Immanuel Kant
Kritik der praktischen Vernunft
Immanuel Kant

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Hier ist nun der Ort, das Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen Vernunft zu erklären: daß nämlich der Begriff des Guten und Bösen nicht vor dem moralischen Gesetze, (dem es dem Anschein nach so gar zum Grunde gelegt werden müßte,) sondern nur (wie hier auch geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse. Wenn wir nämlich auch nicht wüßten, daß das Prinzip der Sittlichkeit ein reines a priori den Willen bestimmendes Gesetz sei, so müßten wir doch, um nicht ganz umsonst (gratis) Grundsätze anzunehmen, es anfänglich wenigstens unausgemacht lassen, ob der Wille bloß empirische, oder auch reine Bestimmungsgründe a priori habe; denn es ist wider alle Grundregeln des philosophischen Verfahrens, das, worüber man allererst entscheiden soll, schon zum voraus als entschieden anzunehmen. Gesetzt, wir wollten nun vom Begriffe des Guten anfangen, um davon die Gesetze des Willens abzuleiten, so würde dieser Begriff von einem Gegenstande (als einem guten) zugleich diesen, als den einigen Bestimmungsgrund des Willens, angeben. Weil nun dieser Begriff kein praktisches Gesetz a priori zu seiner Richtschnur hatte; so könnte der Probierstein des Guten oder Bösen in nichts anders, als in der Übereinstimmung des Gegenstandes mit unserem Gefühle der Lust oder Unlust gesetzt werden, und der Gebrauch der Vernunft könnte nur darin bestehen, teils diese Lust oder Unlust im ganzen Zusammenhange mit allen Empfindungen meines Daseins, teils die Mittel, mir den Gegenstand derselben zu verschaffen, zu bestimmen. Da nun, was dem Gefühle der Lust gemäß sei, nur durch Erfahrung ausgemacht werden kann, das praktische Gesetz aber, der Angabe nach, doch darauf, als Bedingung, gegründet werden soll, so würde geradezu die Möglichkeit praktischer Gesetze a priori ausgeschlossen; weil man vorher nötig zu finden meinte, einen Gegenstand für den Willen auszufinden, davon der Begriff, als eines Guten, den allgemeinen, obzwar empirischen Bestimmungsgrund des Willens ausmachen müsse. Nun aber war doch vorher nötig zu untersuchen, ob es nicht auch einen Bestimmungsgrund des Willens a priori gebe (welcher niemals irgendwo anders, als an einem reinen praktischen Gesetze, und zwar so fern dieses die bloße gesetzliche Form, ohne Rücksicht auf einen Gegenstand, den Maximen vorschreibt, wäre gefunden worden). Weil man aber schon einen Gegenstand nach Begriffen des Guten und Bösen zum Grunde alles praktischen Gesetzes legte, jener aber ohne vorhergehendes Gesetz nur nach empirischen Begriffen gedacht werden konnte, so hatte man sich die Möglichkeit, ein reines praktisches Gesetz auch nur zu denken, schon zum voraus benommen; da man im Gegenteil, wenn man dem letzteren vorher analytisch nachgeforscht hätte, gefunden haben würde, daß nicht der Begriff des Guten, als eines Gegenstandes, das moralische Gesetz, sondern umgekehrt das moralische Gesetz allererst den Begriff des Guten, so fern es diesen Namen schlechthin verdient, bestimme und möglich mache.

Diese Anmerkung, welche bloß die Methode der obersten moralischen Untersuchungen betrifft, ist von Wichtigkeit. Sie erklärt auf einmal den veranlassenden Grund aller Verirrungen der Philosophen in Ansehung des obersten Prinzips der Moral. Denn sie suchten einen Gegenstand des Willens auf, um ihn zur Materie und dem Grunde eines Gesetzes zu machen, (welches alsdann nicht unmittelbar, sondern vermittelst jenes an das Gefühl der Lust oder Unlust gebrachten Gegenstandes, der Bestimmungsgrund des Willens sein sollte), anstatt daß sie zuerst nach einem Gesetze hätten forschen sollen, das a priori und unmittelbar den Willen, und diesem gemäß allererst den Gegenstand bestimmte. Nun mochten sie diesen Gegenstand der Lust, der den obersten Begriff des Guten abgeben sollte, in der Glückseligkeit, in der Vollkommenheit, im moralischen Gefühle, oder im Willen Gottes setzen, so war ihr Grundsatz allemal Heteronomie, sie mußten unvermeidlich auf empirische Bedingungen zu einem moralischen Gesetze stoßen; weil sie ihren Gegenstand, als unmittelbaren Bestimmungsgrund des Willens, nur nach seinem unmittelbaren Verhalten zum Gefühl, welches allemal empirisch ist, gut oder böse nennen konnten. Nur ein formales Gesetz, d.i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung der Maximen vorschreibt, kann a priori ein Bestimmungsgrund der praktischen Vernunft sein. Die Alten verrieten indessen diesen Fehler dadurch unverhohlen, daß sie ihre moralische Untersuchung gänzlich auf die Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut, mithin eines Gegenstandes setzten, welchen sie nachher zum Bestimmungsgrunde des Willens im moralischen Gesetze zu machen gedachten: ein Objekt, welches weit hinterher, wenn das moralische Gesetz allererst für sich bewährt und als unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens gerechtfertigt ist, dem nunmehr seiner Form nach a priori beistimmten Willen als Gegenstand vorgestellt werden kann, welches wir in der Dialektik der reinen praktischen Vernunft uns unterfangen wollen. Die Neueren, bei denen die Frage über das höchste Gut außer Gebrauch gekommen, zum wenigsten nur Nebensache geworden zu sein scheint, verstecken obigen Fehler (wie in vielen andern Fällen) hinter unbestimmten Worten, indessen, daß man ihn gleichwohl aus ihren Systemen hervorblicken sieht, da er alsdann allenthalben Heteronomie der praktischen Vernunft verrät, daraus nimmermehr ein a priori allgemein gebietendes moralisches Gesetz entspringen kann.

Da nun die Begriffe des Guten und Bösen, als Folgen der Willensbestimmung a priori, auch ein reines praktisches Prinzip, mithin eine Kausalität der reinen Vernunft voraussetzen: so beziehen sie sich, ursprünglich, nicht (etwa als Bestimmungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen in einem Bewußtsein) auf Objekte, wie die reinen Verstandesbegriffe, oder Kategorien der theoretisch-gebrauchten Vernunft, sie setzen diese vielmehr als gegeben voraus: sondern sie sind insgesamt modi einer einzigen Kategorie, nämlich der der Kausalität, so fern der Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben besteht, welches, als Gesetz der Freiheit, die Vernunft sich selbst gibt und dadurch sich a priori als praktisch beweiset. Da indessen die Handlungen, einerseits zwar unter einem Gesetze, das kein Naturgesetz, sondern ein Gesetz der Freiheit ist, folglich zu dem Verhalten intelligibeler Wesen, andererseits aber doch auch, als Begebenheiten in der Sinnenwelt, zu den Erscheinungen gehören, so werden die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien des Verstandes gemäß, aber nicht in der Absicht eines theoretischen Gebrauchs desselben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen, sondern nur um das Mannigfaltige der Begehrungen, der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen, Statt haben können.

Diese Kategorien der Freiheit, denn so wollen wir sie, statt jener theoretischen Begriffe, als Kategorien der Natur, benennen, haben einen augenscheinlichen Vorzug vor den letzteren, daß, da diese nur Gedankenformen sind, welche nur unbestimmt Objekte überhaupt für jede uns mögliche Anschauung durch allgemeine Begriffe bezeichnen, diese hingegen, da sie auf die Bestimmung einer freien Willkür gehen, (der zwar keine Anschauung, völlig korrespondierend, gegeben werden kann, die aber, welches bei keinen Begriffen des theoretischen Gebrauchs unseres Erkenntnisvermögens stattfindet, ein reines praktisches Gesetz a priori zum Grunde liegen hat,) als praktische Elementarbegriffe statt der Form der Anschauung (Raum und Zeit), die nicht in der Vernunft selbst liegt, sondern anderwärts, nämlich von der Sinnlichkeit, hergenommen werden muß, die Form eines reinen Willens in ihr, mithin dem Denkungsvermögen selbst, als gegeben zum Grunde liegen haben; dadurch es denn geschieht, daß, da es in allen Vorschriften der reinen praktischen Vernunft nur um die Willensbestimmung, nicht um die Naturbedingungen (des praktischen Vermögens) der Ausführung seiner Absicht zu tun ist, die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen warten dürfen, um Bedeutung zu bekommen, und zwar aus diesem merkwürdigen Grunde, weil sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen, (die Willensgesinnung) selbst hervorbringen, welches gar nicht die Sache theoretischer Begriffe ist. Nur muß man wohl bemerken, daß diese Kategorien nur die praktische Vernunft überhaupt angehen, und so in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen.

Tafel
der Kategorien der Freiheit in Ansehung
der Begriffe des Guten und Bösen

1.
Der Quantität
Subjektiv, nach Maximen (Willensmeinungen des Individuums)
Objektiv, nach Prinzipien (Vorschriften)
A priori objektive sowohl als subjektive Prinzipien der Freiheit(Gesetze)
 
2.
Der Qualität
3.
Der Relation
Praktische Regeln des Begehens (praeceptivae)
Praktische Regeln des Unterlassens (prohibitivae)
Praktische Regeln der Ausnahmen (exceptivae)
 
Auf die Persönlichkeit
Auf den Zustand der Person
Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen
 
4.
Der Modalität
Das Erlaubte und Unerlaubte
Die Pflicht und das Pflichtwidrige
Vollkommene und unvollkommene Pflicht

Man wird hier bald gewahr, daß, in dieser Tafel, die Freiheit, als eine Art von Kausalität, die aber empirischen Bestimmungsgründen nicht unterworfen ist, in Ansehung der durch sie möglichen Handlungen, als Erscheinungen in der Sinnenwelt, betrachtet werde, folglich sich auf die Kategorien ihrer Naturmöglichkeit beziehe, indessen daß doch jede Kategorie so allgemein genommen wird, daß der Bestimmungsgrund jener Kausalität auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligibelen Wesens angenommen werden kann, bis die Kategorien der Modalität den Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur problematisch, einleiten, welche nachher durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden können.

Ich füge hier nichts weiter zur Erläuterung gegenwärtiger Tafel bei, weil sie für sich verständlich genug ist. Dergleichen nach Prinzipien abgefaßte Einteilung ist aller Wissenschaft, ihrer Gründlichkeit sowohl als Verständlichkeit halber, sehr zuträglich. So weiß man, z.B., aus obiger Tafel und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von den Maximen, die jeder auf seine Neigung gründet, den Vorschriften, die für eine Gattung vernünftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen, gelten, und endlich dem Gesetze, welches für alle, unangesehen ihrer Neigungen, gilt, u.s.w. Auf diese Weise übersieht man den ganzen Plan, von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist.


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