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VIII.

Die große Bewegung in Franken, im Odenwald und im Neckarthale hatte sich in die Nachbarländer fortgepflanzt; dazu predigten Münzer's Sendboten mit unermüdlichem Eifer und Ausdauer die Idee der christlichen Republik und die praktische Anwendung, die Münzer selbst dieser Idee gab, entflammte die Gemüther zur Nacheiferung. Die Unterthanen der Stifts Fulda erhoben sich und bald war die ganze Landschaft in der Buchen, dem durch seine Buchen berühmten Theile des Harzwaldes, in Bewegung. Innerhalb drei Tagen waren die Unterthanen und Bauern im Stift Fulda, in der Buchen und die hessischen Bauern um Bach, Heringen, Friedewald und Hersfeld zu großen Haufen versammelt, plünderten und brachen Klöster, Burgen und Schlösser und trieben ihre Bewohner in's Elend. Die Stadt Bach selber nahmen sie ein, so wie Heringen und fast die ganze Ritterschaft in der Buchen trat in ihre Verbrüderung. In der Stadt Fulda selbst hatten die Bürger vier Stiftskirchen verwüstet, und der Coadjutor Johannes, des Henneberger Grafen Wilhelm Sohn, war in die Brüderschaft der Bauern eingetreten. Auf dem Rathhause zu Fulda hatte er die zwölf Artikel unterschrieben, als 10,000 Bauern um die Ruinen des von ihnen zerstörten Klosters Andreasberg in Münsterfeld sich gelagert hatten und die Bürger von Fulda sich mit ihnen vereinigten. Auch die Klöster auf dem Petersberg und dem schönen Frauenberg wurden zerstört. Bald darauf war auch die Stadt Hersfeld nach längerer Einschließung in die christliche Brüderschaft getreten.

Der Landgraf von Hessen schickte drei seiner Ritter in die Stadt Fulda. Sie erhielten die ruhige Antwort: der Coadjutor habe den weltlichen Stand angenommen; werde der Landgraf der christlichen brüderlichen Versammlung der Landschaft beitreten, so wolle sie Frieden mit ihm halten. Zu gleicher Zeit gingen vom Lager zu Hersfeld Aufforderungen aus an die hessischen Städte Cassel, Treysa, Rotenberg, Spangenberg, Homberg, Sontra, Ziegenhain, Neukirchen, Alsfeld, Nielsungen, Witzenhausen. Alle diese Städte aber schickten die Schreiben gradezu an ihren Landesherrn, versprachen ihm Treue und baten um seinen schleunigen Schutz.

Die ganze Gegend um Eisenach stand auf und brachte an achttausend Mann zusammen. Dieser Haufe zog den Werragrund hinauf, zerbrach und verbrannte die Nonnenklöster Frauensee und Frauenbreitungen und plünderte die Frauenstifte Allendorf und Herrenbreitungen. Der Rath von Salzungen mußte zu den Bauern geloben und sie zogen dann weiter auf Schmalkalden. In dieser Stadt regte sich schon längst der Geist der Freiheit und sie ging willig zu den Bauern über. Von hier aus sagen sie vor Meiningen. Diese Stadt war jedoch schon in die Verbrüderung der Oderfranken, die zu Bildhausen sich versammelt, getreten, und sie zogen deshalb wieder den Werragrund hinab auf Eisenach zu und folgten, da sie diese Stadt nicht in ihr Bündniß zu bringen vermochten, der Einladung Münzer's, sich mit ihm zu vereinigen.

Ein anderer Schwarm, der sich auf der Hardt gesetzt hatte, trieb sein Wesen im Gothaischen. Die Edeln von Wangenheim und Graf Philipp von Gleichen wurden als Gefangene mit fortgeführt. Die Stadt Gotha blieb ruhig, das alte Kloster Reinhardsbrunn aber verfiel der Zerstörung. Das Vieh und alle Vorräthe führten die Bauern fort, die kostbaren Handschriften und Bücher zerrissen und verbrannten sie, die alten Denkmäler aus der Zeit der Landgrafen von Thüringen wurden zerstört, Altäre, Gemälde, Bilder und Tafeln zerschlagen und dir altehrwürdige Klosterkirche endlich verbrannt.

Auch beim Kloster Ilmen im Schwarzburgischen hatte sich ein Haufe von acht- bis neuntausend Bürgern und Bauern gesammelt; Arnstadt selbst war unter die Waffen getreten, und die Grafen von Schwarzburg sahen sich genöthigt, die zwölf Artikel anzunehmen und einen Revers auszustellen, daß sie niemals Ahndung darum suchen wollten. Diesem Vorgange folgten die Aemter Klingen, Greussen und Ehrlich. Ein Prediger der schwarzburgischen Stadt Frankenhausen, Gangolf, war hier der Führer. Dieser Haufe plünderte die Domherren zu Jechaburg und zog am selbigen Tage noch vor das Schloß zu Sondershausen.

Der strengkatholische Herzog Georg von Sachsen empfand ebenfalls den Stoß der allgemeinen Bewegung. Seine Dorfschaften Großen-Güttern, Schönstedt, Kirchheiligen, Sundhausen und Merxleben vereinigten sich mit den Schwarzburgischen, fielen in das Kloster Homburg an der Unstrutt und plünderten es. Die benachbarte mainzische Stadt Erfurt widerstand der Bewegung durch die Bemühungen ihres Predigers Eberlin, der die Gemüther zu beruhigen wußte; dagegen verbreitete sie sich über alle benachbarten sächsischen Lande. Zu Roda und Lobda, zu Neuenstadt und Posnik, zu Saalfeld, Gera und Ronneburg, in und um Plauen standen große Haufen, plünderten, brannten und zwangen die Edelleute zur Annahme der zwölf Artikel. Münzer's Sendboten erschienen auch im Erzgebirge. Mannsfeldische Bergleute kamen in die sächsischen Hochlande nach Zwickau, Schwarzenberg, Annaberg und Marienberg. Bald sah man bei Elterlein und auf den Gütern des Abtes von Grünhain ein Lager von Bauern und Bergleuten; ein zweiter Haufe zog ihm von Zwickau her zu; das Kloster in der Aue, das Gotteshaus Grünhain wurden geleert und verwüstet, die Kirche von Raschau niedergerissen. Edelleute und Geistliche flohen in die festen Städte. Die Richter von Königswalde, Mildenau, Schönbrunn, Arnsfeld, die Rückerswalder und Lauterbacher, die Dörfer um Wolkenstein sammelten sich zu einem Fähnlein und wirkten im Sinne der christlichen Brüderschaft. Selbst in Leipzig regte sich der Geist des Aufstandes.

In Münzer's nächster Nähe standen die Bauern in der Grafschaft Hohenstein, die Klettenbergischen und Schwarzfeldischen auf. Die beiden Grafen von Hohenstein mußten in ihre Brüderschaft treten und an ihren Waffenübungen theilnehmen.

Die coburgischen Bauern waren ebenfalls nicht gesonnen, den von beiden Seiten andringenden Strom zu widerstehen; mehr als vier und zwanzig Klöster und feste Schlösser gingen in Flammen auf, selbst das uralte Bergschloß Strauf, dessen Ursprung bis in das achte Jahrhundert hinauf reicht. Nur die festesten Plätze entgingen der Zerstörung. Die Signalfeuer der erwachten Freiheit loderten an allen Enden auf, die Erde färbte sich von dem Blute der Feudalherren, wie der Himmel von dem Brande ihrer Zwingburgen.

So sproßte Münzer's Saat lustig und gedeihlich, und es hatte in der That den Anschein, als habe Pfeifer recht gehabt, indem er darauf drang, loszuschlagen, ehe die günstigste Zeit vorübergehe. Münzer aber hatte nach einem besondern Plan gehandelt. Es war nicht Furcht gewesen, die ihn zum Zaudern bewogen; Er wußte, daß seine Thüringer sich nicht vergleichen ließen mit den Franken und Schwaben; daß sie erst durch lange Uebung aus diesen Standpunkt gebracht werden konnten. Diese Uebung sollten sie sich durch kleinere selbstständige Züge erwecken, ihr Selbstvertrauen sollte geweckt werden durch einzelne Siege, die sie errangen, der Aufstand sollte mit einem Worte erst feste Gestaltung und Organisation gewonnen haben, und dann wollte er sich erheben als physische und moralische Macht und den Ausschlag geben.

Pfeifer's Ungestüm hatte diesen Plan zerrissen. Wir haben gesehen, wie damit zugleich Münzer's Selbstvertrauen in seinen Grundvesten wankte. Hatte er zuvor selbst die Fäden der Bewegung geleitet, so sah er sich nun fortgerissen, seine Handlungen bestimmt, die dadurch ihre Selbstständigkeit, ihre Entschiedenheit verloren. Der glückliche Zug in's Eichsfeld hatte nach Beute lüstern gemacht; man hörte täglich von den Thaten andrer Bauernhaufen und mit Unlust sich selbst zur Unthätigkeit verurtheilt. Die Unzufriedenheit begann schon laut zu werden, und um sein Ansehen nicht auf's Spiel zu setzen, mußte Münzer dem Drange nachgeben und selbst einen Zug unternehmen. Er wollte dies aber nicht thun ohne eine Veranlassung, damit sein Vornehmen nicht als ein abgedrungenes, sondern als ein von seiner Ueberzeugung gebotenes erscheine. Aber auch noch in andrer Beziehung erschien es wünschenswerth, die erweckte Volkskraft zu beschäftigen. Die allgemeine Aufregung hatte viele Müßiggänger hervorgebracht und die Gütergemeinschaft hatte diesem Müßiggang ein Kissen untergelegt. Die Arbeit wurde ihnen fremd, da sie ja nicht mehr ihr tägliches Brot damit zu erwerben brauchten, die Klöster und Schlösser aber noch reiche Ausbeute versprachen, und somit noch lange fröhliche Tage. Münzer hatte diesen Uebelstand wohl bemerkt, aber erst mußte die äußere Reform vollendet sein, ehe er an eine innere gehen durfte. Münzer harre einen Vorwand, wie er ihn suchte, sehr bald gefunden. In Langensalza war ein Tumult ausgebrochen, und Münzer beschloß den dortigen Brüdern zu Hülfe zu eilen. Als sein Entschluß bekannt ward, da drängte sich Jung und Alt herzu, um an dem Zuge theilzunehmen. Auch Woldemar, des alten Perlet Probst Sohn, trat unter Münzer's Fahne zum großen Schmerz des alten Vaters. Dieser hatte vergebens Bitten und Drohungen verschwendet; Woldemar hatte von seinem Geschlecht Festigkeit des Charakters in hohem Maße ererbt, und er wankte nicht von dem Entschluß, zu dem ihn die Stimme seines Herzens trieb. Herr Perlet griff in seinem väterlichen Kummer nach dem letzten Mittel, er beschloß einen schweren Gang zu thun und Münzer selbst zu vermögen, ihm den verlornen Sohn wiederzuschenken. Es war freilich nur eine schwache Hoffnung, aber doch war es eine Hoffnung, und der Versinkende greift auch nach dem Strohhalme.

Mit schwerem Herzen begab sich der alte Mann nach dem Johanniterhof. Sein Patricierstolz empörte sich gegen den Entschluß, den er ausführen wollte, und doch mußte er diesen Stolz fahren lassen, wollte er den Mann zum Freunde gewinnen, der jetzt alle weltliche und geistliche Macht der Stadt in Händen hatte. Aber er wäre wohl von selbst der unwillkürlichen Ehrfurcht gewichen, welche die Persönlichkeit Münzer's auch dem Uebelwollenden einflößte. Mit freundlichem Ernst trat ihm der Prophet entgegen und bot ihm begrüßend Handschlag und Sessel. »Und welchem Umstand verdank' ich das Vergnügen, dich bei mir zu sehen?« fragte er dann.

»Dem bedrängten Vaterherzen,« antwortete seufzend der Greis. »Eure Lehre hat mir den Sohn entrissen, den ich über Alles geliebt. O habt Ihr je die warme Liebe des Vaterherzens empfunden, so gebt ihn mir zurück, und ich will Euch dafür segnen!«

Münzer's Stirn zeigte trübe Wollen des Unmuths. »Du sprichst nicht zu mir, wie ein Bruder zu dem andern,« sagte er; »nur dem traulichen Du begrüßen sich die Glieder der christlichen Gemeinschaft. Was dein Anliegen angehet, so erkläre dich näher darüber.«

»Mein Sohn hat sich verführen lassen von deiner Lehre,« fuhr der Greis fort, »und will mit dir ausziehen zum Kampfe, den ich nicht gut nenne. All' meine Bitten und Ermahnungen gleiten ab an seinem Herzen und sein Wahn wird mich in die Grube bringen, wenn du ihn nicht beredest, daß er zu dem gebeugten Vater zurückkehre. Und solches ist mein Anliegen an dich!«

»Du hast wohl nicht bedacht, was du da redest,« versetzte Münzer; »meine Lehre nennst du Verführung und einen Wahn das, was die Gemeinde beschlossen.«

»Ich hab' es wohl bedacht und überlegt,« erwiederte der Patricier fest, »und hab' es höher geachtet, dir mit der Wahrheit entgegenzutreten, als dir zu schmeicheln, wie es wohl Andre thun. Freies Wort ist ja eine der Lehren, die du selbst predigtest, und wehe dieser Stadt, so dem Bürger freies Wort nicht gestattet sein sollte. Ich habe dir Treue geschworen, weil mein Herz mit starken Banden an der Heimath hing, weil ich es für den Frieden als nothwendig erkannte, und ich gedenke auch nichts Feindliches gegen dein Regiment zu unternehmen, daß aber meine Ueberzeugung den Kampf, den du willst, einen Wahn nennt, das wirst und kannst du mir nimmer wehren.«

»Einen Wahn den Kampf um des Menschen höchstes Gut, die christliche Freiheit« rief Münzer. »Du bist noch befangen im alten Sauerteig, sonst würdest du nicht also sprechen!«

»Du führst die Menschen auf die Schlachtbank, die dir vertrauen in ihrer Leichtgläubigkeit!« entgegnete Probst freimüthig. »Die Thränen der Wittwen und Waisen werden dich einst darum anklagen.«

»Ich schone des eignen Leibes nicht, um der Freiheit zu dienen!« antwortete Münzer. »Großes muß mit Großem errungen werden. Das Saatkorn modert und fault in der Erde, damit ein Halm voll neuer Frucht daraus erwachse. Und so Hunderttausende fielen, so sind die doch nur ein Saatkorn gegen die ganze große Menschheit, die durch ihr Blut gerettet wird, aus dem der Baum der Freiheit herrlich aussprießt!«

»Der Freiheit!« sprach der Greis dagegen. »Und ist es dem Volke heilsam, was du also nennst? Leben die Menschen nicht sichrer im Schutz edler Fürsten, als unter der eignen Willkür? Das Evangelium, wie es Luther lehrt, hat uns vom Druck des Papstthums befreit und uns Freiheit des Geistes gegeben!«

»Und wo wird sie gefunden?« fragte Münzer »Der Götze ist nur gewechselt, vor dem wir niederfallen sollen. Wir glauben an den Papst nicht mehr, aber dafür sollen wir an Luther glauben und keine Meinung haben, denn die seinige. Das geistige Joch hat er uns abnehmen wollen und uns das leibliche gelassen, weil er sich vor den Fürsten scheuete, zu denen er sprach; ich aber spreche zu meinem Volk und sage: der ist verblendet, der an geistige Freiheit glaubt ohne die leibliche. Denn wie die Seele nicht leben kann ohne den Körper, so kann sie sich nicht frei erheben, wenn der Druck der Knechtschaft den Leib an die Erde kettet. Warum soll das Volk noch eine Macht anerkennen, die über ihm steht? Ehe Fürsten waren, da war das Volk, sein Recht ist älter, selbst wenn du das Recht der Geschichte anerkennst. Es wählte aus seiner Mitte den besten Mann, der es berathe und führe; der Fürst war ein Vater, der Vater aber verwandelte sich in einen gestrengen Gebieter. Warum soll das Volk schlimmen Enkeln nicht entreißen dürfen, was es einst ihren guten Ahnen gegeben? Warum soll es nicht zurücktreten dürfen in sein altes Recht, dessen es sich freiwillig entäußert und das schmählich gemißbraucht ward von herrschsüchtigen Tyrannen? O frage doch das Volk, ob es sich zufrieden fühlt unter dem Schutze der Fürsten! Höre doch, wie es seufzt unter der unerträglichen Last! Im Schweiße seines Angesichts muß es erwerben, was die Fürsten und Herren verprassen. Die rühmen sich wohl in ihrer Eitelkeit: dafür schützen und schirmen wir das Volk und tragen die Last, es zu regieren. Aber das ist lauter Blendwerk; denn sie dienen nur ihrer eignen Leidenschaft und vergeuden das Blut und Mark ihres Volkes, um persönlichen Hader auszufechten. Die Völker würden in friedlicher Eintracht neben einander leben, wenn ihre Fürsten nicht die Zwietracht stifteten. So aber ein Volk angegriffen wird, so ist es sein eigner bester Schutz. Das Alles muß anders werden! Alle Menschen müssen gleich und Brüder sein, ob sie auf Schlössern geboren oder in Hütten, fließt ja in uns allen nur einerlei Blut. Freie Deutsche wollen wir sein und als solche tagen und beschließen über unser Wohl und Wehe, und Keiner soll ferne stehen und nicht mitsprechen dürfen im großen Rath der Gemeinde!«

»Wie lange würde dieser Zustand dauern?« zweifelte der Patricier. »Würde sich die Tyrannei nicht bald ärger erheben, denn zuvor, und Jeder würde trachten, sich wieder zu erheben über so viel Tausende seiner Brüder?«

»Helf' uns Gott, so soll es nicht werden!« rief Münzer begeistert. »Der Geist wird lebendig werden mit der Freiheit, die christliche Liebe wird uns beseelen, denn wir werden allzumal zur Erkenntnis geführt werden, wie jeder Mensch deren fähig ist. Es wäre Versündigung an der Menschheit, einen Unterschied zu behaupten, den erst die Tyrannei hervorgebracht und den zu vernichten der höchste Triumph der Freiheit sein wird! Und wenn diese Zeit gekommen, dann will ich mit Freuden den Stab niederlegen, der mir gegeben ist, und nichts sein als ein freier Bürger!«

Das Feuer der Begeisterung, das Münzer durchglühte, blieb nicht ohne Eindruck auf den Greis, der sich zwar widerstrebend, doch immer mehr geneigt fühlte, den kühnen jungen Mann zu bewundern. »Blicke einmal auf deine nächste Nähe!« fuhr der Greis fort, »und du wirst mit Schrecken erkennen, zu welchen Folgen die Gemeinschaft der Güter führt. Der Redliche durchwacht die Nächte in strenger Arbeit, um den Lohn seiner Mühen mit dem Müßiggänger zu theilen. Müßiggang und alle Laster, die in dessen Gefolge, sind die bittere Frucht und schon ist sie in unserem eignen Garten gewachsen.«

»Nichts springt fertig aus dem Chaos hervor,« antwortete Münzer. »Alles will seine Zeit zur Reife. Laß nur die Hauptsache gethan sein, laß uns frei sein von außen und wie werden uns auch frei machen von unseren eigenen bösen Lüsten. Die Idee ist das Höchste, der wir nachstreben müssen, und die Idee gestattet kein Eigenthum der Person. Der Staat ist die einzig gültige Persönlichkeit, in deren Grenzen sich das Einzelwesen entwickelt, ihm gehört Feld und Wald, wie nicht ein einzelnes Glied der Familie ein Gut besitzt, sondern die Familie in ihrem Ganzen. Wie aber jedes einzelne Glied wirken muß für's Ganze, so soll jeder Einzelne thätig sein für die Gemeinde nach seinen Kräften und dann von der Gemeinde empfangen, was er bedarf. So wird Jeder für den Andern wirken und schaffen, und Geiz und Habsucht, Ueberheben des Bruders über den Bruder werden nicht mehr sein!«

Der alte Mann staunte den kühnen Plan, der, obgleich auf die luftigen Säulen der Idee gebaut, doch viel Wahrheit in sich trug, an, wie man ein Werk anschaut, das wir nicht lieben und doch als groß und gewaltig anerkennen müssen. Und er kam endlich wieder auf sein Anliegen zu sprechen, obgleich seine Hoffnung immer kleiner geworden war.

»Und könnt' ich dir auch willfahren,« antwortete Münzer, »so dürft' ich doch nicht wollen! Soll ich selbst die Wahrheit verleugnen, indem ich Einem abrede, das Rechte zu thun? Dein Sohn leiht der gemeinen Sache seinen Arm; ich muß ihn als rüstigen Kämpfer begrüßen und darf ihn nicht losreißen von dem Werk der Gemeinde. Versehe dich dessen nicht zu mir, denn ich will vielmehr das Feuer der Begeisterung noch entflammen, daß es durch alle Herzen glühe. O mochte der Geist doch auch in dir lebendig werden! Das würd' ich als einen schönen Sieg erachten!«

Der alte Mann seufzte; er sah wohl ein, daß Münzer nicht anders sprechen konnte, und daß er sich. eine falsche Vorstellung von ihm gemacht, als er sich der Hoffnung hingab, mit Bitten seinen starren Republicanersinn zu besiegen. Mit schmerzlicher Resignation mußte er es geschehen lassen, daß Woldemar seinem Vorhaben treu blieb.

Münzer zog aus mit seiner Leibwache von vierhundert Bewaffnetem den bedrängten Brüdern in Langensalza zu Hülfe. Sein Feldzeichen, die weise Fahne mit dem Regenbogen, rauschte lustig in den Lüften über der kampfmuthigen Schaar. Er selbst saß hoch zu Roß in seinem weiten, wallenden Prophetenmantel, unter dem er ein Wamms von Büffelleder trug, an der Seite ein Schwert, »das Schwert Gideon's.«

Zu gleicher Zeit zog Pfeifer nach der andern Seite aus und mit noch größerer Kampflust, als das vorige Mal, denn mit ihm zog der Racheengel mit der Flammenruthe.

Münzer's Ankunft entschied den Kampf in Langensalza zu Gunsten der Bewegungspartei. Die Bauern von Urleben wollten Erich Volkmar, den Erstgebornen Sittich's von Berlepsch, zum Fenster hinauswerfen; nur die Amme rettete ihn, indem sie ihn beharrlich für ihr eigenes Kind ausgab. Münzer's Schaar wurde vor dem Thore reichlich bewirthet, und er zog weiter bis nach Tungeda.

Hier kam ein Schwarm Eichsfelder Bauern zu ihm mit neun Wagen voll geistlichem und weltlichem Herrengut, bestehend in Lebensmitteln, Hausrath, Geschmeid und Kirchenglocken. Münzer empfing sie wohl, hielt ihnen vom Pferd herab eine Predigt, in welcher er sie zum Muth, zur Ausdauer und zur Festigkeit ermahnte und theilte die Beute unter sie aus. Sie baten ihn, sie weiter in's Eichfeld zu führen, und er zog mit ihnen auf Heiligenstadt, wo er einen Sieg erfocht, so das alle Bürger zu seinem Bunde schwuren, und von da weiter nach Duderstadt.

Auch diese Stadt ließ sich in die christliche Verbrüderung aufnehmen und er zog wieder ab, nachdem er auch hier die »Güter Baal's und Nimrod's,« das ist, der geistlichen und weltlichen Herren, für die Zwecke des Volkskriegs eingefordert.

Die Scheu und die Begeisterung, die sein Name einflößte, zog vor ihm her und verlieh ihm den Sieg. Da wurde seine Seele wieder freudig und die Besorgniß mit ihren Zweifeln wich zurück. War es auch anders gekommen, als er gewollt, so hoffte er doch, auch auf diesem Wege den Sieg mit seinem Volke und für sein Volk zu erringen.


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