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(Nachdruck verboten.)
»Zinken« heißt Winke, Zeichen, Bezeichnung geben, und dieses der Gaunersprache angehörige Wort soll aus dem Zigeunerischen stammen und zwar von dem Worte » sung«, Geruch. » Me sungewawa« heißt: ich rieche, ich spüre, und so bedeutet in der übertragenen und germanisirten Form das Wort ein Zeichen, durch welches man eine Spur gibt oder erhält. Es mag hier gleich im Voraus erwähnt werden, daß das »Zinken« in der Gaunerwelt eine äußerst bedeutsame Rolle spielt, daß es als geheime Verständigung getrieben wird durch Laute, Geberden, Gesten, Mienen, durch schriftliche Zeichen, durch Winke, durch Stempel, durch Petschafte, durch Körperverletzungen, durch Wunden, durch die unscheinbarsten Aeußerungen körperlicher Mimik und Körperstellungen, kurzum, ein so gewaltiges Gebiet umfaßt, daß es fast eine Wissenschaft für sich allein ausmacht, und daß hier nur in ganz flüchtigen Umrissen dieses großartige Hilfsmittel des Gaunerthums gezeichnet werden kann.
In der ganzen Gaunerwelt verbreitet ist das » Erkennungs-Zinken«, d. h. ein eigenthümliches Zeichen, durch welches zwei einander begegnende Gauner sich erkennen. Dasselbe besteht in dem Zukneifen eines Auges und zwar desjenigen Auges, welches dem Begegnenden zugewendet ist; mit dem anderen Auge wird über die Nase hinweg nach dem Begegnenden geschielt, und es entsteht so eine Grimasse höchst origineller Art, an welcher sofort der Gauner und Verbrecher den Genossen erkennt. Außer diesem allgemeinen Erkennungszeichen gibt es noch ein anderes, welches in einem Schnippen mit den Fingern und auch in einer eigenthümlichen Bewegung mit der rechten Hand über die rechte Schulter besteht. Sowohl die verschiedenen Verbrecher- und Gauner-Kategorien, als selbst die einzelnen Länder des deutschen Reiches haben ihre verschiedenen Erkennungs-Zinken.
Daß diese Art, sich gewissermaßen als Kollegen im Verbrecher- und Gaunerthum zu begrüßen, aus dem Zunftwesen übernommen ist, unterliegt wohl keinem Zweifel. Noch heute wird jedem Gesellen, der auf der Herberge freigesprochen wird, von seinem Altgesellen ein ganzes System eigenthümlicher Zeichen mitgetheilt und eingeprägt, theils in Gesten, theils in sonderbaren Worten bestehend, durch welche er sich auf der Wanderschaft als zur Zunft gehörig legitimiren kann, wenn er in eine Herberge kommt, oder wenn er das Handwerk anspricht, um sich einen Zehrpfennig zu holen. Diese Zunftzeichen sind uralt und wahrscheinlich älter, als die Zinken des Gaunerthums, welche letzteren aber wiederum darauf hinführen, daß das ganze Verbrecherthum eine einzige große Gemeinde mit fast zunftmäßiger Gliederung und Einrichtung bildet.
Als Erkennungszeichen für spezielle Zwecke werden auch Losungsworte verwendet, die oft uralten Herkommens sind und sich bis auf die »Kabbala« zurückführen lassen. Sie dienen dazu, um dem in eine fremde Gegend kommenden Verbrecher Zutritt und Legitimirung als unverdächtiger Genosse beim Eintritt in sogenannte »kesse Pennen«, d. h. in jene Lokale zu verschaffen, in welchen sich die Verbrecher bestimmter Orte oder Bezirke zur Berathung, zu Trunk, Spiel und Völlerei aller Art zusammenzufinden pflegen.
Die nächste Kategorie der »Zinken« ist die der » Personen-Zinken«, die man gewissermaßen zur Heraldik des Verbrecherthums zählen kann, weil in der That sehr viele Verbrecher als Symbol, ebenso wie die Ritterschaft, Bilder von Thieren, Pflanzen oder Figuren zu führen pflegen. Es gibt Verbrecher, die den Hund oder Hundekopf, den Bären, den Hirsch, den Wolf, den Fuchs, die Eule (ein im Verbrecherthum sehr beliebter Vogel, wahrscheinlich, weil er ebenso wie die Verbrecher das Tageslicht scheut), das Rebhuhn, den Schwan, die Gans (»Breitfuß« in der Gaunersprache genannt) als ein ihnen persönlich zugehöriges Zeichen, z. B. im Petschaft, führen. Bekommen Genossen eine Nachricht oder einen Brief, der mit einem solchen Petschaft verschlossen ist, so wissen sie genau, selbst wenn ein solcher Brief nur ein einziges Wort ohne jede Unterschrift enthält, von wem er kommt, und daß er auch in der That die Benachrichtigung eines Kollegen und nicht eine polizeiliche »Falle« ist. Thier-, Pflanzen- und Menschenfiguren werden sogar von den Verbrechern als Unterschriften benutzt, indem ein roh gezeichnetes Bild des betreffenden Thieres unter einen Brief gesetzt wird, oder indem ein an eine Mauer oder an einen Bretterzaun mit Kreide roh gemaltes ähnliches Bild den vorübergehenden Genossen anzeigt, daß der betreffende Wappeninhaber dagewesen ist. Wir kommen auf diese Art von »öffentlichen Inschriften«, welche eine von der Polizei zumeist unterschätzte Bedeutung haben, des Näheren weiter unten zurück.
Erwähnen wollen wir noch hier, welche merkwürdige Bedeutung verschiedene Pflanzen und Bäume bei den Zigeunern haben. Selbst die in Deutschland lebenden Zigeuner zerfallen nämlich in verschiedene Stämme oder vielmehr Landsmannschaften, und zwar geben wissenschaftliche Experten ziemlich übereinstimmend an, daß das deutsche Zigeunerthum in eine altpreußische, eine neupreußische und eine hannoverische Landsmannschaft zerfällt. Jede dieser Landsmannschaften hat sich nun als Wahrzeichen einen Baum erwählt, den sie heilig hält, dessen Holz oder dessen Zweige zu ihren religiösen Kultusverrichtungen verwendet werden, von dem außerdem ein Exemplar stets auf die Gräber verstorbener Stammes- und Landsmannschaftsgenossen gepflanzt wird. Die Altpreußen halten heilig die Tanne, die Neupreußen die Birke und die Hannoveraner den Mehlbeerbaum.
Das große, unbegrenzte Reich der Natur wird auch noch in anderer Weise zum »Zinken« im Gaunerthum verwendet, z. B. durch das Nachahmen von Thierstimmen. Die meisten Verbrecher verstehen irgend eines Thieres weithin tönende Stimme (am beliebtesten ist das Hundegebell) täuschend nachzuahmen. Dadurch können sie, besonders zur Nachtzeit, auf weite Entfernungen hin ihren Genossen ein Zeichen von ihrer Anwesenheit geben und diese an der eigenthümlichen Art des Bellens den Freund und Chawer (Genossen) unterscheiden. Der im Gefängnißhofe auf und ab schreitende Posten, der außerhalb der Mauer um die nächtliche Zeit in bestimmten Pausen Hundegebell hört, achtet gewiß gar nicht weiter darauf, und doch sind diese Töne dem in Kerker und Banden sitzenden Verbrechergenossen ein Zeichen von außerhalb, das ihm zuruft: »Sei guten Muthes, Du wirst befreit werden, wir bieten Alles auf, um Dir zu helfen!« Auch das Eulengeschrei, das Schreien des Brunsthirsches und ähnliche Thierstimmen werden zum Zinken verwendet.
Eine andere Kategorie der Zinken wird gebraucht, wenn sich der Verbrecher mit anderen Genossen zusammen in Bedrängniß, d. h. im Verhör oder in Haft befindet. Der Leser wird sich vielleicht schon oft gewundert haben, weshalb vor den Fenstern in Untersuchungsgefängnissen selbst in den höchsten Etagen oben offene Holzkasten, sogenannte »Blenden«, angebracht sind, durch welche in die Zelle des Gefangenen wohl Licht fällt, die ihm aber jeden Ausblick nach außerhalb verwehren. Durch diese Blenden soll das »stumme Zinken« der Gauner verhindert werden. Die Meisten von ihnen, und insbesondere die raffinirten und alten Verbrecher, verstehen nämlich eine durch die Hände und Bewegungen der Lippen stumm herzustellende Geberdensprache, die sich zumeist auf der Basis des Taubstummen-Handalphabets aufbaut. Mit ungeheurer Schnelligkeit und Geschicklichkeit wissen sie sich auf diese Weise zu verständigen, und wären die Fenster der Untersuchungsgefängnisse nicht, wie oben angedeutet, versichert, so würde eine unablässige »Kasperei« (Kaspern heißt in der Gaunersprache sich in heimliches Einverständniß mit einander setzen) von Fenster zu Fenster, vom Fenster auf die Straße u. s. w. stattfinden.
Dem Untersuchungsgefangenen muß natürlich daran liegen, an seine in Freiheit befindlichen Genossen Nachrichten darüber gelangen zu lassen, wie er seine Aussage eingerichtet hat, damit sich dieselben mit denen der etwa vorgeschobenen Entlastungszeugen decken; es ist außerdem für ihn sehr wichtig, Nachrichten von außerhalb über den Gang der Untersuchung, über die Aussagen, welche seine isolirt verhafteten Genossen gemacht haben, zu erhalten. Trotz aller Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, trotz der strengsten Beaufsichtigung findet daher zwischen den Insassen eines Gefängnisses und ihren verbrecherischen Genossen in der Freiheit und wiederum zwischen den Gefangenen unter einander ein beständiger geheimer Verkehr statt, der zumeist durch geschriebene Zettel, sogenannte »Kassibber«, vermittelt wird. Von diesen aber wollen wir an dieser Stelle nicht sprechen, sondern vielmehr von jenen erstaunenswerth und geschickt angelegten »Zinken«, durch welche die Wachsamkeit der Gefängnißbeamten und des Untersuchungsrichters getäuscht wird. Es kommt z. B. für einen Untersuchungsgefangenen von seiner Verwandtschaft eine hölzerne Büchse mit Butter an. Der Inhalt derselben wird sorgfältig untersucht, damit nicht etwa in der Butter ein beschriebener Zettel oder ein Werkzeug zum Ausbrechen, eine Uhrfedersäge, eine kleine Feile u. s. w. verborgen sei. Der Inhalt des unangestrichenen weißen Holzgefässes, und dieses selbst sind als vollkommen unverdächtig befunden und dem Untersuchungsgefangenen übergeben worden. Zehn Minuten später weiß der Gefangene so viel über den ganzen Gang der Untersuchung, über die Aussagen der Zeugen, über die Aussagen seiner mitverhafteten Genossen, daß höchstwahrscheinlich die ganze Untersuchung gegen ihn zwecklos, und die beabsichtigte Verurtheilung und Bestrafung unmöglich sein wird. Die Angehörigen des eingesperrten Verbrechers haben nämlich folgenden Kniff angewendet: Sie haben Buchdrucktypen genommen, haben die Buchstaben der Typen auf die Wand des hölzernen Gefässes ausgedrückt, ja sogar etwas eingeschlagen, bis so in einer Art Druck die ganze Nachricht, die sie dem Gefangenen zu geben haben, deutlich aufgepreßt erschien. Dann wurde ein Messer genommen und das Holz der Büchse an der Stelle, wo die Buchstaben aufgedrückt waren, so lange geschabt, bis die Eindrücke vollkommen verschwanden. Selbst für ein geübtes Auge ist jetzt von diesen Typenabdrücken nichts mehr zu sehen, der Gefangene hat aber nur nöthig, das Holz mit Wasser anzufeuchten, und sofort quillt dasselbe auf, und die eingeprägten Buchstaben treten auf's Neue hervor, so daß er sie deutlich lesen kann. Wenn der Leser sich von der Art und Weise dieser »Zinkerei« selbst überzeugen will, so nehme er den ersten besten Bleistift und schabe mit einem Messer den Firmastempel herunter, bis nichts mehr von demselben zu sehen ist. Er tauche dann dieses abgeschabte Bleistiftende in Wasser, und zu seiner Ueberraschung wird sofort die Schrift wieder hervortreten.
Es handelt sich aber auch für die im Gefängniß Sitzenden darum, Nachrichten hinaus zu befördern. Bekanntlich ist es den Gefangenen gestattet, an ihre Angehörigen zu schreiben, jedoch müssen alle Briefe durch die Hände des Untersuchungsrichters gehen, der sie erst prüft, und in dessen Bureau auch gewöhnlich die Couvertirung dieser Briefe erfolgt. Bei diesem Briefschreiben nun gibt es eine ganze Menge von »Zinken«, die wiederum fast eine ganze geheime Wissenschaft ausmachen. Den meisten Gaunern z. B. ist bekannt, daß, wenn sie von einem Genossen einen Brief erhalten, dessen erste Zeile krumm ist, dieses Zeichen bedeute, daß der Brief unter dem Druck eines gewissen Zwanges, einer Beaufsichtigung geschrieben ist, und daß der ganze Inhalt das Gegentheil von dem bedeutet, was eigentlich in demselben gesagt worden ist. Durch einen Schnörkel an der Unterschrift, durch ein dem Untersuchungsrichter durchaus unverdächtiges Zeichen bei Angabe der Adresse oder am Kopf des Briefes, dort, wo das Datum hingesetzt wird, vermag der Gefangene seinen außerhalb des Gefängnisses weilenden Genossen und Angehörigen, die natürlich von dieser Art »Zinkerei« Kenntniß haben müssen, höchst bedeutsame Winke und Zeichen zu geben, so daß z. B. einzelne Untersuchungsrichter so weit gehen, nie den Originalbrief eines Gefangenen abzuschicken, sondern denselben von der Hand eines Beamten kopiren zu lassen, da sie in der That sonst nicht wissen können, ob sie nicht selbst unbewußt zum Helfershelfer bei der Beförderung von unerwünschten Nachrichten Seitens der Gefangenen an ihre Angehörigen werden. Auch selbst im Wiederholen und Ausstreichen von Worten, in der Wiederholung derselben Redewendungen liegt in einem solchen Briefe oft für den Empfänger eine bestimmte Bedeutung, und in solchen Fällen wird selbst durch Kopiren des Briefes von Beamtenhand, wobei ja die wiederholten Phrasen nicht vermieden werden können, doch die gaunerische Absicht auf Verständigung nach außerhalb nicht vollständig vereitelt.
Während der Verbrecher, so lange er in Freiheit ist, nur der Gegenwart lebt und nicht an die Zukunft denkt, ändert er dieses Lebensprinzip, sobald er im Gefängniß ist. Er denkt dann nur an die Zukunft, und es steht fest, daß z. B. Verbrecher, die zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurtheilt sind, oft vom ersten Tage der Strafverbüßung an schon Pläne für neue Verbrechen machen, die sie nach ihrer Entlassung verüben wollen. Auf diese Pläne für die Zukunft sind die eigenthümlichen Malereien zurückzuführen, die man oft innerhalb mancher Gefängnißzellen findet. Diese Malereien bestehen wiederum aus Figuren, aus Blättern, aus Kreuz- und Quer- und Schlangenlinien, und sind oft so geschmackvoll und geschickt ausgeführt, daß sie der Gefängnißwärter stehen läßt, selbst wenn der Gefangene aus der Anstalt fortkommt, dem nach dem Glauben des Gefängnißbeamten diese Malereien nur die Zeit vertreiben sollten. Dieselben sind aber oft in Wahrheit nichts Anderes, als eine Art verbrecherischer Rebus, eine Mittheilung, in gaunerischer Hieroglyphenschrift abgefaßt. Der nächste Eingeweihte, der jene Zelle bezieht, erfährt daraus z. B, wie die Gelegenheiten zum »Kaspern« und »Kassibbern« in dem Gefängnisse und in der Nähe der Zelle sind, wie man sich mit dem betreffenden Stationsaufseher stellen, wie man den Untersuchungsrichter betrügen kann, endlich enthalten sie vielleicht auch Aufträge, von denen es nicht darauf ankommt, wenn sie erst nach Jahren ausgeführt werden, und es steht vielleicht in dieser graphischen Darstellung an der Wand dort: »Eingeweihter, der Du hier hereinkommst, geh' sofort, wenn Du entlassen bist, zu dem und dem und sage ihm das und das. Geschrieben am so und so vielten.« – Allerdings kann eine solche Schrift nur ein zur engeren Genossenschaft gehöriger Eingeweihter lesen, und es ist selbst dem gewiegtesten Kriminalbeamten, dem routinirtesten Untersuchungsrichter unmöglich, sich in diese Art Geheimschrift vollständig hineinzuarbeiten.
So wie aber solche Malereien, Inschriften und Zeichnungen innerhalb der Gefängnißzellen sich vorfinden, so bringt sie der Verbrecher auch außerhalb des Gefängnisses überall da an, wo er es für nöthig erachtet, und zwar an Orten, die aller Welt zugänglich sind; so z. B. an Straßenecken, an Wegweisern, an den Mauern von Kirchen und Kapellen, an Hofthoren, an langen Mauern, die Grundstücke umsäumen und an denen ein Weg vorbeiführt, an Bahnhöfen und ganz besonders gern in den Aborten der Bahnhöfe. Der Leser hat gewiß beim Anblick solcher Inschriften bisher nicht geahnt, daß es sich hier sehr oft nicht um Schmierereien müßiger Hände, sondern um gaunerische Verständigungen handelt, daß ein ganz harmloser Name mit dem Datum des betreffenden Tages darunter für den nachkommenden Genossen bedeutet, daß sein Freund hier gewesen ist, und daß er sich auf dem betreffenden Bahnhofe oder vor dem betreffenden Gebäude an einem bestimmten Tage und zu bestimmter Stunde wieder einfinden wird.
Diese Inschriften bestehen zumeist in Namen, in Zeichnungen von Thieren, welche das Wappen des betreffenden Verbrechers bilden, von Bäumen und von Baumblättern bestimmter Form, die das Symbol eines Verbrechers oder seines Namens bedeuten; sie bestehen endlich aus kabbalistischen Kreuz- und Querstrichen, und fast nie fehlt innerhalb dieses Gekritzels und Geschreibsels ein Pfeil, welcher nachweislich seit bereits vier Jahrhunderten in Deutschland ein geheimes Zeichen im Verbrecherthum ist. Dieser Pfeil deutet mit seiner Spitze die Richtung an, die der betreffende Verbrecher genommen hat. Striche durch den Schaft oder durch die Fiederung haben ebenfalls ihre ganz bestimmte Bedeutung, durch welche für Genossen oft wichtige Mittheilungen gemacht werden. Diese Zeichen, durch welche angedeutet werden soll, daß irgend Jemand dagewesen ist, oder daß ein Verbrecher an dieser Stelle in den nächsten Tagen einen Genossen erwarte, oder durch welche irgend eine Mittheilung über ein vollbrachtes Verbrechen gemacht oder eine Warnung vor einer drohenden Gefahr für die Genossen ausgedrückt werden soll, findet man selbst an Stellen, wo ihnen nur ein kurzes Dasein beschieden sein kann, nämlich im Sand, ja im Winter selbst im Schnee.
Namentlich sind diese » Nachrichten-Zinken«, wie wir dieselben nennen möchten, heute noch dort in Gebrauch, wo Lesen und Schreiben eine gänzlich unbekannte Kunst ist, nämlich bei den Zigeunern. Doktor Richard Liebich in seinem trefflichen Werk schreibt über diese Art Zinken Folgendes:
»Ein Fetzen seines Kleides, den der Zigeuner an einem Baum oder Strauch befestigt, gilt als Zeichen, daß er hier gewesen ist. Solchen Fetzen begegnet man oft in Wald und Feld an Baum und Busch; der Aberglaube geht scheu an ihnen vorüber, weil er wähnt, es seien Krankheiten hineingebannt, welche die ergreifen, die sie zu berühren wagen sollten. An jedem Kreuzwege, den ein Einzelner oder eine ganze Bande passirt, wird ein solches Zeichen zurückgelassen, welches die eingeschlagene und von den Nachfolgenden demgemäß einzuschlagende Richtung andeutet. Seitwärts von den Kreuzwegen wird auch oft zur Sommerszeit oder im Winter bei wenig Schnee ein Baumästchen mit mindestens drei Zweigen dergestalt in die Erde gesteckt, daß die Spitze des mittleren, des Hauptastes, die angenommene Richtung nachweist, während die Nebenflächen sich gleichsam als Flügel ausbreiten. Oder man schichtet drei Steine übereinander, von denen der größte die Basis bildet, der kleinste dagegen obenauf liegt. Oder man macht drei Parallel laufende, durch einen Querstrich verbundene Striche, deren mittlerer länger ist, als die beiden anderen,
in den Sand, und zwar so tief, daß sie nicht so bald verweht werden können.«
Sehr beliebt war diese Art von Zinken, durch welche Nachrichten gegeben wurden, schon bei dem ungeheuerlichen Bettlerthum des Mittelalters. Es wurden zur Nachricht für nachkommende Genossen an Zäunen und Häusern bestimmte Zeichen angebracht, welche bedeuteten z. B.: »Nimm Dich in Acht, auf diesem Gehöfte ist ein böser Hund!« oder: »Die Leute hier geben nichts, gib Dir keine Mühe!« oder: »Hier findest Du Unterkunft! Die Leute kaufen auch unredlich Gut!« oder: »Weine nur hier recht tapfer, die Leute sind sehr mitleidig!«
Noch ein »Zinken« muß schließlich erwähnt werden, weil er zu den brutalsten des ganzen Verbrecherthums gehört. Es ist derjenige »Zinken«, durch welchen Verräther gekennzeichnet werden. Bekanntlich sind Treu und Glauben im Verbrecherthum nicht zu finden, und einzelne Verbrecher geben sich gegen Bezahlung dazu her, der Polizei als sogenannte »Vigilanten« Dienste zu leisten und ihre Genossen zu verrathen. Diese »faulen Jungen« sind natürlich bei den anderen Verbrechern sehr verhaßt und entgehen selten der Rache derselben. Haben die Verbrecher einmal einen solchen Verräther so in der Gewalt, daß sie mit ihm anfangen können, was ihnen gefällt, so wird er vor Allem barbarisch durchgeprügelt und dann »gezinkt«, d. h. es wird ihm in die Wange oder in die Stirn ein langer blutiger Doppel-Einschnitt gemacht, dessen Narbe während des ganzen ferneren Lebens des Verräthers bleibt. Dieses »Kainszeichen« soll alle »ehrlichen Verbrecher« vor dem Verräther warnen und diesem sein schnödes Handwerk ferner unmöglich machen.