Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Beim Glase!

Lessing sagt: »Jeder Mensch hat seine eigene Meinung, so wie seine eigene Nase.« – Trinken Sie, meine Herren! – Sehen wir nur das Treiben der Menschen auf der Erde und fragen wir uns, was eigentlich die Menschen wollen? so wissen wir nichts darauf zu antworten. Die Gelehrten aber, die sich gewöhnlich langer Nasen erfreuen, haben auch über dieses Thema eine lange Meinung. Sie behaupten nämlich, des Menschen höchster Lebenszweck sei die Erforschung der Wahrheit. Wir wollen hier nicht erwähnen, daß unsere Gelehrten, um uns irgend eine Meinung beizubringen, uns zugleich eine Nase drehen, oder ohne Metapher, daß sie uns zu Gunsten der Wahrheit sehr oft belügen. Wir fragen hier nur: Wo ist die Wahrheit zu finden? Und die Antwort ist: Im Wein! Ist das auch wahr? Wir wollen sehen! –

90 Die größte Aehnlichkeit mit dem Menschen hat nicht der Affe, wie viele Naturforscher behaupten, sondern der Wein! – Trinken Sie doch, meine Herren! – Kaum zur Reife gediehen, wird er gestoßen, gerüttelt, mit Füßen getreten und auf die Folter gelegt, bis er seinen Geist – nicht aufgibt, sondern – von sich gibt. Je geistreicher er ist, desto mehr wird er gepeinigt. Aber damit sind die Quäler noch nicht zufrieden; sie treiben förmlichen Schacher mit seinem Talente. – Trinken Sie, meine Herren! – Als ein wahres Genie wird er in den Kerker gesteckt und muß, vom Kopf bis zum Hals in Pech, Jahre lang in dunkeln Räumen schmachten. Ein großer Geist wird aber durch Unglück und rohe Behandlung nicht schlimmer, sondern besser. So auch der Wein. Denn in den Kellern lebt er seiner innern Gedankenwelt und hier geht seine Geistesentwickelung der höchsten Stufe der Vollkommenheit entgegen. – Stolz, wie jedes Genie, ist auch der Wein. Den Plumpen, den Einfältigen wirft er in den Koth; den erhabenen, ihm verwandten Genius aber, trägt er hoch in die Wolken und raunt ihm himmlische Gedanken ins Ohr. – Trinken Sie, meine lieben Herren! – Wie jeder Geist, ist der Wein ein Feind der Lüge. Was aber ist die größte Lüge? – Es ist die Behauptung, daß die Erde still 91 stehe. Wie lange haben die Menschen dieser Lüge nicht geglaubt! Da nahm Gallileo Gallilei den funkelnden Pokal und trank, und trank und trank, bis seine ganze Vaterstadt mit ihren stolzen Thürmen und Pallästen, mit ihren graden Straßen und krummen Philistern, bis alles um ihn wie im fröhlichen Reigen wirbelte. Da gelangte er zur göttlichen Wahrheit, daß sich die Erde drehe, daß sie lustberauscht um das ewige Sonnenlicht hüpfe. Die feisten Männlein legten zwar den großen Geist auf die Folter, aber dennoch log er nicht. Denn er war erleuchtet von dem flammenden Geiste des Weines; drum sprach er: e pure se muove! – Trinken Sie, meine Herren!

Sie kennen wohl das Sprichwort: »Einem Trunkenen gehört die ganze Welt!« das ist eine große Wahrheit! denn als einst der unsterbliche Christoforo Colombo die funkelnden Thränen seines Bechers weggeküßt, als er in demjenigen Zustande war, wo sich zwar gewaltige Zweifel der Beine bemächtigen, wo aber der Geist lodert von tausendfarbigen Himmelskerzen: da fehlte dem großen Genuesen ein gar gewaltiges Stück von seiner Welt. »Das muß ich mir doch holen!« sprach er. – Trinken Sie, meine Herren! – Und er holte es trotz des Spottes und des Hohnes der Philister, und diese Havanna-Cigarre, die ich jetzt rauche, sie hab' ich dem großen 92 Weltentdecker zu verdanken. – Und was geschah einst in der edeln Stadt Mainz? – Ich will es Ihnen berichten. Dort saß eines Abends in seinem düstern Stübchen ein gar gewaltiger Mensch, Johannes Gutenberg benamet. Der hatte immer große Gedanken im Kopfe. Als er nun am selbigen Abend einige Flaschen reinen Ingelheimer geleert, da sprangen seine Gedanken als geharnischte Riesen aus seiner Stirn und wuchsen so hoch, daß sie die Decke des Zimmers und den Giebel und das ganze Dach des Hauses auseinander drückten, so, daß die goldenen Sterne hereinblickten in die dunkle Zelle des deutschen Mannes. Den Riesen aber ward's bald zu enge im Zimmer und sie wollten fort. Wohin? – Das weiß man nicht! Da erfand der wackere Mann eine gar listige Kette und sie wurden gefesselt und mußten den Menschen dienen zu jeder Zeit. – Trinken Sie, meine Herren! – Eine alte Hexe aber, Barbara Censura genannt, die war den Gedanken gram, daß sie den Menschen dienten. Und sie setzte sich auf einen Besenstiel und ritt zum Blocksberg, wo die ganze Hexenzunft einen gar gräulichen Lärmen verführete. Und sie bat den Junker Urian, ihr eine gewaltige Scheere zu schmieden, um damit den Gedanken die Köpfe abzuzwacken. Junker Urian willfahrete ihrem Begehr und machte ihr eine 93 Scheere, die reichte von Stolpe bis Trier und war ihr an Schärfe keine Schneiderscheere zu vergleichen auf dem ganzen Erdreiche. Und wo Frau Censura mit ihrer scharfen Nase einen Gedanken aufschnupperte, da ging's sogleich an ein Kopfabzwacken. Wollt' aber doch nichts nutzen; vielmehr wuchsen statt eines Kopfes mehr denn zwanzig Köpfe aus dem Rumpfe, so daß es ihr gar sehr zur innern Herzenskränkung gereichte und sie oft in vollem Aerger zum Teufel fuhr.

Was betrachten Sie meine Füße, hochzuverehrende Herren? Glauben Sie, daß der Mensch an Würde verliert, wenn er wackelt? hat nicht ein Esel vier gesunde Füße? Und geht der Esel nicht sicher und fest? Und hat Lord Byron nicht blos einen gesunden Fuß gehabt? Aber ist darum ein nüchterner Esel ein edleres Geschöpf als ein trunkener Byron? – Das mögen die Esel sich einbilden! – Schenken Sie ein, meine Herren! – Durch seinen Umgang erkennt man den Menschen. Das ist wieder eine Wahrheit! Was sollen wir von Leuten denken, die den Thee lieben? Gewiß sind solche Leute keines riesengroßen Gedankens fähig. Es sind sentimentale, versandete, mondsüchtige, zahme Wesen. – Was sollen wir von Leuten denken, die nur den Kaffee lieben? Gewiß sind sie philisterhafte, klatschlustige Naturen, denen 94 nichts so sehr am Herzen liegt, als die Gesundheit des Herrn Bürgermeisters oder die Frisur der Frau Gerichtsschreiberin. – Was sollen wir von Leuten denken, die den Schnaps lieben? – O meine hochzuverehrenden Herren! In dem übelklingenden, juchtenledernen Wort: »Schnaps« liegt die ganze Leibeigenschaft mit ihrem verruchten Scepter. Nein, der wahre Himmelstrank ist Rebensaft! – Trinken Sie, meine Herren! – Sehen Sie, hier stehen unsere treuen Brüder. Betrachten Sie den witzigen Kapellenberger! den stolzen, geistreichen und tiefdenkenden Scharlachberger! den sich genügenden genialen Rüdesheimer! Das sind Freunde, die es gut mit einem deutschen Kumpan meinen; denn der im Winkel dort mit der bleiernen Mütze ist ein Franzos, Namens Champagner. Er ist zwar ein wilder, aufbrausender Bursche; aber es steckt nicht viel dahinter. – Ich bitte Sie, meine Herren! lassen Sie den Ritter von Rüdesheim aus dem gläsernen Verließ. Nur einen vermiß ich hier, den ehrenfesten und gestrengen Dr. Johannisberger. Dieser Generalstabsarzt aller Leiden läßt sich die Visite mit 11 Gulden honoriren. Es ist ein unpopulärer Arzt. Immerhin! wenn er nicht kommen will, so laß er's bleiben! Meine Herren, tanzen Sie nicht so wild! Bleiben Sie fein ruhig sitzen! Warum lachen Sie, meine Herren? 95 Etwa gar, weil ich unterm Tische liege? O, nicht wo der Mensch ist, sondern was der Mensch ist, kann die Frage sein. Und was bin ich? O, ich bin nicht betrunken, Gott behüte! Trinken Sie, meine Herren! – Trinken – trinken – 96

 


 


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