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Carl Jonas Ludwig Almquist

Carl Jonas Ludwig Almquist
Bildquelle: en.wikipedia.org

Carl Jonas Ludwig Almquist.
Schwedens modernster Dichter


Wenn ein Fremder wissen will, wer die Poeten waren, die am vollkommensten schwedische Art in dichterische Form krystallisierten, antwortet jeder Schwede: Bellman und Tegnér. Man nennt auch Runeberg, aber mit dem Bedauern, daß er nicht ganz der unsere genannt werden kann. Wenn der Fremde eine Charakteristik des Verhältnisses unserer nationalsten Dichter zu der Zeit wünschte, in der sie lebten, wäre die Antwort vermutlich in Kürze diese: Bellman spiegelte seine Zeit unmittelbar und unbewußt, so wie die Wasserfläche spiegelt, er sang, wie die Vögel singen, unberührt von den Fragen der Zeit. Tegnér hingegen könnte man als den reichsten, volltönigsten Ausdruck der Kultur seiner Zeit und ihrer Verschmelzung mit dem Nationalgefühl unseres Volkes bezeichnen.

Aber wenn der Fremde wissen wollte, ob Schweden keinen Dichter besessen hat, der mit beflügelten Schritten seiner Zeit vorauseilte, der sie mit tiefen Fragen aufwühlte, der mit grenzenloser Hoffnung die Zukunft prophezeite – da stünden wir stumm da, könnten wir nicht antworten: Almquist.

Wenn dann der Fremde weiter fragte: Welche von euren jetzt lebenden Dichtern sind die Repräsentanten der geistigen Strömungen der Jahrhundertwende? so würden wir bald den einen, bald den anderen unserer jungen Dichter als Ausdruck der einen oder der anderen Seite des Lebens der Zeit nennen. Als ihr vielseitigster Repräsentant würde zweifellos Strindberg bezeichnet werden. Aber wenn der Fremde dann fortführe: Sie meinen also, daß Strindberg derjenige unter Ihren modernen Schriftstellern ist, der dem ganzen, jetzt an der Neige des Jahrhunderts hervorbrechenden neuen Zeitbewußtsein den reichsten Ausdruck gibt? – Da würde – falls ich die Gefragte wäre – die Antwort lauten: Nein, wenn Sie den Ausdruck nicht bloß des Seienden, sondern auch des Werdenden suchen – so ist noch immer der vor hundert Jahren geborene Almquist unser modernster Dichter.

Eine solche Behauptung fordert Beweise, und diese möchte ich hier in gewissem Umfange liefern. Eine psychologische und litterarische Kritik, auf Almquists Lebensverhältnissen und Werken aufgebaut, ist jedoch nicht beabsichtigt.

 

I.

Denen, die mit Almquists Schicksalen unbekannt sind, werden vielleicht einige Augenblicksbilder aus seinem Leben erwünscht sein.

Wir sehen da, im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts, ein mit Bücherregalen und Blumen gefülltes Arbeitszimmer, wo ein sanfter, silberhaariger Greis mit Stolz einen tiefäugigen Knaben betrachtet, der in seine Bücher und Manuskripte versunken ist. Der Alte ist der Bibliothekar Görwell, der davon träumt, daß der Tochtersohn, der kleine Ludvic, den historischen Sammlerberuf fortsetzen wird, dem der Großvater getreulich sein Leben gewidmet hat.

In den zwanziger Jahren treten wir in ein Bauernhaus in Wärmland. Wir finden da ein junges neuvermähltes Paar. Die Frau spinnt am Kamin, der Mann, eben von der Feldarbeit heimgekehrt, ist mit der Feder oder dem Buche beschäftigt. Das ist der Dannemann Ansässiger Bauer. Ein Ehrentitel. Love Carlsson, der vom Konventionalismus in die Natur geflüchtet ist, um so »das Leben in einer einzigen Straße auszubilden«.

Um 1830 herum sehen wir denselben Mann als Leiter der Reformunterrichtsanstalt Schwedens, Stockholms neuer Elementarschule, von einer Schülerschar umgeben, die bei seiner genialen, menschlichen Erziehungsmethode zum erstenmale erfährt, daß man in einer Schule glücklich sein kann, daß ein Lehrer ihre Säle mit wunderbaren Bildern und den Geist mit großen Gedanken zu erfüllen vermag. Dieser Lehrer ist der Rektor C. J. L. Almquist, nicht bloß als der ausgezeichnete Schulmann, sondern auch als der auf der Höhe seiner Produktionskraft stehende geniale Dichter geschätzt, der in hohem Grade die Bewunderung und das Vertrauen seiner Zeitgenossen besitzt.

In den vierziger Jahren finden wir denselben Mann, gezwungen, Abschied von seinem Rektorat zu nehmen, mit der Feder für »Aftonbladet« arbeiten. Aber nicht bloß als Publizist, sondern durch belletristische Massenproduktion, durch alle Art kraftverbrauchender Arbeit – Kartenzeichnen, Notenschreiben, Korrekturlesen, Reinschriften – sucht er Unterhalt für sich, Frau, Sohn und Tochter. Die schwedische Akademie scheint von diesem Kampf ums Dasein keine Kenntnis zu haben. Aber ein Bischof sagt schließlich dem König Oskar, daß Schwedens größter Geist nicht verhungern sollte, worauf eine – Ernennung zum Regimentspastor erfolgt.

In der Mitte des Jahrhunderts – im Juni 1851 – sehen wir ein Fischerboot im Oeresund, in einem Sturm, so stark, daß das rote Segel oft zwischen den erregten Wogen verschwindet. Im Boote sitzt ein bleicher, zitternder Mann, aus seinem Lande flüchtend, ein Mann, dessen Name auf aller Lippen ist, meistens mit böser Schadenfreude, als der des Fälschers und Giftmörders Almquist.

In Amerikas Großstädten und Wäldern, am Niagara wie auf dem Schlachtfelde von Gettysburg irrt Mr. Gustavi umher, ein alles versuchender Emigrant. Aber um die Mitte der sechziger Jahre kommt ein alter Mann nach Bremen. Stille und leichtvergnügt lebt er dort, mit seinen Büchern und Papieren beschäftigt, ein weißhaariger, einsamer Greis, der, als er erkrankt, in das allgemeine Krankenhaus gebracht wird, wo man ihn als Professor Westermann verzeichnet und von wo man ihn, als er stirbt, auf den Armenfriedhof führt. Inzwischen sind Almquists sterbliche Überreste nach Schweden übergeführt und dort feierlich bestattet worden.

Wunderbare Gegensätze! Und doch findet sich von dem kleinen Ludvic, der schon über die Rätsel des Lebens und des Todes grübelte, bis zu dem ergrauten Greise eine Einheit des Temperaments, so ungebrochen, daß gegen sie gehalten – so paradox es klingen mag – Almquists Leben bloße Brechungen dieser Einheit ausmacht.

 

II.

Kein schwedischer Dichter hat sein eigenes Temperament, seine Art zu dichten, seine Gedanken über die Kunst vielseitiger beleuchtet und erklärt als Almquist. Er hat dies teils in besonderen Abhandlungen getan, teils in den Gesprächen, die auf dem Jagdschloß in Nerike geführt werden, wo der Hofmarschall Hugo Löwenstjerna seine Jugendschar und den wunderlichen Nachbar von Råbacken, Rikard Furumo, um sich versammelt, der die Gedichte vorliest, die zusammen das Buch der Dornenrose Über das Buch der Dornenrose siehe Ellen Keys »Essays«, Einleitung zu: »Ein Abend auf dem Jagdschloss«. bilden, Gedichte, die Rikard im Gespräch mit seinen Zuhörern auslegt.

Almquists bewußtes Kunststreben ist, alle bestimmten Formen der verschiedenen Dichtungsarten, Epos, Lyrik oder Drama, aufzuheben und neue, für jede Dichtung ganz eigene Ausdrucksarten zu finden. So hat er Lyrik ohne Reim oder Metrum, Stimmungsgedichte in Prosa, Dramen, in denen die Entwickelung des Gefühls, nicht die der Handlung, das Wesentliche ist. Er sucht einen Stil, der stets wechselt, indem er sich nach dem eigenen Ton jedes neuen Gegenstandes moduliert. Je mehr Stil und Gegenstand eins werden, desto echter ist ihm das Kunstwerk, und der beste Beweis dafür, daß es seine besondere, charakteristische Gestalt hat, ist seine Unübersetzbarkeit. Die wie ein feiner Duft ausgebreitete Stimmung ist ihm das Bedeutungsvolle, nicht, ob das Gedicht Lokal- oder Zeitfarbe hat, ob es den Gesetzen der Lyrik oder der Dramatik folgt. Dem echten Künstler wird die echte Schönheit wie eine Gabe: ein göttlicher Blitz trifft den Erwählten, und er gehorcht. So wird sein Schaffen wahre Kunst; sonst ist es nur eine unnatürliche Kopie einer vielleicht in allen Einzelnheiten richtig wiedergegebenen Wirklichkeit. Das Leben ist der Inhalt der Inspiration. Wer tief ins Dasein blickt, sieht es in so edler Gestalt, daß es alles Künstliche übertrifft. Vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen ist nichts in der Natur an und für sich niedrig, nichts hoch. Die Kunst gibt die höchste Offenbarung des Lebens, ja die einzige ganz aufrichtige. Aber sieht man das Geheimnisvolle, Wunderbare im Leben nicht, so wird die Kunst elend, ein falscher Realismus. Sieht man die Natur nicht, so verfällt man in konventionelle Bezeichnungen, gekünstelte Symbole, in einen falschen Idealismus. Der Künstler muß sich hüten, seinen Schaffenstrieb unter die Reflexion zu beugen, er soll mit keinem Ziel arbeiten, nur selbst edel sein; dann wird seine Kunst von edler Eingebung getragen. Der Künstler ist der Widerspruch selbst: er ist planlos – dennoch greift alles schön ineinander, und je mehr er sich der Eingebung überläßt, desto voller wird er die Seligkeit des Schaffens empfinden. In seinem kleinen, tief persönlichen Gedicht die Nacht des Dichters hat Almquist ausgesprochen, was er im Innersten als das künstlerische Ideal empfand. Er schildert, wie er in großer Angst und Ohnmacht in dem Schatten der Nacht eine Stimme hörte, die sprach: »Wähle! – Willst du stark sein, so wähle des Starken Los, das Kampf ist und keine Ruhe. Gegen alles sollst du streiten, nichts außer dir auf Erden wirst du in Harmonie finden, sondern stets wirst du damit ringen wollen. – – Aber willst du ein Lamm sein, so komm zu mir. Da sollst du Frieden, Unschuld und Ruhe haben, bei mir in meinen Räumen. Ich werde dich umschließen, und du sollst vom Zwiespalt, vom Werk des Elends nicht zerrissen werden.« – –»Herr!« antwortete meine Seele und sank zusammen – »könnte ich ein Lamm sein, wie du sagst.« – – Da entsagte ich in meinem Sinn allem, und ich sprach: »Alles mag sein und tun, wie es will.« Und dieselbe Stimme sprach weiter zu ihm: »Sei nur eingedenk, auf nichts zu bestehen und dich auf nichts zu stützen. Dann wird nichts dich rühren, und du selbst wirst nichts besitzen; aber du wirst Macht über alles haben. Du wirst nicht die Macht haben, es zu besitzen, denn du sollst nichts dein Eigen nennen und auf nichts bestehen. Aber du wirst die beste Macht von allen haben: die, zu spielen.« Bei diesen Worten versank mein Haupt in eine hellgelbe Wolke, und ich verlor das Universum. Aber als ich erwachte und aufstand, war ich froh. Die Kunst erwachte da neu in mir, und in weißem Reiz sah ich die holde. Gestorben war nun der Tod, und nur das Leben lebte für mich. Ich hörte den Donner in den Wolken aufsteigen, und das erschrockene Himmelsgewölbe breitete seine Schwingen zitternd über die Erde. Aber ich, lachte und sagte: »Schön ist der Blitz.« Regenschauer stürzten brausend über das Land, alles fiel, schmolz, ertrank. Ich wurde nicht feucht. Stürme eilten durch Wald und Wiese, Tiere flohen, und Menschen froren bis ins innerste Mark. Meine Hand war warm, und ich malte. Blumen sah ich knospen, Blumen sah ich welken. Ich malte. Kinder sah ich zu Knaben und Mädchen heranwachsen. Mädchen sah ich zum Weibe erblühen, schön wie des Lebens Rosen: ich sah sie altern, ich sah sie welken und vergehen. Knaben sah ich zu Männern werden, ich hörte sie klug und scharf sprechen, ich sah sie altern, sah sie erbleichen und ergrauen. Aber ich fuhr fort, der zu sein, der ich bin und der ich gewesen: Nichts. Ich male nur.«

Almquist malte jedoch nicht immer unreflektiert. Seine genialsten Schöpfungen sind wohl unmittelbar aus seiner gleichzeitig reich erfindenden und tief eindringenden Phantasie hervorgegangen; Gestalten wie Ramido Marinesco, Tintomara und viele andere sind allein Kinder der Intuition; und Reflexion würde da nur störend gewirkt haben. Aus des Wesens Tiefe quillt auch die reiche Eigentümlichkeit des Stils, die selbst in seinen schwächeren Arbeiten hinreißt. Aber, um nur ein paar Beispiele herauszugreifen, mit absichtlicher, bewußter Kunst hat er im Juwelenschmuck der Königin die herrliche Farbe der Zeit Gustavs III. gemischt und sie als Hintergrund für seine Tintomara verwendet. Sorgsam studiert ist auch der auserlesen feine weibliche Briefstil in der Novelle Araminta May und in Amalia Hillner, ebenso wie bewußte Kunst der Jagd Arthurs das grüne Licht der Waldestiefen und den aus Jagdhörnern tönenden Märchenklang gegeben und seine Bilder aus dem Volksleben in die kühle, schwedische Sommerluft getaucht hat. Aber die Kunst Almquists nimmt sich wie ein glückliches Ungefähr aus, unter anderem auch darum, weil zwischen den Stunden, in denen er in »Rubinlaune« war und Edelsteine von seiner Feder tropften, oder den Stunden, in denen er mit ausgesuchter Sorgfalt diese Edelsteine schliff und einfaßte, wir ihm lange Strecken folgen müssen, in denen er seine Bogen bloß mit Streusand überschüttete. Nicht bloß die Notwendigkeit fürs Brot zu schreiben hinderte Almquist, durchgebildetes Künstlertum zu erreichen. Dieselbe Eigentümlichkeit des Temperaments, die es mit sich brachte, daß Almquist nie ein einheitlicher Charakter wurde, stand auch seinem Erreichen einer vollen Künstlerschaft im Wege, nämlich der unbedingte Glaube an die Intuition. »So male ich, denn so gefällt es mir zu malen« – dies war Almquists innerstes Prinzip, wenn er dichtete und wenn er handelte. Aber die Intuition allein hat in Kunst und Leben selten vollwichtige Werte geschaffen.

Jeder, der mit der Neuromantik der Jahrhundertwende vertraut ist, sieht sofort die vielen Berührungspunkte zwischen dieser und Almquists Ansichten über die Kunst. Man könnte Almquist in der Theorie ja für einen Gegner des modernen Symbolismus halten, seines bewußten Strebens, seiner unermüdlichen Arbeit, die Kunst der Darstellung zu vervollkommnen. Aber wenn Almquist, bewußt oder unbewußt, eine gewisse Wirkung zu erreichen sucht, dann sind es die Mittel des heutigen Symbolismus, die er gebraucht. Um nur einige Beispiele zu nennen, so sucht er wie Maeterlinck durch einförmige Wiederholungen und lange Pausen eine gewisse Stimmung zu wecken und zu steigern. Er bringt den kleinen, realistischen Zug an, der als Gegensatz zum hochgestimmten Ton der Schilderung wirken soll. Er sucht die ausdrucksvollsten, ungewöhnlichsten Bilder, sorgsam gewählte, seltsame Epitheta, und sein Stil ist der suggestive, nicht der deskriptive. Almquist war vom Zusammenklang der Sensationen und der Phantasie so abhängig, daß er am liebsten gewisse Szenen mit schwarzer, andere mit roter, andere mit blauer Tinte schrieb, und er bedauerte, nicht Tinte in allen Farben zu haben. Man begegnet bei ihm unzähligen Ausdrücken, die man neben ähnliche der Neuromantiker stellen kann, wie: »seidenschwarze Blicke«, Augen, die »mit einem feinen, dunklen Ton glimmen, so wie wenn der Himmel sich zu einem Frühlingsregen rüstet«, oder Schilderungen französischer Eleganz: »nicht rot – nicht schwarz – auch nicht weiß ... es ist etwas Hellgelbes. Nicht wie Gold jedoch. Aber hast du die geschmeidige Rohseide gesehen« ... Er sieht ein »wunderbares Grün« über der Stimmung gewisser Vorgänge ruhen, andere »nehmen sich in grauer oder rotbrauner Unbehaglichkeit aus«, während andere wieder violett oder zimmtbraun schillern, oder von Bläue umgeben sind. Wenn er Farben in Töne übergehen sieht, Töne als Farben vernimmt, und Farbe oder Ton dann Düfte werden, und die Düfte Geschmacksempfindungen wie von saftigen Früchten geben, da offenbart er gerade jenes Vermögen, durch Übereinstimmungen zu genießen, das eines der Kennzeichen des Symbolismus ist. Nur Mangel an Raum, nicht an Stoff hält mich ab, die mannigfaltigsten, Beweise für das ausgeprägte Moderne dieses Teils von Almquists dichterischem Temperament zu liefern. Vor Maeterlinck ließ er seine erdichteten Personen auf dem Jagdschlosse Szenen hinter dünnen Schleiern von verschiedener Farbe aufführen, so daß die Stimmung durch die verschiedene Färbung der Schleier angedeutet wurde. Seine »Songes«, – wunderbare kurze Gedichte, mit einer von ihm komponierten, ebenso wunderbaren Musik – waren dazu bestimmt, auf diese Art vorgetragen zu werden und so wie Traumbilder in Worten und Tönen zu wirken. Vor Wagner träumte er von einer Kunstform der Zukunft, die der Inbegriff aller Kunst werden sollte, Poesie, Musik und Bild zu gleicher Zeit. Selbst mit allen Gesetzen der Komposition sowie mit den Noten unbekannt, aber von Natur tief musikalisch, ließ er seine Stimmung in Melodie ausströmen, wenn die Worte nicht hinreichten, ihr Ausdruck zu verleihen. Er will die abgedroschenen, poetischen Bilder nicht anwenden und sucht neue an Stelle der verbrauchten zu schaffen; er bedauert, daß so viele Worte aus der Naturwelt eines hohen Klanges entbehren und darum außer stande sind, eine musikalische Stimmung zu erwecken.

Wenn wir in wenigen Worten das Ziel von Almquists künstlerischem Streben zusammenzufassen suchen, so bestand dies darin, die festgestellten Grenzen zwischen den poetischen Formen, zwischen den verschiedenen Gebieten der Künste sowie zwischen denen der Sinneseindrücke, aber vor allem zwischen Leben und Kunst aufzuheben. Seine Hoffnung auf eine neue Zeit für die Kunst, »in der neue Rosen erblühen sollen«, gründet er auf die Hoffnung, daß die Kunst verehrt werde wie eine Religion. Alle heiligen Äußerungen des Lebens, Arbeit, Schönheit, Liebe sind Blätter der mystischen Weltrose. Von dieser Rose sollte sein eigenes Lebenswerk »Das Buch der Dornenrose« mit seinen allen Ländern, Zeiten und Lebensgebieten entnommenen Vorwürfen ein Symbol sein. Denn der Dichter spricht am liebsten durch Symbole: sie verbreiten Freude und ein wunderbares Licht in seiner Seele. Man versteht die Gleichnisse des Daseins in dem Maße, als man eine reine Natur ist, eine, die das wahre Künstlerleben lebt. Man braucht nicht zu schaffen, um Künstler zu sein. Man muß nur das Leben mit Unschuldsblicken ansehen. Dann lebt man in dem Ganzen, ein wunderbares Zusammenleben mit dem Weltall. Da blüht man in unbeirrter Wesenseinheit, da feiert man den wahren Gottesdienst, den, bei dem man »dem Herrn Rosen opfert«.

Diese aus Almquists innerster Persönlichkeit erwachsene Kunstauffassung war völlig eins mit seiner übrigen Lebensanschauung.

 

III.

Eine bewußte Reaktion gegen die unzusammengesetzte Auffassung der Menschennatur im Aufklärungszeitalter, das war das Bedeutungsvollste an der Romantik, die von der Oberfläche hinab in die geheimnisvollen Tiefen der menschlichen Natur vorzudringen suchte. Die Romantik ahnte all die wunderbaren Erscheinungen, die heute Psychologie und Physiologie erforschen. Die Krankheiten des Willens und des Gedächtnisses, die hypnotischen Phänomene, die Äußerungen des unbewußten Seelenlebens, die Psychologie des Verbrechers, das Seelenleben der Tiere, mit dem des Menschen verglichen, all dies und unzählige andere Gebiete der wissenschaftlichen Forschung bilden ja die Unterlage vieler literarischer Produktionen der Gegenwart. Die Gegenstände, die die Romantik zu Anfang des Jahrhunderts ausschließlich phantastisch behandelte, suchen die Dekadenten der Jetztzeit oft mit krankhaftem Interesse auf, weil sie sich selbst auf gleiche Art erkrankt fühlen. Almquist besaß in hohem Grade das tiefe Bewußtsein unserer Zeit von der Zusammengehörigkeit der körperlichen und der seelischen Erscheinungen, von all den Punkten, in denen das Normale und das Anormale zusammenfließt. Aber was Almquist in der seelischen Pathologie lockte, ist die Hoffnung, in dem Kranken tief innen »ein neues Evangelium der Gesundheit« zu finden. Er gebrauchte den Ausdruck, daß, wer ein Stück in die Erde gräbt, nur ein schwarzes Loch findet; wer tiefer gräbt, findet den Himmel. Die Romantik, sowohl am Anfange wie am Schlusse des Jahrhunderts, fühlt sich von dem Wunderbaren angezogen, vor allem, weil es von der Wirklichkeit weg führt; Almquist geht durch das Wunderbare, um zu einem tieferen Verständnis der Wirklichkeit zu gelangen.

Was Almquist mit der Romantik verbindet, ist außer der psychologischen Tiefe der starke Individualismus sowohl wie die pantheistische Richtung seiner Lebensanschauung. Die Gegenwart versucht bewußt, was man im Anfange des Jahrhunderts halbwach versuchte, die Grenzen zwischen Körper und Seele zu durchbrechen, zwischen Leben und Tod, Sinn und Geist, Menschlichem und Tierischem, Normalem und Anormalem, zwischen heidnischer und christlicher Lebensauffassung. Nach einer neuen Lebensanschauung, die man schon die des Monismus genannt hat, schmachtet das vom Dualismus gequälte Zeitbewußtsein; von der Sehnsucht nach einer einheitlichen Welterklärung leitet sich der neuerwachende Haß des Zeitgeistes gegen Spezialisierung und Analyse her, seine Liebe zur Synthese, zur Ganzheitsauffassung. Die leidenschaftliche Stärke, die ungebrochene Folgerichtigkeit in Almquists Streben nach dem Monismus machen ihn zu unserem modernsten Dichter. Dieses Streben ist die Seele des Buchs der Dornenrose, in dem Almquist »die ganze Welt spiegeln« wollte, und das darum nach ihm gleichzeitig »Ton, Farbe, Duft, Weinen, Lachen, Poesie, Religion, Philosophie ist.« Und in dem Maße, als es Almquist wirklich gelungen ist, das Leben ganz in seine Dichtung zu fassen, die Einheit in der Mannigfaltigkeit und die Mannigfaltigkeit in der Einheit zu finden, hat er sich zu der Höhe der wahrhaft großen Dichter erhoben, für die das Streben, eine Ganzheitsanschauung und dadurch ein Verwischen aller scharfen Grenzlinien zwischen den verschiedenen Lebensgebieten zu erreichen, stets das Kennzeichnende war. Aber Almquist barg in der Tiefe seines Wesens den Dualismus, den er bekämpfte, und dieser hinderte ihn, volles Gelingen in seinem Ganzheitsstreben zu finden.

Almquist hatte einen an Wahnsinn oder Selbstmord grenzenden Kampf mit dem Dualismus in seinem eigenen Innern durchgemacht, den er seiner Geburt in einer Ehe zuschrieb, die zu jenen gehörte, die er später unecht nennt: eine, in der die Sympathie zwischen den Gatten fehlte. Die Mutter, die er tief liebte und – als sie in seinem 13. Jahre starb – tief betrauerte, schildert er als eine zarte, wunderliche Naturschwärmerin, die in allen stillen Wäldern mit Rousseau träumte. Der Vater, Kriegskommissär Almquist, war der Mann des praktischen Nutzens, des scharfen Verstandes, und diese nicht durch die Liebe verschmolzenen Gegensätze vererbten sich auf den Sohn. Er wurde bald von dem, was er die väterliche »Beamtenseele« nennt, beherrscht, bald von der von der Mutter ererbten Dichternatur. Dieser so persönlich erfahrene Dualismus schärfte seine Empfänglichkeit für den ganzen, ihn umgebenden Dualismus in der Natur, in der Gesellschaft, im Christentum, wo ihm bald jener »furchtbare Christus« entgegentrat, der mit der Forderung Alles oder Nichts unbeweglich stille stand, ihm den Weg zu freiem, vollem Lebensgenuß, tiefer, individueller Entwickelung versperrend. Schließlich wurde Almquist mit der Umbildung seiner Begriffe von Gott und Christus, so wie er sie für sein religiöses Gefühl und seine persönlichen Freiheitsforderungen brauchte, fertig. Es glückte ihm, einen Zipfel von dem, was er den Weltfetzen nennt, abzureißen und seine Wunden damit zu verbinden. Dieser Zipfel ist die unmittelbare Andacht. Durch sie rettet er sich ein Leben »über dem Leben der Fragen.« Dieses Leben ist reine Liebe. »Sie fragt nicht, sie ist.«

Aber der Kampf, der lange für ihn den Glanz der Sonne und das Grün des Sommers erlöschen ließ, hatte sein Entsetzen vor den dunkeln, ungekannten Tiefen seines eigenen Wesens erweckt, während er ihm gleichzeitig das Bewußtsein gegeben hatte, daß Inspiration und Verbrechen im dunkeln Urgrund der Natur ihre Wurzeln verschlingen; daß in der Spur des Genies sein »grausig ähnliches Gespenst« schreitet, »der weißgekleidete Nachtwandler, der Wahnwitz.« Die Stärke dieses Bewußtseins gibt seinem Jugendbuch, das stets sein liebstes Werk verblieb, Amorina, jenes moderne Gepräge, jene wilde Kraft. Dieses Buch ist gleichzeitig sein Werther, in welchem er einen durchgelebten Entwickelungsabschnitt zu Ende dichtet, und ein Chaos, das viel von dem Stoff enthält, den er später dichterisch formt. Was er vor allem durch Amorina aussprechen will, ist die Beobachtung, die heute eine allgemeine Wahrheit ist, daß Verbrechen oft ererbte oder durch physische Erschütterungen erworbene Krankheiten sind. Amorina ist um so weniger der planlose Wahnsinn, für den die Zeitgenossen es hielten, als Almquist schon früher eine Abhandlung darüber geschrieben hatte, daß Gefängnisse als Krankenhäuser der Seele betrachtet werden sollten, in denen man mit lauter milden Mitteln bestrebt zu sein hätte, die geistige Gesundheit der Verbrecher wiederherzustellen. In Amorina hat Almquist einen Übermenschen geschildert, aber der mit Mordmanie behaftet ist, der von Vater und Mutter zu einer »ewig nach Blut dürstenden Quelle« geschaffen wurde. Almquist führt hier einen bewußten Angriff gegen die Freiheit des Willens, »er bringt eine scharfe Degenspitze an den empfindlichsten Nerv der Menschheit« – denselben Nerv, der in ihm persönlich noch vor Schmerz bebte. So weit voraus war Almquist seinem Zeitbewußtsein, daß Amorina (dessen I. Auflage sein Onkel, der Bischof, einstampfen ließ) 1839 geringe Aufmerksamkeit weckte, während man sich auf Det går an Es geht an. stürzte, das verglichen mit Amorina ein Kinderspielzeug ist.

In Amorina drückt Almquist besonders durch die Heldin des Buches die andere Seite der Lebenserfahrung aus, durch die er den Glauben an die Freiheit des Willens verloren hat. Die Natur, die Almquist von seiner Mutter geerbt hatte, war eine nach innen gewendete, in der tiefer Quietismus vorherrschte, eine Natur, die nur Gemüt war. In einer solchen Natur wird die Stimmung Alleinherrscherin, der Wille äußert sich nur als instinktiver Impuls. All das Unmittelbare wird als die heilige Lebenskraft betrachtet, »das Licht der inneren Wärme«, das am klarsten den Verstand beleuchtet. Eine solche Natur ist mit Notwendigkeit reich an Mystik, jener tiefen Mystik, die man treffend als einen aufs Weltall gerichteten Kindersinn bezeichnet hat. Für den Mystiker ist die Intuition der einzige Weg zur Wahrheit. Diese gewinnt nicht an Stärke dadurch, daß man, was die Intuition unmittelbar gegeben hat, unter die Erklärung des Bewußtseins bringt. Nein, das höchste Leben ist nach Almquist, unbewußt zu sein, wie eine Lyra, deren Saiten Gott berührt – ein Bild, das sich, als Ausdruck seines pantheistischen Gefühls, beinahe wortgetreu bei Shelley findet. In dem Ganzen eingeschlossen, verborgen zu sein, den Gedanken ersterben zu lassen, hinabzusinken in den unnennbaren stillen Grund, das ist die »höchste Kraft des Heils für den Geist.« Almquist wird nie müde, die sakramentale Bedeutung der Unbewußtheit, der Unmittelbarkeit hervorzuheben, und auch darin ist er ein Zeitgenosse unserer nach Unbewußtheit und Unmittelbarkeit schmachtenden Zeit. Die ganze Mannigfaltigkeit der eigentümlichen seelischen Erscheinungen der Gegenwart beruht im letzten Grunde auf der Sehnsucht der Menschennatur, von Überreflexion und Zersetzung, von dem scharfen Tageslicht der Wissenschaft fort- und zu dem Lebensmysterium zurückzugelangen, dem dunklen Erdreich, darin die Wurzeln des Geistes ruhen müssen, damit er blühen kann.

Für die Seele, die in der Allnatur hinschmilzt, ist die Natur beseelt. So gibt Almquist den Narcissen Freiheit und Gedanken, den Rubinen Vorstellungen, durch die »sie in sich das Purpurgedicht der Ewigkeit vollenden«; die Düfte des Waldes wundern sich über die Luft, die ihnen von den Kräutern des Gartens her begegnet. Die Birke ist die Künstlerin des Hains, der Meeresadler ist ein Gedicht, auf dunkelgrauen, schimmernden Flügeln schwebend, ein Gedicht Gottes. Denn Gott kann nicht selbst sein eigenes, dunkles Wesen vernehmen, aber er will es entdecken. Darum stellt er seine Gefühle und Gedanken vor sich, und alle zusammen bilden die Welt. Ihre wechselnden Erscheinungen sind die Bilder, die der Maler hinter den Wolken malt, um vor sich selbst erhellt zu stehen. Alles in der Natur wird so für Almquist zu Äußerungen des Göttlichen. Aber je näher der Mensch dem Göttlichen steht, desto ursprünglicher ist er, desto weniger bewußt. Darum wird das Tierische, das Kindliche, das Volkliche, das Weibliche, das Artistische für ihn das am Unmittelbarsten Göttliche. Besonders in dieser Zeit unzähliger Kämpfe, die die Menschen unter einander trennen, und nach dem Streit, den die Reflexion in Almquists eigenes Wesen gebracht, fand er, daß die tierische Art, zu sein, »ein harmonisch einnehmendes Bild einer hohen Einigkeit mit sich selbst« gebe. Seinem Traum von einer vollkommenen Aufhebung aller Zersplitterung gibt Almquist in seiner zauberhaftesten Phantasieschöpfung, seiner Tintomara, Gestalt. Er hat den Gedanken der Mystik eines animal coeleste aufgenommen, wenn er ein Wesen formt, das bald wie ein Jüngling wirkt, bald wie ein Mädchen, bald mit den Fertigkeiten des Menschen, bald mit denen des Tieres, aber das, gerade dadurch, daß es über allen Begrenzungen steht, immer und allen den Eindruck »eines wundersamen Lenzes, einer unnachahmlichen Leichtigkeit und Krystallhelligkeit« mitteilt.

Aus dieser Anbetung des Instinktlebens als der Gottgemeinschaft folgt, daß Almquist es als das größte Verbrechen von allen auffaßt, den tiefsten Sinn seines Wesens zu kränken. Der Sündenfall in der Welt, durch den das Dasein zersplittert ist, bestand darin, daß die Reflexion die Unmittelbarkeit tötete, der Konventionalismus den Instinkt störte. In dem kleinen Gedicht Die Tränen der Schönheit, das nach Almquist alle seine anderen in sich schließt, läßt er einen frechen Riesen eine fliehende Nymphe durch den Weltenraum verfolgen; die harte Hand des Riesen verletzt die Stirn der Nymphe, ein Blutstropfen fließt mit ihres Auges Träne zusammen, und dieser Tropfen, der nicht ganz emporsteigen konnte, von dem dunklen Blute beschwert, aber auch nicht fallen, erhoben von dem klaren Wasser, hängt noch schwebend im Raume und

»Der Tropfen ist die Welt, in der du wohnst,
mein Freund.«

Versöhnung der so im Grunde des Lebens selbst wurzelnden dualistischen Zersplitterung, oder Bekehrung vom irdischen zum himmlischen Sinne vollzieht sich nur dadurch, daß man wieder zum Kinde wird. Die Erwachsenen müssen vergessen lernen; all die durch die Reflexion zersplitterten Felsenspitzen ihrer Einzelkenntnisse müssen geschmolzen werden, damit ihre Bildung Ganzheit, Einheit, Kraft, ungebrochene Anschauung erhalte. Die Spitzen werden ausgeglichen, aber die Masse ihres Inhalts bleibt zurück und wird »zweiter Instinkt«. Dies ist nach Almquist echt-menschliche Bildung. Die Gewißheit, selber diese zweite Natur zu besitzen, von der Unruhe der Zersplitterung und des Gedankens zum Frieden der vollen Anschauung gedrungen zu sein – das war seine innerste Kraftquelle. Sie half ihm »Sklavenbürden lachend tragen«; sie war seine Begleiterin auf der Landflüchtigkeit, sein Trost im Leiden. Mit ungebrochener Folgerichtigkeit baute er seine subjektive Rechtsauffassung auf diesem seinem mystischen Einheitsgefühl mit der Gottheit auf, das bei ihm »nicht nur eine Denkform war, sondern ein Feuer.«

Die rücksichtslose Folgerichtigkeit, die volle Anwendung dieses einen Grundgedankens macht ihn mehr als irgend etwas zu unserem Zeitgenossen, oder richtiger zu dem des angebrochenen Jahrhunderts. Sowie Tolstoj in vielen Punkten der Gesellschaftsauffassung des Anarchismus nahesteht, so findet man in Almquists religiösen Abhandlungen, in seinen Gedanken über die Besserung der Verbrecher, in seinen Schilderungen von Verbrechern, daß er sich zu dem Gesellschaftsproblem in ähnlicher Weise stellt, wie Tolstoj und der Anarchismus. Seine eigenen Leiden unter ökonomischem Druck, sein Gefühl für das Demoralisierende eines solchen Drucks ließ ihn eine Zeitlang sozialistischen Utopien huldigen. Aber sein Individualismus weckt bald sein Mißtrauen gegen alle Vereinigungen und Gesellschaften, und nur ein persönliches Leben in Güte, sagt er, hat die Macht, andere gut zu machen.

Er sieht schließlich böse Mächte sowohl in den Parteien, wie in den Programmen. Aristokraten und Demokraten sind ungeachtet der verschiedenen Gewandung beide Feinde der Menschheit. Fromme Führer sollen den Weg für Christi Wiederkunft bereiten, indem sie alle heidnischen Begriffe von »rex, lex, grex fortarbeiten.« Christi Wiederkunft schließt den Sieg der Milde in sich, denn »des Menschen vornehmste Kraft von Gott ist die Milde, die Liebe und Verstand ist. Die Milde wird alles »frisch, froh und friedevoll« machen. Christus war nur in dem Sinn der Erlöser, daß er sich für das Heil des Ganzen opferte, indem er das Wesen der Liebe voll offenbarte. Er ward so auf diesem Gebiete die erlösende Jugendkraft. In Marjam hatte Almquist seine Satyre gegen das paulinische Christentum gerichtet, und als er in Bremen Renans Die Apostel las, schrieb er als Marginalien Ausdrücke der Freude darüber, seine eigenen, früheren Gedanken über Paulus bei Renan zu finden. Wenn Almquist, sich an Gott wendend, ausruft: »Ich liebe deinen armen Sohn und deine anderen Söhne!« drückte er sein innerstes Gefühl aus. Seine Tochter erzählte, sie hätte ihn mehr als einmal in Tränen ausbrechen sehen, aus Erbarmen über die große Einsamkeit Christi auf Erden.

Almquist war sich jedoch der Disharmonie des Daseins zu tief bewußt, um, wie oberflächliche Weltverbesserer, glauben zu können, sie hinge von äußeren Verhältnissen allein ab, oder sie könnte durch den Sieg irgend einer absoluten Wahrheit aufhören. Aber er träumte von einer endlichen Versöhnung, in der der Zwang, zu entsagen, mit dem Vermögen, zu begehren, verschmilzt, so daß diese beiden feindlichen Mächte eins würden.

Er spricht einmal seine Skepsis gegenüber »der weltgereisten Sage von der Güte« aus, ein anderes Mal – wie in Ormuzd und Ariman – gibt er zu, daß »die Güte in frommer, verachteter, närrischer Gestalt« diejenige war, die Samenkörner in die erkaltende Erde säte und die Planke zum Hause formte, oder mit anderen Worten, daß sie das Menschenleben unter den Bedingungen der Erde ermöglichte. Die Güte, selbst im niedrigsten Gewande, ist die, »die allein versammelt, wenn alles zerstreut; die allein baut, wo alles niederreißt.« – Aber unmittelbar darauf ruft er aus:

Ach, und doch:
Warum ist der Gute dumm?
Warum ist der Kluge schlecht?
Warum ist alles Stückwerk?

In seiner ganzen Dichtung, in den glänzendsten, genialsten Phantasien, wie Ramido Marinesco, in den einfachsten volkstümlichen, den idyllischesten, wie Die Kapelle – überall ist es das Rätsel des Verbrechens oder des Leidens, das sich in seiner tiefsten Seele regt. Er geht mit dem Grunde des Daseins ins Gericht und fragt sich, ob Gott unfähig sei, dieses Dasein anders zu gestalten, oder ob er es nicht wolle, und in seinen Augenblicken tiefster Angst ruft er von dem höchsten Wesen: »Ich wollte vor ihm niedersinken mit allen Kräften meiner Seele, ich wollte lieben, ich wollte vernichtet werden aus Hingebung, aus Lust zu ihm, aus ewigem, unauslöschlichen Durst nach ihm! Ich wollte für sein Leben sterben, auf daß es lebte.« Aber seine Rätsel kann er nicht durchdringen, und am wenigsten das, in welches seine schaffende Phantasie, sein Gefühl, seine durchdringende Reflexion von früher Jugend an sich mit brennender Leidenschaft vertieft hatten: das Mysterium des Verbrechens. Die Menschennatur einem Damasttuche mit seinen matten, blanken Figuren vergleichend, ruft er aus: »Gott webt. Aber frage nicht, was er mit den Linien des Verbrechers tut, um sie zu Blumen zu formen. Er gibt dir keine Antwort auf solche Fragen.«

Von dem Bewußtsein, daß alles hier Stückwerk ist, daß »nichts ganz ist außer dem Ganzen«, daß »die großartige Narretei, die sich Philosophie nennt«, ebensowenig wie die Religion eine Antwort auf das Lebensrätsel zu geben hat, wendet Almquist sich der Ewigkeit zu. Unser ganzes Leben auf Erden ist bloß ein Leben auf Versuch; hier wandeln wir im Dunkel und sollen darum »einander lieben und helfen, denn einander leuchten können wir kaum«. Unsere einzige Möglichkeit, alles in der Welt zu verstehen, ist ein fester Glaube an ein Leben nach diesem. Dann ist der Tod das »simpelste, einfachste, kürzeste Ding in der Welt«, eine Grenzlinie bloß zwischen zwei Lebensformen, und auch diese Grenzlinie hat man das Recht nach freier Wahl zu überspringen.

Almquists Weltverbesserungspläne münden dahin, daß alle wahre Christen sein, d. h. einander in Güte begegnen, und dadurch das Schlechte überwinden sollen. Alle sollen unter einfachen, natürlichen Lebensverhältnissen arbeiten. Durch aller Fleiß und aller Glück wird auch der schlechte Mensch genesen und das Verbrechen aus Mangel an Nahrung aufhören.

Wie Tolstoj und dem Anarchismus scheint Almquist das gesetzlich Bestimmte, die Regierung das vor allem Schädliche. Mit ätzendem Hohn zeichnet er die Gesellschaftsordnung und den Konventionalismus in Ormuzd und Ariman. Der wohlmeinende Ormuzd reglementiert auf das genaueste Staat und Familie, Kunst und Natur. Ja, er geht in landesväterlicher Fürsorge so weit – mit beigefügtem Modell – anzugeben, welche Art Rosen wachsen sollen und in welchen Wäldern Nachtigallen – bei Strafe von Gewitter und Regenschauern – Musik zu treiben haben. Aber Ormuzds Wohlmeinung scheitert. Denn obgleich Blumen, Tiere und Menschen am Tage »ehrfurchtsvoll die tausend Auswege für Glück, Schönheit und Wohlergehen ergreifen, die er ihnen bietet, – nachts ... nachts zieht ein erstaunliches Wesen in mannigfach wechselnder Gestalt über die Erde. Ohne Plan, ohne Ordnung, ohne Absicht kam es, ging es, verfuhr es, und alles glückte ihm.«

Dieses geheimnisvolle Wesen brachte alle Pläne Ormuzds ins Wanken, in bezug auf die Körper wie auf die Seelen. Es wirkte so, daß der innerste Reiz ihrer Natur sich in vorher ungekannter Anmut entfaltete – wo das Geheimnisvolle vorbeigezogen war, war »das wirkliche Innere der Dinge erwacht.«

Ormuzd verzeichnete den Unbekannten in seinem großen Buch als »verdächtige Person«. Aber der wohlmeinende Ormuzd wurde selbst über die ganze Erde hin eine »verdächtige Person« ... Und die große Allgemeinheit, die Ormuzd gehorchte, war nicht froh. »Die Menschen würden froher gewesen sein, wenn man ihnen ein wenig Gutes zugetraut hätte; wenn man sie die Früchte des Verstandes, der Kraft, der Güte selbst ans Licht tragen ließe.«

Was Almquist hier in der Form der Satire ausspricht, hat er ohne Umschweife gesagt, wenn er vom Mysterium des Verbrechens spricht, ( Drei Frauen in Småland.)

– – »Durch Verbrechen ist die Menschheit vorwärts geschritten, und jeder neue Bildungscyklus hat die vornehmste Todsünde dargestellt, die die vorhergehende Bildungsform am strengsten verboten und mit all ihrer Macht, ihrer Weisheit, ihrer Gesetzgebung in allem zu hindern gesucht hat, aus dem natürlichen Grunde, weil jede Kulturstufe ihr eigenes Leben schützen, ihrem Tode vorbeugen will. Daß die Laster die Welt getragen haben und tragen, und daß sie es waren, die dafür sorgten, daß etwas von Gewicht entstand, ist die letzte Wahrheit, die eine Menschenzunge aussprechen soll; weil danach nicht mehr viel zu sagen bleibt ... Ich meine durchaus nicht alle Laster, nicht einmal die meisten. Ich meine auch durchaus nicht die kleinen Fehler, kleinen Laster, kleinen Sünden; sondern die Sünde, die in jeder Zeit als die größte und vollkommenste betrachtet wird: die Todsünde des Jahrhunderts. Das ist die, vor der die ganze Bildung der Epoche zittert und bebt, wie vor ihrem eigenen Untergang. Es ist die Öffnerin der Pforte, durch die der neue Cyklus kommt: mit dem die Menschheit aufsteigt und sich erweitert ... Darum wurde Christus von den Juden gekreuzigt, weil er, indem er predigte, die Grenzen des Judentums erweiterte ...« Almquist hat hier seinen persönlichsten Beruf ausgesprochen: wie Ariman das wahre Innere der Dinge zu wecken, das »große Verbrechen« der Zeit zu begehen.

 

IV.

Auf keinem Gebiete wurde dieses Erwecken des wirklichen Innern der Dinge, diese Umwertung aller Werte so aufrüttelnd für das Bewußtsein der Zeit, als da Almquist die für ihn zentrale Frage behandelte, die Ehefrage. Er hat vor einem halben Jahrhundert all das Tiefste ausgesprochen, was im Norden in der Diskussion der letzten Jahrzehnte über dieses Thema gesagt wurde. Vor Almquist hatten nur zwei seiner Landsleute – die einzigen, die ihn stark beeinflußt haben – von der Liebe zwischen Mann und Weib als dem größten Inhalt des Lebens gesprochen. Es waren Svedenborg und Thorild, die mit Almquist das Schicksal teilen, im Leben nur von einem kleinen, treuen Häuflein verstanden und von der großen Masse verketzert zu werden.

Es ist behauptet worden, daß der Umstand, daß Almquist kein persönliches Glück in der Ehe fand, seine Angriffe auf die Ehe im allgemeinen hervorgerufen habe. Almquists Tochter, die 21 Jahre alt war, als der Vater Schweden verließ, hat mir Folgendes über die Ehe der Eltern erzählt. Almquists Frau, Anna Maria Lundström, war die Tochter eines bäuerlichen Brauers in der Gegend von Antuna, dem Landgut, das Almquists Vater gehörte. Ihre beiden Eltern starben rasch nacheinander an der Schwindsucht, und auf die Bitten des jungen Almquist wurde ihre vierzehnjährige Tochter nach Antuna genommen. Er empfand großes Mitleid mit ihrer Einsamkeit, und sie sah in dieser Zeit, ja ihr ganzes Leben lang, zu ihm wie zu einem höheren Wesen auf. Er war erst 19 Jahre alt, als er sich im Geheimen mit dem jungen Mädchen verlobte, das auf Antuna halb die Stelle einer Dienerin, halb die einer Pflegetochter einnahm. Sie hatte ein einheitliches, starkes Seelenleben, war eine wehmütige Natur voll Unruhe und Ahnungen und sah alles dunkel, wenn er hell sah. Ihr Gefühlsleben war in seinen Ausdrücken gebunden, besonders durch das Bewußtsein der Lücken ihrer Bildung. Ihr Sinn stand gar nicht nach dem Praktischen, sie hatte geringe Fähigkeit hauszuhalten oder es so einzurichten, daß das Heim den Stempel schönen Behagens trug, wofür Almquist sehr empfänglich war. Und so sehr sie ihn liebte, so leicht sie in ihrer großen Liebe für ihn hätte sterben können – ihm im Alltagsleben jene leichte Weichheit, jene Anmut der Unmittelbarkeit zu zeigen, die der Mann liebte, das vermochte sie nicht.

Ihr Sinn strebte zwar nach Bildung; und sie beeilte sich immer, die häuslichen Verrichtungen beiseite zu schieben, um Zeit zu haben, den Gatten im häuslichen Kreise laut lesen oder mit den Freunden sprechen zu hören, die sich im Hause versammelten. Allein, wenn die Eltern ihre Gedanken austauschten, merkte die Tochter, daß sie sich selten in vollem Verständnis trafen und daß der Vater sich daher oft einsam fühlte. Almquist teilte jedoch nicht den Irrtum seiner Freunde, daß man mit seiner Frau nur von Haushaltungsfragen sprechen könne, die sie im Gegenteil langweilig fand. Unter dem Einfluß des Mannes hatte sie sich zu wirklich intellektuellen Interessen entwickelt, aber ihre klare, wenig reiche Intelligenz, ihr nicht sehr zusammengesetztes Temperament waren nicht auf denselben Ton gestimmt wie das seine. Er las ihr oft vor, was er geschrieben hatte, und richtete sich nicht selten nach ihrem Urteil. Selbst wenn sie Unverständnis zeigte, ließ er es an Achtung ihr gegenüber nie fehlen, und nie kam es zu zornigen Worten: stets herrschte Friede und Freundlichkeit.

Es ist wahrscheinlich, daß Almquist nicht stark übertreibt, wenn er, ohne sich oder seiner Frau Schuld an der Disharmonie zuzuschreiben, äußert, daß alle Gleichheit der Seele und des Herzens zwischen ihnen fehlte. Er schildert, wie sein Geist ermattet, sein Herz welkt, seine Arbeitslust erschlafft in jenem wachsenden Bewußtsein der Unvereinbarkeit. Und mit seiner Gabe, die Wirklichkeit zu seinem eigenen Vorteil umzudichten, bringt er es so weit, zu glauben, daß er schon vor der Heirat die fehlende Harmonie gefühlt habe, aber zu gut gewesen sei und lieber sich selbst geopfert habe als das Wesen, das eine unschuldige Neigung zu ihm gefaßt. Es läßt sich ja leicht denken, daß die Jünglingsliebe, die er im Anfange seiner Ehe als ein Zusammenwachsen der Wesen für die Ewigkeit schildert und »das kühle, reine, gute Feuer« nennt, das in der Jugend der Friede seines Wesens war, schon vor der Ehe seinem Ahnungsvermögen nicht heiß genug erschien, um ihre beiden Naturen zu einer vollen Wesensgemeinschaft verschmelzen zu können; und diese Ahnung macht er dann zur Gewißheit. Es ist wahrscheinlicher, daß seine erste Liebe, wie dies bei einer frühen Jugendliebe oft der Fall ist, instinktiv den ergänzenden Gegensatz zu seinem eigenen Wesen gesucht und gefunden hat. Aber das Leben gibt oft dem jugendlichen Instinkt Unrecht, indem es nachher die Unmöglichkeit der Verschmelzung der Gegensätze zur Einheit erweist. Am allerwahrscheinlichsten ist, daß Almquist durch kein Weib lange glücklich geworden wäre, ebensowenig wie sein Rikard Furumo je ein »Weib ganz liebenswürdig« fand. Almquist hatte das Verlangen des Idealisten nach Vollkommenheit, die Neigung des Phantasiemenschen, diese Vollkommenheit stets in neuen Formen zu suchen, und dazu das Bedürfnis des Reflektierenden, das Gefundene zu analysieren, wodurch das Vorhandene in der Grübelei über das, was es sein sollte, bald allen Zauber verliert. Solche Naturen fühlen mit den Nerven und der Phantasie, aber das Glück wird nur dem, der mit dem Herzen fühlt, zuteil.

Almquist sagt selbst, die größte und edelste Probe, auf die man einen Menschen stellen könne, sei, ihn zu lieben. Almquist hätte wohl in keinem Liebesverhältnis diese Probe bestanden und in jedem Verhältnis, das sich unglücklich gestaltete, den Umständen, nicht sich selbst die Schuld gegeben, so wie es die schwache Natur immer tut. Aber der Phantasiemensch glaubt selbst an die Intensität seines Gefühlslebens und bringt auch dem Wesen, das ihn liebt, lange diesen Glauben bei. Bei einem unersättlichen Verlangen nach Sympathie war Almquist von seinem eigenen, inneren Leben zu sehr ausgefüllt, um Sympathie tieferer Art geben zu können, und niemals vermochte er es dort, wo sie ein Aufgeben seines individuellen Sinns forderte.

Wahrscheinlich fühlte er sich deshalb mit Kindern und jungen Leuten so wohl, weil diese von den älteren nicht das Innerste der Persönlichkeit verlangen, sondern sich mit dem Interesse für ihre eigenen Persönlichkeiten begnügen, wenn sie nur fühlen, daß dieses, wie es bei Almquist war, echt ist.

Die reiche Individualität, die stets neuen Lebensmotiven nachspürt, selten zufrieden mit denen, die sie gefunden, schafft gewöhnlich selbst die Enttäuschungen, die sie oft dem Schicksal zuschreibt. So auch Almquist, wenn er von der steten Sehnsucht verzehrt wird, ganz mit einem andern Wesen zu verschmelzen, immer aber findet, daß »seinem wunderlichen, armen, bedürftigen Herzen« die Erfüllung versagt bleibt, und sieht, wie sein »heiliges, schönes, unschuldiges Begehren«, ein volles, harmonisches Leben zu leben, zu ewigem Hungern verdammt ist. Aber, wenn er über diesen innersten Mangel seiner Seele klagt, wenn er fühlt, daß es für ihn keine »holde, belebende Wärme« gibt, da ist die tiefste Ursache die, daß er selbst nicht das besitzt, was er »des erstgeborenen Schönen Feuer« genannt, die echte, tiefe Unmittelbarkeit des Gefühlslebens. Darum widmete er der Unmittelbarkeit einen so schrankenlosen Kultus, weil seine Doppelnatur diese Unmittelbarkeit in den innigsten Verhältnissen des Lebens für ihn unmöglich machte; und die Tragik seines Gefühlslebens war, daß er mit den Sympathiebedürfnissen des Stimmungsmenschen die Unfähigkeit des Reflektierenden verband, sich die Sympathie anzueignen, die ihm wurde. Und wie er nicht vermochte, tiefe Liebe zu fühlen, so fühlte er auch keinen tiefen Haß. Er brachte fast allen Sanftmut, Rücksicht, Hilfsbereitschaft entgegen. Aber er lebte nie mit seiner ganzen Seele in einer andern, nur in seiner eigenen.

Almquist litt intensiv an dem Mangel ehelichen Glückes, auch darum, weil er instinktiv wußte, daß er zu jenen gehörte, die das Unglück nicht erhebt, sondern drückt. Und mit seiner theoretischen Auffassung dessen, was die Ehe durch die Liebe entwickeln kann, dachte er nie, daß der Mangel an Glück zum großen Teil darauf beruhen könnte, daß sein eigenes Temperament sich nicht für die Ehe eignete. Im Gegenteil, mit der ganzen Stärke seines Glaubens, daß er grenzenlos beglückt hätte werden können, aber durch die Ehe nicht nur unglücklich, sondern auch verringert worden sei, beginnt er seinen Kampf gegen diese Institution.

 

V.

Allerdings wurden Almquists Ansichten über die Ehe nicht nur durch seine eigene unglückliche Verbindung bestimmt, denn schon mit 23 Jahren sprach er in der kleinen Schrift: Was ist Liebe? und in der Novelle Parmajouf jene Gedanken aus, die die Pulsader seiner ganzen Dichtung sind. Und der persönliche Eindruck, der seine Erfahrung so frühe reifte, war die im tiefsten Innern empfundene Disharmonie, die er dem unglücklichen Zusammenleben seiner eigenen Eltern zuschrieb. Er fühlte abgrundtief, daß das schwerste Unglück des Lebens, die meisten seelischen und körperlichen Leiden ihren Grund darin haben, daß Kinder ohne »geistige, wirkliche und herzliche Liebe zwischen den Eltern« geboren werden. »Man hängt,« sagt der junge Almquist, »Banknotenfälscher – aber der, der aus tausend Gründen, nicht aus Liebe, sich mit einem Wesen vereinigt, das er nicht liebt, und so einen untauglichen, häuslichen Kreis bildet – ob er nicht ein Verbrechen begeht, dessen Größe und unberechenbare Folgen für Gegenwart und Nachwelt viel furchtbareres Unheil verbreitet, als die Fälschung von Millionen Scheinen?«

Die Heiligkeit der Zeugung, die Liebe als einzige Grundlage der Sittlichkeit der Ehe, das Verhältnis zwischen Mann und Weib als die größte Angelegenheit des Lebens – das sind die drei Grundgedanken, die uns schon in Almquists Jugendschriften entgegentreten und denen er noch als Greis seinen ganzen Glauben widmet. In seiner Geschichte der Goldmacherei läßt er die junge Liebende sich den Tod geben, da sie nur so dem Schicksal entgehen kann, eines andern Braut zu werden als dessen, den sie liebt, und er äußert dabei: »Sterben zu können, gehört zur Freimütigkeit und ist ein Recht des Lebens.« In demselben Gefühl dichtete er in früheren Jahren Die Tochter des Wolfes, wo das junge Liebespaar, in der vollen Gewißheit, nicht zu sündigen, sich zusammen den Tod gibt, da harter Verwandten Wille sie hindert, das Leben zusammen zu leben. Stärker hat niemand die schicksalsschwere Macht der Liebe ausgesprochen, als Almquist mit den Worten: »Was ist: zu lieben wagen? Zu sterben wagen ist's.« Man kann auch sterben, ohne den Geist aufzugeben.

Die Lebensmacht der Liebe, das wunderbare Mysterium der Natur, ist für Almquist dem Ursprunge wie den Wirkungen nach gleich geheimnisvoll. »Ich liebe Dich, denn ich liebe Dich. Ich weiß nicht, ob Neigung einen tieferen Grund haben kann,« sagt eine seiner Personen. Aber das Mysterium erscheint als der einzige natürliche Zustand: »Der Himmel wundert sich nicht über den Himmel. Die Liebe ist kein Zustand des Staunens, der Bewunderung, weil sie weit mehr ist, sie ist nicht Überspannung, keine Hoheit, die als hoch empfunden wird. Man ist, und das ist genug.«

Die knospende Liebe ist das Zarteste: »Eine Blume, die noch wächst, hat einen sammetartigen, unsichtbaren Staub auf den Blättern. Noch so leise, mit dem kleinen Finger berührt, zerflattert dieser Sammetstaub. Man ist nicht im Stande zu sehen, was verloren ging, nur daß etwas verloren gegangen, fühlt man. Der Reiz ist eine feine Laune. Erst wenn er dahingewelkt ist, beginnt man einen versunkenen Himmel zu ahnen.«

An einer anderen Stelle sagt er: »Die erwiderte glückliche Liebe ist wie ein elektrischer Strom zwischen den Seelen. Das einsame, warme Herz entbehrt des Lichtes, der einsame, helle Kopf entbehrt der Wärme, aber die Elektrizität der Liebe gibt dem Kopfe Wärme und dem Herzen Licht.«

Gleichzeitig mit Almquist lebte ein Dichterpaar, das das Glück gelehrt hatte, das Wesen der Liebe ebenso tief zu empfinden, wie ihn die Sehnsucht lehrte, es zu erkennen. Das waren Robert und Elisabeth Barrett Browning. Die Lebensanschauung und in bestimmten Fällen auch die Darstellung ist bei Robert Browning und bei Almquist von auffallender Ähnlichkeit. Dies zeigt sich vor allem auf dem für sie beide zentralen Gebiete, der Erotik, wo sie mehr als einmal dasselbe Wort gesagt und dasselbe Motiv behandelt haben. So läßt Browning Porfyrias Geliebten sie in dem Augenblicke töten, in dem ihr seichtes Wesen ganz rein und gut ist, und Richard Furumo stürzt Magdalena in den Gießbach, um sie vor den bösen Gewalten zu bewahren, gerade in dem Augenblicke, als ihre Augen »am himmlischesten leuchten.« In der Statue und der Büste zeigt Browning, wie die beiden verbrecherisch Liebenden die Kleinheit ihrer Seele dadurch offenbaren, daß sie das Leben in Sehnsucht dahinwelken lassen, ohne eine Tat zu wagen. »Selbst ein Verbrechen«, sagt er, »kann ein Prüfstein für den Charakter sein; ein Charakter kämpft bis zum Äußersten für das Ziel seines Lebens, was es auch sein mag.« Almquist läßt in der Eremitage Waldemar Birgerson durch »das Eismeer, das man Gesellschaft nennt,« von der, die er liebte, losgerissen werden. Mit ihr fühlt er, wie er »auf Flügeln des Windes mit den blaßgrauen, goldgeränderten Segeln der Luft schwebte«, oder »wie ein königlicher Reiher an dem Gestade eines dunkelgrauen Sees«. Aber von dem Augenblicke an, als er, »durch die Rufe der Priester und des Volkes erschreckt, schwach und schwindelig nachgab«, verliert seine Seele ihre Einheit, er wird halb »krank im Wandel, gebrochen an Spannkraft und Auftreten.« Er fühlt, daß wenn er, stark und vollkommen, der Schreie des Volkes und der Angst der Dummheit nicht geachtet, bloß auf seinen eigenen Weg geblickt und die Sternenkonstellation wahrgenommen hätte, die ihn erhellt – »dann wären sie und ich,« sagt er, »nicht Fürsten nach dem Buchstaben des Gesetzes gewesen, aber Fürsten in unserer Seele, gekrönt vom Glück ohne Falsch, mit den strahlenden Geierflügeln der Freiheit auf unseren Locken.«

Lange vor Nietzsche verkündete Almquist als die »königliche Ordnung«, das zu lieben, was unserem Wesen eigentlich zukommt, und rücksichtslos dieser unserer innersten Mahnung zu folgen.

Und sowie Browning in diesem Falle ganz dieselbe Übermenschentheorie verkündet, hat er auch denselben Glauben wie Almquist an die Unfehlbarkeit der Gefühlseingebung.

»Ich will Dir sagen, wie es mit der Tugend ist« ... so beginnt eines von Almquists tiefsten und feinsten Gedichten. Es ist ein junger Graf, der spricht, und die Angesprochene ist Colombine, die Bewohnerin eines übel beleumundeten Hauses in Stockholm. Er fährt fort, indem er erklärt, wie eine einzige, musikalisch reine Stimme vielen mißtönigen die Macht benimmt, und wie die Tugend in gleicher Weise durch tausend niedrige, wirre Gefühle wie »ein geheimnisvoller, einsamer, klarer, unüberwindlicher Ton klingt.« Diese Tugend hat er bei Colombine gefunden, die er zu seiner Frau machen will, zu der er sich geflüchtet hat, von seiner hochadeligen Braut, die so achtungswert ist, daß er in ihrer Atmosphäre vergeht, so tugendhaft, daß es unanständig erscheint, in ihrer Nähe von Tugend zu sprechen. Sie hatte den Schein, bei Colombine hingegen war das Wesen der Reinheit. Browning läßt – in Pippa Passes – unter noch zugespitzteren Verhältnissen die Liebe des Mannes dieselbe Intuition zeigen wie Almquist in Colombine. Nie hat einer von beiden klarer seinen Glauben an die Heiligkeit des dunklen Naturgrundes offenbart. Durch seinen aus dieser Tiefe quellenden Instinkt findet jeder der beiden Liebenden, daß die Geliebte eine der heiligen, »im Innersten zur Unschuld bestimmten Seraphe« ist, die keinerlei Lebensverhältnisse beflecken konnten; durch diesen innersten Naturgrund sind diese zwei »gefallenen« Frauen unverdorben geblieben.

Der schrankenlose Glaube an die mystischen Kräfte der Natur, an ihre Unvergänglichkeit, an ihre Macht, das im äußeren Sinne Zerstörte zu heilen, ist das Innerste in Almquists Lebensanschauung, ja es wurde sein Gottesbegriff. Weil das Weib der Natur einen Schritt näher steht, als der mehr für die Reflexion geschaffene Mann, kann es, wie das Kind und der Künstler, das Leben leichter sehen, mit Unschuldsblicken. »Musik haben, heißt eine Seele haben«, sagt Almquist, und das seelenvolle Weib ist »gestaltgewordene Musik«. Sie vermag den Mann zum Heiligtum des Lebens zu erheben, wenn sie ihm »ihres Wesens Himmel öffnet«. Ihr Gegensatz ist der achtungswerte Typus, der sich in chinesischer Reglosigkeit verhält, in wohlbehaglichem Stillestehen, mit einer Ordentlichkeit wie die »Felder eines Schachbretts«, eine Repräsentantin von Gebräuchen, Gesetzen, Anordnungen, sie, »die die Welt in ein Eishaus verwandelt«. Alle Frauengestalten Almquists, die er selbst liebt, sind entweder ganz ungezähmte Naturwesen, oder auch in ihrer Klugheit warme und in ihrer Wärme lichte Geschöpfe, wie die von allen Grazien umschwärmte Araminta May, das Mädchen aus den vornehmen bürgerlichen Kreisen Stockholms, oder Sara Widebeck, das in alltäglicherer Gestalt hervortretende Mädchen aus der kleinbürgerlichen Welt. Beide haben mit allen liebsten Frauengestalten Almquists das gemein, unmittelbare Natur zu sein, und dadurch den Mann zu einem Leben in echter Schönheit zu inspirieren. Klugheit, Kultur, Koketterie, oder was es nun sein mag, das bei diesen Mädchen »eine feine Wolke, einen Flor wie von leichtem Schnee, ein Schlittennetz aus Seide mit schimmerndweißen Maschen« übers Herz zieht – es erhöht bloß das Glück, das treue, warme, reine Herz zu besitzen, das unter der Hülle schlägt.

Almquist ist jedoch nie in oberflächliche Frauenverherrlichung verfallen. Dazu ist er zu tiefblickend. Er sieht Mann und Weib als die beiden einander ausfüllenden, für einander geschaffenen Hälften, die in ihrer Vereinigung auf Erden am vollendetsten das Wesen ewiger Liebe offenbaren können. Sie sind einander ebenbürtig, wenn auch nicht gleich. Das echte Zusammenleben zwischen ihnen ist der Erde höchster Gottesdienst. Diesen Gottesdienst zu schützen, ihm alle erdenkliche Weihe, Freiheit und Frische zu geben, ist die größte aller Gesellschaftsfragen, wichtiger als irgend eine, »die Staat, Berufszweige oder anderes, betrifft«. Durch diese Auffassung der Ehe gelangt Almquist auch zum Kernpunkt der Frauenfrage. Die Frau muß einen Beruf erlernen und das Recht der Selbstversorgung haben, damit sie nicht um des Auskommens willen »dem niedrigen Laster verfällt, sich einem anderen Manne, als dem, den sie liebt, hinzugeben. Kein Mann wird wahrhaft glücklich durch ein Weib, wenn es ihn nicht liebt. Darum ist es auch für ihn höchst wichtig, daß die Frau durch ihre Arbeit bestehen kann; denn erst dann kann er wissen, ob ein Weib, das sich ihm hingibt, es aus Liebe tut«.

Almquist betont, daß das von Gott, das heißt von der Liebe und der Natur gestiftete reine Verhältnis zwischen Mann und Weib, nicht »jenes kleine, elende Wohlgefallen für den Moment ist, das im Frühling erblüht und im Schnee des Winters stirbt«. Ebensowenig kann das reine Verhältnis auf die »allgemeine, unpersönliche Liebe gegründet werden, die zu wem immer gehegt werden kann«. Zwischen diesen beiden gibt es, sagt er, eine dritte Art, »die Neigung des Geistes zu eines anderen Menschen Geist, der Seele, die ihre Heimat in einer andern Seele fühlt und in ihr ihre Ruhe hat in Zeit und Ewigkeit«. Was ist für Almquist das Zeugnis dessen, daß eine Liebe die echte ist? Möge er selbst antworten: »Wenn himmlische Sympathie zwischen zwei Herzen lebt, so rein, so wahr, so tief, so mächtig, daß, wenn sonst irgendwelche Ungleichheit zwischen ihnen besteht, sie so verschwindend und klein ist, daß sie freudvoll in der klaren Flamme der Sympathie auflodert, – dann sind die Seelen dieser Wesen vereint. Warum? Ja, darum und nur darum, weil sie es sind. Die echte Liebe schafft tiefe innere Übereinstimmung, himmlische Treue, Vertrauen und eine Verschmelzung der Seelen, so innig und ganz, wie es für zwei Einzelwesen überhaupt möglich ist, so daß die seelische Gleichheit zwischen ihnen wenn schon nicht vollkommen, so doch größer ist als die Verschiedenheit.« Das sind die Bedingungen, die ihr Zusammenleben zu einem sittlichen adeln, die die Voraussetzung für ihr eigenes Glück und das Wohl der Kinder bilden. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so kann keine Trauung das Zusammenleben anders als unheilig machen, während keine Trauung nötig ist, um ein Verhältnis zu heiligen, das dieser Bedingung entspricht.

 

VI.

Das oben Angeführte ist der wesentliche Inhalt der Schriften, mit denen Almquist sich von 1839 an in den öffentlichen Kampf stürzt, der so wenig für sein Wesen paßt. Er sagt selbst, er sei im Innersten Quietist und wollte am liebsten »in einer holden Eremitage allein den Freuden seiner Seele« leben, doch durch Ereignisse und Vorfälle sei er dahin gelangt, aus tiefer Überzeugung Dinge zu äußern, die die bestehenden Gesellschaftsformen angriffen. Seit er die Professur in Lund verlor, die vielleicht seine Rettung aus späteren Verwickelungen gewesen wäre, hielt ihn nichts ab, dem eifrigen, beharrlich wiederholten Wunsche Lars John Hiertas, des Redakteurs des »Abendblattes«, zu entsprechen, Es geht an herauszugeben. Diese Novelle, die bei der Vorlesung im häuslichen Kreis nicht nur Hierta, sondern auch andere Freunde Almquists durch ihre außerordentliche Künstlerschaft und ihre kühnen Ideen entzückt hatte, war bisher nicht veröffentlicht worden, weil ihn seine stets unruhige und zurückhaltende Frau daran verhindert hatte. Nun kamen noch gleichzeitig scharfsinnige Abhandlungen, wie Die Gründe der europäischen Unzufriedenheit, und die in der Monographie, in denen Almquist seine Behauptungen auf kirchliche Autoritäten stützte. Er zeigt, daß, so wenig die christliche Ehe in den ersten Jahrhunderten durch die Trauung geheiligt wurde, die echte Liebe heute einer solchen Heiligung bedarf. An sich ein schönes Symbol, ist die Trauung zu einem Hindernis echter Sittlichkeit ausgeartet. Sie hat das Wesen der Ehe verfälscht, indem sie unechte Bündnisse einweihte und zusammenhielt und so die Menschen lehrte, »die Keuschheit als einen Überwurf« zu betrachten, nicht als das Wesen des Zusammenlebens. Und dies ist vor allem durch die Heranbildung der tadelnswerten Ansicht geschehen, daß ein aus den niedrigsten Beweggründen geschlossenes Verhältnis, wenn ihm eine Trauung vorangeht, rein wird, während eine Vereinigung echter Liebe als unkeusch gestempelt wird, wenn keine Trauung sie heiligt. Gäbe es kein anderes Mittel als Liebenswertheit, um einander zu halten, so würde das Verhältnis auf Wirklichkeit und Wahrheit gegründet sein. Man verließe sich dann nicht nur auf eine Form. Dies läßt Almquist in dichterischer Gestalt durch Sara Widebeck in »Es geht an« aussprechen, und nach diesen Ansichten ordnet sie ihr und Alberts zukünftiges Leben. Jeder soll Herr seiner Person und seines Eigentums sein, für sich leben, seine Arbeit unabhängig vom anderen versehen und so eine lebenslängliche Liebe bewahren können, statt sehen zu müssen, wie sie in Gleichgültigkeit oder Haß umschlägt. Dieses Buch, das die Ausdrücke »Es-geht-an-Ideen« und »Dornrosen-Moral« gleichbedeutend mit dem heutigen Worte Bohème machte, dürfte von der jetzigen, an die Gegenwartsliteratur gewöhnten Jugend als sehr harmlos angesehen werden. Weder hier noch irgendwo sonst hat Almquist die Schilderung einer Szene, die eine denkende Mutter nicht mit ihrer Tochter lesen könnte, aus Furcht, daß sie – um einen Ausdruck Almquists zu gebrauchen – »ihrer Seele weißen Sammet« beflecken würde. Jedoch für die Mitwelt bedeutete dieses Buch seine Verurteilung und, durch die ökonomischen Folgen, die es nach sich zog, die äußere Ursache seines Unterganges. Vergeblich erklärte er, daß er im Namen der Sittlichkeit spreche, daß, da es unmöglich sei, den Menschen zu befehlen, ohne Sinne zu sein, man diese unter die Herrschaft des Geistes leiten müsse; aber auch, daß keine andere Art von Geistigkeit Macht über die Sinne habe, als die dem eigensten Lebensgebiete der Sinnlichkeit angehörende, d. h. die sympathische Liebe. Der innerste Grund der europäischen Unzufriedenheit ist, nach Almquist, die überall bei den Menschen erwachende Sehnsucht, die richtige Bahn ihres Charakters wandeln zu können. Der Pöbel, der den äußeren Stempel am höchsten stellt, hindert das auf allen Gebieten, in erster Linie auf dem der Ehe. Die Umwandlung, die kommen muß, wird auf allen Gebieten mit den Konventions- und Autoritätsideen brechen, ohne hierdurch die Begrenzung aufzuheben, die aus der wahren Beschaffenheit der Individualität hervorgeht.

In bezug auf seine Polemik gegen die bestehenden Formen der Ehe kann man an Almquist dieselben Worte richten, die der Hofmarschall Löwenstjerna zu Rikard Furumo spricht: »Du bist reich an Phantasien und kannst Fragen in der Seele wecken, aber arm, arm bist du an Antwort«. Wenn Almquist in seinem eigenen persönlichen Lebenskonflikt ausruft: »Ist man gut und opfert sich selbst, so wird einem das tiefe Elend zuteil, das mein Los geworden; ist man hart und fragt nichts nach einem Wesen, das sich unschuldig an einen angeschlossen hat, so trägt man das Gefühl der Grausamkeit das ganze Leben lang mit sich herum; das eine ist so furchtbar wie das andere gräßlich –« so berührt er den heikelsten Punkt der Frage, den er später fast ganz außerhalb der Diskussion läßt. Und wenn er auf die Notwendigkeit hinweist, daß die Ehegatten »das spröde Email«, das die Hinneigung des Herzens ist, davor behüten sollen, durch »die dummen, öden, häßlichen Stunden des Alltags« abgenützt zu werden, so vergißt er dabei doch, daß des Alltags gemeinsames Tragen gemeinsamer Bürden, wenn man sie schön trägt, das Email noch härten kann. In praktischer Beziehung hat Almquist nur einen unanfechtbaren Vorschlag, nämlich den, daß die Erziehung bei beiden Geschlechtern rechte Arbeitsfreude und Selbständigkeit als Vorbereitung für die wirkliche Ehe entwickeln müsse; daß sie die Begriffe der Treue und Aufrichtigkeit einpflanze, aber vor allem die Jugend lehre, auf das Tiefste die echte, keusche Liebe zu verehren und jedes andere Verhältnis zu verabscheuen. Die meisten Reformpläne jedoch bekräftigen die oft wiederholte Erfahrung, daß Ariman am klügsten tut, wenn er die Reglementierung Ormuzd überläßt. Im Grunde hegte auch Almquist den festen Glauben, daß der Inhalt nach und nach organisch die äußeren Verhältnisse umbilden, sie durchdringen und erweitern könne. Almquist sagt mit voller Wahrheit, daß alle Kämpfe um Religion und Sittlichkeit durch den Mangel jenes Glaubens verursacht werden, der das Zentrale seiner eigenen Lebensanschauung war. Die Menschen glauben nicht an Gott, darum wird die Glaubenslehre durch Gesetze geschützt; sie glauben nicht an die göttlich-natürliche Art der Liebe, darum wird die Ehe durch Verordnungen gehütet. Almquist jedoch lebte und starb in dem festen optimistischen Glauben, daß die Natur in ihrer eigenen Tiefe Hilfe für ihre eigenen Leiden hat, Kraft, ihre eigenen Mißgriffe zu verbessern. Auch in diesem Glauben ist er mehr unser Zeitgenosse, als der seiner Epoche.

 

VII.

Wenn sich auch Almquist am tiefsten des Gegensatzes des Seienden und des Seinsollenden im Verhältnis zwischen Mann und Weib bewußt war und hervorhob, daß auf diesem Gebiete die Schwervereinbarkeit von Beweglichkeit und Ordnung, Individualismus und Gesellschaftlichkeit am verhängnisvollsten sei, so hatte er doch auch Blick für das Wesentliche überall. Er sah, wie die Kirche ein Gegensatz zum Christentum geworden war, die Gesellschaft ein Gegensatz zur Gerechtigkeit, die Strafe ein Gegensatz zur Besserung, sowie die Ehe ein solcher zur Sittlichkeit. Schon in seiner Jugend, als er den Übermenschen, den mit Mordmanie behafteten »Abschaum« Johannes schuf, ließ er dessen Vornehmheit vor allem in der Sehnsucht nach dem Wesentlichen bestehen. Überall suchte Johannes Menschen – schließlich im Tollhause, im Gefängnis, aber er fand sie nirgends. Die Sache, der Geist, nicht die Form; das Echte, nicht die Phrase, ist des jungen Almquists Leidenschaft; und er läßt Johannes, als er Lotta einen Eimer scheuern sieht, ausrufen: »Warum benutzest Du Scheuersand? Nimm doch ein paar schöne Worte, die machen ja die Menschen so rein; sie müssen wohl auch einen Eimer rein machen können.« Die schönen Worte – das Leere – bleiben das ganze Leben lang Almquist verhaßt. Er gibt selbst den Schlüssel zu seinem innersten Wesen, wenn er sagt, daß er sich nach einem Himmlischen und Irdischen zugleich sehne, daß er tätig und dabei im Innersten Quietist sei und daß er »reine Natur mit himmlischem Sentiment« vereinigen möchte. Er sucht überall die Wirklichkeit zu erreichen, nicht den Schein, und er weist selbst darauf hin, daß sich diese Eigentümlichkeit in seinen Lebensverhältnissen zeigte, als er das konventionelle Leben aufgab. »Man nennt das Schwärmerei ... Aber die Ursachen waren nicht oberflächlich, sondern tief, aus großen inneren Bedürfnissen entsprungen, die wohl einige empfinden, obwohl nur wenige sie verwirklichen. Die meisten begnügen sich mit ihren Wünschen und bleiben mit diesen ohne weitere Extravaganzen im stillen Kämmerlein.« Überall, wo Almquist Verwirklichung fand, wo ihm das Ding selbst wurde, nicht sein Schimmer, fühlte er sich harmonisch. Und dieser Wirklichkeitssinn, dieser echte, reiche und saftige Realismus trennt ihn so vollständig von der Romantik am Anfang des Jahrhunderts. Er hat selbst eine große und tiefe Liebe zur Arbeit, und es gibt keine Äußerung echter Arbeitstüchtigkeit, mag sie auch noch so einfach sein, die er nicht anziehend findet. Er orientiert sich wißbegierig über alles, sogar über Küchendetails, denn er meint, daß es dem Dichter immer nütze, die Dinge von Grund aus zu verstehen; und alle seine langatmigen Abschweifungen, Beschreibungen und Berichte haben das Versöhnende, daß sie aus Liebe zu diesen Einzelheiten, als Teilen der menschlichen Arbeit, vorgebracht werden. Almquists Wirklichkeitssinn treibt ihn dazu, sich trotz seines Quietismus in die öffentliche Reformarbeit zu stürzen, oder sich, richtiger gesagt, von den Verhältnissen dorthin treiben zu lassen. Seine Stellung zu den einzelnen Reformfragen ist die des Fortschrittsmannes, nicht die des Revolutionärs. Er sieht ein, daß die Menschheit Jahrhunderte zu einer Entwickelung brauchen kann, die das Individuum in ebenso vielen Jahren durchmißt. Er äußert, daß das Zurückweichende in einer Epoche bis zu einem gewissen Grade Recht hat, wenn es nicht freiwillig gehen will; denn, da es die Vergangenheit enthält, trägt es in sich die bis jetzt bestehende Bildung, es hat die Ursachen des Gegenwärtigen in seiner Hand. Aber es hat Unrecht, wenn es nicht will, daß diese Ursachen wieder ihre Folgen erhalten. Er legt dar, daß es die Hindernden von oben und die Aufwiegler von unten sind, die Revolutionen hervorrufen. Denn jede Reformbewegung beginnt milde, voll Achtung; für das Ältere; aber wenn man sie mit Verachtung abweist, wird der Groll geweckt, und die Leute erheben ihre Stimme, um Gehör zu finden. Almquist hebt hervor, daß der dritte Stand die Arbeiterklasse jetzt so ansieht, wie der Adel und die Geistlichkeit einst den dritten Stand ansahen, und daß der dritte Stand nun den Kampf der Arbeiterklasse um ihr Recht eine freche Revolte nennt, sowie der Kampf des dritten Standes auch einmal genannt wurde. Almquist war sich klar bewußt, daß das Vorrücken des vierten Standes ebenso unvermeidlich, ebenso gerecht ist, wie das des dritten einst war. In bezug auf die zu seiner Zeit diskutierte Verfassungsreform war sein Programm in gewissem Maße das der Gegenwart: allgemeines Wahlrecht für alle Volljährigen, unabhängig vom Vermögen, aber Wählbarkeit nur für den, der ein gewisses Maß von Bildung hat. Auf dem Gebiete der Rechtspflege und des Gefängniswesens fangen wir jetzt an, uns allmählich den Ideen zu nähern, durch deren Aussprechen Almquist in so hohem Grade die Umgestaltung unseres Gefängnissystems förderte, obgleich wir noch weit von Almquists Forderung entfernt sind: daß die Hochschulen nicht nur Professoren ausbilden sollten, um Verbrecher zu verurteilen, sondern auch Professoren, um sie zu veredeln. Auf dem Gebiete des Unterrichts war er ein beinahe prophetischer Neuschöpfer. Er deutete die richtige Entwickelung der Volksschule an, bevor noch die Volksschulen zu wirken begonnen hatten; er sprach den Gedanken der Volkshochschulen und der Lehrerseminarien aus, lange bevor solche entstanden. Er befürwortete die Erweiterung der bürgerlichen Rechte der Juden, und er greift mit Energie und Genialität die ungeheure Beschränktheit des Nationalitätenhasses an.

Aber er ist darum kein oberflächlicher Kosmopolit. Sein Glaube an den Instinkt, an den ursprünglichen Naturgrund macht ihn zu unserem tiefsinnigsten Psychologen, ebenso wenn es das Allgemeinmenschliche, wie wenn es die Eigentümlichkeiten der Rasse, der Nationalität gilt. Er ist leidenschaftlich in seinem Schwedentum, und keiner hat unserer Natur und unserem Volke ihre innerste Eigentümlichkeit feinhöriger abgelauscht als Almquist. Seine Bilder aus dem Volksleben sind idealisiert wie die George Sands oder Björnsons, aber sie sind ebenso intuitiv und offenbaren in großen und feinen charakteristischen Zügen die Gemütsschattierung der Nationalität. Almquist, der den Krieg, dieses von Beschränktheit und Vorurteilen diktierte »rasende, unsinnige Morden« tief haßte, hat nie in seiner Dichtung unsere »große Zeit« berührt und unterhält das Feuer seiner Vaterlandsliebe nicht durch das Wehen einiger Siegesfahnen.

In Almquists geographischen, ethnographischen und philologischen Spekulationen blitzen einem oft Wahrheiten entgegen, die erst später als wissenschaftlich erkannt wurden. Auf dem Gebiete der Völkerpsychologie dürften viele seiner Gedanken die der Zukunft sein. So sieht er ein neues Europa, in dem alle zusammengehörenden Volksindividualitäten sich zu großen Gruppen vereinigen, Germanen, Romanen, Slaven; und unter den Germanen ist Skandinavien die nördliche Gruppe, durch einen sich von innen entwickelnden Skandinavismus zusammengeschlossen, aber mit Beibehaltung nationaler Eigentümlichkeit und Selbständigkeit für jedes einzelne Land.

Almquist unterschied sich von der Romantik seiner Zeit vor allem durch sein klares Bewußtsein, daß die Zeit »von der romantischen Insel der Phantasie fortgesegelt und daß man nun auf hoher See sei«, daß der Wind nach einer anderen Richtung wehe und man wohl zurückschauen aber nicht zurückkehren könne. Almquist sah – was jetzt alle Klarerblickenden sehen – daß die romantische Mittelaltertendenz ein Müdigkeits-, ein Ohnmachtszeichen ist, daß ihre gekünstelten Phantastereien weit von echter Mystik entfernt sind. Deren Wesen ist es, tief aus allen Quellen des Lebens zu trinken, so wird sie neuentdeckend, neudurchdringend sowohl in bezug auf den Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wie auf den zwischen der Natur und dem Menschen. Ihre Wechselwirkungen, die innigsten Heimlichkeiten, die feinsten Schattierungen der Persönlichkeit – die Formung des Schicksals durch das Wesen und des Wesens durch das Schicksal – dies war das Gebiet von Almquists Mystik.

Durch seine Universalität, seinen nach innen, nach oben und nach vorwärts schauenden Blick ist Almquist mehr als irgend ein anderer schwedischer Dichter bis zum heutigen Tage der Zeitgenosse des anbrechenden Jahrhunderts. Man findet bei ihm die altruistisch sympathetische Strömung, die in soziale Umwälzungspläne mündet, gleichzeitig mit Übermenschtheorien. Er ist demokratisch pantheistisch, er ist ausgeprägt freidenkerisch und dennoch mystisch-religiös, Symbolist in bezug auf die Kunst, Anarchist in bezug auf die Regierung, er lebt in der Synthese und träumt vom Monismus. Mit einem Worte: alles, was die Jahrhundertneige bezeichnet und das Jahrhundertgrauen kündet, begegnet sich bei Almquist, wie sich Abend- und Morgenröte in der traumverhüllten, ahnunggebärenden, halbhellen Mittsommernacht des Nordens begegnen.

 

VIII.

Geister, deren Aufgabe es ist, Formen zu sprengen, Vorurteile niederzureißen, Fragen an das Bestehende nach seinem Daseinsrecht zu richten, können nicht in demselben Maße aufbauend sein, können nicht gleichzeitig die Wellen der Seele lösen und sie aufs neue krystallisieren. Almquist legte auch selbst wenig Gewicht auf seine praktischen Vorschläge, denn er war sich stark seiner eigentlichen Aufgabe bewußt: der große Verbrecher zu sein, den die Gegenwart kreuzigt und dem die Nachwelt folgt. Und es ist notwendig, daß ein Ariman sich zuweilen zum Wecker des wahren Wesens der Dinge macht. Es besteht keine Gefahr, daß die Welt mit einem Schlage wach wird, daß die Menschen die Lust verlieren, den breiten Weg der historischen Entwickelung zu gehen, oder daß sie das Vermögen einbüßen, den alten Kleidern neue Flicken aufzusetzen, diese ausgezeichnete Fertigkeit, die uns hindert, je im Naturzustande aufzutreten, während wir einem geistigen Habit entwachsen und das neue noch nicht fertig haben. Für einen Schüler, den Ariman hat, bekommt Ormuzd zehntausend, und die Erfahrung zeigt uns, daß schon durch diese dafür gesorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Ariman hat seine Anhänger unter der Jugend. Almquist liebte die Jugend und erhielt diese Liebe vervielfältigt zurück. Er liebte die Jugend, weil er fühlte, daß sie noch Seele besitzt, daß »sie nicht das Herz in den Magen geschluckt hat«, daß sie das Wesen der Dinge will und den Schein haßt, gleich ihm selber. Und die Jugend liebte ihn, weil sie fühlte, daß er in ihr den Geist suchte, hervorrief, hegte, den sonst das ganze Leben in Formen zu ersticken suchte.

Durch die große Sanftmut und Weichheit seines Wesens, seinen harmlosen, naiven Glauben an die Natur der Menschen, an die Vortrefflichkeit seiner Freunde, an die Verwirklichung seiner Ideen blieb Almquist sein ganzes Leben kindlich optimistisch. Seine Tochter schildert seine Alltagslaune als hell und gleichmäßig. Er konnte fein scherzen und war stillvergnügt, aber nie ausgelassen, nie für Zechgelage eingenommen – er war im Gegenteil ein Anhänger der vernünftigen Nüchternheitsbewegung seiner Zeit, in der er einen Sieg des Geistes über die Materie sah. Aber er war alles eher als ein Asket, sondern umgekehrt ein großer Freund maßvollen Genusses, mit ausgeprägtem Sinn für Behagen und Unbehagen. Er äußert selbst: »das Kleine im Leben, wenn es nicht da ist, flößt uns die Empfindung ein, daß etwas unermeßlich Großes fehlt; aber wenn wir es besitzen, fühlt man es wie beinahe nichts. Behagen ist eine Farblosigkeit, die alle Farben enthält.« Behagen war für Almquist in gesellschaftlichem Sinne, in seinem Heim die nahen Freunde zu versammeln, die ernst sprechen wollten, die Jugend, die befeuert werden konnte, und Kinder, die es verstanden, zu spielen. Die Tochter erzählt: »Bei seiner Kaffeetasse oder mit seiner Pfeife konnte mein Vater stundenlang einsam sitzen und hatte dann einen tief nach innen gekehrten Ausdruck; aber für uns Kinder, unsere Wünsche, unser Wohlbefinden erwachte er leicht. Seine Persönlichkeit hatte eine außerordentliche Macht zu bezaubern, durch seine stille, tiefe Intensität, durch die stets vibrierende Leidenschaft für Ideen, für das Wesentliche, Große, Ganze. Er machte nie Wesens aus seiner Person, hob sich nicht selbst hervor und posierte nie. Er schien selten überhäuft, sondern kam sanft und freundlich aus seinem Arbeitszimmer, und oft nahm er uns Kinder auf lange Spaziergänge mit. Er verwöhnte uns, aber nicht dadurch, daß er uns Eigenwilligkeit durchgehen ließ, sondern durch eine Sympathie, die ihn zu unserem besten Spielkameraden und Freund machte. Er konnte es nicht ertragen, uns müßig zu sehen, entweder sollten wir spielen oder arbeiten, aber das Inhaltlose, das Leere war stets sein Abscheu. Er tat nicht vergnügt, er freute sich wirklich an unseren Freuden, wie wir an den seinen. Wie oft wir auch mit ihm zum Fiskartorpet, nach Uggleviken oder Djurgarden wanderten, so wurde es doch jedesmal ein Fest, wie lange er auch schweigend einherging. Wir vergaßen das lange Schweigen ganz, wenn er dann zu Gedanken für uns erwachte. Niemand konnte uns so interessante Dinge sagen, oder so liebevolle; keiner konnte erzählen wie er. In einem Sommer, als ich allein in Pension war und mein Vater als Junggeselle in Stockholm lebte, kam er jeden Nachmittag und holte mich und alle neun Kameradinnen aufs Land ab, damit wir an den schönen Sommertagen nicht zu nähen brauchten. Auf seinen Wanderungen hatte er eine ungeheure Empfänglichkeit für die Natur, für verschiedene Arbeiten, und er fing Gespräche mit allen alten Männern und Frauen an. Die Leute vertrauten ihm oft ihre tiefsten Geheimnisse an; niemand hatte eine solche Macht wie er, Vertrauen zu gewinnen. Wir Kinder erzählten ihm alles, er verstand unsere Gefühle immer, schmeichelte aber niemals unseren Schwächen. Er rief z. B. niemals unseren Ehrgeiz wach, rühmte unsere Fortschritte nicht, sondern hob hervor, daß Fleiß nur eine Pflicht sei. Ich schrieb als Kind Verse, aber er ermunterte mich weder dazu, noch auch entmutigte er mich. Dichten ist ganzer voller Lebensernst, und man soll es nur tun, wenn man es nicht lassen kann. Sein Wesen war so milde, daß ich ihn nie heftig gesehen hatte, und ich glaubte darum, die Welt müsse zusammenstürzen, als er ein einziges Mal – und zwar mit gutem Grunde – meinem Bruder sagte, er habe sich »wie ein execrabler Tropf« betragen. Mein Bruder hatte, wenn er von meinem Vater getrennt war, nie eine wirkliche Freude, während anderen Jünglingen das Vergnügen verdorben zu sein pflegt, wenn ihr Vater mittut. Aber unserem Vater nur nahe zu sein, war für uns beide schon Glück.«

Ein alter Mann, der der Jugendschar angehörte, die sich um Almquist zu versammeln pflegte, hat mir die Schilderung der Tochter nach jeder Richtung hin bekräftigt. So traf mein Gewährsmann Almquist einmal in Hemdsärmeln mit dem Sohne und dessen militärischen Kameraden Karten spielend, und nie, sagte der Erzähler, sah ich Almquists Antlitz in froherem Stolze strahlen, als da der Sohn erklärte, daß es mit allem Vergnügen vorbei sei, wenn der Vater gehe; ja, nicht einmal den Rock durfte er anziehen, denn die Hemdsärmel gehörten mit zur Kameradschaftlichkeit! Derselbe Mann erzählte mir eine andere Anekdote, die die Art des Einflusses beleuchtet, den Almquist auf die Jugend ausübte. Mein Gewährsmann wohnte einer Hochzeit bei, wo ein junger Mann des Geldes wegen eine alte Frau heiratete. Während die anderen Gäste sich nach der Trauung glückwünschend um das Brautpaar scharten, sah der Erzähler Almquist mit dem gleitend leichten Gang, den schattenhaft raschen, stillen Bewegungen, die ihm eigentümlich waren, auf sich zukommen. Seine lange Figur sah in dem Priesterrock noch schmaler aus, und in dem kreidebleichen Gesicht, das das reiche negerkrause schwarze Haar umrahmte, leuchteten die Augen mit dem reichen Farbenschimmer, bald goldbraun, bald graugrün, mit dem wunderbaren Glanze, der hypnotischen Macht, die sehr wenige aushalten konnten. Der Jüngling fühlte sich von den wunderlichen Augen durchbohrt, als Almquist seine beiden Hände ergriff und sie unter halblauten Glückwünschen herzlich schüttelte. »Aber ich bin ja nicht der Bräutigam,« wendete der Jüngling ein. »Gerade darum beglückwünsche ich Dich,« antwortete Almquist, »Du hast nun gesehen, wie man nicht heiraten soll, vergiß es nie.«

Almquist fühlte, daß in der Ehefrage die Jugend »auf Seiten der Seele« stand, und darum seine natürliche Bundesgenossin war, denn »die Jugend besitzt des Lebens Hoffnung« und damit den Glauben an den Sieg des Wesentlichen. Darum betont Almquist, daß es die Jugend ist, die die Welt vorwärts führt. Aber in dem rasenden Streit, der in einer Flut von Broschüren über »Es geht an« ausbrach und in beinahe allen gebildeten Häusern geführt wurde, war die schwerste Anklage der Alten gegen Almquist, dieselbe, die einst gegen Sokrates gerichtet wurde: daß er ein Verführer der Jugend sei.

 

IX.

Wenn Almquist durch seine Ansicht das eine oder andere schwärmerische Gemüt, diesen oder jenen ungefestigten Charakter beunruhigt hat, so wurde es sein tragisches Schicksal, durch seine Geschichte ein Korrektiv dessen zu geben, was seinen Ideen an idealistischer Einseitigkeit anhing, besonders durch den unbedingten Glauben an den Instinkt als unfehlbare Inspiration, an die Subjektivität als einzige Rechtsnorm. Er sollte selbst offenbaren, daß wir, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, im wirklichen Leben nicht »ohne Rahmen um unsere Bilder« leben können.

Die innere Musik, von der Almquist, wie er sagt, seit seiner Kindheit beherrscht war, die sich sowohl in seinen Lebensverhältnissen, wie in seinen Schriften herausgearbeitet hat, war mit einem Worte die Melodie der Ganzheit. Vor diesem mächtigen Ton brach seines Wesens sprödes Glas in Stücke.

Er wurde ein Opfer nicht bloß durch den vorsichtigen Eifer seiner Zeit, dem frei Sprechenden das Brot aus dem Munde zu nehmen. Denn wie verhängnisvoll dies auch mittelbar wurde, wie sehr es bei seinem schließlichen moralischen Untergang mitwirkte, so haben doch viele im gleichen Fall viel größeres Unrecht als er erlitten, ohne darum unrecht zu tun.

Seine Bestimmung zum Opfer ist eins mit der Wurzel seines Wesens, ist der geheimnisvollen Tiefe des Naturgrundes entsprungen, in den er selbst mit Entsetzen geblickt hatte, bevor er seine Amorina dichtete. Er wurde, was Ibsen seinen Julianus nennt: »Schlachtopfer der Notwendigkeit«, eine »in die Irre gehende Menschenseele«, die »in die Irre gehen mußte«. Auch Almquist gehört zu denen, die den Anbruch des dritten Reichs vorbereiteten, des Reiches, das die Gegenwart erwartet, das Almquist verkündete, und um dessentwillen er »ein herrliches, zerbrochenes Werkzeug« wurde. Die tiefste Tragik des Lebens liegt in der Begrenzung, in der psychologischen Notwendigkeit: daß man sich nicht mit maßloser geistiger Energie auf ein Gebiet werfen und doch noch Kraft für ein anderes übrig haben kann. Almquist war von der Lebensanschauung der Zukunft durchdrungen, dem Monismus. Einheit und Ganzheit waren seine Ziele, vor allem zwischen Leben und Dichtung. Er stellte das Individuum mit seiner eigenen, inneren Autorität gegen alle äußeren Autoritäten; sein Streben war, überall Schranken zu sprengen. Und all seine Kraft ging dahin. Schranken errichten konnte er nicht, nicht einmal für sich selbst. Für ihn sind »die Dinge nicht gut, nicht böse; sie sind bloß«. Handlungen wurden für ihn wie Dinge, und nach und nach lösten sich sowohl Dinge wie Handlungen in Unwirklichkeiten auf, und die Phantasie wurde zur Wirklichkeit. Sein Sohn äußerte, daß der Vater oft ausgeführt zu haben glaubte, was er bloß gedacht hatte; und nur gedacht, was er tatsächlich ausgeführt hatte. Hier liegt die stete Gefahr der Phantasie für die Moral und zugleich der vollwichtige Grund, warum das sittliche Urteil nicht Gerechtigkeit ist, wenn es den Phantasiemenschen mit dem Maß des Phantasielosen mißt. Almquist definiert Charakter folgendermaßen: eine innere Frische des Lebens, poetische Beweglichkeit, ungefesselte Phantasie. Wir finden, daß er Gleichheitszeichen zwischen einem artistischen Temperament und einem Charakter setzt, die gewöhnlich Gegensätze sind. Ein Charakter bewahrt durch alle Entwickelungsstadien Kontinuität; er ist identisch mit sich selbst durch die Erinnerung an das Vorhergehende, und durch diese Erinnerung kann er »die Korrektur des Poems der Seele lesen«. Für den Phantasiemenschen hingegen ist das Leben plastisch, ein Ton, dessen gestrige Form er heute umbildet. Dies setzt ihn in stand, stets seine eigene Lage und Stimmung zu idealisieren, das Verflossene umzudichten, um es dem Gegenwärtigen anzupassen. Niemand besitzt das Vermögen der Umdichtung in so hohem Grade als der, bei dem Phantasie und Eitelkeit, Reflexion und Gefühl, Dialektik und Schwäche die geheimnisvollen Vereinigungen eingegangen sind, die zu den Kennzeichen der Hamletnatur gehören. Almquist war in hohem Grade eine solche Natur. Aber dieser Hamlet war noch komplizierter zusammengesetzt, dadurch, daß in ihm ein Stück Don Quixote lag, das ihn zuweilen zum Handeln antrieb. Dann beeilte sich Hamlet, die Spuren Don Quixotes zu verwischen. Die vom Vater ererbte Advokatenenergie, die lebhafte Einbildungskraft halfen Almquist so gründlich charakterlos zu werden, als er sich bei jeder Gelegenheit zeigte, wenn es galt, die Verantwortung für seine Handlungen zu tragen. So räsonierte er das Tendenziöse in »Es geht an« fort; so verteidigte er seine häufige Fahrlässigkeit als Rektor. So redete er sich ein, daß er priesterliche Weihen und priesterliche Beförderung entgegennehmen könnte, obgleich er ein ausgesprochener Freidenker war. Und schließlich gibt dieses Umformen der Wirklichkeit die einzig mögliche Erklärung der Schlußtragödie Almquists.

Ungeachtet einfacher, mäßiger Lebensgewohnheiten fehlte Almquist jeder Begriff von Geldangelegenheiten. Seine ökonomische Lage wurde trotz seiner eigenen ungeheuren Arbeit, trotz der Bemühungen seiner Freunde, ihm zu helfen, immer verzweifelter, und die feste, gut entlohnte Stelle, die ihn hätte retten können – die fand sich für den »Gesellschaftsumstürzler« nicht in der Gesellschaft, der er angehörte. Seine Natur empfand den ökonomischen Druck als eine unsägliche Qual, und er fühlte auch tief dessen demoralisierenden Einfluß. Schon einige Jahre, bevor das Ende kam, äußerte er einmal zu meinem oben zitierten Gewährsmann: »Geld ist eine Höllenmacht. Ich hatte kürzlich zweitausend Kronen in der Hand, die ich meinem Bruder in Antuna ausbezahlen sollte. Man kommt in drei Stunden von Stockholm nach Antuna. Aber ich brauchte drei Tage, um diesen Weg zu machen und das Geld abzuliefern, das gerade die Summe war, mit der mir geholfen gewesen wäre.« Mehr als einmal hat wohl der Unglückliche ähnliche Versuchungen gefühlt. Und in bezug auf die Giftmordanklage hat er, ein zweiter Raskolnikow, wirklich lange den Gedanken in seinem Hirn gewälzt, ob es recht oder unrecht sein würde, dem Leben eines alten, elenden Wucherers ein Ende zu machen, eines Wucherers, dem es eine Wonne war, seine Umgebung zu peinigen, und der durch einige Reverse (auf denen Almquist einmal seinen Namen in Almgren gefälscht hatte, was er jedoch später wieder gutmachte) Almquist in der Hand hatte. Für die Reverse hatte Almquist keine Bürgschaft schaffen können. Die Versuchung, von Schewen zu töten, hing außerdem mit der Versicherung zusammen, die Almquist vom Sohne von Schewens erhalten hatte, daß er die Hinterlassenschaft in die Hand bekommen werde, falls der lang erwartete Tod des Vaters eintreten sollte. Unter solchen Verhältnissen konnte ja Almquist leicht seine Reverse zurückerhalten. Vieles in den Umständen sprach also gegen Almquist, als von Schewen ihn anklagte, Arsenik in seine Suppe getan zu haben. Bei der Untersuchung fand sich allerdings Arsenik in dieser historischen Hafersuppe, die in Schweden nur in der Erbsensuppe, die Eriks XIV. Tod verursacht haben soll, eine Nebenbuhlerin in der Berühmtheit hat; aber viel mehr Gründe sprechen dafür, daß eine eifersüchtige Dienerin, die Almquist bei von Schewen verdächtigen wollte, das Arsenik hineingemischt hatte. In der Begeisterung, mit der man von vielen Seiten an das Verbrechertum des gehaßten Revolutionärs glaubte, fand man jedoch die Beweise dafür ebenso sonnenklar, wie sie heute unstichhaltig erscheinen. Almquist hätte auch nur seines Amtes verlustig gesprochen werden können, und der einzige große Beweis gegen ihn, ist – seine eigene Flucht.

Diese Flucht ist jedoch aus den gegebenen Voraussetzungen unschwer zu erklären. Almquist wußte in dem ersten schwindelnden Gefühl, als Giftmörder angeklagt zu sein, buchstäblich nicht, ob er wirklich gehandelt oder nur gedacht habe; und er floh vor all den Verwickelungen und Demütigungen, die zu ertragen er in seinem damaligen Gemütszustande wieder die Kraft noch den Mut hatte. Als er dann Ruhe fand, zu denken, sah er ein, daß es ihm nie glücken würde, gleichzeitig Licht in die Vergangenheit zu bringen und selbst hell dazustehen. Und vor allem griff er nach der Möglichkeit, sich von häuslichen Sorgen, Arbeitslasten, geschäftlichen Verdrießlichkeiten, kurz aus all den miteinander verwickelten Maschen des Netzes zu befreien, in das das Leben ihn verstrickt hatte, bevor es zu dem Gnadenstoß ausholte. Der Freiheitstaumel ergriff ihn, das leidenschaftliche Glücksgefühl, von neuem beginnen zu können. Die Welt stand ihm offen, diese Welt, deren ungekannte Herrlichkeit ihn schon als Kind und das ganze Leben hindurch berückte, wenn er sie aus dem »Reiz der Landkarte« ahnte, der Karte, deren Formen, Farben, Ländernamen und Meere seine Phantasie stets in die lebhafteste Bewegung versetzten. Er hatte Stockholms Umgebung und große Teile von Schweden durchstreift, er hatte auch Reisen ins Ausland gemacht, aber nie ganz seine brennende Reiselust befriedigen können. Nun war der Weg frei.

Von all diesen Impulsen angetrieben, opferte er die Seinen, opferte seinen Ruf, nahm die Unehre mit sich in die Landflüchtigkeit, ins Grab. Er war sich gewiß nie bewußt, wie er damit selber seine Dichtung verdunkelte, sein Lebenswerk verringerte. In dem weitläufigen Briefwechsel mit der Familie, der eine noch unbenutzte Quelle für eine vollständige Biographie ist, hat er nie den Giftmordversuch gestanden, und keiner seiner Nächsten hielt ihn einen Augenblick für schuldig. Der Grundton des ganzen Briefwechsels ist hell und voll Innern Gleichgewichts, trotz aller äußeren Wechselfälle.

Ohne Zweifel half ihm die Phantasie bald, sich selbst und seinen Ruf optimistisch anzusehen, das Verflossene und das Gegenwärtige so umzugestalten, wie er wünschte, daß es sein möchte. Und als er wieder der Heimat zustrebte, ob es ihm da nicht wirklich gelungen war, die Vergangenheit ganz umzumodeln, die Schmach zu verwischen und die Illusion zu hegen, daß er mit Ehren das Vaterland wiedersehen würde? Zweifelsohne wiegte ihn die Hoffnung dem heimatlichen Strande mit dem Wellenrauschen der Odyssee zu, jenem ewigen Gedichte der Heimatssehnsucht, das das Letzte war, was seine sterbenden Hände umschlossen.

Seine Tochter konnte nicht nach Bremen kommen, solange er noch lebte. Als sie kam, hatte der Einzige, der Grenzen ganz sprengt, den gegen die Begrenzung kämpfenden Geist befreit. Und so vollkommen hatte der große Ausgleicher, der demokratische Pantheist Tod, sein Werk getan, daß die Tochter des Vaters Grab nicht finden konnte, das sich zwischen anderen gleichzeitig beerdigten Armenleichen befand. Nachdem die Särge ausgegraben waren, erkannte man den ihres Vaters an einigen purpurroten Rosen, die der Krankenhausarzt auf dem Sargdeckel befestigt hatte, weil es ihm aufgefallen war, daß, als seine junge Frau sie an das Bett des unbekannten Alten stellte, in die Blicke des Sterbenden ein Glanz wunderbarer Rührung getreten war.

Auch der Zufall ist zuweilen ein großer symbolischer Dichter.


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