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Wir wohnten damals im Hotel d'Angleterre in Bombay. Inkognito. Wir wollten uns ausruhen und Bombay dann in aller Stille verlassen. Wir hatten uns als holländische Kaufleute ausgegeben, und unsere Masken waren ebenso bieder und unauffällig wie unsere Namen van Hoonler und Schreetjen ...
Niemand beobachtete uns. Wir schlenderten am zweiten Tage gegen sechs Uhr nachmittags am Hafen entlang und wurden so Zeugen, wie eine große überaus elegante Privatjacht am Kai festmachte. Die Jacht hieß Hudson, und am Heck wehte stolz das Sternenbanner.
Harald sagte lebhaft:
»Ah – Hudson! Sie gehört dem größten Kriegsgewinnler der Vereinigten Staaten, Thomas Orlington, jetzt Milliardär, im Jahre 1914 noch Besitzer eines kleinen Kramladens auf Manhattan ... Muß ein Genie sein dieser Orlington ... Man sagt, daß er verschiedene europäische Staaten bankerott machen kann, wenn er will ... Ueber die Größe seines Vermögens gehen die tollsten Gerüchte um ... An der Neuyorker Börse schätzt man ihn auf zehn Milliarden Dollar ... Rechne Dir mal aus, mein Alter, was das in Reichsmark bedeutet ...! Wenn ich so reich wäre, würde ich meinen Beruf endgültig an den Nagel hängen ...«
»Na – na ...!« Und ich lachte ... »Du und an den Nagel hängen, Du und faulenzen ...! Dazu hast Du unseren Beruf doch viel zu lieb ...!«
Er nahm eine frische Mirakulum aus dem Etui und zündete sie am Stummel der alten an ...
Diesen Stummel zerrieb er dann auf einem der Zement-Pfähle des Kais ...
»Vorsicht ist stets bekannt ...« warf er so im Plaudertone hin ... »Meine Mirakulum sind zu bekannt ... Und drüben die beiden Leute wandeln auf faulen Pfaden ... glotzen uns mißtrauisch an, obwohl ihr Hauptinteresse der Jacht sich zuwendet ... Bitte, schau nicht hin, mein Alter ... Die beiden Kerle sehen wie Matrosen aus und halten sich hinter einem Stapel Kisten halb verborgen ... – Wir wollen weitergehen ... Ich habe absolut keine Lust, hier etwas zu beobachten, das mich reizen könnte, unsere Ferien abzukürzen und ...«
Und – schwieg ...
Flüsterte hastig: »Hallo – das heißt Pech haben ...! Nun sah ich doch soeben etwas höchst Merkwürdiges ... – Gehen wir ... trotzdem – – oder gerade deshalb ...!«
Und er schob seinen Arm in den meinen ...
Bedächtig, wiegenden Ganges, so recht wie bequeme holländische Großkaufleute, schlenderten wir davon ...
Ich aber wußte genau, daß die Ferien nun in der Tat vorüber. Ich kannte meinen Harald ... Wenn der »etwas höchst Merkwürdiges« beobachtet hatte, so hieß das mit aller Bestimmtheit, daß er diesem »höchst Merkwürdigen« auf den Grund gehen würde ...
Wir bogen in die breite Edward-Street ein ...
Ich fragte: »Und – was sahst Du, Harald?«
»Daß eine blonde Dame aus einem der runden Heckfenster der Jacht den beiden Matrosen Zeichen gab und ... – nun rate mal weiter ...«
»Hm – und einen Zettel aus den Kai warf – ein Papierkügelchen – dergleichen ...«
»Nicht schlecht, nicht schlecht ... – Du bemerktest doch die vielen Möwen, die die ankernden Schiffe und auch die Hudson umschwärmten ...«
»Ja ... Und ..?!«
»Nun, weil so zahlreiche Möwen in der Luft schwebten, konnte niemand auf die graue Brieftaube aufmerksam werden ...«
»Also – die blonde Frau ließ eine Brieftaube aus dem Fenster emporfliegen?«
»Ja ... Sie tat es aber erst, nachdem einer der Matrosen ihr zugewinkt hatte ... – So, hier wollen wir in diese Seitenstraße einschwenken, die wieder zum Hafen hinabläuft und die uns den beiden Matrosen näherbringen wird – von hinten ...«
Er seufzte ... »Mein Alter – ade Ferien!! Eine Milliardärsjacht, zwei schäbige Matrosen, ein blondes, hübsches Weib und eine Brieftaube: sollen wir uns das entgehen lassen?!«
Und ich – lachend: »Allerdings nicht ...! Milliardäre sind lohnende Objekte, sowohl für uns wie für unsere verehrten Freunde, die Herren Gauner aller Arten ...«
Da öffnete sich die Straße bereits auf den Kai ...
Das wundervolle Bild eines der schönsten und sichersten Häfen der Welt lag vor uns ...
Links am Kai die schneeweiße Jacht mit dem Sternenbanner am Heck ... Und dreißig Schritt halbrechts der Stapel Kisten ... Die beiden Matrosen – noch immer auf ihrem Posten ...
»Glück muß der Mensch haben ...!« meinte Harald. »Drüben die kleine Kneipe mit dem Zelt vor der Tür bietet uns einen bequemen Beobachtungsstand ...«
Und wir gingen, fanden ein Tischchen hinter grüner Schutzwand, bestellten bei dem katzbuckelten Chinesen Eisgetränke und lugten durch das Grün hinaus in das noch immer grelle Sonnenlicht ...
Um uns her saßen Seeleute, Kapitäne, Schiffsoffiziere ... Es war eine bessere Kneipe. An zwei Tischen wurde sogar Sekt getrunken ...
Man benahm sich hier allgemein sehr zwanglos ... Für völlig nüchterne Gäste, wie wir es waren, ging es reichlich lärmend her ...
Neben uns lümmelten sich vier stiernackige, rotnasige Kapitäne über den Tisch und sprachen über die Jacht ... Engländer waren's ...
Einer brüllte:
»Kommt aus Kolombo, die Schieber-Jacht ...!! Sah sie dort im Hafen ankern ... Macht seine Hochzeitsreise, der Orlington ...! Kenne den Kerl von früher her ... Habe so manchmal bei ihm Kleinigkeiten gekauft, als er noch die Hafenstore in Neuyork hatte ...«
Unsere beiden Matrosen kamen jetzt gleichfalls auf die Kneipe zu. Ich konnte mir die Gesichter in Ruhe anschauen.
Der eine war lang, hager, bartlos, sonngebräunt – eine Visage wie ein Cowboy, – verwegen, frech, blitzende Augen unter dicken Brauen ...
Der andere einen Kopf kleiner, schmal in den Schultern, gleichfalls sehnig, um das Gesicht einen blonden kurzen Bart ... Und auch dieses Gesicht verdiente Beachtung ... Es war nicht weniger intelligent, nicht weniger kühn als das des Langen ...
Beide aber schäbig gekleidet, schmierige blaue Leinenanzüge, schmierige Wäsche und zerknüllte weiche Strohhüte ...
Und doch: mein für Kleinigkeiten geschärfter Blick entdeckte bei den Leuten mancherlei, was zu dem Gesamtbilde nicht recht stimmte ...
Erstens: ihr Gang!
Das war niemals der Gang von seefesten Jan Maaten ...!
Und dann die Haltung ...! Etwas Stolzes, Selbstbewußtes kam in der Art zum Ausdruck, wie die beiden die Köpfe trugen ... Nichts Faules, Nachlässiges war in ihren Bewegungen ... Sie hielten sich straff, fast militärisch ... –
Nachdem sie dann einen Blick auf die besetzten Tische geworfen hatten, schwenkten sie ab und schritten davon ... Die Gäste hier waren zu fein für sie ...
Wir hatten unsere Getränke sofort bezahlt und erhoben uns nun ...
Hörten aber noch, wie derselbe Kapitän mit seiner Orkanstimme seinen Freunden zurief:
»Verdammt – die beiden Boys, die da soeben vorübergingen, sind ein paar seltsame Vögel ... Kamen in Kolombo zu mir an Bord ... Bezahlten die Passage bis hier ... Wurde nicht recht schlau aus den Brüdern ...«
Mehr hörten wir nicht ...
Aber – auch das genügte ja ...
Wir nun hinter den beiden her ... Mit aller Vorsicht ... Immer in Deckung bleibend ...
Und die Boys waren mißtrauisch wie zwei steckbrieflich Verfolgte ... Schließlich nahmen wir einen Wagen, und Harald sagte dem braunen Kutscher Bescheid, der denn auch infolge eines im voraus gezahlten Trinkgeldes überaus gewandt seine Aufgabe erledigte ...
Freilich – wir mußten Geduld haben ...
Bis weit über die Eingeborenenstadt hinaus wanderten die beiden, bis zum Eingang des jetzt völlig verwilderten Parkes des ehemaligen Djeibar-Schlosses, einer höchst malerischen Ruine inmitten von dornenumwehrten Felsmassen.
Wir fuhren im dichten Strome anderer Fuhrwerke aller Art über den Park hinaus, entlohnten dann den braunen Kutscher und wanderten auf einem schmalen Fußweg dem Parke wieder zu, gelangten an die Westseite der verfallenen Mauer und drangen hier trotz der auch an dieser Stelle eindringlich die Touristen warnenden Tafel
!! Vorsicht !!
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in diese grüne pfadlose Wildnis ein ...
Nur Indien zeigt dem Fremden in der Nähe der Großstädte ein solches Doppelgesicht ...
Nur in Indien findet man vier Kilometer von modernen Bahnhöfen, von tadellosen Straßenbahnen und abends in Lichtfluten erstrahlenden Riesenhotels entfernt derartige dem Verfall preisgegebene, einstmals hervorragende Baudenkmäler und Parkanlagen ...
Nur in Indien merkt der Europäer auf Schritt und Tritt, daß dieses ungeheure Land mit seinen zweihundert Millionen Einwohnern noch vor kaum zwei Jahrhunderten eine Epoche unerhörten Glanzes durchlebt hat ... –
Wir drangen in die Wildnis ein ...
Wir, denen dieses Indien nichts Neues mehr bieten konnte ... Denen die Kobra mit der brillengeschmückten aufgeblasenen Haube kaum mehr eine Gefahr bedeutete ...
Fanden schließlich eine Art Pfad, der sich durch das Gestrüpp schlängelte ... Fanden unter Unkraut vergrabene Marmorspringbrunnen mit köstlichen Marmorfiguren, die selbst in ihrer Verwitterung noch das Auge entzückten ...
Fanden eingestürzte Marmorpavillons, zusammengesunkene Wandelhallen, deren Wände noch die Spuren von Goldeinlagen zeigten ... Das Gold selbst war längst gestohlen worden, brutal herausgekratzt ...
Dann eine Lichtung ... Und drüben der Hauptweg – die Allee, die vom Parktor hierher führte ...
Und ringsum die feierliche Totenstille abgestorbener Herrlichkeit ...
Ringsum nur das ebenso feierliche Rauschen tropischer Riesenbäume ... Und das vielstimmige Konzert der gefiederten Bewohner der Wildnis ...
Hin und wieder das grelle Aufkreischen der hier in voller Freiheit hausenden graugrünen Affen ...
Und – noch etwas ...
Etwas – auf das Harald mich aufmerksam machte ...
Links von uns ein geradezu ungeheurer, in diesen Breiten sonst sehr seltener Rasamala-Baum ...
Ueber diesem Riesen in der klaren Luft ein Schwarm Tauben ...
Tauben ...!!
Und – als ich nun, was so nahelag, eine Vermutung hinsichtlich dieser zahmen, kreisenden Vögel aussprechen wollte, zog Harald mich rasch in die Büsche zurück ...
Ich sah ... sah, daß die beiden schäbigen Matrosen auf einer Leiter aus den untersten Aesten des Rasamala herabstiegen ...
Daß sie der Allee zuschritten ...
Verschwanden ...
»Sie haben sich die Brieftaubenpost abgeholt,« sagte Harst leise ... »Die Taube der blonden Frau ist hierher geflogen, war hier daheim, war vielleicht nach Kolombo gebracht und dort der Blonden übergeben worden ...«
So sprach er ...
Und kürzer und übersichtlicher konnten wohl kaum unsere einzelnen Beobachtungen zu einem Ganzen zusammengeschmiedet werden ...