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Buddha kam zum 99. Male auf die Erde. Er fand, daß sie gar nicht so grau anzusehen sei, wie sie ihm das letztemal erschienen. Es war allerlei Liebenswertes und Schönes auf ihr anzutreffen. Schmetterlinge, Nachtigallen, Zedern, Sonnenauf- und -untergänge, ein silberner Mond, ein singender Wasserfall. Die wilden Tiere und vollends die Menschen gefielen ihm schon weniger. Aber er gedachte des großen Wortes, das einmal gesprochen ward: »Wer zu mir gut ist, zu dem bin ich gut, und wer zu mir nicht gut ist, zu dem bin ich auch gut.« Der Buddha gründete eine Akademie, »Die Stimme der Wälder«-, und lehrte die jungen Inder sein wie er selbst: sanft, leise und gütig. Um sie zu unterrichten, schrieb er aus der Tradition seines Volkes allerlei kleine und große Dichtungen und Gedichte. In denen sprach er von Schmetterlingen, Nachtigallen, Zedern, Sonnenauf- und -untergängen, einem silbernen Mond, einem singenden Wasserfall. Diese Verse waren nun nichts Besonderes, sondern ganz und gar Indisch-Typisches. Schon tausend indische Dichter hatten solche und ähnliche Verse geschrieben. Aber da trug der Wind einige seiner Klänge wie verwehte Blüten von Indien nach Europa, und dort klangen sie einer kahlen, unnatürlichen, unmenschlichen Welt unerhört. In Europa hatte ein Wohltäter und Menschenfreund, der Erfinder des mörderischen Dynamits, eine Stiftung für Dichter gegründet: auf einige Millionen, die er zum Tode beförderte, kam immer einer, den er zum Leben erweckte, das heißt zur Berühmtheit und zum Ruhme, und dieser eine wurde, als seine Verse bekannt wurden, der Buddha, der sich aus Bescheidenheit Thakur nannte. Thakur war hocherfreut ob dieses tiefen Eindrucks, den seine sanfte, stille Lehre auf das wilde Europa machte. Er zog sich seinen seidenen Mantel an, strich sich seinen weißen Vollbart und begab sich nach Europa, um seinem Gedanken durch seine Persönlichkeit mehr Nachdruck zu verleihen. Er sprach in der Universität Berlin, und die Pforten, die sich keinem großen deutschen Dichter geöffnet hatten, sprangen vor ihm auf. Er sprach von der Weisheit der Wälder zu Menschen, die nur von der Schlauheit der Maschinen wußten. Er predigte: »Liebet eure Feinde!« Und die Rapiere der Studenten klirrten jubelnd ineinander, und von ihren Lippen stieg die »Wacht am Rhein«. Er sagte: »Wer zu mir gut ist, zu dem bin ich gut, wer zu mir nicht gut ist, zu dem bin ich auch gut.« Und Geheimrat Roethe drückte ihm die Hand. Butterweck, der Vorsitzende im Aufsichtsrat der Nirwanabetriebsgesellschaft m.b.H., ließ sich ihm vorstellen und betonte, daß gleiche Interessen sie verbänden. Und er nahm ihn flüsternd beiseite: »Im Vertrauen, ich brauche zehntausend Buddhastatuen, sofort greifbar, Provision 15 Prozent...« Und der Buddha, der kein Deutsch verstand, freute sich des tiefen Eindrucks, den er überall hinterließ. Mit einem weißen Vollbart war er ausgezogen, und völlig bartlos traf er in Darmstadt ein, denn die begeisterten Backfische hatten ihm alle Haare zum Andenken ausgerauft. Auch trug er einen eleganten europäischen Gehrock, denn sein seidenes Gewand war im Dom von Berlin neben dem Kürassierhelm des Kaisers Wilhelm II. als Reliquie aufgestellt worden. In Darmstadt thronte der Buddha, bartlos und im Gehrock und mit vor Verwunderung leeren Augen, auf einem ausrangierten Thronsessel. Ein ehemaliger Großherzog machte seinen Maître de plaisir und Haushofmeister, und ein deutscher Philosoph mit blondem Vollbart, um den der Buddha ihn beneidete, hielt buddhistischen Cercle. Er hatte eine Pauke hinter sich stehen, auf die schlug er zuweilen und schrie: »Hier ist zu sehen der einzig wahre, einzig echte Buddha! Nicht zu verwechseln mit ähnlichen Unternehmungen! Es ist nur ein Buddha, und ich bin sein Prophet!« Und er schlug auf die Pauke. Der Buddha wußte nicht, was alles das zu bedeuten habe. Er lächelte hilflos und freundlich. Der blonde Philosoph hatte Einladungen in alle Gaue erlassen, wer den Buddha sehen möge, solle kommen, jeder dürfe eine Frage an ihn richten, und aus allen Gauen Deutschlands kamen sie und fragten den Buddha, der auf einem alten ausrangierten Thronsessel saß. Der eine fragte: »Wie wird der Dollar in acht Tagen stehen?« Der andere: »Soll ich Skoda-Aktien halten oder abstoßen?« Eine Dame der besten Gesellschaft fragte: »Ist mein Mann mir untreu?« Und eine Arbeiterfrau wollte das gleiche wissen. Ein Schriftsteller fragte: »Darf mein Roman auf hundert Auflagen rechnen?« Der Buddha wußte nicht, was er sagen sollte, und sagte immer dasselbe, nämlich: »Das Geheimnis aller Dinge ist das Ja-Nein.« Der blonde Philosoph, der die Pauke schon für sich selbst trefflich zu schlagen wußte, schlug sie auch für seinen Meister mit Geschick. Kleine Kinder kamen, die streuten dem Buddha, wie ehemals ihrem Serenissimus, weiße Blumen. Ja, der Serenissimus selber streute ihm Blumen und Weihrauch. Ein Männerchor sang das Lied von Andreas Hofer, vermutlich, weil auch Andreas Hofer wie der Buddha und der blonde Philosoph einen Vollbart getragen hatte. Dann aber stieg aus dem Munde des Volkes, welches von weither gekommen war, den Buddha zu sehen – sie waren gekommen mit Weib, Kind, Bier und Butterbrot –, wie improvisiert, das deutsche Lied zum sommerlichen Himmel: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.« Aber der Buddha begriff noch immer nicht, was alles das bedeuten solle. Er sah nur die Verehrung, die dem Gott in seiner Person gezollt wurde. Er schloß die Augen und dachte an Schmetterlinge, Nachtigallen, Zedern, Sonnenauf- und -untergänge, an den silbernen Mond, an den singenden Wasserfall. Der Gesang war beendet. Er hörte, wie der ehemalige Großherzog den Ton und Takt angab und die Menge brüllend einstimmte: »Seine Eminenz der Buddha – Hurra! Hurra! Hurra!« Der Buddha schlug die Augen auf. Die Sonne war untergegangen, ein Nachtschmetterling wiegte sich auf seiner zarten Hand. Er stand auf, strich sich mit seiner Hand über die Stirn und sagte: »Ich bin müde. Ich will schlafen gehen.« Und schritt die Stufen des Thronsessels hinab und schritt durch die Menge, die ihm ehrfürchtig Platz machte. Die Dämmerung war herniedergesunken. Er schritt durch den einsamen Park. Hier und da leuchtete eine weiße Statue. Vor einer derselben, auf deren Sockel das Wort »Goethe« stand, blieb der Buddha stehen. Er hob die Arme, dann sank er am Sockel nieder, und Träne auf Träne tropfte aus seinen leeren, nach innen gewandten Augen.