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Man sagt, daß die Löwin, wenn die Männchen um sie streiten, ruhig dem Kampfe zuschaue und dann mit demjenigen gehe, der zuletzt Meister bleibt. Sei diese Eigenschaft nun mehr dem Löwen oder mehr bloß dem Tiere im Löwen zuzuschreiben, so wird auch unter dem Menschengeschlecht zuweilen ein Teil der weiblichen Welt von ihr ergriffen, in den verschiedensten Ländern, im Norden wie im Süden, von der Magd in der Küche bis zur Herrin im Saal. Wenn nämlich ein siegreiches feindliches Heer, eine eingedrungene fremde Völkerschaft das Land besetzt hat und die eigene Mannschaft flüchtig, versprengt und unterdrückt ist, so dauert es keine Stunde, bis die Mädchen mit den Eingedrungenen Arm in Arm über die Gasse wandeln, und unter den Haustüren, an allen Brunnen wird ein Getue und eine Sache zum Erbarmen. Doch ist diese Erscheinung nur dann zu beobachten, wenn die Männer sich nicht gewehrt haben, wie sie gesollt, wenn überhaupt kein pflichttreuer Widerstand stattgefunden hat.
Als im Frühjahr 1798 die fünfhundertjährige schweizerische Eidgenossenschaft unterging durch die schuldvolle Ratlosigkeit der alten Regenten, durch ihre leichtfertig verspäteten Zugeständnisse, durch die Unwissenheit und Unverständigkeit der Revolutionäre und ihren sittlichen Mangel an nationalem Selbständigkeitsgefühl, endlich durch den gewissenlosen Einbruch eines sogenannten französischen Befreiungsheeres, der nur durch alles das möglich wurde da ging die Löwenlaune auch unter vielen Schweizerinnen um. Zwar nicht an den Orten, wo das alte Ehrgefühl einen verzweifelten Kampf bestanden hatte; dort gab es erschlagene Frauen und Jungfrauen genug zum Zeugnis ihrer unwandelbaren Treue zu den Männern und der Ehre des Landes; aber anderwärts, wo die Männer, statt sich selber zu helfen, die Franzosen herbeigerufen hatten und sie bewunderungsvoll und untertänig angafften, oder wo man sie zwar haßte, aber zugleich fürchtete, da ließen sich die Weiber willig von ihnen den Hof machen. So bitter dies Schauspiel war, so begreiflich war es, wo die Männer, die vertriebenen Oligarchen anklagend, sich selber der politischen Unwissenheit und Unbeholfenheit beschuldigten und die große Nation der Neufranken – die soeben als große Dilettanten die eigene Republik zugrunde richteten – als ihre Lehrmeister der Freiheit begrüßten und verehrten. Es ist ein trauriger Vorwurf, wenn Kinder ihre Eltern einer mangelhaften Erziehung und der Verwahrlosung anklagen. Noch trauriger ist es, wenn gestürzte Regenten von den empörten Landeskindern den bittern Hohn hinnehmen müssen: ihr habt uns in Unwissenheit und Roheit gehalten, und dennoch haben wir euch besiegt. Allein die sich so als Unwissende und Rohe bekennen, werden darum nicht größer in den Augen des Weibes. Übrigens ist es eine schlechte Ausrede, wenn man sich der eigenen Unfähigkeit anklagt, um das Herbeiholen der Fremden zu beschönigen; denn wer sich nicht selber helfen kann, verdient eben noch nicht frei zu sein.
Auch die Jungfrau Babette Zulauf – nicht mehr ganz jung und Bürgerin eines alten Städtchens in der deutschen Schweiz, dessen Name hier verschwiegen bleibt – fühlte sich an einem schönen Frühlingstage des Jahres 1798 von jener Löwenlaune beseelt; denn man erwartete im Laufe des Nachmittages ein Bataillon einer französischen Halbbrigade, die man die schreckliche oder die schwarze Legion nannte. Das Städtlein hatte seit Jahrhunderten unter der Oberherrschaft zweier eidgenössischer Stände gelebt, aber nicht ohne seine eigene uralte Verfassung und Freiheiten, bestätigt durch die deutschen Kaiser sowohl als durch die verschiedenen Herren, die es besessen, bis es durch jene zwei Stände gemeinsam erobert wurde. Ihrerseits hatte die Stadt, während sie selbst Untertan war, zwei ansehnliche Dörfer zu Untertanen; aber nur über eines derselben übte sie die hohe Gerichtsbarkeit, die niedere gehörte einem entfernten Frauenkloster, welchem sie ein längst vertriebener Junker einst für einige Pfund Pfennige oder Schillinge verpfändet und das Einlösen vergessen hatte. Die hohe Gerichtsbarkeit des andern Dorfes besaß eine ihrerseits auch beherrschte Talschaft, welche das Dorf einst erobert und nach hundertjährigem Besitz wieder abgetreten hatte bis auf diesen Herrschaftsrest, für den sich kein »rechtmäßiger Besitzer« mehr vorfand. Übrigens verwalteten beide Dorfgemeinden sich selbst nach alten Öffnungen, die von eigentümlichen und phantasievollen Bestimmungen strotzten, deren verborgene Weisheit die Bauern genau zu deuten verstanden und deren sinnbildliche Einkleidung sie sorgfältig handhabten. Überdies waren selbst diese Dörfer nicht ohne alle Herrlichkeit, da sie gemeinschaftlich einige Gefälle bezogen von einem einsamen Hofe, welche sie einst einem bedrängten Johanniterhaus abgeschnappt hatten. Die Bewohner dieses Hofes endlich waren wiederum freie Männer und gehörten einem demokratischen Gemeinwesen an, das mit den souveränen Kantonen auf gleichen Füßen stand und mit einigen derselben irgendein unterworfenes Ländchen regierte.
So war das Recht und die Freiheit der Menschen kristallisiert wie das Blumeneis einer gefrorenen Fensterscheibe, und das alte, aber immer noch scharfe Schwert, das man »freundeidgenössisches Aufsehen« nannte, hütete dies Eisbild wie ein köstliches Kleinod. Plötzlich aber zerbrach das Schwert, und das Eisbild zerschmolz an einem heißen Hauche, der aus dem zusammenfallenden Krater der Französischen Revolution noch spät herüberwehte. Da gaben die Eidgenossen das Städtchen frei, das Städtchen gab die Dörfer frei, die Dörfer gaben den Hof frei, und die Bauern des Hofes stimmten auf ihrer Landsgemeinde zur Freigebung aller gemeinen Herrschaften. So war nun alles frei, aber niemand Herr im Lande als der Franzos, welcher eben durch den alten Torbogen unsers Städtleins marschierte in abgebrochenen Zügen, die sich aber innerhalb des Tores sofort wieder herstellten in ganzer Breite, damit das elastische Einherschweben, das Tänzeln und Schulterwiegen der Grenadiere ja seine volle Wirkung nicht verfehle. Auch sperrten die Bürger mit ihren Weibern und Kindern vor lauter Bewunderung den Mund so weit auf, daß das Bataillon in jedes Maul mit unabgebrochenen Zügen hätte hineinmarschieren können. Die ungeheuren Hüte mit der Breitseite fest aufs rechte Auge gedrückt, mit weißer Brust und langhin wehendem blauem Frackzipfel, das Gewehr im Arm, tanzten die Grenadiere durch das offene Maul in die Herzen der neuhelvetischen Bürger und ihnen nach die Füsiliere und Jäger.
Der schönste von den letzteren und der letzte Schließende des ganzen Zuges, der Chasseur Peter Dümanet von Paris, rückte unmittelbar ins Herz der Babette Zulauf, dicht vor welche er beim Halt zu stehen kam. Schlank und geschmeidig wie eine dunkle Schlange, drehte und wiegte er sich unablässig in seinem dunkelblauen Kleide, dessen spitze Schöße gegen die Fersen schlugen; unter dem schwarzledernen Helme, der seltsamlich gewölbt und mit einer Bürste eingefaßt war, blitzten seine dunklen Augen unruhig suchend umher, lachten bald hier-, drohten bald dorthin, während unter dem sorgfältig eingeschmierten und gepuderten Haare hervor die goldenen Ohrringe ebenso behend und unruhig zitterten und blinkten. Auf dem Rücken trug er den Sack von weiß und schwarz geflecktem Ziegenfell, nachlässig hängend, und auf dem Sacke stand eine kleine papierne Windmühle, welche, wenn ein Lüftchen ging oder der Mann im Marsche war, einen Mönch und eine Nonne herumtrieb, daß sie einen unanständigen Tanz aufführten. Das ganze Werklein stand schief ab vom Sacke in die Luft hinaus und war das Wahrzeichen des Soldaten Dümanet. Denn weil er es stets unversehrt und lustig drehend aus dem Feuer brachte, so verkündigte es seine gewandte, sichere und zierliche Fechtart. Mochte es bergauf und -nieder gehen beim Plänkeln oder zu Sturm und Angriff, immer wußte er mit aufrechter Haltung das Spielzeug durch das Getümmel zu tragen. Nur wenn der Regen es verdarb, machte er sich im nächsten Quartier ein neues. So hatte er schon einen Ludwig XVI. gehabt mit einer Marie Antoinette, welche, wenn der Windhaspel sich drehte, sich verbeugten und voreinander die Köpfe abnahmen und wieder aufsetzten; dann einen sitzenden Schuster, der mit dem Knieriemen den kleinen Dauphin durchwalkte und dabei die Zunge aus- und einschob. Doch merkwürdiger als das immer bewegte Windspiel war das Gesicht des Kriegers, das trotz seiner Jugend von Mühseligkeiten und Leidenschaften, von Ausschweifung und patriotischer Ruhmsucht gefurcht und gebleicht und von der Sonne der Feldzüge wieder gebräunt erschien. Er war schon als junges Bürschchen zu Paris hinter dem blutigen Schmierfinken Marat hergelaufen, hatte alle Greuel mitgemacht, und man sah es seinem Munde voll blendendweißer Zähne nicht an, daß er in den Septembertagen wörtlich ein volles Glas Menschenblut ausgetrunken hatte – zumal wenn er anmutig lächelte. Nur um die Augen zuckte es trotz der dort wohnenden Frechheit zuweilen unsicher und scheu, wenn die grauenvollen Mordbilder in seiner Erinnerung aufwachten. Gewöhnlich aber übergoß das Bewußtsein, der großen Nation anzugehören und die Republiken gründende Freiheit auf seinem Bajonett einherzutragen, das vielsagende Gesicht mit Heiterkeit.
In dies Gesicht schaute Jungfer Babette nun mit Staunen und Herzklopfen, wie jemand, der zum erstenmal das Meer sieht. Sie hatte bislang nur einfache, keine zusammengesetzten Gesichter gesehen und war mit dem hausbackenen Brote und mit dem Vaterland unzufrieden, angeblich aus Freiheitsliebe. Ihr Vater war ein kundiger Blechlackierer, der mit rastlosem Handgelenk und in die Luft gestrecktem kleinem Finger griechische Tempel auf Teebretter malte, fünf Säulen mit vier Strichen. Davon hatte er auch den höheren Schwung bekommen und seinem Kinde mitgeteilt; er war jetzo der erste freie Wortführer des Städtleins. Da man sich zuallererst nach drei Farben umgetan hatte (denn die Posamenter, Färber und Lackierer waren die Lykurge und Solone der neuen Republiken, welche Frankreich säete wie Rettige), so schwamm der Bürger Zulauf in seinem Element, indem seine Kunst nun im Patriotismus aufging. Er lackierte unzählige blecherne Kokarden in Grün, Rot und Gold, den erwählten helvetischen Farben, und verhandelte sie in der unteilbaren Republik herum gegen Barzahlung oder hinreichende Sicherstellung. Alle Fensterbretter seines Häusleins waren mit frisch gemalten und lackierten Kokarden besetzt, reihenweise, damit sie trockneten. Auch den großen blechernen Hut auf dem Freiheitsbaume hatte er lackiert samt den drei Federn, welche, aus Blech geschnitten, darauf prangten. Der Baum war zwar schon seit Monaten errichtet, seit die letzte Tagsatzung zu Aarau auseinandergegangen war, nachdem sie vergeblich den alten Bundesschwur erneuert. Damals hätte ein festlicher Tanz um den Baum stattfinden sollen; allein als eben der französische Agent, der das Fest leitete, mit dem Bürger Zulauf und seiner Tochter Hand in Hand zum Reihen antreten wollte, fuhr ein unfreundlicher Wintersturm mit dichtem Schneewirbel über das Städtchen her, und zugleich stürmte ein langer Reiter im roten Mantel und mit grimmig höhnischen Blicken durch das Tor, der Standesreuter von Schwyz, welcher der altmodischen Gesandtschaftskutsche voranritt. Hierauf trabte ein gelb und schwarzer Langmantel mit seiner Kutsche, der Weibel von Uri, und zuletzt der weiß und rote Unterwaldner vorbei. Es waren die heimkehrenden Gesandten der Urkantone, welche finster und entschlossen zu ihrem Volke eilten und mit kaltem Stolze aus ihren Wagen blickten. Der ganze Zug war im andern Tor schon wieder verschwunden wie ein Traum; aber dennoch stoben die tanzlustigen Bürger, das Schneegestöber zum Vorwande nehmend, auseinander, indem der altgewohnte Respekt vor den strengen Eidgenossen ihnen einen plötzlichen Schreck in die Glieder jagte.
So war der Baum der Freiheit ungeweiht geblieben bis heute, wo nun die Ankunft der Befreier, der Neufranken, die schönste Gelegenheit gab, das Versäumte nachzuholen. Darum hatte Babette die alte Landestracht, welche sonst in diesem Städtchen getragen wurde, abgelegt und sich zum erstenmal französisch gekleidet zu Ehren der Befreier. Sie trug ein durchsichtiges weißes Kleid, welches den Hals sehr frei ließ, und eine rosenrote Schärpe, nebst roten Schuhen, die fast wie Sandalen aussahen und mit roten Bändern kreuzweise an den Füßen befestigt waren. Das Haar war in krause Locken entfesselt, die ihr über Stirn und Schultern herabfielen, und da sie ein feines Gesicht und große ausdrucksvoll scheinende Augen darin hatte, so sah sie beinah einer Muse gleich. Freilich ahnte sie nicht, wie sie so unter der Haustüre in der Sonne stand, daß im Hintergäßchen ein alter Bauer durch den dunklen Flur guckte und, als er durch ihr beleuchtetes Gewand hindurch den ganzen Umriß ihres Körpers sah, kopfschüttelnd und voll Abscheu aus der Stadt eilte, um klagend und fluchend auf den Dörfern den Heidengreuel zu erzählen, der da ins Land gebrochen sei. Babette aber hielt ein altmodisches, mit verblichenen Bandschleifen verziertes Körbchen in der Hand, welches noch aus der Schäferzeit herstammte, und dasselbe war mit den Quartierbillets angefüllt, je für eine Kompagnie in einen Büschel gebunden mit dreifarbigem Bändchen. So hatte sie es mit ihrem Vater ausgesonnen: nachdem er die Bewillkommungsrede namens der befreiten Stadt an die Franzosen gehalten, sollte er die Tochter aufführen und diese die gastfreundlichen Zettel eigenhändig an die Soldaten austeilen oder wenigstens an die Fouriere. Der Bürger hielt also seine begeisterte Rede, auf dem Rande des Brunnentroges stehend, und wies öfter auf einen steinernen Winkelried, welcher auf der Säule mit seinen sternlosen Augen über die Menge hinwegsah. Man verstand aber nichts von der Rede, weil die Soldaten, ohne darauf zu achten, schwatzten und schäkerten; nur der Kommandant hörte stolz und ruhig zu, wie sein siegreiches Heer gepriesen und ihm demütig versprochen wurde, daß man nun auch wieder tapfer und freiheitliebend werden wolle bei so gutem Beispiel und so erhabener Lehre, damit in kurzem die Enkel Winkelrieds und Tells diese vielleicht sogar übertreffen würden.
Hierauf sprang Bürger Zulauf herunter vom Trog und ihm nach die lange messingene Säbelscheide, die er trug, mit großem Gerassel, während der dreifarbige Federbusch auf seinem gewaltigen Bogenhut erschwankte; denn er trug die ungefähre Tracht eines Senators, obgleich er noch nicht in den Räten saß. Seine hohe Halsbinde über das Kinn heraufziehend, den Säbel stattlich unter den Arm nehmend, holte er nun seine Tochter ab, gab ihr den Arm und führte sie vorerst vor den Kommandanten, während der Soldat Dümanet auf den Wink des nächststehenden Offiziers sich als Ehrenbegleit hinten anschloß. Nachdem Babette wiederum mittelst einer kleinen Rede dem lächelnden Kriegsmann als der Genius der Gastfreundschaft dargestellt worden, ging sie, hocherrötend vor Begeisterung, am Arme ihres Vaters die Reihen der wetterbraunen, frechblickenden Männer entlang, unter welchen viele Verbrecher und ehemalige Sträflinge standen, und überreichte denselben jeweilig die zierlichen Bündel aus ihrem Körbchen. Hinterdrein spazierte gemächlich Peter Dümanet, das Gewehr im Arm, und auf seinem Rücken tanzte, da eben ein frischer Luftzug ging, der Mönch lustig mit seiner Nonne, so daß das Bataillon im Verein mit dem gaffenden Volke fröhlich in gemeinsames Gelächter ausbrach.
Babette ward aber nichts davon gewahr; denn ihre Aufmerksamkeit war ganz von dem Gedanken eingenommen, welchen Franzosen sie selbst ins Haus wählen wolle. Erst hatte sie immer von einem oder zwei ritterlichen Offizieren geträumt, wovon aber der Vater nichts wissen wollte, der vielmehr sämtliche Offiziere nebst genügsamer Mannschaft einigen Aristokraten zugeteilt und sich selbst mit einem bescheidenen Soldaten bedacht hatte. So trug sie denn das Quartierbillet desselben besonders in der Hand verborgen, um es gelegentlich demjenigen Kriegsmann zu überreichen, der ihr am besten gefallen würde. Gleich als sie den seltsamen Peter gesehen hatte, war ihre Wahl entschieden durch das Dämonische in seiner Erscheinung; und als sie nun am Ende der Soldatenreihe angekommen war, von wo sie ausgegangen, suchte sie mit ihren Augen etwas zaghaft den schönen Franzosen, ohne ihn zu finden. Sie drehte sich um und um, – siehe, da stand er dicht hinter ihr, den Blick auf ihre schlanke Gestalt geheftet, und präsentierte halb zum Spaß, halb aus Galanterie das Gewehr, als sie ihm schüchtern zu Boden sehend den gastfreundlichen Zettel anbot. »C'est ça Dumanet! Vive la citoyenne!« riefen die Soldaten mit neuem Lachen, und während die ganze Schar sich auflöste und von den Kindern und Gaffern sich in die Quartiere führen ließ, tänzelte Babette beglückt am Arme ihres neuen Ritters in ihr Haus, gefolgt von ihrem Papa, welcher sich den Schweiß seiner Taten von der Stirne wischte und derweil den Boden mit seinem helvetischen Federbusch fegte, da er den Hut in der Hand trug. Den kleinen Zug aber schloß der gute Waisenschreiber Beni Schädelein, der schon seit fünf Jahren Babettens Bräutigam war, ohne daß sie sich entschließen konnte, ihn zu heiraten oder ihn fahrenzulassen. Dieser konnte jetzt seine eigene Verwaistheit aufschreiben, da er in der ihm wohlbekannten Stube an den Wänden schlich, ohne daß jemand sich um ihn bekümmerte. Denn vor allem mußte nun der Franzmann gespeist und getränkt, gehegt und gepflegt werden; alles, was das Gerücht von ihm als seine Liebhaberei bezeichnet hatte, wurde ängstlich hervorgesucht und bereitet. Mit doppeltem Eifer und großer Schlauheit tat man dies, die vorläufige Kenntnis preisend, da die Gegenstände durchaus nicht kostspielig waren: ein leckeres Omelettchen, ein Salätchen, ein Schälchen Kaffee, ein Gläschen Kirschgeist, das war leichtlich zu erschwingen und stellte mehr vor, als es wert war, wenn es im saubern Geschirr aufgetragen wurde. Doch schloß sich der Soldat hilfreich und freundlich den Zubereitungen an, meinend, ob nicht auch ein wohlgeschmortes Stückchen Fleisch und ein Gläschen Wein dienlich wären, und lud, als auch dies hinzugefügt war, seine Wirte freundschaftlich zur Mahlzeit ein und unterhielt sie vortrefflich, bis nun endlich der Tanz um den Freiheitsbaum gefeiert werden sollte.
Die Klänge der Musik, das erneute Geläufe auf der Gasse verkündigte die große Stunde; ja, als Dümanet mit seiner Wirtin ans Fenster trat, sah man schon ein Dutzend Soldaten, jeder mit zwei Frauenzimmern am Arme, dem Platze zuschreiten. Diese Damen, überrascht durch Babettens Aufzug, hatten in aller Schnelligkeit sich ebenfalls etwas umgewandelt; die eine trug zu der alten Landestracht einen französischen Hut, die andere einen alten Pompadour am Arm, die dritte eine verschossene Mantille um die Schultern, so daß ein Fastnachtsvergnügen im Anzug schien. Einige andere Soldaten kamen an der Hand begeisterter Bürger und mit entsagungsvollem Gesichte, da sie diesen läppischen Tanz schon genugsam gefeiert auf Befehl ihrer Vorgesetzten. Offiziere waren gar nicht dabei; die hatten bereits auf den Schlachtfeldern den Tanz um den Marschallstab begonnen und kümmerten sich den Teufel um die dürre Stange mit dem blechernen Hut, sobald sie aufgerichtet war zum Zeichen der Unterwerfung.
Peter Dümanet aber, der jetzt mit Babetten aufzog, war noch mit ganzer Seele dabei und hielt sich alles Ernstes für einen Vorkämpfer der einen und wahren Völkerfreiheit, weil das Blut, das er in den Septembertagen zu Paris hatte vergießen helfen, nächtlich seine Ruhe störte, sein Gewissen beklemmte und ihn zwang, bei der Stange zu bleiben, wenn er sich nicht selbst verabscheuen sollte, was nicht seine Sache war. Also ging denn der Tanz los: die ganze Gesellschaft faßte sich bei den Händen, bildete einen Ring um den Baum und schob sich dergestalt einigemal nach dieser und einigemal nach jener Seite herum, Weiber, Soldaten, Bürger und Kinder, je ein Weib zwischen zwei Franzosen; sogar der Waisenschreiber, welcher Babettens Hand hatte ergreifen wollen, wurde von einem Soldaten so höflich weggedrängt und zwischen zwei Kinder gestellt, über welche er mit seiner langen Figur in seinem grauen Rockelor verdrießlich emporragte. Bürger Zulauf mit seinem Federstrauß tanzte zwischen dem ehrgeizigen revolutionären Pfarrhelfer und dem Nachtwächter. Nur die Franzosen wußten einige zierliche Sprünge und Schritte zu machen; die Eingebornen hingegen, Weiber wie Männer, warfen lediglich die Füße hinten auf, wie die Füllen auf der Weide, daß man die ganzen Schuhsohlen sah, und dazu baumelten die Frackschöße, die Ritiküls, die Haarzöpfe und Zulaufs Säbelscheide, die er nicht einen Augenblick ablegte, alle wie toll, während die Carmagnole und Ça ira gesungen wurde. Doch nur die Soldaten sangen deutlich, die Deutschen schrien in unartikulierten Tönen, bis sie etwa ein Wort der Befreier erwischten. Zum Schlusse fiel sich alles durcheinander in die Arme und gab sich den Bruderkuß, wobei wunderlicherweise die guten Bürger der Stadt sich immer selbst zu küssen bekamen und weder eines Franzosen, noch einer Mitbürgerin habhaft werden konnten. Schädelein, der verwaiste Waisenschreiber, küßte traurig seine zwei Kinder, ging mit ihnen zur Seite und kaufte ihnen einen Wecken, da es arme Gassenkinder waren.
Während solchermaßen die neue Freiheit eingeweiht wurde, hauste der Kommandierende der Truppen mit einigen Offizieren im Rathaus und auf dem alten Schloßturm, der wettergrau über den Häusern des Marktes stand. Nachdem die elf Kanonen der Stadt schon mit Beschlag belegt und zum Wegführen bereit waren, verwandelten sich die besagten Herren trotz ihrer Unwissenheit in sehr gewandte Altertumsforscher und packten in jenen alten Gebäuden alle Gegenstände, denen sie irgendeine Ehre und eine namhafte Bedeutung anrochen, in starke Kisten, um sie schleunig nach Paris zu schicken. Obgleich sie weder neues noch altes Deutsch lesen konnten, wußten sie schnell die Pergamente zu finden, die mit den alten Freiheiten und Ordnungen der Stadt, mit uraltem deutschem Rechte beschrieben waren, sowie eine dicke Chronik von mehreren Jahrhunderten und einen Kasten voll lateinischer Kauf- und Schenkungsbriefe, den sie auf alle Fälle mitlaufen ließen. Einem unscheinbaren, wurmstichigen Stecken sahen sie es auf der Stelle an, daß es ein Gerichtsstab war, der seit acht Jahrhunderten in dem Turme aufbewahrt wurde, sowie seinem Gefährten, einem alemannischen Grafschaftsschwerte. Einige Dutzend alte Schlachtschwerter, Harnische und Hellebarden wurden als gute Beute erklärt und hängen heute noch im Musee d'artillerie zu Paris, wogegen es zweifelhaft ist, wo die silbernen Ehrenbecher der Stadt geblieben, deren altertümliche und kunstreiche Arbeit von den einpackenden Herren sichtlich belobt wurde. Als man das alte Stadtbanner, das in allen Schlachten der Eidgenossen mitgeweht, einwickelte, traten dem letzten Bannermeister der Stadt, der dabeistand, die Tränen in die Augen; doch er überwand sich und verriet mit keiner Bewegung den Wert der Fahne. Tief in der Nacht schlich er wieder zu der Kiste, auf die Gefahr hin, erschossen zu werden, zog in der Nähe der französischen Schildwachen das Banner leise mit mühevoller Vorsicht hervor, riß es von der Stange und steckte diese wieder unter die übrigen Waffen, welche dann glücklicherweise nicht wieder ausgepackt wurden. So beseelte das zerschlissene Tuch seinen letzten Träger mit der alten Ehre, mitten in der Verlorenheit und Verwirrung.
Es war freilich am Ende alter Plunder, welchen die Franzosen einpackten und fortschickten, und nicht alles kann ewig dauern. Wie der einzelne Mensch zuweilen zu seinem Wohlsein den Wust alter Papiere beseitigt, der ihn beengt, so ist das Unglück für das Gemeinwesen nicht allzu groß, wenn da oder dort ein stickluftiges Archiv abbrennt; Licht und Geräumigkeit sind zuletzt die Hauptsache zu gesunder Bewegung. Allein es ist ein Unterschied, ob der Mann sich seines zu lang gewordenen Barthaares selbst entledigt, oder ob es ihm ein anderer mit tückischer Gewalt aus dem Gesichte reißt.
Das Bataillon marschierte nach kurzer Zeit wieder weg bis auf die Kompagnie, zu welcher Peter Dümanet gehörte. Er wurde ganz heimisch in der guten Stadt und half dieselbe wacker regieren. Da er ein politischer Charakter in seinem Bataillon, ein erfahrner Antreiber und großer Redner war, wurde er von den Pariser Kommissären vielfach als Anschicksmann und Aufwiegler gebraucht, wenn die unterworfenen Freiheitsgenossen wegen des hereinbrechenden Elendes und der fremden Säbelherrschaft verblüfft und schwierig wurden; und er leistete um so bessere Dienste, als er aufrichtig an die Aufgabe seiner Nation glaubte und für die französische Republik schon frühzeitig sein Leben eingesetzt hatte und jederzeit einzusetzen bereit war. Ebenso bereitwillig wagte er es für die Republiken, welche er mit seinem Bajonett nach gallisch-romanischem Zuschnitt anderwärts pflanzen half. Mit wilder Leidenschaft verfolgte er alle Widerhaarigen. Er strebte nicht nach Rang und Auszeichnung, sondern wollte der einfache Volkssoldat der Republik bleiben, worin er durchaus nicht behindert, vielmehr um so brauchbarer befunden wurde. Erfahren und bewandert, wie er war, in der Revolutionsgeschichte, soweit sie auf den Straßen spielte, unterrichtete und lenkte er den angehenden Senator Zulauf, der sein aufmerksamer und andächtiger Schüler war und eine Menge schreckhafter Phrasen und Wendungen einübte, bei deren Klang er sich erst recht aufdonnerte und seinen Säbel erklirren ließ. Dafür wurde der Franzose wiederum Babettens Schüler, welche ihm die Gründung des Schweizerbundes und die Geschichte seiner Helden erklären mußte, weil die altrömischen Redensarten, die er im Pariser Konvent gehört – von Brutus dem ältern und dem jüngern, von den Gracchen, von Regulus und Cincinnatus und dergleichen – in der Schweiz mit deren eigener landüblichen Freiheitsterminologie vertauscht werden mußten, um die Bauern und Bürger zu belehren und aufzustacheln. Babette erzählte ihm also von den tyrannischen Vögten, von den drei Männern im Grütli, von Tell und Winkelried und den großen Freiheitsschlachten, wie alle diese Dinge sich in ihrem Köpfchen abspiegelten; dieses Spiegelbild verbesserte Dümanet wiederum mit mannigfacher Einrede und Belehrung, so daß aus dem schäferlich-romantischen Weiberhirn und der politischen Phantasie des Franzosen eine Reihe von seltsamen Helden hervorging mit eleganter Schäfergestalt und stattlichen Räuberköpfen darauf, angetan mit Schärpen und Federn. Diese Unterrichtsstunden dünkten der begeisterten Bürgerin die Höhe ihres Lebens, nach der sie sich schon lange gesehnt; sie genoß dieselben mit der glückseligen Genugtuung, ihre Neigung zu schöner Männlichkeit mit der Freiheitsliebe und mit ihrer »politischen Ader« vereinigen zu können, wie es dem freien Weibe gezieme. Wenn Dümanet mit finster glühendem Auge, mit vom Gewissen gepreßter Stimme behauptete, der Keim der nachherigen Verknechtung der Schweizer schlummere schon in dem Umstande, daß sie die vertriebenen Vögte nicht getötet hätten samt ihrer ganzen Sippschaft, so sah sie mit staunender Verehrung zu dem hübschen interessanten Fanatiker empor.
Aber ihr Glück war nicht ohne wechselnde leidenschaftliche Bewegung; denn wenn der dämonische Kriegsmann gleich darauf sich eine alte rotgewürfelte Bettgardine ausbat und sich nach der allgemeinen Sitte jener gewandten Soldaten daraus gar behend ein Paar weite Pantalons für den täglichen Gebrauch zuschnitt und nähte, so fühlte sie sich plötzlich wie von kaltem Wasser begossen und glaubte einen prahlerischen heimlichen Schneider zu entdecken, so daß sie kaum den Mut fand, den federstolzen Waisenschreiber, welcher verstohlen zu lächeln wagte, auf einige Tage aus ihrer Nähe zu verbannen; denn ihn ganz zu vertreiben hatte sie immer noch nicht den geeigneten Zeitpunkt gefunden, besonders da ihn der Franzose durchaus freundschaftlich und ohne Eifersucht behandelte, worin sie auch ein Zeichen innerer Größe und einen Gegenstand ihrer innigen Dankbarkeit entdeckte. Doch sobald Dümanet etwa die Erstürmung der Bastille, welche er als sechzehnjähriger Knabe mit bestanden, mit unverkennbarer Wahrheit beschrieb, oder wenn er die Kugelspuren an seinen Waffen, Kleidern und an seinen Armen nachwies, welche überdies mit tätowierten Dolchen, Jakobinermützen, durchbohrten Herzen und dergleichen Symbolen bedeckt waren – dann zerstreuten sich die Nebel des Zweifels, und die Sonne strahlte wieder in alter Glut, indem Babette den zitternden Finger auf die Narben und die merkwürdigen Zeichen legte. Als aber endlich Dümanet sich von ihr noch einen vom Pfeil durchschossenen Apfel auf den Arm punktieren ließ und ihr dafür auf den zierlichen weißen Arm eine phrygische Mütze einstach und beide Gebilde mit dem Pulver einer geleerten Patrone einrieb, da vermochte keine ungewohnte Sitte mehr den politischen Seelenbund zu erschüttern, und der ehrsame Schädelein wurde aufgefordert, sich ja alles das recht zu merken, damit er auch etwas lerne und sich zu einem Charakter heranbilde.
Als der Herbst nahte, nahm der artige politische Roman im Zulaufschen Hause ein vorläufiges Ende, weil die Kompagnie und mit ihr Peter Dümanet wieder ins Feld mußte, um den letzten Rest altfreier Landleute, die nicht von ihrem deutschen Recht lassen wollten, zu überwältigen und zu zwingen, die romanisch-gallische Einheitsverfassung zu beschwören, welche in Paris von politisch-dilettantischen Kehlabschneidern gemacht und den Schweizern aufgedrungen worden. Überall, wo demokratische Gemeinden nach selbstgeschaffenem und uraltem Gesetze glücklich gelebt, verabscheute das Volk die Herrschaft ausländischer Publizisten und neugebackener republikanischer Zwingherren und sperrte sich dagegen, wie wider ein ekelhaftes Gift. Wie in einem verzweifelten Traume, vom Albdrücken hervorgebracht, suchten sie von Landschaft zu Landschaft einander beizuspringen und zu helfen; aber ein Tal nach dem andern wurde durch List, Überredung und Androhung von Not und Elend übersponnen, bis der verhaßte Eid hier mit menschlicher Entsagung, mit mühselig überlegtem Nachgeben, dort mit verzweifeltem Gelächter, unter höhnischen Possen und Verdrehungen geleistet war, wozu insbesondere das Weglassen Gottes aus der Eidesformel die äußere Veranlassung gab; denn während die Machthaber das alte religiöse Rechtsmittel des Eidschwures auf die neuen Verhältnisse anwandten, hatten sie zugleich mit feiger Halbphilosophie den Hauptbestandteil desselben, die Berufung auf eine allwissende Vorsehung, daraus gestrichen, und das Volk mußte bloß rufen: »Wir schwören es!« ohne den Zusatz: »so wahr mir Gott helfe!« Das Volk aber kannte und fühlte besser die Form und den Inhalt dieser ehrwürdigen Einrichtung und fand sich durch die unlistige Halbheit beleidigt und gekränkt. Gar nicht oder nur zum Teil überzeugt, fügte es sich dem Rate und den Bitten der weltklügeren Angesehenen und dem Zwange der fremden Waffen, um das Feuer von seinen Hütten fernzuhalten.
Nur das grünschattige Nidwalden am tiefen Waldstättersee hielt zuallerletzt ganz allein an sich selber fest, verlassen sogar von seiner Zwillingshälfte Obwalden. Ein Völklein von kaum zehntausend Seelen, konnte und wollte es nicht glauben, daß es ohne die äußerste unbedingte Aufopferung von seiner halbtausendjährigen Selbstbestimmung lassen und in der Menschen Hand fallen solle, ohne vorher zu Boden geworfen zu sein im wörtlichsten Sinne. Alle Weltklugheit, alle Vernunftgründe für leibliche Erhaltung verschmähend, stellte es sich auf den ursprünglichen Boden reiner und großer Leidenschaft, nicht für eine Tagesmeinung, sondern für das Erbe der Väter, für Menschenwert so recht im einzelnen, von Mann zu Mann. Drei Dinge werden hauptsächlich geltend gemacht, um diese Erhebung von zweitausend waffenfähigen Männern gegenüber nicht nur der übrigen Schweiz, sondern der »großen Nation«, die soeben Europa besiegt hatte, zu verdammen: erstens die Hoffnung auf östreichische Hilfe, zweitens der religiöse Fanatismus und der Einfluß der Priester und drittens eben die gänzliche Hoffnungslosigkeit des Aufstandes. Allein was den ersten Vorwurf angeht, so trifft der Fluch nicht den, welcher den zweiten Fremden ins Land wünscht, sondern den, welcher den ersten hereingerufen hat. Was den zweiten Punkt anbelangt, war es Tatsache, daß die Franzosen, welche die Verfassung ins Land gesendet, ihre Kirchen geschlossen und die Priester vertrieben hatten; Grund genug, wenn man unparteiisch sein will, für die Zukunft Ähnliches zu fürchten. Dies Völkchen in seinem todesmutigen Entschlusse faßte eben alles zusammen: die geistliche und weltliche Existenz, wie sie ihm Ehrensache war. Das beste Sinnbild für diese Stimmung sind jene nidwaldenschen Jungfrauen, welche die Waffen und den Tod wählten, um Religion, Heimat, Freiheit und die persönliche jungfräuliche Ehre, alles wie einen einzigen Begriff, zu retten. Gegenüber diesem innern Ernste waren die paar fanatischen Pfaffen und die gebräuchliche katholische Ausdrucksweise unerheblich; die höhere Geistlichkeit suchte eher zu beruhigen, und jene Pfaffen, welche Volksmänner waren, ersetzten bei der aufgelösten Staatsordnung lediglich die Vorsteher. Was endlich die Hoffnungslosigkeit betrifft, so ist es gerade das Wahrzeichen und das Recht der höchsten Leidenschaft, für sie zu ringen wie für die sicherste Gewähr. Dies reine Vesta-Feuer haben die Nidwaldner durch ihre Tat gerettet und zu besserem Glücke aufbewahrt für alle Schweizer.
Als Peter Dümanet seine Feldrüstung umhing und die Flinte ergriff, um gegen das Volk zu marschieren, welches sich durchaus dem Glücke nicht fügen wollte, das er gebracht hatte, war er nicht gut auf diese Leute zu sprechen, von denen er freilich im Hause des Bürger Zulauf gar nichts Gutes gehört. Jedoch erhob ihn das Bewußtsein, abermals Freiheit und Menschenrecht bis in die innersten Täler und in die engsten Schlupfwinkel des gotischen Zeitalters zu tragen mit Hintansetzung seiner Ruhe und seines Lebens. Er nahm sich vor, recht gemessen und streng, aber dennoch menschlich und belehrend mit den armen Verblendeten zu verfahren. Kehrte er aber aus diesem letzten Kampfe zurück, so hielt er seine Pflicht als Weltbürger, insofern dieser zugleich Krieger ist, für getan; er sehnte sich nach Ruhe und bürgerlicher Tätigkeit und ließ in den Abschiedsworten durchblicken, daß er in der helvetischen Tochterrepublik, in dem patriotischen Städtlein sich niederzulassen und eine neue Heimat zu gründen wünsche, da er niemand mehr in Paris habe, der ihn näher angehe. In der Tat war seine Mutter auf dem Marsfelde vor den Kanonen der Nationalgarde und sein Vater, ein wilder Dachdecker, auf der Haupttreppe der Tuilerien unter dem Pelotonfeuer der Schweizer gefallen, welche dieselbe verteidigten. Von diesem Umstande ließ ihn, seit er in der Schweiz war, ein Zug von Großmut und Versöhnlichkeit nur wenig sprechen und ohne Rachegefühl; aber die Erinnerungen an die eigenen wahnsinnigen Bluttaten damit zusammen genommen machten ihm allerdings die Rückkehr nach Paris zuwider. Er mochte sich mit Babetten schon verständigt haben für eine dauernde Verbindung; denn sie errötete bei seiner Andeutung stark und litt den republikanischen Bruderkuß, welchen er ihr wie ihrem Vater gab, mit freundlichem Schweigen; ja sie vergoß heftige Tränen, als er endlich beim Trommelschlag abmarschierte, wiewohl ohne Windmühle auf dem Tornister, da er etwas ernster geworden schien. Doch faßte sie sich und gebot dem Waisenschreiber, sie eine Strecke weit neben den Soldaten hinzuführen; es war das erste Mal, daß Beni Schädelein des Armes seiner Braut wieder habhaft wurde, weshalb er sehr vergnügt nach dem Takte der Trommel mit Babetten dahinschritt, ziemlich weit. Im Freien trat Dümanet aus der Reihe und ging nochmals neben seinen Freunden; als er aber den Schreiber fragte, ob er nicht Lust habe, auch gegen die Nidwaldner auszuziehen und für die Freiheit zu fechten, erwiderte Schädelein mit großer Kühnheit: wenn er überhaupt fechten möchte, so würde er sich lieber gegen die Franzosen schlagen, und schwenkte, immer im Feldschritt, nach dieser stolzen Rede plötzlich ab mit seiner Geliebten, welche er, einmal tapfer geworden, festhielt und zwang, mitzumarschieren. Der Soldat sah ihn mit Verachtung an und trat in den Zug zurück, neugierig und frisch belebt von den Dingen, die seiner harrten in dem Gebirge, das er vor sich aus tiefblauer Dämmerung silbern hervorblitzen sah. Er war jetzt am Ufer des Vierwaldstättersees angekommen. Aus dessen Spiegel stieg in herbstlichem Duft und Glanz das Gebirge von Unterwalden empor, still wie ein Feiertag, und war dasselbe zur Stunde doch voll Empörung und Zurüstung zum Untergangskampfe. Nur ein paarmal wehte der Wind einen unheimlich anschwellenden Ton herüber; es war das Landhelmi oder das alte Heerhorn der Nidwaldner, welches die alte Kraft und Landesehre herbeirief und eben die kleine Abteilung Männer aus Schwyz begrüßte, die mit Gewalt von Brunnen her zugezogen kamen.
Wie dies Völkchen von wenigen tausend Seelen nun sechzig Jahre vor Erfindung der Napoleonischen Volksabstimmung über Staatshoheit, abgeschieden und verlassen von der ganzen übrigen Welt, vom eigenen weitern Vaterlande, seinen letzten Kampf um seine Selbstbestimmung stritt; wie es seine zweitausend Kämpfer in rührend kleinen Häufchen rings an die Schutzwehren des Ländchens, das noch keines Feindes Fuß betreten, hinstellte gegen die sechzehntausend Franzosen des General Schauenburg; wie es in zuverlässiger Kenntnis seiner Armut wie seines Reichtums jeden Mann karg abzählte, eine Abzahlung, die sich auch in einer Reihe von heldenmütigen Einzelkämpfen bewährte; wie das wohlgestaltete Geschlecht seiner Frauen den Streit und das Leiden in vollem Bewußtsein mit ertrug: alles dies erzählt die Geschichte. Hier wollen wir nur dem Schicksal des Freiheitsmannes Dümanet nachgehen, das seiner in diesem doppelsinnigen Freiheitskriege wartete, und zwar an den Felsenhängen des Bürgenberges, der seine Wälder zuvorderst aus dem tiefen See emporhebt.
Hoch am Bürgen stand ein kleines Haus von rötlichem Holz, ohne allen Zierat, aber von zierlichen, ja edlen Verhältnissen auf schneeweißem Sockel, und glitzerte mit seinen klaren runden Scheibchen freundlich und still hernieder. In jenen Septembertagen wohnte dort Aloisi Allweger, erst seit drei Tagen mit seinem Weibe, der schönen Klara, getraut im Drange des Aufruhrs und nach neunjährigem Harren und Lieben, obgleich er erst siebenundzwanzig Jahre, sie kaum vierundzwanzig zählte. Vor neun Jahren, in ebensolchen Herbsttagen, hatte der junge wilde Bursch beim Aufzuge eines Älplerfestes im Tale das sogenannte Wildmannli gespielt, das heißt ganz in grüne Tannreiser gehüllt mit einem ähnlichen Wildweibli seine Sprünge gemacht und in alten, durch gelegentliche Einfälle bereicherten Reimsprüchen ein Zwiegespräch geführt, in welchem die Untugenden und Schwächen beider Geschlechter gegenseitig ins Licht gesetzt wurden. Sei es nun, daß sein Gegenpart, das Wildweibli, oder der Gesell, welcher dasselbe vorstellte, gelasseneren Temperamentes war oder sonst nicht Lust verspürte, sein eigenes Geschlecht herunterzusetzen, genug, das Wildmannli behielt in dem derben Streite völlig die Oberhand und machte zum Ergötzen der dickarmigen und Tabak rauchenden Älpler, die behaglich unter ihrer Fahne des heiligen Wendelins standen, die Frauensleute fürchterlich herunter, welche Rücksichtslosigkeit mit seinem jugendlichen Gesichte und mit seinen hellblauen Augen, wie sie unter dem Tannreisig kindlich genug hervorleuchteten, in seltsamem Widerspruche stand.
Durch den Beifall der Männer einem unbedachten Übermut verfallend, wandte er sich, anstatt sich an sein Wildweib allein zu halten, zuletzt an die umherstehenden Frauen und begrüßte sie in seiner Unerfahrenheit mit allerhand weiteren Witzen und Beschuldigungen, bis er plötzlich vor ein fünfzehnjähriges Jungfräulein geriet, welches seinen mit roten und weißen Bändern durchflochtenen und mit einem reich verzierten Silberpfeil gewaffneten Haarschmuck verhängnisvoll schüttelte. Denn mit nassen Augen, voll Zorn und Erstaunen über solche Ungerechtigkeit, den jugendlichen Übeltäter unwillig mit der Hand abwehrend und doch ihn mit großen Augen messend, stand die junge Klara vom Bürgen da, also daß der Wildmann sogleich aus der Rolle fiel, das Mädchen voll Furcht und Zahmheit beschaute und sich ganz kleinlaut nicht zu helfen wußte. Er suchte sich stracks unter den Zuschauern zu verlieren, wurde aber unter allgemeinem Gelächter überall zurückgewiesen, mußte sich daher im offenen Ring aufhalten, verfolgt von dem bösen Wildweib, welches nun endlich auch in Fluß geriet und ihm, je mehr er den Kopf verlor, desto ärger denselben wusch. In höchster Verlegenheit konnte er nicht umhin, sich von Zeit zu Zeit nach dem Mädchenkind umzusehen, und dieses verfolgte ihn unablässig zornig mit den Augen, aber die höchste Genugtuung empfindend, welche endlich in eine Art von Mitleid überzugehen schien, als sich das schöne Kind halb lächelnd wandte und davonging.
Seither mußte Aloisi Allweger sich besser darzustellen und die entrüstete Jungfrau aufzufinden gewußt haben; denn es entspann sich von da an das neunjährige treue Warten, indem Klara eine Waise war und unter der Obhut eines alten vetterlichen Bergmännchens, zwar später öfter begehrt, unbeweglich auf ihrem kleinen Gütchen auf dem Bürgen saß, während Aloisi, der kein Landmann von Nidwalden, sondern nach dem starren Rechte dieser Unbeweglichen nur ein ewiger Einsasse und blutarmer Gesell war, sich durch unverdrossene Gebirgshantierung und Gefahrübung aller Art ein kleines Besitztum zu erwerben suchte.
Gerade in den Tagen der einbrechenden Ereignisse war Klara volljährig und der kleine Sparschatz ihres Geliebten groß genug zur Gründung eines bescheidenen Hauswesens geworden. Unter dem Läuten der Sturmglocken, unter Trommel- und Horngetöse wurden sie von einem bewaffneten Priester getraut; die Hochzeitgäste trugen Büchsen und Flinten, aber keiner tat einen Schuß, um das Pulver für den bevorstehenden Streit zu sparen. Vor dem Hause Klaras, das nun auch Allwegers Heimat war, angekommen, eilte der Begleit, welcher nur aus Männern bestand, wieder den Berg hinunter, und der Bräutigam selbst betrat sein Haus nur wie ein Krieger, der nicht weiß, ob er eine zweite Nacht in der gleichen Herberge zubringen wird. Die Freudenschüsse, welche dem Paar zu Ehren abgefeuert wurden, waren die Granaten und glühenden Kugeln, so die Franzosen vorläufig über den See warfen und die am Fuße der Felsen erstarben.
Endlich brach der 9. September, der Tag des Unterganges, an. Es war ein Sonntag. Klara weckte ihren schlummernden Mann und hieß ihn, da er im Werkelgewande hinuntereilen wollte, sich schmücken zum vielleicht letzten Gang. Sie band ihm selbst die buntgestickten Kniebänder um die hohen weißen, über das knappe, kaum an der schlanken Seite haftende Beinkleid hinaufgezogenen Strümpfe, knüpfte ihm das scharlachrote Brusttuch zu und brachte ihm ein blendend weißes Hirtenhemd, das liebste Gewand dieser Leute, das sie selbst in der Kirche trugen und das sie ihm, das Kind der Berge, mühevoll aber sorgfältig und zierlich gemacht hatte. Sie kämmte ihm das lang in den Nacken fallende Haar glatt, und vorn an der Stirn, wo es kurz querüber geschnitten war, besserte sie unter heiteren Scherzen mit der Schere nach, so gut sie an dem hohen Gesellen, der sich durchaus nicht bücken wollte, hinaufreichen konnte, obgleich sie nicht klein gewachsen war. Dann legte sie selbst ihr bestes Gewand und all ihren ländlichen Schmuck an, um diesen Ehrentag im Feierkleide zu durchleben und durchleiden. Wie ein Reisegeld zählte sie dem Manne darauf die frisch gegossenen glänzenden Kugeln sorglich zu und füllte das Pulverhorn auf.
So traten sie vor ihre Hütte, schön wie die Natur umher, in welcher durch das Morgengrauen eben der Rigiberg und der Pilatus das erste Gold zurückwarfen. Sie gingen Hand in Hand, soweit es Zeit und Weg noch gestatteten, heiter, wie alle, denen sie begegneten und die desselben Weges gingen, da die Würfel geworfen waren und die Glocken im ganzen Land zur Tat stürmten. Als aber die ersten Kanonenschüsse donnerten, nah über den See her, fern hinter dem Berge, da trennten sie sich rasch; Aloisi eilte die steilen Hänge hinunter nach Kehrsiten, wo sein Platz am Gestade des Sees war; Klara stand und verschlang ihn mit den Augen, bis die wehenden Federn und Bänder an seinem Strohhut unter den Baumwipfeln unter ihr verschwanden; dann lauschte sie dem Aufruhr in der Tiefe und lief heftig weinend und hastig an den Herd zurück, ihn zu bewachen. Daß der Feind diese Höhen erreichen würde, dachte man indessen kaum.
Aloisi war im Hinuntersteigen ernst und seufzte vorübergehend; da guckte nun endlich, nach vielen Jahrhunderten, des Feindes Auge in das eigene Nest dieses Volkes, das so manchen Mann auf ferne Schlachtfelder ausgesandt, wo er nichts zu suchen hatte; da klopfte die Tyrannei in der Maske der Freiheit mit eiserner Hand an das Felsentor des Hirtenvolkes, welches sich Untertanen erobert und mit »freiem Handmehr« Vögte über dieselben gesetzt hatte, welche das Recht um Geld verkauften.
Aloisi ging zwar schuldlos in den Kampf; er hatte weder in fremden Kriegsdiensten gestanden, noch je für einen ungerechten Landvogt gestimmt an der Landsgemeinde; auch war er gerade kein großer Politiker, der sich in diesem Augenblicke müßigen Gedanken hingegeben hätte; es war vielmehr das allgemeine Gefühl menschlicher Schuld, welches jeden an diesem heißen Tage beschleichen mochte, sobald er einen Augenblick allein war, und den Schuldlosesten und Gewissenhaftesten vielleicht am stärksten. Die Schuldigen und in jenen alten Nationalsünden Verstockten fühlten sich am allerwenigsten irgendwie haftbar vor dem Völkergericht und betäubten von jeher ihr Gewissen mit den mythologischen Betäubungsmitteln. So sollte eben jetzt die Himmelskönigin in einem Stern über Unterwaiden hingefahren sein und dasselbe festgemacht haben gegen jede Übermacht.
Auf all den Schlachtfeldern der Schweiz, Italiens und anderwärts, wohin die Nidwaldner ihre Leute gesandt, hatten sie durch die Jahrhunderte bis zur Stunde noch nicht tausend Mann verloren, und fast jeder einzelne, der gefallen, war wohlbekannt gewesen und in den Jahrzeitbüchern verzeichnet. Heute verloren sie die größte Zahl, und das Tausend wurde voll; aber es fielen an diesem Morgen über zweitausend Franzosen, mehr als die Unterwaldner Streiter zählten.
Um Mittag war der Widerstand vorüber, die Männer schlugen sich fechtend durch, und die Franzosen, wütend über diesen Widerstand, begannen das bekannte Morden der Frauen, Greise, Kranken und Kinder und füllten das grünschattige Land mit Asche und Trümmern, die nach sechs Jahren noch zu sehen waren. Die Schanze zu Kehrsiten, in welcher Aloisi mit wenigen stand und sich mannhaft verteidigte, wurde zuletzt vom See und vom Lande her angegriffen; die Verteidiger zogen sich Schritt für Schritt den Bürgenberg hinan, trafen die anstürmenden Franzosen mit ihren Kugeln oder wälzten Wurzelstöcke und Felstrümmer auf sie hinunter. Allweger blieb einer von den Weitesten zurück, schlug sich von Mann zu Mann herum und wurde seitwärts in die Wälder verschlagen und von den Seinigen getrennt. Auch von anderen Seiten liefen Franzosen den Berg herauf, Weiber und Kinder vor sich her jagend, bis sie auf einzelne Männer stießen, deren Todesschläge ihre Wut wieder verdoppelten. Aloisi hatte seine Kugeln verschossen, seine Büchse zerschlagen und hielt nur noch das Eisenrohr in der Hand, während er aus mehreren Wunden blutete. Er sank ermattet in ein Gebüsch, raffte sich aber auf, als er die Luft von Wehgeschrei erfüllt hörte, und suchte den Weg zu seinem Weib und Haus zu gewinnen, um bei oder mit ihr zu sterben. Bald erkannte er auch den Wald- und Felsenpfad, welcher dahin führen mußte, und schwankte, auf seinen Büchsenlauf gestützt, darauf fort.
Da kam über einen Kreuzpfad her ein einzelner Franzose gelaufen, welches niemand als unser Peter Dümanet war, wie betrunken und seltsamer ausstaffiert als je. Er hatte anfänglich wohlmeinend das Land betreten und mit gemäßigter Fechtart diese Störrigen und Unwissenden zur Freiheit führen wollen. Bald aber, als er mit Tausenden, von wenigen Männern zurückgeschlagen, nur mit großem Verlust wieder vordringen konnte, als er selbst zu sechs und sieben vor einem einzelnen weichen mußte, als er an die zwanzig Jungfrauen zu Winkelried tot in einer Reihe liegen sah, auf ihren blutigen Sensen, drehte sich sein Verstand um, und er durchraste ohne Besinnung Tal und Höhen, so daß er sich verlor und am Bürgenberge verirrte. Sein Hut war mit geraubten Silberpfeilen aus den Haaren der Nidwaldnerinnen besteckt, sein Tornister mit abgeschnittenen Zöpfen, mit den roten oder weißen Bändern durchflochten, behangen, und um den Hals trug er eine Anzahl silberner Göllerketten. Mit einem Sprunge stürzte er sich auf den daherschwankenden Aloisi, setzte ihm das Bajonett auf die Brust und erklärte ihn zu seinem Gefangenen, der ihm den Weg über den Berg weisen solle; auch gab er ihm ein ziemlich schweres Säckchen zu tragen, welches er an seinem Säbelgriff hängen hatte. Aloisi gehorchte geduldig und ging vor ihm her, nachdem ihm der Franzose den Büchsenlauf genommen und weggeworfen hatte. Denn er überlegte sofort, daß er so am besten gleichzeitig mit dem Feind sein Haus erreiche. So mühte er sich denn ab, vor demselben herzugehen, wobei Dümanet ihn von Zeit zu Zeit mit dem Kolben sachte vorwärts stieß. In einem Hohlweg, der zwischen prächtigen Buchen hinführte, stießen sie auf einen toten Franzosen. Mit einem Fluche stieß Dümanet seinen Führer über die Leiche hinweg, als sie es nicht weit von da purpurrot durch das goldene Abendgrün der Buchen leuchten sahen. Auf dem grünen Sammet des Mooses gebettet, das den ganzen Pfad überzog, lag Allwegers Frau da mit erblaßtem Gesichte, von der niedergehenden Sonne überstrahlt. Ihr roter Rock, ihre roten Strümpfe zeichneten ihren schlanken Wuchs; ihr mit Seidenblumen reich gesticktes Brustkleid war von Bajonettstichen zerrissen und durchbohrt, gleich einem Rosengärtchen, das durchgepflügt worden ist; aber die mit blauen und roten Steinen besetzten Ketten und Spangen hingen noch darum, das Haar war noch fest geflochten und wie eben erst aufgebunden, der Pfeil, in dessen Glassteinen ebenfalls die Abendsonne blitzte, steckte noch darin, sie war also unberaubt und hatte sich wahrscheinlich gegen mehrere verteidigt, von denen der vorher tot Gefundene einer gewesen.
Aloisi erkannte seine Frau augenblicklich, wie sie am Eingange des Waldes hoch über dem See lag, der unten dämmerte, und im Angesicht der stillen Gebirge. Er zitterte bis in das innerste Leben hinein, aber er tat nicht, als ob er die Leiche sehe, und wollte vorüberschwanken. Doch der Franzose schrie: »Halt!« Er hatte eine neue Art von Trophäe entdeckt, die er noch nicht besaß, nämlich die Sonntagsschuhe der Klara, welche, sonst ziemlich fein, nach damaliger Sitte mit hohen eisernen Absätzen, sogenannten Tötzeli, versehen waren. Schnell streifte er sie der Toten von den Füßen und gab sie hastig dem armen Aloisi zu halten, um auch noch den übrigen Schmuck zu nehmen. Kaum aber hatte Aloisi Allweger die teuren Schuhe in der Hand, so durchströmte ihn seine letzte Kraft. Er faßte den Franzosen unversehens am Kragen, schlug ihm die Schuhe mit den eisernen Absätzen so gewaltig über das Haupt, daß er sofort zusammensank, und stieß ihn unverweilt über den Berg hinaus, daß er turmhoch mit all seinem Schnickschnack in den tiefen See fiel und ohne einen Laut untersank. Gleich darauf lag Aloisi bewußtlos über seiner toten Frau und wurde am andern Tage, als durch das Eintreffen Schauenburgs wieder einige Menschlichkeit herrschte, für tot gefunden. Er kam jedoch mit dem Leben davon und lebte, nach vielerlei Schicksalen, noch lange Jahre, aber in sich gekehrt und traurig.
Als einige Zeit nach diesen Ereignissen geschmückte Schiffe von Luzern herfuhren, welche die helvetischen Räte und ihre Herren, die französischen Ratgeber, herführten, um ein Freiheitsfest auf dem alten Rütli zu begehen, saß in einem der Schiffe auch Babette Zulauf, deren Vater inzwischen Senator geworden war, neben dem Waisenschreiber Schädelein, mit dem sie sich wieder näher verbunden hatte, da Peter Dümanet nicht zurückgekehrt. Sie war wunderherrlich aufgeputzt und drückte gerade an der Stelle, wo Peter in der Tiefe schlummerte, dem Waisenschreiber gerührt über die Schönheit der Natur und über die Herrlichkeit des Weihefestes die Hand, während ein französischer Unter-Agent ihr lächelnd ein Sträußchen von Alpenrosen an den Busen steckte.