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Zweites Kapitel

Worin es zur einen Hälfte gelingt

Als Reinhard eine Weile in den tauigen Morgen hineingezogen, wo hier und da Sensen blinkten und frische Heuerinnen die Mahden auf den Wiesen ausbreiteten, kam er an eine lange und breite, sehr schöne Brücke, welche der Frühe wegen noch still und unbegangen war und wie ein leerer Saal in der Sonne lag. Am Eingange stand ein Zollhäuschen von zierlichem Holzwerk, von blühenden Winden bedeckt, und neben dem Häuschen klang ein klarer Brunnen, an welchem die Zöllnerstochter eben das Gesicht gewaschen hatte und sich die Haare kämmte. Als sie zu dem Reiter herantrat, um den Brückenzoll zu fordern, sah er, dass es ein schönes, blasses Mädchen war, schlank von Wuchs, mit einem feinen, lustigen Gesicht und kecken Augen. Das offene braune Haar bedeckte die Schultern und den Rücken und war wie das Gesicht und die Hände feucht von dem frischen Quellwasser.

"Wahrhaftig, mein Kind!" sagte Reinhard, "Ihr seid die schönste Zöllnerin, die ich je gesehen, und ich gebe Euch den Zoll nicht, bis Ihr ein wenig mit mir geplaudert habt!"

Sie erwiderte: "Ihr seid beizeiten aufgestanden, Herr, und schon früh guter Dinge. Doch wenn Ihr mir noch einigemal sagen wollt, dass ich schön sei, so will ich gern mit Euch plaudern, solang es Euch gefällt, und Euch jedesmal antworten, dass Ihr der verständigste Reiter seid, den ich je gesehen habe!"

"Ich sage es noch einmal; der diese schöne neue Brücke gebaut und das kunstreiche Häuschen dazu erfunden, muss sich erfreuen, wenn er solche Zöllnerin davor sieht!"

"Das tut er nicht, er hasst mich!"

"Warum hasst er Euch?"

"Weil ich zuweilen, wenn er in der Nacht mit seinen zwei Rappen über die Brücke fährt, ihn etws warten lasse, eh' ich herauskomme und den Schlagbaum aufziehe; besonders wenn es regnet und kalt ist, ärgert ihn das in seiner offenen Kalesche."

"Und warum zieht Ihr den Schlagbaum so lange nicht auf?"

"Weil ich ihn nicht leiden kann!"

"Ei, und warum kann man ihn nicht leiden?"

"Weil er in mich verliebt ist und mich doch nicht ansieht, obgleich wir miteinander aufgewachsen sind. Ehe die Brücke gebaut war, hatte mein Vater die Fähre an dieser Stelle; der Baumeister war eines Fischers Sohn da drüben, und wir fuhren immer auf der Fähre mit, wenn Leute übersetzten. Jetzt ist er ein grosser Baumeister geworden und will mich nicht mehr kennen; er schämt sich aber vor mir, die ich hübsch bin, weil er immer eine buckelige, einäugige Frau im Wagen neben sich hat."

"Warum hat er, der so schöne Werke erfindet, eine so hässliche Frau?"

"Weil sie die Tochter eines Ratsmannes ist, der ihm den Brückenbau verschaffen konnte, durch den er gross und berühmt geworden. Jener sagte, er müsse seine Tochter heiraten, sonst solle er die Brücke nicht bauen."

"Und da hat er es getan?"

"Ja, ohne sich zu besinnen; seitdem muss ich lachen, wenn er über die Brücke fährt; denn er macht eine sehr traurige Figur neben seiner Buckligen, während er nichts als schlanke Pfeiler und hohe Kirchtürme im Kopf hat."

"Woher weisst du aber, dass er in dich verliebt ist?"

"Weil er immer wieder vorüberkommt, auch wenn er einen Umweg machen muss, und dann mich doch nicht ansieht!"

"Habt Ihr denn nicht ein wenig Mitleid mit ihm, oder seid Ihr am Ende nicht auch in ihn verliebt?"

"Dann würde ich Euch nichts erzählen! Einer, der eine Frau nimmt, die ihm nicht gefällt, und dann andere gern sieht, die er doch nicht anzuschauen wagt, ist ein Wicht, bei dem nicht viel zu holen ist, meint Ihr nicht?"

"Sicherlich! Und um so mehr, als dieser also recht gut weiss, was schön ist; denn je länger ich Euch und diese Brücke betrachte, desto lauter muss ich gestehen, dass es zwei schöne Dinge sind! Und doch nahm er die Hässliche nur, um die Brücke bauen zu dürfen!"

"Aber er hätte auch die Brücke fahren lassen und mich nehmen können, und dann hätte er auch etwas Schönes gehabt, wie Ihr sagt!"

"Das ist gewiss! Nun, er hat den Nutzen für sich erwählt, und Ihr habt Eure Schönheit behalten! Hier seid Ihr gerade an der rechten Stelle; viele Augen können Euch da sehen und sich an dem Anblick erfreuen!"

"Das ist mir auch lieb und mein grösstes Vergnügen! Hundert Jahre möchte ich so vor diesem Häuslein stehen und immer jung und hübsch sein! Die Schiffer grüssen mich, wenn sie unter der Brücke durchfahren, und wer darüber geht, dreht den Hals nach mir. Das fühl' ich, auch wenn ich den Rücken kehre, und weiter verlang' ich nichts. Nur der Herr Baumeister ist der einzige, der mich nie ansieht und es doch am liebsten täte! Aber nun gebt mir endlich den Zoll und und zieht Eure Strasse, Ihr wisst nun genug von mir für die schönen Worte, die Ihr mir gegeben!"

"Ich gebe dir den Zoll nicht, feines Kind, bis du mir einen Kuss gegeben!"

"Auf die Art müsste ich meinen Zoll wieder verzollen und meine eigene Schönheit versteuern!"

"Das müsst Ihr auch, wer sagt etwas anderes? Würde bringt Bürde!"

"Zieht mit Gott, es wird nichts daraus!"

"Aber Ihr müsst es gern tun, Allerschönste! So ein bisschen von Herzen!"

"Gebt den Zoll und geht!"

"Sonst tu' ich es selbst nicht; denn ich küsse nicht eine jede! Wenn du's recht artig vollbringst, so will ich das Lob deiner Schönheit verkünden und von dir erzählen, wo ich hinkomme; und ich komme weit herum!"

"Das ist nicht nötig, alle guten Werke loben sich selbst!"

"So werde ich dennoch reden, auch wenn ihr mich nicht küsst, liebe Schöne! Denn Ihr seid zu schön, als dass man davon schweigen könnte! Hier ist der Zoll!"

Er legte das Geld in ihre Hand; da hob sie den Fuss in den Steigbügel, er gab ihr die Hand und sie schwang sich zu ihm hinauf, schlang ihren Arm um seinen Hals und küsste ihn lachend. Aber sie errötete nicht, obgleich auf ihrem weissen Gesicht der bequemste und anmutigste Platz dazu vorhanden war. Sie lachte noch, als er schon über die Brücke geritten war und noch einmal zurückschaute.

"Fürs erste", sagte er zu sich selbst, "ist der Versuch nicht gelungen; die notwendigen Elemente waren nicht beisammen. Aber schon das Problem ist schön und lieblich, wie lohnend müsste erst das Gelingen sein!"


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