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Einleitung
§ 1
Die Journalistik überhaupt, ist die treuherzige und unverfängliche Kunst, das Volk von dem zu unterrichten, was in der Welt vorfällt. Sie ist eine gänzliche Privatsache, und alle Zwecke der Regierung, sie mögen heißen, wie man wolle, sind ihr fremd. Wenn man die französischen Journale mit Aufmerksamkeit liest, so sieht man, daß sie nach ganz eignen Grundsätzen abgefaßt worden, deren System man die französische Journalistik nennen kann. Wir wollen uns bemühen, den Entwurf dieses Systems, so, wie es etwa im geheimen Archiv zu Paris liegen mag, hier zu entfalten.
Erklärung
§ 2
Die französische Journalistik ist die Kunst, das Volk glauben zu machen, was die Regierung für gut findet.
§ 3
Sie ist bloß Sache der Regierung, und alle Einmischung der Privatleute, bis selbst auf die Stellung vertraulicher Briefe die die Tagesgeschichte betreffen, verboten.
§ 4
Ihr Zweck ist, die Regierung, über allen Wechsel der Begebenheiten hinaus, sicherzustellen, und die Gemüter, allen Lockungen des Augenblicks zum Trotz, in schweigender Unterwürfigkeit unter das Joch derselben niederzuhalten.
Die zwei obersten Grundsätze
§ 5
Was das Volk nicht weiß, macht das Volk nicht heiß.
§ 6
Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr.
Anmerkung
§ 7
Diese Grundsätze könnte man auch: Grundsätze des Talleyrand nennen. Denn ob sie gleich nicht von ihm erfunden sind, so wenig, wie die mathematischen von dem Euklid: so ist er doch der erste, der sie, für ein bestimmtes und schlußgerechtes System, in Anwendung gebracht hat.
Aufgabe
Eine Verbindung von Journalen zu redigieren, welche 1) alles was in der Welt vorfällt, entstellen, und gleichwohl 2) ziemliches Vertrauen haben?
Lehrsatz zum Behuf der Auflösung
Die Wahrheit sagen heißt allererst die Wahrheit ganz und nichts als die Wahrheit sagen.
Auflösung
Also redigiere man zwei Blätter, deren eines niemals lügt, das andere aber die Wahrheit sagt: so wird die Aufgabe gelöst sein.
Beweis
Denn weil das eine niemals lügt, das andre aber die Wahrheit sagt, so wird die zweite Forderung erfüllt sein. Weil aber jenes verschweigt, was wahr ist, und dieses hinzusetzet, was erlogen ist, so wird es auch, wie jedermann zugestehen wird, die erste sein, q. e. d.
Erklärung
§ 9
Dasjenige Blatt, welches niemals lügt, aber hin und wieder verschweigt was wahr ist, heiße der Moniteur, und erscheine in offizieller Form; das andere, welches die Wahrheit sagt, aber zuweilen hinzu tut, was erstunken und erlogen ist, heiße Journal de l'Empire, oder auch Journal de Paris, und erscheine in Form einer bloßen Privatunternehmung.
Einteilung der Journalistik
§ 10
Die französische Journalistik zerfällt in die Lehre von der Verbreitung 1) wahrhaftiger, 2) falscher Nachrichten. Jede Art der Nachricht erfordert einen eignen Modus der Verbreitung, von welchem hier gehandelt werden soll.
Kap. 1
Von den wahrhaftigen Nachrichten
Art. 1
Von den guten
Lehrsatz
§ 11
Das Werk lobt seinen Meister.
Beweis
Der Beweis für diesen Satz ist klar an sich. Er liegt in der Sonne, besonders wenn sie aufgeht; in den ägyptischen Pyramiden; in der Peterskirche; in der Madonna des Raphael; und in vielen andern herrlichen Werken der Götter und Menschen.
Anmerkung
§ 12
Wirklich und in der Tat: man möchte meinen, daß dieser Satz sich in der französischen Journalistik nicht findet. Wer die Zeitungen aber mit Aufmerksamkeit gelesen hat, der wird gestehen, er findet sich darin; daher wir ihn auch, dem System zu Gefallen, hier haben aufführen müssen.
Korollarium
§ 13
Inzwischen gilt dieser Satz doch nur, in völliger Strenge, für den Moniteur, und auch für diesen nur, bei guten Nachrichten von außerordentlichem und entscheidenden Wert. Bei guten Nachrichten von untergeordnetem Wert kann der Moniteur schon das Werk ein wenig loben, das Journal de l'Empire aber und das Journal de Paris mit vollen Backen in die Posaune stoßen.
Aufgabe
§ 14
Dem Volk eine gute Nachricht vorzutragen?
Auflösung
Ist es z. B. eine gänzliche Niederlage des Feindes, wobei derselbe Kanonen, Bagage und Munition verloren hat und in die Moräste gesprengt worden ist: so sage man dies, und setze das Punktum dahinter (§ 11). Ist es ein bloßes Gefecht, wobei nicht viel herausgekommen ist: so setze man im Moniteur eine, im Journal de l'Empire drei Nullen an jede Zahl, und schicke die Blätter mit Kurieren in alle Welt (§ 13).
Anmerkung
§ 15
Hierbei braucht man nicht notwendig zu lügen. Man braucht nur z. B. die Blessierten, die man auf dem Schlachtfelde gefunden, auch unter den Gefangenen aufzuführen. Dadurch bekömmt man zwei Rubriken; und das Gewissen ist gerettet.
Art. 2
Von den schlechten Nachrichten
Lehrsatz
§ 16
Zeit gewonnen, alles gewonnen.
Anmerkung
§17
Dieser Satz ist so klar, daß er, wie die Grundsätze, keines Beweises bedarf, daher ihn der Kaiser der Franzosen auch unter die Grundsätze aufgenommen hat. Er führt, in natürlicher Ordnung, auf die Kunst, dem Volk eine Nachricht zu verbergen, von welchem sogleich gehandelt werden soll.
Korollarium
§18
Inzwischen gilt auch dieser Satz nur, in völliger Strenge, für das Journal de l'Empire und für das Journal de Paris, und auch für diese nur, bei schlechten Nachrichten von der gefährlichen und verzweifelten Art. Schlechte Nachrichten von erträglicher Art, kann der Moniteur gleich offenherzig gestehen: das Journal de l'Empire aber und das Journal de Paris tun, als ob nicht viel daran wäre.
Aufgabe
§19
Dem Volk eine schlechte Nachricht zu verbergen?
Auflösung
Die Auflösung ist leicht. Es gilt für das Innere des Landes in allen Journalen Stillschweigen, einem Fisch gleich. Unterschlagung der Briefe, die davon handeln; Aufhaltung der Reisenden; Verbote, in Tabagien und Gasthäusern davon zu reden; und für das Ausland Konfiskation der Journale, welche gleichwohl davon zu handeln wagen; Arretierung, Deportierung und Füselierung der Redaktoren; Ansetzung neuer Subjekte bei diesem Geschäft: alles mittelbar entweder durch Requisition oder unmittelbar, durch Detaschements.
Anmerkung
§20
Diese Auflösung ist, wie man sieht, nur eine bedingte; und früh oder spät kommt die Wahrheit ans Licht. Will man die Glaubwürdigkeit der Zeitungen nicht aussetzen, so muß es notwendig eine Kunst geben, dem Volk schlechte Nachrichten vorzutragen. Worauf wird diese Kunst sich stützen?
Lehrsatz
§21
Der Teufel läßt keinen Schelmen im Stich.
Anmerkung
§22
Auch dieser Satz ist so klar, daß er nur erst verworren werden würde, wenn man ihn beweisen wollte, daher wir uns nicht weiter darauf einlassen, sondern sogleich zur Anwendung schreiten wollen.
Aufgabe
§23
Dem Volk eine schlechte Nachricht vorzutragen?
Auflösung
Man schweige davon (§ 5) bis sich die Umstände geändert haben (§ 16). Inzwischen unterhalte man das Volk mit guten Nachrichten; entweder mit wahrhaftigen, aus der Vergangenheit, oder auch mit gegenwärtigen, wenn sie vorhanden sind, als Schlacht von Marengo, von der Gesandtschaft des Persenschachs, und von der Ankunft des Levantischen Kaffees; oder in Ermangelung aller mit solchen, die erstunken und erlogen sind: sobald sich die Umstände geändert haben, welches niemals ausbleibt (§ 21), und irgend ein Vorteil, er sei groß oder klein, errungen worden ist: gebe man (§ 14) eine pomphafte Ankündigung davon; und an ihren Schwanz hänge man die schlechte Nachricht an. q. e. dem.
Anmerkung
§24
Hierin ist eigentlich noch der Lehrsatz enthalten: wenn man dem Kinde ein Licht zeigt, so weint es nicht, denn darauf stützt sich zum Teil das angegebene Verfahren. Nur der Kürze wegen, und weil er von selbst in die Augen springt, geschah es, daß wir denselben in abstracto nicht haben aufführen wollen.
Korollarium
§25
Ganz still zu schweigen, wie die Auflösung fordert, ist in vielen Fällen unmöglich; denn schon das Datum des Bülletins, wenn z. B. eine Schlacht verloren und das Hauptquartier zurückgegangen wäre, verrät dies Faktum. In diesem Fall antedatiere man entweder das Bülletin; oder aber fingiere einen Druckfehler im Datum; oder endlich lasse das Datum ganz weg. Die Schuld kommt auf den Setzer oder Korrektor.