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4. Kapitel.
Und noch ein Toter ...

Halden kam.

»Hoffentlich haben Sie sich nicht gelangweilt, meine Herren ... – So, beginnen wir ... Ich habe noch anderes zu erledigen ...«

Er hatte es wirklich eilig ... Nahm die eine Spritze ...

»Sie als erster, Herr Harst ... – O – sträuben Sie sich nicht ... Es ist zwecklos ...« Er riß Harst Mantel, Jacke, Weste und Hemd auf der Brust auf ...

Harst tat, als wollte er sich nach Kräften der Gefahr entziehen ...

Halden hob eine Hautfalte über dem Herzen ab, jagte die Spritze hinein ...

Harst stieß trotz des Knebels einen gurgelnden Schrei aus.

Dann kam ich heran ... Spielte dieselbe Komödie ...

Widersetzte mich, – – und bekam trotzdem meine Dosis Wasser. Genau so der Kollege Matzka – genau so.

Ich richtete mich im übrigen genau nach Haralds Verhalten. Er saß jetzt zusammengesunken mit tief herabhängendem Kopfe da, regte sich nicht mehr. Ich auch nicht ...

Ich hatte die Augen geschlossen ...

Ich hörte Halden höhnisch lachen ...

Ich hörte das Knacken des Lichtschalters ...

Schritte auf der Treppe ... Tür zuschlagen ...

Oeffnete die Augen ... Dunkelheit ringsum ...

Harsts Stimme ...

»Schnell – jetzt haben wir mehr Zeit ... Den Knebel bin ich glücklich los ... Schraut, ich werde mit den Zähnen deine Fußfesseln lösen ... Ich kippe meinen Sessel um ...«

Nach etwa fünf Minuten waren wir frei.

Der Patentdietrich öffnet die Haustür ...

Wir laufen um das Haus herum ...

Wir werden von Matzkas drei Leuten angehalten ...

Wir treffen unsere Kriminalbeamten ...

Schicken sie sämtlich nach den Treibhäusern ...

Und laufen wieder in den Vorgarten, wo Arno Matzka postiert wird ... Harald und ich zur Mauer ...

Ein Blick nach dem Hause – nach den Fenstern ...

Zwei Fenster oben erleuchtet ...

Im zweiten und dritten Stock ... Zwei Fenster, die untereinander liegen, die die dritten von links gerechnet sind: die Zimmer Mendels und der Gräfin!

Erleuchtet ...

Aber die Vorhänge geschlossen ...

»Auf die Mauer, mein Alter ... Dort sehen wir besser ...«

So sitzen wir denn auf der Mauerkrone. Der Sturm jagt Gewölk über den Himmel ... Regen prasselt, läßt nach ...

Der Mond erscheint, verschwindet ... Neuer Regenguß.

Unsere Maskenrequisiten haben wir schon vorhin in die Taschen gepfropft ... Sind wieder Harst und Schraut ... Keine Stromer mehr ... Kümmern uns weder um Regen oder Sturm ... Haben genug zu sehen ... Zwei helle Fenster ... Zwei Vorhänge ... Schattenbilder ... Schatten auf den Vorhängen ... Genug zu sehen ... übergenug ... Auf dem unteren Vorhang (Zimmer der Gräfin) ein Frauenschatten – Frau in einer Schlinge hängend – Frau, erhängt ... oder Selbstmörderin ... Regungslos hängt der Schatten. Es kann nur die Walküre Anna sein ...

Und oben, ein Stockwerk höher, zwei Schatten ...

Zwei Männer ...

Erst undeutlich – in lebhaftester Bewegung ...

Dann klarer die Umrisse ...

Kampf dort oben ...

Der eine hat den anderen bei der Kehle ...

Schwingt mit der Rechten etwas, das ein Schwert sein kann – ein kurzes, breites Schwert.

Ich habe auf Harald nicht geachtet. Ich fahre zusammen.

Ein Schuß dicht neben mir ...

Harst ... Harsts Clement ...

Treffer ... Wie immer ...

Dort oben taumelt der Mann, der den andern bei der Kehle hatte, zurück – zu Boden ... Verschwindet ...

Auch der zweite Schatten entgleitet ...

Der Vorhang ist leer.

Wir springen in den Garten hinab. Matzka kommt uns entgegen ...

»Teufel, was ist denn los?! Sie haben ja geschossen ...«

»Ja ..., – ins Haus, vorwärts ... Halden hat seinen Denkzettel ... Ins Haus!«

Der Patentdietrich verschafft uns Zutritt. Wir stehen in der Diele ... Unsere Taschenlampen gleißen, strahlen ...

Weiter ...

Wir sind im Flur ...

Die Tür des Zimmers der Schwester Anna offen ... Der Hund liegt, wie er lag ... Anna nicht mehr ...

Weiter ...

Treppen hinan ... Vorbei an weißen Türen ...

Weiter ...

Zimmer der Gräfin ... Tür nur angelehnt ... Licht brennt ... Am Lampenhaken hängt in einer dicken Schnur die Amazone, blaurot, Mund auf, – – gräßlich ... gräßlich.

Harst springt zu – auf den Tisch ...

Schneidet die Erhängte ab ... Matzka stützt den leblosen Körper. Wir legen ihn auf das Bett. Kurze Untersuchung ... Hier ist jeder Wiederbelebungsversuch zwecklos.

Weiter ...

Noch eine Treppe ...

Matzka und ich wie im Fieber.

Harst eilig, aber ruhig ...

Ja – seine Nerven!!

Oben dann ... Mendels Zimmer ...

Auch die Tür offen ... Mendel auf dem Totenbett, Lebender Leichnam ...

Vor dein Fenster eine andere Gestalt auf den Dielen ...: Halden – – bewußtlos – – schwerer Stirnstreifschuß, blutüberströmt, das Frackhemd wie in Blut getaucht ... –

Harald prüft die Wunde. Wir nehmen ein Handtuch, knoten es als Verband um die Stirn, warten, bis die Blutung gestillt ist. Zur Vorsicht fesseln wir den Doktor und tragen ihn auf den schmalen Diwan.

Kaum getan, – unten im Vorgarten ein besonderer Pfiff.

»Einer meiner Leute ...,« und Matzka öffnet das Fenster, beugt sich hinaus.

Stimme von unten:

»Einen haben wir fest, Herr Matzka ... Den Begleiter Haldens ... Aristide Manquier nennt er sich ...

Matzka fragt Harst: »Wohin mit ihm?«

»In die Diele ...«

Matzka schließt das Fenster wieder. Harald steht neben Mendels Totenbett – dem Bett eines Lebendig-Toten ...

Ich wundere mich, denn Harst lächelt unmerklich, sagt dann zu uns: »Schaut euch bitte diesen Mann ganz genau an ...«

Genau – –?! Nun, es ist Mendel ... Wer sonst?!

Matzka meint gedehnt: »Ist das etwa gar nicht Ernst Mendel?«

Und Harst wiederholt nochmals: »Nein, das ist nicht Mendel ... Das ist, wie ich schon vorher erkannte, als Schraut und ich hier eingedrungen waren, ein fremder Toter, ein echter Toter, eine Leiche, – irgendeine Leiche, die der Doktor sich irgendwoher besorgt hat oder ... hergestellt hat, vielleicht ein von ihm Vergifteter, der zu seinem Unglück mit Mendel Aehnlichkeit hatte ... Also hier Mendels Stellvertreter ...«

Matzka und ich blicken ziemlich verständnislos drein.

Harst erklärt ohne jede Wichtigtuerei: »Die Dinge hier liegen nämlich, was Mendel betrifft, erheblich anders als ihr denkt ... Ich selbst habe das Spiel Haldens erst durchschaut, als ich sah, daß dieser Tote nicht Ernst Mendel war. Mendel lag als Kranker in diesem Bett, als Halden ihn uns nachmittags zeigte. Das war Mendel. Jetzt aber ist Mendel anderswo ...«

»Wo?« fragt Matzka gespannt.

Inzwischen habe ich einiges begriffen ...

Antworte für Harst: »Mendel ist Aristide Manquier!«

»Bravo, mein Alter ...! – Aber das wollen wir mit Mendel persönlich ausfechten. Tragen wir Halden hinab. Es wird ihm nichts schaden. Vielleicht erwacht er unten, und dann wird Mendel kaum noch leugnen. – Ja, die arme Tussi Becker ...! Sie hätte ihr Herzchen lieber an Kamir Nussra verlieren sollen. Mendel ist wahrhaftig keine Träne wert ... – Faßt mit an ... Wir tragen Halden in der Diwandecke hinab ... Los – – anheben!«

In meinem Kopf wirbelten die Gedanken ...

Kein Wunder!!

Da waren wir schon in der Diele, legten Halden auf das Sofa ...

In einem Sessel saß totenblaß mit Polizeifesseln an den Handgelenken Herr Aristide Manquier mit dem schwarzen Haar, dem schwarzen Bärtchen und dem tadellosen Frackanzug.

Neben ihm stand Kriminalassistent Gorm, der dicke Gorm, die feinste Nase vom Alex ...

Gorm fragte Harst:

»Herr Harst, was ist denn nun eigentlich hier so recht los? Ich habe diesem Menschen die Taschen visitiert ... Er hat 180 000 Mark in Tausendern bei sich, außerdem Papiere auf drei verschiedene Namen ...«

»Ja,« nickt Harald, »auf die Namen Manquier, Mendel und Alexander Giesebrecht ... Stimmt's?«

»Gewiß, Herr Harst ...«

»Nun, dann können wir ja Platz nehmen und Herrn Ernst Mendel bitten, uns ein offenes Geständnis abzulegen, damit er nachher milde Richter findet. – Wie ist's, Mendel, wollen Sie reden?«

Ein finsterer Blick trifft Harst ...

Dann ein freches Lachen ...

»Ich werde nichts sagen – nichts! Und der da ..., mein Freund Halden, der bereits die Augen offen hat, wird erst recht schweigen ... Dann mögen Sie, Sie kleiner Sherlock Holmes, mal herumraten, was diese feine Suppe alles enthält ... Raten Sie nur ... Wetzen Sie Ihren Geist ...!« Und wieder lacht er und enthüllt eine Seele, die der des Doktor Ferdinand Halden ebenbürtig ist.«

»Hier ... gibt's nichts mehr zu raten,« erwiderte Harald und lehnt sich in den Gobelinsessel bequemer zurück. »Bei welcher Lebensversicherung hatten Sie sich zu Gunsten Haldens versichern lassen, Mendel? Ich glaube, bei der Viktoria – mit hunderttausend Mark etwa ... Wenigstens schätze ich auf diese Summe, nach der Prämienquittung, die ich gestern, als ich Ihr Zimmer besichtigte, auf dem Schreibtisch liegen sah – bei der Sanitätsrätin ...«

Mendel senkt den Kopf ... Schweigt ...


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