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Die Geschichte des jüdischen Volkes ist – wie jede der Welt zugekehrte Geschichte – immer in einer selbstverständlichen Verknüpfung mit der Umwelt und mit den Vorgängen in ihr gewesen. Aber das Maß dieser Verknüpfung wurde immer reguliert von der Stärke oder der Schwäche des Innenlebens, das die Vorgänge im Inneren der jüdischen Gemeinschaft bestimmte. War das Innenleben geschlossen und bewußt, wenn auch problemerfüllt, stellte sich als Folge eine vermehrte Nichtachtung der außenweltlichen Vorgänge ein; und wenn diese Nichtachtung praktisch undurchführbar war, wurde der gleiche Erfolg doch dadurch erzielt, daß die Gemeinschaft sich innerlich unabhängig von diesen Vorgängen hielt. Sie hatten ihr Gewicht; sie hatten auch ihre Einwirkungen und erfuhren auch Reaktionen. Aber sie hatten keinen bestimmenden Einfluß, denn sie drangen nicht bis in die Struktur des Judentums. Erkannte man hingegen solchen Einfluß dadurch an, daß man die Vorgänge in der Umwelt als Prinzipien im eigenen Raum wirksam werden ließ, mit anderen Worten: versuchte man die Probleme der Umwelt – die der Umwelt spezifischen Probleme – in den eigenen Reihen auszutragen, so entstand jedesmal sofort eine übermäßige Verknüpfung mit dem Geschehen der Umwelt. Jede Auslieferung an Fremdes ging immer bis an den Rand des Selbstverzichts. Die Kraft, das Fremde zu ertragen und zu erledigen, kam immer nur aus der Intensität, mit der zuvor das Eigene erledigt wurde. Die Zeit der Antipatriden ist eine doppelte Illustration zu dieser Aussage. Die Hasmonäer haben 120 die Denktradition ihres Volkes verraten. Sie haben sich in das Getriebe der Welt begeben und die Prinzipien dieses Weltgetriebes in den eigenen nationalen Raum hineingetragen. Die Antipatriden, die insofern nichts sind als ihre konsequenten Fortsetzer, kennen nur noch diese Außenwelt und betrachten Judäa als eine politische Gegebenheit mit noch ungewissen Grenzen, die der Schauplatz und zugleich der Verwirklichungsraum dessen zu sein hat, was die Welt ihnen bieten kann. Nationale, religiöse, ethische, philosophische und sittliche Probleme spielen keine Rolle. Es geht hier überhaupt nicht mehr um jüdische Probleme, sondern um einen Teilausschnitt aus den Volks- und Länderschicksalen, die sich innerhalb des römischen Imperiums abspielen. Da die tatsächliche Verfügungsgewalt über Judäa in den Händen der Antipatriden liegt, muß ihre Verknüpfung mit den Schicksalen des römischen Imperiums notwendig eine totale sein. Daß sie daneben auch dem jüdischen Volke ein Schicksal bereiten, wird von ihnen noch nicht einmal notiert.
Der weitere Verlauf der Ereignisse in Rom bedeutet an sich für die Antipatriden eher eine Begünstigung als eine Gefährdung ihrer Ziele. Die Schlacht bei Philippi, in der Antonius und Octavianus sich gegen die Caesarenmörder behaupten, brachte den Osten des Imperiums unter die Verwaltung des Antonius, der schon aus der Zeit seiner Tätigkeit gegen die Aristobul-Anhänger – während der Amtsperiode des Gabinius – eine lukrative Freundschaft mit Antipater geschlossen hatte. Von ihm war also nichts zu befürchten. Zu besorgen war nur der gleichmäßig starke 121 Widerstand, der sich in Judäa gegen die Antipatriden behauptete und der sich jetzt – im Verfolg der wiederholten Umwälzungen in Rom – sofort nach einer neuen Möglichkeit der Betätigung umsah. Zu Antonius, der seine Provinzen besichtigt, begibt sich eine Gesandtschaft des judäischen Adels mit dem Ziele, die Beseitigung des Herodes und des Phasael zu bewirken. Sie haben allerdings nichts Gewichtigeres vorzubringen, als die längst bekannte Tatsache, daß diese Beiden das wirkliche Regiment im Lande innehätten, während Hyrkan nur noch ein Scheinregiment führe. Daß sie sich von solchen Vorstellungen einen Erfolg versprachen, besagt nur etwas für ihren völligen Mangel an politischem und psychologischem Augenmaß. Sie hatten es mit Rom zu tun, also mit einer politischen Größe. Was hatten sie da einzusetzen? Etwa das Versprechen einer besonderen Fügsamkeit gegenüber Rom? Oder besonders beträchtliche Geldmittel? Das eine wie das andere konnte Rom sich aus eigener Machtvollkommenheit erzwingen und mußte dafür nicht die ganz offenbare und erprobte Servilität der Antipatriden aufs Spiel setzen. An der Lösung irgendwelcher Probleme und Beschwerden, die die Judäer in ihrer Eigenschaft als Juden angingen, war Rom aber völlig uninteressiert. Es war also von ihm nichts zu erwarten.
Aber auch das psychologische Augenmaß versagte hier. Gewiß war es nicht das erste Mal, daß das Volk zu erkennen gab: es wollte diese Antipatriden nicht. Es hatte schon den Vater durch Meuchelmord beseitigt und wäre auch bereit gewesen, die Söhne in gleicher Weise zu beseitigen, 122 wenn sich das hätte bewirken lassen. Aber es war eine Fehlrechnung, zu erwarten, daß die Antipatriden etwa aus dieser konsequenten Ablehnung die Folgerungen ziehen würden. So nicht gewollt sein, so von seinem zukünftigen Volke mit dem entschiedensten Nachdruck abgelehnt, verachtet und verworfen werden, mußte gewiß für einen Menschen normaler Struktur die innere Unmöglichkeit bedeuten, ein solches Amt zu erstreben, geschweige denn anzutreten. Nichts dergleichen kam aber für die neuen Kronprätendenten in Frage. Der Widerstand oder die Zustimmung des judäischen Volkes war für sie eine Frage der politisch günstigen oder ungünstigen Konstellation, nicht eine psychologische Frage, nicht ein menschliches Problem, nicht eine Frage des Gefühls, des Wertes oder der Moral überhaupt. König eines Volkes sein bedeutete keine Frage der inneren, sondern der äußeren Legitimation. In Judäa wurden Könige gesalbt. In Judäa ruhte auf dem König – mochte er sein Amt noch so unausgefüllt lassen – der Abglanz der Berufung, deren Urquelle Theokratie hieß. In der Welt, der die Antipatriden geistig zugehörten, war der König der durch die Waffe, durch den Zufall, durch Mord oder Glück oder Erbschaft bestimmte Inhaber einer faktischen Gewalt, zu der nur der unmäßige Wille der Untertanen, ihre gläubige Ohnmacht vor der Gewalt zu bekunden, oftmals die göttliche Verehrung nachträglich hinzufügte; eine Verehrung, deren einzige Legitimation die Bereitschaft zum Dienste am Götzen war. Dieser Dienst konnte aber auch durch Befehl erzwungen werden. Was das Volk als solches dazu sagte oder 123 dachte, war dem Griechen, dem Römer, dem Hellenisten, dem Idumäer, dem Halbjuden an der Schwelle der Macht mehr als gleichgültig.
So war diese Aktion des Jerusalemer Adels bei Antonius von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er neigte den Argumenten des Herodes nur zu gerne sein Ohr und streckte nach den reichen Geschenken, die seine Argumente unterstützten, nur zu gerne die Hand aus. Es blieb alles beim Alten. Und doch geschieht bald darauf etwas Neues, als Einzelheit scheinbar Unwesentliches und im Zuge der Geschehnisse scheinbar Unorganisches und Isoliertes: in Ephesus, wo Antonius sich aufhält, erscheint eine Gesandtschaft des Hyrkan. Sie bittet um Freilassung derjenigen Judäer, die Cassius wegen des nicht abgelieferten Tributes als Sklaven verkauft hat, und um Rückgabe derjenigen Städte und Landteile in Galiläa, die die Tyrer zu jener Zeit an sich gerissen hatten. Beide Bitten werden erfüllt: Menschen und ihr Eigentum, Städte und Ländereien kehren zu Judäa zurück.
Daß Hyrkan selbst nicht zu einem solchen Schritt die Initiative ergriffen hat, ist bei seiner Trägheit und Inaktivität selbstverständlich. Hier wird die Handschrift des Politikers Herodes erneut sichtbar. Die erste Gesandtschaft, die des Volkes, die selbständige, revolutionäre und darum illegitime, war gescheitert. Diese zweite, offizielle und darum legitime, hatte vollen Erfolg. Sie ging mit einem sichtbaren Machtzuwachs des judäischen Staates aus. Im Ergebnis vermehrte sich des Herodes zukünftiger Besitz. Da der Widerstand des Volkes ihn zwingt, sich einstweilen noch hinter Hyrkan zu halten, und da doch die Situation Rom gegenüber 124 ihn berechtigt, die Hand, die er gerade eben dem neuen Herrn gegeben hatte, zum Empfang der Gegenleistung auszustrecken, ist diese hyrkanische Gesandtschaft zugleich eine politische, eine edle und eine einträgliche Gebärde. Während er sein Ziel nicht eine Sekunde aus dem Auge läßt, ist diese Aktion zugleich dazu bestimmt, auf den unruhigen Adel Eindruck zu machen.
Aber diese letztere Erwartung schlug fehl. Der Adel unternimmt vielmehr einen neuen Vorstoß bei Antonius: er soll Herodes und Phasael entlassen. Herodes wird unruhig, zumal Antonius jetzt so etwas wie ein kontradiktorisches Verhör in Daphne veranstaltet. Auf der einen Seite steht eine Delegation von hundert Jerusalemer Adligen, die sich die besten Redner verschrieben hatten; auf der anderen Seite Herodes, der das Schwergewicht der Situation dadurch anerkennt, daß er Hyrkan selbst zum Verhör mitbringt. Den Ausschlag für die Entscheidung des Streites gibt endlich Hyrkan selbst, und zwar nicht vermöge seiner Bedeutung oder seiner Gewandtheit, sondern aus der hilflosen und demütigenden Situation, in die hinein er durch des Antonius Fragestellung getrieben wird: wen er für fähiger halte, das Land zu regieren, den Adel oder die Antipatriden. Gegenüber dieser Frage, die ihm wirklich nichts weiter übrig läßt als die Stellung eines Sachverständigen und Hohenpriesters, muß er die Antwort geben, die sein längst fälliges Geschick mit ironischer Geste besiegelt: Herodes und seine Verwandtschaft.
Dieser Entscheidung des höchsten geistlichen Würdenträgers schließt Antonius sich an. Um der 125 Entschließung nach außen hin besondere Verbindlichkeit zu geben, ernennt er Herodes und seinen Bruder Phasael zu Tetrarchen Judäas, das bedeutet: er überträgt ihnen in aller Form die gemeinsame Herrschaft über das Land. Damit wird Hyrkan ebenso in aller Form in die für das Regiment selbst belanglose Würde des Hohenpriesters verwiesen. Die Theokratie hat damit selbst dem Namen nach aufgehört, für das Land und seine Verfassung eine Rolle zu spielen. Aber nicht das ist es, was die Gemüter in steigende Erregung versetzt. Die Vorstellung, daß der theokratische Staat eine weltliche Spitze bekommen habe, war längst Allgemeingut geworden. Sogar die Frage, welches das innere Gewicht dieser weltlichen Vertretung im judäischen Staate sein solle, war durch die außenpolitische Entwicklung in den Hintergrund gedrängt. Stärker gefährdet als die Theokratie und somit von aktuellerem Interesse war die Frage nach der Regentschaft selbst geworden. Die Hasmonäer hatten das Land in die Freiheit gehoben und dann ins Unglück gestürzt; aber noch in dieser verhängnisvollen Rolle schienen sie dem Volke legitimer als die idumäischen Emporkömmlinge, als diese verachteten Halbjuden, die mit voller Breite und Brutalität das Fremde, das Hellenistisch-Römische, das nicht zum Judentum und seinem Geist Gehörige verkörperten. Vor die Wahl gestellt, von eminent begabten Fremden oder von bedenklich unbegabten Eigenen regiert zu werden, entschied man sich für die Eigenen, für die Hasmonäer, diese Entscheidung war so durchaus gefühlsbetont, daß sie die Erinnerung an den Niedergang der hasmonäischen Dynastie 126 auslöschte. Die Sympathien für das bankerotte Herrschergeschlecht nahmen schlichte, fast simple patriotisch-nationale Formen an. Die letzte Hoffnung konzentrierte sich auf ein hoffnungsloses Geschlecht.
Herodes unterschätzte diese Bewegung nicht. So viel leidenschaftlicher Wille zur Revolte und Restauration konnte unter Umständen sogar auf Antonius Eindruck machen, denn die Aussicht auf ernsthafte Unruhen war gewiß eine Belästigung und Beeinträchtigung der freudenvollen Zeit, die er in Gemeinschaft mit der ägyptischen Kleopatra zu verbringen gedachte. Als darum erneut eine jüdische Abordnung sich nach Tyrus begab, wo sie Antonius anzutreffen hoffte, erreichten Herodes und Phasael es mit bedeutenden Bestechungsgeldern, daß Antonius den Tyrern Befehl gab, diese judäische Gesandtschaft nach Möglichkeit schon vor der Stadt unschädlich zu machen. Herodes selbst begab sich mit Hyrkan eiligst nach Tyrus, um die Gesandten abzufangen und sie vom Betreten der Stadt durch gütliches und durch drohendes Zureden abzuhalten. Da sie aber auf ihrem Willen bestanden, blieb nichts übrig, als sie den Schwertern römischer Soldaten auszuliefern. Die Gesandtschaft wurde unter Hinterlassung von Toten und Verwundeten zersprengt.
Aber die aufgespeicherten Energien drängten weiter in Richtung auf neue Versuche. Wieder kamen Vorgänge aus der Umwelt zur Hilfe. Die Parther, die schon zwanzig Jahre zuvor die Eroberungen des Pompejus zum Stillstand gebracht hatten, hielten die Zeit für einen Vorstoß in die asiatischen Provinzen Roms für gekommen. Octavianus war 127 in Italien beschäftigt, Antonius in Alexandrien. Der Weg nach dem Süden war frei. Zudem boten die Verhältnisse in Judäa die Möglichkeit einer einträglichen Expedition. Antigonus, der letzte Hasmonäer, hielt sich nach seiner Flucht aus Rom und nach den letzten gescheiterten Versuchen einer Restauration in Syrien auf, immer bereit, eine günstige Kombination auszunutzen. Das Eindringen der Parther nach Syrien gab eine solche Möglichkeit. Da er eigene Kräfte nicht mehr einzusetzen hatte, kaufte er sich die Hilfe der Parther. Er schloß mit ihnen einen Vertrag, wonach sie für ihn die Antipatriden bekämpfen und ihm den Thron verschaffen sollten. Die Gegenleistung betrug 1000 Talente und 500 Weiber. Während er selbst seine Leistung später nur unvollkommen erfüllte, hielten die Parther sich an die Abmachung. Zwei Heeresgruppen rückten in Palästina und Judäa ein; die eine von der phönizischen Küste her unter dem parthischen Königssohn Pacorus, die andere vom Binnenlande her unter dem Satrapen Barzaphranes. Zugleich rückte auch Antigonus mit einer kleinen Reiterschar vom Norden her in Judäa ein. Die Nachricht von seinem Auftauchen brachte viele Tausende in Bewegung, die sich ihm auf seinem Marsche nach Jerusalem spontan anschlossen. Es stellten sich ihm hier Energien zur Verfügung, die, wenn man sie hätte binden und ausnutzen können, beträchtliche Erfolge garantiert hätten. Einstweilen langten sie nur dazu, in Jerusalem einzudringen, die herodianischen Truppen zu überrennen und sie nach einem erbitterten Kampfe mitten in der Stadt in die Königsburg zurückzuwerfen. Die Stadt und der Tempel 128 blieben im Besitz des Antigonus, richtiger gesagt: im Besitz des Volkes, das für ihn kämpfte. Herodes verteidigte sich mit seiner gewohnten Energie, und wenn auch die Situation durch das Zuströmen großer Volksmassen anläßlich des Schewuothfestes immer bedrohlicher wurde, so war sie schon um deswillen nicht hoffnungslos, weil es auf Seiten der Belagerer keine geschlossene und energische Führung gab.
Erst die Ankunft des Pacorus verschob die Situation. Die parthischen Truppen wurden in die Stadt eingelassen. Aber sie traten zunächst nicht in Aktion, sondern dienten dazu, der Forderung des Pacorus Nachdruck zu geben: Hyrkan und die Antipatriden sollten sich in das Lager des Barzaphranes nach Galiläa begeben, um dort wegen des weiteren Ablaufs der Dinge und der Ordnung der Verhältnisse zu verhandeln. Phasael und Hyrkan waren dazu bereit. Herodes weigerte sich. Er war sich über den Ernst der Situation vollkommen klar. Dennoch war er nicht bereit, die Parther über seinen Anspruch entscheiden zu lassen. So lange nicht Rom mit seiner greifbaren Hilfe in der Nähe war, mußte er sich auf seine eigene Kraft und Hartnäckigkeit, auf die Ungeschicklichkeit des Antigonus und auf sein grenzenloses Glück verlassen.
Er tat recht daran. Pacorus hatte gar nicht die Absicht, hier irgend etwas zu ordnen. Er beschränkte sich darauf, Hyrkan und Phasael verhaften zu lassen und sie dann dem Antigonus auszuliefern, damit er seine Rechnung mit ihnen begleiche. Es geschah, soweit Hyrkan in Frage kam, in ungewöhnlich roher Weise. Er ließ ihm die 129 Ohren abschneiden; nicht um ihn zu quälen, sondern um ihn durch diese körperliche Verstümmelung weiterhin zum Amt des Hohenpriesters untauglich zu machen. Nachdem er ihn so zugleich für einen Regentenposten in Judäa ungeeignet gemacht hatte, lieferte er ihn wieder an die Parther aus, die ihn auf ihrem Rückzug aus Judäa mit nach Babylonien in die Gefangenschaft nahmen. Dem Phasael hatte Antigonus, da er ja nun mit Hilfe der parthischen Truppen Sieger geworden war, die Hinrichtung zugedacht. Phasael kam ihm zuvor. Verachteten die Hasmonäer die Idumäer als Halbjuden, so verachteten die Idumäer die Hasmonäer als feindliche Barbaren. Sich von ihnen strafen zu lassen, wäre eine Schande gewesen. Phasael zog es vor, sich den Kopf an einem Felsen zu zerschmettern. Es war das dritte Opfer, das die Antipatriden ihrem königlichen Anspruch brachten.
Als Herodes von der Gefangennahme Hyrkans und seines Bruders erfuhr, wußte er, daß er sich nur noch durch eine eilige Flucht retten konnte. Die Stadt und das Volk waren gegen ihn. Parthische Truppen warteten darauf, seiner habhaft zu werden und ihn dem Antigonus auszuliefern. Rom, die einzige Quelle der Hilfe, war weit. Die Streitkräfte, über die er verfügte – es waren immerhin 9000 Mann – genügten zur Rettung der Situation nicht. Da irgend ein Verzicht oder irgend eine Resignation für ihn völlig außerhalb jeder Erwägung standen, da es hier wie in jeder anderen Situation seines Lebens nur darauf ankam, sich mit Anspannung aller Kräfte zu behaupten, blieb als einzige Möglichkeit der 130 Rettung der Versuch, den Ring der Judäer und Parther zu durchbrechen, um draußen irgendwo Hilfe zu suchen. Bei Nacht und Nebel bereitete er seinen Auszug aus Jerusalem vor. Mit der Wegschaffung seines Vermögens hatte er keine große Mühe, denn der immer Mißtrauische und Vorsichtige hatte schon vorher den größten Teil seines persönlichen Besitzes nach Idumäa geschafft, in seine eigentliche Heimat, wo sein Reichtum sicherer aufgehoben war als in der Stadt, in der er eines Tages als König residieren wollte. Ein schweres Hindernis hingegen bedeutete die große Zahl seiner Familienmitglieder, seine Frauen und Kinder, seine Mutter und seine Brüder, seine Schwiegermutter und seine Gattin von morgen, dazu das gesamte zahlreiche Hausgesinde mit all ihrem Hab und Gut. Denn wie ein Nomade oder wie ein Wilder schleppte er stets alles mit sich, was ihm gehörte. Nicht das Geringste durfte in die Hände seiner Gegner fallen; und immer galt seine erste und größte Fürsorge den Mitgliedern seiner Familie, diesem einzigen Kreis von Menschen, der wirklich zu ihm gehörte und der die vollkommene Isolierung aufhob, in der er inmitten des judäischen Volkes dahinlebte. Gerade diese Fürsorge wäre ihm bei dieser Flucht bald zum Verhängnis geworden. Sein Abzug war bemerkt worden. Judäische und parthische Truppenteile setzten ihm nach. Er hatte sich durch eine Vielzahl kleiner Geplänkel hindurchzuschlagen. Überall traf er auf Hemmungen und Verzögerungen. Es war mehr als zweifelhaft, ob ihm der Durchbruch gelingen würde. Er begann die Nerven zu verlieren. Ein Unglücksfall kam hinzu: seine Mutter 131 strauchelte mit dem Maultier und verletzte sich. Die Sorge um ihr Schicksal und die Furcht, von den judäischen Truppen eingeholt zu werden, gaben seiner Selbstbeherrschung endlich den Rest. Er war bereit, seinem Leben in dieser hoffnungslosen Situation ein Ende zu machen. Nur mit Mühe konnten seine Freunde ihn davon abhalten, sich in sein Schwert zu stürzen.
Da seine Mutter sich erholte, konnte er endlich die Flucht fortsetzen. Aber inzwischen hatten ihn judäische Truppen eingeholt und griffen ihn an. Es ging um sein Leben und das der Seinigen. Er wehrte sich so verzweifelt, daß er sich endlich den Abzug erzwingen konnte. Späterhin verewigte er die Größe der Gefahr, in der er geschwebt hatte, und das Wunder der Rettung aus dieser Gefahr dadurch, daß er an eben dieser Stelle einen Palast und eine Stadt bauen ließ, die er Herodeion nannte.
Er setzte seine Flucht in Richtung auf die Festung Massada fort. Aber seine eigenen Truppen, deren er jetzt nicht mehr dringend bedurfte, wurden ihm zum Hindernis, da sie die Schnelligkeit seiner Flucht beeinträchtigten und zudem Massada sie nicht alle aufnehmen konnte. Er entledigte sich ihrer kurzerhand dadurch, daß er sie mit Proviant versah und ihnen anheim gab, sich zu zerstreuen und selber für ihr weiteres Schicksal zu sorgen. Seine Familie, sein Gesinde und eine geringe, aber zuverlässige Kerntruppe, die unter dem Befehl seines Bruders Joseph stand, brachte er in Massada unter, versorgte die Festung reichlich mit Wasser und Lebensmitteln, und machte sich dann mit einer geringen Begleitung auf den 132 Weg, um seiner gefährdeten und erschütterten Zukunft eine neue Grundlage zu verschaffen.
Da er den Tod seines Bruders Phasael noch nicht erfahren hatte, war seine erste Sorge darauf gerichtet, für ihn ein Lösegeld zu verschaffen. Er wandte sich in Richtung auf Petra, der Hauptstadt des Araberkönigs Malchus. Dieser Malchus war ihm aus früheren Unterstützungen zu Dank verpflichtet, aber er war jetzt nicht bereit, ihm diesen Dank abzustatten. Er sandte Herodes Boten entgegen und ließ ihm mitteilen, die Parther hätten ihm verboten, ihn bei sich aufzunehmen. Herodes hielt sich nicht bei Erwägungen über Dank und Undank auf, zog vielmehr aus der Tatsache, daß er geächtet und machtlos sei, die Folgerungen und kehrte um. Inzwischen erreichte ihn auch die Nachricht vom Tode des Phasael. Das bedeutete eine Erleichterung der Situation. Er hatte jetzt nur noch für sich selbst zu sorgen. Er wußte, daß Antonius, sein großer Protektor, sich in Alexandrien befand. Also machte er sich dahin auf den Weg. Er kam bis Pelusium. Dort gab es zahlreiche Juden, die schon seinem Vater Antipater gefällig gewesen waren. Aber ihn kannte man schon als Herodes. Keines der Schiffe, die im Hafen lagen, war bereit, ihn nach Alexandrien zu bringen. Er mußte sich an die Stadtvorsteher wenden, damit sie ihm ein Geleite verschafften.
Als er endlich in Alexandrien ankam, erwartete ihn die große Enttäuschung, daß Antonius bereits nach Rom abgereist war. Kleopatra selbst war nicht imstande – und auch nicht willens, wie er später erfuhr – ihm zu helfen. Sie empfing ihn zwar mit allen Ehren und war durchaus bereit, 133 ihm den im Augenblick leeren Platz an ihrer Seite einzuräumen, aber Herodes war für solche Ablenkungen von seinem Ziele nicht zugänglich. Zudem mahnte die Jahreszeit, der nahende Winter, zur eiligen Fortsetzung der Reise. Nachrichten über neuerliche Konflikte und Unruhen in Rom machten die Eile noch dringlicher. Boten benachrichtigten ihn, daß Antigonus sich zum König von Judäa ausgerufen habe und im Begriff sei, die Festung Massada zu belagern. Die Sorge um sein Amt, das damit faktisch erloschen war, und die Sorge um seine Familie peitschten ihn weiter. Er bestieg das erste beste Schiff und fuhr ab. Aber er kam nicht bis Italien. Ein Sturm verschlug das Fahrzeug und trieb es auf Rhodus zu. Dort landete er mit knapper Not nach Verlust seines gesamten Reisegepäcks. Das lähmte seine Energie nicht. Von Freunden, die er dort antraf, entlieh er sich Geld, rüstete damit eine Trireme aus und fuhr nach Italien weiter. Er landete in Brundusium. Von dort machte er sich sofort auf den Weg nach Rom, begab sich ohne jeden Aufenthalt zu Antonius und klagte ihm sein Leid: Phasael tot, Hyrkan gefangen, Antigonus König von Judäa, seine Familie in Massada von den Feinden belagert, er selbst, Herodes, der von Rom rechtmäßig eingesetzte Tetrarch des Landes, vertrieben und seines Amtes beraubt; und nur er, Antonius, als einzige Zuflucht und Möglichkeit der Hilfe.
Worauf dieses Verlangen nach Hilfe gerichtet war, stand nicht von vornherein fest. Herodes war Tetrarch von Judäa und konnte in dieser Eigenschaft wieder bestätigt werden. Aber die politische Situation des Landes hatte sich inzwischen 134 grundlegend geändert. Judäa hatte einen König. Der offizielle Hohepriester und Ethnarch Hyrkan war nicht mehr im Amte. Antigonus hatte es für sich selbst okkupiert. Aber diese Selbsternennung war ebenso wie seine Selbsterhebung zum König ein Akt, der ohne die Zustimmung Roms erfolgt war. Und hier ließ sich ein Hebel ansetzen, der nicht nur die Situation wieder ins Gleichgewicht brachte, sondern der auch Herodes noch bis über sein bisheriges Amt hinaus hochheben konnte. Gegen diese Selbstherrlichkeit des Antigonus, gegen dieses Agieren ohne die Genehmigung des großen Protektors – und nicht gegen den Feind des verjagten Tetrarchen, von denen der eine im Grunde Rom so gleichgültig war wie der andere – konnte Antonius im Senat die allgemeine Empörung hervorrufen. Für Rom und seine besonderen Rechtsvorstellungen war das Land Judäa im Augenblick ohne einen legitimen Regenten, und es war folglich Sache Roms, einen solchen zu bestimmen. Der gegebene Prätendent war Herodes. Er allein hatte nie etwas getan, was Rom mißfiel. Er war auch auf Grund seiner früheren Leistungen der gegebene Mann, gegen die Parther, die Feinde Roms, etwas zu unternehmen. Zu lösen blieb nur die Frage, in welcher Eigenschaft er es tun sollte.
Herodes wußte, daß Rom an sich die Königswürde – bei anderen Völkern – nur an Personen königlicher Abstammung zu vergeben pflegte. Da Judäa zur Zeit einen König hatte, mußte mit der Einsetzung eines Gegenkönigs gerechnet werden. Für diesen Fall hatte Herodes seinen zukünftigen Schwager Aristobulus, den Bruder der Mariamne und Enkel des Hyrkan, ins Auge gefaßt, wobei 135 ihm, Herodes, natürlich das wirkliche Regiment im Lande zufallen würde, zumal der Schwager noch sehr jung war. Aber da hier überhaupt eine Chance zu vergeben war, warum sollte er nicht den Versuch wagen, sie mit einem Sprung einzuholen? So unterließ er es nicht, dem Antonius erhebliche Geldsummen für den Fall zu versprechen, daß er seine, des Herodes, Einsetzung als König bewirken würde. Die Höhe der Beträge überzeugte Antonius, und auch der Senat ließ sich überzeugen, daß Herodes, wenn er König würde, in dieser seiner Eigenschaft den Krieg gegen die Parther besonders gut und erfolgreich werde führen können. Im Hintergrunde solcher Erwägungen stand selbstverständlich die Notwendigkeit, das verletzte politische Ansehen Roms wieder herzustellen. Da zudem Octavian nichts gegen ein solches Projekt einzuwenden hatte, und da zudem hier in Wirklichkeit nur ein Titel vergeben wurde, den es Herodes selbst überlassen blieb, zu realisieren, wurde seine Ernennung zum König von Judäa sowie zum Verbündeten und Vasallen Roms durch Senatsbeschluß vollzogen. In feierlicher Prozession, Octavian und Antonius zur Seite, und unter Begleitung aller Konsuln begab sich der neue König der Judäer zum Kapitol, wo den Göttern die offiziellen Opfer dargebracht und die Ernennungsurkunde hinterlegt wurde. Die Flucht des Idumäers war im Königtum geendet. (Ende des Jahres 40 vor der heutigen Zeitrechnung.)
Der gesamte Aufenthalt des Herodes in Rom hatte sieben Tage gedauert. Die Ereignisse hatten ihn wieder einmal bestätigt und gefördert. Allerdings hatte er jetzt den entscheidenden und 136 abschließenden Schritt selbst zu tun. Man hatte ihn zwar zum König von Judäa ernannt, in Wirklichkeit aber war er nur der von Rom aufgestellte Gegenkönig des Antigonus. Wie er sich mit dieser Gegnerschaft auseinandersetzte, blieb ihm überlassen. Er machte sich jetzt mit äußerster und gespanntester Energie an seine Aufgabe. Wenn es dennoch drei Jahre dauerte, bis er sein Ziel erreichte, so lag das nicht an der Person des Gegenkönigs, sondern an dem immer aufs neue aufflackerndem Widerstand des Volkes.
Antigonus selbst war in jeder Beziehung belanglos. Daß er sich nach seiner Selbstausrufung zum König zugleich zum Hohenpriester ernannte und sich als solcher, anknüpfend an den ersten großen Namen seines Geschlechts, Matthatias nannte, war eine rein formale Handlung, mit der er ein nun einmal bestehendes Amt in Besitz nahm. Vielleicht war es auch eine wohlwollende Gebärde zum pharisäischen Teil des Volkes hin; aber gerade hier hatte er mit seinem Verhalten gegen Hyrkan die spontanen Sympathien sogleich wieder verscherzt. Man hat ihm diese Barbarei der Verstümmelung nicht verziehen. Man war nicht bereit, selbst diesem letzten Hasmonäer gegenüber auf den moralischen Maßstab zu verzichten. Er hatte im übrigen auch nichts einzusetzen, um die Pharisäer, diesen entscheidenden Teil des Volkes, für sich zu gewinnen. Er war seinem ganzen Herkommen und seinem Wesen nach ein typischer Sadduzäer, zum Staate, zum Königtum und zur weltlichen Kultur ganz wie sie orientiert und völlig ohne die Möglichkeit, darüber hinaus irgend eine Idee oder auch nur eine Parole einzusetzen. Er stützte sich, 137 wie seine letzten Vorfahren, auf den Jerusalemer Adel und darüber hinaus auf jenen nicht deutlich abgegrenzten Teil des Volkes, der aus dem ewigen Widerstand gegen Rom und gegen die Antipatriden den Gedanken an eine politische Unabhängigkeit über jeden anderen Gedanken gestellt hatte. Aber selbst mit diesem Teil des Volkes, mit dem wirklich wehrhaften und national entschlossenen Teil, der besonders in Galiläa zuhause war und die Tradition des alten Revolutionärs Ezechias fortsetzte, konnte er nichts Erfolgreiches beginnen, weil er zu seiner Zusammenfassung und Führung vollkommen ungeeignet war. Da er nur um seiner Abstammung willen überhaupt vom Volke akzeptiert wurde, hätte es der Entfaltung besonderer Fähigkeiten und Energien bedurft, König und Volk zu einer Einheit zu machen. So aber entstand nur das Ergebnis, daß der König mit seinem Heere aus geworbenen Söldnern und das zur Verteidigung bereite Volk ganz selbständig und unabhängig von einander agierten. Statt den Widerstand gegen den zu erwartenden Angriff des Herodes zu organisieren, vergeudete er seine Zeit mit der Belagerung von Massada, wo knapp tausend Mann herodianischer Anhänger die Familie der Antipatriden verteidigten. Daß er sich bei solcher Unfähigkeit überhaupt einige Jahre halten konnte, beruhte lediglich darauf, daß er die zur Unterstützung des Herodes bestimmten römischen Truppenteile immer wieder durch Bestechung zur Untätigkeit veranlaßte. Den aus Rom entsandten Heerführer Ventidius, der schon bis in die Nähe von Jerusalem vorgedrungen war, bewog er durch reichliche Zahlungen, mit dem größten Teil seiner 138 Truppen abzuziehen. Ein Rest, der unter Silo zurückblieb, wurde durch das gleiche Mittel unschädlich gemacht; und Antigonus konnte hoffen, dieses Verfahren so lange fortzusetzen, bis die Parther ihm zum anderen Male zur Hilfe kommen würden.
Inzwischen war Herodes, von Italien kommend, in Ptolemais gelandet. Sofort begann er mit der Anwerbung eines Heeres und zog, von römischen Abteilungen unterstützt, in Eilmärschen nach Süden. Der größte Teil von Galiläa wurde überrannt. Jaffa, von dem er zu Recht befürchtete, es möchte ihm im Rücken gefährlich werden, wurde eingenommen und mit einer Besatzung versehen. Dann machte er sich zum Entsatz der Festung Massada und zur Befreiung seiner Familie auf. Auch das gelang auf den ersten Anstoß. Nachdem er alle seine Angehörigen nach Samaria in Sicherheit gebracht hatte, war er zum Angriff auf Jerusalem bereit. Zwar versuchte Antigonus, da er sich nicht weit von Jerusalem zu entfernen wagte, ihm unendlich viele kleine Hindernisse auf dem Wege zu bereiten, aber er war der Energie und der militärischen Begabung des Herodes in keiner Weise gewachsen. Herodes beseitigte ein Hindernis nach dem anderen, und eines Tages stand er vor Jerusalem. Aber er griff nicht an. Da er der Mitwirkung der römischen Truppen nicht ganz sicher war, hielt er es für geraten, vor den Mauern von Jerusalem zu verkünden, er sei zum Heile des Volkes und der Stadt gekommen und werde Niemandem, selbst seinen erbitterten Gegnern nicht, etwas zu Leide tun. Er fand geringen Glauben. Antigonus antwortete mit einem Appell an die 139 Römer, diesen Privatmann und Halbjuden Herodes nicht zu unterstützen. Wenn er schon selber nicht König bleiben könnte, so gäbe es doch noch andere legitimierte Anwärter von größerer Würde und von königlichem Geblüte, eine Anspielung, die Herodes sich sehr gut merkte und in sein späteres Programm aufnahm, um sie restlos zu beseitigen. Das Ende dieses Diskurses war eine gegenseitige Schimpfkanonade und der Beschluß des bestochenen Silo, sich mit seinen Truppen zu entfernen.
Unter diesen Umständen konnte Herodes einen Angriff auf Jerusalem nicht wagen. Er fühlte sich auch im Rücken bedroht. Die Eile, mit der er Galiläa durchzogen hatte, hatte die aktiven Kräfte dieser Provinz zwar für kurze Zeit verscheucht, aber sie nicht gelähmt. Sobald er vorüber war, sammelten sie sich von neuem. Er mußte jetzt alles gegen sie einsetzen, worüber er verfügte, und nur durch sein ganz persönliches Eingreifen konnte er eine schwere Niederlage seiner Truppen im letzten Augenblick verhindern. Die Erfahrungen, die er schon früher mit den Galiläern gemacht hatte, stellten aber klar, daß selbst ein solcher Sieg in offener Feldschlacht nichts Endgültiges bedeutete, denn diese unentwegten Revolutionäre zogen sich sogleich mit all ihren Angehörigen in die schwer zugänglichen Höhlen des Berglandes zurück, um von dort aus mit unaufhörlichen kleinen Angriffen vorzustoßen. Wollte er für die Eroberung Jerusalems wirklich frei sein, so mußte er vorab diese galiläischen Desperados auf die gründlichste Weise erledigen. Das gelang ihm in zwei Jahren mühevoller Kleinarbeit und 140 letztlich nur dadurch, daß Antigonus nichts tat, um seinen Galiläern zu helfen, und ferner dadurch, daß Herodes gegen diese isolierten Kämpfer eine besondere Kriegstechnik zur Anwendung brachte. Die Höhlen, in denen die Verteidiger Zuflucht fanden, lagen in steilen und zackigen Bergwänden, die nur schmale und gut geschützte Zugänge hatten. Sie von oben her oder von unten durch Klettern zu erreichen, war unmöglich. Herodes ließ jetzt große, mit Eisen beschlagene Kästen anfertigen. In diese Kästen postierte er gepanzerte Soldaten. Ihre besondere Waffe waren lange, mit eisernen Widerhaken versehene Stangen. Dann wurden die Kästen an Ketten über Seilwinden in die Tiefe gelassen, bis sie vor dem Eingang der Höhle hingen. Mit Feuerbränden und den eisernen Haken wurden die Galiläer angegriffen und nach verzweifelter Gegenwehr einer nach dem anderen in die Tiefe gerissen. Ein Teil streckte vor dieser bösartigen Technik die Waffen. Ein Teil zog den Freitod der Gefangenschaft vor. Es scheint, als sei diese Art der Selbstvernichtung, die er ja von seinem eigenen Bruder her kannte, nicht ganz ohne Eindruck auf Herodes geblieben. Einem alten Galiläer, der sich mit seinen sieben Söhnen in einer Höhle verteidigte, bot er die Freiheit an, wenn er die Waffen strecken würde. Der Alte verwarf das Angebot. Er machte mit eigener Hand sein Weib und seine Söhne nieder, trat in den Eingang der Höhle und warf sich in die Tiefe. Seine letzten Worte waren eine verächtliche Schmähung über die niedrige Abkunft des Idumäers Herodes. Jetzt konnte Herodes zu größeren Dingen übergehen. Als Verwalter dieses nunmehr beruhigten 141 Landstriches ließ er seinen Feldherrn Ptolemäus zurück, um sich selbst gegen Antigonus zu wenden. Aber er war kaum fort, als in Galiläa plötzlich wieder jüdische Truppen auftauchten, die herodianischen Abteilungen vernichteten, Ptolemäus töteten und sich dann hinter den Sümpfen in Sicherheit brachten. Herodes mußte erneut umkehren und Ordnung schaffen. Er sah ein, daß er auf diese Weise nie zu einem Ergebnis und nie zum ruhigen Besitz seiner Königswürde gelangen könnte. Das Volk, über das er herrschen wollte, mußte erst restlos niedergeschlagen werden, und dazu fehlte ihm die materielle Kraft. Sein Ruf um Hilfe an Rom wurde dringlicher. Da Antonius gegen die Parther Fortschritte machte, konnte er den Machaerus mit zwei Legionen und tausend Reitern dem Herodes zur Verfügung stellen. Aber Machaerus erwies sich als bedenklicher Bundesgenosse. Er ließ sich nicht nur von Antigonus bestechen, sondern raubte und plünderte auch nach Herzenslust im Lande. Herodes beschloß, bei Antonius selbst vorstellig zu werden. Er ließ seine Truppen unter dem Befehl seines Bruders Joseph zurück, schärfte ihm dringend ein, sich in seiner Abwesenheit auf keine Schlacht einzulassen und machte sich auf die Reise.
Es spricht für die Wertung, die er auch bei seinen Gegnern genoß, daß Antigonus erst in dem Augenblick, als er von der Abwesenheit des Herodes erfuhr, den Mut zum Losschlagen fand. Das Heer des Joseph wurde in der Nähe von Jericho überrannt und völlig aufgerieben. Joseph fiel. Antigonus ließ ihm in seiner Siegerfreude den Kopf abschlagen und verkaufte ihn gegen 50 Talente an 142 Pheroras, den dritten Bruder des Herodes. Ein wilder Kleinkrieg gegen alles Römische und Idumäische im Lande entbrannte. Es häuften sich Verzweiflungsakte von besonderer Grausamkeit. In Galiläa ertränkten die Revolutionäre kurzerhand alle Herodianer, deren sie habhaft werden konnten, im See von Genezareth.
Diese Ereignisse stellten Herodes vor die Notwendigkeit, mit der Eroberung seines Königtums ganz von vorne zu beginnen. Aber seine eigenen Kräfte reichten dafür nicht mehr aus. Wenn Antonius ihm nicht entscheidende Hilfe leistete, war das Spiel verloren. Antonius belagerte damals die Festung Samosata. Herodes begab sich zu ihm. Sein Anspruch auf wirksame Unterstützung war gerechtfertigt, denn schließlich hatte Rom ihn zum König eingesetzt. Sobald die Festung sich ergeben hatte und Antonius endlich zur Abreise nach Ägypten frei war, beauftragte er Sosius, den neuen Statthalter von Syrien, Truppen nach Judäa zu entsenden. Zwei Legionen begleiteten Herodes sofort. Der Rest des Heeres folgte in langsamen Märschen nach.
Herodes hatte Eile. Er durfte dem Antigonus keine Zeit lassen. Darum stieß er in schnellen Märschen über den Libanon nach Galiläa vor. Aber hier standen schon wieder judäische Truppen, als ob das Land unerschöpflich waffentragende Männer aus sich hervorbrächte. Herodes konnte sie nicht bezwingen. Er mußte die Ankunft einer weiteren Legion abwarten. Als sie endlich erschien, war der Feind verschwunden. Anderen Tages begegnete ihm Antigonus mit seinen Truppen selbst. Zu des Herodes gewohntem 143 Kriegsglück trug die Dummheit des Antigonus Entscheidendes bei. Antigonus wollte vor dem Gegner den Eindruck erwecken, als sei er so stark, daß er nicht einmal alle seine Truppen einzusetzen brauche. Er sandte daher einen Teil unter dem Feldherrn Pappus nach Samaria ab, vielleicht auch mit der Nebenabsicht, Herodes zu beunruhigen, weil in Samaria sich seine Familie aufhielt. Aber diese Zersplitterung der Kräfte verschaffte Herodes den Sieg. Dabei rächte er den Tod seines Bruders auf herodianische Weise. Der letzte Widerstand der Judäer hatte sich auf das Dorf Isanae konzentriert. Alle Häuser staken voll von Bewaffneten. Jedes Haus war eine Festung für sich. Herodes ließ sie einzeln erobern, indem er die Dächer abdecken und die Besatzung durch das Hineinwälzen von schweren Felsblöcken zerschmettern ließ. Damit schloß er diese Etappe seines Fortschritts ab.
Der nahende Winter hinderte ihn daran, jetzt den Marsch nach Jerusalem fortzusetzen. Er mußte sich gedulden, und seine Hartnäckigkeit brachte diese Geduld auf. Der Erfolg konnte trotz aller Rückschläge nicht ausbleiben. Er hatte jetzt genügend fremde Hilfe, und was er bei diesem Unternehmen einsetzte, waren fremde Menschen und fremde Kräfte. Er nutzte sie bis zur letzten Möglichkeit aus. Im Frühjahr des Jahres 37, drei Jahre nach seiner Ernennung zum König, zog er sein Heer vor Jerusalem zusammen. Von Phönizien her rückte Sosius mit den römischen Legionen an. Unter dem gemeinsamen Oberbefehl von beiden standen insgesamt 11 Legionen Fußvolk, 6000 Reiter und zahlreiche syrische Hilfstruppen, 144 insgesamt mehr als 30 000 Mann durchgebildeter Soldaten. Da Herodes gedachte, den Angriff des Pompejus auf Jerusalem zu kopieren, konzentrierte er seine Kräfte im Norden der Stadt, am Fuße des Tempelberges. Es war die Errichtung von drei riesenhaften Wällen vorgesehen, auf denen die Belagerungsmaschinen stehen und von denen aus der Sturm erfolgen sollte. Im weiten Umkreise um die Stadt wurden zu diesem Zwecke alle Bäume gefällt. Heiteres Frühlingswetter begünstigte den Fortgang der Arbeiten. Herodes konnte sich, während sie erfolgten, einstweilen einem wichtigeren Tun zuwenden.
Während das Land um Jerusalem in eine Einöde verwandelt wurde, während 30 000 fremde Krieger und Söldner die Belagerung und den Sturm zurüsteten, begab Herodes sich nach Samaria, wo er seine Familie untergebracht hatte. Mit dem großen Pomp, der eines Königs von morgen würdig war, feierte er dort die Hochzeit mit seiner Braut Mariamne, der Hasmonäerin. Es bestand ja kein Zweifel mehr daran, daß die römischen Truppen für ihn Jerusalem erobern würden und daß er der endgültige König des Landes sein würde. Angesichts dieser Zukunft durfte er zum ersten Male auch an dieses Volk der Judäer denken, dessen König er sein wollte. Es klammerte sich mit einer erschreckenden Hartnäckigkeit an die Hasmonäer. Darum wollte sich Herodes ihm als einer präsentieren, der mit den Hasmonäern nahe verwandt war, der ein wirkliches Mitglied der hasmonäischen Königsfamilie war und der mithin auf den Thron nicht nur aus äußeren, sondern auch aus inneren Gründen einen rechtmäßigen 145 Anspruch hatte. Er versprach sich davon eine bedeutende Wirkung auf einen großen Teil des Volkes. Daß er daneben durch eine primitive, urwüchsige, raubtierhafte Liebe zu der schönen Mariamne unmäßig gebunden war, stellt nur einen Zug in seinem persönlichen Schicksal dar.
Nach Beendigung der Hochzeitsfeierlichkeiten und nach Abschluß der Belagerungsarbeiten begab er sich wieder in das Feldlager vor Jerusalem. Aber die Dinge verliefen nicht ganz so leicht, als er sie sich gedacht hatte. Der Kampf war weit härter, als auch die Römer erwartet hatten. Zwar waren die Judäer ihnen an Kriegserfahrung unterlegen, aber im wirklichen Kampf, im Handgemenge waren sie ihnen durchaus gleichwertig. Dio Cassius vermerkt dazu: »Während dieser Belagerung taten die Juden den Römern viel Unheil an, denn diese Nation ist schrecklich in ihrem Zorn.« Die Verteidiger sahen den Belagerern sehr schnell die Technik der Belagerung ab. In zahllosen verwegenen Ausfällen zerstörten oder verbrannten sie die Belagerungsmaschinen, und den neu errichteten setzten sie Maschinen eigener Konstruktion entgegen. In Laufgräben und in unterirdischen Gängen arbeiteten sie sich an die Wälle heran, brachten sie zum Einsturz und schädigten und beunruhigten die Römer schwer. Gleichwohl wurden ihre Aussichten mit jedem Tag geringer. Die Stadt war mit Flüchtlingen aus den umgebenden Distrikten überfüllt. Man befand sich zudem in einem Schabbatjahr, in dem die Bebauung des Bodens ruhte, sodaß die Vorräte an Lebensmitteln beschränkt waren, während die Belagerer sich aus Raubzügen in die weitere Umgebung genügend 146 proviantieren konnten. Eine Gruppe von Einsichtigen, deren Wortführer Abtalion und Schemaja waren, riet dazu, diesem nutzlosen Widerstand ein Ende zu machen. Aber die Mehrheit des Volkes weigerte sich, vor dem Idumäer zu kapitulieren. So mußte ihr Schicksal sich, wenn auch durch Akte verzweifelter Gegenwehr verzögert, notwendig erfüllen.
Vierzig Tage dauerte es, bis es den Römern gelang, die erste Mauer zu zerstören. Dann sahen sie sich der zweiten Mauer gegenüber. Es dauerte weitere 15 Tage, ehe diese schwächere Mauer bewältigt wurde. Damit war die Eroberung der Unterstadt vollzogen. Es folgte die Einnahme der äußeren Teile des Tempels. Aber Antigonus konnte noch die Oberstadt und die inneren Tempelräume eine Zeitlang halten. Die Bitte der Belagerten an Herodes, er möge die Römer veranlassen, sie nicht in der Beschaffung der Tiere für den täglichen Opferdienst zu stören, brachte ihn auf den Gedanken, daß sie den Widerstand bald einstellen würden. Als er aber erkannte, daß hier nicht irgend ein Friedenswille zum Ausdruck kam, sondern nur die unbedingte und hartnäckige Bereitschaft, noch in dieser verzweifelten Situation nichts vom Brauche der Väter preiszugeben, und einem Gott, der nicht der Gott der Idumäer war, das Seinige zu geben – da ließ er zum entscheidenden Sturm ansetzen.
Der Sieg war ein vollkommener. Aber die römischen Soldaten, durch die lange Belagerung, den hartnäckigen Widerstand und die schweren Verluste aufs äußerste gereizt und verbittert, tobten wie die Bluthunde durch die eroberte Stadt. Das 147 war nicht mehr Eroberung; das war blankes Morden gegen Bewaffnete und Unbewaffnete, gegen Greise, Kinder und Frauen. Vergebens schickte Herodes Boten nach allen Seiten, daß mit dem Morden auf gehört werde. Es wurde im Gegenteil auch noch hemmungslos geplündert. Herodes eilte zu Sosius und beschwor ihn, er möge ihn nicht zum König über eine ausgeraubte Stadt von Leichen machen. Der Römer erklärte kühl, seinen Soldaten komme eine Belohnung für die ausgestandenen Strapazen zu. Herodes versprach, diese Belohnung aus eigener Tasche zu zahlen, obgleich er wußte, daß er sich die Mittel dazu auch nur wieder durch eine reichliche Ausplünderung der Bevölkerung verschaffen konnte. Seine letzte Sorge war, die Soldaten am Betreten der inneren Tempelräume zu hindern. Mit Überredung, Drohung und Waffengewalt brachte er sie von ihrem Vorhaben ab. Nichts, was die Interessen der Judäer anging, hatte Herodes bislang respektiert. Aber das begriff er, daß er die letzte Möglichkeit einer Verständigung für immer beseitigen würde, wenn er die Entweihung des Tempels durch Heiden zuließ. Er wußte, daß man ihm die Verantwortung dafür auferlegen würde – und vielleicht widerstand es ihm in einem Rest von Stolz und Selbstgefühl, daß fremde Söldner etwas sehen sollten, was ihm, als einem Nichtpriester, zu sehen verweigert war.
So gelang es ihm endlich, seine römischen Helfer zum Abzug zu veranlassen. Neben dem geplünderten Gut und dem von Herodes erpreßten Gelde nahmen sie noch eine wertvolle Beute mit sich: den gefangenen König Antigonus. Er hatte sich, bis das allgemeine Gemetzel begann, im Palast 148 verborgen gehalten. Dann kam er hervor, warf sich dem Sosius zu Füßen und bettelte um Schonung. Der Römer hatte Recht, als er ihn als feiges Weib beschimpfte, dem man den Namen Antigone geben müsse. Er ließ ihn gefangen nehmen und lieferte ihn bei seiner Heimkehr nach Syrien seinem Herrn Antonius ab.
Obgleich Antonius an diesem Siege über Jerusalem in keiner Weise beteiligt war, gedachte er dennoch, diesen lebendigen König mit sich nach Rom zu nehmen und ihn dort in seinem Triumphzuge als Trophäe zu verwenden. Diesen Triumph mochte Herodes ihm an sich gönnen; aber eine andere, viel weitergehende Erwägung beunruhigte ihn sehr. Seiner ewigen Abhängigkeit von Rom und damit der ewigen Unsicherheit seiner Stellung war er sich stets bewußt. Er existierte in aller Fülle der Macht nur von Roms Gnaden. Es war vorauszusehen, daß Antigonus in Rom vor den Senat gestellt werden würde, um sich dort zu verantworten. Herodes kannte seine römischen Freunde gut genug, um mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Antigonus immerhin seine königliche Abstammung gegenüber dem Emporkömmling in die Waagschale werfen könne, und, wenn auch nicht sich selbst, so doch seinen Kindern nach dem Recht der königlichen Erbfolge das Amt eines Königs in Judäa verschaffen könnte. Aber auch wenn das nicht geschah, so blieb ein lebender Antigonus doch immer ein lebender Hasmonäer, und da das Volk sich an die Hasmonäer nicht wegen ihrer persönlichen Eignung, sondern um des Prinzips willen und aus tiefstem Widerstand gegen die Idumäer klammerte, war es besser, wenigstens diesen 149 Repräsentanten zu beseitigen. Den Ehrgeiz des Antonius, einen lebendigen König im Triumphzug zu haben, beschwichtigte er durch bedeutende Zahlungen und durch den Hinweis darauf, daß das Volk immer noch zu Antigonus halte und um seinetwillen zu weiteren Aufständen und Unruhen bereit sei.
In der offiziellen Geschichtsschreibung der Zeit, bei Strabo, nehmen die Dinge und Vorgänge nachfolgende Fassung an: »Antonius ließ den Juden Antigonus nach Antiochia schaffen und ihn hier mit dem Beile hinrichten, und er war der erste unter den Römern, der einen König mit dem Beil vom Leben zum Tode bringen ließ. Er glaubte eben auf keine andere Weise die Juden dahin bringen zu können, daß sie den Herodes an Antigonus Stelle als König anerkannten, weil sie nicht einmal durch die Folter dazu gezwungen werden konnten, ihn König zu nennen. So groß war die Meinung, die sie von ihrem früheren König hatten. Deshalb meinte er, durch eine schmachvolle Hinrichtung das Andenken an Antigonus schwächen und den Haß der Juden gegen Herodes dämpfen zu können.«
So sah es Rom und so verstand es Rom. Und so setzte es seinen König auf den Thron von Judäa. –