Immanuel Kant
Zum ewigen Frieden
Immanuel Kant

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Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden.

Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch seyn.

Die erstlich nach Principien der Freyheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweytens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Unterthanen); und drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet seyn muß – ist die republikanischeRechtliche (mithin äußere) Freyheit kann nicht, wie man wohl zu thun pflegt, durch die Befugnis definirt werden: »alles zu thun, was man will, wenn man nur Keinem Unrecht thut.« Denn was heißt Befugnis? Die Möglichkeit einer Handlung, so fern man dadurch Keinem Unrecht thut. Also würde die Erklärung einer Befugnis so lauten: »Man thut Keinem Unrecht (man mag auch thun, was man will), wenn man nur Keinem Unrecht thut:« folglich ist es leere Tautologie. – Vielmehr ist meine äußere (rechtliche) Freyheit so zu erklären: sie ist die Befugnis, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beystimmung habe geben können. – Eben so ist äußere (rechtliche) Gleichheit in einem Staate dasjenige Verhältniß der Staatsbürger, nach welchem Keiner den andern wozu rechtlich verbinden kann, ohne daß er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu können. (Vom Princip der rechtlichen Abhängigkeit, da dieses schon in dem Begriffe einer Staatsverfassung überhaupt liegt, bedarf es keiner Erklärung). – Die Gültigkeit dieser angebohrnen, zur Menschheit nothwendig gehörenden und unveräußerlichen Rechte wird durch das Princip der rechtlichen Verhältnisse des Menschen selbst zu höheren Wesen (wenn er sich solche denkt) bestätigt und erhoben, indem er sich nach eben denselben Grundsätzen auch als Staatsbürger einer übersinnlichen Welt vorstellt. – Denn, was meine Freyheit betrifft, so habe ich, selbst in Ansehung der göttlichen, von mir durch bloße Vernunft erkennbaren Gesetze, keine Verbindlichkeit, als nur so fern ich dazu selber habe meine Beystimmung geben können (denn durchs Freyheitsgesetz meiner eigenen Vernunft mache ich mir allererst einen Begriff vom göttlichen Willen). Was in Ansehung des erhabensten Weltwesens außer Gott, welches ich mir etwa denken möchte (einen großen Acon), das Princip der Gleichheit betrifft, so ist kein Grund da, warum ich, wenn ich in meinem Posten meine Pflicht thue, wie jener Acon es in dem seinigen, mir bloß die Pflicht zu gehorchen, jenem aber das Recht zu befehlen zukommen solle. – Daß dieses Princip der Gleichheit nicht (so wie das der Freyheit) auch auf das Verhältnis zu Gott paßt, davon ist der Grund dieser, weil dieses Wesen das einzige ist, bey dem der Pflichtbegriff aufhört.
    Was aber das Recht der Gleichheit aller Staatsbürger, als Unterthanen, betrifft, so kommt es in Beantwortung der Frage von der Zuläßigkeit des Erbadels allein darauf an: »ob der vom Staat zugestandene Rang (eines Unterthans vor dem andern) vor dem Verdienst, oder dieses vor jenem vorhergehen müsse.« – Nun ist offenbar: daß, wenn der Rang mit der Geburt verbunden wird, es ganz ungewiß ist, ob das Verdienst (Amtsgeschicklichkeit und Amtstreue) auch folgen werde; mithin ist es eben so viel, als ob er ohne alles Verdienst dem Begünstigten zugestanden würde (Befehlshaber zu seyn); welches der allgemeine Volkswille in einem ursprünglichen Vertrage, (der doch das Princip aller Rechte ist) nie beschließen wird. Denn ein Edelmann ist darum nicht so fort ein edler Mann. – Was den Amtsadel (wie man den Rang einer höheren Magistratur nennen könnte, und den man sich durch Verdienste erwerben muß) betrifft, so klebt der Rang da nicht, als Eigenthum, an der Person, sondern am Posten, und die Gleichheit wird dadurch nicht verletzt; weil, wenn jene ihr Amt niederlegt, sie zugleich den Rang ablegt, und unter das Volk zurücktritt. –
. Diese ist also, was das Recht betrifft, an sich selbst diejenige, welche allen Arten der bürgerlichen Constitution ursprünglich zum Grunde liegt; und nun ist nur die Frage: ob sie auch die einzige ist, die zum ewigen Frieden hinführen kann?

Nun hat aber die republikanische Verfassung, außer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen zu seyn, noch die Aussicht in die gewünschte Folge, nämlich den ewigen Frieden; wovon der Grund dieser ist. – Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders seyn kann) die Beystimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, »ob Krieg seyn solle oder nicht,« so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Haabe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Uebermaße des Uebels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen: Da hingegen in einer Verfassung, wo der Unterthan nicht Staatsbürger, die also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigenthümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u. d. gl. durch den Krieg nicht das Mindeste einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustparthie aus unbedeutenden Ursachen beschließen, und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Corps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann.

* * *

Damit man die republikanische Verfassung nicht (wie gemeiniglich geschieht) mit der demokratischen verwechsele, muß Folgendes bemerkt werden. Die Formen eines Staats (ciuitas) können entweder nach dem Unterschiede der Personen, welche die oberste Staatsgewalt inne haben, oder nach der Regierungsart des Volks durch sein Oberhaupt, er mag seyn welcher er wolle, eingetheilt werden; die erste heißt eigentlich die Form der Beherrschung (forma imperii), und es sind nur drey derselben möglich, wo nämlich entweder nur Einer, oder Einige unter sich verbunden, oder Alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen (Autokratie, Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt). Die zweyte ist die Form der Regierung (forma regiminis), und betrifft die, auf die Constitution (den Akt des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder republikanisch oder despotisch. Der Republikanism ist das Staatsprincip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der Gesetzgebenden; der Despotism ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird. – Unter den drey Staatsformen ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Worts, nothwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin Alle, die doch nicht Alle sind, beschliessen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freyheit ist.

Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig, wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besondern unter jenem im Untersatze) seyn kann, und, wenn gleich die zwey andern Staatsverfassungen so fern immer fehlerhaft sind, daß sie einer solchen Regierungsart Raum geben, so ist es bey ihnen doch wenigstens möglich, daß sie eine dem Geiste eines repräsentativen Systems gemäße Regierungsart annähmen, wie etwa Friedrich II. wenigstens sagte: er sey bloß der oberste Diener des StaatsMan hat die hohe Benennungen, die einem Beherrscher oft beygelegt werden (die eines göttlichen Gesalbten, eines Verwesers des göttlichen Willens auf Erden und Stellvertreters desselben), als grobe, schwindlich machende Schmeicheleyen oft getadelt; aber mich dünkt, ohne Grund. – Weit gefehlt, daß sie den Landesherrn sollten hochmüthig machen, so müssen sie ihn vielmehr in seiner Seele demüthigen, wenn er Verstand hat (welches man doch voraussetzen muß), und es bedenkt, daß er ein Amt übernommen habe, was für einen Menschen zu groß ist, nämlich das Heiligste, was Gott auf Erden hat, das Recht der Menschen zu verwalten, und diesem Augapfel Gottes irgend worinn zu nahe getreten zu seyn, jederzeit in Besorgnis stehen muß., da hingegen die demokratische es unmöglich macht, weil Alles da Herr seyn will. – Man kann daher sagen: je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch allmähliche Reformen sich dazu endlich zu erheben. Aus diesem Grunde ist es in der Aristokratie schon schwerer, als in der Monarchie, in der Demokratie aber unmöglich anders, als durch gewaltsame Revolution zu dieser einzigen vollkommen rechtlichen Verfassung zu gelangen. Es ist aber an der RegierungsartMallet dü Pan rühmt in seiner Genietönenden, aber hohlen und sachleeren Sprache: nach vieljähriger Erfahrung endlich zur Ueberzeugung von der Wahrheit des bekannten Spruchs des Pope gelangt zu seyn: »laß über die beste Regierung Narren streiten; die bestgeführte ist die beste.« Wenn das soviel sagen soll: die am besten geführte Regierung ist am besten geführt, so hat er, nach Schwifts Ausdruck, eine Nuß aufgebissen, die ihn mit einer Made belohnte; soll es aber bedeuten, sie sey auch die beste Regierungsart, d. i. Staatsverfassung, so ist es grundfalsch; denn Exempel von guten Regierungen beweisen nichts für die Regierungsart. – Wer hat wohl besser regiert als ein Titus und Markus Aurelius, und doch hinterließ der eine einen Domitian, der anders einen Commodus zu Nachfolgern; welches bey einer guten Staatsverfassung nicht hätte geschehen können, da ihre Untauglichkeit zu diesem Posten früh genug bekannt war, und die Macht des Beherrschers auch hinreichend war, um sie auszuschließen. dem Volk ohne alle Vergleichung mehr gelegen, als an der Staatsform (wiewohl auch auf dieser ihre mehrere oder mindere Angemessenheit zu jenem Zwecke sehr viel ankommt). Zu jener aber, wenn sie dem Rechtsbegriffe gemäß seyn soll, gehört das repräsentative System, in welchem allein eine republikanische Regierungsart möglich, ohne welches sie (die Verfassung mag seyn welche sie wolle) despotisch und gewaltthätig ist. – Keine der alten so genannten Republiken hat dieses gekannt, und sie mußten sich darüber auch schlechterdings in den Despotism auflösen, der unter der Obergewalt eines Einzigen noch der erträglichste unter allen ist.


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