Justinus Kerner
Klecksographien
Justinus Kerner

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              In eines Schlosses Frau'ngemach
Hing ein uralter Spiegel,
Jetzt hält man ihn dort unterm Dach
Fest unter Schloß und Riegel.

Was mit demselben Spiegel sich
Voreinst hat zugetragen,
Das will ich, ist's auch fürchterlich,
Euch im Vertrauen sagen:

Sobald schlug Mitternacht die Stund',
Aufsprang von jenem Zimmer
Die Türe, und des Spiegels Rund
Ward hell wie Mondenschimmer.

Dann aus dem Spiegel sah heraus
Ein Bild, starr, bleich, entsetzlich,
Wer's sah, den packte Frost und Graus,
Daß er zurücksprang plötzlich.

Wer war das? Eine Frau war das,
Stolz, eitel, ohne Frieden;
Bewundernd sich im Spiegelglas,
Ist sie vor ihm verschieden.

Verscheidend sprach zur Kammerfrau
Sie noch: »Färb meine Haare,
Damit ich nicht zur Schau so grau
Lieg in der Totenbahre.

Auch mach vor der Ausstellungsstund'
Mir meinen Mund doch feiner,
Drück sanft ihn mit dem Finger rund,
Dann wird er wohl auch kleiner. –

Sie wollte sprechen weiter noch,
Ich glaub, von einem Mieder,
Ich glaub, von falschen Zähnen – doch
Da sank sie tot darnieder.

Die Dienerin hat nicht getan,
Was Eitelkeit begehrte,
Zum Spiegel jede Nacht sodann
Die Tote wiederkehrte.

Sie wollte färben die Frisur,
Wollt' suchen Zähn' und Mieder;
Doch schrie der Hahn – schwand ohne Spur
Sie aus dem Spiegel wieder.

Gar viel man von der Geistin sprach
In jenem alten Spiegel,
Drum ließ der Schloßvogt unters Dach
Ihn bringen unter Riegel.

Schnell hab ich diese Unnatur,
Zu mir heraufgekommen,
Einen Totenkopf auf der Frisur,
Klecksographisch aufgenommen.

Nutzanwendung

        Dies war aus alter Zeit ein Weib,
Doch jetzt noch gibt es Frauen,
Frauen, die emsig ihren Leib,
Doch faul den Geist bebauen.
Wie werdet, Eitle, ihr einmal
Nach dem Tod aus Spiegeln blicken!
In des aufgeblasenen Rocks Skandal,
Den Putzhut in dem Rücken.
Um euren Arm den Firlefanz
Von Spitzen – Gott, welch Schauer!
Beginnet ihr den Totentanz
So um die Kirchhofmauer.
Die Männer, die in gleichem Wahn
Mit euch, ihr Eitlen, stecken,
Mittanzen als Gerippe dann
In ihren läpp'schen Fräcken,
Angströhren, daß sich Gott erbarm!
Auf ihren Köpfen tragend,
Oder Klapphüte unterm Arm,
Komplimentenräder schlagend.
Stellt euch einmal die Engel vor
In Hüten lächrich butzig,
Wie jetzt sie sind bei euch im Flor,
Im Nacken sitzend stutzig.
Seht sie in des Ballonrocks' Schmach,
Wie euch, o Schauer! wallen,
Gewiß, ihr würdet sagen: ach!
Wie tief sind die gefallen!
Ihr Fraun, die ihr die Eitelkeit
Durch Demut überwunden,
Euer Kopfputz sei ein Tüchlein breit,
Um die blanke Stirn gebunden.
Umhüllen möge euren Leib
Ein weißes Kleid von Linnen, –
Das könnt ihr selbst zum Zeitvertreib
Euch mit den Töchtern spinnen.
Die Seele bleibt, auf diese baut,
Ihr Frau'n, der Leib ist flüchtig;
Doch mancher, ach! ist ihre Haut
Mehr als die Seele wichtig.
Die Seele, noch so schön umhüllt,
Ist's eine wüste Seele,
Die blicket einst als Schreckensbild
Aus dem Spiegel ohne Fehle.
Ihr aber, deren Seele licht,
Demüt'ge, fromme Frauen!
Ihr werdet nach dem Tode nicht
Aus ird'schen Spiegeln schauen.
Ihr schwebet aus der Erde Nacht
Empor zur Himmelsklarheit,
Schaut, was ihr hier geglaubt, gedacht,
Im Spiegel ew'ger Wahrheit.

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