß achtzigtausend Befreier des Morgens harrten, zu ihrer Rettung bereit, da war alles Bangen von ihr genommen und alle große Trauer. Hildburg jedoch fürchtete dieses Abends Heimkehr und Gerlind, und sie bat Gudrun, ihr doch die Wäsche zu Ende bringen zu helfen, da so viele Knechtsmäntel ungereinigt lagen.
Gudrun hob das Haupt und lachte mit geschlossenen Lippen: »Zwei Könige haben mich heute geküßt, nun bin ich zu stolzen Mutes, der Wölfin die Kleider zu waschen!«
Da warnte Hildburg voller Angst: »Böses kann uns diese Wölfin noch antun, ehe der Morgen dämmert!«
Gudruns Augen flammten. »Und schlüge sie mich bis zum Morgen mit Birkenruten, darum würde ich doch nicht sterben. Jetzt sollen Gerlinds Gewände rechte Wäsche erfahren!«
Und sie begann die Mäntel mit beiden Händen hinauszuschleudern, daß sie gebauscht auf dem Meere schwammen. Was Hildburg auch flehte, Gudrun lachte nur. Es war völlige Nacht, da sie heimkehrten. Hildburg trug schwer und mühselig an den gewaschenen Kleidern, aber Hettels Tochter ging aller Last ledig. Vor dem Burgtor stand schon Gerlind, und als sie die edlen Wäscherinnen zu so später Stunde herankommen sah, da kochte ihr Zorn über.
»Wer hat euch erlaubt, so spät des Nachts erst heimzukehren? Unwert seid ihr, der Gemahlin eines edlen Königs zu dienen, und sei es schlechtester Dienst!« Sie trat zu Gudrun, und mit geballten Fäusten sprach sie ihr nah ins Angesicht, rasend vor Ingrimm über Gudruns Lächeln: »Lachst du? – Du wähnst wohl Ehre zu erwerben, wenn du eines großen Königs Krone verschmähst und zur Nachtzeit mit schlechten Fischern Zwiesprach hältst am Strande?«
»Lüge ist Eure Rede, Frau Gerlind. Niemals hab ich mit schlechten Fischern Zwiesprach gehalten!«
»Du üble Galle!« schrie die Königin. »Willst du mich Lügen strafen? Meine Knechte haben dich wohl am Strande gesehen! Und heute nacht will ich's dir mit Rutenbesen vergelten!«
»Das widerrat ich Euch«, lächelte Gudrun. »Ich bin edleren Blutes als Euer ganzes Geschlecht!«
Da erst sah Gerlind – blind vor Zorn zuvor –, daß Gudrun ohne Lasten ging.
»Kommst du leer nach Haus?« kreischte sie. »Wo hast du meine guten Kleider gelassen?«
»Am Meere hab ich sie gelassen. Aber ob sie dort noch liegen, weiß ich nicht zu sagen, und allzusehr bekümmert es mich nicht, ob Ihr sie wiederfindet. Mir sind sie zu schwer gewesen.« Und sie strich heimlich tröstend über Hildburgs Hand, da diese still weinte, in Angst vor dem, was nun kommen mußte.
Da sprach Gerlind: »Noch diesen Abend will ich dir das lohnen!«
Sie rief laut ihren Frauen und hieß Ruten aus Dornenreisern binden. Da sie hörten, welche Strafe Gudrun bestimmt sei, da eilten alle Geiseln von Hegelinge herbei und baten fußfällig die üble Gerlind, sie möge Gnade üben.
Derweilen stand die rote Heregart im Torbogen, in kostbaren Gewändern, einen süßen Kuchen in den Händen, davon sie gleichmütig biß. Gerlind hieß Gudrun und Hildburg ihr in die Kammer folgen. Sie selbst schloß die Türe zu. Sie befahl Gudrun von Hegelingeland und Hildburg von Friesland, die nassen Hemden abzutun, und sie selbst band sie am Bettgestell fest mit neuen Weidstricken. Als sie aber zu den Dornruten griff und zum ersten Schlag ausholte, da sah Hagen Walants Enkelkind sie an und fragte: »Wähnt Ihr, Frau Gerlind, Ihr brächtet Eurem Sohne große Ehre, wenn man auf mich deuten mag und sagen, seine Mutter habe mich mit Dornen gestäupt?« Und sie fuhr fort, während Gerlinds und Hildburgs Augen an ihr hingen: »Denn nun hab ich meinen Sinn geändert, Frau Gerlind. Und nun will ich das Königreich Normandie beherrschen – so wahr ich lebe!«
Da fiel die Rute aus Gerlinds Händen, die sie zusammenschlug, und sie begann selig zu lachen, daß alles Böse aus ihrem Antlitz schmolz – denn wenig verstand sie den Doppelsinn in Gudruns Reden. »So will ich Gott loben, wenn mein Kind endlich glücklich sein soll!« Sie beugte sich und löste in Hast Gudruns und Hildburgs Bande.
»Nun hat die Qual ein Ende!« sprach Gudrun, »nun sollt Ihr unser pflegen! Sendet nach Herrn Hartmuth und lasset ihm entbieten, was ich sagte.«
Das vernahm einer von Gerlinds Edelknaben im Saal, und er rannte nach Hartmuths Feste, so schnell ihn nur die schlanken Beine trugen. Er brach in die Halle, wo Hartmuth mit seinen Mannen saß, und war rot wie Sommermohn und atemlos, als er sein Knie neigte.
»Gebt mir Botenbrot, Herr, für die beste Botschaft! – Die goldne Gudrun hat sich anders besonnen!«
Herr Hartmuth sprang vom Schachzabelbrett, daß die elfenbeinernen Rößlein am Estrich hinsprangen. »Wäre diese Botschaft wahr, dann gäbe ich dir fette Hufen Ackerlandes und sechzig goldene Spangen!«
Da kniete Frau Gerlinds Kämmerer atemlos neben dem geschwinden Knaben: »Dann laßt uns die Gabe teilen, Herr, denn mich sandte Frau Gerlind zu Euch mit der lieben Botschaft!«
Hartmuth lachte laut und gab jedem der beiden Boten den ganzen Lohn und mehr noch, als er verheißen hatte. Und er schenkte dem Grafen, der wider ihn gehalten hatte, das goldene Schachzabel zum Angedenken.
Eilig ging er nach Gerlinds Kemenate. Da stand Gudrun und lächelte ihn fremd und zauberhaft an, mit erhobenen Brauen. Hartmuth streckte die Arme nach ihr aus und wähnte endlich, endlich, ihren Mund zu küssen. Aber Gudrun wehrte ihm mit sanfterer Stimme, als er sie je vernommen: »Nicht! Tuet dies nicht, Herr! Es brächte Euch Schande. Eine arme Wäscherin bin ich und Ihr ein großer König, wie ziemte es Euch, mich in Armen zu halten? Darum lasset heute meiner pflegen, und ich will Euch morgen weisen, wie ich Euch gesinnt bin in meinem Herzen!«
Sagte Herr Hartmuth leise: »Immer soll alles nach Eurem Wunsche geschehen!«
»Ist dies wahr, dann lasset allsogleich meine Frauen entbieten, die ich durch lange Jahre nicht mehr um mich habe, und lasset auch ihrer pflegen, nach ihrem Geblüt und ihrem hohen Range. Denn ihre Leiden sind so groß wie ihre Treue gewesen!«
Sie lächelte Hartmuth an, und er ging mit taumelnden Sinnen – völlig trunken von übergroßer Liebe zu ihr. Er befahl, den Geiseln die Freiheit zu geben und ihrer aller mit Bädern und Spezereien und kostbaren Gewändern zu pflegen. Auch ein Mahl befahl er ihnen zu rüsten, wie es königlichen Gästen ziemt. – Die Türen taten sich auf, und aus allen Gemächern gingen die Frauen von Hegelingeland hervor. Sie trugen schlechte Gewänder und ungeziertes Haar, wie die üble Gerlind sie hatte tagewerken lassen in so vielen Jahren. Doch als sie aus dem Bade kamen, da waren die Frauen wie der Sternhimmel schön, Gudrun aber war wie die goldene Sonne.
Das Mahl ward aufgetragen und edler Wein geschenkt. Da aber Gerlinds eigner Mundschenk seines Amtes waltete, da trat mit ihm die rote Heregart in den Saal, ein unsichres Lächeln auf den Lippen. Sie setzte sich an den Tisch, sprach viel und lachte laut, ob auch keine der Frauen Gudruns ihr Antwort gab. Wie in den Wind sprach sie, und endlich ward sie ganz stille. Als die Knaben den Nachtisch auftrugen, da trat eine zu Gudrun, die war hell wie ein Morgen im Maien: das war Ortrun, die mit ihren Frauen kam, die neue Schwester zu grüßen.
»Wohl mir, daß ich diesen Tag erleben soll, da du meines lieben Bruders Eheliebste heißest. Ich will dir auch Mutters Kronreif mit den grünen Steinen schenken, der meinem eignen Brauttag bestimmt war!«
Gudrun erhob sich und sah sie mit ernsten Augen an. »Gott lohne dir deine Liebe, Ortrun. Ich will sie dir vergelten in aller Redlichkeit, wenn die Tage der Freude für mich kommen!«
Sie tranken in zagen und züchtigen Schlucken den Wein, und doch rötete er ihnen rasch die Wangen.
Sprach Frau Gerlind: »Nun, liebste Töchter, solltet ihr voneinander scheiden. Denn nun kommen viele künftige Tage, da ihr in gleicher Freude beisammensitzen mögt!«
Da neigte sich Ortrun gehorsam zum Abschied. Gudrun aber zog sie in die Arme und küßte zärtlich ihr liebliches Gesicht, ehe sie mit ihren Frauen aus dem Saale schritt.
Die Truchsesse und Kämmerer eilten, die Tische fortzuräumen und breite Lager zu errichten, damit die Frauen mit Gudrun die Nacht verbrächten, wie es Königinnen ziemt und ihrem Ingesinde.
Als sie sich nun zur Ruhe strecken sollten, auf Fellen und sanfter Seide, wie nicht mehr seit Jahren, da sprach eine der Jungfrauen halblaut und mit weher Stimme: »Nun ist es an uns, der Heimat für immer zu entsagen. Denn nun werden wir immerdar im Normannenland bleiben, dahin wir ohne Wunsch und Willen kamen.«
Als Gudrun sie nun alle weinen sah, da faßte sie die beiden Armlehnen ihres Stuhles mit beiden Händen fest, und sie lachte zurückgelehnt ihr klingendes, helles Lachen, wie man es nicht vernommen hatte seit sieben Jahren. Da tauschten Heregart und Gerlind erbleichend einen Blick und erschraken beide zutiefst im Herzen. Gerlind faßte ihren Mantel und lief im Dunkel über den Schnee, gegen den Wind sich stemmend, nach ihres Sohnes Burg Kassiane.
Hartmuth lag in seligem Denken schlaflos auf seinem Pfühl, und sie setzte sich auf den Bettrand.
»Was ist Euch, Frau Mutter? Ihr seid so bleich, als sei Euch ein Schreckbild begegnet?«
»Hartmuth, nach sieben Jahren hat heute die schöne Gudrun gelacht, zum erstenmal auf normannischem Boden, und als sie lachte, da gefror mir das Herz, da war mir, als hörte ich das Schleifen von Schwertern!«
Hartmuth legte den Arm um die Mutter und lächelte: »Habt Ihr so lange ihrer Tränen nicht geachtet, und nun will Euch ihr Lachen schrecken, Frau Mutter? Ich wollte, ich wäre im Saal gewesen. Über alle Maßen schön ist Gudrun, wenn sie lacht – ich hab es erfahren.«
Frau Gerlind regte die Hände in Ungeduld, und sie flehte: »Höre mich doch und laß dich warnen: Meine Knechte haben des Abends zwei fremde Fischer am Strand erspäht, die riefen die Jungfrauen an und hielten Zwiesprach mit ihnen! Hartmuth! Wenn das Hildens Boten gewesen wären!«
»Seid Ihr so bange vor den Hegelingen, Mutter? Die liegen daheim auf warmen Fellen und schnarchen, die Siebenschläfer. Seid doch geruhig, Frau Mutter, und glücklich, wie ich es bin, da endlich Gudrun mein wird!«
Da schlich Frau Gerlind durch die Nacht zurück, und nie noch war ihr Herz so schwer gewesen.
Als Kämmerer und Knaben gegangen waren, sprach Gudrun laut: »Nun, Frau Hildburg, schließet die Türe, so wie es Euer Amt ist von eh und je.«
Es stand aber die rote Herzogin Heregart in der Tür, die ward rot und blaß und wußte nicht, ob sie gehen sollte oder bleiben. Denn ihr Amt war es einst gewesen, Gudruns Flechten zu lösen für die Nacht, und ihr Platz war zu Gudruns Linken gewesen wie der Hildburgs zur Rechten. Hildburg aber zögerte an der Tür und mochte nicht tun noch lassen.
Da fuhr Gudrun ruhig fort: »Denn nun soll ausgeschlossen sein, was nicht zu uns zählt!«
Da senkte die stolze Heregart das Haupt und ging. Und nur Hildburg sah, daß sie weinte. Vier Riegel schoben sich knirschend vor die Eichenbohlen, und Gudrun achtete dessen wohl, ob sie auch recht in den Ösen säßen und ob kein Laut draußen zu vernehmen wäre. Sie trat zu den Frauen und breitete ihnen die Hände dar. »Habt ihr vorhin geweint, so sollt ihr nun dafür lachen! Heute haben Hildburg und ich Ortwin geküßt und Herwig, meinen Liebsten. Und nun hat alle Not ein Ende, denn morgen kommen sie wieder, uns zu befreien, und mit ihnen achtzigtausend Mannen! Und der von euch will ich eine starke Burg zum Brautschatz geben, die mich vor Sonnenaufgang weckt. Denn heute nacht will ich tief und selig schlafen, zum erstenmal seit sieben langen Jahren.«
*