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Es war an einem stillen, heiteren Tage gegen Ende April des Jahres 1679, als der junge Colville von Arondale und sein alter Bedienter Adam Yule, nachdem sie mehrere Tagereisen von London, nach der Sitte der damaligen Zeit, zu Pferde gemacht hatten, die Gränze von Schottland nun überschritten, und nach sechsjähriger Abwesenheit den heimathlichen Boden wieder betraten. Diesen Tag waren sie schon früh aufgebrochen; und ungeachtet Colville mehrmals, aus Mitleid gegen die alternden Kräfte seines Begleiters, das Pferd angehalten und langsameren Schrittes geritten war, so war doch seine Sehnsucht, noch vor Sonnenuntergang Torriswood zu erreichen, wo sein Pflegevater wohnte, so groß, daß die Bewegung für den armen alten Adam doch immer noch viel zu stark war. Diese Rücksichtslosigkeit gegen ihn indeß, und die Unruhe und Hast, die er an seinem jungen Herrn bemerkte, paßten zu der Freundlichkeit und der festen Haltung, die Colville sonst zu zeigen pflegte, ganz und gar nicht, und Adam mußte unablässig darüber nachdenken, was ihn doch, je näher sie Torriswood kamen, so stark in Bewegung setzen mochte; indeß hielt er sein Pferd sorgfältig gerade so weit hinter dem seines Herrn, als er es der Schicklichkeit gemäß fand. Zwei Jahre vor diesem Zeitpunkt würde Adam über seines Herrn Ungeduld sich nicht verwundert haben. Damals hatten viel unwichtigere Ereignisse, als das Wiedersehen alter, naher Freunde, Colvillen in viel größere Bewegung setzen können. Aber es war seitdem mit Colville eine gänzliche Veränderung vorgegangen. Von Kind auf war er zuweilen ernst, nachdenkend und forschbegierig gewesen, doch nur zuweilen; sonst, so viel es seine strenge Erziehung nur irgend zuließ, sehr vergnügungssüchtig, allen Jugendfreuden unablässig nacheilend. Sein Vater war ein strenger Presbyterianer und ein Mitglied des Nationnalbundes, des Covenant, gewesen, und, so lange er lebte, hatte er seine Söhne in den ernsten, unbeugsamen Grundsätzen seiner Partei erzogen: in der gänzlichen Unterordnung aller ihrer Gesinnungen und Handlungen unter die Vorschriften des Wortes Gottes, der einzigen Richtschnur, welcher sie gehorchen zu müssen glaubten. Bei seinem Tode hatte der ältere Colville die Erziehung seiner Söhne zwei bewährten Freunden anvertraut, mit denen er stürmische Zeiten durchgekämpft hatte, und deren Liebe zur Wahrheit und Treue in ihrer Freundschaft mannichfach damals auf die Probe gestellt worden waren. Diese Freunde setzten sein Werk in der Erziehung seiner Kinder nun fort. Die heilige Schrift indeß ist nicht gerade die Richtschnur, die dem natürlichen Menschen wohlzugefallen pflegt; und so hatte denn unser junger Reisender, der ältere der beiden Knaben, als er herangewachsen war, die Fesseln zerrissen, welche das Wort Gottes dem Stolze, dem Ehrgeize und dem Trachten nach hohen Dingen auf allen Seiten anlegt. Sein Wandel war indeß rein geblieben; er war feurig in seinen Entschlüssen, aufrichtig, edel; aber rasch, anmaßend und eigenwillig. Mit einem solchen Charakter hatte er eben erst seine Studien auf der Universität St. Andrews begonnen, als seine offen erklärte Verachtung gegen einen der Professoren, den seine Freunde als eine Creatur der herrschenden Partei betrachteten, und Mangel an Ehrerbietung, den er und einige Mitschuldige dem Primas von Schottland bewiesen hatten, sie in eine Untersuchung verwickelten, in welcher sie vor dem Erzbischof und den Decanen ein Verhör zu bestehen hatten. Als Colville damals persönlich vor den Erzbischof gestellt wurde, den seine Partei als den meineidigen Verräther ihrer Sache ansah, blickte er ihn mit Stolz an, und nannte ihn statt »My Lord« immer nur »Sir«. Da einer der Decane ihm diese Unehrerbietigkeit vorwarf, und ihm einschärfte, er solle Sr. Gnaden den Titel geben, der ihm gebühre, erwiderte er dreist: »Ich erkenne keine Lords an über Gottes Gemeinde.« Die anderen Angeschuldigten folgten seinem kühnen Vorgange, und wäre nicht einer von ihnen ein naher Verwandter des Herzogs von Lauderdale gewesen, würden sie vielleicht alle von der Universität relegirt worden seyn. Indeß bemerkten Colville's Vormünder, wie dieser Vorfall einen so tiefen Eindruck bei ihm zurückgelassen habe, daß er für nichts anders mehr Sinn zu haben schien, als was mit Entwürfen zur Befreiung seiner Partei von der Unterdrückung, unter der sie seufzte, zusammenhing; und da sie besorgt wurden, daß das offene Bekenntniß seiner Grundsätze ihn leicht noch härteren Strafen aussetzen möchte, hielten sie es für angemessen, ihn von der Universität St. Andrews wegzunehmen, und seine Studien in Holland fortsetzen zu lassen. Viele der »verfolgten Prediger«, wie man sie nannte, hatten sich dorthin geflüchtet. Colville bezog unter Aufsicht eines derselben die Universität Uetrecht, und Adam Yule, ein alter Bedienter des Colvilleschen Hauses, der gleichfalls ein Covenanter war, begleitete ihn. Auf dieser Universität hatte Colville mehrere seiner Landsleute getroffen; auch mehrere schottische Familien waren durch die Strenge der Gesetze, die immer aufs Neue gegen die Presbyterianer erlassen wurden, ihr Vaterland zu verlassen genöthigt worden, und wohnten dort. In dieser Verbindung bewahrte Colville seine Grundsätze mit unerschütterlicher Festigkeit; nur daß mit fortschreitender Erfahrung und Einsicht er allmählig freier wurde, und duldsamer gegen Andersdenkende. Unter seinen Mitstudirenden war er sehr beliebt, und ein Tonangeber, und wenn auch einige der älteren Glieder seiner vaterländischen Familien ihn hie und da warnten vor Uebertreibung der Freisinnigkeit, mit der er jetzt hervortrat, so erkannten sie ihn doch allgemein für einen Jüngling von zu schönen Anlagen und viel versprechenden Gesinnungen, als daß man ihn unter den gegenwärtigen bedrängten Umständen ihrer Partei nicht hochschätzen müsse. Zu der Zeit, wie schon vorher bemerkt wurde, war nun offenbar eine Veränderung mit Colville vorgegangen, welche ihre Hoffnungen von ihm noch bedeutend vermehrt hatte; man schrieb sie allgemein dem Einflusse eines Studirenden zu, welcher mit ganzem Herzen der Sache der Verfolgten in Schottland zugethan war, eines jungen Mannes, der sich durch die Heiligkeit seines Sinnes und die Reinheit seines Wandels auszeichnete. Er hatte Theologie studirt, war ein Jahr vor Colville von der Universität abgegangen, darauf in Rotterdam ordinirt worden, und hatte sich nun nach Schottland begeben, um auf den Bergen und in den Thalschluchten den verfolgten Presbyterianern zu predigen. Bei seiner Abreise von Uetrecht war Colville mit vielen wichtigen Mittheilungen und Aufträgen seiner dortigen Landsleute an ihre Verwandten und Freunde in der Heimath versehen worden. Zuletzt hatte er nämlich eine kurze Zeit bei einem Gliede seiner Familie zugebracht, der an dem Hofe des Prinzen von Oranien eine bedeutende Stellung einnahm; dort hatte er sich das Vertrauen vieler der ausgezeichnetsten unter seinen Landsleuten erworben, und von ihnen erhielt er nun viele wichtige Eröffnungen an seine Partei, welche man durch einen nicht so sicheren Canal, als diesen, nach Schottland zu senden nicht hätte wagen dürfen.
Doch, von dieser Abschweifung zu unseren Reisenden zurückzukehren: Colville hatte seinen Wunsch erreicht; die Sonne stand noch ziemlich hoch in Westen, als er und sein Begleiter das Dorf erblickten, von welchem sie nur noch etwa eine Viertelstunde bis Schloß Torriswood zu reiten hatten. Dies Dorf bestand aus einer langen Straße, wenn man sie so nennen möchte, in welcher die Häuser, ungeachtet sie in der Entfernung fast in grader Linie zu stehen schienen, doch bei näherer Besichtigung so sonderbar unregelmäßig erbaut waren, daß es aussah, als hätte man die Unebenheit des Bodens dadurch markiren wollen; eines stand hoch, und von seiner Thür nach der Straße ging es stark bergab; dicht daneben stand ein anderes, mit dem Gesicht anderwärts hingekehrt, und eng eingepfercht in einem Hohlwege. Einige Bäume und mit Rasen bedeckte Felsen waren zwischen den Häusern. Am jenseitigen Ende des Dorfes stand die Kirche; ein altes Gebäude aus der katholischen Zeit, und nach ihrer Weise ursprünglich eingerichtet und ausgeziert, späterhin aber von den Bildern und abgöttischen Gräueln gereinigt und zum protestantischen Gottesdienst von den Reformatoren und ihren presbyterianischen Nachfolgern bestimmt; und in dieser Letzteren Besitz befand es sich, als Colville sein Vaterland verließ. Das Dorf sah jetzt gerade sehr bunt aus. Zelte waren auf den Feldern umher aufgeschlagen, die damals gerade im frischesten Grün standen; Fahnen und Flaggen von grellen Farben flatterten in der Luft bei den Zelten, und Soldatengruppen standen davor, oder schlenderten auf den Straßen, oder suchten allerhand Zeitvertreib. Je näher indeß Colville kam, je deutlicher sah er, daß die Thüren fast aller Häuser verschlossen waren. Auf den grünen Abhängen neben ihnen, wo er oft den fröhlichen Spielen der Dorfjugend zugesehen hatte, war alles ganz still. Ein Paar Knaben bloß erblickte man, welche, unwiderstehlich angezogen von der Lustigkeit und dem kriegerischen Aussehn der Soldaten, sie und ihre Vergnügungen sich ansahen. Als aber nun unsere Reisenden der Dorfschenke sich näherten, gewahrten sie eine große Menge Menschen, die an der Thür standen, und drinnen bemerkten sie, aus dem Durcheinanderklingen von Lachen und heftigem Schelten, daß einige Leute sich zankten und die anderen sich daran belustigten. Die Soldaten sahen sich Colvillen genau an, wie er durch die Dorfstraße zog; und die gemischte Gruppe, der er sich nun näherte, hörte bei seinem Anblick sogleich auf zu lärmen, und betrachtete ihn stillschweigend, bis er vorbeigeritten war. Darauf sagte einer der Soldaten:
»Das ist gewiß auch so einer von ihnen, d'rauf wollt' ich wetten.«
»Ach, warum nicht gar!« sagte ein andrer.
Colville ritt weiter. Wie er an die Kirche kam, sah er um sie her eine noch größere Anzahl Soldaten; einige von ihnen lagen ausgestreckt auf den platten Grabsteinen des Kirchhofes, ihres Dienstes sichtlich müde; denn sie trugen Alle Waffen.
Colville sah sich nach irgend einem Einwohner des Dorfes um, daß er bei ihm sich erkundigen möchte, weshalb dieser entlegene Ort ein so kriegerisches Aussehen habe; da er aber niemand, als die Knaben, erblickte, die sich wüst herumtrieben, so hielt er bei einem Trupp Soldaten sein Pferd an, und fragte einen von ihnen danach.
»Weil morgen«, erwiderte der Soldat in englischer Mundart, »ein neuer Pfarrer hier in die Kirche gebracht werden soll.«
»Und dazu bedarf es Soldaten, um ihn hineinzubringen?« fragte Colville.
»Sie müssen ein Fremdling hier zu Lande seyn, Herr, wenn Sie davon nichts gehört haben«, sagte ein Bauerknabe.
»Ja, ich bin auch ein Fremder«, versetzte Colville.
»Nun, dann müssen Sie wissen«, fuhr der englische Soldat fort, »letzten Sonntag, als der neue Pfarrer die Kanzel besteigen wollte, fand er die Thür so fest zugenagelt, obwohl der Küster sie noch Abends zuvor um 10 Uhr offen gesehen hatte, daß er von den Soldaten hinauf- und wieder hinuntergehoben werden mußte, und da er just kein so klapperdürrer Mann ist, als die aufrührerischen Prediger alle sind, so bedankte er sich für die Wiederholung solch einer Magenerschütterung morgen, vor seiner Predigt.«
»Ist das aus Vorliebe für ihren früheren Prediger, daß die Leute dem neuen so feind sind?« fragte Colville.
»Ja, und dann auch aus Vorliebe für ihre eigene Weise,« erwiderte der Soldat.
»Wie hieß denn der letzte Prediger?«
»Herr Andreas Wellwood«, antwortete der Bauerknabe.
Colville erinnerte sich seiner noch wohl. »Wo ist denn Herr Wellwood jetzt?« fragte er.
»Ja, aus dem Mann könnten Sie etwas machen, dem Sie das sagten!« rief ein hübscher, etwas frech aussehender junger Soldat, welcher von dem Haufen, der vor der Schenkthür stand, zu denen, mit welchen Colville sprach, eben hingetreten war. »Fünf Hundert Mark, und Unteroffiziersrang bekommt, wer ihn findet! Da ist kein Berg, kein Thal, keine Schlucht, kein Busch zehn Meilen in der Runde, die wir nicht durch und durch gesucht hätten nach ihm; und doch predigt er vielleicht diesen Augenblick nicht eine halbe Stunde von hier vor einer Versammlung von mehr als hundert Menschen.« Der Soldat häufte noch ein Paar Flüche drauf gegen den Flüchtling. Colville wandte sich ab, und setzte traurig seinen Ritt durch das Dorf weiter fort.
»Sagt' ich's euch nicht, Tim? Er ist auch einer von ihnen!« rief der Soldat so laut, daß Adam Yule es noch hören konnte, der nun wieder hinter seinem Herrn ritt. »Die Bündler machen alle immer dasselbe Gesicht, wenn sie einen fluchen hören; hier kommt sein Bedienter; seht mir 'mal das alte Gerippe an! Heda, du alte Vogelscheuche, ist dein Herr nicht ein –«
»Halt deine Lästerzunge!« rief ein Soldat, indem er seinen frechen Kameraden beim Rock zupfte.
Adam Yule sah dem jungen Mann, der ihn angeredet hatte, starr in's Gesicht, und hielt sein Pferd an.
»Ich will sterben, wenn das nicht Adam Yule ist!« sagte der junge Soldat, indem er statt der Frechheit einen Ausdruck von Reue bekam.
»Und wer bist Du denn?« fragte Adam, indem er mit forschendem Blick ihn ansah. »Allan Broome!« war die Antwort. »Und du bist so früh schon dahineingekommen? Du hast ja fleißig gelernt in Satan's Schule! Lebt dein armer Vater noch?« – »Nein,« versetzte der Soldat ernsthaft, »er ist vor zwei Jahren gestorben.«
Adam seufzte: »O, o! der hat seine grauen Haare also mit Kummer in die Grube gebracht«, – hier hielt er inne. »Und nun, Allan, ist dein Geschäft, wie ein Bluthund die gejagten Diener des Gottes deines Vaters hetzen zu helfen.«
»Es sind Aufrührer, Empörer gegen den König, du alter unruhiger Kopf!« rief der Englische Soldat indem er Adams Pferd in den Zügel fiel.
»Laß ihn zufrieden, Tim,« sagte Allan, indem er Adam's Pferd von seinem Kameraden losmachte, und es weiter führte. »Adam, mir könnt Ihr sagen, was Ihr wollt«, sagte er; »aber seht wohl zu, wen Ihr vor Euch habt – jetzt kann ich nicht weiter mitgehen; aber denkt daran, Eure Sache steht jetzt schlimmer, als je.« Darauf trat er wieder zu seinen Gefährten, und Adam ritt seinem Herrn nach, der schon zum Dorfe hinaus war.
Colville ließ sein Pferd stärker traben, als die wohlbekannten Umgebungen von Torriswood vor seinen Augen dalagen. Das in seiner Mannigfaltigkeit liebliche Grün der Felder stand in der lebendigsten Frische. Die Wälder hatten zum Theil schon Laub, zum Theil fingen sie eben erst an, die Farbe des Frühlings zu tragen. Als Colville näher kam, bemerkte er, daß viele der schönsten Bäume erst kürzlich umgehauen worden waren, und mit ihrem frischen jungen Grün auf dem Boden ausgestreckt lagen. Das Thor, durch welches er einziehen wollte, fand er offen und die beiden Flügel, aus den Angeln gehoben, standen angelehnt an den Pfosten. Der Weg, welcher durch ein den Park umgürtendes Gehölz führte, früher schön mit Kies bestreut, war voll tiefer, sichtlich erst vor Kurzem gemachter Löcher, und von Pferdehufen ganz uneben getreten. Eine Menge der schönsten Bäume lag, jüngst erst umgehauen, zu beiden Seiten des Weges im Gehölz. Zwei Männer zu Pferde kamen heran, und zogen hinter sich einen großen Baumstamm.
»Können Sie mir nicht sagen, warum Herr Osborne so viele Bäume hat fällen lassen?« fragte Colville.
»Wegen einer Geldstrafe«, antwortete einer der Männer. Colville wußte, daß diese damals oft sehr hoch stiegen; doch mußte Torriswood wirklich gewaltig gelitten haben, wenn sein Vermögen sie gar nicht mehr tragen konnte.
Hinter diesem Gehölz führte ein langer gerader Weg auf das Haus zu. An diesem Wege standen die schönsten Bäume des Gutes, und Colville freute sich zu sehen, daß sie noch unangetastet dastanden. Der Kiesdamm indeß, welcher in der Mitte des Weges grade auf das Hauptthor des Schlosses zuging, war gleichfalls durch Pferdegetrampel uneben gemacht, und der schöne Rasen zu beiden Seiten zertreten und verderbt.
Nun näherte sich Colville dem Hause immer mehr, und bemerkte eine weibliche Gestalt, welche vor demselben herumging, und von Zeit zu Zeit über die Blumen sich bückte, welche, wie er sich wohl erinnerte, dort wuchsen. Er stieg von seinem Pferde ab, übergab es Adam, und näherte sich jener Gestalt. Zwei Töchter seines Vormundes waren die lieben Spielgenossinnen seiner Kindheit gewesen. Sie waren noch nicht über die Kindheit hinaus, da er sie verließ; aber jetzt, wußte er, werde er sie als Jungfrauen wiederfinden. Diese Dame da konnte die Frau von Torriswood seyn; wahrscheinlich war es doch aber eine von ihren Töchtern, und der Gedanke an jede dieser beiden erregte in ihm verschiedenartige Empfindungen. Florentine, die ältere, war damals, als sie sich trennten, ihm die liebste gewesen; aber die jüngere, Olivia, versprach in jedermanns, nur in Colville's Augen nicht, die liebenswürdigste zu werden, und war damals auch schon ein sehr anziehendes kleines Ding gewesen.
Colville bemerkte nunmehr, daß es nicht die Frau von Torriswood war. Die Gestalt war jung und zart; sie trug einen großen, weißen seidenen Schleier, den sie über den Kopf zurückgeworfen und unter dem Kinn befestigt hatte. Colville näherte sich unbemerkt, bis er dicht neben der jungen Dame war. Er stand einen Augenblick still. Sie bückte sich nieder, um ein Paar weiße Lilien aufzurichten, welche niedergetreten zu seyn schienen; wie denn Colville nun gewahr wurde, daß der ganze Boden neben dem Hause erst kürzlich von Pferden zertreten worden war. Er trat langsam ein Paar Schritt näher; das junge Mädchen fuhr erschrocken auf, sah sich um, und schien zuerst auf die Flucht zu denken; doch nahm sie sich zusammen und erwartete ihn nun mit Würde und Anstand. Colville trat ehrerbietig heran; aber ein Blick war genug.
»Olivia! liebste Olivia! Kennen Sie mich nicht mehr?« Olivia hatte es kaum gewagt, den jungen Fremdling anzusehen; aber nun, da sie seine Stimme hörte, die ihr so bekannt vorkam, sah sie ihn genau an.
»Philipp Colville!« rief sie, indem sie zärtlich, wie eine Schwester seine Begrüßung erwiderte: »Wie haben Sie sich verändert! Ich muß gestehen, zuerst kannte ich Sie nicht.«
»Und Sie, Olivia, haben sich doch gewiß noch mehr verändert, und doch erkannte ich Sie gleich.«
Wer ist jetzt zu Hause? Und wo ist der und der von der Familie? Das waren Fragen, die Colville jetzt begierig that; und Olivia antwortete: Torriswood selbst sey zu Hause; Florentine habe sich nicht von ihrem Vater trennen wollen, und Olivia bleibe immer, wo Florentine sey. Erich sey der einzige Bruder, der daheim sey. Mistreß Osborne habe sich von ihrem Manne bereden lassen, auf eine kurze Zeit nach einer entlegenen Gegend von England sich zu begeben mit den beiden ältesten und den beiden jüngsten Kindern; »denn vielleicht wissen Sie noch nicht«, fuhr Olivia fort, »daß die Dinge bei uns alle Tage schlimmer zu stehen kommen.«
»Ich weiß es wohl, beste Olivia, und ich bin hergekommen, um mit zu leiden und mit zu kämpfen.«
»Unsere Leiden, wenn man sie mit denen anderer vergleicht, sind bis jetzt eben so sehr groß noch nicht gewesen«, sagte Olivia; »aber für uns Frauen ist auch der Schrecken schon ein eigentliches Leiden. Mein Vater sah, daß meiner Mutter Gesundheit durch die ewigen Besorgnisse, in welchen sie lebte, völlig untergraben wurde und überredete sie daher, uns zu verlassen, falls meine beiden ältesten Brüder sie begleiten wollten. Sie schwebte immer in Angst, daß ihre Raschheit sie zu einem Schritte treiben würde, der von der herrschenden Partei als Aufruhr könnte bezeichnet werden. Nichts indeß, als der ausdrückliche Befehl meines Vaters, konnte sie bewegen, das Land zu verlassen. Seitdem sie fort sind, ja während der letzten Woche ist zweimal bei uns Haussuchung gehalten worden, indessen unten ein Trupp Soldaten das Haus umzingelt hatte, daß keiner entwischen sollte. – Da sehen Sie, was sie gemacht haben«, fuhr Olivia fort, indem sie betrübt auf die Ruinen ihrer schönen Sträucher und Blumen hinsah.
»O, die werden in einigen Monaten wieder eben so schön prangen, als zuvor«, sagte Colville lachend; dann ernster: »In einer Sache, wie diese, kommt es ja auf ein Paar Blumen nicht an, wenn wir uns an den Gedanken gewöhnen sollen, es könnte vielleicht von uns gefordert werden, daß wir unser Leben für den Herrn in den Tod geben.«
»Ach, Sie sprechen gerade wie Florentine!« antwortete Olivia, »und sie ist doch selbst betrübt genug, wenn sie die schönen alten Bäume, die umgehauen werden sollen, anzeichnen sieht.«
»Wo ist denn Ihr Vater und Florentine jetzt?«
»Sie sind nach dem Holmforst gegangen, um dem Förster die Bäume zu zeigen, die er umhauen soll. Florentine zwingt sich dazu, denn sie sagt, so lange ihr Herz an den Bäumen so hange, daß sie nicht alle hingeben möchte, so lange sey es der Sache ihres Herrn nicht völlig ergeben. Sie verläßt aber auch sonst meinen Vater nicht leicht, wenn es nur irgend angeht.«
»Wollen wir nicht vielleicht sie aufsuchen?«
Olivia war damit zufrieden, und sie gingen um das Haus herum den Weg, der nach dem Holmforste führte.
»Weshalb wurde denn die Haussuchung gehalten?« fragte Colville, als er die Spuren der Pferdehufe rings um das Haus bemerkte.
»Man vermuthete Hr. Wellwood sey bei uns versteckt.«
»Und wissen Sie denn wohl etwas von ihm?«
Olivia lächelte, sah Colvillen in's Gesicht, und flüsterte ihm dann in's Ohr: »Er war beide Male im Hause, als es durchsucht wurde.« Darauf sah sie sich um, als könnte jemand etwas gehört haben.
Da sie über den Hof hinter dem Hause gingen, zog Colville's und Olivia's Aufmerksamkeit ein Kreis von Domestiken und anderen Leuten auf sich, in deren Mitte Adam Yule stand. Ein Knabe, dem er die Pferde gegeben, hatte sie ein Paar Schritt rückwärts geführt, sah aber nun zurück, offenbar gefesselt von Adams Beredsamkeit.
Adam unterhielt sich mit einem alten Mann, der so ganz das Gegenstück von ihm war, daß man leicht den einen für den Geist des andern hätte halten können. Denn des andern Alten Aussehen war noch frisch und rothbraun, während Adam's so bleich war, daß der Soldat ihn wohl mit Recht Todtengeripp nennen konnte. Sein Freund war aber eben so schlank und hager, und eben solche dünne weiße Locken fielen zu beiden Seiten auf seinen dicken Rockkragen.
Sobald sie Colvilles ansichtig wurden, fing die ganze Gruppe an, ihn freudig zu bewillkommnen, und einige ältere Leute traten ehrerbietig heran, da sie sahen, wie Colville still stand, um ihnen zu danken.
»Wie geht es Euch, Gilbert Scougal?« fragte Colville, indem er Adam's altem Doppelgänger herzlich die Hand drückte.
»Gut genug für mein Alter, gnäd'ger Herr.«
»Ja wirklich, Gilbert, Ihr hab't Euch wenig verändert, seit ich wegging.«
Der Alte lächelte. »Von Ihnen, gnäd'ger Herr, kann ich das nicht sagen. Es ist doch wundervoll, was das Reisen so ein vornehmes Aussehen gibt. Ich hätte nicht denken sollen, Hr. Philipp, daß Ihres dadurch noch schöner hätte werden können.«
Colville wurde roth, und Olivia lachte.
»Wo finden wir denn Euren Herrn, Gilbert?« fragte Colville.
»Im Holmforste, gnäd'ger Herr,« antwortete der alte Mann, indem sich sogleich ein schwermüthiger Ausdruck über sein Gesicht hinzog.
»Nun, wir werden uns bald einmal noch näher sprechen, Gilbert,« sagte Colville freundlich. Darauf sprach er noch mit einigen anderen Leuten, während Olivia, eben so herzlich, Adam Yulens Bekanntschaft erneuerte, der sich dicht neben sie hingestohlen hatte, um zu sehen, ob wohl diese schöne junge Dame eines der hübschen Kinder seyn möchte, die er bis vor sechs Jahren hier so oft gesehen hatte. Darauf ging sie mit Colvillen nach dem Forst.
Auf dem Wege bemerkten sie noch mehrere schöne Bäume, deren Stämme vom Förster gezeichnet waren.
»Sie haben mir noch nicht erzählt, liebe Olivia,« sagte Colville, »weshalb diese Strafe Ihrem Vater auferlegt worden ist. Haben Sie denn Hrn. Wellwood entdeckt?«
»O nein, aber mein Vater war in seine Versammlung im Thale gegangen; dafür ist die eine schwere Strafe ihm zuerkannt worden. Andre soll er bezahlen, weil er die Pfarrkirche nicht besucht, in die mein Vater nicht gekommen ist, seit Hrn. Wellwood's Absetzung.«
»Wie lange ist das wohl her?«
»Ueber sechs Monat. Sie wissen, Hr. Wellwood ist ein sehr milder Mann, und seine Friedensliebe hat ihn lange vor der Verfolgung bewahrt, welcher andre ausgesetzt waren; und da trieb ihn sein inniger Wunsch, bei seiner Gemeinde bleiben zu können, zur Annahme der Bedingungen, welche Indulgenzen genannt wurden. Mein Vater konnte es nie billigen, daß er es gethan hatte, weil er meinte, er sey dem Nationalbunde damit gewissermaßen ungetreu geworden. Dennoch fuhr Vater fort, die Kirche zu besuchen, weil er seine Beweggründe für christlich hielt. Man machte aber die Bemerkung, daß der arme Hr. Wellwood, seit er damals nachgegeben, nie mehr so kräftig predigen konnte; er schien niedergedrückt und erschlafft. Endlich kam es ganz so, wie es mein Vater vorhergesagt hatte. Es wurden immer neue Unterschriften und neue Handlungen verlangt, zu denen sich Hr. Wellwood unmöglich verstehen konnte, und es zeigte sich nun deutlich, daß die Indulgenzen ein bloßer Vorwand gewesen waren, um mit mehr Schein sich der presbyterianischen Geistlichen entledigen zu können. Da erklärte denn endlich Hr. Wellwood, er könne nicht weiter gehen, wurde abgesetzt und das Predigen ihm untersagt. Ein anderer geduldeter presbyterianischer Geistlicher leitete einige Sonntage den Gottesdienst, er hatte aber in so vielen Punkten nachgegeben, daß mein Vater kein Vertrauen zu ihm fassen konnte, und daher auch nie in seine Kirche ging. Die Gemeine indeß, wenigstens ein großer Theil derselben, ging hin, und aus diesem Umstande wurde geschlossen, daß sie nun hinreichend vorbereitet seyen, einen bischöflichen Geistlichen zu empfangen, und der Staatskirche sich anzuschließen; aber am letzten Sonntage zeigte es sich, wie unrichtig dieser Schluß war. Der Pfarrer ist ein unwissender, unpraktischer Engländer, der bisher, beinah ganz unthätig, als Caplan bei einem alten englischen Lord, der vor Kurzem starb, gelebt hat. Seit Herr Wellwood dreist und kühn zu seinen früheren Grundsätzen zurückgekehrt ist, hat er nun ganz wieder seine alte Wärme und Kraft, und alles strömt ihm zu, mag daraus werden, was da wolle. Und es liegt auch wirklich,« fügte Olivia hinzu, »in dem, was einer unter solchen Umständen sagt, etwas besonders Rührendes und Ergreifendes. Vielleicht trägt auch die schöne Gegend, die Besorgniß und die Unruhe, so wie noch andre Gründe, dazu bei, das Wort kräftiger als sonst zu machen.«
»Auch Sie, Olivia, haben sich also in diese verbotenen Versammlungen gewagt?«
»Ja, zwei- oder dreimal; aber ich bin eine solche feige Memme, daß mein Vater mir eher ab-, als zuräth, hinzugehen. Florentine aber versäumt nie eine Versammlung, die in ihrem Bereiche liegt.«
Als jetzt der Weg sich wandte, sah Colville Torriswood und Florentinen ziemlich nahe auf sie zukommen. Die Tochter schien zuerst ihn zu bemerken, dann der Vater.
»Weder Vater noch Florentine erkennen Sie, wie ich sehe,« sagte Olivia lachend. Torriswood näherte sich mit dem festen Gange und dem freundlichen, aber würdevollen Aeußeren, das Colvillen noch so wohl im Gedächtniß war. Die Zeit hatte ihn wenig verändert und da alle Jugenderinnerungen mit einer überwältigenden Macht plötzlich in ihm auflebten, wollte er schon auf seinen Vormund zueilen, als Olivia, die er führte, ihn zurückhielt.
»Bitte, lassen Sie uns einmal sehen, ob Florentine Sie kennt. Nach allem, was sie davon gesagt hat, bin ich fast gewiß, daß es nicht der Fall ist.«
»Was hat Florentine denn gesagt?«
»O stille, stille doch!«
Olivia hatte sich indeß geirrt. Nur noch ein Paar Schritt ging Florentine vorwärts, als sie ihren alten Spielkameraden erkannte und rief: »Es ist Colville!« Damit lief sie einige Schritte, hielt aber wieder an, wandte sich zurück und gab ihrem Vater wieder den Arm.
Colville ließ sich nun nicht länger halten, sondern eilte auf Torriswood zu, und wurde von ihm auf's herzlichste empfangen. Florentinen näherte er sich mit größerer Unsicherheit, und sie von ihrer Seite kam ihm mit mehr Zurückhallung entgegen, als früher Olivia. Ihr tiefes Erröthen verrieth indeß eine größere Bewegung; und nach einigen Blicken und Worten gegenseitigen Wiedererkennens fühlte Colville bald alle seine frühere Theilnahme für seine heitere, freundliche, trauliche Spielgenossin wieder, jetzt ein weibliches Ebenbild ihres Vaters, mit noch mehr jungfräulichem Aeußern und mehr Character in Ausdruck und Benehmen, als Olivia besaß.
Torriswood selbst war wenig über fünfzig; seine Gestalt war schlank, majestätisch, gebietend; sein Ausdruck verrieth auf den ersten Blick einen ausgezeichneten Character; seine Minen waren ernst, sinnig und voll Empfindung. Bei der ersten Begrüßung Colville's waltete auf seinem Gesicht ein Ausdruck herzlicher Freude vor; aber nach den ersten Augenblicken zärtlichen Wiedererkennens gaben ihm einige Hindeutungen auf den gegenwärtigen Zustand von Schottland ein fast strenges Aussehen.
»Der Kampf, denk' ich, nähert sich jetzt seinem Ende«, sagte Colville. »England ist jetzt aufgewacht; die letzten Parlamentswahlen beweisen, daß man dort den Despotismus nicht länger ertragen will.«
»Nun, dann wird er wohl bei uns eine Zuflucht suchen,« erwiderte Torriswood. »Wir sind so lange gezwickt worden, bis wir nun völlig stumpf sind, und immer neue Spaltungen unter uns selbst lähmen jede Anstrengung. Das Volk ist durch diese ewigen Wendungen so irre geführt worden, daß sie jetzt kaum noch schwarz von weiß zu unterscheiden wissen. Ihre Sehnsucht geht nach Gewissensfreiheit, aber unsere vielen Parteiungen haben sie so irre geleitet, daß sie den Streitpunkt, den es zuerst galt, gänzlich aus den Augen verloren haben.«
»Grade deshalb,« sagte Colville, »haben mich mehrere patriotisch gesinnte Männer in London beauftragt, ich möchte einen meiner Landsleute, der mit dem gegenwärtigen Stande der Parteien genau bekannt sey, bewegen, daß er schleunig zu ihnen nach London komme. Es verlangt sie, recht genaue Kunde vom Zustande der Dinge in unserem Vaterlande zu erhalten, sie wünschen Thatsachen zu haben, auf welchen sie bei ihren Bemühungen für uns fußen können. Sie waren auch einer von denen, welche man nannte – oder einen der Balfours in Fife – Lord Cardroß – Inchcarran oder einen Edelmann, den Sie mit diesen zugleich vielleicht bestimmen und bevollmächtigen wollten.«
Torriswood's Augen glänzten vor Freude: »Gott sey Dank!« rief er, »ich bin bereit, morgen zu gehen, und sollte ich bei meiner Rückkunft den Märtyrertod dafür leiden.«
Florentine umfaßte ängstlich ihren Vater, und wurde todtenbleich.
»Inchcarran hat keine Kinder, Colville« sagte sie im Tone des Vorwurfs, »warum haben Sie nicht ihm zuerst diesen Antrag gemacht?«
Colville fuhr zusammen: »Nun, ich will doch nicht fürchten, daß die Reise so schlimme Folgen haben würde, Florentine«, sagte er. »Die edlen Männer, von denen ich sprach, sind der Regierung nicht gerade verdächtig. Ich sollte nicht denken, daß ein Verkehr mit ihnen die gegenwärtigen Beherrscher Schottlands beunruhigen würde.«
»Ach, Sie kennen sie nicht!« sagte Florentine mit Nachdruck.
Torriswood lächelte: »Ja, ja, ich fürchte es selbst; doch, Florentine, vielleicht urtheilen wir zu hart von ihnen. Auf jeden Fall aber, liebes Kind, müssen wir, wo unsre Pflicht klar vor uns liegt, den Ausgang Gott anheimstellen.«
Florentine wurde nun wieder ganz gefaßt, blieb aber noch immer sehr blaß.
»Warum wollten Sie denn aber überhaupt nach Schottland wieder zurückkehren!« fragte Olivia; »wir könnten ja alle an einen sicheren Ort zu Ihnen kommen.«
»Arme Olivia!« sagte ihr Vater, indem er mitleidig sie ansah, »ich wünschte dir wirklich, du wärest jetzt an einem sicheren Ort.«
»Aber wären wir nicht Alle in Sicherheit, so würde ich dann nur desto unglücklicher seyn,« versetzte Olivia.
»Das weiß ich wohl, mein armes Kind – aber, Olivia, es giebt Pflichten, die selbst dem Schutze unsrer Lieben noch vorgehen.«
Olivia erröthete, und Thränen traten ihr in die Augen. »Das ist freilich schlimm, daß ich mich daran muß erinnern lassen.«
Colville ging, in gedankenvolles Schweigen versunken, neben ihnen.
»Wie lange können Sie bei uns bleiben, Colville?« fragte Torriswood.
»Ich muß Inchcarran, die Balfours und noch einige andere sprechen, an welche ich Aufträge habe; so bald ich nur irgend erfahren kann, wo sie sind. Nachdem ich sie gesprochen habe, gehe ich dann sogleich nach Arrondale, wo ich meine Mutter und meinen Bruder zu finden hoffe.«
»Die Balfours sind in Fife,« antwortete Torriswood; »Inchcarran ist, glaub' ich, jetzt in Edinburgh. Die Balfours sind zu sehr für gewaltsame Maßregeln. Sie und einige andre stehen, fürcht' ich, jetzt in Begriff, eine rasche That auszuführen, die unsrer Sache nur verderblich werden kann. Ihre Geduld, oder fast möchte ich sagen ihr Glaube, ist ganz zu Ende. Ich will mit Ihnen nach Edinburgh gehen, Colville, und da wollen wir unsre Pläne für die Zukunft entwerfen.«
»Ach, Sie werden uns doch nicht hier allein lassen, lieber Vater,« sagte Olivia ängstlich; dann faßte sie sich: »Doch wenn es so das Beste ist« ...
»Nein, nein, bester Vater!« rief Florentine, »lassen Sie uns mitgehen, wohin Sie sich auch begeben. Man hegt gewiß desto weniger Argwohn gegen Sie, wenn Sie sich so mit zwei jungen Mädchen herumschleppen.«
»Nach Edinburgh wenigstens will ich Euch mitnehmen,« sagte der Vater.
»Nun dann können wir ja alle zusammen reisen,« sagte Colville. »Ich kann, wenn es seyn muß, ein paar Tage warten.«
»Nein, Colville, für Sie wäre es das Beste, weder bei uns zu bleiben, noch mit uns zu reisen,« sagte Torriswood; »das würde Sie sogleich verdächtig machen.«
»Danach frag' ich nichts,« erwiderte Colville, »ich wünsche vielmehr als einer der Ihrigen angesehen zu werden. Ich bin bereit, für meine und meines Vaterlandes Gewissensfreiheit zu leben und zu sterben. Mengen unsere Freunde in diesen Kampf noch andre Absichten hinein, streiten sie noch für andre Rechte, so muß ich mich erst von ihren Grundsätzen unterrichten, ehe ich mich an sie anschließe; in jenem Punkte aber hoffe ich unwandelbar fest zu stehen.«
»Und dafür allein,« erwiederte Torriswood, »habe ich gekämpft, und bis jetzt hat sich auch alles um diesen Punkt allein gedreht. Verlassen unsre Freunde diesen Grund und Boden, dann muß ich sie verlassen.«
»Nun dann bin ich Ein Herz und Eine Seele mit Ihnen,« sagte Colville; »und es soll mir eine Ehre seyn, wenn ich einem jeden meine Gesinnungen ganz kurz damit erklären kann, indem ich sage, daß es die Ihrigen sind.«
Torriswood drückte Colvillen herzlich die Hand, setzte aber hinzu: »Wir müssen später noch mehr hierüber sprechen. Ich erwarte heut zwei Freunde aus Edinburgh, Advocaten, die unabhängig genug da stehen, um die Sache einiger unterdrückter Glieder des Nationalbundes zu führen. Auch ich habe mich ihrer bedient, um eine Linderung der mir neuerlich auferlegten Strafen zu erlangen, die mich ganz ruiniren; und heute haben sie uns versprochen, bei uns zu seyn.«
Als sie ins Haus traten, erfuhren sie, daß die beiden Advocaten eben angekommen waren.
Der Tag neigte sich, und das helle Feuer, welches in dem weiten alten Camin im Gesellschaftszimmer angezündet war, behagte Allen gar sehr. Die Stunde des Abendessens war, nach damaliger Sitte, bald da, und alles setzte sich um den sehr reichlich besetzten, gastlich einladenden Tisch. Während sie den mancherlei Gerichten ihre gebührende Ehre anthaten, schienen Colville und die beiden Juristen, bei einem Gespräche über gleichgültige Dinge eifrig damit beschäftigt, einanander zu beobachten. Der ältere der beiden Advocaten schien etwa dreißig Jahr alt; sein Gesicht hatte etwas Scharfsinniges, Einsichtsvolles und Durchdringendes. Er sprach viel und sehr gewandt, aber seine Gedanken und Worte schienen nicht immer beisammen zu seyn, denn wenn in der Unterhaltung, an welcher er Theil nahm, eine Pause eintrat, zeigte der Ausdruck von Ernst und Abwesenheit, der auf seinem Gesichte lag, daß sein Geist auf ganz andre Dinge gerichtet war, als auf die leichten, munteren Gegenstände seines Gesprächs. Doch markirte er stets eine große Aufmerksamkeit, wenn Colville sprach, und seine anfänglich etwas ferne, respectvolle Höflichkeit, wurde immer mehr und mehr von Herzlichkeit, Zutrauen und Theilnahme überwunden. Der andre Advocat war jünger als sein Begleiter, und Colville erkannte bald in ihm den Sohn eines Nachbarn von Torriswood, den er hier und da früher gesehen hatte, aber nicht gerade häufig, weil er in der Zeit, wo Colville am meisten bei Torriswood war, fast immer auf dem College sich befunden hatte. Der junge Ormistoun – so hieß er – schien nicht sehr voll Verlangen zu seyn, ihre Bekanntschaft zu erneuern, und es hätte auch für einen weniger scharfsinnigen Mann, als Colville war, keiner halbstündigen Beobachtung bedurft, um deutlich zu sehen, daß, wie lebhaft er sich auch für den Vater interessiren mochte, die Tochter doch noch ganz andre Empfindungen in dem jungen Advocaten erregte. Colville hatte sich neben Florentinen gesetzt, und sie ins Gespräch zu ziehen gesucht, doch vergebens. Der besorgnißvolle, nachdenkende Ausdruck, den ihr Gesicht bekommen hatte, seit Colville ihrem Vater die Botschaft seiner englischen Freunde bestellt hatte, war noch immer darauf geblieben. Sie antwortete zwar auf alle seine Fragen, versank aber sogleich wieder in Gedanken. Der junge Ormistoun saß auf der andern Seite neben ihr, und wünschte offenbar eben so lebhaft sie in dies Gespräch zu ziehen, es gelang ihm aber nicht besser; bis sie auf einmal, da sie etwas hörte, was er zu Olivien sagte, schnell sich umwandte, und mit dem größten Interesse in die Unterhaltung sich mischte. Ormistoun sprach leise, und Colville verstand ihn nicht; aber so viel sah er, daß er Mittlel gefunden haben müsse, ihre ganze Aufmerksamkeit zu fesseln. Von Colville wandte sie sich ganz ab, und schien völlig zu vergessen, daß er da war, während sie und Olivia Ormistouns Gespräch mit sichtbarer Freude und Theilnahme anhörten. Colville fühlte sich etwas verletzt, und unterhielt sich nun seinerseits mit Torriswood und Lindsay, dem älteren Advocaten, über Gegenstände, die seinem Interesse fern lagen, während der Gedanke ihn beschäftigte, der junge Advocat möchte wohl, indem er dem Vater gedient, die Neigung seiner Tochter gewonnen haben. »Und warum sollte er denn nicht?« sagte er sich selbst – doch war der Gedanke ihm kaum erträglich; und während er hie und da ein Wort zu dem Gespräche gab, was Torriswood und Lindsay nun lebhafter, als vorhin führten, versuchte er zugleich durch Vernunftgründe sich klar zu machen, wie thöricht es sey, daß er an etwas sich stoße, was er noch eine Woche zuvor, wenn er davon gehört hätte, als etwas, was sich ganz von selbst verstehe, würde angesehen haben. Nachdem er auf diese Art sich zu mehr Weisheit und Besonnenheit zu erheben gesucht hatte, warf er noch einen Blick auf Florentinen, und da er nun jenen Ausdruck der Traurigkeit, während sie immer noch Ormistoun zuhörte, gänzlich verschwunden sah von ihrem Gesichte, kehrte er sich stolz hinweg, rückte seinen Stuhl noch näher an Lindsay und Torriswood, und hatte bald in ein Gespräch sich vertieft, das Interesse genug für ihn hatte, um den jüngeren Theil der Gesellschaft zu vergessen; nur daß er manchmal noch an ihr Daseyn erinnert wurde durch gelegentliche Ausbrüche der Lustigkeit, die ihm die Ueberlegenheit des jungen Advocaten in der Kunst, die Traurigkeit der Damen zu verscheuchen, zu beweisen schienen. Colville aber sah sich nicht um, und faßte eine Art Verachtung gegen einen so plötzlichen Stimmungswechsel; seine ganze Aufmerksamkeit wurde zuletzt von Lindsay in Anspruch genommen, der zu einer höchst klaren, leidenschaftslosen Darstellung des Zustandes der Parteien in Schottland überging. Auf Torriswood's Bitte sprach er dann auch von seinen Angelegenheiten. Es sey ihm nicht möglich gewesen, sagte er, eine Linderung der Strafen zu bewirken; doch hoffte er durchzusetzen, daß sie mit weniger Härte erhoben würden. Darauf erzählte er von einem neuen Gesetze, was in Kurzem in Kraft treten solle, und die unterdrückte Partei aufs lebhafteste interessirte, und eben gab er die verschiedenen Clauseln des Gesetzes an, als der Ausruf:
»Wo kann denn aber Erich so spät noch seyn?« – aus Olivia's Munde, mit ängstlicher Besorgniß ausgesprochen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Ja, wo kann er denn seyn?« sagte Torriswood, indem er aufstand, und bekümmert nach seiner Uhr sah. »Ich hatte ganz vergessen, wie spät es schon ist.«
»Olivia, wie kannst Du aber alles so in Unruhe setzen?« rief Florentine. »Bester Vater, ängstigen Sie sich doch nicht; Erich ist in völliger Sicherheit, ich weiß, wo er ist. Zur Abendbetstunde wird er wieder da seyn.«
Kaum hatte sie ausgeredet, als Erich, ein hübscher, frischer junger Mensch, von etwa 15 Jahren, ins Zimmer trat. Sein Gesicht war noch erhitzt von heftigen Anstrengungen, und er athmete schnell, versuchte aber dabei so auszusehen, als käme er nur aus dem Nebenzimmer.
»Wo bist du gewesen, Erich?« fragte der Vater. Erich sah verlegen aus. »Florentine weiß es, lieber Vater,« antwortete er.
Torriswood lächelte. »Nun gut, sie soll es mir nachher erzählen.«
Erich wurde freundlich von den beiden Advocaten begrüßt, was er auf's herzlichste erwiderte. Gegen Colvillen benahm er sich wie ein Fremder, während er doch immer forschende Blicke auf ihn warf; darauf ging er zu seinem Vater, flüsterte ihm etwas ins Ohr, und auf des Vaters Antwort stahl er sich hinter Colville's Stuhl, der des Knaben Blicken mit Vergnügen gefolgt war. Plötzlich kam Erich von hinten, und schlang die Arme um Colville's Nacken, mit einer Gewalt, als wollte er ihn erwürgen.
»So wollen Sie also Ihre alten Freunde nicht mehr kennen, mein Herr Philipp!« rief er, indem er auf's zärtlichste seine Wange an Colville's drückte.
Colville machte sich los von Erich's Händen, faßte sie beide in den seinigen zusammen, und zog ihn vor sich hin. »Wie konnte ich mir denn denken, daß der kleine, krausköpfige, stämmige Bursche, den ich hier verließ, ein so stattlicher, schlanker Herr geworden sey?«
Die Antwort auf diese Frage war eine kleine Ohrfeige, und nachdem sie sich noch ein wenig in Liebe geneckt hatten, schlang Erich seinen Arm um Colvillen, und flüsterte ihm ins Ohr: »Komm einmal nach der andern Seite des Zimmers, dann will ich dir sagen, wo ich gewesen bin.«
Colville that ihm seinen Willen, und da er ihm das Ohr hinhielt, flüsterte Erich ihm zu: »Mein Milchbruder, Sandy Wilkie, und ich haben eben die Kanzelthür wieder vernagelt.«
»Du, Erich?« rief Colville.
»Psch! sprich nicht so laut! Ich bin dieses Ormistoun nicht recht gewiß, er ist zu oft in Meldrum.«
»Und warum sollte er denn nicht da seyn?«
»Wie? Weißt du denn nicht, daß die Mochrums von Meldrum in ihrem Herzen alle Papisten sind, und Spione in ihrer ganzen Nachbarschaft? und daß der alte Meldrum zum Lohne für seine Verfolgungen gegen die Unsrigen zum Friedensrichter gemacht worden ist? Wir sind jetzt dadurch in die Kirche hineingekommen, daß Sandy Wilkie's Onkel, ein Tischler, für die Mochrums einen neuen Stuhl darin machen mußte.«
»Wie konnte ich denn das alles wissen, Erich? Aber seyd ihr beide es denn auch gewesen, die vorigen Sonntag die Kanzel vernagelt haben?«
»O nein. Viele vom Landvolke kamen am vorigen Sonntage dazu hin, wie der alte Saunders Gibb wohl weiß, obwohl er beschwören konnte, daß er am Abend um 10 Uhr zuvor die Kanzel noch offen gesehen hatte. Das hatte er wirklich; aber die Leute kamen schon bei Tagesanbruch, stiegen durch ein Fenster ein, und vernagelten sie. Aber sieh einmal, wie Florentine uns beständig ansieht; sie ist gar zu neugierig zu hören, was wir zu Stande gebracht haben. Wir müssen sie schon herkommen lassen,« fügte er hinzu, indem er ihr winkte. Florentine stand schnell auf, und kam. Auch Ormistoun stand auf.
»Nein, Sie dürfen nicht kommen,« sagte Erich; »wenigstens jetzt noch nicht,« fügte er hinzu, indem er sich besann, und sehr geschickt seinen Heimlichkeiten eine scherzhafte Wendung zu geben wußte. »Ihre Hülfe, mein Herr Jurist, wird vielleicht später einmal in dieser Sache in Anspruch genommen werden.« Dann legte er seine Hand in Florentinens Arm, zog sie und Colville an sich heran, und erzählte ihnen nun ganz leise, wie Sandy's Onkel mit dem Kirchstuhle erst ganz spät Abends fertig werden konnte; wie Sandy oft seinem Onkel mancherlei Handwerksgeräth hatte bringen müssen, so daß die Soldaten ihn ungehindert in die Kirche gehen ließen; wie Sandy diesen Abend seinem Onkel ein großes Stück Holz hatte bringen müssen, und für Erich sich den Anzug eines Tischlerburschen verschafft hatte, in welchem er als Sandy's Gehülfe ohne Schwierigkeiten in die Kirche gelangt war; wie Sandy ihm große Nägel, unten mit Schrauben, einen Bohrer und Schraubendreher verschafft habe; wie in der Dämmerung die Arbeiter sich Licht angezündet hätten, das den Theil der Kirche, wo sie waren, nur schwach erleuchtet, den andern aber desto finstrer gemacht habe; wie während des lauten Klopfens ihrer Hämmer bei dem Wiederhall in dem alten Gebäude kein Mensch ihn habe nach der Kanzel gehen hören; wie er dann immer den rechten Augenblick abgepaßt habe, und nur dann zu seiner Arbeit geschritten sey, wenn die Tischler mit ihren Hämmern am meisten gelärmt hätten, und wie er dann nach der Anleitung, die Sandy ihm gegeben, die Nägel befestigt habe.
»Hast du es denn aber auch so gemacht, wie ich dir sagte?« fragte Florentine, die Erich's Erzählung wenigstens eben so sehr, als ihn selbst, zu interessiren schien.
»Ja, grade so,« erwiederte Erich. »Ich ließ die Thür ein wenig offen stehen, und da ist nicht zu fürchten, daß Saunders Gibb, wenn er das sieht, sich die Treppe hinauf bemühe; und ihr wißt ja, eine Bibel wird niemals vorher auf die Kanzel gelegt, wenn dieser bischöfliche Pfarrer hinauf steigt, wie es für Herrn Wellwood geschieht. Sandy hat das alles sich gemerkt, und erzählte es mir wieder. Der Pfarrverweser kommt erst in einem weißen Chorrock hinein, wodurch sein purpurfarbenes Gesicht noch heller glänzt; darauf begiebt er sich in das Vorsänger-Pult, und liest da eine Menge Geschichten; und da knieet er denn einmal zwei Minuten, steht dann wieder zwei Minuten, dann duckt er wieder nieder, und steht wieder auf, und so geht es noch eine ganze Zeit fort. Darnach geht er von dem Vorsängerpult weg, und begiebt sich mit Saunders Gibb hinaus, der ihm statt des weißen Talars einen schwarzen anzieht. Dann steigt Saunders Gibb die Treppe hinauf, um die Kanzelthür ihm zu öffnen, und der Herr Pfarrverweser folgt, und hat da ein kleines Buch, was er selbst gemacht hat, bei sich, statt der Bibel. Nun, ihr wißt, wie behaglich er vorigen Sonntag auf die Kanzel hinauf gekommen ist,« sagte Erich lachend, »hoffentlich wird es ihm morgen nicht besser gehen.«
Colville sah Florentinen an, während sie mit der größten Spannung Erich's Erzählung anhörte. Als er zu Ende war, sagte sie mit Nachdruck: »Unser lieber Herr Wellwood wird noch sehen, daß mehr als ein Versuch gemacht werden, und auch gelingen wird, den Miethling nicht auf seine Kanzel zu lassen.«
»Der Pfarrverweser soll sie nie offen haben,« sagte Erich, »so lange die Gemeinde auf ihrem jetzigen Sinne bleibt. Ach, ich wünschte, ich könnte morgen die Mochrums sehen!«
»Aber wärest du nun entdeckt worden, Erich!« sagte Colville.
»Von der Seite war gerade keine große Gefahr,« bemerkte Florentine etwas furchtsam, da sie den kalten Ausdruck auf Colville's Gesicht bemerkte, als seine Blicke den ihrigen begegneten. »Die Soldaten konnten nicht leicht gegen ihn Argwohn schöpfen, wegen seines Anzuges, und von der Gemeinde hätte ihn nun und nimmermehr keiner verrathen.«
Colville hörte Florentinen mit einer gewissen erzwungenen Kälte zu, und antwortete nichts, sondern wandte sich wieder zu Erich, der noch vieles zu erzählen hatte. Florentine wurde einige Augenblicke nachdenkend, dann, nachdem sie auf eine Pause in Erich's lebhaften Erzählungen gekommen war, sagte sie:
»Lieber Colville, eben habe ich von Herrn Ormistoun etwas gehört, das« ...
Bei diesen Worten trat Gilbert Scougal mit noch einem andern Bedienten ins Zimmer, und ging in den Winkel, wohin Erich Colvillen und seine Schwester geführt hatte.
»Mit Erlaubniß,« sagte Erich; »wir müssen hier fort,« als Gilbert einen Tisch fortrückte, auf welchem eine große Bibel und noch einige andre Bücher lagen. Darauf zog Colville sich leise zurück, und schloß sich wieder an Torriswood und Lindsay an, die in eifrigen Gesprächen zu seyn schienen.
»Lieber Colville,« sagte Torriswood, als er näher trat, »ich habe Herrn Lindsay mitgetheilt, was Sie mir von Wünschen unsrer englischen Freunde erzählten, und er sagte mir eben, es sey, so geheim wie möglich, in Edinburgh bereits von Männern, die unsrer Sache zugethan sind, deshalb eine Berathung gehalten worden. Sie beabsichtigen Schritt für Schritt, bei allem was sie thun, Herrn Lindsay zu Rathe zu ziehen, und wollen nichts unternehmen, was nach dem bestehenden Rechte nicht zu billigen ist. Darum haben wir nicht Ursache, uns vor den Folgen sehr zu fürchten, wenn ich nach London gehe, wie ich es heut früh ohne Grund mir dachte.«
»Ich muß noch hinzufügen,« erwiderte Lindsay, »daß mit zu dem Zwecke ich heut hieher gekommen bin, Herrn Osborne zu bitten, er möchte am Montag Abend in Edinburgh erscheinen, wo einige der bedeutendsten Männer in meinem Hause zusammenkommen wollen. Darf ich wohl hoffen, Herr Colville, daß auch Sie sich an uns anschließen werden?«
Colville bejahete dies sogleich; nun aber wurde allem weiteren Gespräch ein Ende gemacht durch Gilbert Scougals Eintritt, welchem das ganze Gesinde des Hauses, bis zu den geringsten, folgte. Sie setzten sich, nach ihrem verschiedenen Range, an das hintere Ende des Zimmers, jeder mit einer Bibel und einem Psalmenbuch versehen. Für die Familie wurden Stühle an das obere Ende gestellt, und einer für Torriswood auf welchem die große Bibel nebst mehreren andern Bibeln und Psalmbüchern lag, von denen jeder, ehe er sich setzte, eines nahm. Florentine und Olivia setzten sich zu beiden Seiten ihres Vaters, und Erich rückte seinen Stuhl, so nahe er konnte, an Colville. Es folgte dann eine kurze Pause, während welcher Torriswood einen Psalm aussuchte.
Es gibt vielleicht im Leben eines Familienvaters keine Lage, in welcher er so sehr »dem rechten Vater über alles, was Kinder heißt, im Himmel und auf Erden«, gleichet, als wenn er, von den Seinigen umringt, ihnen den Weg zum Himmel weiset, für sie bittet, und an seinem eignen Beispiele ihnen zeigt, welch einen Frieden und welche Seligkeit man findet in der Gemeinschaft des Heilandes, zu dessen Jüngern er sie gern alle machen möchte. Auch solche, die noch nicht recht mit dem Herzen einer solchen Versammlung beiwohnen können, vermögen einem Vater unter solchen Umständen doch nicht ihre Liebe und Achtung zu versagen. Torriswood schien die Ehrfurcht und Liebe Aller in hohem Grade gewonnen zu haben. Aller Augen waren ehrerbietig und liebend auf ihn gerichtet, und während er selbst in angemessenen Worten seine Gedanken auszudrücken suchte, war ihm beständig anzumerken, wie er selbst Gemeinschaft suchte mit dem Allgegenwärtigen, von welchem er redete. »Gott ist unsre Zuversicht und Stärke«, das waren die Anfangsworte des Psalms, den er zu Grunde legte, und das lebendige Vertrauen auf den allmächtigen König der ganzen Welt, das er aussprach, schien sich allen mitzutheilen, als sie ihn sangen. Auch die Advokaten nahmen an dieser Andacht Theil; Lindsay mit offenbarer Bewegung; Ormistoun schien weniger sich zu Hause zu fühlen. Nach Beendigung des Psalms las Torriswood einen Abschnitt der heiligen Schrift vor von eben so erhebendem, stärkenden Inhalt; dann knieten alle nieder, und er bat zunächst um den geistlichen Segen in himmlischen Gütern für alle Anwesenden – für seine abwesenden Lieben – für seine Freunde – dann zuletzt, und am inbrünstigsten für Schottland, für das Vaterland! – Grade während er in diesem Gebete begriffen war, vernahm man unter den Fenstern ein Geräusch wie von einer Anzahl Reutern. Keiner stand auf, und Torriswood fuhr mit noch größerer Inbrunst fort. Es erfolgte ein lautes Klopfen an der Thür. Noch stand aber Torriswood nicht von seinen Knien auf; noch bat er für Schottland! für das zerrissene, verfolgte, gemißhandelte Volk! das in so großer Gefahr stand, wieder in Unwissenheit und Finsterniß zu gerathen, unter der Herrschaft einer reichen, weltlich gesinnten Hierarchie. Er bat Gott, daß er den Jungen und den Schwachen im Glauben Kraft schenken möge für die Zeit der Versuchung. Darauf stand er von seinen Knien auf, und mit ihm auch die andern.
Das Klopfen wurde nun lauter, und man hörte heftige, drohende Worte von außen. Die beiden Töchter schlangen sich um ihren Vater, auch die weiblichen Dienstboten drängten sich zusammen, und die männlichen schienen auf seine Befehle zu warten.
»Ich will einmal vom Fenster hinunter fragen, was sie wollen,« sagte Colville, indem er schon öffnete. »Nein, Colville,« sagte Torriswood, indem er sich von seinen Töchtern losmachte. »Ich muß sie selber sprechen. Nehmen Sie sich inzwischen der Mädchen an.«
Darauf trat Torriswood ans Fenster. Der Mond schien hell; ein Trupp Reuter mit gezogenen Säbeln, die im Mondscheine glänzten, stand an dem Hause aufmarschirt; andre ritten um das Haus herum, und ein Paar war abgestiegen und donnerte an der Hausthür. Torriswood redete einen, der vorne hielt, und ein Offizier zu seyn schien, an, und fragte in ruhigem Tone, weshalb sein Haus auf so gewaltsame Weise beunruhigt werde.
»Weil Grund zu vermuthen ist,« antwortete der Offizier mit Artigkeit, »daß einige verdächtige Personen darin verborgen gehalten werden; da ich von meinem Vorgesetzten den Befehl dazu habe, so werde ich jetzt genöthigt seyn, eine Haussuchung zu halten.«
»Oeffne die Thür, Gilbert,« sagte Torriswood, »und ihr, Tom und Davy, geht mit Gilbert, und sagt mir kein grobes, unfreundliches Wort den Soldaten. Die andern Männer mögen in den Vorsaal gehen, die Weiber bleiben am besten hier.«
»Halt!« rief Florentine, die sich von ihrem Schrecken erholt hatte. »Hat irgend jemand von euch Freunde hier verborgen, der denke daran, daß sie an dem Orte, wo Herr Wellwood war, vollkommen sicher sind.«
Die Dienstboten erklärten, sie hätten keine Freunde weiter im Hause, und Gilbert ging hin, die Thür des Vorsaals zu öffnen.
Die arme Olivia war, da ihr Vater sie verlassen hatte, ohne zu wissen, was sie that, zu Herrn Lindsay geflüchtet, der nicht weit von ihnen stand, und lehnte sich zitternd, fast ohnmächtig an seinen Arm, da sie die schweren Tritte der Soldaten in dem Vorsaale hörte. Ormistoun war zu Florentinen getreten, um zu ihrem Schutze bereit zu stehen; aber sie hatte sich gefaßt und bedurfte es nicht, sondern stand ruhig bei ihrem Vater.
»Das ist doch ganz unerträglich!« rief Colville. »Wer ist der commandirende Offizier? Ist das Wort eines Edelmanns bei einer solchen Gelegenheit nicht hinreichend?«
Torriswood flüsterte Florentinen zu: »Colville wird gewiß noch etwas Unüberlegtes thun, man muß ihm zuvorkommen. Versuche du, Florentine, ihn zu beschäftigen. Lindsay, sehe ich, hat genug mit der armen Olivia zu thun. Von Ormistoun ist nichts zu fürchten. Aber, wo ist Erich?« fragte er, ängstlich um sich blickend.
»Ich werde ihn aufsuchen,« sagte Colville.
»Nein, nein,« rief Florentine, indem sie wie ein Pfeil ihm nachschoß. Colville indeß, voll Ungeduld, daß er einem solchen Auftritte müßig zusehen sollte, würde schon ihr entgangen gewesen seyn, wäre nicht an der Thür ein Soldat ihm entgegengetreten, der ihm sagte, es dürfe niemand das Zimmer verlassen, bis sein Offizier es untersucht habe.
»Ich will zu Eurem Offizier!« sagte Colville.
»Sie dürfen nicht hinaus,« sagte der Soldat.
»Ich darf nicht?« fragte Colville. »Halt, Freund, wo sind Eure Befehle?«
»Colville! wie unbesonnen!« rief Florentine, indem sie sich zwischen ihn und den Soldaten warf; »Sie machen durch Ihre Heftigkeit ja alles noch weit schlimmer, als es schon ist.«
»Ich will Ihren Bruder suchen, Florentine,« sagte Colville ruhig; »und da will ich zuerst den Haussucher selbst aufsuchen, und ihm zeigen, daß ich der nicht bin, den er sucht. – Aber, Florentine, ich bitte Sie, kehren Sie zu Ihrem Vater zurück,« fügte er sehr dringend hinzu, und als ob er sie vor den Blicken selbst des Soldaten schützen wolle.
»Nicht einen einzigen Schritt ohne Sie,« erwiderte Florentine mit Festigkeit.
»Nehmen Sie Florentine in Ihren Schutz, bis ich wiederkomme, Colville,« sagte Torriswood; dann zu dem Soldaten: »Ihr kennt mich doch, mein Freund?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»In fünf Minuten bin ich wieder hier.« Der Soldat ließ ihn durch. Florentine lehnte sich auf Colville's Arm, und horchte ängstlich auf die Tritte der Soldaten über ihren Häuptern, in dem oberen Theile des Hauses. Olivia war durch die Versicherungen des Herrn Lindsay einigermaßen wieder zur Fassung gekommen, daß ja unmöglich diese Haussuchung unangenehme Folgen haben könne, wenn keiner darin verborgen sey. Indeß klammerte sie sich noch immer furchtsam an ihn an. Ormistoun stand in düsterem Schweigen, seinen Rücken gegen das Caminfeuer gekehrt, seine Arme über die Brust zusammengeschlagen. Seine Augen folgten Florentinen, wohin sie ging; diese aber schien an nichts, als an Colville's Sicherheit zu denken, und Colville an weiter nichts, als Florentinen zu entschlüpfen. Während sie unablässig ihn versicherte, es sey gar kein Grund zur Besorgniß vorhanden, und daß selbst jenes Mal, als alle Ursach war, zu glauben, daß Herr Wellwood im Hause war, die Soldaten sich nicht übel aufgeführt hätten, verrieth doch ihr eignes Gesicht die größte Angst, und mit athemloser Spannung horchte sie auf die Bewegungen der Soldaten. Endlich hörte man sie die Treppe hinabkommen, und dem Zimmer sich nähern, wo sie waren. Zugleich kam auch Torriswood wieder zurück.
»Ich kann Erich nirgends finden,« sagte er bekümmert; »er ist aber nicht bei den Soldaten, wie ich fürchtete.«
In dem Augenblicke hörte man die Stimme des befehligenden Offiziers, der Gilbert anredete: »Halt, halt, wenn's gefällig ist, Ihr alter Fackelträger, wir werden, mit Eurer Erlaubniß, an keiner Thür vorbeigehen; hier, öffnet 'mal diese, die so bequem unter der Treppe verborgen liegt!«
»Pa! das ist, wo die Schornsteinfegerjungen ihre Besen und Kratzeisen hinstellen,« erwiderte Gilbert, der offenbar seines Geschäftes müde war.
»Gut, gut, laßt uns nur die Besen und die Kratzeisen sehen,« sagte der junge Offizier sehr bestimmt.
Die Thür wurde geöffnet, und in der That sah man nichts, als Besen und Kratzeisen.
Ein Lachen in einem sonderbaren, wilden Tone folgte auf diese Entdeckung.
»Schon wieder dies Lachen!« rief der Offizier. »Von wem kommt das, Alter? Ich habe Euch schon gesagt, ich will es nicht leiden.«
»Und ich habe Euch gesagt, Herr, ich weiß nicht, wo es her kommt.«
»Habt Ihr mir auch die Wahrheit gesagt?«
»Unsre Leute reden keine Unwahrheit,« sagte Gilbert, »da sie wissen, was darauf steht.«
»Aber habt Ihr nie, vor heut Abend, dies Lachen gehört?«
»Ich habe etwas der Art früher gehört, aber nicht ganz eben so.«
»Und wer war das, der so lachte?«
»Er ist todt,« sagte Gilbert kurz, und fügte dann hinzu: »Wollen Sie die Kratzeisen noch länger besehen?«
»Ich habe nun, glaub' ich, Alles gesehen, bis auf das Zimmer, wo Euer Herr ist,« sagte der Offizier. »Dawson,« sagte er zu dem Soldaten, der an der Thür Wache hielt, »du kannst das Zimmer durchsuchen.«
»Ich kenne den Mann, der gesucht wird, nicht von Ansehen, Herr Lieutenant,« antwortete der Soldat.
»Sie brauchen keinen Anstand zu nehmen, selbst in dies Zimmer zu gehen, Herr,« sagte Gilbert; »man wird das für nicht unhöflicher halten, als wenn Sie einen Andern hineinschicken.«
Der Offizier zögerte und schien nicht Lust zu haben. Endlich zog er seine Mütze noch tiefer ins Gesicht, trat verlegen einige Schritt hinein, ohne aber irgend jemand ins Gesicht zu sehen, drehte er sich schnell wieder um, murmelte einige Worte, die niemand verstand, und eilte wieder hinaus.
»Diese Untersuchung kann Sie doch nicht viel klüger gemacht haben,« sagte Gilbert, als er zu ihm nach dem Vorsaal zurückkehrte; »aber 's ist wirklich keine angenehme Sache, in ein Haus zu kommen, wo Sie so oft als Freund des jungen Herrn bewillkommnet worden sind.«
»Was? kennt Ihr mich denn?«
»O ja, Herr Willy Mochrum, ich habe Sie gleich erkannt. Sie sind größer geworden, und dieser Anzug steht Ihnen so kurios, aber die Mochrums haben alle Eine Sprache, und ich erkannte sie bald.«
Dasselbe wilde Lachen, aber lauter und näher, folgte auf diese Wiedererkennung. Der Offizier wandte sich um.
»Haben Sie denn vergessen, Herr William Mochrum, wo Sie zuletzt dies Lachen hörten? Haben Sie Roger Broome vergessen?« rief Erich, der sich nun vor den jungen Offizier hinstellte.
»Was, Erich, Sie sind es? Ja, ich erinnere mich wohl. Wie geht es Ihnen, Erich?« fragte er ganz verwirrt, denn Torriswood und Colville waren nun in den Vorsaal getreten, und in seiner Verlegenheit hielt er seine Hand Erich hin. Erich stieß sie mit Verachtung weg.
»Nein, nein!« rief er. »Die Osbornes und die Mochrums werden sich nicht eher wieder die Hände reichen, als bis die Mochrums den Schmutz der Bestechungen und das Blut sich werden abgewaschen haben.«
Die Augen des Offiziers funkelten Feuer, und er trat einen Schritt näher an Erich. Colville drängte sich zwischen Beide, und der Offizier trat einen Schritt zurück, und warf einen stolzen Blick auf ihn. Torriswood trat heran, und sagte, indem er seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes legte: »Sie ließen nun besser Ihre Mannschaft wieder abziehen, Mochrum, es ist schon spät. Sie sind ein junger Offizier und müssen noch lernen Ihren Muth ein wenig zähmen. Bei solchen Gelegenheiten wie diese müssen Sie nicht zu viel darauf achten, was Dienstboten und Kinder reden. Gute Nacht!« fügte er in höflichem Tone hinzu; dann legte er seine Hand in Colville's Arm und die andre auf Erich's Schulter, und zog Beide weg; und ging dann mit ihnen in das Zimmer, wo die Andern noch immer waren, und schloß die Thür zu.
»Sind sie fort?« fragte Florentine.
»Sie werden bald abziehen,« antwortete Colville, und seine Worte schienen sogleich in Erfüllung zu gehen, denn man hörte Pferde vor dem Hause im Gallopp wegeilen.
Dennoch blieb es noch immer unruhig auf dem Vorsaale, und Torriswood, da er ans Fenster trat, bemerkte doch noch einige Soldaten in der Nähe des Hauses, welche Pferde hielten, deren Reuter nicht da waren. Torriswood legte sich zum Fenster hinaus, winkte einem Soldaten, heranzutreten, und fragte: »Worauf wartet ihr denn noch? Ist euer Offizier nicht schon fort?«
»Ja, Herr,« erwiderte der Soldat, »aber die Nacht ist kühl, und meine Kameraden suchen sich etwas, um sich den Leib auszuwärmen, nachdem sie hier haben wachen müssen.«
»Aber wird denn das gelitten werden, daß ihr hier bleibt, während euer Offizier schon nach dem Standquartier zurück ist?«
Der Mann lachte. »Unser Offizier wird sich schon in Acht nehmen, von unsrem heutigen Abentheuer zu sprechen. Das nenne ich mir ein schönes Haussuchen; da unten ist er gar nicht einmal gewesen. Das wollen wir nun noch nachholen.«
Der Lärm war jetzt aus dem Vorsaal in den untern Theil des Hauses gedrungen, und wurde immer lauter und lauter.
»Sie sehen, wie man das Haus eines Edelmanns jetzt in Schottland behandelt,« sagte Torriswood, »wenn er sich nicht will vorschreiben lassen, wie er seinen Gott anrufen solle. Ort, Stellung und Worte, Alles muß er sich befehlen lassen. Ob wohl unsre Väter uns für ihre Kinder erkennen würden, wenn sie uns jetzt sähen?«
»Und wie lange sollen Schotten solcher schmählichen Knechtschaft sich unterwerfen?« fragte Colville empört.
»Der gegenwärtige Zustand der Dinge kann nicht lange so bleiben,« bemerkte Lindsay; »aber jede gewaltsame Maaßregel der unterdrückten Partei würde jetzt ihren Untergang nur beschleunigen; den Untergang ihrer Sache zwar nicht, denn die Sache der Freiheit ist in Schottland nie untergegangen, aber den Untergang ihrer ausgezeichnetsten Vertheidiger.«
Nun artete der Lärm unten in völligen Tumult aus. Olivia lehnte sich zitternd an Lindsay, der sich fortwährend mit der zartesten Aufmerksamkeit ihrer annahm.
»Ich muß aber doch einmal sehen, was alles dies bedeuten soll,« sagte Torriswood.
»Und ich will mit Ihnen gehen,« sagte Colville.
»O nein, liebster Vater,« rief Florentine, indem sie sich an ihn hängte, »Sie können es ja Gilbert überlassen, daß er die Leute unten in Ordnung hält; er kann die Unverschämtheit der Soldaten recht gut tragen, und weiß noch dazu sie fortzuschaffen. Bitte, gehen Sie doch nicht!«
»Ich will bloß fragen, was denn an diesem Lärm Schuld ist,« sagte Colville, indem er pfeilschnell aus dem Zimmer flog, ohne sich auf Torriswood's Vorstellungen und auf Florentinens Bitten zu achten, die vergebens ihm nacheilten. Ehe sie in den Vorsaal traten, war er ihnen schon aus dem Gesichte.
Als Colville in die große Gesindestube trat, wo der Lärm her kam, fand er sie ganz voll Soldaten. Als er die Thür öffnete, rief grade einer:
»Ich will euch 'was sagen, alter Kerl, wir müssen durchaus etwas zu trinken haben.« – »Und ihr sollt uns beistehen,« brüllte ein andrer, »dem Covenant Dem Nationalbund. ein Pereat zu trinken.« – »'Raus mit den Schlüsseln, alter Bursche,« rief ein Dritter, »oder wir werden bald allen euren Schlössern und Thüren den Garaus machen, und Euch obendrein.«
Gilbert Scougal aber stand vor den Soldaten mit einem Gesichte, das den festesten Entschluß zeigte, ihren Forderungen Widerstand zu leisten.
»Und ich habe euch schon gesagt, ich stehe in meines Herrn Dienst, so gut als ihr in des Königs Dienst, und ich werde aus Furcht vor euch so wenig meine Schuldigkeit gegen ihn vergessen, als ihr aus Mitleiden gegen eure Mitmenschen eure Pflicht gegen den König vergesset; gehört nun Schlösseraufbrechen zu eurer Pflicht, so wünsche ich euch viel Glück zu eurem Herrn.«
»Was sagt ihr da? daß der König die Schlösser aufbricht? Ihr alter bündlerischer Aufrührer!« rief ein Soldat, halb lachend.
»Ich habe das nicht gesagt,« antwortete Gilbert; »aber ihr seyd doch hier in seinem Dienst; brecht ihr also die Schlösser auf, so müßt ihr das entweder in seinem Dienste thun, oder ihr seyd sonst etwas anders, ihr werdet wohl wissen, was!«
Colville erkundigte sich jetzt höflich, aber mit Bestimmtheit, nach dem Grunde, warum hier so viele Soldaten ohne ihren Offizier noch im Hause seyen. Alle waren stille, und die Männer, obwohl sie fest entschlossen schienen, ihren Posten zu behaupten, wußten doch nicht, was sie antworten sollten.
»Gibt es hier einen Unteroffizier oder sonstigen Vorgesetzten unter euch?« fragte Colville.
»Nein,« antworteten einige Soldaten.
»Wer hat euch denn aber die Erlaubniß gegeben, hier im Hause zu bleiben?«
Keine Antwort.
In diesem Augenblick traten Torriswood und Lindsay herein.
»Herr Lindsay,« sagte Colville, »Sie sind ein Jurist, Sie werden uns vielleicht sagen können, ob bewaffnete Soldaten das Recht haben, ohne ihren Offizier und ohne einen Befehl irgend einer Art in die Häuser einzudringen, und das wehrlose Gesinde in Contribution zu setzen?«
»Ihr gehört zu dem Detachement des Major Oglethorpe, wie ich bemerke,« sagte Lindsay, nachdem er sich die Leute eine Weile genau besehen hatte. »Meine Freunde,« fuhr er fort, indem er sich an das Gesinde wandte, das zum Beistande von Gilbert aufmarschirt dastand, »nicht wahr, ihr werdet später einige dieser Leute wieder erkennen können?«
»O ja!«
»Nun, dann merkt sie euch genau; wir können in diesem Augenblick nicht Gewalt mit Gewalt vertreiben, aber es gibt doch noch Recht im Lande.« Bei diesen Worten schlichen sich die Männer, welche der Thür am nächsten standen, leise weg; andre begaben sich mit mehr Lärm und Grobheit davon, in Kurzem aber hatte Gilbert die Genugthuung, alle wohlbehalten abziehen zu sehen, doch nicht ohne die Drohung, daß sie ihm bald einen neuen Besuch abstatten, und diese Nacht ihm dann vergelten wollten.
Gilbert verschloß nun die Hausthür sorgfältig, und kam mit unverändert ruhiger Mine zurück. »Die armen, unwissenden, unbekehrten Menschen!« sagte er halblaut für sich.
Während dies vorging, hatte Adam Yule unbemerkt im Winkel des großen alten Kamins hinter dem Feuer gesessen. Als er die Thür zuschließen hörte, kam er mit Gilberts Schlüsseln hervor; denn sein alter Freund hatte ihm einen Wink gegeben, da er den Soldaten draußen entgegenging, er möchte zusehen, daß unten alles sorgfältig verschlossen sey. Adam hatte aufs treulichste diese Anweisung befolgt, und nicht leicht eine einzige Thür, in der er nur einen Schlüssel gefunden, unverschlossen gelassen.
»Die sind wir ja diesmal recht leicht losgeworden,« sagte Torriswood, indem er in das Familienzimmer wieder zurückkam. »Wären diese Soldaten in ihrer jetzigen Stimmung in das Haus eines ärmeren, geringeren Covenanters gekommen, da hätte man sich wohl auf alles gefaßt machen müssen.«
»Ja, das ist nur zu wahr,« sagte Lindsay, »davon haben wir die letzte Zeit Beweise genug gesehen. Ich habe neuerlich von Grausamkeiten und Erpressungen, besonders in Fife, gehört, welche wahrhaft himmelschreiend sind. Alle Beschwerden sind vergeblich. Die Soldaten werden in allem, was sie thun, beschützt, ja selbst noch aufgereizt durch den schändlichen Menschen, den Carmichael. Er ist Sharpe's Werkzeug, und Sharpe vermag wieder alles im Geheimen Rathe.«
Torriswood schwieg. Lindsay hatte einen Gegenstand berührt, welcher von seinem Gesichte sogleich den Ausdruck der Ruhe und der Selbstbeherrschung verscheuchte, mit welchem er den eindringenden, unverschämten Soldaten entgegengetreten war, und seiner Mine eine Strenge gegeben, die er immer annahm, wenn er durch christliche Beweggründe den Abscheu und Unwillen zu unterdrücken suchte, den der Triumph der Unterdrücker der Freiheiten seines Vaterlandes und der Verräther seiner Religion stets in ihm erweckten.
Nun war es für das Haus eines Covenanters schon spät geworden, und die Gesellschaft ging bald auseinander; alle, mit Ausnahme von Torriswood und Colville. Diese blieben noch in lebhafte Gespräche vertieft, bis zu der Stunde, welche sie als den Anbruch des Sabbaths betrachteten. Darauf schieden sie, Colville mehr als je davon überzeugt, daß er vorsichtiger durch die Zeiten, in denen er zu handeln berufen war, hindurchsteuern müsse; und Torriswood hocherfreut in der Hoffnung, daß seine hohen Erwartungen von dem Charakter seines Mündels nicht würden getäuscht werden.