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Es ist die Sitte der Franzosen, ein Buch eines lebenden, eines jungen Autors zu préfacieren. Meist sind es die großen, weithin strahlenden, anerkannten Patriarchen der französischen Literatur, die den Glanz ihres Namens über das unscheinbare neue Oeuvre ausgießen, um es aus der Verlorenheit in den Brennpunkt zu rücken; so préfacierte Anatole France den jungen Marcel Proust, Romain Rolland den unbekannt-fremden Schöpfer der »Kyra Kyralina«. Oft sind es die Köpfe der literarischen Kritik, die ein Werk, im Vorwort schon, vor der Gefahr des Unverstandes und der oberflächlichen Betrachtung zu retten versuchen. Ich bin nicht sicher, ob beide Préfacierenden immer ihren Erfolg haben; vielleicht bleibt die Wirkung nur wie die jener schönen Geste, mit der man in den edlen geistigen Gesellschaften, im Pen-Club beispielsweise, den hohen Gast durch einen Patron einführt – eine Stimmungswirkung also, die die Bereitschaft zu ernsterer Betrachtung beim Dritten doch erhöht, und die darum produktiv wird.
Sicher ist, daß ein Vorwort, wie wir es hier setzen, in Deutschland selten – ich möchte sagen: unpraktischerweise selten ist. Und wenn bei diesem Buche, dem »Bracke« Klabunds, der Entschluß für ein Vorwort reifte, so ist die innere Berechtigung nicht einmal in dem zu finden, was wir die Schwierigkeit des Stoffes, des Werkes selbst nennen. Es wäre langweilig und desavouierend, sollte man einem Kunstwerk eine Art Erklärung voranschicken müssen; dies wäre so, wie jener Scherz es meint, der einem unleserlichen Schreiber empfiehlt, noch einmal erklärend darunter zu schreiben, was die ungefügen Schriftzeichen bedeuten. Die Handschrift der Dichtung muß klar und unmittelbar zu lesen sein – oder die Dichtung selbst ist dunkel und lebensunfähig, im formalen Sinne unfertig oder im sachlichen Gehalt unklar geschrieben. Ich hatte ein Mißbehagen gegen des Miguel de Unamuno »Exemplarische Novellen «, denen der Autor selbst einen (ausgezeichneten) »Prolog« gab; eine gute Novelle bedarf keines Prologs.
Nicht das Werk soll ein Vorwort abtasten – wohl aber die Gestalt. Der Dichter selbst soll vor uns treten, die Augen des Schaffenden, deren Leuchtkraft uns aus dem Werke entgegenstrahlt, wollen wir im Porträt des Menschen eingegründet sehen. Wir sind in unserer Urteilsbildung nicht frei von Meinungen anderer – und am allerwenigsten in der Bildung ästhetischer Werturteile. Der Geschmack, der einem »Namen« anhaftet, das Aroma, das ihm eignet, mischt sich in unserem Kopf mit unserem eigenen Meinen. Es ist oft die Tageskritik, die zufällige Einstellung unserer Zeitung oder ähnliches, was, uns unbewußt, eine Voreingenommenheit begründet. Aus diesen Einflüssen und stimmungsmäßigen Voreingenommenheiten, die die persönliche Begegnung mit dem Werke nur trüben und entweihen können, soll uns ein Vorwort retten, indem es uns zu den Quellen der Gestalt führt, uns die markantesten Züge eines Gesichtes weist. Selten ist eine Gestalt so umkämpft worden wie die des Klabund.
Die selbstgewählte Maske, die schon der Siebzehnjährige wählte und nicht mehr losließ, schützte vielleicht das Antlitz des Dichters vor allzu spitzen Pfeilen; der seltsame, wie eine Zauberformel anmutende Name »Klabund« verbreitete den Duft einer heiteren und ein wenig kecken Romantik um sich. Gleichwohl erlaubte er den bitteren Feinden, die sich der kühne junge Dichter – wie alle Dichter – schuf, phantastische Angriffe gegen den pseudonymen Autor.
Hinter der Maske lachte ein helles, kluges, knabenhaft feines Gesicht zu diesen böswilligen Späßen – das Gesicht des Alfred Henschke, Bürgerssohn aus Crossen a. d. Oder. Der freiwillig gewählte Name erlaubte dem Träger die Kühnheit seiner schwärmerischen Jugend, deren überschäumende Tollheit wie ein Märchen aus guter Romantikerzeit, oft wie ein spätes Nachwehen des »Sturm und Drang« klingt. Der Siebzehnjährige hatte den Namen im Scherz unter gigantisch-kühne Verse gesetzt, und Alfred Kerr hatte damals den jugendlichen Poeten entdeckt und ihm in seinem »Pan« ein Echo verschafft. Bis heute blieb Klabund dem Namen, der so früh bekannt geworden, treu.
Selten, sagte ich, ist ein Dichter so vielen Angriffen ausgesetzt gewesen wie Klabund. Die Ursache liegt nicht allein in der Kühnheit und rücksichtslosen Aufrichtigkeit des Schriftstellers Klabund – sie liegt auch in der ungeheuren Quantität seiner literarischen Arbeit. Früh zu dem schweren Beruf gezwungen, von schriftstellerischer Arbeit zu leben und im ständigen Kampf mit Verlegern, Zeitungen und Zeitschriften sein Brot zu verdienen, war Klabund genötigt, »für den Alltag« zu schreiben. Nur der Schriftsteller selbst weiß, was dieses harmlose Wort an Grausamkeiten birgt. Selbstverständlich niemals die Erlaubnis, vom inneren Bilde abzugehen, eine Konzession im Stil oder gar in der Gesinnung zu machen. Niemals! Aber doch die Notwendigkeit, das schüchtern sich bildende Gesicht einer Dichtung frühzeitig zu greifen, die Vision in Hast zu früh zu packen und unausgegoren die Frühgeburt abzustoßen. Frivol wie literarische Neider sind, oberflächlich wie es das Publikum ist, hatte man mit träger Oberflächlichkeit die schnell hingeworfenen Zeitungsbeiträge Klabunds an Stelle seiner Dichtung gelesen und gewertet.
Dazu kommt, daß Klabunds ethisches Temperament ihn dauernd rückhaltlos seine ethisch-politischen Überzeugungen aussprechen und kämpferisch vertreten ließ. Dieser Dichter hat früh einen politischen Verstand und die Größe des Willens zu einer moralischen Politik (im Gegensatz zu einer utilitaristischen) gezeigt. Man höhnte ihn, weil er 1916 die Ideale aussprach, die 1920 Gemeingut aller waren.
Und, da es im politischen Kampf keine Beschränkung gibt, verfolgte man mit gehässiger Kritik den Dichter Klabund, um den Schriftsteller Klabund zu treffen.
Klabunds Name strahlt heute hell, und es gibt niemanden mehr, der anders als vom Wesenskern seiner Dichtung aus zu seiner Gestalt zu finden trachtet.
In diesem Augenblick hat ein Dichter wirklich das »Herz des Volkes« erobert: wenn er für unantastbar gehalten wird. Der Dichter, in der Vernunft des Volkes, ist ein Wesen anderer, höherer Sphären. Seine Gestalt wird begrüßt wie eine Erscheinung aus anderer Welt.
Die tiefe Gerechtigkeit der Seele zwingt uns zu dieser entscheidenden Sonderung: ob jemand nur Talent, nur Begabung, nur höchstgewandter Literat – oder ob einer ein Dichter sei. Ob früh oder ob sehr spät – rückblickend müssen wir feststellen, daß selten das Empfinden des Volkes trog, daß selten ein Dichter der Verehrung entging – auch wenn sie nur noch nachhallend den Namen eines Verstorbenen glorifizierte.
Wenn Klabund früh, mit seinen dreiunddreißig Jahren, der meistgenannte, meistgelesene und anerkannte lyrische Dichter seiner Generation wurde, so ist dieser entscheidende Umschwung, die entschiedene Einkehr zu ihm nur so zu erklären: daß endlich die wahre Substanz seines Wesens durchdrang, daß die Beseeltheit seines Gedichtes sich frei und lückenlos offenbarte. Es ist seltsam, daß sein Name von der Bühne herab die entlegensten Provinzen eroberte. Der Lyriker Klabund war Besitz einer – wenn auch großen und immer wachsenden – Gemeinde geblieben; der Dramatiker Klabund erschloß sich alle Volksschichten, alle Stämme und Städte. Denn das Rampenlicht der Bühne ist schonungslos, aber auch durchdringend klar: am »Kreidekreis«, dem sieghaften Schauspiel Klabunds, waren es nicht die theatralischen Effekte, nicht die dramaturgischen Werte und die Kniffe der Technik, die sich den Erfolg ersiegten – – sondern nur die unmittelbaren Gewalten des Dichterischen. Nur? Es gibt nichts, was sieghafter die Seele trifft als der reine Klang der Dichtung.
Der großartige Erfolg des »Kreidekreises« zwang zu einer neuen Beschäftigung mit dem dichterischen Gesamtwerke Klabunds, das in zahlreichen Bänden (größtenteils im Erich-Reiß-Verlag) vorliegt. Nicht mehr sich dem Klang des einen oder anderen Gedichtes hinzugeben – sondern: die Totalität seines Wesens zu erfassen, wurde Aufgabe.
Dieses Wesen zeigt sich nunmehr, geprägt und scharf profiliert, von den frühen bis zu den neuesten Gedichten, von den Romanen »Moreau« und »Mohammed« bis zu »Pjotr« und »Bracke« führt eine Linie. Sie sind in ihrer künstlerischen Einheit Darstellung der Natur und ihrer mystischen Kräfte, deren ewiges Spiel Schicksale des Menschen formen.
Im Zeichen des Gestirns, das donnernd droht, gebar die Erde den russischen Zar Pjotr – – und im seltsamen Spiel des Zufalls gebiert die bescheidene Trebbiner Bürgerin den Bracke. Schicksale sind Spiele der Natur – nicht mehr kontrollierbare, nicht mehr zu bewertende Wunder der Erscheinung. Dieser Glaube Klabunds, der Glaube an das Wunder der Erscheinung, bestätigt ihn als Lyriker – macht ihn zum Lyriker im Goetheschen Sinne. Das »So mußt du sein – dir kannst du nicht entfliehen«, ist Grundsatz dieses Naturglaubens.
Es ist des Dichters Absicht in diesem »Bracke«, immer »das Gesetz, wonach wir angetreten«, aufzuspüren. Es geschieht oft in der dichterischen Form der mystischen Umkleidung; seltsame Geschehnisse, abenteuerliche Erscheinungen künden das Ereignis. Oft aber dringt sein Blick durch zu klarer, fachlicher Erkenntnis.
»Naturnähe« ist das Zeichen des Lyrikers. Der Gesamtschatz des lyrischen Werkes Klabunds ist ein Singen von Natur. Selten ist sie einem gegenwärtigen Dichter so vertraut, so nahe geworden. Wie Eichendorff pilgert er durch die Lande, trinkt sich satt an den Schönheiten einer Landschaft, kniet nieder vor der Erscheinung jedes Berges, jedes Baumes, jedes Vogels. Und vor der süßesten Gegenwart jedes Mädchens, das er als Vollendung der Schöpfung naturhaft erlebt. Wenn er, im Tessin oder im Odertal streifend, auf Capri oder auf Rügen ruhend, ein Buch in den Händen hat, so sind es die Gedichte des jungen Goethe, die Lieder und Balladen, die niemand so kennt und so liebt wie Klabund.
Es ist kein Zufall, daß dieser innige Belauscher der Natur eigentlich so »nebenbei«, neben seiner weiten schriftstellerischen Arbeit, mit einer naturwissenschaftlichen Arbeit doktorierte – – einer Arbeit über die »Gottesanbeterin«, diese seltsame Heuschreckenart, die er im Tessin mit den Augen des Forschers und mit der Seele des Kindes beobachtete. Aus Freude und Hingabe wurde hier wissenschaftliche Leistung vollbracht.
Die Unmittelbarkeit des Natur-Erlebens bei Klabund führt ihn auf seine Stoffe, die er sich als dichterischen Vorwurf wählt. Er will das Leben dort packen, wo es ihn im orphischen Sinne als grandioses Ereignis berührt – – nicht aber, wo es nach Zeitgeschmack und oberflächlicher Vernunft groß erscheint. Er wählt nicht das soziale Thema wie Zola, nicht die »Gesellschaft« zum Mittelpunkt des Romans wie Galsworthy im »Patrizier«, nicht die psychologischen Probleme wie Thomas Mann im »Zauberberg«. Er wählt überhaupt nicht das Problematische – er wählt das Einfache, Simple, Eindeutige. Denn, so ist sein Glaube, im Einfachen zeigt sich das Gesicht der Natur – und die naturhaften Zusammenhänge sind entscheidender als die menschlich-sozialen Verknüpfungen. Seine Gestalten sind die primitiven Menschen, die Leute des Alltags, wie sie vor ihm Grimmelshausen im »Simplizissimus« oder Gottfried Keller in den »Leuten von Seldwyla« dargestellt hat. Und wenn er scheinbar eine sozial-überragende Gestalt wie Pjotr wählt, so nur, um aufzuspüren, daß auch das Schicksal dieses Gewaltigen geformt ist von den elementaren Mächten der Natur. In einer seiner vollendetsten Dichtungen, der »Bauernballade« (im »Lesebuch« erschienen), findet er innerhalb des Balladenstiles den plastischen Ausdruck eines Lebensgefühles, daß das Leben des Volkes, das Leben naturwahrer Menschen umschließt.
Es sind die romantischen Themen, die er sucht – die Themen der Volksmythen, der Volkssagen und Volksgestalten. Und balladenhaft, also »im Volkston« gehalten, ist die Sprache, auch in seinen Romanen. Auch im »Bracke« zeichnet der Balladenton die Bewegung der Sprache vor. Die Sprache auch dieses Romans ist nicht zeichnerisch-naturalistisch – sie ist die Sprache des Lyrikers.
Volksgestalten sind die Helden seiner Dichtung. So dieser »Bracke«, eine norddeutsche Eulenspiegelfigur, – der »Christoph Wagner«, die Hauptgestalt des Volksspieles, – auch Moreau eine Volksgestalt, Kind-Gestalt des »Kreidekreises«, ist nach Klabunds eigenem Zeugnis »nicht eine chinesische Figur, sondern ein deutsches Mädchen«. Freilich in die Gewandung einer fernöstlichen Welt transponiert.
Klabunds schönste Gedichte haben die einfache, die hinreißend schlichte Melodie des alten deutschen Volksliedes. Wenn er sie wie in seinem Bande »Dumpfe Trommel« oder »Das Blumenschiff« als Übertragungen altchinesischer Dichtungen ausgab (und ein Jahrzehnt lang glaubte man diesem Spiel), so erkenne ich darin wieder einen Grundzug seines Wesens: die namenlose Scheu vor der unmittelbaren Berührung mit der Umwelt, der Wille zur Anonymität, der schon zur Namens-Wahl »Klabund« führte.
In diesen Gedichten aber lebt der Zauber der Volksseele, in seinen Balladen und balladenhaften Romanen ist das Volksleben eingefangen. Die einfachen, schlichten, großen Geschehnisse sind ihm vertraut – die einfachen, schlichten, großen Schicksale des Menschen. Und über allem und in allem: die ewige Seele der Natur.