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Dort zu Lande, in Stedingen, haben die Engel einen sauern Dienst, wenn sie alle die vielen Kinder, welche auf der Kappe des Deichs und unter dem Fuße desselben am Wasser spielen, vor Schaden behüten wollen. Man muß ihnen das Zeugnis geben, daß sie im Ganzen auch ziemlich treu sind, denn nur selten hört man, daß ein tölpelhafter Junge oder ein vorwitziges Mädchen die steile Treppe, welche zur Straße führt, hinabgestürzt ist, oder sich jenseits in dem bei Ebbezeit so schlammigen Graben nasse Füße und schmutzige Kleider geholt hat.

Wenn die Flut kommt, dann können die unsichtbaren himmlischen Schutzleute sich ein wenig verschnaufen, weil nun die Mütter auf den Deich kommen, nicht nur, um nach ihren Kleinen zu sehen, daß sie nicht in den sich mit Wasser füllenden Graben fallen, sondern, weil sie ihre blanken Eimer mit dem jetzt so reinen und frischen Flußwasser füllen wollen.

»Weest recht artig, Kinners!« heißt's dann: und beruhigt kehren die kräftigen Frauen zu Haus und Herd heim, weniger, weil sie dem Gehorsam und der Vorsicht ihrer Sprößlinge trauen – wie könnten sie das auch unbedingt, da das lebendige Element so verführerisch lockt –, nein, weil sie wissen, daß die Alten jetzt unter den Linden und Eschen auf dem Deiche sitzen oder oben auf demselben promenieren, um in's Wasser zu gucken, wobei sie dann auch auf die Bewegungen und Experimente der Kinder acht zu geben pflegen.

Die sind nicht faul und patschen mit Händen und Füßen in dem stetig wachsenden Wasser des Grabens, jachtern mit den Enten und Gänsen um die Wette und schaukeln sich in den sicher am Ufer befestigten Böten. Die größeren Knaben wagen sich schon weiter hinaus: an den Strand des Flusses, um zu fischen und zu baden; die Mädchen folgen dem Beispiel und streifen auch an unbeobachteter Stelle die Kleider ab oder in die Höhe, um lustig kichernd sonnabendliche Wäsche zu halten.

Wenn die Glocke des Kirchleins am Deich läutet, dann fahren alle rasch in die Kleider; die fischenden Knaben raffen ihren Fang zusammen. Nun geht's über das grüne Vorland und über den hohen Deich den Heimatshäusern zu, die fast unmittelbar hinter demselben stehen, nur eben ihre spitzen Strohdächer und Windfahnen über ihn erhebend. Das Abendbrot steht fertig in den niedern kleinen Stuben, der Kaffee kocht über dem offenen Feuer auf dem großen steinernen Herde in der Mitte der mit blauweißen Fliesen verzierten Wand der Diele. Die Väter sind nicht daheim: sie fahren zur See. Nur die Alten, welche aus Ruhebedürfnis oder wegen Gebrechlichkeit am Lande blieben, repräsentieren das ausgewachsene männliche Geschlecht, nebst jenen braven Leuten, welche vom Morgen früh bis zum späten Abend an den Böten, in der kleinen Werkstatt nebenan, bauen, hobeln und hämmern. Sie alle halten sich nicht lange mit Essen und Trinken auf; rasch stecken die Männer ihre kurzen Pfeifen an und klettern wieder auf den Deich. Noch ist es ja Flut.

Flut! – Flut ist Leben! Auf dem Flusse eilen die Schiffe mit vollen Segeln der fernen großen Stadt, deren Türme am Horizont ragen, zu, vom mittreibenden Strome begünstigt. Und wenn nach Hochwasserzeit der Strom kentert und die Wassermasse wieder nach See zu abfließt, dann passieren die Schiffe, welche über's Meer bestimmt sind. Majestätisch ist der Fluß so lange er die Fülle Wassers hat. Aber nur zu bald ist's wieder Ebbe, – Ebbe, welche nach und nach die Ufer auf weite Entfernung hinaus und die vielen Sand- und Schlammbänke trocken legt.

Es wird dunkel. Die Bootsbauer fahren wohl noch hinaus, um die Hausfrau mit einem Gericht Aale zu erfreuen, wenn das Glück ihnen hold ist. Die Alten aber bleiben noch lange auf der Bank unter den hohen Bäumen sitzen und gedenken der Zeiten, wo sie noch die See pflügten, und der fernen Söhne, die ihre Nachfolger im Berufe geworden sind.

Drüben am andern Ufer liegt der kleine Hafenort. Von den Villen auf den Uferhöhen spiegeln sich die Lichter im Wasser. Die Nachtigallen im Gebüsch der Gärten schlagen; einsame Sumpfvögel rufen im Schilfe; der Wiesenschnarrer knarrt unablässig; die Frösche parlamentieren aufs eifrigste, sicher vor den Nachstellungen der Störche und Reiher, die auf ihren Nestern und Horsten der Ruhe pflegen.

Endlich ist die Pfeife aus. Die Alten schreiten heim und »Moder« teilt das Lager mit ihnen in dem dumpfigen Alkoven. Ihr Schlaf ist süß, aber kurz, denn schon früh weckt der krähende Hahn auf dem Hofe, und die Enten gackern auf dem schilfumrauschten Kolk, dem Überreste eines vor langen Jahren geschehenen Deichbruchs. Dann steht der alte »Vader« auf, um in's Wetter zu sehen, oder er flickt noch rasch eine schadhafte Stelle im Netze, weil er am Montag doch mal sein Glück versuchen will. Er kommt auch zustande damit, ehe die Glocke zum Gottesdienste ruft. Dann schreitet er mit seiner Alten, beide festlich schwarz angethan, er den hohen, blanken Cylinderhut auf dem schneeweißen Haupte, in die kleine, alte, turmlose Kirche. Sie faßt nicht viele Menschen, aber sie ist gemütlich, und hübsch in Farbe gehalten; sie hat eine geschnitzte Kanzel mit zwei alten Sanduhren darauf, damit der Pastor die Gemeinde nicht aufhält und zur rechten Zeit Amen sagt, und einen schönen Altar; die Miniaturorgel begleitet mit ihren quiekenden Tönen den rauhen, aber frommen Gesang. Die Leutchen sind stolz auf ihr Kirchlein, das gar malerisch mit Epheu bewachsen mitten auf dem feuchten Kirchhofe mit seinen vielen Kreuzen und Grabsteinen am Deichvorsprunge liegt.

Heute, am Tage des Herrn, werden die Kinder hübsch sauber gekleidet, auch der kleinste Junge kriegt das Attribut seines Geschlechtes, die Hose, an; die Mädchen paradieren in Strümpfen: »barf« zu laufen ist Sonntags gegen die Kleiderordnung. Die Engel haben leichten Dienst, wie man denken kann, denn kein Kind geht, wenigstens Vormittags, an's Wasser. Ruhige Spiele mit Blumen in den kleinen Gärten von seiten der Mädchen, Schnitzen von Schiffen und sachverständiges Betrachten der gegenseitigen Kunstprodukte von seiten der Knaben, verschaffen den guten Geistern eine wenigstens teilweise Sabbathruhe. Was Nachmittags geschieht, davon schweigt die Geschichte.

Hammer, Meißel, Säge und Beil ruhen bei den Bootsbauern. Vormittags erwarten sie Besuch aus der Stadt oder von Schiffscapitänen, die im Bau befindliche Böte besehen oder neue bestellen wollen. Nachmittags nehmen die Leute Klarinette und Trompete zur Hand und wandern in die Wirtshäuser der Umgegend, um zum Tanze aufzuspielen. Es ist ein leichtlebig Volk, diese Bootsbauer: halb Handwerker, halb »Künstler«. Man sagt, daß ihre Frauen mit den unausbleiblichen Folgen der künstlerischen Leistungen am Montag durchaus nicht zufrieden seien und viel Ursache hätten, über Brumbären zu klagen. Das ist ja leider das Loos der Musiker: an stets trockener Kehle zu leiden. Dienstags ist aber der Handwerker dem Künstler wieder vor und das Glück der Ehen ganz unbezweifelt.


Es war an einem schönen Sommernachmittage nicht lange nach den Befreiungskriegen, zur Hochwasserzeit.

Der Deich stand voll von Menschen, die nach Süden schauten, von wo sich eine schwarze Rauchwolke heranwälzte, die sich rasch näherte. Die alten Schiffer hatten ihre Fernrohre herbeigeholt und sahen nach der Wolke hin. Einer der Scharfsichtigsten wollte einen Mast entdecken und eine hohe schwarze Röhre, ein anderer sah einen sich bewegenden Schiffskörper im aufschäumenden Wasser. Beide täuschten sich nicht: Das erste Dampfschiff, mit vielen bunten Flaggen geschmückt, eine auserlesene Gesellschaft Herren und Damen an Bord, keuchte den Strom hinunter.

Die Aufregung am Deich war eine gewaltige. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von dem Ereignisse auch unten im Dorfe von Haus zu Haus. Wer irgend gesunde und noch eben bewegliche Beine besaß, eilte oder kroch die steile Treppe oder Böschung hinauf; selbst Frauen mit dem Säuglinge an der Brust, blieben nicht fern. Die gewagtesten Behauptungen tauchten auf, wie die rätselhafte Bewegung der Schaufelräder zustande käme. Von den jüngeren Leuten wurden noch die vernünftigsten Ansichten geäußert, während die älteren sehr seltsame Hypothesen aufstellten, ja sogar vom leibhaftigen »Düwel« sprachen. Ein sehr weiser, alter Schiffscapitän legte den Finger an die Nase, blinzelte mit den Augen und äußerte einen ähnlichen Gedanken wie einst Göthe bei einer andern Gelegenheit: »von heute an beginnt eine neue Aera der Weltgeschichte«, wenn er sich auch derber dahin ausdrückte:

»Hol de Kukuk den Klapperkasten, der dreiht dat Unnerste na baben!«

Die Engel hatten viel zu thun, denn auch der Kinder hatte sich die Aufregung bemächtigt. Sie thaten auch bis auf einen ihre Schuldigkeit. Sei es nun, daß derselbe noch sehr unerfahren war oder nie in America Dienst gehabt hatte, wo doch Dampfschiffe schon länger im Betriebe standen; sei es, daß er ob der neuen erstaunlichen Leistung des Menschenwitzes ganz in allerlei verwunderliche und philosophische Gedanken versunken war: genug, er paßte nicht auf. Und das Unglück war geschehen. Eine kleine blonde Schönheit von vier Jahren stürzte in den vollen Graben hinunter, schrie jämmerlich und zappelte ganz entsetzlich mit Armen und Beinen. Das Geschrei riß den Engel aus seinen Betrachtungen, und noch eben zur rechten Zeit vermochte er dem ihm zunächst stehenden Knaben Christian Brüning einen Rippenstoß zu versetzen, den derselbe so gut verstand, daß er klopfenden Herzens die Böschung hinabstürzte, sich in den Graben warf und noch eben früh genug die kleine Alida Bruns auf's Trockene brachte.

Während das erschrockene Mädchen sogleich im nächsten Hause in's Bett gesteckt ward und ihre erkälteten Lebensgeister mit wärmendem Getränk vermuntert wurden, mußte Christian noch erst eine Menge gut gemeinter Lobsprüche ertragen, ehe er aus dem Kreise alter Schiffer und erregter Mütter entlassen ward, und – wahrhaftig, er fühlte sich in seinen nassen Kleidern so ungemütlich, wie's nur einer Katze im Wasser sein kann. »En wackern Boi,« äußerte der Eine, und »Gott schall em vergellen,« die Andre, während sie vor Rührung die Schürze an die Augen brachte; aber nur die weit über achtzig alte Wittwe von Lübke, die sich für die frömmste, rechtlichste und redlichste Person im Dorfe hielt, sagte:

»Mak' gaue to, min Jung, dat Du in de Klappe kummst, und laat Di von Vader sinen Klaren en Lütjen gewen, dat Du Di nich Lief und Seele verküllst. Nahstens kam ik und bä di dat Lied ut'n Gesangbook vor: Danksagung bei Errettung aus besondern Gefahren.«

Der Dampfer war inzwischen verschwunden; nur am Horizont zeigte noch eine häßliche schwarze Wolke seine Spur, eine Wolke, die fortan regelmäßig wiederkehren sollte. Noch tagelang lieferte die ungewöhnliche Erscheinung den Gesprächsstoff in dem an Interessen sonst so armen Dorfe hinterm Deich. Dem säumigen Englein klopfte ein paar Stunden lang das Herz. Konnten nicht die beiden Kinder in schwere Krankheit fallen? Indes, sie waren von höchst gesunder Beschaffenheit; ein paar Stunden Schlafs kurierten sie von allen Folgen des kalten Bades gänzlich. Da bei der demnächstigen Ablösung des kleinen Detachements der himmlischen Heerschaaren in dem Rapport nichts von dem Vorfall erwähnt wurde, so rückte unser beflügelter Freund fröhlich in seine obere Kaserne ein. Nun, er durfte auch vergnügt sein, wie der Verlauf dieser höchst wahrhaftigen kleinen Geschichte zeigen wird.


Christian Brüning war der Sohn des Bootsbauers Lüder Brüning und zur Zeit etwa 12 Jahre alt. Lesen, Schreiben und Rechnen hatte er schon so gut »binnen«, daß der Schulmeister ihm nicht mehr beizubringen wußte. Er ging daher nicht mehr in die Schule, – ein wirklicher Schaden für den Haushalt des Bakulus, weil der Junge stets drei Soden Torf mitzubringen pflegte, wenn andere Kinder sich mit nur einem begnügten. »Nobel mutt man wesen,« sagte Vater Brüning. Und er hatte gut nobel sein, denn Christian war sein einziges Kind und er selbst ein wohlhabender Mann. Dem Pastor gegenüber, im nahen Pfarrdorfe, walteten derartige Pflichten nicht ob, aber doch brachte Christian als freiwillige Gabe für den Katechumen- und Konfirmationsunterricht, welchen er genoß, ein Gericht Speckaale mit, die der Vater, wenn die Zeit darnach war, mittels seiner vielen eichenen Säge- und Hobelspäne so delikat zu räuchern verstand. Auch ohne Hinblick auf die braungoldig glänzenden Aale wäre der Pastor dem aufgeweckten und liebenswürdigen Knaben, dem Treuherzigkeit und Herzensgüte aus den hellbraunen Augen sprachen, zugethan gewesen.

Christian half schon tüchtig mit bei der Bootsbauerei. Er zeigte zu seines Vaters Freude Verständnis und Geschick für die Kunst und hatte ein außerordentlich scharfes Auge, – viel wert damals, wo man das Bauen nach Zeichnung und Modell im Dorfe hinter dem Deiche noch nicht kannte. Wenn der Junge auf dem umgekehrt liegenden Boote auf Kiel und Boden saß, dann war's eine Lust, ihm zuzusehen, wie er mit Sandpapier und Glas so geschickt hantierte, daß der Ruf den die Brüningschen Fahrzeuge als die saubersten genossen, zum Teil auf Rechnung des fixen Jungen geschrieben werden mußte.

Ein Fest war's immer, wenn ein neues Boot an dem stämmigen, mit den Landesfarben schön bemalten Pfahl auf dem Deiche vor dem Hause aus der Werkstatt gewunden und dann in's Wasser gebracht wurde und ein noch größeres, wenn der Vater sagte:

»Chrischan, Wind und Floot paßt, hal Mast und Seil von'n Bähn.«

Wie flink lief der Junge dann die enge Stiege zum Boden hinauf und holte das Verlangte. Nun befestigten Vater und Sohn Mast und Segel in dem neuen Boote und segelten durch die engen Gräben des grünen Vorlandes in den Fluß hinaus und fuhren, von der frischen Brise und dem Strom getrieben, den fernen Türmen der Stadt zu, die bald da bald dort in den vielen Windungen des Stromes erschienen, bis sie endlich ganz nahe vor ihnen lagen.

Zwischen den hohen Wällen und Mauern der Stadt ging leider zu bald der Wind aus, und Vater und Sohn mußten zu den Remen greifen und tüchtig reißen, ehe sie sich durch die Menge Schiffe bis zum »goldenen Anker« hinaufgearbeitet hatten. Dort fanden sie den Capitän oder den Privatmann, welcher die neue Jölle bestellt hatte. Da gab's dann für den Vater die blanken Goldstücke, die er schmunzelnd einsteckte, und für Beide gab's ein Mittagessen derbster und bester Art in der Garküche dem Rathause schräg gegenüber, wo die Friesen aus Stedingen seit alten Zeiten abstiegen. Christian kam das Rathaus mit seinem grünen Kupferdach, mit seinen vielen Erkern und Giebeln, mit dem Kaiser und den Kurfürsten, die auf den Marktplatz mit dem gewaltigen Roland hinunterschauen, wie ein Wunderbau vor. Andächtige Schauer durchrieselten ihn, wenn ihn der Vater durch den kalten, feuchten Kreuzgang, wo mit langem wallenden Haar der steinerne Friesenhäuptling Dedo stand – der Vater sagte, es sei Bolko, der Stedinger, er wußte es nicht besser – in den hohen Dom führte, wo mit mächtigem Brausen die Orgel erklang und ihre majestätischen Töne mischte mit dem feierlichen Geläute der großen Glocke vom alten grauen Turm, der mit seiner häßlichen Haube wie Vaters Stalllaterne aussah.

Und durch die langen, schmalen Straßen mit ihren hohen, seltsam und doch so vornehm ausschauenden Häusern wanderte der alte Brüning mit seinem frischen, frohgemuten Jungen und erzählte ihm in schlichter Weise von jener Zeit, wo hier einst die Fürsten und Ritter, die streitbaren Bischöfe, Priester und Mönche, das fanatisierte Volk, alle wahnerfüllt, sich sammelten zum Kreuzzug wider die vom Papste verfluchten Stedinger.

»Und se hefft se dalsmäten, min Jung,« sagte er, »und achterher de Klocken lüet und usen Herrgott to Ehren sungen. Und et was en grotet Halloh. Aberst de Tiden sünd anners woorn. Dat verfluchte Volk ward in Ehren nennt und de groten Herrn drägt den Fluch in alle Ewigkeit.«

Der Alte schalt noch fort. Christian war's schon gewohnt, – er hatte es von Jugend auf nicht anders gekannt. Denn wenn der Vater auf jenen unseligen Kreuzzug kam, ward er stets heftig und eiferte in seiner Weise gegen Junker und Pfaffen und die übermütigen Stadtherren. Alljährlich ein paar Mal mußte Christian ihm nach dem Kirchhof folgen, dort zu Warfleth, wo, der Sage nach, das ganze tapfere, im Kampfe für seine Freiheit gefallene Volk, Männer, Weiber und Kinder, begraben liegt.

»Vader,« sagte Christian, »laat us na'n Walle hen gahn. Ik mutt den schönen groten Garen (Garten) ens sehn mit dat stille Water, wo de Swaans up swommt.«

»Ja, ja,« entgegnete dieser, noch immer in Gedanken an Bolko von Bardenfleth und seine Stedinger, »Du schaft dat Door sehn, wo se rinräden kamen sünd, de Forsten, de Ritter und de Papen. In't Himmelsdor sünd se nimmer rinkamen. Se stunken to bös von unschullig Blood!«

Die Beiden wanderten am Stadtgraben her unter den hohen Weiden und Eschen, die ihn beschatteten. Christian freute sich über das bunte Gewimmel der kleinen Wasservögel auf dem Gewässer, zwischen denen die Schwäne still, ernst und majestätisch sich bewegten. Die kleinen Kinder, von hübschen Dienstmädchen in kleidsamer Bauerntracht behütet, warfen den Enten und Gänsen Brotstückchen zu und jauchtzen vor Vergnügen, wenn statt derselben ein silbernes mutiges Fischlein sich der Beute bemächtigte. Aus der fernen Gartenwirtschaft, wohin die vornehmen, schön geputzten Damen wandern, tönt Militärmusik herüber.

Vielleicht würden die kriegerischen Weisen den alten Lüder Brüning nochmals auf sein glücklicherweise verlassenes Thema gebracht haben, wenn nicht die lauten Glockenschläge der vielen Turmuhren ihn an die Heimkehr gemahnt hätten.

»Dat sleit all Dree, Chrischan,« murmelte er, »und um Klock Fief is't Hochwater. Wi möt't doch sehn, dat wi en Schipper finnt, de dalwarts an geit und us mit Mast und Seil mitnamen deit. Man gaue to na'n gullnen Anker!«

Unterwegs wurde aber trotz aller Eile noch in einem Brauhaus eingekehrt, da es zu verführerisch nach Hopfen und Malz duftete. Die dralle, schelmische Schenkmagd verabreichte den beiden Stedingern je einen Krug des schäumenden Braunbiers und nahm neben den beiden Groten sichtlich gern die Schmeicheleien des Alten über die »feinen Bremer Deerns« in Empfang. Christian, der wieder Hunger spürte, kaufte sich beim Bäcker ein tüchtiges Grandbrot, just nicht bester Qualität, aber groß für's Geld und obendrein mit Rosinen gespickt. Und dann ging's weiter durch enge Straßen voll kleiner Häuser und Kindergezappel und Kindergeschrei nach dem »goldenen Anker«, dessen Wirt auf Befragen angab, daß außer Schiffer Bruns heut' Abend keiner mehr abfahren werde.

»De ole Twasdriwer!« rief Brüning. »Man god, dat he en weeket Harte hett und en godet, man en bäten widet Gewäten. He awerlett mi ja woll Roer und Seils und sick sulbens den Slap in'r Koje. So kummt he up de beste Wise vorwärts und min Sähn und ik na Hus. Sonst konnen wi beide »dar lur up« spälen.«

Bruns trieb allerdings mit seinem Leichterschiff bald darauf heran und ging vor dem »goldenen Anker« nochmals vor Anker, um seine Klarierung vorzubereiten. Dem Anschein nach hatte er aber keine große Eile, fortzukommen, denn noch war die Luke nicht dicht, geschweige die Ladung ordnungsmäßig gestaut.

»He, Bruns, ahoi!« rief Brüning, indem er aus seinen Händen ein Sprachrohr bildete. »Bruns, mak de Jölle mal los, sett Di d'r nin und so lat se denn in Gottes Namen driven, wenn Du ähr den Kors (Kurs) gewen hest. Fricken oder rojen is Dine Sake ja doch nich. Du nimmst mi mit minen Sähn an Bord und ik help Di dal, dat Din ole Kahn loppt as dat Donnerwär.«

Mit Schneckenlangsamkeit erfüllte Bruns das Verlangen. Brüning warf Segel und Maste in die Jölle, trat mit Christian hinein und sagte dann, den Remen ergreifend: »Gah sitten, Bruns! Verlaat Di ganz up mi.« Mit kräftiger Faust frickte der Bootsbauer am Stern, so daß die Jölle mit ihrem Bug Schaum und Wellen aufwarf und sehr bald Bord an Bord mit dem Leichterfahrzeuge lag. Die beiden Brünings sprangen rasch auf Deck, während Bruns so gemächlich wie möglich auf das Schwert kletterte und an den Wanten sich empor half.

Hinten auf Deck an der Ruderpinne spielte die kleine Alida, die, als sie Christian gewahrte, auf ihn zusprang, vor Freuden jauchzte und an ihm emporkletterte. Er herzte und küßte sie und rief: »Lüttje söte Deern, Du hier an Bord?« Es war eine Freude, die beiden zu sehen, die seitdem sie gemeinschaftlich im Graben gelegen hatten, in dem zärtlichsten Verhältnisse zueinander standen.

»So Bruns, und he, jung Keerl,« rief Brüning dem Schiffer und seinem Jungen zu, »nu fat't mal an, dat de Sake tum Schick kummt. So, een, twee – hupp!« Damit griff er tüchtig zu und half beim Verstauen der Waren und dem Zulegen der Luke. Alles ging so rund und rasch, daß Bruns ganz außer Atem kam und sich wiederholt den Schweiß von der Stirne trocknete. »Man sinnig, sinnig, Lüder,« stöhnte er. »Du arbeitst Di ja de Seel' ut'n Liewe rut. Wi hefft ja Tid.«

»Du hest Tid, aberst ik nich, und de Flood ook nich, Bruns. – Wat nimmst Du ole Döskopp denn die lüttje Deern mit an Bord? Dat kannste nich verantworten. Und wenn't dat Unglucke will und se fallt in't Water, ja, dann seggst Du ook: sinnig, sinnig, und lettst ähr verdrinken, eh'r Du Hand und Foot rögen deist.«

»Dar sorg' Di man nich um, Lüder. De Lüttje geit nich wedder to Water, de is eenmal beleert. Und denn seggt use Moder, ik meen' mine Oolsche, de Kinners hefft ähr Engels bei sick, de jem behöden doht.«

»Na, denn hett se dartomal man en recht dösigen bei sick hard,« warf Brüning lachend ein. »Und wenn min Bengel von Jung nich wesen weer, de ähr ut'n Graben trecken däh, dann weer dar nicks nich mehr to behöden wesen.«

Was mußte sich das arme Englein nicht alles nachsagen lassen! Und doch war ja nur das Dampfschiff schuld daran gewesen, daß es die kleine Alida außer Acht gelassen hatte.

Die klopfte vor lauter Vergnügen in die Hände, als plötzlich das Schiff zu schaukeln und zu schlingern begann.

»De verfluchte Klapperkasten mit den swarten Schosteen,« rief Bruns ärgerlich, »dar holt kin Ankertau, wenn de to bollwarken ankummt.«

»Helpt all nicks nich, Bruns! Du mußtd'r an gewennt weeren. Schaff Di man bäter Tauwark an. De Dampschäpen kamt nich wedder ut'r Welt.«

»Weet de leeve Gott, Lüder,« erwiderte Bruns, »de Freide von de Schipperee is'r von.«

Glücklicherweise hatten Ankertau und Spill gehalten, als das Dampfschiff in voller Fahrt den Leichter passirte, der jetzt soweit fertig war, daß der Anker gelichtet werden konnte, ein Geschäft, welches Bruns und Brüning so eifrig betrieben, daß der Erstere alle Knochen seines mageren Körpers knacken hörte und »sinnig, sinnig, Lüder,« mehr als ein Mal hervorstöhnte.

»So Bruns, nu gah' man to Koje,« sagte Brüning, als der Kahn in Fahrt war, »Du warst woll möe wesen. Nimm den Knecht und de Lüttje ook mit dal. Ik und Chrischan willt den Kahn woll unner Seils bringen und dalstüern, dat du tofrä wesen deist.«

»Ja, denn man to, Lüder. Aberst doh mi purren, wenn Du an'n Dik vor Anker geist. Ik heff dar so 'n bäten Kaffee und Solt for de Oolsche, worvon de Kuntrullörs just nich to wäten brukt.«

»Hä, so bäten smuggeln, Bruns? Wor kummst du framen Mann darto? Weest Du nich, wat in'r Bibel steit?«

»Nicks nich for ungod, Lüder. Wat Du dar seggst, dal hett mi use Herr Pastor ook all faken vorholen. Jedennoch ik bin ook en Schriftgeleerden. Dor steit woll wat von'n Schoß, aberst nicks von Toll und Stüer. Und use Herr Herzog kummt'r ook nich in vor. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist! Nu, den hefft wi ja sid anno Fief (1805) nich mehr.«

»Use Herrgott hett Di in'n Torn tum Schipper makt. En Pape harrst Du weern scholt, Bruns. Aberst, nu dal mit Di. Purren doh ik di to rechten Tid, und wenn Du den Slap ut de Oogen los bist, dann magst Du ja dohn, wat Du nich laten kannst.«

Bruns und Tochter und der Kahnknecht krochen zu Koje. Der Kahn segelte unter der Führung von Brüning und Sohn so rasch und sicher den Strom hinunter, wie er es unter der Leitung seines Eigentümers wohl noch nie gethan hatte.

Gegen Mitternacht fiel der Anker. Bruns wurde mit Mühe geweckt und brachte Alida, die Brünings, nebst Kaffee und Salz, ohne alle Gefährde an Land und sodann sich selbst zurück an Bord, wo er bald von Neuem in tiefen Schlaf versank. Die Fama sagt, daß er seine Reise in gewohnter Langsamkeit, aber ohne allen Unfall vollendet habe.


Wer die stattliche, rotwangige und resolute Mutter Bruns sah, der begriff nicht, wie sie an den langweiligen und überlangsamen Mann geraten war. Eine Liebesheirat ist's auch just nicht gewesen. Sie war die einzige Tochter einer armen Witwe, die im letzten Häuschen des Dorfes sich mit Spinnen kärglich ernährte. Früh schon hatte das blühende Mädchen einen Dienst in der kleinen Hafenstadt angenommen und kam nur selten Sonntags über den Strom, um der alten Mutter ein paar frohe Stunden zu bereiten. Unser Bruns, der Sohn eines ziemlich wohlhabenden Schiffers, in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnhaft, hatte nur eine einzige Leidenschaft in seinem Leben gekannt, und zwar die für das hübsche Mädchen, die Spielgefährtin seiner Kindheit, welches, im Gegensatz zu andern Mädchen, ihm gegenüber stets freundlich und geduldig gewesen war, – wahrlich keine leichte Aufgabe. Um sie anzuhalten, als der Vater den Kahn an ihn abgegeben und sich aufs Altenteil gesetzt hatte, war weniger Entschluß als ein gewisser Instinkt gewesen. Sie hatte ganz entschieden Nein gesagt, als der alte Vater ihr den Sohn antrug; auch als Bruns selbst sie zum zweiten Mal fragte. Der arme Junge aber that ihr leid und seine Beharrlichkeit rührte sie. Sie besaß eine Freundin, mit welcher sie alles teilte. Und der hatte sie gesagt, wie's ihr ums Herz war, und arglos, aber unvorsichtig einst geäußert: »ik mag em eegentlich nich, aberst, wat schall ik dohn? Twee Mal heff ik em aflopen laten. He kann ja ook rikere Deerns as mi hebben. Aberst, wenn he tum drüdden Mal keem, ik weet nich, wat ik däh: ik moßt ja woll den Finger Gottes erkennen.« Die gute Freundin ist entweder nicht verschwiegen gewesen, oder hat gar geglaubt, die Vorsehung spielen zu müssen: Genug, Bruns kam zum dritten Mal, – das Mädchen sagte Ja.

Daß die Ehe eine unglückliche gewesen wäre, kann man aber nicht behaupten. Er war selten zu Hause, und wenn, so überließ er ihr das Regiment vollständig, wobei sich alle Beteiligten am besten standen. »Moder, wat Du seggst und deist, dat is jümmer god. Ik bün mit allens tofrä«, das war der stetige Refrain, wenn sie ihn um etwas fragte. Und da sie sah, wie segensreich ihr Thun war, so wäre es unrecht gewesen, wenn sie irgend etwas von ihrer Herrschaft hätte zum Opfer bringen wollen. Sie zeigte ein immer fröhliches Gesicht und verrichtete alle Arbeit in Haus, Feld und Garten mit heiterer Energie. Von des Vaters Wesen war auf die Tochter Alida garnichts übergegangen. Sie, das Ebenbild der Mutter, galt als allgemeiner Liebling im Dorfe.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß auch ohne jenen freundlichen Engels-Ruck von damals Christian Brüning, der hübscheste Junge im Dorfe, sich für das allerliebste, anmutige Mädchen interessiert haben würde. Er bewies in allen Dingen einen guten Geschmack. Der Vorfall kettete jedoch die Beiden enger aneinander. Und so seltsam es erscheinen mag, Christian suchte fast mehr die Gesellschaft der kleinen Alida, als die seiner Altersgenossen, deren wilde Spiele er mied. Wenn er in seinen Freistunden das Boot bestieg, um zu fischen, dann mußte das Mädchen mit. Und wenn Alida dann auch nicht plaudern durfte, was sie gar zu gerne that, dann wand sie Kränze, oder flocht aus Binsen die niedlichen grünen Körbe, in welchen sie die gefangenen Fische zu Hause brachte. Oder er ruderte Alida hinüber nach dem Hafenstädtchen am jenseitigen Strande, wo er für die Bootsbauerei die vielerlei Utensilien einzukaufen hatte. Dort zeigte er ihr die Seeschiffe im Hafen und die großen Dreimaster im Bau bei dem reichen Zimmerbaas, für den der Vater so viele Böte lieferte. Der alte Herr mit der ungewöhnlich langen Nase, die er so schätzte, daß er sie auch auf seine Nachkommen vererbte, gleicherweise wie seine hellen, freundlichen Augen, war immer so spaßig, wenn er unser kleines Paar sah und erging sich in lustigen Redensarten über »Junge und Deern«. Heuerbaas Wilms, zu gleicher Zeit auch Fährpächter, der auf seinen Reisen einst die Garonne berührt und einige französische Phrasen mitgebracht hatte, zeigte der » petite belle voisine« die tausenderlei Raritäten, mit welchen er Haus und Schänkstube schmückte und beschenkte sie mit den bunten Bildern aus alten Modejournalen, die er für ein billiges von dem Trödler des Ortes zu erstehen pflegte. Und da auch der Krämer, außer Theer, Pech und Werkzeugen, den Kindern für die Reise noch einigen süßen Proviant mitzugeben pflegte, so fuhren sie wohlgemut und vergnügt zum heimischen Strande zurück und kletterten über den hohen Deich den kleinen trauten Häusern zu, wo sie das Mittagsmahl oder ein Trunk der süßen, fetten Milch von den blanken schwarz-weißen Kühen erwartet, die jenseits des breiten Grabens, der die kleinen Gemüsegärten von der Weide scheidet, grasen.

Der Deich! Ja, wenn der nicht wäre, dann flöße bei Flut alles Wasser in das Land und dann gäbe es auch keinen Blick in die Ferne hinaus. Der Deich ist die hohe Warte, von welcher sich dem Marschenbewohner die weite, weite Welt zeigt. Alles strebt dem Deiche zu, unter welchem her auch die Wege von einem Ort zum andern laufen. Am Deiche steht die Windmühle, die fast unablässig ihre Flügel dreht; ganz still ist's selten so nahe der Seeküste. Am Deiche, auf der Südseite, blühen die Malven und die duftigen weißen Winden, um welche die Bienen und Hummeln schwirren. Am Deiche stehen die hohen Bäume, auch die große alte Ulme, unter deren Schatten der Seiler sein Rad dreht, von deren Zweigen im Frühling die Drossel so hell und lebensfroh in die Welt hinaus pfeift.

Oben auf der Kappe des Deiches im Grase, dessen verschiedenartige Blütenrispen der neckische Wind ihnen beinahe bis an die Wangen schlägt, sitzen Christian und Alida. Der Junge schnitzt an einem Schiffchen, dessen Heck schon der Name ziert, den seine kleine »Deern« trägt. Sie ist fleißig an einem derben, wollenen Strumpfe beschäftigt, denn Mutter sagt: »Deerns möt jümmer wat in und umm'r Hand hebben, – flitig Rögen bringt Segen.« Beide schauen ab und an von ihrer Beschäftigung auf und lassen ihre Blicke schweifen über das weite grüne Land, wo die geköpften Weidenstämme den gewundenen Lauf des kleinen Binnenflusses andeuten, an dessen Ufern unter Obstbäumen das ferne Dorf mit seinem roten Kirchturm und die Höfe der »dicken« Bauern liegen. Dort hinten ist das Moor, das kalte, unheimliche schwarze Land, das bei jedem Tritte, den man auf ihm thut, zittert; wo das feine Laub der weißstämmigen Birken wie ein Schleier im Winde weht. Und dann kommt die Heide mit ihren roten, weißen und violetten Blumen, den so unscheinbaren und doch so vornehmen Blüten der Erica, auf deren Kelchen sich der Perlmutterfalter und der kleine hellblaue Schmetterling schaukeln. Ganz in der Ferne der Höhenzug ist die Geest, wo die Tannen und Föhren wachsen und die großen Buchen und Eichen im Walde stehen, auf welchen die Reiher horsten. Da wachsen auch die dunkelblauen Heidelbeeren und die roten Kronsbeeren, die wie Korallen im dunkeln Grün leuchten.

Christian und Alida sind in emsigem Geplauder. Ihre Augen glänzen und ihre Mienen sprechen von Freude, denn morgen vor Tagesanbruch fahren die Frauen und jungen Mädchen des Dorfes zu Wald, um jene süße Frucht, die so schöne Schnurrbärte und schwarze Mundhöhlen und Zähne schafft, zu ernten. »Junge und Deern« dürfen dabei sein.

Noch ist nächsten Tages die Sonne längst nicht aufgegangen, als es schon in den Häusern hinterm Deich lebendig wird und die niedern Thüren sich öffnen, um die fröhlichen Waldfahrer zu entlassen. Der Thau liegt noch auf Feldern und Wiesen, durch die sich der Weg windet. Freunde und Freundinnen halten sich zusammen. Auch Christian und Alida wandern gemeinsam. Jedes schleppt einen großen Korb, der etwas Proviant und einen Trunk Milch birgt. Es ist eine lustige Gesellschaft, die zu Walde zieht. Unter Scherzen und Singen vergeht der ziemlich weite und nicht unbeschwerliche Weg. Nicht lange nach Sonnenaufgang ist die Geest erreicht, wo im Schatten der ersten Bäume Rast gehalten wird. Das traurige Moor, die gesegnete Marsch liegen in weiter, breiter Fläche zu Füßen; in der klaren Luft ist das heimatliche Dorf am Deich und darüber hinaus das hohe Ufer des Flusses mit den rotdachigen Ortschaften und zahlreichen Kirchtürmen und Windmühlen deutlich zu sehen.

Jetzt trennen sich die verschiedenen Abteilungen der Wanderer, von denen die einen rechts, die andern links in den Wald gehen. Fröhliches Jauchzen erschallt bald hier, bald dort, wenn irgend ein ergiebiges Heidelbeerenfeld gefunden ist, oder wenn der Boden leuchtet von dem Feuerrot der aromatischen Erdbeeren.

Welch ein Wald! In abenteuerlichen Gestalten, gespenstig fast anzuschauen, sind die Stämme der Hainbuchen emporgewachsen. An lichten Stellen blühen die zarten Blumen im Sonnenschein. Mächtige Baumriesen, Eichen, deren Alter ein Jahrtausend übersteigt, überschatten weite grüne Plätze, auf welchen die Waldfahrer lagern und voll Staunen und Ehrfurcht nach den gewaltigen Stämmen und weitverzweigten Kronen blicken. In der Ferne huschen Rehe vorüber und äugen neugierig nach den Kindern, deren helle Schürzen jetzt vom Heidelbeersafte arg befleckt sind, deren kleine Mäulchen schreckenerregend schwarz aussehen. Trotz allem Schmausen füllen sich auch die Körbe rasch mit der süßen, blauen Frucht, die mit Farrenkräutern sogleich vor Staub und Sonnenbrand bewahrt wird. Ein Glück, daß zwei große Leiterwagen mitgefahren sind, von denen einer die vollen Körbe und der andere etwa müde Seelen bei der Heimkehr, die erst spät Abends angetreten wird, aufnimmt. Ein süßer Schlaf im Vaterhause schließt die Waldfahrt. Und in den Gedanken der Schläfer werden die Spiele im Walde weitergesponnen. Die Knaben haschen die Mädchen, die sie gern haben. Wie ist's mit Christian und Alida? Ein Lächeln spielt in ihren Zügen.

Der Sommer vergeht, und der Herbst kommt mit seinen duftigen Tagen. Die schweren Wagen mit der Namahd schwanken von den Wiesen über die schlechten Wege ins Dorf hinein. Hoch oben sitzen die Kinder und schwingen gleich den Alten die Forke, mit welcher sie das duftige Heu in die Bodenluke werfen. Störche und Schwalben sind schon südwärts gezogen. Gewaltige Stürme verkünden den Anbruch der rauhen Jahreszeit. Die Fluten brausen höher als gewöhnlich auf und überschwemmen zeitweise das ganze Außendeichsland. Vom Nordlande sind die wilden Enten und Gänse gekommen. Bei Tagesanbruch, wenn der Nebel aufsteigt, knallen die Büchsen der Jäger, welche ihnen nachstellen. Die bunten Helgoländer Schaluppen, die schnellsegelnden Norderneyer, die häßlichen Ever von der Elbe mit ihrem stumpfen Pfahlmast und dem großen roten Segel, bringen Schellfische und Schollen zu Markte nach der großen Stadt.

Dann rückt der Winter heran. Der Strom treibt Eisschollen, die sich bald zusammenschieben und ihn in Fesseln schlagen. Der Schnee rieselt und weht in großen Schwaden über den Deich, häuft sich um die Häuser zu hohen Mauern zusammen. Dann ist's so traulich drinnen. Die Frauen spinnen, die Männer stricken und flicken Netze, auch Vater Bruns, dessen Kahn im Hafen in Winterlage ist. Dann erzählt er so langsam und langstielig die alten Geschichten von seinen Reisen auf dem Strome, daß es der drallen Frau oft zu viel wird: »Schost man uphören, Vader, wi wät't all, wat Du seggen wullt,« sagt sie dann. »Smiet de Koie (Kühe) man dat Fudder von'n Bähn. Dat steit Di bäter an. Laat mi doch nich noch de Forke rögen möten, wenn Du in büst.« Und der gute Bruns geht und besorgt den Auftrag just so langsam und sinnig, wie er auf der Weser zu fahren pflegt.

Alida kehrt mit rotem Gesicht, mit so kalten Händen und Füßen, daß das Weinen ihr näher als das Lachen ist, von der Schule zurück. Ein heißer Bratapfel läßt sie die ausgestandenen Qualen bald vergessen. Nachmittags arbeitet sie sich fröhlich durch den Schnee nach Brünings Hause hin, wo Christian mit dem Vater emsig an dem großen Boote für den Schiffsagenten in der Hafenstadt arbeitet. Man nennt es ein Kaperboot, weil es schon draußen bei der Bremer Baake die einsegelnden Schiffe für den Makler zu kapern hat. Vater Brüning macht stets ein freundliches Gesicht, wenn er Alida sieht, Mutter Brüning weiß ihr immer eine kleine Freude zu machen. Sie nennt sie nicht anders, als »ähre lüttje lewe Dochter«. Christian hat, wenn es Abend wird und der Thranküsel in der Stube brennt, nicht sehr viel Zeit. Er muß eifrig im Katechismus lernen, denn zu Ostern soll er konfirmiert werden. Und dann will er auf See wie alle Jungens im Dorfe, – die Welt muß er ja sehen und kann später noch immer die väterliche Bootsbauerei übernehmen.

Es ist jetzt sehr bequem nach der kleinen Hafenstadt zu kommen. Eine gerade Straße führt über das Eis. Nachts muß man eine Laterne mitnehmen, damit man nicht in die Löcher gerät, welche die Fischer in das Eis gehauen haben, in welchen sie den Neunaugen nachstellen, die auch in ganzen Schaaren in die Netze gehen. An den Ufern rechts und links ist glattes Eis, auf welchem Schlittschuh gelaufen wird. Die Städter kommen auf dem Nebenfluß heruntergerast und suchen dann binnen deichs die freundliche Residenz des Herzogs zu erreichen. Alida sieht sich die Sache vom Deiche aus an und muß sich begnügen, im Kälberschlitten von Christian gefahren zu werden. Das »Jagen« auf Schlittschuhen ist für Mädchen – Gott Lof, sagen die Mütter, – noch keine Mode.

Die Freude ist kurz: Schnee und Eis nehmen bald ein Ende. Es wird warm, Regengüsse fallen, das Wasser im Flusse wächst an und sprengt bei Spring- und Sturmflut die Eisdecke. Wie lang und bang ist die Nacht! Die Leute laufen mit brennenden Laternen auf der Kappe des Deiches hin und her und schleppen Sandsäcke an bedrohte Stellen, wo das Wasser überlaufen will oder ein plötzlich hervorbrechender Wasserstrahl die Gefahr eines Durchbruchs befürchten läßt. Aber der liebe Gott hält seine gnädige Hand über »Damm und Diken«. Die Wasser fallen, doch noch lange verkünden die dicken, übereinander geschobenen Eisschollen am Deiche, in welcher Gefahr das tiefgelegene Land geschwebt hat.

Ostern kommt. Die Konfirmierten gehen zum erstenmale zum Tisch des Herrn. Auch Christian im blauen Schifferzeuge mit den goldenen Knöpfen. Alida sieht ihm stolz nach: es ist ja ihr Junge! Wie gern hätte sie ihm ein Sträußchen ins Knopfloch gesteckt. Aber es war kein Brauch und es blüheten auch noch keine Blumen am Deich. Bei dem Festkaffee am Nachmittage im Brüning'schen Hause durfte sie nicht fehlen. Man feiert ja das Abschiedsfest. Christian soll nächsten Tages an Bord gehen, um seine erste Reise anzutreten.

Vater Brüning hat ihn dann mit der eigenen Jölle hinübergefahren und Schiffskiste und Kleidersack auf den Dampfschiffsanleger gebracht. Der Dampfer kommt den Fluß herab. Ein Matrose zieht die Schiffsglocke, welche hoch oben am Schornstein befestigt ist, so mächtig, daß das Eisenrohr erzittert. Der Steg schiebt sich bald vom Anleger an Bord, und Kisten und Kasten, Matrosen, Jungens und Kapitäne bewegen sich hinüber. Wenn alles fertig ist, ruft der alte Weißbart vom Radkasten: »Hal dat Steg up!«; dann bückt er sich und ruft in die Maschine hinunter: »Langsam vorut!« Die Schaufelräder bewegen sich, das Dampfschiff dreht in den Strom und macht Fortgang. Dann erheben die am Ufer gebliebenen Männer, die Väter, Brüder und Freunde der Abreisenden, ein dreimaliges hepp, hepp, hurrah, welches die an Bord ebenso erwidern. Der Dampfer geht mit voller Kraft und zieht, schäumende Wellen aufwerfend, seine Straße. Jan Maat an Bord trinkt gerührt einen Bittern.

Drüben aber am Deich stehen die Frauen, Bräute und Schwestern und schwenken ihre Tücher, – manche vergebens, ohne einen Gegengruß zu empfangen. Auch Alida steht dort und weint bitterlich. Christian hat's zum Glück nicht bemerkt, denn er sieht zu, wohin man seine Sachen gestaut hat. Vater Brüning hatte ja gesagt: »Kiek gliks na, wo dat God bläwen is, dat allens in Ordnung togeit.«


Das Dampfschiff, welches so oft schon die Bevölkerung des Dorfes in Aufregung versetzt hatte, richtete eines Tages ein Unglück an, welches nicht allein dort, sondern sogar in der großen Stadt ein paar Tage lang den Gesprächsstoff bildete.

In dem engen Fahrwasser des Stromes kreuzte Bruns mit seinem Kahn stromabwärts, als ihm das Dampfschiff entgegenkam. Wer nun die Schuld hatte, ob der Schiffer oder das schlecht manövrierende Fahrzeug desselben, ob an Bord des Dampfers die Leute nicht aufgepaßt hatten, oder ob die Maschine, wie zuweilen in den Zeiten der ersten Liebe der Fall war, ihre Mucken hatte und nicht parieren wollte, genug: eine Kollision war da. Bruns hatte genug zu arbeiten, den Kahn noch eben vor dem Sinken auf den Strand zu setzen. Glücklicherweise war keine Ladung an Bord. »So'n verfluchten Qualmkasten,« schimpfte er, »dat is ja rein as of de Satan sin Speelwark hett. En ehrlichen, christlichen Fahrensmann kann nich mit Sinnigkeit und Säkerheit sinen Kors seilen, wenn so 'n Spektakeldings antobrusen kummt.«

Man brachte das übel zugerichtete Fahrzeug nach der Werft, wo der alte Baas mit der langen Nase nach der Besichtigung sein graues Haupt schüttelte und sagte: »Bruns, dar hett he godet Füerholt, wenn he 't gehörig drögen lett. Wenn he wedder up'n Fahrtüg stahn will, mutt he sick en nöet boen laten. Ein Driddel will'k'r in stahn laten.« Bruns kratzte sich hinter die Ohren, fuhr nach Hause und fragte seine Frau: »Wat deist Du'r to seggen, Moder?« Die antwortete: »Vader, bliev an'n Lanne und nähr' Di redlich, dat heet, wenn Du mi in Hus und Hof helpen wullt. Mit de Deern alleen weer'k nich klar.« Bruns schüttelte den Kopf und sagte: »Jedennoch.« »Ik verstahe Di, Vader,« antwortete die Frau, »Du kannst ja mal mit den Herrn, wo Du jümmer for fahren deist, snacken und tohören, wat de darto meent.«

Bruns setzte sich also eines Tages auf den feindseligen Dampfer und fuhr nach der Stadt. Von einer Klage hatte man ihm allgemein abgeraten. »Um ut'r Stäe to kamen,« sagte er dem Kapitän als er seine Passage entrichtete, »is so'n Ding, as wi ünner de Föte hefft, ganz god. Man mi hett't ufn Wege brocht und minen olen goden Kahn ook.« »Dor tröst he sick man awer, Bruns,« antwortete der Kapitän. »Sine oole Backeltrog weer nicks nich mehr wert. Freu he sick, dat de ole verrottete Kasten en ehrlich Enne namen hett. He kummt so am besten to'n nöen.« Der Kaufmann, welchen er um Geld zum Neubau bat, lächelte und sagte: »Bruns, gew he dat Fahren up, he paßt nich for de nöe Tid. He hett sick ja ook wat verdeent und Haus und Hof schuldenfree. Dor kamt noch mehr Dampschäpen, – he weer sines Lebens nich mehr säker und de Assecranz konn ook nich ruhig slapen.« »Dat heff ik ook all dacht,« antwortete Bruns, »jedennoch, ik woll aberst doch mal fragt hebben. Moder meende dat ook. Ik bedanke mi ook. Adjüs Herr!« »Adjüs Bruns! Wenn he mal wedder na'r Stadt kummt, denn spräk he mal vor.«

Bruns nahm im »goldenen Anker« Abschied von der Welt Getriebe und fuhr mit Gelegenheit heim. Im Grunde seines Herzens freute er sich, aufs Trockene gesetzt zu sein. Und wirklich, das nasse Element paßte auch nicht recht für den alten dürren Burschen.

So tründelte er denn jetzt zu Hause herum und machte die ihm von Gott verliehenen Kräfte nutzbar. Viel wirkte er freilich nicht, aber er nahm sich doch auch, allerdings gegen den Willen seiner Frau, der Bildung von Alida an, indem er ihr von der großen Stadt, den feinen Herren und Damen und von den schönen Predigten im Dom, die so viel schöner seien, als die des Herrn Pastors im Dorf, erzählte. »O, so schön predigt de in'n Dom, dat man'r blot de Bibelstäen von beholen kann. Jedennoch …«

»Wat settst Du de Deern in'n Kopp, Vader? Scham Di, und dann mak' usen Herrn Pastor nich slecht. Du weest ja, Alida ward to Ostern kunfirmeert,« mahnte die Frau.

»Na, Moder,« entgegnete Bruns, »ik meen et god. Ik wis' ähr all'n bäten torecht. Denn deenen schall se ja doch in'r Stadt. Aberst dat Du mi nich na de annern Karken geist, Alida. Du büst luthersch und schast dat unverfälschte Gotteswoord in'n Dom hören. De annern sind all Renegaten. Docter Nicolai hett seggt und dat he luthersch bliwen woll. Jedennoch!«

»Laat doch den dummen Snack, Vader.

Det arme Kind versteit r' ja nicks nich von. Jedennoch, mit dat Deenen hest Du recht. Ik will mi aberst sulbens die Sake annehmen. Du konnst 'r wat in versehn. Du hest kine Nagedanken.«

Sie nahm sich der Sache an und brachte ihre Alida in der Stadt in Dienst und zwar bei guten Bürgersleuten. Die vornehmen Häuser hätten ihr nicht gepaßt, weil Alida dort, ihrer Meinung nach, in allerlei Weitläuftigkeiten geraten wäre, die für ihre Zukunft, welche sie nur im Dorfe am Deich sich vorstellen konnte, eitel seien. »Tucht und Sitte hett se bi mi leert, ook all en bäten Anstelligkeit,« sagte die Mutter der ehrbaren Frau Meisterin, bei welcher sie sie untergebracht hatte. »Se schall deenen leeren, dat se achterher, wenn de Riege an ähr kumet, ook dat Kummandeeren versteit. Und wat dat Karkengahen anbedrapen deit, so nehm en Se ähr mit, wo Se sulbens hengahen doht. Und wenn't ook in de renegatschen Karken (sie meint die reformierten) is.«

Als Christian, jetzt ein stattlicher Matrose, von einer Reise heimkehrte und wie gewohnt, zuerst bei Bruns vorsprach, war er höchst erstaunt, die Alten allein anzutreffen, nicht aber das blühende Mädchen, welches ihm so oft schon den Willkommengruß geboten hatte.

»Je, Chrischan,« sagte Bruns lächelnd, »de Dampboot und denn Moder und ick … na, Du weest ja woll … junge Lüde! Jedennoch: Du geist woll bald wedder weg? Hest Du all en Hür?«

»Ach watt, Hür! Man sinnig, Vader Bruns. Ik bliw an'n Lanne und will leeren. Neegste Wäke gah ik 'nup.« »Dor is 't aberst en dür' Plaster darboven. Du schost man na Elsfleth gahn, use Navigation is just so god es de dor gunnen.«

»De ole Slaukopp,« dachte Christian. »He will mi von de Deern weghebben. Jk doh em den Gefallen nich … Jk gah na Bremen, Vader Bruns!«

»So? Denn mit Gott, jedennoch … use Moder …«

Bruns sprach mit seiner Frau, die ziemlich erregt wurde. Sie überlegte sich die Sache ein paar Tage lang und fuhr dann, wie sie meinte, als guter Engel ihrer Tochter, nach der Stadt. Dort redete sie mit der Herrschaft von Alida ein paar Worte. Man gab der ehrlichen Frau recht und entgegnete, daß man eine Freierei durchaus nicht leiden werde. Indessen hielten sie es doch für Alida besser, wenn sie mit heimkehre. Man wolle sie ihres Dienstes entlassen.

Das Mädchen erstaunte sehr ob des mütterlichen Besuches und noch mehr ob der mütterlichen Absicht. Der eigentliche Grund wurde ihr nicht verraten. Die Mutter sagte ihr nur, daß ihre Hülfe zu Hause nicht zu entbehren sei, der Vater sei so schwach, daß er nicht viel anzugreifen vermöge.

Als Christian nach Bremen zur Steuermannsschule ging, kehrte Alida ins Dorf zurück. Wenn er sein Mädchen sehen und sprechen wollte, dann mußte er sie in der Heimat aufsuchen, was denn auch jeden Sonntag geschah. In den Weg legten ihm Alidas Eltern nichts; der Verkehr der beiden Liebenden war so innig und ungezwungen wie früher.

»Wi freit'r us awer, Moder,« sagte Bruns. »Aberst, wi hefft jem doch unner Oogen.«

»Ja, Vader,« entgegnete sie, »et is bäter so. Junge Lüde sind junge Lüde, und denn – junge Lüde in'r Stadt! Nä, dat harr nich doggd.«

Christian befaßte sich in Bremen nicht nur mit Mathematik und Observation an Sonne, Mond und Sternen, wie das in sein Fach schlug, sondern, wenn er mit den Büchern unterm Arm durch die Straßen ging, dann observierte er noch besonders die Läden der Goldschmiede. Er beabsichtigte nicht nur, zwei Ringe zu bestellen, er wollte auch Alida zur Verlobung mit einem hübschen Schmuck beschenken. Im Blicke auf das Geschmeide war er etwas wählerisch. Kaum war ihm eines schön genug, – doch kam der leidige Geldpunkt in Frage, denn das »Lernen« kostete ihm mehr als er erwartet hatte. Wenngleich er auch die Ringe, in die er die Buchstaben C. B. und A. B. graviren lassen wollte, fest bestellte, so vermochte er doch wegen des Geschmeides nicht zum Entschluß zu kommen. »Bewahren Se 't up, wenn't jichtens möglich is,« bat er den Goldschmied. »Neegste Wäke is Examen, und wenn ik mit Gottes Hulpe dörkame, denn kann ik ja sehn, wat ik dohe.«

Die Tage des Examens waren nicht leicht. Man stellte den braven Blaujacken verzweifelt verwickelte Fragen und gab ihnen Berechnungen auf, die oft garnicht stimmen wollten und den wiederholten Gebrauch des Schwamms auf den Schiefertafeln notwendig machten. Das Facit war aber endlich doch richtig. Vater Brüning hatte dem Sohne den Rat gegeben, sich ja nicht verblüffen zu lassen: »Besinn' Di lange, min Sähn,« sagte er, »und wenn Du die Antwort klar hest, denn platz'r frisch mit rut, und wenn di dat Hochdütsch nich ansteit, denn snack as di de Snabel wussen is. Mit 'n goden Mund vull Plattdütsch kummt man in Bremen jümmer am besten dör und de Herren freit 'r sick awer.« Christian gab frische und freie Antworten, kurz und kräftig in untadeligem Hoch-, und nur als er sich ein Mal verhaspelte, brachte er den Satz in Plattdeutsch zu Ende, worüber die Examinatoren zufrieden lächelten. Er, wie die sämtlichen andern Navigationsschüler, kamen mit Ehren durch, Christian mit dem besten Zeugnis.

In gehobener Stimmung packte er seine Sachen zusammen, – noch am Nachmittag wollte er in die Heimat reisen. Vorher aber holte er die Ringe vom Goldschmied, legte fünf

blanke Louis'dor auf den Tisch und sagte: »Packen Se man bat, wat ik utsocht hebbe, in 'r Schachtel. De leewe Gott hett hulpen. Et kann'r up stahn.«

Gegen Abend fliegen sowohl vor Brünnings als auch vor Bruns Hause die Staatsflaggen an den hohen Stangen in die Höhe. Christian war mit freudestrahlendem Angesicht über den Deich gestiegen. Die Eltern, festlich angethan, erwarteten ihn in der Hausthür und reichten ihm bewegt die Hände. In der besten Stube stand schon Kaffee und Kuchen bereit auf dem weiß gedeckten Tische. Der Sohn mußte alle Ereignisse des Examens haarklein erzählen und in seinen Büchern dem Vater die mathematischen Figuren erklären. Der schüttelte sein Haupt und sagte: »Wat hört 'r doch up Stunns allens to! Use Olen sünd ook awer See kamen sunder Bökerweisheit. So gaue as nu hett't aberst nich gahn, doch is 't woll bäter nu. In minen olen Kopp würd' de Quark nich mehr 'ningahn. Nu itt und drink, min Sähn, und verhal Di. De Sake hett Di doch en bäten angräpen.« »Ja, lang to, Chrischan,« setzte die Mutter hinzu, »mak, dat Du wedder rode Backen kriggst, Du sühst ut as Melk und Stuten.«

Hätten die beiden Alten eine Stunde später den Sohn mit Alida auf dem Deiche wandern sehen, dort wo 's einsam ist und keine Häuser mehr stehen, dort, wo der große Kolk mit dem rauschenden Schilf und den gelben und weißen Wasserrosen ist, dann würden sie ihr helles Wunder geschaut haben. Leuchtenden Auges und mit geröteten Wangen blickte er das schlanke schöne Mädchen an, welches ihm freundlich zulächelte. Das Paar setzte sich in das weiche Gras an ein verborgenes Plätzchen, wo die Spierstaude duftete und die Vergißmeinnicht zu den Füßen blüheten. Viel sprachen die beiden nicht miteinander, aber sie sahen sich so glücklich an, daß ein Englein vom Himmel sich von ganzem Herzen freute. Es war dasselbe, welches damals – wir wissen's ja noch – so zerstreut war. Sein Tagewerk ging zu Ende, da die Kinder am Deich fast alle schon zu Bette gebracht waren. Neugierig blieb es und sah, wie Christian ein Schächtelchen aus der Tasche zog, es öffnete und zwei goldene Ringe aus dem weißen Seidenpapier wickelte. Er steckte den kleinen seiner Alida an den Finger und bat sie, ihm den gleichen Dienst mit dem größeren zu leisten. Sie nahm ihn, betrachtete ihn schelmisch, ließ das blanke Gold in den Strahlen der untergehenden Sonne blitzen und warf den Ring in die Höhe, um ihn wieder aufzufangen. Aber er rollte ins hohe Gras und würde in den Kolk gefallen sein, wenn nicht unser kleiner himmlischer Freund den Fuß vorgesetzt und ihn an eine lichte Stelle im Grase geschleudert hätte, wo er rotgolden aufblitzte. Christian ergriff ihn und sagte: »Mit so wat schall man nich speelen, Alida. God, dat wi den Ring wedder hefft. Gott laat us nich to Swaret beleewen. Ick furchte …«

Sie küßte ihm die Worte vom Munde und steckte ihm den Ring an. Was sie ihm sagte, hat Niemand gehört. Es war so leis und so traut. Das Englein aber schaute die glücklichen Menschenkinder an und sagte bei sich:

»Um die ist mir nicht bange. Die bleiben sich treu in Zeit und Ewigkeit. Gott segne sie.«

Dasselbe dachten auch die Eltern in den niedern Häusern hinter dem Deich, als Christian und Alida sich als förmlich Verlobte vorstellten. »Gott segne jem,« sagten auch sie mit Thränen der Freude in den Augen.


In den nächsten Tagen benutzte bei eintretender Fluth Christian oft die Jölle des Vaters, um nach dem Hafenstädtchen hinüber zu rudern, wo er an dem Hause von Heuerbaas Wilms landete, mit welchem er in dessen Schänkstube beim Gläschen Cognac gar eifrig verhandelte. Es galt einer Heuer als Untersteuermann auf einem neuen Bremer Dreimaster, der an der Werft lag, um seine letzte Ausrüstung zu empfangen. Endlich war die Sache abgemacht, als der Capitän von der Stadt heruntergekommen war, um der endlichen Vollendung des Schiffes einen energischen Anstoß zu geben. Mit derben Handschlage besiegelte derselbe das Engagement des wackern Stedingers, dem er befahl, sich recht bald an Bord zu begeben.

Christian kehrte mit eintretender Ebbe sehr vergnügt heim. Die Folge war, daß am nächsten Tage der Schuster in's Haus kam, der die alten Seestiefel reparirte und ein Paar neue dazu verfertigte. Auch die Schneiderin saß am Tische in der Wohnstube, flickte und strickte, und fabrizirte ebenfalls neues Zeug aus dicken blauen Coating. Mutter Brüning veranstaltete eine große Wäsche. Des Sohnes Ausrüstung flatterte an den Leinen im Garten und verschwand bald in der Kiste, die Vater Brüning eigenhändig mit schönem Bremer Grün neu färbte. Auf der innern Seite des Deckels jedoch fand er nichts zu thun: der stolze Dreimaster, den Christian mit lebhaften Farben dorthin gemalt hatte, bedurfte keiner Renovirung.

Als am Sonntage die Glocke der Kirche läutete, ging Christian in das kleine Gotteshaus, wo er in innigem Gebet sich und Alida dem Herrn befahl. Niemand fand es auffällig, daß er nach dem Gottesdienste Arm in Arm mit ihr über den Deich ging. Er begleitete sie in das Haus ihrer Eltern, um Abschied zu nehmen.

Bruns freute sich über die günstige Heuer und versprach dem künftigen Schwiegersohne eine gute Reise. Mutter Bruns bewegte sich nur noch in Gedanken an Alidas Aussteuer. Christian mußte die aufgespeicherten Leinenvorräthe in der alten, geschnitzten Truhe, der von den Vorfahren auf späte Enkel vererbten, bewundern. Daß nach seiner Heimkehr die Hochzeit sein sollte, ward ausgemacht, wie auch, daß das junge Paar zunächst bei den Brauteltern wohnen werde.

»Hol di hart, min Sähn,« sagte Bruns, als er Christians Hand ergriff.

Die Mutter vermochte kaum die Thränen zu verbergen:

»Gott segne Di und behöde Di, Chrischan, he segne Dinen Utgang und Ingang,« war ihr Abschiedswort.

Die Brautleute machten gegen Abend noch einen langen Spaziergang über den Deich. Was sie miteinander geredet haben, darüber hat nie Jemand von ihnen gesprochen. Viel wird's jedenfalls nicht gewesen sein, denn beide waren Kinder ihres Volksstammes, dem viele Worte und lebhafte Gefühlsäußerung nicht eigen sind. Nichtsdestoweniger wohnte in ihrem Herzen die volle Wonne des Liebeslenzes und der feste Wille, einander glücklich zu machen. Christian zog das Schächtelchen hervor mit dem Schmuck, welchen er in Bremen erstanden hatte. Er legte ihn der schönen Braut um mit den Worten:

»Denk an mi, Alida, wenn Du em Sonndags andeist.«

Sie nahm das leuchtende Granatgeschmeide mit verschämten Mienen und leisen Dankesworten an.

Die Abendschatten lagen schon über Land und Strom, golden ging die Sonne zur Rüste und verklärte die Angesichter des stattlichen Paares. Alidas Augen leuchteten in feuchten Glanze, als das Abschiedswort erklang. Christian schied mit der Zuversicht eines Mannes, der fest auf Gott und sich selbst vertraut.

»De Tid geit gau vorbi, min söte Deern,« sagte er. »Behol mi leef und bä for mi … Nä, nä, kine Thranen, Alida. Hol di goot, min Hartensleef.« …

... Wieder standen auf dem Deich die Leute und sahen gegenüber das Dampfschiff abfahren. Manche winkten mit den Tüchern, denn viele Stedinger Matrosen waren an Bord, die sich mit ihren Effekten auf die unterhalb im Strome ankernden Schiffe begeben wollten. Auch Alida schwenkte ihr weißes Tuch. Wehmüthig und weich, war sie dennoch nicht verzagt, – lebte sie doch der fröhlichen und festen Zuversicht kommender schöner Tage. Aber ihre Thränen vermochte sie doch nicht zu verbergen und schämte sich ihrer auch nicht. Ihre Mutter ließ sie erst ruhig gewähren, rief sie dann aber, weil die alte Lütke, nun schon neunzigzährig, gekommen war, um auch ihr Theil von der Aussteuer abzubekommen. Ihrer schwachen Augen wegen konnte sie nur noch spinnen und nahm von der Braut mit vielen Worten die weiße Wolle zu Strümpfen entgegen.

»Ik bin en rechtliche und rendliche Fro,« sagte sie. »Se brukt de Wull nich to wägen und krigt se to witt as de leeve Unschuld wedder.«

Die Lütkesche, eine Wittwe, deren Mann und alle ihre Söhne auf See geblieben waren, ist die Patriarchin im Dorfe. Alle unterstützen sie gern und vergeben ihr auch, daß sie sich gern einen zu frommen Anschein giebt. Stets liegt in ihrem saubern Stübchen neben der Kaffeekanne das Gesangbuch aufgeschlagen und das große Augenglas dabei, an jener Stelle, wo von dem ehrlichen und rechtlichen Lebenswandel die Rede ist. Wenn der Herr Pastor in das Filialdorf kommt, dann steht sie gewiß mit gefalteten Händen, die beste Haube auf dem Kopfe, in der Hausthür und ist glücklich, wenn er ihr zuspricht. Er weiß es, daß sie auf alle seine Fragen und Worte nur die eine Antwort giebt: »Ik bin en rechtliche Fro, Herr Pastor.« »Dormit kummt Se nich in den Himmel, Lütkesche,« erwidert er lächelnd, »tro Se up wat anners und les' Se ähren Katekismus noch mal dör«. »De Schrift is mi to fin,« entgegnete sie, »ik doh mi an't Gesangbook erquicken, dor steit et dicker in.« »Nehmen Se't nich for ungod, Herr Pastor,« warf eine Nachbarin ein, »Se is all von't Oller anbroken. Se will'r man nicks nich von wäten.«

Nun, wie die Wittwe von Lütke so wurden auch manche Andere mit Arbeiten für den Brautschatz von Alida beschäftigt. Die Besorgung desselben half ihr über die Zeit der Trennung und des Wartens auf Christians Brief hinweg, in welchem er ihr seine glückliche Ankunft in Newyork anzeigte.


»Dar is en godet Stück Geld for ähr to verdeenen,« bemerkte Heuerbaas Wilms der Frau, welche die Seeberichte in die Häuser der Fahrensleute in der Umgegend zu bringen pflegte. »Laat Se sick gau awersetten und loop Se wat Se loopen kann na Bruns und Brünings. De »Senator« is in'n Kanal. Alida kann den Kostbidder utschicken. Bald kann't Hochtid gewen. Klar is Se ja mit allens.«

Wilms bewies sich als Menschenkenner. Nicht allein Bruns und Brüning rückten mit einem blanken Thaler bei der Nachricht heraus, auch Alida drückte der Frau noch ein hübsches Silberstück in die Hand. Roth war sie bei der sie so nahe berührenden Botschaft freilich geworden. Sie öffnete, als sie allein war, ihre Kisten und Truhen und freute sich des feinen und weißen Leinens, der schönen Wäsche. Den leuchtenden Granatschmuck legte sie an und während sie ein fröhliches Lied summte, strickte sie gar eifrig mit der von der Lütkeschen so fein gesponnenen Wolle. Mutter Bruns warf prüfende und berechnende Blicke auf die Schinken, Speckseiten und Würste im Wiem, und der Vater schrieb langsam aber deutlich an einer Liste der einzuladenden Hochzeitsgäste, die er nach endlicher Vollendung Frau und Tochter zur Begutachtung vorlegte, welche beide sie ganz vollständig fanden.

Der hübscheste Jüngling der Verwandtschaft wurde zum Hochzeitsbitter bestimmt. Er sollte seine Wanderung antreten, sobald Christian wieder zu Hause sei. Schon jetzt aber, wo letzterer noch auf der See schwankte, wurde ihm eingeknotet, sich auf dem Ehrengange ja mit Trinken in acht zu nehmen, damit er nicht steuerlos werde und zum allgemeinen Ergötzen hin- und hergiere.

Leider wurde dem guten Jungen nicht allzu lange Zeit gegönnt, sich in seinen Grundsätzen durch allerlei gutes Vornehmen zu befestigen oder seine Fähigkeiten im Kurshalten zu prüfen, denn schon sehr bald fuhr Vater Brüning mit gerechtem Stolze den Sohn von dem Dampfschiff-Anleger in der Jölle an den Stedinger Deich. Da gerade Ebbe war, so saßen zum Glück die Leute in ihren Häusern, sonst würde sich um den Wagen, der Christians Sachen lud, ein Haufe Neugieriger gesammelt haben. Der Anblick wäre auch sehenswerth gewesen, weil außer vielen Kisten und Kasten auch manche hübsche Gegenstände für den künftigen Haushalt, unter welchem ein halbes Dutzend bunter Amerikanischer Besen hervorragte, die kleine Wagenladung zu einer ungewöhnlichen machten.

Der junge Steuermann sah prächtig aus: bräunlich und schön wie David; die blauen Augen sprachen von Kraft, Gesundheit und Glück. Nachdem er der Mutter die Hand gedrückt hatte, zog er den Rock aus und setzte sich an den Tisch, um in altgewohnter Weise zuzulangen. Nach der üblichen Frage: »wo hett't gahn, Chrischan?« und nach möglichst kurzer Erzählung seiner Erlebnisse, stand er auf, zog den Rock wieder an und nahm seinen Hut. Mutter Brüning suchte ihn zurückzuhalten, aber der Vater bedeutete sie: »Laat man, Moder. Junge Lüde möt wat de loopen hebben. Alida wurd em schön putzen, wenn he nich gliks mal raberkeek. Weest du noch, wo ik't dortomal maken dä? Na, et is all an gode Riege Jahre her. Darum, seggt Gottes Woord, wird der Mensch Vater und Mutter verlassen …«

»Du hest recht, Lüder, jümmer recht, aberst mit Bibelstäen bemeng Di man leever nich de staht di nich recht an. Kiek, dor geit he hen. Seß Milen Fahrt, es du to seggen pleggst. Wat is't en feinen Jungen! Und wat se is, se steit ook fast up de Beene und hett en godes Zifferblatt. De Beiden sünd dat feinste Paar an'n Dik.«

»Us beiden utgenommen, Moder«, warf Brüning ein.

»Wat Du doch jümmer to snacken hest, Lüder. Wi sünd all gris und grau und Din Straak up Stürbordsid is ook nich mehr tum besten.«

Wenn nicht der Bursche hereingekommen wäre, und um Sandpapier zum Abscheuern der neuen Jölle zu fordern, dann hätten die beiden Alten ihre gegenseitigen Schmeicheleien wohl noch weiter fortgesetzt. Fürchte aber Niemand, daß Zank und Streit das Ende gewesen wäre. Alle gegenseitigen Anzapfungen lösten sich stets in herzliches Lachen auf.

Obgleich Vater Bruns dem kräftigen Schwiegersohn so herzlich wie möglich gesagt hatte: »welkamen Christian, gah sitten,« so konnte er doch nicht verhindern, daß selbiger nach flüchtiger aber ehrerbietiger Begrüßung der Schwiegereltern Alida an die Thür zu manöveriren suchte, und mit dem Mädchen verschwand.

In der Geisblattlaube am Hause, neben dem hohen Hollunderstrauch, saß das glückliche Paar, innig aneinander geschmiegt. Wenn Christian die Braut an sich drückte, dann erröthete sie und sah verschämt vor sich nieder. Was er ihr in das Ohr flüsterte, was sie ihm erwiderte, hat Niemand gehört, geht auch Keinen etwas an. Nur der neugierige Gesell, der Spötter im Hollunderbusch, hat gelauscht und plaudert aus den Zweigen von »söte, lewe Deern« und »beste Hartensjung.«


Der Hochzeitstag ist da.

Wahrhaftig, da steht sie schon in der Thür des Hauses, die alte Lübke. Sie hat ihr bestes schwarzes Zeug angelegt. Daß sie eine sehr »rendliche« Frau ist, beweisen die schneeweiße Haube, die gleiche Schürze und das mit feiner weißer Spitze gezierte Brusttuch. Die Hände hat sie nicht gefaltet, denn heute braucht sie dem Herrn Pastor nicht die gewöhnliche Reverenz zu bezeugen, sie verschwindet in der Menge der Gläubigen. Der Hochzeitbitter hat sie nicht vergessen. Eine abschlägige Antwort wäre ihr unmöglich gewesen. Freilich mußte er trocknen Mundes abziehen, aber ein Band hat er doch auch für Stock und Hut erhalten. Es ist nur ein graues; eine andere Farbe zu geben hätte die alte Wittfrau nicht für passend gehalten …

... Aber, aber! Was thut nicht die Macht der Gewohnheit! Als der altmodige Stuhlwagen, in welchem der geistliche Würdenträger sitzt, um die Ecke biegt, da kann sie's doch nicht lassen, sie legt ihr Gesicht in die gewohnten freundlich frommen Mienen und geht mit gefalteten Händen in das Wirthshaus, wo das Hochzeitsfest stattfinden soll, weil die Räume in Alidas Elternhause nicht ausreichen.

»He kummt!«, geht's durch die Reihen der an langen Tafeln sitzenden und fröhlich Kaffee trinkenden und Kuchen schmausenden Gäste. Alle schaaren sich nun mit feierlichen Gesichtern im Kreise um den auf der Diele stehenden kleinen, weißgedeckten Tisch, auf welchem zwei Kerzen in silbernen Leuchtern brennen. Die Brautführer verfügen sich nach Bruns Hause, über dessen Thür der große, mit bunten und goldenen Papierstreifen gezierte Kranz prangt, das Brautpaar abzuholen. Währenddeß nimmt der Brautvater den Pastor in Empfang und geleitet ihn in die beste Stube, wo er tapfer Kaffee trinken muß. Der Wagen bleibt an der Hausthür halten. Die aufwartende Frau reicht mit passendem Anstand – bei Begräbnissen weiß sie die Trauer ebenso würdig zu vertreten, natürlich mit dem entsprechenden Gesichtsausdruck – dem Kutscher die übliche Bewirthung.

Jetzt erschallt Musik. Die musikalischen Bootsbauer an der Spitze des Zuges blasen einen Marsch. Der Zug erreicht das Haus. Die Brautleute stellen sich vor den kleinen Traualtar, hinter welchen der Geistliche tritt. Er spricht kurz und kräftig. Aber dennoch hat wohl weder Christian noch Alida viel von seiner Rede behalten. Nur die Textesworte sind ihnen tief in die Herzen gedrungen: Nun aber bleibet, Glaube, Hoffnung, Liebe; diese drei; aber die Liebe ist die Größeste unter ihnen.

Der Pastor hat die Ringe gewechselt, die Hände ineinander gelegt und Amen gesagt. Das Paar empfängt die Segenswünsche des Pastors, der Eltern, Verwandten und Freunde. Worte werden nicht viele gemacht, aber der warme und derbe Druck der Hand thut kund, daß die Leute es treu meinen. Nachdem Ehrwürden den Talar abgelegt hat, bringt er mit einigen Worten, indem er das ihm dargebotene Glas Wein ergreift, das Wohl der Neuvermählten aus. Dann besteigt er seinen Wagen und fährt wieder von dannen.

In den Stuben ist das hochzeitliche Mahl bereitet, und je nach Rang und Verwandtschaft wird die Gesellschaft vertheilt. Es geht lustig her. Man macht sogar den Versuch, zu singen. Aber: Frisia non cantat, oder auf Platt: dat geit man slecht! Als es dunkelt, wird die große Diele erleuchtet. Die Musikanten stellen sich auf einen Tisch an der Wand und spielen zum Tanze auf. Jeder will und muß mit der jungen Frau tanzen. Sie hat einen anstrengenden Abend und freut sich als endlich der Kehraus geblasen wird. Die Musikanten schreiten wieder an der Spitze des nur aus jungen Leuten bestehenden Zuges, da die Alten nicht nur aus Gründen der Bequemlichkeit, hinter den dampfenden Groggläsern sitzen bleiben. Unter fröhlichen Weisen und harmlosen Scherzen wird das Paar in der stillen Mondnacht nach seiner Heimstätte begleitet.

Einige Wochen stiller Sammlung, unaussprechlichen Glückes folgen. Christian und Alida sind ineinander beseligt. Sie verlassen sich kaum auf Schritt und Tritt. Das blühende Weib begleitet ihn auch hinüber auf seinen Wegen zum Heuerbaas, der ihm verschiedene Heuern vorschlägt, eine so gut wie die andere, so daß die Wahl ihm schwer wird. Endlich nimmt er an für eine Reise nach einem Hafen Nordamerikas und weiter, auf der Barke »Melusina«. Alida muß nun fleißig nähen und waschen, denn schon in acht Tagen soll Christian anmustern und dann bald an Bord gehen.

Allzu rasch fliegen die Tage dahin. Beiden wird die bevorstehende Abreise furchtbar schwer, allein, sie klagen und zagen nicht. Bringt es doch Christians Beruf mit sich, hinaus zu müssen. Und Alida weiß, daß das Loos einer Schifferfrau ist, warten, bangen und sehnen zu müssen; sie weiß, daß auch auf der wilden See ihr Liebster in Gottes Hand ist, und daß, wohin ihn auch Wind und Wellen verschlagen werden, er ihr Treue hält.

Die Freundschaft und Verwandtschaft kommt, um Christian noch ein Mal die Hand zu drücken. Auch die Lübkesche erscheint.

»Moder Lübke, Se kummt do mi?« fragt Christian. »Ik harr ähr ja nich vergäten.«

»Mine olen Beene drägt mi noch so jichtens, Chrischan. Man mutt in Gange bliwen. Gifft man sick erst to, denn hett man dat Speel verloren und kann sick up't Letzte strecken. Wenn ehr schallt' denn losgehn, Chrischan?«

»Morgen fröh, Moder Lübke.«

»Na, denn hol di hart, min Jung, und seil mit Rechtlichkeit und unner Gottes Segen. Ik will for di bäen und mi Alida ook annehmen, – so'n Olsche as ik, de weet von allens Bescheed. Dine und ähre Moder in Ehren, aberst, Se sünd Kinners gegen mi.«

»Dat is dankenswerth, Moder Lübke. Ik hape, ik seh ähr noch wedder, wenn ik wedder binnen kame, so de Reise nich allto lange wahrt.«

»Wat denkst Du denn, Chrischan!« rief die Alte, »Du wullt mi woll unner die Ere hebben und mi bearben? Nä, dar hett en Ule säten. Ik bin erst vier und nägentig old, und up hunnert bring ik't mit Gottes Hulpe ganz lichtfarig. Nä, nä, min Jung, Di seh ik noch wedder, ehr ik vorbikame (sterbe). Und wat dat Arbe anbedrapen deit, dor sünd noch annere Lüde neeger to as Du, und denn, väl mehr as min Dodenhemd und de Platz uppen Karkhoff is nich min eegen.«

»Nu, denn up fröhlich Weddersehen, Moder von Lübke. Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden.«

»So schallt wesen, Chrischan. Nu, denn adjüs ook!«

Damit schob die ehrliche Alte, wohl etwas steif, aber noch gerade und aufrecht, zur Thür hinaus und wanderte langsam, aber doch festen Schrittes ihrer Hütte zu.

Der letzte Abend mit den Eltern Bruns bei Brünings war ein wehmüthiger. Das Gespräch stockte oft. Christians Vater mußte allen seinen Humor zusammen nehmen, um die kleine Gesellschaft nicht in gänzliches Stillschweigen dahinsinken zu lassen. Vater Bruns war noch wortkarger als gewöhnlich und wurde erst dann etwas lebhafter als gewöhnlich, wenn er auf sein Lieblingsthema kam und seinem Zorn gegen die Erfindung der Dampfschiffe Ausdruck geben konnte. Trotzdem aber erklärte er sich bereit, am nächsten Morgen dem Schwiegersohne das Geleit nach dem verhaßten »Qualmkasten« zu geben. Mutter Bruns, die allein auf die Anspielungen Brünings eingegangen war, stieß endlich ihren Alten an und sprach:

»Et ward Tid, Vader. Wi möt't fröh to Gange. De jungen Lüde hefft sick ook woll noch wat to seggen.«

Sie hatte so unrecht nicht.

Lange konnten Christian und Alida den Schlaf nicht finden.

»Ik woll, ik harr Flögel, Chrischan,« sagte sie, »denn woll ik nich von Di wiken. Ik woll Di bewahren, as de leeven Engels de Kinner doht, und jümmer, wenn Du sleepst, flusterte ik Di denn wat Sötet und Leevet in de Ohren, dat Du lachen und Di freien schollst.«

»Du bist mi mehr as en Engel, Du bist min leeve söte Deern. Ik weet, Du bist mit mi mit alle Dine Gedanken und Gebeten. Wie wüllt allens usen Herrgott befehlen. De ward mi behöden und bewahren und Di hegen und plegen, dat ik Di gesund und fröhlich weddersehe. Nu wes' still und dröm von schöne, lustige Saken. Ik mutt slapen.«

Sie schlief noch, als er am frühen Morgen erwachte. Ein holdes Lächeln lag auf ihren Zügen. Er küßte sie, um sie zu ermuntern. Aber, sie schlief fort. Da zog er sich leise an, betrachtete sie nochmals mit herzlichem Behagen und that dann sachte die Thür auf. Er konnte sich nicht entschließen, ihr den heiligen Schlaf zu stören. Sie kam so über den Schmerz des Losreißens hinweg.

Erst als sie vom andern Ufer her das Läuten des Dampfschiffs hörte, fuhr sie von dem Lager empor. Vergebens rief sie, suchte sie ihren Christian. Rasch zog sie sich an und stürzte weinend nach dem Deiche. Wie schnitt ihr das dreimalige Hurrah, der Abschiedsgruß der Scheidenden, in das Herz! Sie schwenkte ihr Tuch in der Luft und sah, wie Christian noch lange mit dem Hute oben vom Radkasten ihr zuwinkte.

Nun war sie allein. Sie warf sich in die Arbeit mit aller ihrer Kraft und hegte und pflegte im Herzen das wunderbare Blümlein Hoffnung.


Die »Melusina« hatte keine rasche, aber doch eine gute Reise nach Newyork. Briefe fand Christian nicht vor, da es dem Packetschiffe von Liverpool nicht anders ergangen war. Das Entladen währte ziemlich lange, das Beladen für eine Zwischenreise nach Westindien nicht viel kürzer. Er schrieb an sein theures Weib fern in Europa in dem kleinen Hause hinter dem Deiche und sprach hoffnungsvoll von der Heimkehr nach Verlauf einiger Monate. Die Reise dauerte aber viel länger als er erwartet hatte. Nach der endlichen Rückkunft der »Melusina« in Newyork empfing er die heißersehnten Briefe von Alida, gleich drei auf ein Mal. Er öffnete sie mit Hast und las sie mit Freuden, obgleich sie nur kurz waren. Der Schluß des letzten deutete ein Geheimniß an, dessen Erwähnung ihn erröthen und sein Herz vor Stolz und Wonne schwellen ließ. Seine Sehnsucht, bald heimzukommen, wurde immer heißer, aber die Hoffnung täuschte, da der Capitän eine Charter annahm, die leicht das Schiff Jahre lang von Europa fern halten konnte: die »Melusina« sollte in der Südsee von einem Hafen zum andern kreuzen. Mit blutendem Herzen schrieb er an Alida und befahl sie und ihr gemeinsames Glück dem Schutze des allmächtigen und gnädigen Vaters im Himmel, in dem festen Glauben, doch in nicht allzulanger Zeit das heilige Wunder mit seinen Augen schauen und auf seinen Armen tragen zu können.

Wir lassen das junge Weib in der Obhut Gottes und in der Fürsorge ihrer Mutter und der alten Lübke und geleiten den Gatten auf seiner Reise über die weite wilde See.

Günstige Gelegenheit brachte die »Melusina« in verhältnißmäßig kurzer Zeit bis an das Cap Horn, wo sie heftige Gegenwinde, eine rauhe See und furchtbar regnigtes und kaltes Wetter traf. Wochenlang hatte das wackere Schiff zu kreuzen; Mannschaften und Offiziere mußten hart arbeiten, ehe es gelang, den Stillen Ocean zu erreichen. Dort fand man besseres Wetter vor, – eine Erholung für die fast erschöpften Leute. Mit vollem Zeuge lief die Bark in der frischen Brise vorwärts und langte dann bald in Callao an. Von dortaus gab Christian noch wieder Nachricht nach Hause; auch zeigten die Agenten des Rheders den Abgang der »Melusina« nach seinem nächsten Bestimmungshafen an.

Das waren die letzten Nachrichten.

Bald nachher rasten heftige Stürme über den Ocean, die das Schiff erfaßten, es hin- und herschleuderten und weit aus seinem Kurse brachten. Es näherte sich immer mehr jenen gefährlichen Regionen, wo tausende von Riffen unter dem Wasser liegen oder als kleine Inseln sich über dasselbe erheben. Die Aufregung an Bord war groß. Was in menschlicher Macht stand, eine Katastrophe zu vermeiden, wurde gethan. Indessen war die »Melusina« in der wilden Wasserwüste der Gewalt der Elemente preisgegeben und vollends hülflos, als das Steuerruder brach. Ein Nothruder anzubringen, daran war wegen des schlechten Wetters nicht zu denken. Da ergriff Verzweiflung die Mannschaft, die sich dem sichern Verderben geweiht sah. Auch Capitän und Steuermann mußten unthätig dem sichtlich nahenden Unheil entgegensehen. Hülfe war nur noch bei der Barmherzigkeit Gottes. Auf den Knien flehten alle um Aufhören des Rasens der entfesselten Elemente.

Ein tiefes Weh ergriff Christian. Der sonst so frohe, frische Mann trug die Spuren von Seelenpein und großer Herzensangst nur zu deutlich in seinen Zügen. Die hellen blauen Augen sind umflort und die Thränen fließen ihm in den wilden Bart, wenn er seiner Alida daheim gedenkt. Aus ist's mit Glück und Liebe und Hoffnung, sie versinken mit ihm in die tiefe See. Kein Wiedersehen ist möglich. Ein furchtbarer Schmerz durchwühlt ihm die Seele, in immer dunklere Nacht versinkt sein Leben. Tod, – Tod hier, Jammer über Jammer dort am fernen Weserstrande. O, die Gedanken sind nicht zu ertragen. Nur im Gebete findet er Ruhe und Frieden. Aber sein tiefes Weh, ganz kann er's nicht verwinden.

Noch rast der Sturm mit ungebrochener Kraft. Tages über scheint die Sonne nicht, und in der Nacht leuchtet kein Mond. Kein Sternenglanz durchbricht den schwarzen Wolkenschleier. Finsterniß allüberall! Der Gischt der See, die brüllend und kochend zu gewaltigen Wogen sich aufthürmt, schlägt über das Schiff dahin; unheimlich brausend und pfeifend fährt der Wind durch das Takelwerk. Eine schaurige Todtenmusik! …

... Da, – es erfolgt ein Stoß. Ein Angstschrei ertönt. Die Masten neigen sich. Das Schiff berstet auseinander. Die Wellen stürzen und wüthen darüber hin. Grausig spielen sie mit den Trümmern, mit den Leichen der Ertrunkenen und ziehen sie hinab in das große Grab, das auch einst, wie das große Todtenfeld, die Erde, die Todten wiedergeben soll …

... Die »Melusina« ist auf einem Korallenriff gescheitert und mit Mann und Maus untergegangen …


Der Sturm hat sich etwas gelegt, aber noch donnern die Wellen schäumend auf den Strand des kleinen Eilandes; noch biegen sich die schlanken Stämme der Cocospalmen vor der Wucht des Windes: noch rasen die grauen Wolken am Himmel dahin, – eine grausige, wilde Jagd. Aber doch dringt schon hin und wieder ein Sonnenstrahl durch und scheint auf den starren Körper eines Mannes, der ziemlich hoch auf den weißen Sand hinaufgeschwemmt ist. Kreischende Seevögel umkreisen ihn neugierig und fliegen ängstlich davon, als der Körper anfängt, sich zu regen. Mühsam richtet sich der Mann auf, führt die Hände langsam an die Augen, um sie zu reiben, und sieht dann erstaunt, wie aus tiefen Schlafe erwachend, umher. Er versucht, sich zu erheben, aber er vermag es nicht, denn er ist wie gelähmt. Ein brennender Durst quält ihn. Ein paar Schritte hinter sich sieht er einen Wassertümpel. Mit Mühe kriecht er hin. O, es ist süßes Wasser! Er netzt seine lechzende Zunge, er kühlt die brennenden Augen. Aber noch immer starrt er vor sich hin, es ist, als ob er nur instinktiv handele, nur halb bei Bewußtsein sei. Allmählig, nach Stunden erst, kehrt dasselbe zurück, auch die Kraft der Erinnerung. Er weiß wieder, was mit ihm vorgegangen ist. Ängstlich suchen seine Augen. Aber er findet weder das Schiff noch seine Gefährten. Er ist allein. Nur Trümmer, einige Spieren, Segel und Taue bedecken den Strand. Wie lange er in Ohnmacht gelegen hat? Er hat keine Ahnung davon.

Soll er Gott für seine Rettung danken? Er thut es. Aber was weiter? Er will nicht verzweifeln, und doch könnte er rasend werden, wenn er sich seine Lage klar macht. Allein, allein, mitten im Ocean, ohne Aussicht auf Rettung. Und fern, fern, unerreichbar alles, was ihm lieb, was ihm theuer ist, die Heimat, sein Weib sein – Kind. Gott sendet ihm eine Erquickung: er kann weinen. Er weint sich aus, wie er als Kind bei der Mutter that, wenn er Schmerz und Leid erfahren hatte. Er wird ruhig. Er arbeitet sich noch höher vom Strande hinweg, dorthin, wo sichtlich die Brandung noch nie ihr Spiel getrieben hatte. Da, unter den Cocospalmen, sinkt er wieder dahin und in tiefen, sanften Schlaf zurück, aus welchem er gestärkt erwacht. Einige Cocosnüsse gewähren ihm Nahrung.

Tage vergehen, ehe er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Die alte Energie kehrt zurück. Er rafft am Strande zusammen, was ihm nützlich zu sein scheint von den Trümmern der »Melusina«. Aus den Segeln und Spieren baut er sich ein Zelt, er richtet mit unendlicher Mühe eine Rae als Flaggenmast auf, – ein Stück Segeltuch muß als Signal dienen. Glücklicherweise ist auch eine Zimmermannskiste, die einiges Werkzeug enthält, angetrieben. Er vermag, sich zu beschäftigen und sein Loos so erträglich zu gestalten, als es ohne Feuer, ohne andere Nahrung als Cocosnüsse, Schalthiere und Eier, die er am Strande sucht, möglich ist.

Von ganzem Herzen dankt er Gott, daß er ihm die Gnade der Arbeit gewährt hat. Monate lang hat er zu thun, um sich einzurichten. Wie manche Stunde kann er arbeitend verbringen, die er sonst hätte verträumen oder, von bangen Gedanken gequält, hätte durchleben müssen.

Ängstlich schaut er von den höchsten Punkte der Insel, wo die Signalstange steht, nach vorübersegelnden Schiffen aus. Aber kein Segel ist zu erspähen. Feuerzeichen in der Nacht vermag er nicht zu geben.

Aus Tagen werden Monate, aus den Monaten Jahre. Hitze und Kälte, Sturm und Stille wechseln ab, aber die Lage des armen Schiffbrüchigen bleibt unverändert. Er hofft und glaubt. Doch quälen auch trübe und schwere Gedanken den Unglücklichen. Was muß er sich als vernünftiger Mann sagen? Die »Melusina« ist verschollen, keine Kunde von ihm wird je Europa erreichen. Alida ist allein mit dem Kinde, wenn Gott es ihr gegeben und erhalten hat. Sie ist ein junges schönes Weib. Welcher Schmerz durchzuckt ihn? Er sieht seine Todeserklärung gedruckt vor sich in seinen Visionen. Ein anderer wirbt um die vermeintliche Wittwe und – sie … Nein, er kann nicht weiter denken. Dann fällt ihm der Spruch ein: Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größeste unter ihnen. Nun, das Schreckliche kann und wird nicht geschehen. Sie bleibt ihm treu. Er sieht das Blitzen der Sonne in dem goldenen Ringe an seinem Finger, und dieselbe Sonne spiegelt sich auch in dem Ringe, welchen er ihr gegeben hat. Und doch, die Gedanken lassen sich nicht verjagen. O, welche Qual!

– Das Engelein, welches einst nicht aufgepaßt hatte am Stedinger Deich und die kleine Alida in den Fluthgraben hatte fallen lassen, hat wieder 'mal Dienst in demselben Revier erhalten. Aber es findet sich, daß des Kindes Mutter, zu welchem es befohlen ist, so treu und lieb ist, und es mehr als ihren Augapfel hütet, daß unser Englein überflüssig erscheint. Es erhält daher aus der himmlischen Kanzlei eine andere Bestimmungsordre zugestellt, die es weit über Land und See führt. Da passirt es auch den Stillen Ocean und sieht auf der öden Sandinsel den Mann mit struppigem Haar und wildem Bart, der friedlich schläft und an dessen Ringfinger es einen goldenen Reifen entdeckt. Neugierig, wie der kleine lustige Patron ist, schwebt er hernieder und erkennt seinen guten alten Freund Christian, dessen Eingreifen ihn damals vor schwerer Strafe bewahrt hat, dem er deshalb so dankbar ist. Mit seinen rosigen Fingern rührt der Engel des Schlafenden Augen. Nun vermögen sie, geistig zu schauen. Er sieht liebliche Bilder, fern, fern am Strande der Weser am Deiche. Er lächelt so selig. Der Engel rührt ihn nochmals an. Da lacht er hell auf. Die alte Lübke erscheint ihm in alter Rüstigkeit und Rechtlichkeit. Sie steht neben Alida. »Je,« sagt sie, »ik bün'r noch und he is'r ook noch. Laat Di nicks nich ansnacken, Alida. He kummt ens wedder. In minen langen, rechtlichen Lebenswandel heff ik all veel beleevt. Giff mi man Wull to Strumpe for em. Wenn he kummt, ward he god afräten wesen.« Und dann sah Christian seine Eltern, o, so grau geworden. Der Husten, welcher den Vater früher zu Zeiten plagte, war schlimmer geworden und die Mutter antwortete wie das Echo. Der alte Bruns war noch just so dämlich wie je; die Schwiegermutter will ihn aufrütteln, aber es gelingt ihr noch immer nicht. Der Herr Pastor besucht die Schafe seiner Heerde im Dorfe. Die alte Lübke steht mit gefalteten Händen in der Hausthür. Sie klagt dem Seelenhirten, der ihr zuspricht, über die Beschwerden des Alters. Aber sie weist den ihr zugedachten Spruch des ehrwürdigen Herren zurück und sagt: »Ick bin noch längst nich an't Afreisen, Herr Pastor.« Der Spruch des Pastors lautete: Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Die Worte klingen über Land und Meer zu Christian herüber. Er verwahrt und bewegt sie im Herzen, sagt sie leise und laut her. Die Cocospalmen rauschen eine geheimnißvolle Melodie, die Wogen am Strande begleiten sie tönend, und in Christians Herzen ist Heimweh, aber seliges. Eine innere Stimme sagt ihm: Du wirst nach Hause kommen.

Kein Segel aber erscheint am Horizont. Jahre vergehen. Silberfäden ziehen schon durch Bart und Haar des noch so jungen und doch so hart geprüften Mannes.


Und am Deich des stillen Weserstromes, wie ist's dort?

Das Leben in den kleinen Hütten spielt sich ab wie es stets gewesen ist. Geburt und Tod, Wiedersehen und Abschied wechseln, Furcht und Hoffnung lösen sich ab, wie Fluth und Ebbe, die alten und ewig neuen Erscheinungen.

Alida, die junge Frau, wartete fröhlichen Herzens der Wiederkehr ihres Christians. Daß die »Melusina« von Newyork nicht direct zurückkehrt, verursacht ihr wegen der getäuschten Erwartung schwere Stunden und Tage. Aber, sie kommt darüber hinweg, weil sie süße Sorgen und emsig zu arbeiten hat, – für ein kleines Wesen, das bald sie gänzlich in Anspruch nehmen will. Es erscheint in der Gestalt eines hübschen Mägdleins, aus dessen Augen ihr der Vater entgegenleuchtet. Schwer wird's Alida, das Kind in der Abwesenheit Christians taufen lassen zu müssen. Doch muß es sein und sie schreitet allein mit ihrem Kleinod zur Kirche und nennt die Kleine Christine. Wie freut sie sich der Zeit, wo sie dem Vater wird entgegeneilen und ihm die liebliche Gottesgabe auf ihren Armen triumphirend wird zeigen können. Eltern und Schwiegereltern theilen ihr Glück, und wenn sie das Kind an die Sonne auf den Deich trägt, dann wird die hübsche kleine »Deern« von Alt und Jung bewundert und der Vater glücklich gepriesen, der mit ihr überrascht werden soll.

Von Callao war der letzte Brief Christians datirt. Seitdem fehlen alle weiteren Nachrichten von ihm und dem Schiffe. Zunächst tröstete man die ängstlich werdende Alida mit einer ungewöhnlich langen Reise der »Melusina«, wie sie in dem Palmengürtel des Pacific ab und zu vorzukommen pflegt. Als aber Monat auf Monat verging, als über ein Jahr vorbei ist, ohne jegliche Kunde von dem Schiffe, da schütteln die abgetakelten Capitäne und Matrosen am Deich und in dem Hafenstädtchen gegenüber bedenklich die grauen Häupter und sprechen das verhängnißvolle Wort »verschollen« aus.

Das arme junge Weib ward stiller und stiller und welkte sichtlich dahin. Alida war zu verständig, um nicht einzusehen, daß das Ausbleiben jeglicher Nachricht von der »Melusina« Bedenken erregen mußte, je länger, desto ernstlicher. Aber Christian verloren zu geben, das vermochte sie dennoch nicht, selbst nicht, als schon weit über ein Jahr seit der letzten Nachricht verstrichen war. Die Frau des Capitäns trug schon Trauerkleider, aber Alida wollte nicht davon hören.

»Und se deit recht daran«, sagte die alte Lübke. »Wat heff ik seggt.« Ik bün 'r ja noch und so lang draf se hapen. He lewt ook noch und ward ook wederkamen. De Lüde seggt woll, dat ik riklich old bün, den Propheten te spälen. Aberst ik weet, wat ik weet und globe, wat ik hape.«

Die Eltern und Schwiegereltern theilten die Zuversicht der alten Lübke nicht, auch nicht Heuerbaas Wilms im Fährhause drüben, den Alida jetzt oft aufsuchte, öfter als ihm lieb war, denn Trost vermochte er ihr nicht zu spenden und hohle Worte liebte er nicht.

»Dar kummt se all wedder«, sagte er zu dem Hafenmeister, mit welchem er auf der Kaje auf- und abging, als er Alida im Fährschiff entdeckte, »de arme Brünings deit mi von Harten leed. Ik kann ähr doch nich jümmer wat vorsnacken. Et weddersteit mi. Und doch mag ik ähr de letzte Hapnung noch nicht nehmen. Ik will man na Hus gahn. Dar liggt wat up'n Disch, wat ähr schockiren konn'.

»Ward woll wedder so'n openbaren Narrenkram sin, wo Du nich von laten kannst, Wilms,« erwiderte der Hafenmeister, während Wilms welcher zu seiner kurzen Schifferjacke einen hohen blanken Cylinderhut trug, was ihm ein seltsames Aussehen gab, in sein Haus trat. Dort verschloß er schnell in einen Kasten die kostbarste Seltenheit, welche er besaß: den Negerschädel, aus dessen harter Hirnschale er bei festlicher Gelegenheit trank, wie er vorgab. Man glaubte es ihm aber nicht. Die Weiber, welche am Hafen Fische verkauften, urtheilten über die Sache: »He is twarst en eegen Kauz und anners as annere Lüde, aberst for so'n Barbar holt wir em doch nich.«

Noch eben genug Zeit fand Wilms, auch die Zeitungen, welche einige Schiffbrüche besprachen, an die Seiten zu kramen und sich an den Schenktisch zu stellen, wo er aus vier Bittern den fünften in einer großen Flasche mischte, ehe Alida in die Gaststube trat. Sie setzte sich, nachdem sie freundlich aber ernst gegrüßt hatte, ohne besondere Einladung auf die rothe Bank hinter dem Tisch, auf welchem die Mappe und das Tintenfaß mit der Feder stets bereit war, weil hier Wilms die Adressen auf die Briefe schrieb, welche ihm die Seemannsfrauen für ihre fernen Männer brachten. Wie gern hätte auch Alida die Gefälligkeit des freundlichen Mannes in Anspruch genommen. So aber wiederholte sie nur ihre schon so oft vergeblich gestellte Frage:

»Noch nicks nich von mienen Mann, Herr Hürbaas?«

»Leider nich, beste Fro Brünings. Dat Harte deit mi weh, aberst ik mutt et seggen, maken Se sick gefaßt, dat he wegblifft. De Spoor von't Schipp is totalement verlaren. Da kummt nicks nich wedder von, – nä, nä!«

»Dat weet ik,« erwiderte sie, dat de Spoor verlaren is. Ik bün en vernunftiget Froensminsch. Aberst mine Hapnungen gew ik nich up. Kann min Mann denn nich noch leeven? Kann de leeve Gott em nich erholen hebben?«

»Leider is so wat nich antonemen, lüttje beste Brünings. De »Melusina« is woll mit Mann und Maus verlaren. Dat moste mit en Wunner to gahn, wenn na so lange Tid noch wedder wat tum Vorschin keem. Impossible!«

»Und dennoch is't nich unmögelk. Dar is ja all af und an so wat passeert. Min Chrischan kummt ook noch wedder, ik weet et. Unverhofft kummt oft.«

Ja, ja – in de Romanen! Et is en Schanne, dat de Lüde so'n Unsinn schriebet. Slaen Se sick de Gedanken ut'n Sinn, Brünings, und freien Se sick up't Weddersehn dar bawen. Wat makt denn la petite fille, de Lüttje? Se wasst nu woll ran. Se schollen ähr doch mal ens mit raber bringen.«

Alida stand auf und schüttelte dem alten guten Mann die Hand und bat ihn, die Zeitungen sorgfältig zu studiren, denn irgend wie Nachricht könne doch mal eintreffen. Sie könne und wolle die Hoffnung nicht aufgeben.

»De Brüningsche gloovt an Robinsonsgeschichten,« brummte er vor sich hin, als sie gegangen war. Möglich aber durchaus unwahrscheinlich, seggt min Sähn in Bremen. Am besten weert, se vergeet ähren Chrischan, leet em for dod erklären und nehm sick en annern Mann. Vernünftige Lüde schollen ähr den Standpunkt klar maken. Min Amt is't nich und dar laat ick minen Vorwitz: ik bün Hürbaas. Dat Harte blott mir aberst, dat ik dat väle Elend und de Wittwen und Weesen sehn mutt. De See is en nimmersatten Unhold.«

Es war nicht das letzte Gespräch, welches er mit Alida pflegte. Sie brachte bei gutem Wetter ihr Kind bald mit, welchem Wilms aus seinem Raritätenschranke dann eine Muschel, dann eine Koralle oder gar ein chinesisches Hampelmännchen gab. Immer aber hatte er einen kleinen Kuchen für Christinchen zur Hand, die sich dann auch gern von dem Alten auf den Arm nehmen ließ und ihn trotz seines scharfen Bartes gern küßte.

Als das Kind mehr heranwuchs fing es auch an, öfter nach dem Vater zu fragen als Alida lieb war. Sie erzählte ihm, wie er weit, weit weg verreist sei. Sie faltete ihm die Hände und lehrte es beten um Bewahrung und um baldige Rückkehr des Vaters. Sie glaubte so fest daran, daß er lebe, daß keine Einwände ihre Überzeugung zu erschüttern vermochten. Wenn sie das lieblich gedeihende Christinchen zu ihren Füßen spielen sah, dann konnte und wollte sie nicht denken, daß es eine vaterlose Waise sei. So wuchs die Kleine in der Erwartung ihres Vaters auf; die Rückkehr desselben stand ihr fest als gewiß und wahrhaftig einst eintretendes Ereigniß. Die Leute waren so barmherzig, dem Kinde die Erwartung nicht durch Einwände zu trüben. Auch die kleinen Spielgenossen rüttelten nicht an dem Glauben. Aber der Zweifel kam dennoch in Christinchens Seele.

Sie hatte schon ein Alter erreicht, daß Alida sie allein mit dem Fährschiffe nach dem Städtchen schicken konnte, um nöthige kleine Besorgungen zu machen. Sie kehrte dann auch regelmäßig bei Heuerbaas Wilms ein, der noch immer für das herzige Mädchen eine besondere Zuneigung hegte. Da fragte sie denn eines Tages:

»Unkel Wilms, hest Du noch jümmer nicks von minen leeven Vader hört? Wenn ehr kummt he denn endlich?«

Er antwortete zerstreut:

»Mine lüttje, söte Deern, din Vader is in'n Himmel.«

»Darvon hett mi min Moder nicks nich seggt. Se hett mi man blot leert: Vater unser in dem Himmel. Und dat bä ik alle Abend. Unkel Wilms, min Vader is nich in'n Himmel, aberst he kummt'r gewiß nin, denn he mutt just so leev wesen es min Moderken.«

»Ja, ja, so is't, min lüttjet Christinchen. Wi willt alle god wesen, Du und ik und Vader und Moder, denn kamt wid'r säker 'nin.«

Christinchen lief rascher nach dem Fährschiffe, als sie sonst gethan hätte. Es war ihr etwas schwer auf ihr kleines Herz gefallen.

Wilms ging ihr nach und rief:

»Kind, wo geit et denn Großvader und Großmoder Brüning? It de Hosten noch nich bäter?«

»Moder seggt, et gung man slecht und for unsern Großvoder weer man wenig Hapnung mehr.«

»Dat deit mi leed. Kam noch mal ens torugge, Christinchen. Ik will Di en bäten wat for die olen Lüde mitgeven.«

Er brachte das Mädchen wieder in sein Gastzimmer und kramte in seinem Pulte unter den vielen Schachteln. Endlich fand er die rechte, gab sie Christinchen und sagte:

»So, gröt jem von mi, und se schollen Morgens und Abends davon nehmen. Et ward jem god dohn und is ganz was Nöes – pate pectoral d'Epinay

Christinchen lieferte die Schachtel der Mutter aus und warf sich weinend an deren Brust, indem sie erzählte, was Onkel Wilms gesagt hatte. Alida fühlte in ihrem Herzen einen Stich. Hatte Wilms nicht doch vielleicht recht? Sie weinte mit ihrem Kinde und konnte nur schwer ihre Zuversicht wiederfinden und das Mädchen beruhigen.


Mit dem alten Bootsbauer und seiner Frau stand's nicht zum Besten. Beide kränkelten schon länger. Der Gram um den Verlust ihres einzigen Sohnes trug dazu bei, ihre Lebenskräfte zu untergraben. Zunächst starb der Mann und nicht lange nachher folgte ihm die Frau.

Beide hatten längst alle Hoffnung aufgegeben gehabt, ihren Sohn auf Erden wiederzusehen, und freuten sich, wie sie es auf dem Sterbelager aussprachen, des Wiedersehens mit ihm dort oben. Sie vermochten Alida nicht zu verstehen und erklärten mehr als ein Mal ihre feste Hoffnung für eitel Thorheit.

Alida trauerte den beiden braven Leuten, die sie als ihres Mannes Eltern ehrte und liebte, aufrichtig nach. Christian, als einziges Kind, war der alleinige Erbe des hübschen Hauswesens und des kleinen baaren Vermögens, – in nächster Reihe Alida mit ihrem Kinde, da wohl ohne alle Frage des Mannes Rückkehr ausgeschlossen erschien. Um die Erbschaft antreten zu können, war jedoch die Todeserklärung des letzteren notwendig. Alida ward von allen Seiten bestürmt, eine solche zu veranlassen. Sie weigerte sich aber entschieden, und setzte allen Vernunftsgründen beharrlich ihren festen Glauben entgegen, daß sie keine Wittwe sei. Ihre Eltern boten ihren ganzen Einfluß auf, um sie zu dem Schritte zu bewegen, aber vergebens. Vater Bruns that endlich eines Tages seinen besten Rock an und ging zum Pastor, welchem er die Sache vorstellte, mit der Bitte schließend:

»Spräken Se ähr to'r Vernunft, Herr Pastor. De Sake mutt tum Schick. Wenn ähr Mann mal for dod erklärt is, denn ward se dat unvernunftige Hapen und Harren laten. Se kumt ook wol noch wedder to'n goden Mann, denn se is ja noch een fixet und ansehnlicht Froensminsch. Jedennoch …«

»Vader Bruns, he weet, ik bin just nich tum Erbschichter hier sett't und mit Freereegeschichten doh ik mi een for allemal nich afgeven. Dat he recht hett mit de Todeserklärung, dat geev ick to. Sine Dochter is unvernünftig und hett kienen Grund for ähren Globen und denn scholl ook de Globe hebben. De Sake mutt up'r Riege. Ik will mit ähr snacken.«

Der biedere Geistliche erschien denn auch bald bei Alida und nachdem er erst von andern Dingen gesprochen hatte, kam er auf den Hauptpunkt:

»Ik heff Di kunfirmeert, Alida, und Du hest jümmer Vertroen to mi hard. Hör ook jetzt mit Vertroen up min Woord. Et ist hart for Di, wat Du hest erfahren moßt. Du bist en vernünftige Fro. Maak Di doch nu ook endlich die ganze Wahrheit klar. Grund for dine Hapnung hest Du nich. Wi schölt globen, aberst nich dat Unvernünftige. Du bist et Di und Din Kind schuldig, en Ende to maken. Schall ik for Di na'n Amte gahn?«

»Se meent de Edictal-Ladung, Herr Pastor?« rief Alida erregt, »Nie und nimmer! Ik erklär' em nich for dod. Ik will kien Wittwe wesen. He leevt!«

»Nie und nimmer? Nä beste Alida, so darfst Du nich spräken. De Tostand as he is, kann he nich bestahn bliven. Du mußt dat doch sulbens einsehen. Wer scholl denn die Arfschaft anträen?«

»Ik nich, Herr Pastor. Hus und Hof und Geld und God blivt for Chrischan. Dat Amt mag't verwalten. Ik doh kinen Schritt, nä, noch nich. Heff ik seß Jahr up em töwt, ik kann noch länger towen.«

Der Pastor versuchte noch eindringlicher, sie zu bewegen! Alles, was sie zugab, war, daß sie nach Verlauf eines Jahres weitere Beschlüsse fassen wolle.

Auch Freier näherten sich ihr, ehren- und achtungswerthe Leute, die nicht wegen ihres Geldes kamen. Sie ließ sie abfahren mit den Worten:

»Wat doht Ji en ehrenwerthe Fro plagen? Schamt Jo wat! Ik bin kine Wittfro. Ji wät't, wo't hier steit. Verschont mi mit Joen Snack.«

Mutter Bruns überhäufte sie hinterher mit Vorwürfen über ihr schroffes Wesen und suchte ihr mit beweglichen Worten eine freundliche Zukunft vorzumalen, bat sie, sich auf die Pflichten gegen sich selbst und ihr Kind zu besinnen. Vader Bruns setzte hinzu:

»Moder hatt recht, Kind, lat die doch bedüden.«

Alles half nicht. Sie antwortete kaum, oder sehr erregt. Dann nahm sie Christinchen an die Hand und ging auf den Deich. Sie ließ das Kind Blumen pflücken, wand sie auch wohl zum Kranz und sah dann unverwandt nach Westen in die untergehende Sonne. Ihre Blicke senkten sich in das goldene Luftmeer, als wollten sie hinter den Vorhang dringen. Noch hoffte sie mit aller Energie, – das Wort »vergebens,« noch sollte es keine Macht in ihren Gedanken gewinnen.

Heuerbaas Wilms stand an dem Hafenkaje gegenüber und beobachtete sie durch ein neues Fernglas, welches er auf seine Schärfe probirte.

»Dat arme Wiew,« sprach er vor sich hin. »Et brickt mi dat Harte, dat se sick so faste an unvernünftige Gedanken klammern deit. Wenn se man nich aeversnappt. Ähr Globen is eitel. Geef Gott, dat de Sake kien slimmet Enne nimmt.«


Es ist Sonnabend. Die Glocken haben den Sonntag bereits eingeläutet.

Heuerbaas Wilms, der noch immer Fährpächter ist, sitzt an dem großen Tische in seiner Wohnstube und zählt und sortirt eifrig an dem schmutzigen Gelde, welches in der Woche eingegangen ist. Er macht drei Haufen, je einen für die Münzen der hohen Puissancen, an deren Grenzen zu wohnen er die Ehre hat. Jede hat ihre eigene Währung. Groten nennen sich die kleinen Silberblechstücke zu vier und fünf Pfennig mit gemeinsamen Namen, aber im Werte sind sie verschieden. Die Bremer Groten sind die schmutzigsten von allen, die ältesten dazu; ihr Gepräge mit dem Reichsadler ist unerkennbar; aber trotzdem nimmt man sie am liebsten, weil sie einen größern Wert repräsentiren. Hier heißt's, was am wenigsten glänzt, ist Gold, freilich nur Währung. Wilms schmunzelt sehr vergnügt, denn der schmutzigste Haufen wird der größeste. Nun schneidet der Alte Papierstreifen von einer gewissen Größe. Dann zählt er je 72 Stücke in vier Linien à 18 Grote ab, wickelte sie fest und sorgfältig ein und – die berühmten Rollthaler sind fertig. Man kann sie von unserm Freunde unbedenklich und auf Treue und Glauben nehmen – er beschummelt nicht und trennt gewissenhaft die unreinen Republikaner von den reineren, aber geringeren Hannoveranern und Oldenburgern.

Die Thür thut sich auf und herein tritt der Hafenmeister, der ihn begrüßte:

»Goden Abend, Wilms! Laat Di nich stören. Na, du hest ja riklichen Segen hard. Geneet em mit Gesundheit.«

»Danke Habenmester! De Utlagen sünd ook grot genog. De Knechte werd jümmer utverschamter. Ik globe, so hefft Pick (Pech) in'r Taschen. Na mine Gissung most et mehr wesen, as wat se afleevern doht. Wat gifft et Nöes in Bremen? Büst Du an'r Börse wesen?«

»Wilms, dat is just, dat ik noch eben 'rinkiken doh. Dar gung so'n Snack von de »Melusina« rund. Du weest ja woll noch. Sünd et nich all seß Johr her, dat dat Schipp wegblieben däh? Dar schall jetzt wat verludbart wesen. Ik konn'r man nicht achter kamen. Se snackten von Amsterdam oder Rotterdam. Du schost man mal an de Rheders schrieben. Du kannst ja god mit'r Fedder umgahn. Et weer en Gluck, wenn de Geschichte mal endlich te Grabe gung und man up guntsid von de Wesser (Weser) wußte, wo man'r an is.«

Dar seggst Du en wahr Woord, Habenmester. De leeve Gott schaff' endlich Klarheit. De Wahrheit is jümmer bäter as so'n präter propter Tostand von Ungewißheit. Schall ik Di nich en lüttjen Sluck halen? Ganz wat Vorzüglichet. La supreme de la saison!«

»Danke Wilms! Ik heff all for twolf Grote in'n Rathskeller in Bremen hard, und twee Mengel is just min Maat. Go'n Nacht, und vergät nich to schrieben.«

Der alte Heuerbaas schnitt sich eine Feder zurecht und setzte mit der schönsten ihm zu Gebote stehenden Handschrift, den coulantesten kaufmännischen Phrasen eine Anfrage an die Rheder der unglücklichen »Melusina« auf, die er am nächsten Morgen dem Postamt, gehörig frankirt, übergab.

Dann machte er seinen gewöhnlichen Spaziergang in die Wälder der Umgegend, kehrte aber so frühzeitig zurück, daß er die Ankunft des Dampfschiffes, welches ohne ihn, wie man lächelnd behauptete, nicht expedirt werden konnte – der Capitän desselben wenigstens wäre nicht zufrieden gewesen, wenn er seine Neuigkeiten aus See und von der Stadt ihm nicht hätte erzählen können – in aller Ruhe abwarten konnte.

Heute, nachdem er den Passagieren den Ortsnamen pflichtschuldigst genannt und gerufen hatte: »Die Billjetter, meine Herrn, die Billjetter« praite der Capitän den Alten sogleich an:

»Kamen Se gliks mal an Bord, Wilms, und helpen Se wen na Hus. Se schöllt sick wunnern. De Mann hett all na Se fragt, Hürbaas.«

Im Gewühl der zu- und abgehenden Passagiere und während des Abladens und Aufladens von Effecten und Waaren gelang es Wilms nur mit vieler Mühe, noch eben die Andeutung des Capitäns zu empfangen, daß jener gebeugte Mann, der, schon auf dem Anleger stehend, sich verlegen umsah und dann und wann den Blick auf das jenseitige Ufer richtete, der Gemeinte sei.

Als der Dampfer wieder in Bewegung war, stand der Mann ganz allein neben seinem Sack, in Gedanken versunken. Plötzlich schaute er auf und gewahrte den Heuerbaas neben sich. Mit fast erstickter Stimme fragte er:

»Kennt Se mi nich mehr, Hürbaas Wilms?«

»Ja, ik scholl Se kennen, aberst ik weet Se nich hentobringen.«

»Du leever Gott! Heff ik mi denn so verännert? Min Hoor is woll witt worn und de Ruggen krumm. Aberst, ik scholl doch meenen … Kieken Se mi in de Ogen … Kennt Se Chrischan Brüning, den Stürmann von de »Melusina«, nich mehr?

»Herr du meines Lebens!« rief Wilms. »Staht de Doden up? Sünd Ji't? Ja, Brüning, Ji sünd't! Gott in den hogen Himmel, dat awermannt mi.«

Wilms stürzten die Thränen über die Wangen. Er zog den gebeugten und gebrochenen Mann, in dessen Augen ein unheimliches Feuer leuchtete, mit sich in sein Haus. Hier nöthigte er ihn auf's Sopha, holte eine Flasche Wein aus dem Keller und ruhete nicht eher bis er ihm ein paar Gläser aufgenöthigt hatte.

»So, Brüning,« sagte er dann, nu könt Ji fragen und denn vertellen. Ik geew Ji dat beste vorup: Joe Fro leevt!«

»Mine Fro, mine Alida? Js se noch mine Fro? Seggen Se mi de Wahrheit, Hürbaas. Min Leben oder min Starben hangt dar von af. Ik kann und mutt allens hören.«

Wilms sah ihn lächelnd an und sagte:

»Brüning, se is kine Wittfro. Dankt Gott for ähren Globen. In ähren Gedanken hefft Ji leevt. De Dodeserklärung, de de Lüde, ook de Pastor, ähr anraden däen, de hett se afwäsen. Und denn: en lüttje söte Deern ward Jo um den Hals fallen und sick freien, dat Unkel Hürbaas lagen hett, as je ähr ens seggen däh, Christinchen, Din Vader is in'n Himmel.«

Christian weinte und rief: »Herrgott, Herrgott, wo dank' ik di!«

Dann fragte er nach seinen Eltern und erfuhr ihren Tod, nach den Schwiegereltern. »Leevt de ole Lübke noch?«

»Ja, Brüning, aberst se is up't Letzde.«

Christian bat nun den Alten, für ein Boot zu sorgen. Im Fährschiff mit Andern zu fahren, die ihn neugierig betrachten würden, sei ihm unmöglich.

Während das Boot gerüstet wurde, erzählte er seine Geschichte, die wir ja zum Theil miterlebt haben. Fünf volle Jahre war er auf der wüsten Insel gewesen, ohne je ein Segel gesehen zu haben. Hatte er sich bisher immer einer guten Gesundheit erfreut, so trat darin zuletzt ein Wandel ein, indem er seine Kräfte schwinden sah und nur mühsam sich an den Strand zu schleppen vermochte, um für seine Nahrung zu sorgen. Er ward schwächer und schwächer und legte sich endlich hin, um nicht wieder aufzustehen, seine Seele und seine Lieben in der fernen Heimath der Gnade Gottes befehlend. Er schlief ein. Wie lange er geschlafen hat, weiß er nicht mehr. Als er erwachte, befand er sich in der Koje eines Schiffes. Freundliche Seemannsgesichter schauten zu ihm hernieder und heimathliche Klänge und Worte berührten sein Ohr. Lange währte es noch, ehe er Worte finden konnte, um seine Erlebnisse zu erzählen, ehe er die Kraft wiedererlangte, aufstehen zu können. Vom Capitän bis zum Schiffsjungen herab auf der nach Rotterdam bestimmten Holländischen Bark »Jacoba«, erfreute er sich der liebevollsten Behandlung. Von Bord jenes Schiffes hatte man eines Tages in der Ferne auf der kleinen Koralleninsel, welche man passirte, den Fetzen Segeltuch im Winde flattern sehen, den Christian an der Rae befestigte, und so oft hatte erneuern müssen. Da der Capitän seine Wasservorräthe zu ergänzen wünschte, so befahl er ein Boot auszusetzen und zu landen. Man fand einen fast nackten, zum Skelett abgemagerten Europäer vor, anscheinend eben gestorben. Da man aber doch noch Leben in ihm zu entdecken glaubte, so nahm man ihn mit an Bord, legte ihn, in warme Decken gehüllt, in die Koje und flößte ihm belebende Getränke ein. Er erwachte, und seine Kräfte kehrten allmählig wieder. Wie ein kleines Kind mußte man ihn anfangs hegen und pflegen. Als die »Jacoba« in Rotterdam anlangte, war er zwar ganz gesund, aber noch nicht vollständig gekräftigt. Die Mannschaft ruhete nicht, bis er das Reisegeld, welches sie zusammengemacht hatte, annahm. So setzte sich denn Christian vor einigen Tagen auf die Post und langte in der Heimath an, – von den Todten auferstanden.

»Und dat Ji ganz wedder lebennig weerd und fix, dafor ward Alida und de lüttje söte Deern all sorgen,« sagte Wilms. »Nu kamt, Brüning, de Jölle liggt an'r Treppen. Ik roje Di sulbens 'naber, min Jung.«

Sie kamen an den Deich. Christian zitterte vor Erregung. Er wagte nicht, vorwärts zu gehen.

»Bliv hier sitten, Chrischan,« sagte Wilms. »Ik will gahn und Alida vorbereiten. Knall und Fall mit de Dör in't Hus fallen, dat deit nimmer god.«

Der Alte ging auf das Haus zu, wo Alida mit ihren Eltern wohnte.

In der Hausthüre stand Bruns, der ihn mit den Worten empfing: »Na, Ji willt mi olen Afsetter doch nich anhüren, Herr Wilms?«

»Ja woll, Bruns. He schall mal Utroper speelen. Aberst sinnig, sinnig!

Segg he Alida mal ins Ohr, ik harr wat von der »Melusina« hört, und wenn se denn ruhig is, denn krieg he sine Bibel von'r Bord und sla he de Wiehnachtsgeschichte bi Lukas up und hol den Finger up dat Woord »siehe ich verkündige euch große Freude.« Dat wis he ähr. Und denn kam he mit ähr vor de Dör und bring ook sine Fru und de Enkeldochter mit.«

»Minschen und Kinner, Herr Hürbaas! Is so wat möglich?« …

... Es dauerte lange bis Alida erschien. Sie schluchzte und die Thränen flossen ihr reichlich.

»Wilms ergriff ihre Hand und sagte:

»Fro Brünings, beste Alida, denk an Dinen Hochtidsdag. Wat sä de Pastor? Nun aber bleibet Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen. Vandage is nochmal Hochtid. Christinchen, Din Vader is nich in'n Himmel. He leevt.«

»Wo is minen leeven Vader, Unkel Hürbaas?« rief die Kleine.

»Dar gunnen, buten Dieks, dar bi de grote Ulme.«

»Wo süht he ut, Unkel?«

»So'n bäten old, min lüttje Deern. Wenn he Di kennen deit, denn is't de rechte. Denn bring' em mit. Loop gau hen!«

Christinchen sprang davon und war rasch bei der Ulme am Außendeich. Da saß der gebeugte, bleiche Mann, das weiße Haupt auf die Arme gestützt.

»Vader, leeven Vader!« rief die Kleine.

Da schaute er auf. Die leibhaftige kleine Alida, wie er sie vor langen, langen Jahren gesehen hatte, stürzte auf ihn zu.

»Min sötet, sötet Döchterchen,« rief er, nahm Christinchen auf die Arme und herzte und küßte sie.

Dann ließ er sich von ihr hinziehen über den Deich auf den Weg nach dem Hause. Dort schloß ihn sein Weib in die Arme.

Vater und Mutter Bruns, der alte Heuerbaas Wilms, falteten die Hände und schauten still und andächtig den Beiden zu. In der größten Freude finden die Menschen keine Worte, nur Thränen haben sie … Bald erscholl das Gerücht von Christians Heimkehr im Dorfe. Das war ein fröhliches Rennen von einem zum andern, ein Verwundern und ein Fragen.

Die alte Lübke auf ihrem stillen Sterbelager hörte die vielen Stimmen und fragte, was es gäbe. »Chrischan Brüning, Moder Lübke, is wedder dar!«

So? Dat wußt ik, dat he keem. Lest mi en Lied ut'n Gesangbook vor. Nu is't ut mit mi. Ik flute mine olen Ogen in Fräe und Freide. Sorgt for'n rechtlichet Gräfniß. So as ik leevt hebbe, will ik ook begraben sin. Dat Dodenhemd und dat Geld liegt in't Schapp. Amen!«

Sie schloß ihre Augen und war hinüber.


Wieder auf See zu gehen, dazu konnte sich Christian nicht entschließen. Alida würde es auch nicht zugegeben haben, obgleich er seine volle Kraft und männliche Schönheit wiedererlangte, wenn Haar und Bart auch weiß blieben. Doch konnte er's nicht über das Herz bringen, seinem Schifferberufe ganz zu entsagen, und nahm daher gern das Anerbieten an, das Kommando eines neuen Flußdampfschiffes zu übernehmen, trotzdem solches Vater Bruns, der noch immer seit seinem Malheur einen Haß auf die Dampfschiffe hatte, garnicht lieb war. Christian beruhigte ihn mit den Worten:

»Wen de Brandung so dör't Leben smeten hett as mi, Vader, de bringt annere Lüde nich in Gefahr. Ik laat langsam angahn, wenn ik wen von Joesgliken passeeren doh. Indessen hefft de Schäpen upstunns ook starke Käen (Ketten), de binah so faste holt as tröe Leefde.«

»Wo Du de Sake doch to dreien weest, Chrischan. Denn man to!«


Dort zu Lande am Stedinger Deich haben die Engel noch immer einen schweren Dienst. Der spielenden Kinder sind nicht weniger geworden. Auch eine ganze Reihe kleiner Brünings ist hinzugekommen, und sie sind von so tüchtiger Art und so lebensfroh, daß es nicht leicht ist, sie zu behüten und zu bewahren.

Jenes Englein, welches damals Alida in den Graben purzeln ließ, hat auch noch immer Dienst am Deich. Es besitzt so etwas von Erkenntniß. Eines Tages äußerte es zu seinen Kameraden von der Wacht:

»Im Himmel ist unsere Freude über den Sünder, der Buße thut. Auf Erden ist der Engel Freude der Menschen treue Liebe. Sie haben doch viel vor uns voraus.«

Der kleine kecke himmlische Bursche hatte eben durch das Fenster in Capitän Brünings Haus gelugt, wo Friede und Freude sich küssen und eitel Lust und Herrlichkeit ist, wenn alle vier Wochen der Vater »wegen Kesselreinigung des Dampfschiffs« ein paar Tage Urlaub hat und sich mit Weib und Kindern freut.

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