Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Maulwurf Parnack

1. Kapitel.

Den Aberglauben, der die Zahl 13 mit einem verhängnisvollen Etwas umkleidet, habe ich bisher stets belächelt.

Seit jenem 13. Mai 1922 tue ich es nicht mehr. Das Lächeln verging mir damals. Ich gewöhnte es mir im Obstkahn des Herrn Julius Tscheskowitz ab, die Zahl 13 zu verspotten. –

Am Morgen dieses 13. Mai standen Harald Harst und ich nach einer ruhig durchschlafenen Nacht und nach einem gediegenen Frühstück im Gemüsegarten des Harstschen Familienhauses in Berlin-Schmargendorf, Blücherstraße 10, und ärgerten uns über einen Maulwurf, der uns die tadellos in Ordnung gebrachten Gurkenbeete durch die bekannten Erdauswürfe verunstaltet hatte.

»Es sind genau dreizehn Maulwurfshaufen,« sagte Harald, auf den Spaten gelehnt, die Zigarette im Mundwinkel.

»Wenn schon!« meinte ich. »Wir kriegen ihn doch. Es gibt so viele Fangmethoden.«

»Wen?«

»Na – den Maulwurf!«

»Den menschlichen, nämlich Freund Gisbert Parnack, nicht wahr? Diesen Parnack, der uns gestern in der Passauerstraße wieder entwischte und der nun sein die menschliche Gesellschaft schädigendes Treiben, seine Maulwurfsarbeit, natürlich fortsetzen wird. Vielleicht heute schon – heute am 13ten. Wer kann das wissen?! Zuzutrauen ist ihm alles. – Hast Du übrigens in der Morgenzeitung diese ungeheuerliche Indiskretion bemerkt?«

»Welche denn?«

»Das Testament der Rätin Anna Sturz, geborenen von Bonnzaart, ist dort wortgetreu veröffentlicht. Nur einer der bei der gestrigen Jagd beteiligten Kriminalbeamten kann es abgeschrieben und der Redaktion die Abschrift verkauft haben. Nun erfährt Freund Parnack brühwarm, wohin ich die fünf goldenen Löffel, die Familienstücke des erloschenen Geschlechts derer von Bonnzaart, abliefern werde, eben an den Erben der ermordeten Rätin, den Bankbeamten Ernst Schönborn. Auch das steht in der Zeitung. Ich ...«

»Aber – er entwischte doch durch den Schrank und das Wandloch in die Nebenwohnung, wo er sein zweites Quartier hatte. Wie kann er da ...«

Hinter uns die Stimme der alten Mathilde:

»Die Post – die Post, drei Briefe.«

Harst nahm die Briefe in Empfang.

Besichtigte die Anschriften – stutzte ...

»Hm – dieselbe Handschrift bei allen dreien, – merkwürdig.«

Die Briefe waren in Berlin aufgegeben.

»Hier – der erste ist gestern um sieben Uhr abends abgestempelt. Der zweite um 11 Uhr, der dritte heute um sechs Uhr früh, und alle Berlin W. 57. Das ist das Postamt in der Steinmetzstraße. Mir scheint ... mir scheint ...«

Und langsam schnitt er den ersten Brief auf ...

»... mir scheint, das ist Gisbert Parnack, der sich dreifach meldet. Es fehlte nur noch, daß er gleich dreizehn Briefe gesandt hätte – am dreizehnten – bei dreizehn Maulwurfshaufen!«

Ich lachte. »Ueber den Unsinn mit der dreizehn sind wir doch erhaben!«

Harald hatte den billigen Briefbogen herausgezogen, las vor:

Berlin, den 12. Mai 1922.

Herr Harst. Sie haben mich heute im Hause Passauerstraße 161 wie eine Stecknadel gesucht. Gestatten Sie, daß ich Ihnen mitteile, wo ich verborgen war: dort, wo Ihre phänomenale Schlauheit mich natürlich nicht vermutete: im Unterteil des Büfetts im Speisezimmer der armen Rätin!

Harst sank der Arm herab ...

»Donnerwetter, daran haben wir alle freilich nicht gedacht, daß der Kerl in die Wohnung der Rätin zurückgekehrt sein könnte!« meinte er kopfschüttelnd. »Stimmt – da haben wir uns blamiert!«

»Laß mich weiterlesen ...«

Als Sie mit Ihren Schergen durch die Flurtür in die Nebenwohnung eindrangen, schlüpfte ich wieder durch das Loch zurück und gelangte glücklich bis in das Büfett. Es war dort etwas eng. Dafür habe ich aber auch mit angehört, wie Sie meiner Freundin Anna Holm und Ihrer Garde das Testament mit dem ganzen Pathos des genialen Verbrecherfängers vorlasen. Das Testament war mir neu. – Nun zu dem eigentlichen Zweck dieses Briefes. Sie wissen, daß ich noch im Besitz der drei Aktien der Mexikanischen Silbergrubengesellschaft bin, die ich der Rätin mit sanftem Zwang abgekauft habe. Da ich die Aktien nicht mehr verwerten kann, nachdem das Testament bekannt geworden, biete ich sie dem Erben zum Rückkauf an. Die Aktien haben einen Wert von etwa vierzig Millionen Mark. Ich gebe sie für die Hälfte her. Sollte Herr Ernst Schönborn sie zurückkaufen wollen, so mag er morgen am 13ten mittags 12 Uhr an einem der Vorderfenster seiner Wohnung ein grünes Tuch für fünf Minuten befestigen – hellgrün bitte –, das weit zu erkennen ist. Ich werde mich mit ihm dann in Verbindung setzen.

Ich schreibe diesen Brief in der Passauerstraße 161 in der soeben von der Polizei versiegelten Wohnung der Sturz in aller Sicherheit und Ruhe.

Ihr ergebenster
Gisbert Parnack
auch Justizrat Dr. Finster.

Harald schob den Brief in den Umschlag zurück ...

»Parnack war bei Laune, mein Alter!«

»Wer weiß, was die beiden anderen bringen ...«

Und er schnitt den Umschlag des Briefes auf, der gestern um 11 Uhr abends abgestempelt war.

Las vor:

Drei Stunden nach meinem ersten Brief.

Herr Harst! Sie werden staunen!! Nachdem ich mit meinem ersten Schreiben an Sie fertig war, habe ich mir den Spaß gemacht, den alten Rokokoschreibtisch der seligen Rätin so etwas genauer zu besichtigen. Ich liebe alte Möbel. Auch in meinem Herzen schlummert in einem Winkelchen ein Hang zur Romantik, der zuweilen erwacht. So gestern auch.

Denken Sie: der Rokokoschreibtisch stammt fraglos aus dem Nachlaß eines fürstlichen Herrn. Und diese Herrschaften hatten stets schon eine Vorliebe für Verstecke, wo sie die toten oder lebenden Erinnerungen ihrer geheimsten Neigungen unterzubringen pflegten.

Kurz: ich habe in dem Schreibtisch ein Bündel Papiere entdeckt, Papiere, die mir Seine einstige Königliche Hoheit der ..., aber nein, das will ich für mich behalten, was für eine Königliche Hoheit in Betracht kommt. Jedenfalls – der Erlauchte wird ohne Zweifel diese Papiere erwerben und zwar für eine höhere Summe, als die ganze Erbschaft der seligen Rätin, die fünf goldenen Löffel eingerechnet, ausmacht.

Ich bin Ihnen daher auch zu großem Dank verpflichtet. Nur durch Ihr gestriges Eingreifen wurde ich in das Büfett gejagt. Nur so kam mir der Gedanke, Möbelstudien zu treiben.

Also – mit dem Ausdruck tiefsten Dankes
verbleibe ich Ihr allzeit ergebenster
Gisbert Parnack.

Diesen Brief schreibe ich in dem Schlemmerlokal Nachteule am Kurfürstendamm, wo ich Stammgast bin.

Harald schnitt ein merkwürdiges Gesicht, als er den Briefbogen in den Umschlag zurücksteckte.

»Entweder will er mich ärgern oder ...«

Und – abermals da Mathildes liebliche Kellerstimme hinter uns:

»Ein Klijent – ein Klijent! Ein ganz feiner! Mit Monokel!«

Mathilde war auf Klienten jetzt beinahe erpichter als wir, seitdem der Marksturz Harald gezwungen hatte, aus der Liebhaberei einen Beruf zu machen.

Mit dem Schürzenzipfel hielt sie Harst eine Visitenkarte hin.

Harald überflog die Karte, reichte sie mir, meinte gedehnt:

»Hm – ob das schon der Rokokoschreibtisch ist?« Dann zu Mathilde: »Führe den Herrn in mein Arbeitszimmer. Ich werde sofort erscheinen.«

Die dicke, grauhaarige Köchin eilte davon.

Auf der Karte aus feinstem Büttenpapier stand unter einer Krone:

Graf Herbert Alexander Schink-Barnfeld
Bevollmächtigter S. Kgl. Hoheit des Großherzogs
von Sorringen.
Berlin W, Ansbacher Str. 84.

Wie ich so die fein gestochene Karte anschaute, kam mir geradezu blitzartig ein Verdacht, dem ich auch sofort Worte verlieh.

»Harald, wenn die Schreibtischgeschichte Schwindel wäre! Wenn dieser Graf Schink-Barnfeld vielleicht gar unser Parnack wäre!«

Harst wiegte den Kopf hin und her, öffnete den dritten Brief, sagte bedächtig:

»Möglich ist ja alles bei diesem Menschen. Obwohl ich es nicht glaube. Einen Grafen darzustellen, den es tatsächlich gibt – denn ich habe den Namen dieses Bevollmächtigten letztens noch irgendwo gelesen – ist nicht so einfach, mein Alter. – Aber nun mal erst Brief Nr. 3 ...«

Und er las vor:

Berlin, 13. 5. 1922. morgens ein Uhr.

Herr Harst, um Mißverständnissen vorzubeugen: es bleibt natürlich bei der Verabredung betreffs des grünen Tuches am Fenster! Wollen Sie also Herrn Ernst Schönborn rechtzeitig benachrichtigen.

Ihr ergebenster ... Vielnamiger.

Nachschrift. Ich habe noch gestern abend dem Bevollmächtigten des Großherzogs telephonisch Bescheid gesagt und ihm auch gleich erklärt, daß die Papiere von mir sofort an die Berliner Montagsstimme verkauft werden, falls er sich etwa an Sie wendet, damit Ihre Genialität die Blamage von dem erlauchten Hause abwende.

»So – nun kommt der Graf heran,« meinte Harald kühl. Wir schritten dem Hause zu, gingen in Harsts Schlafzimmer, tauschten die Arbeitsjoppen gegen würdigere Bekleidungsstücke aus und ... schoben für alle Fälle die entsicherten und gespannten Clementpistolen in die Außentaschen. Das hatte Harald so gewollt.

Und – dann der Graf Schink-Barnfeld ...!!

Ein Kapitel für sich. Aber im guten Sinne.

... Ein älterer Herr, ein echter Aristokrat in allem. Kein Hampelmann vom allerjüngsten Adel.

Liebenswürdig, vornehmer, kühl-abwägender Diplomat. –

Was er uns mitteilte, stimmte mit Parnacks Briefangaben überein.

»Herr Harst, der Mann erklärte mir, die von ihm gefundenen Papiere seien tagebuchartige Aufzeichnungen des Großvaters meines Herrn,« äußerte er sich zum Thema weiter. »Es ist richtig, daß diese Aufzeichnungen stets vermißt und eifrig gesucht worden sind, und es besteht kaum ein Zweifel, daß Parnack sie nun in Händen hat. Er verlangt fünfzig Millionen Mark dafür. Ich habe mich sofort auch telephonisch mit dem Großherzog in Verbindung gesetzt. Er bittet Sie, das Tagebuch Parnack irgendwie wieder abzunehmen.«

Harald zuckte leicht die Achseln.

»Ob ich dies vermag, ist fraglich. – Die Aufzeichnungen sind dem Inhalt nach für die Oeffentlichkeit nicht recht geeignet, Herr Graf?«

»Nein – nein! Die Veröffentlichung muß unbedingt verhütet werden.«

»Parnack hat Ihnen mit einem sofortigen Verkauf der Papiere gedroht?«

»Ja, Herr Harst. Ich sollte Sie aus dem Spiele lassen.«

Das Telephon auf dem Schreibtisch schrillte. Der Graf fuhr nervös zusammen.

Harst eilte hin, nahm den Hörer ab.

»Ja – hier Harald Harst. Ah, Herr Parnack!! – Wie bitte? – So, Sie werden die Aufzeichnungen noch heute vormittag dem Skandalblatt anbieten? – Warten Sie noch einen Moment. Der Graf ist noch bei mir –

»Herr Graf,« wandte er sich an den Bevollmächtigten. »Parnack hat Sie beobachten lassen, weiß, daß Sie mich aufgesucht haben. Er will ...«

»Ich habe gehört, Herr Harst.« Der Graf sprang auf. »Der Verkauf muß unbedingt verhindert werden. Halten Sie diesen Menschen hin. Ich biete ihm dreißig Millionen – mehr nicht!«

Dreißig Millionen waren im Mai 1922 noch eine ganz anständige Summe.

Harald rief Parnack wieder an.

»Dreißig Millionen sollen Sie haben ... – Wie?! Keine Rede davon?«

Und mit einem Male legte er den Hörer weg.

»Er hat angehängt, Herr Graf. Trotzdem seien Sie ohne Sorge. Ich werde die Sache erledigen. Mir ist etwas eingefallen.«

Der Graf fragte nicht weiter, was dies wäre, verabschiedete sich nach einigen rein geschäftlichen, das Honorar betreffenden Bemerkungen und wurde von uns bis in den Vorgarten begleitet, da er sich noch über die Architektur des Harstschen Familienhauses und die friedliche Stille in der Blücherstraße geäußert hatte.

Sein Auto stand vor der Gitterpforte. Gerade als er eingestiegen war, kam ein jüngerer Herr die Straße entlang, ein Mensch von übertrieben eleganter Aufmachung, grüßte noch sehr tief in den Kraftwagen hinein und stelzte mit seinen tadellosen Bügelfalten auf uns zu.

Ein nichtssagendes Gesicht, kurzer, blonder Bürstenschnurrbart, etwas Hängebacken, Kneifer ohne Fassung.

Um den linken Unterarm und den hellen Filzhut trug er einen Trauerflor.

Lüftete den Hut, deutete eine Verbeugung an.

»Ernst Schönborn,« stellte er sich vor.

Wir nannten unsere Namen.

»Die Polizei hat mich bereite morgens davon verständigt«, erklärte er, »daß ich Erbe der Rechnungsrätin Sturz geworden bin.«

Aha – also der Mann, der das grüne Tuch zum Fenster hinaushängen sollte!

»Ich habe mir für zwei Stunden Urlaub geben lassen, Herr Harst« fuhr er fort. »Ich möchte mit Ihnen über die drei amerikanischen Aktien sprechen. Wenn ich auch nicht in schlechten Verhältnissen lebe, so möchte ich doch gerade diese wertvollen Aktien ungern ...«

»Sehr begreiflich, Herr Schönborn« nickte Harst. »Wollen Sie nicht bitte nähertreten?«

»Ich habe wenig Zeit. Ich soll auch noch nach dem Präsidium kommen, Herr Harst. Würden Sie bereit sein, gegen ein dem Werte der Aktien ...«

Harald hatte bereits Parnacks Brief Nr. 1 aus der Tasche gezogen.

»Lesen Sie, Herr Schönborn.«

Als dieser den Brief überflogen hatte, krauste er die Stirn, murmelte:

»Heute um zwölf soll das Tuch am Fenster sichtbar sein! Und bis elf habe ich nur Urlaub. Zu dumm!!«

Er blickte Harald an. »Dann muß ich meiner Frau telephonisch Bescheid sagen, Herr Harst. Vielleicht sind Sie so liebenswürdig, meiner Frau alles Nötige ebenfalls noch zu erklären. Ich fürchte, daß sie diese grüne Tuch-Benachrichtigung für ... für einen Witz halten würde, wenn ich ihr ...«

»Soll geschehen, Herr Schönborn. Sobald Ihnen dann von Parnack weitere Mitteilungen irgendwie zugestellt worden sind, könnten Sie mich ja wieder aufsuchen.«

»Wenn Sie gestatten ... – Ich muß mich verabschieden. Die Herren entschuldigen ...«

»Halt – wollen Sie nicht gleich die fünf Löffel mitnehmen, Herr Schönborn? Ich möchte sie gern loswerden. Es ist mir unbehaglich, diese schweren, goldenen Familienstücke noch länger aufzubewahren.«

Schönborn sah nach der Uhr.

»Gut, ich nehme sie mit. Im Tresor der Deutschen Bank sind sie sicher.«

Gleich darauf schritt er mit dem kostbaren Päckchen in der Hand davon.

»Kein sehr sympathischer Mensch,« meinte Harst. »So, nun aber an die Arbeit! Ich will Dir ausnahmsweise meinen Schlachtplan jetzt schon enthüllen, lieber Alter. Parnack wird doch heute mittag 12 Uhr entweder selbst, dann natürlich in Maske, oder durch einen seiner Vertrauten aus der Kaschemmen-Brüderschaft die Fenster der Schönborns am Elisabethufer beobachten oder beobachten lassen. Ihn oder diesen Beauftragten herauszufinden, ist meines Erachtens nicht allzu schwer. Dies können wir beide natürlich nicht allein erledigen. Ich werde Bechert bitten, daß er uns sechs Kriminalbeamte zur Verfügung stellt.«

Er blickte auf das Zifferblatt der Standuhr.

»Halb elf. Es ist höchste Zeit. – Alles weitere hörst Du aus meinen Telephongesprächen heraus.«

Zuerst rief er Kriminalkommissar Bechert an. Doch der war dienstlich abwesend. Sein Kollege Doktor Volkmer versprach dann, die sechs Beamten Punkt drei Viertel zwölf in zweckmäßigen Verkleidungen in einer Kneipe der Oranienstraße unweit des Konfektionshauses Maaßen bereitzuhalten.

»Noch einen Moment, Doktor,« meinte Harald dann. »Ich möchte nochmals die Wohnung der Rechnungsrätin Sturz in der Passauerstraße in Augenschein nehmen. Die Wohnung ist gestern versiegelt worden. Die Schlüssel hat der Assistent Watzke an sich genommen. Vielleicht senden Sie mir die Schlüssel sofort zu nebst der schriftlichen Erlaubnis, die Siegel entfernen zu dürfen. – So, danke, Doktor, mehr habe ich vorläufig nicht auf dem Herzen. – Ob es um Gisbert Parnack geht?! Und ob!! – Wiedersehen. Nochmals besten Dank.«

Dann kam die Berliner Montagsstimme an die Reihe.

»Herr Chefredakteur von Gerngroß ...? – Ja, hier Harald Harst. Ich wollte Sie nur vor einem Betrüger warnen, der Ihnen gefährliche Aufzeichnungen irgend einer Fürstlichkeit vielleicht anbieten wird. Der Mann macht aus diesen Fälschungen neuerdings ein Geschäft. Sollte er sich melden, so geben Sie mir bitte Nachricht. – Oh – keine Ursache zu danken. – Nein, Kosten entstehen Ihnen nicht. Keine Sorge. Schluß.«

Und als er abgehängt hatte: »Krämerseelen!!«

Dann zu mir: »Nun Frau Schönborn!«

Er blätterte im Telephonbuch ...

Nahm den Hörer. »Moritzplatz 10220 ... – Frau Schönborn selbst? Nein? – So, Herr Schönborn ist zu Hause? Dann mag er an den Apparat kommen ...«

Und er drehte sich langsam um, schaute mich an – mit einem Gesicht – – einem Gesicht!!

Den Hörer hatte er am Ohr ...

»Herr Schönborn? – Hier Harald Harst – – Ha – rald Harst – Ja – Harald Harst ... – Haben Sie Ihre Gattin bereits informiert, Herr Schönborn? – – Worüber? – Ja, verzeihen Sie, waren Sie denn nicht vor zwanzig Minuten bei mir in der Blücherstraße? – Nein?! – Wie – Sie sind krank? Grippeanfall – schon auf dem Wege der Besserung?«

Und jetzt schnitt Harst mir ein Gesicht – ein geradezu klägliches!!

Dann informierte er Herrn Schönborn betreffs der drei Silberaktien und des grünen Tuches.

Er tat es sehr zerstreut, wiederholte sich oft, wurde ungeduldig über Schönborns Zwischenfragen – des echten Schönborn!!

Denn – das war ja klar: der patente Herr mit dem affektierten Gang und der Ladestockverbeugung war – Gisbert Parnack gewesen!!

Nun legte Harald den Hörer endlich auf die Stütze zurück.

Ließ sich in den Schreibsessel fallen ...

»Mein Alter, wir sind über den Löffel barbiert – – der Löffel wegen!! Dieser Parnack – – dieser Parnack!! Nun hat er die fünf goldenen Dinger, und wir haben das Nachsehen – die Blamage!! – Gib mir eine Mirakulum. Mir ist ganz schwach geworden. Unheimlich schwach.«

Er rauchte drei Züge ...

»Sag' doch selbst: hatte der Kerl die geringste Aehnlichkeit mit Parnack?! Sah er nicht wie dreißig aus?! Und – grüßte er nicht in das Auto des Grafen hinein, als ob der Graf ihm persönlich bekannt wäre! Das war der feinste Schachzug lieber Alter! Es liegt ja so nahe, daß Schönborn als Beamter der Deutschen Bank den Grafen irgendwie geschäftlich kennen gelernt hat!«

Dann flog der Rest der Zigarette in den Aschbecher.

Harald sprang auf.

»Vorwärts! Maskierung! – Ich werde Dich wiedersehen, Freund Parnack. Letzten Endes wirst Du der über den Löffel Barbierte sein!«

*

 

2. Kapitel.

Der Schauspieler, der abends auf der Bühne einen Mummelgreis von 80 Jahren darstellt, hat es leicht. Das Rampenlicht verwischt alles, dazu die Entfernung bis zum Zuschauer: kein Schminkstrich tritt grell hervor, keine Perücke, kein falscher Bart sind zu erkennen.

Aber für das Tageslicht als Sechsunddreißigjähriger sich um dieselbe Anzahl Jahre älter machen – das ist eine Kunst!

Bei Tageslicht als Detektiv in einer Maske auftreten, ohne daß Schminke und sonstige Hilfsmittel auffallen, das ist etwas anderes, als den alten Moor in den Räubern mimen! –

Harst hatte seine eigene Methode unser Aeußeres zu verwandeln.

Und als wir um halb zwölf das Haus durch den Vordergarten verließen (obwohl doch Parnacks Kaschemmengarde fraglos unser Heim bewachte!), sahen wir zwei älteren, schlicht gekleideten Provinzlern so ähnlich wie ein Ei dem anderen.

Da fehlte nichts: sogar der charaktervolle, handfeste Regenschirm nicht! Da blinkten die den teuren Zeiten angemessenen Gummikragen bläulichweiß an unseren Hälsen im Lichte der fröhlichen Maisonne, da kamen die Eisenschlipse von geradezu teuflischer Geschmacklosigkeit so recht zur Geltung. Da glänzten die Sommermäntel an Aermeln und Aufschlägen leicht speckig, und die schwarzen Schnürschuhe bewiesen ihre jahrelange Treue durch dick gesteppte Risse auf dem Oberleder.

Die beiden Provinzler bestiegen ein Auto, das Harst telephonisch an die Ecke Blücher- und Dahlemerstraße bestellt hatte – ein geschlossenes Auto, dessen Chauffeur wir kannten.

Der Mann fuhr über den Fehrbelliner Platz wie ein Verrückter, schwenkte rechts ab, kam an einer Baubude dicht vorbei, stoppte etwas.

Wir sprangen hinaus – hinter die Bude. Das Auto fuhr weiter.

Und sahen, wie ein Motorradfahrer hinter dem Kraftwagen blieb: Parnacks Gardist!

Nahmen ein anderes des Weges kommendes Auto, ließen uns nach der Oranienstraße zum Blauen Kater bringen, betraten die Kneipe, gingen nach hinten, am Büfett vorbei.

In dem »Klubzimmer« saßen die sechs Kriminalbeamten, der Wirt, ein früherer Kollege der sechs, leistete der Polizei noch heute wichtige Dienste, war im Zimmer, begrüßte uns durch einen Händedruck, der nicht von ohne war.

Wir warfen die Mäntel, die Anzüge ab, klebten andere Bärte vor.

Die Kluft, die wir bisher durch die Provinzlertracht verhüllt hatten, war die von Arbeitern.

Harst gab seine Befehle aus, die Beamten gewannen Interesse.

»Schönborn wohnt Nr. 239 im ersten Stock rechts. Die Baumreihe an der Wasserseite der Straße macht es unmöglich, die Fenster der Wohnung etwa vom anderen Ufer zu beobachten. Wer das grüne Tuch sehen will, muß am Elisabethufer stehen oder dort entlanggehen. Unsere Aufgabe wird nicht allzu schwierig sein. Wir verteilen uns, nehmen jeden fest der nach den Fenstern emporblickt.« –

Einzeln verließen wir den Blauen Kater.

Ich schlenderte über die Oranienbrücke, machte an dem Wagen eines Fruchteisverkäufers halt und kaufte mir den kühlen Leckerbissen.

Sprach mit dem Händler, einem Kriegsbeschädigten.

Drüben lag Nr. 239.

So eine bessere Mietskaserne.

Da waren die Fenster. Ich konnte sie bequem überschauen.

Da war linker Hand die Promenade am Wasser entlang, das Eisengeländer, die Bäume.

Und ein großer Obstkahn war hier vertäut.

Eine breite Laufplanke mit Geländer führte vom Achterdeck an Land.

All das interessierte mich nicht. Ich hatte nur Augen für die Vorübergehenden.

Der Verkehr war nicht allzu lebhaft. Es war glühend heiß. Der Mai 1922 versprach einen festlichen Sommer.

Unsere Hilfstruppen in allen möglichen Verkleidungen umschwärmten das Haus.

Jetzt erschien an einem der Fenster drüben ein blasser Herr mit blondem Spitzbart und hängte einen hellgrünen langen Fetzen über das am Fensterkreuz außen befestigte Thermometer, schaute eine Weile auf die Straße hinab und verschwand.

Ich belauerte jeden Passanten.

Kein einziger kümmerte sich um das grüne Stück Stoff da oben.

Und so ging die Zeit hin. Ich sog an der zweiten Portion Eis.

Der grüne Fetzen wurde von dem blassen Herrn wieder entfernt.

Harald, der als Straßenreiniger eifrig möglichst viel Staub mit einem Besen aufgewirbelt hatte, unterstützt von zweien der Beamten im selben Kostüm, verschwand über die Oranienbrücke.

Im Blauen Kater fanden wir uns wieder zusammen.

Harst war etwas verstimmt. Der Mißerfolg ärgerte ihn.

Die Beamten schworen Stein und Bein, daß sie es hätten bemerken müssen, wenn jemand zu dem Fenster emporgeblickt hätte.

Ich selbst erklärte, wir hätten doch die Vorübergehenden so bequem beobachten können. Da sei doch nicht einer gewesen, der auch nur etwas die Nase gehoben hätte.

Harst bestellte Bier, Zigarren.

Als der Wirt die Zigarren brachte (wir beide schlüpften bereits wieder in das Provinzlerkostüm), gab er Harald einen frisch zugeklebten Brief, auf dem mit Bleistift stand:

Herrn H. Harst, Blauer Kater.

In dem Umschlag ein Zettel:

Wozu das Massenaufgebot?!! Sie hätten zu Schönborn kommen sollen. Ich bin bereits einig mit ihm. – Parnack.

Harst biß sich auf die Lippen, steckte den Brief ein, zahlte und verließ mit mir die Kneipe.

»Zu Schönborn also!« sagte er nur. –

Herr Ernst Schönborn empfing uns mit äußerster Zurückhaltung.

»Gewiß will ich Ihnen mitteilen, wie sich Parnack hier einführte, Herr Harst,« meinte er frostig. »Drei Minuten vor zwölf kam ein Gaskontrolleur zu uns, notierte den Gasmesserstand, füllte neues Wasser in den Automaten und verlangte die Leitung auf absolute Dichtigkeit zu prüfen. Als ich den grünen Stoff heraushängte, war er gerade im Speisezimmer, fragte mich: »Wozu das?! Soll die Sonne das Thermometer nicht bescheinen?« – Meine Frau war in der Küche. Ich erwiderte, das Thermometer sei in Unordnung. Bei zu starker Bestrahlung fließe das Quecksilber aus. Da grinste der Mann mich an und sagte leise: »Ich bin Gisbert Parnack.« – Er hielt mir einen Revolver vor die Nase und fügte hinzu: »Wenn Sie von dem, was wir der drei Mexikaner wegen zu verhandeln haben, Harald Harst etwas erzählen, verbrenne ich die Aktien. Außerdem dürften Sie dann mal eine Ueberraschung erleben, die schlimmer als Grippe ist.« Sie werden einsehen, Herr Harst, daß ich unter diesen Umständen Sie bitten muß, nicht weiter mit Fragen in mich zu dringen.«

Harald verbeugte sich. »Allerdings. – Parnack hat leider die fünf goldenen Löffel mir abgelistet, Herr Schönhorn. Ich ...«

»Oh,« fiel der Bankbeamte ihm rasch ins Wort, »die Löffel hatte Parnack mit. Ich habe sie ihm abgekauft oder besser eingetauscht. Was ich ihm für die Löffel gab, muß ich verschweigen.«

Wir drei standen in Schönborns Herrenzimmer. Er hatte uns nicht einmal zum Platznehmen aufgefordert.

»Dort liegen die Löffel noch, Herr Harst. Meine Frau will sie sofort nach der Bank in ein Safe bringen.«

Harald trat auf den Schreibtisch zu. »Sie gestatten, Herr Schönborn.« Und nahm die Löffel ...

Reichte mir einen.

Ich kannte sie ja: das Wappen der Familie von Bonnzaart, das Monogramm H. v. B.

»Parnack hat Sie betrogen,« sagte Harst, frostiger noch als Schönborn bisher gesprochen hatte. »Dies sind ganz geschickte Nachahmungen, nichts weiter. – Wir wollen Sie nicht länger belästigen. Auf Wiedersehen, Herr Schönborn. Die ersten Löffel werde ich hoffentlich auch finden.«

Der arme Kerl war in einen Sessel geplumpst.

Wir schritten die Treppe hinab, in die Mittagshitze hinaus, bestiegen eine Straßenbahn und fuhren heim.

Erst in der Blücherstraße sagte Harald zu mir:

»Parnack macht sich!! Der Mensch kann was! Das ist ein Typ für sich. Wir müssen die Sache anders anfangen.«

*

 

3. Kapitel.

Kaum waren wir im Hausflur, als Mathilde hinten die Küchentür aufriß und uns zukreischte:

»Ein Herr Schönborn hat angerufen. Ein neuer Klient ... Herr Harst möchte doch gleich telephonisch mitteilen, sobald er daheim ist. Moritzplatz 10220 ist die Nummer.«

»Nun werden wir ja wohl auch erfahren, was Parnack dem zugeknöpften Herrn Schönborn für die »goldenen« Löffel abgeknöpft hat,« meinte Harald und ging in sein Arbeitszimmer.

Schönborn schien auf den Anruf voller Unruhe gewartet zu haben. Er meldete sich sofort. Harst flüsterte mir zu, was der geneppte Bankbeamte mitzuteilen hatte.

»Entschuldigen Sie, Herr Harst, daß ich Ihnen gegenüber so ablehnend mich verhielt. Sie müssen aber einsehen, wie unangenehm meine Lage war. Die drei Mexikaner sind ja heute viele Millionen wert. Ich habe nun mit meiner Frau alles besprochen. Ich mußte Parnack für die fünf Löffel ein Armband, eine lange, goldene Damenuhrkette meiner verstorbenen Mutter, ferner ...«

Es hat keinen Zweck, die zwölf Gegenstände hier aufzuzählen, die Parnack dem Ehepaar abgeschwindelt hatte. Jedenfalls hatte er sich neue Geldsachen geben lassen, hatte noch den Großmütigen gespielt und sich mit Wertgegenständen begnügt, für die er etwa nur ein Viertel soviel herausschlagen konnte wie für die »goldenen Löffel«, die ja des Wappens wegen, wie er betont hatte, für ihn zu schwer verkäuflich wären.

»Was nun die drei Aktien betrifft, Herr Harst,« jammerte Schönborn weiter, »so verlangte Parnack dafür zehn Millionen Mark, die ich bis heute abend elf Uhr beschafft haben müßte. »Ich soll das Geld um elf Uhr vor meiner Haustür Parnack übergeben und dann die Aktien ausgehändigt erhalten. – Parnack hat mich vorhin, als Sie kaum zehn Minuten weg waren, Herr Harst, angerufen. Er wußte, daß Sie und Ihr Freund bei mir gewesen. Es sei ihm da mit den Löffeln leider ein bedauerlicher Irrtum unterlaufen. Er habe mir fünf wertlose Nachahmungen übergeben. Die echten Löffel würde er abends mitbringen, darauf könnte ich mich verlassen. Ich werde jedoch weder die Aktien noch die Löffel zu sehen bekommen, wenn ich etwa mit Ihnen in Verbindung treten sollte. – Diesem unverschämten Gauner glaube ich jetzt jedoch kein Wort mehr. Ich bitte Sie inständigst, Herr Harst: raten Sie mir, was ich tun soll.«

Harald erwiderte sofort: »Sie haben Parnack versprochen, sich nicht an mich zu wenden? – So, das ist gut. Fahren Sie zur Bank – und so weiter. Abends elf Uhr stellen Sie sich mit Ihrer Gattin vor die Haustür, in der Hand ein Päckchen, das etwa so aussehen muß, als enthielte es die Banknoten. Im übrigen rufen Sie mich nicht mehr an. Nur falls etwas Neues sich ereignet. Sollte ich nicht daheim sein, so wird meine Mutter Ihre Mitteilungen entgegennehmen. – Warten Sie getrost ab, Herr Schönborn. Ich werde Parnack finden.«

Dieser letzte Satz war erstaunlich. Harald hatte ihn mit solcher Bestimmtheit ausgesprochen, daß ich jetzt, als das Gespräch mit Schönborn wirklich beendet war. fragte:

»Wo hoffst Du ihn zu finden?«

»Wo er einzig und allein heute mittag nach dem Besuch bei Schönborn mit seinen ...«

Er schwieg, trat rasch an das offene Fenster ...

Draußen vor dem Hause hielt ein graues, geschlossenes Auto.

Es war in wahnsinnigem Tempo dahergerast gekommen. Heraus sprang Freund Bechert, Kriminalkommissar Fritz Bechert, unser alter Bekannter und Freund, Helfer bei manchem Abenteuer ...

»Da ist etwas Besonderes passiert,« sagte Harald und winkte Bechert zu, der mit langen Sätzen durch den Vorgarten stürmte.

Wir trugen noch die Provinzlermasken.

Wir sahen Becherts verstörtes Gesicht wie eine Vision vorbeihuschen.

Dann hatte ich schon die Haustür aufgerissen.

»Gott sei Dank!« keuchte Bechert, »Ihr seid zu Hause! Ich ...«

Er warf sich in den Sessel, den Harst ihm zuschob.

»Rauchen Sie, Bechert,« sagte Harald und hielt ihm den silbernen Zigarettenkasten hin. »Zum Teufel – rauchen Sie!«

Und er steckte dem Kommissar die Zigarette in den Mund, hielt das brennende Zündholz an den Tabak.

Da ging ein Lächeln über Becherts knochiges Schauspielergesicht.

Er blies den Rauch von sich – drei, vier lange Züge.

»Eigentlich haben Sie recht, lieber Harst.« meinte er dann. »Es ist Blödsinn, sich so aufzuregen. Man ändert ja doch nichts mehr.«

Und rauchte abermals ...

»Woran ändert man nichts?« fragte Harald.

»An dem Raubüberfall auf das Auto der Reichsdruckerei, das zehn Milliarden in neuen Hunderttausendmarkscheinen nach der Reichsbank bringen sollte.«

Auch Harst verlor jetzt so etwas seine gewohnte Ruhe. Wohlgemerkt: es war der 13. Mai 1922!! damals taumelte die Mark noch nicht am Rande des Nullpunktes!!

»Zehn Milliarden – Donnerwetter!!« entfuhr es ihm. »Erzählen Sie, Bechert ... Weshalb geht die Geschichte denn gerade Ihnen so an die Nerven?«

»Weil ich heute um halb zwölf – ich war gerade nach dem Präsidium zurückgekehrt und erst fünf Minuten in meinem Dienstzimmer – von einem Unbekannten telephonisch gewarnt wurde. Es sei ein Anschlag auf einen Geldtransport geplant erklärte der Mann. Wenn ich ihm eine Belohnung einer Million zusichern würde, wollte er alles nähere angeben. Ich lachte den Kerl aus. Man legt uns ja zuweilen in dieser Weise rein. Ganze Komödien werden da inszeniert.«

»Und dann?« fragte Harst ungeduldig.

»Dann kam vor zwanzig Minuten die Meldung, daß das Auto der Reichsdruckerei in der Jerusalemer Straße durch einen mit Brettern beladenen Handwagen zum Anhalten gezwungen worden war, daß der Chauffeur und sein Begleiter von vier gutgekleideten Männern blitzschnell mit Gummiknütteln niedergeschlagen wurden und das Auto so entführt worden ist. Als ... Andenken haben die Banditen lediglich den Handwagen mit den Brettern am Tatort zurückgelassen. Dummerweise hatte ich zwei Kollegen von der angeblichen Warnung Mitteilung gemacht. Und nun soll ich der Sündenbock sein, lieber Harst: die hohen Vorgesetzten sind der Ansicht, ich hätte die Warnung nicht in den Wind schlagen sollen! Also die alte Geschichte: einer muß schuld sein! – Meine Stellung steht auf dem Spiel. Da bin ich denn im Dienstauto hier zu Ihnen gerast.«

»Und können getrost wieder zurückrasen, lieber Bechert. Tatsache. Lassen Sie mich nur machen. Fragen Sie nichts. Und – verschwinden Sie! Schraut und ich müssen uns umziehen.«

Bechert blickte Harald kopfschüttelnd an. »Woher wollen Sie denn ...«

»Wiedersehen, Freund Bechert ...! Verduften Sie!«

»Na, – dann meinetwegen – – Wiedersehen! Hier sind übrigens die Schlüssel zu der Wohnung der Rätin und die schriftliche Bescheinigung, daß Sie die Siegel lösen dürfen.«

Bechert empfahl sich.

Harst läutete nach Mathilde.

»Mittag fertig?« wollte er wissen.

Es war fertig. Wir aßen in der Veranda.

Und um drei Uhr brachte uns ein Auto mit unseren beiden Reisekoffern ohne Verkleidung nach der Passauerstraße 161 zur versiegelten Gartenhauswohnung der Rätin Anna Sturz.

Weshalb wir die leeren Reisekoffer mitschleppten, war mir unklar. Harst schwieg sich darüber aus.

Wir nahmen sie mit in die Wohnung – in die zweite Etage.

Die Siegel hatten wir gelöst, nachdem wir dem Portier das Schreiben der Polizei gezeigt hatten.

Nun waren wir in diesen altmodisch möblierten Räumen, in denen sich gestern am 12. Mai Gisbert Parnack bis zum Abend aufgehalten hatte.

Und nun beginnt der neue Abschnitt dieses Abenteuers – beginnt eine Reihe von Einzelgeschehnissen, die sich zu einer wilden Hetzjagd schließlich steigerten.

*

 

4. Kapitel.

Harst hatte die Flurtür von innen abgeschlossen, hatte die Sicherheitskette vorgelegt ...

»Was willst Du eigentlich hier?« fragte ich, als er die Koffer ins Speisezimmer trug.

Und er erwiderte harmlos:

»Den Schreibtisch besichtigen. Das Geheimfach suchen.«

»Und der Zweck der Uebung?«

»Der Hauptzweck ist, festzustellen, ob Parnack die Geschichte von dem Funde der Aufzeichnungen nicht glatt dem Reiche der Phantasie entnommen hat und was er damit bezweckt. Der Nebenzweck aber, aus der noch vorhandenen Garderobe des vor Jahren friedlich zu seinen Vätern versammelten Herrn Sturz für uns etwas Passendes auszuwählen.«

»Für eine Verkleidung? Wir haben doch weder Perücken, noch Bärte, noch ...«

»Nimm Platz, lieber Alter. Störe mich nicht.«

Er saß schon vor dem Rokokoschreibtisch.

Ich spielte von einem Stuhle aus den Zuschauer. Zehn Minuten drauf sagte Harst:

»Keine Spur von einem Geheimfach! Parnack hat geschwindelt ...«

Und – da schlug draußen die Flurglocke an.

»Vielleicht der Portier,« meinte ich und ging öffnen.

Draußen stand der Portier mit zwei Wachtmeistern der Schutzpolizei.

Der eine erklärte: »Herr Kriminalkommissar Bechert schickt uns. Wir sollen Herrn Harst helfen. Wir dürfen wohl eintreten.« Und er warf einen Blick auf den Portier. Das hieß: »Der Mann braucht nicht alles zu hören!«

Wir drei gingen zu Harst in das Eßzimmer. Ich hatte die Kette wieder vorgelegt.

Im Speisezimmer sagten die beiden Beamten, stramme, schmucke Leute, gar nichts ...

Sie hatten im linken Aermel Gummiknüttel bereitgehalten. Schlugen so überraschend zu, daß Harst und ich lautlos umknickten.

Als ich zu mir kam, als ich die Schmerzen im Kopfe verbiß und um mich blickte, saß da dicht neben mir auf dem unbedeckten, viereckigen Eßtisch, der vor die Tür nach dem Nebenzimmer gerückt war, Freund Harald in genau derselben aussichtslosen Verfassung wie ich: gefesselt – raffiniert gefesselt – geknebelt, raffiniert geknebelt, – ein wehrloses Bündel!

In die Tischplatte, in die Tür hatte man Ringschrauben hineingetrieben, hatte durch die eisernen Rinne die weißen, dünnen Hanfstricke gezogen.

Unsere Beine lagen wagerecht auf der Tischplatte – so dicht saßen wir an der uns als Rückenlehne dienenden Tür. Die Arme, einzeln hochgereckt an die Tür gefesselt, würden wir ohne fremde Hilfe nie freibekommen ...!

Und dann: uns gegenüber am Schreibtisch in dem alten Schreibsessel eine Frau – eine alte Dame mit welken Zügen, einem kleinen Hütchen auf dem grauen Scheitel, um das Hütchen ein schwarzer Spitzenschleier, der bis zum Kinn herabfiel.

Die Dame saß sehr steif in all ihrer hageren Greisenhaftigkeit da, spielte mit einem Lorgnon an langer goldener Kette.

Die Kette klirrte ganz fein. Das war eine Weile das einzige Geräusch – dazu das Ticken einer Uhr.

Außer uns dreien niemand mehr hier. Die Polizeibeamten – die falschen – verschwunden ...

Unter dem schwarzen Spitzenschleier lauerten Augen mit blinkenden Pupillen, mit nadelscharfen Blicken, – erschien ein grausam-hohnvolles Lächeln.

Parnack – Gisbert Parnack!!

»Sie sind nun beide wieder zu sich gekommen,« sagte et, und es war das leise, feine, zitterige Stimmchen einer Matrone, »Ich brauche wohl kaum Erklärungen abzugeben. Sie haben ja bereits festgestellt, daß der Schreibtisch kein Geheimfach enthält, Herr Harst. Ich wollte Sie beide nur hierherlocken. Nicht wahr, Sie sehen nun wohl ein, daß es unvorteilhaft ist, mir in den Weg zu treten. Sie mögen tun, was Sie wollen: jeder Ihrer Schritte wird beobachtet! Sie haben meine Machtmittel unterschätzt. Ich könnte Sie beide für immer verschwinden lassen. Noch verzichte ich darauf. Ich habe Wichtigeres vor. Sie werden hier vielleicht morgen entdeckt werden. Vielleicht auch erst übermorgen. Ich werde Bechert eine Nachricht zukommen lassen, angeblich von Ihnen, daß die Polizei sich um die Wohnung hier bis morgen abend um keinen Fall kümmern soll.«

Parnack erhob sich.

Weiß Gott: der Kerl sah wirklich wie eine vornehme Matrone aus!

Und leise, trippelnd ging er zur Tür, ging hinaus, betrat den Wohnungsflur.

Ich hörte eine Tür klappen.

Dann Stille.

Und vor unserem Tische auf dem Teppich lagen unsere leeren Koffer – Schlösser erbrochen – lagen aufgeklappt da, zeigten die Leere ihres Inneren.

Was hatten die Koffer gesollt? Hatte nicht auch Parnack sich wundern müssen, daß wir die Dinger hierher mitgenommen?

Seltsam, daß er nichts darüber geäußert hatte! –

Harst drehte den Kopf. Ich hörte es, da sein Leinenkragen am Oberhemd sich kreischend rieb.

Sah mich an und – wahrhaftig! – er lächelte, lächelte stillvergnügt, nickte mir zu ...

Dann wanderte sein Blick so auffällig, daß ich's merken mußte, zu dem einen Koffer hin – zu seinem Koffer, der etwas größer als der meine war.

Der Koffer lag am weitesten links nach den Fenstern hin.

Und nun sog Harst sehr geräuschvoll die Luft durch die Nase ein. Auch das war Absicht: ich sollte auf einen bestimmten Geruch achten!

Nachdem ich so aufmerksam gemacht war. daß es etwas zu riechen gab, bemühte ich mich, ebenfalls herauszufinden, wonach es hier roch ...

Ja – es stank ganz schwach nach versengten Lumpen!

Es roch so, wie eine ... glimmende Zündschnur riecht!

Zündschnur ...?!

Ein ängstlich fragender Blick nach Harst hin.

Der lächelte – und senkte dreimal – viermal – – siebenmal langsam den Kopf – so langsam, daß dies nur die Zahl sieben bedeuten konnte, und starrte dann nach der Etagere hinüber, wo eine alte Stutzuhr mit Porzellangehäuse stand ...

Die Uhr ging – – tickte – und war genau halb sechs – halb sechs nachmittags.

Draußen im Hofe des Hauses war vor den beiden Zimmerfenstern mit den geschlossenen weißen Sonnenvorhängen noch das helle Licht des Maitages – des dreizehnten Mai! Des dreizehnten! Und halb sechs war es jetzt. Und Harald hatte siebenmal genickt, hatte auf die Uhr geschaut.

Sollte das heißen: sieben Uhr? Sollte das heißen: um sieben Uhr wird sich etwas ereignen, das mit dem schwachen, scheußlichen Geruch der Zündschnur zusammenhängt?!

Mein Blick wanderte zurück von der Uhr zu Harsts offenem leeren Koffer – zu Haralds ... geradezu vergnügtem Gesicht.

Was sollte das alles nur?! – Eine schwelende Zündschnur – vielleicht eine Explosion – eine Bombe, eine Höllenmaschine, die Freund Parnack für uns zurückgelassen hatte?! – Aber – – wo?! In dem leeren Koffer?! Und eine Bombe – und Haralds fideles Grinsen?! Nein, das gab keinen Vers! Das war Unsinn!

Und wie ich noch so nach dem Koffer hinstarrte, wie ich den Gedanken auf die Spur zu kommen suchte, die Harst durch seine Augen mir hatte andeuten wollen, da ging mir ganz plötzlich ein Licht auf: Harald selbst hatte vielleicht in dem schmalen Geheimfach seines Koffers eine harmlose Knallkapsel angebracht – Knallkapsel oder dergleichen, die zur Entzündung kam, wenn die durch das Oeffnen des Koffers irgendwie in Brand gesetzte Schnur mit ihrem vorwärtsfressenden Funken die Sprengmasse erreichte! Und – das würde offenbar nach Haralds Berechnung gegen sieben Uhr geschehen! Der Knall würde gehört werden. Hausbewohner würden den Portier benachrichtigen. Man würde der Ursache des Knalles nachforschen, würde uns finden! Dann waren mir frei!

Ja – nur so konnte es sein, nur so!!

So erklärte sich alles: Daß wir die Koffer mitgeschleppt hatten, die leeren Koffer, und daß Harst mit einem Ueberfall hier gerechnet, ihn jedenfalls in den Bereich der Möglichkeit gezogen und sich gegen alle Eventualitäten vorgesehen hatte!

Wie fein hatte er wieder einmal diesen Alarmschuß erdacht! Er wußte, daß, falls ein Ueberfall auf uns hier stattfinden würde, dieser sich ganz unerwartet, eben nach Parnackscher Art abspielen würde: er wußte ebenso genau, daß Parnack aus Neugierde die Koffer dann öffnen würde. Und – dann würde eben der eine geöffnete Koffer der Alarmapparat werden, der uns die Freiheit brachte. –

Sieben Uhr!

Endlos langsam waren die Zeiger der Stutzuhr weitergeschlichen. Nun stand der kleine auf sieben, der große auf zwölf.

Harald blickte erwartungsvoll nach dem Koffer hin.

Nichts ...

Nur der Gestank der glimmenden Schnur war stärker geworden. –

Fünf Minuten nach sieben ...

Harald hatte mir zugenickt. Das hieß: »Keine Sorge! Es ereignet sich was!«

Und sieben Minuten nach sieben kam's ...

Aber kein Knall! Nein, da hatte ich falsch kombiniert. Da hatte Harst doch etwas besseres ersonnen, was nicht das ganze Haus in Aufruhr versetzte: in dem Koffer ein ganz schwacher Knall, dann ein gellendes Pfeifen – so hell und durchdringend, daß mir die Ohren wehtaten: eine Pfeife, durch den Gasdruck eines chemischen Gemenges zum Tönen gebracht! –

Und drei Minuten drauf stand der Portier vor uns ...

Der Portier, mit dem Harald ja auf der Treppe vorhin so eifrig geflüstert hatte!

»So 'ne vafluchte Bande!« knurrte Portier Brösicke und knotete unsere Fesseln auf. »Wat die beeden Schupos betrifft, da war ick tatsächlich janz ahnungslos. Und als sie dann mit die alte Dame und mit den ollen Herrn über'n Hof kamen und verdufteten, als mir der eene zuflüsterte, det alte Pärchen seien Harst und Schraut, da hab' ick doch das jegloobt! Trotzdem ließ ick det Fenster bei mir offen, damit ick den Pfiff hörte, wie ick's Ihnen versprochen, Herr Harst.«

Wir waren frei.

»Und Sie haben zu niemandem über das Signal etwas verlauten lassen, Brösicke?« fragte Harald mißtrauisch.

»Bei Jott – zu niemandem nich!«

»Schön. Dann werden wir verschwinden, sobald es dunkel ist. Bis dahin besorgen Sie uns folgendes ...« –

Um zehn Uhr abends verließ ein Mann, der dem Portier so ungefähr ähnlich sah, das Haus Passauerstraße 161 in Begleitung einer einfach gekleideten Frau ohne Hut, die eine Markttasche trug.

Dieses Paar wanderte der Tauentzienstraße zu, blieb oft stehen, schien sich leise zu zanken. Zweimal machte die Frau kehrt, als ob sie mit ihrem Manne sich entzweit hätte, der ihr dann nacheilte und sie rasch wieder versöhnte.

So stellten wir beide fest, daß niemand uns nachschlich, daß wir, ohne Verdacht zu erregen, dem Hause Nr. 161 entronnen waren.

Und doch blieben wir vorsichtig. In der Untergrundbahn, die wir vom Wittenbergplatz benutzten, schauten wir uns die Leute genau an, die mit uns eingestiegen waren. Fuhren zum Kottbuser Tor, gingen die Dresdener Straße entlang bis zum Oranienplatz.

Da war die Oranienbrücke mit ihrem wuchtigen Sandsteingeländer, da war die trübe Flut des Luisen-Kanals, in dem sich das Laternenlicht schillernd widerspiegelte.

Da war drüben das Haus Nr. 239, wo Herr Ernst Schönborn sich von der Grippe und dem Reinfall mit den goldenen Löffeln erholte. Und – da lag düster und still wie ein finsterer Walfisch der große Obstkahn ... –

Wir standen am Geländer der Brücke, am Ostende. Wir waren ein so unscheinbares Paar, daß keine Seele uns beachtete. Harst hatte ein Holzpfeifchen im Munde und rauchte. Ich aß ein belegtes Brot.

Halb elf war's jetzt.

Und Harald zog nun den Vorhang von seinen geheimsten Plänen, seinen geheimsten Beobachtungen.

»Von der Mittagsrazzia auf Parnack und Konsorten hatte ich mir von vorherein wenig versprochen, mein Alter, sehr wenig. Meine Enttäuschung nachher war Mache. Es war ein Versuch gewesen, besser – ein Bluff für Parnack.«

Er qualmte ein paar Züge. Straßenbahnen ratterten vorüber.

»Also ein Bluff, der Parnack ein geringschätziges Lächeln entlocken sollte, sein Selbstgefühl steigern sollte. Mit einem Gegner, der sich selbst überschätzt, wird man leichter fertig.«

Er faßte mich unter. »Komm' dort drüben an den Vorgarten von Nr. 238. Lache laut, sei vergnügt. Ein Paar, das sich einer durch Alkohol scheinbar leicht angeheizten Fröhlichkeit hingibt, ist hier eine Durchschnittserscheinung.«

Wir gingen Arm in Ann. Dann lehnte Harst am Gitter, dann kramte ich aus der Manteltasche das vielversprechend wirkende Fläschchen, flache Form, heraus. Es konnte Schnaps enthalten. Es enthielt klares Wasser.

Und immer zwischen einem laut gebrachten Satz im Berliner Jargon kam ein geflüsterter anderer, der den Vorhang weiter lüftete.

»Sieh mal, zuweilen wird aus Bluff bitterer Ernst, mein Alter. – Ich habe nun mal bessere Augen als andere. Der Obstkahn dort ist vielverheißend. – Mittags faulenzten da an Deck in der Sonne drei Kerle, die wie die Fischerknechte aussahen. – Waren keine. Spielten nur zum Schein Karten. – Mischten die Karten kaum. – Hatten die Augen bald hier, bald da. – Hatten Stiefel an, die mit Kalk bestäubt waren, damit sie zum Kostüm paßten. – Waren braune Schnürstiefel, mein Alter. – Die Kerle gehörten zu Parnacks Kaschemmengarde. Nehme Gift darauf. – So, nun sieh Dir mal den Obstkahn genau an. – Er hat sich seit Vormittag etwas verändert.«

Nun – leidet hatte ich dem Kahn am Vormittag wenig Beachtung geschenkt. Die drei Kartenspieler hatte ich freilich bemerkt, wie ich mich jetzt entsann. Aber – verändert sollte sich etwas haben?! Und – das sollte ich bei der schlechten Beleuchtung von hier aus feststellen können?!

Ich war ehrlich. «Ich habe mir den Obstkahn nicht genauer angeschaut,« flüsterte ich.

»Merkwürdig! Und die Gegenstände sprangen doch auf dem verwitterten Deck so ins Auge, waren so hell, fast weiß. Und das Ding neben ihnen streckte die runden Beine in die Luft! Nur deshalb konnte ich Freund Becher versprechen, ihm zu helfen.«

Aus dem Hause Nr. 238 kam ein dicker kleiner Mann heraus, musterte uns argwöhnisch. Er führte einen Wolfshund an der Leine, der uns grimmig anknurrte.

Und gab dem Hunde einen Jagdhieb, schimpfte:

»Kusch' dich, Satan! Es ist noch nicht Zeit!«

Was sollte der Nachsatz. Es ist noch nicht Zeit?! Was hieß das?!

Harald, die Pfeife im Mundwinkel, brummte sehr verständlich:

»Nein, es ist noch nicht Zeit! – 'n Abend auch ...!«

»'n Abend!« Der kleine Dicke trat zu uns, flüsterte:

»Also Herr Harst?«

»Ja – Harst und Schraut. – Der Wirt vom Blauen Kater war also bei Ihnen. Sie wollen helfen?«

»Und ob! Man verdient, wo man kann. – Mein Name ist Krabarty, Herr Harst.«

»Geben Sie uns die Hand. Behandeln Sie uns wie alte Bekannte. Herr Krabarty.« Und laut lachend: »Mensch, Krabarty. Sie hab'n 'n Vogel!«

Die Komödie, für Spione bestimmt, wurde weitergespielt.

Krabarty ließ seinen Satan frei, der einen festen Beißkorb trug. Der Hund lief über die Straße nach dem Kanalufer, beschnupperte die Bäume, hob das Bein, lief auf die Planke, die vom Ufer zum Heck des Kahnes die Verbindung bildete.

Dieses Heck war überdacht, war wie eine offene Halle. Am Tage hatten dort die Körbe mit Frühkirschen. Gemüse und Kartoffeln gestanden. Jetzt war das alles weggeräumt.

»Der Besitzer heißt Julius Tscheskowitz,« flüsterte Emil Krabarty, Portier und Flickschuster seines Zeichens. »Der Kahn liegt seit einem Monat hier. Ich kenne den Tscheskowitz persönlich, Herr Harst. Er hatte nämlich bis vorgestern eine Hündin, so ne Mischsorte, ein zutrauliches Tierchen, und mein Satan hat der Fiffi son bißken die Cour gemacht. Vorgestern hat der Tscheskowitz die Fiffi ersäuft. Ein grober Patron ist's. Wer keen Herz für Tiere hat, an dem ist nischt dran, sagte schon mein Vater immer, obwohl er Fleescher war. – Tscheskowitz wohnt in'm Kahn hinten in der Kajüte, mit seiner Tochter, wat 'n recht schickes Mädel is, aber nur vors Arbeeten is sie nich. Ne, meistenteils is sie ja nicht hier. Anna heeßt sie ...«

Anna?! – Und Parnacks gestern am 12. Mai verhaftete Freundin hieß ebenfalls Anna – freilich Anna Holm ...!

Auch Harald wiederholte nachdenklich: »So ... so, also Anna!!«

Da heulte der Wolfshund drüben laut aus und kam schwer hinkend herbeigeschlichen.

Krabarty fluchte. »So 'n Rohling!!« Und rannte über die Straße, brüllte vom Ufer aus in die Finsternis unter dem Heckdach hinein:

»Herr Tscheskowitz, wenn Sie noch 'n Mal meinen Hund so um nischt eens ieberziehn, werd' ick Ihnen eens vor die Plautze brennen, daß Ihnen der Fusel aus alle Effnungen droppt. Sie oller Süffke!«

Als niemand auf biete Drohungen sich meldete, kam Krabarty zu uns zurück, streichelte seinen Satan, befühlte ihm die Hinterbeine und meinte: »Da stehn unter det Dach 'n paar Kerle. Herr Harst.«

Harald hatte mir einen leisen Stoß versetzt.

Nebenan vor der Haustür war Herr Schönborn nebst Gattin erschienen, standen nun acht Schritt von uns entfernt ebenfalls am Gitter des Vorgärtchens. Schönborn mit einem Päckchen in der Hand.

Emil Krabarty schilderte uns Tscheskowitz' Aeußeres.

Ich hatte nur Augen für das Ehepaar Schönborn.

Bis Harald mit zuraunte: »Da – eine Laterne!«

Und nun sah ich, daß ein Mann mit einer Laterne über das Deck des Obstkahnes ging. Er hielt die Laterne sehr hoch, hielt den Arm nicht still: die Laterne beschrieb Kreise.

Mit einem Male von der Brücke her ein Knattern. Knallen: ein Motorradfahrer nahte, kam dicht an der Bordschwelle auf uns zu –

Da war fraglos ein Zusammenhang zwischen der Laterne und dem Motorradfahrer vorhanden, sagte ich mir.

Der Beweis ergab sich aus dem Folgenden: der Radler stoppte neben dem Ehepaar Schönborn, fragte, ohne abzusteigen, sehr höflich:

»Verzeihung, wie komme ich von hier am schnellsten nach dem Diakonissenhaus am Mariannenplatz?«

Schönborn trat näher, erklärte: »Geradeaus, dann erste Querstraße rechts ...«

Und nun begann der Radler hastig zu flüstern, reichte Schönborn ein Päckchen ...

Nein, er ließ es fallen, griff blitzschnell nach dem Päckchen in des Bankbeamten Hand ...

Und jagte davon – wie gehetzt ...

Schönborn hob das andere Päckchen auf und ging mit seiner Frau ins Haus.

Emil Krabarty hatte das alles ebenfalls beobachtet. »Haben Sie gesehen, Herr Harst?« flüsterte er. »Das war ne ... «

»Das war ein doppelter Reinfall – – besser, ein zweiseitiger! – So, nun begleiten Sie uns noch ein Stück. Schimpfen Sie recht laut nach dem Kahn hinüber ...«

Auf der Brücke trennten wir uns von dem kleinen Dicken. Harst sagte noch:

»Sie setzen sich also auf die Haustürschwelle, Herr Krabarty. Schlafen Sie nicht ein! Sobald Sie dort im Kahn einen Schuß hören – einen Knall, reiben Sie eins der bengalischen Zündhölzer an, die der Wirt vom Blauen Kater Ihnen gegeben hat. Das Zündholz werfen Sie brennend im Bogen auf den Fahrdamm. Dann ist Ihre Aufgabe beendet, und Sie haben Ihr Geld ehrlich verdient. – Guten Abend! Nicht verschlafen!!«

*

 

5. Kapitel

Da gibt es an der anderen Seite des Kanals, am Luisenufer, dicht an der Oranienbrücke eine Wassertreppe, an der unten ein Rettungskahn vertäut ist.

In weniger diebischen Zeiten gab es gegenüber am Eisengeländer auch einen Rettungsball und eine Rettungsleine. Von diesen dem Gemeinwohl dienenden Gegenständen ist nichts mehr vorhanden – nur noch die Holztafel, die das nicht mehr Vorhandene dem Schutze der Bürger empfiehlt. Der Rettungsball dient vielleicht als Fußball, und die Leine wird auch nicht erneuert. –

Der Kahn ist noch da, der kleine Rettungskahn. Sogar ein Ruder lag darin, als wir etwa um halb zwölf bei leicht bedecktem Himmel unbemerkt die Wassertreppe hinabgeschlüpft waren.

Ein hohler Regenwind blies den Kanal entlang. Von Südwest erhob sich eine schwarze Wolkenwand herauf. Uns war der drohende Regen nur angenehm.

Harald hatte mir inzwischen schon verraten, daß rings um den Obstkahn von Mitternacht Wachen stehen würden. Kriminalbeamte, die durch den Wirt des Blauen Katers herbeordert worden waren. Das bengalische Zündholz war das vereinbarte Signal zum Sturm auf den Obstkahn.

Nun saßen wir nebeneinander in dem kleinen Nachen, und Harst hatte sich tief gebückt, nestelte an seinem rechten Schuh herum, faßte in die Tasche, bückte sich wieder ...

»Was tust Du da?« fragte ich flüsternd.

»Der Absatz ist lose ... So – nun hält er wieder. Aber auf Fußspitzen muß ich doch gehen. So ein Absatz kann zum Verräter werden.«

Die finstere Wolkenwand kam rasch näher.

Hier unten war's jetzt dunkel genug. Wir ketteten den Nachen vorsichtig von dem Ringe ab, und Harst gab ihm einen leichten Stoß.

Lautlos glitt er über den Kanal. Wir duckten uns zusammen. Harald half mit dem Ruder nach. Es hatte unten an der Schmalseite des Blattes einen Eisenbeschlag, der in zwei Haken auslief.

Die Bordwand des Obstkahns nahm uns in ihrem noch dunkleren Schatten auf. Wir hielten den Nachen mit den Händen von den Planken ab. Jedes Knarren, jedes Kreischen des aneinander reibenden Holzes hätte uns verraten können.

Dann schwang Harst sich empor auf das Deck, legte sich lang, nahm eine Rolle feste Schnur aus der Tasche, reichte mir das eine Ende der Schnur, und gleich darauf glitt der Kahn leer in die Mitte des Kanals zurück.

Wir hatten das andere Ende der Schnur um einen Pflock der Kahnreling geschlungen, konnten den Kahn jeder Zeit wieder heranziehen.

Harst kroch voran – dem Heck zu.

Es regnete bereits.

Unter dem Heckdach machten wir halt.

Die Tür, die von hier ins Innere führte, war verschlossen. Der Schlüssel steckte von der anderen Seite im Schloß.

Unsere entsicherten, gespannten Pistolen hatten wir in den Außentaschen unserer Jacken. Mein Weiberrock, die Bluse und das Umschlagetuch waren im Nachen geblieben.

Karst führte die Schlüsselzange ins Schlüsselloch ein, drehte den Schlüssel um – zweimal.

Die Tür war offen. knarrte nicht, kreischte nicht.

Wir horchten. Dann stach ein dünner Lichtpfeil in die Finsternis hinein: Taschenlampe, die Linse mit der Hand bedeckt!

Eine Treppe – ein Gang. Neben der Treppe zwei Türen. Und eine der Türen schwach umrissen von Lichtschein, der durch die Ritzen drang.

Harald wartete. Der Regen prasselte lauter – lauter.

Aus dem Innern des Obstkahnes kam ein fauliger Gestank.

Dann abwärts – an der linken Seite der Treppe. Erst jede Stufe geprüft, ob sie unter Druck geräuschlos bliebe.

Ich drückte die Tür zu, drehte den Schlüssel um. Auf Harst's gehauchten Befehl.

Nun hörten wir in der erleuchteten Kajüte sprechen. Immer nur einzelne Worte.

»Sie jeuen!« flüsterte Harst. »Raus mit der Clement. Die Bande fühlt sich ganz sicher.«

Er schlich der Tür zu, nahm die eingeschaltete Taschenlampe in die Linke.

Die eine Ritze war an einer Stelle bleistiftbreit. Man konnte den Tisch übersehen, an dem sechs Leute saßen, einen Tisch mit braunrotem Wachstuchbezug. Haufen von Papiergeld lagen vor den Spielern. An der einen Schmalseite mit dem Gesicht nach der Tür saß Herr Julius Tscheskowitz, leicht herauszufinden nach Emil Krabartys Beschreibung: ein roter Vollbart, Trinkernase, buschige Brauen, wirres, rötliches Kopfhaar, um den Hals ein blaues Tuch geschlungen. Und links neben ihm, sehr eigenartig in dieser Umgebung und in der Gesellschaft dieser Kerle mit der zu diesen Gaunervisagen nicht recht passenden, ehrlichen Arbeiterkluft, ein jüngeres, üppiges Weib, leicht geschminkt, mit diskreter Eleganz gekleidet, ein schickes Hütchen auf dem blonden Haar. –

Ich hatte mir durch die Ritze die Spieler ebenfalls eine Weile angesehen, flüsterte: »Parnack ist nicht darunter.«

»Scheint so. – Die Bande spielt um Hunderttausendmarkscheine, um ganz neue. Da liegen Millionen auf dem Tisch.« Harst raunte mir dies ins Ohr mit ganz besonderer Betonung.

Und wieder stieg da blitzartig in mir der Verdacht auf, daß Parnack den Raubüberfall auf das Auto der Reichsdruckerei ausgeführt haben könnte. – Ich wollte Harald fragen, ob auch er diesen Verdacht hegte. Ich kam nicht mehr dazu.

Er hatte die Tür aufgerissen, war rasch eingetreten, hielt die Clement vorgestreckt. Und ich sofort neben ihm – zwei Pistolenmündungen drohten ...

Und die Spieler da hatten sich lediglich behaglich zurückgelehnt ...

Grinsten ...

Und oben prasselten die Regenfluten ...

Dann ein brüllendes Gelächter wie eine Salve, und Herrn Tscheskowitz' rauhe Säuferstimme: »Willkommen im Jrünen, jeehrte Schniffler!!«

Das war unser Empfang.

Ein Empfang, bedrohlicher als Schüsse. Tumult ...! –

Die große Petroleumlampe mit dem Spiegelschirm an der Decke warf rötliches Licht auf brutale, hohnvolle Gesichter. Die geschminkte und gepuderte, blonde Schöne lächelte gleichfalls.

Harst war genau so verwirrt wie ich – nur einen Moment.

Dann drehte er sich langsam um. Hinter uns drei andere Kerle. – drei kleine, schwarze Löchlein, stahlumgeben, die jeden Moment so ein winziges Nickelmantelding speien konnten und auch speien würden.

Die Partie stand hier gleich. Wir bedrohten die Spieler, die drei bedrohten uns. Hätten wir abgedrückt, hätten's die drei auch getan.

Und oben trommelte der Regen. Ein Schuß wäre bei diesem Lärm der herabstürzenden Wassermassen von Emil Krabarty nie gehört worden, nie ...!

Harald schob langsam die Clement in die Tasche. Und ich folgte seinem Beispiel.

»Sehr vernünftig!« lobte der Säuferbaß des Kahnbesitzers. »Setzen Sie sich dorthin!« Er wies auf das kleine Sofa an der Wand. Wir gehorchten. »Sie sind also wirklich wieder aus der Wohnung der Rätin entkommen,« fuhr Tscheskowitz fort. »Unglaublich ist das!!«

»Der Portier hatte Verdacht geschöpft,« sagte Harald kühl und setzte sich bequemer. Die Sprungfedern des alten Sofas klirrten.

Tscheskowitz grinste. »Da haben Sie Glück gehabt – oder Pech, wie man's nimmt. In der Passauerstraße wären Sie am Leben geblieben. Hier nicht. Sie beide haben uns schon zu viel Unbequemlichkeiten bereitet. Ob Sie da draußen auf der Straße vielleicht wieder eine Horde Greifer bereithalten, ist uns sehr gleichgültig, sehr.« Er gab zweien der Kerle am Tisch einen Wink. Sie entfernten sich, schlossen die Tür. Die drei mit den kleinen Repetierpistolen standen zielend da. Die Lage für uns war böse.

Tscheskowitz sprach weiter: »Oben die Tür, die Sie mit der Schlüsselzange öffneten, hat eine Alarmvorrichtung, Herr Harst. Daran hätten Sie denken sollen. Es wird sich sofort etwas ereignen. Dann rate ich Ihnen, ganz still zu sitzen. Die Sache ist lebensgefährlich. Legen Sie die Hände auf die Schenkel. So ... – sehr brav!«

Und – da ereignete sich auch bereits etwas, das bewies, wie gering unsere Hoffnung war, hier zu entschlüpfen. Die Kajütwand hinter uns mußte einen beweglichen Ausschnitt haben. Zwei Sicheln – Sicheln, wie sie zum Grashauen benutzt werden, nur blank geschliffen – legten sich von hinten her sehr rasch unter unsere Köpfe um den Hals.

Die Kerle wieherten mit einem Male wieder. Die blanken Metallkrawatten und mein entsetztes Gesicht mögen wirklich sehr komisch sich ausgenommen haben.

»Steckt die Dinger weg,« sagte Tscheskowitz zu den dreien. »Die Sicheln sind besser. Sie machen keinen Lärm. Es ist meine Erfindung. Auch Fiffi habe ich damit den Hals durchgeschnitten, bevor ich sie ins Wässer schmiß. Das Biest hielt's zu sehr mit dem Wolfshund von Krabarty dort drüben. Der Krabarty ist ein alter Schwätzer. Man muß sich ihn vom Leibe halten. – So, nun ein paar Fragen. Herr Harst, bevor wir genötigt sind, Sie beide Kanalwasser schlucken zu lassen. Wie sind Sie auf meinen Obstkahn aufmerksam geworden?«

»Durch die Kartenspieler an Deck und die frischen Bretter und den umgestürzten Handwagen. Die Bretter und der Handwagen sind jetzt nicht mehr da. Sie brauchten sie für den Autoraub, verstellten dem Auto damit den Weg.«

»Ah – haben Sie einen feinen Riecher! Also auch das wissen Sie!«

»Ich weiß noch mehr. Ich kenne den Weg, den Sie zur Flucht benutzen wollen. Aber – auch der ist versperrt. – Hören Sie, wie infolge des Gegens das Wasser aus dem in den Kanal mündenden Rohr gegen die Bordwand des Kühnes rauscht, der die Rohrmündung, das dreiviertel Meter hohe Loch, verdeckt?! Sie können in dem Kanalisationsrohr entlangkriechen, nachdem Sie uns beide abgetan haben. Aber die Schächte nach oben sind besetzt, Herr Tscheskowitz. Und nach acht Wochen wird der Scharfrichter Arbeit bekommen.«

In meiner Kehle hatte bereits vor nervenflatternder Aufregung Uebelkeit gewürgt. Schweiß war mir über Stirn und Gesicht gelaufen. Ich hatte an den dreizehnten gedacht, an meine ironischen Bemerkungen über die Unglückszahl.

Und nun waren die Kerle sämtlich von den Stühlen hochgefahren, streckten die Köpfe vor, starrten Harst an.

»In der Bordwand ist natürlich eine Luke,« fügte der hinzu. »Gerade vor dem Ausflußloch. – Setzen Sie sich nur wieder, Herr Tscheskowitz.«

Des Kahnbesitzers plötzlich so hilfloser Blick irrte zu dem eleganten Weibe hin, die als einzige sitzen geblieben war. Aber – das war kein gepudertes Weiberfrätzchen mehr. Das war jetzt Gisbert Parnacks in wildem Haß verzerrtes Gesicht, das war der Feind, zitternd in ohnmächtiger Wut.

»Sie ... Sie ...!!« zischte er pfeifend durch die zuckenden Lippen Harald an. »Sie ... werden ...« – Und mit ruckartiger Kopfbewegung: »Bindet sie – rasch! Bindet sie an das Sofa. Wir werden dann beraten ...«

Die Sicheln blieben, bis man uns gefesselt hatte. Und – wie gefesselt – wie geknebelt!! Tscheskowitz' brutale Schifferfäuste hatten die Knoten geschlungen.

Dann waren wir allein. Die Sicheln verschwunden. Hinter uns der Wandausschnitt zugeklappt.

Und über uns Stille. Kein Regengeprassel mehr. Nur noch das Rauschen der aus dem Kanalisationsrohr gegen die Bordwand plätschernden Wassermassen.

Harst regte sich. Ich sah. daß er krampfhaft versuchte, den rechten Fuß zu heben. Er bekam das Knie erst nach Minuten ein paar Zentimeter hoch, mühte sich weiter ab, bekam es jetzt vielleicht zehn Zentimeter empor, und stieß den Fuß plötzlich mit hochgebogener Stiefelspitze nach unten – mit aller Kraft ...

Ein Knall – ein Knall wie ein Schuß aus einer alten Vorderladerflinte – ein Knall vom Fußboden her: Harsts rechter Absatz, der angeblich lose Absatz, war hohl gewesen, hatte eine Knallpatrone enthalten!

Die Tür wurde aufgerissen. Tscheskowitz' bleiches Gesicht stierte herein. Die Tür flog zu ...

Und über uns Schritte – zwei dumpfe Schläge, Splittern von Holz ...

Wieder ging die Tür auf: Bechert, zwei Beamte ...!

Im Schiffsgang blitzende Laternen – Gestalten – ein paar Schüsse ... –

Tscheskowitz und die vier Männer wurden verhaftet.

Von Parnack fanden wir nur noch das elegante Weiberkostüm, die Perücke und den Hut vorn an einer Bordwandluke. Er war in den Kanal gesprungen, war unter Wasser davongeschwommen, war nicht zu finden.

Die geraubten Banknoten, die drei Mexikaner, die goldenen Löffel und die Schönborn abgeschwindelten Wertsachen mußten uns vorläufig trösten.

Bechert strahlte. Schönborn strahlte.

Harald aber war diesmal wirklich verstimmt.

»Nun können wir uns doppelt und dreifach in acht nehmen, mein Alter,« sagte er nur.

Dann fuhren wir heim ...


 << zurück weiter >>