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Der Goldgräber

Bei Anders Eriksen, dem Tischler des Dorfes, hingen viele Jahre ein Paar seltsame Stiefel. Sie waren weder zusammengepflöckt noch zusammengenäht, nur aus einem einzigen Stück Gummi gemacht und so lang, daß sie einem Mann bis an die Hüften reichten. Es waren Goldgräberstiefel.

Tischler Anders benutzte sie nicht, und wenn seine Jungen bisweilen damit in den Teich wateten, dann wagten sie sie nicht länger als fünf Minuten anzubehalten; der Arzt im Dorf hatte erklärt, daß Füße in dergleichen Stiefeln nicht »atmen« könnten. Sie rochen nun freilich auch nach Gift oder Medizin, und wenn das Wasser die schlaffen Schäfte um die Beine zusammenpreßte, dann konnte man deutlich spüren, wie die Beine zu welken begannen. Man hatte großen Respekt vor diesen Stiefeln. Wer Tischler Anders Werkstatt betrat und sie an der Wand hängen sah, sandte einen vagen Gedanken in die weite Welt hinaus, in diese oder jene entlegene Gegend, wo man Gold gräbt und von der sich ordentliche Menschen fernhalten. Und in gottesfürchtiger Neugier fragte man dann wohl nach Laust Eriksen, dem Vater des Tischlers Anders, wo der nun wohl sei, ob der Sohn von ihm gehört habe und ob er ihn nicht bald beerben würde …

Tischler Anders schüttelte jedesmal den Kopf, wenn jemand fragte. Infolgedessen vergaß man Laust Eriksen. Die Stiefel wurden vergessen, sie hingen im Spinngewebe unter der Decke und schrumpften ein.

Tischler Anders lernte seinen Vater kennen, »bekam« ihn, wie witzige Leute sich ausdrückten, in seinem neunundzwanzigsten Jahr. Vorher hatte er ihn nie gesehen. Anders Mutter starb, als Anders ein kleiner Junge war, damals war der Vater schon fort. Als Anders in die Schule ging, machte es den andern Kindern Vergnügen, ihn mit der Erzählung zu peinigen, daß er einen Vater gehabt habe, der Laust hieß, daß er aber die Mutter und ihn einfach sitzengelassen habe. Und als er herangewachsen war und mit Hilfe guter Menschen ein Handwerk erlernt hatte, da wurde es ihm zur Gewohnheit, seine Dankesschuld dadurch abzutragen, daß er mitleidigen Menschen stets ein williges Ohr lieh, wenn sie vom Vater als von einem Schuft sprachen, der nach Amerika durchgebrannt sei. Anders war ein stiller Mensch, ohne einen bösen Gedanken. Er war lang und hager, wie die Dankbarkeit selbst in die Länge gezogen. Er hatte ein blasses Gesicht, war schmalbrüstig und tat niemand etwas zuleide. Beim Militär wurde er entlassen, und nun machte er Särge, als wolle er sich in aller Stille an der Mitwelt rächen. Er war fruchtbar und zeugte jährlich ein Kind mit einer Frau, die kein anderer hätte anrühren mögen.

Laust Eriksen war seinerzeit aus einer ähnlichen Zucht hervorgegangen. Er wurde Stalljunge, Jungknecht und Knecht, ging seine eigenen Wege und dünkte sich stark. Verführte ein Mädchen in einer unglücklichen Stunde und blieb an ihr hängen. Ein Unglück aber kommt selten allein; Laust »liebte« das Mädchen, das heißt, er nahm sein Vergnügen ernst und wollte die Folgen seiner Sünde auf sich nehmen, was hochmütig ist und von Biederleuten nicht verziehen wird, die die Forderung aufstellen, daß der eine so niedrig handeln muß wie der andere. Laust ließ Gefühl durchblicken und wurde aus seiner Kaste ausgestoßen.

Ein solcher Mensch muß ganz von vorn anfangen, und wie die Verhältnisse zu Lausts Zeiten lagen, war er auf die Heide angewiesen. Für hundert Reichstaler, die er sich zusammengespart hatte, kaufte er ein Stück Heideland, und eines Sonntags sah man ihn und seine dickleibige Liebste sich auf dem »Landsitz« ergehen, als seien sie feine Leute, die einen Spaziergang unternehmen. Sie waren im Begriff, sich einen Bauplatz zu wählen. Zum Ärger der Leute in Graubölle wählten sie eine hochgelegene Stelle auf einem Heidekrauthügel mit Aussicht! Als ob es ihnen nicht besser angestanden hätte, sich in eine der sauren Niederungen zu verkriechen, wo arme Leute mit Anstandsgefühl ihre Bretterhütte errichten. Im Laufe des Winters sammelte Laust Steine und allerlei altes Holzwerk auf dem Gipfel des Hügels, und im Frühjahr begann er eigenhändig mit dem Bau des Hauses. Es wurde halb ein Erdhaus, indem er es in die Erde grub, mit Riesensteinen auspolsterte und mit Heidekraut deckte. Er hatte den schlechten Geschmack, neben diesem Schloß eine Fahnenstange aufzupflanzen! Er hatte sie auf einer Auktion gekauft und mit weißen und roten spiralförmigen Streifen angestrichen, und von der Spitze wehte eine kleine Fahne mitten in der öden Heide, an dem Tag, als die beiden jungen Menschen dort einzogen. Das sollte ihnen heimgezahlt werden.

Laust und Mette Kirstine standen nun vor der Aussicht, zwanzig bis dreißig Jahre lang mit ihrer Hände Arbeit das Heideland zu bebauen. Was da erreicht werden konnte, war eine Wohnstelle mit zwei Kühen und zwanzig Schafen, schuldenfrei; das aber lag noch weit im Feld, ein Menschenalter weit. Vorläufig hatten sie noch nicht einmal eine Katze in der Hütte. Laust ging auf Arbeit und diente in Graubölle als Tagelöhner; es reichte gerade, um nicht zu verhungern. In seiner freien Zeit begann Laust mit der Herkulesarbeit, die Heide mit dem Spaten aufzubrechen; es wurde freilich nichts Rechtes. Daß er es aber nicht aufgab, reizte die Leute, die sonst geneigt gewesen wären, ihm hie und da einen Pflug und ein paar Ochsen zu leihen. Laust war trotzig, und das steht einem armen jungen Schlucker nicht an. Die Großbauern ärgerten sich über ihn, und die Leute in kleinen Verhältnissen haßten ihn, weil er sich abgesondert hielt. In einer Neujahrsnacht rotteten sie sich zusammen und versuchten unter dem Vorwand eines Spaßes, mit Stricken den neuen Bewohnern das Dach über dem Kopf wegzuziehen. Laust ging hinaus und verprügelte einige von ihnen. Von da ab wurde Mette Kirstine von den Höfen fortgewiesen, wo sie Milch zu holen pflegte. Schlimmer wurde es, als man auf den Höfen nach und nach Lausts Hilfe entbehren zu können glaubte, weil er zu stolz war. Man wollte ihn doch nicht geradezu bitten, daß er kommen und das Notwendige verdienen möge. Der letzte, bei dem Laust Arbeit bekommen hatte, war Thomas vom Brückenhof, und auch mit ihm veruneinigte er sich eines Tages und wurde fortgewiesen. Nun stand er da mit seinen Riesenfäusten, ausgeschlossen und untätig.

Allen zum Ärger schlug er sich indessen noch ein halbes Jahr lang durch. Er hatte in einem Moor das Recht zum Torfstechen gemietet, unter sehr billigen Bedingungen, weil die Torferde dort von dürftiger Beschaffenheit war; Laust aber verfiel darauf, den Torf zu kneten und zu formen, wie man Stein formt, wodurch er ausgezeichnet wurde. Es war eine große Arbeit, da sich Laust aber im Städtchen Verbindungen verschaffte und seinen Torf dorthin exportierte, so verdiente er ganz beträchtlich. Der Tagelohn für Torfstechen war höchstens zwei Mark, Laust soll durch seine Betriebsamkeit über sechs Mark verdient haben. Der Mann aber, von dem er das Moor gemietet hatte, litt das nicht. Er legte Protest ein und machte geltend, daß Laust nur das Recht hätte, zum eigenen Gebrauch zu stechen, nicht aber in fabrikmäßigem Stil. Laust verlor den Prozeß.

Den folgenden Winter hungerten die drei in der Hütte. Man erzählte sich, sie hungerten, daß es ihnen durch die Rippen pfiff. Man sah fast nie Rauch aus dem elenden Schornstein draußen auf »der schönen Aussicht« aufsteigen. Alle vierzehn Lage oder alle Monat kam Laust zum Höker und kaufte ein Pfund Fett; woher bekam er das Geld? Er ging vier, fünf Meilen, um durch Dreschen eine Mark und zwei Schillinge zu verdienen. Er wurde auf dem Markt eines anderen Kirchspiels gesehen, wo er Pfeifenauskratzer aus Tierknochen feilbot, die niemand kaufen wollte. Gegen Ostern reiste ein Mormone in der Gegend umher, und um die Frühlingszeit war Laust Eriksen verschwunden. Die Leute wieherten vor Lachen.

Mette Kirstine und der Junge aber schienen sich gut dabei zu stehen. Denn als der Trotzkopf nicht mehr im Weg stand, konnte sie der Gemeinde zur Last fallen und wieder Brot schmecken. Es soll eine unbeschreiblich elende Verfassung gewesen sein, in der sie der Gemeinderat draußen in der Hütte fand. Mette Kirstine verwand es nicht, weder Nahrung noch Pflege konnten sie retten, sie starb. Der Junge wurde dem Mindestfordernden in Pflege gegeben und später in die Tischlerlehre geschickt. Er hatte sich im Dorf als Tischler niedergelassen und besaß schon Familie, als der Mann, der sein Vater war, eines schönen Tages wieder auftauchte.

Die Postkutsche setzte eines Tages einen Fremden mit einem Eisenblechkoffer im Wirtshaus ab. Niemand kannte ihn, und er gab sich auch nicht zu erkennen. Auf den Koffer war ein Zettel geklebt, worauf »Red Star Line« stand, und aus diesem Zeichen verschaffte sich das Gerücht die Gewißheit, daß der Mann aus Amerika kam. Er war aber Däne. Er erregte großes Aufsehen im Dorf und wurde der »Goldgräber« genannt. Man redete viel von dieser Berühmtheit, die ins Wirtshaus gekommen war und vorläufig nichts anderes tat, als hinter dem Tisch zu sitzen und die Leute aufmerksam zu betrachten. Er hatte einen scharfen Blick, der die anderen vorsichtig machte, sah aber im übrigen nicht boshaft aus. Seine Kleidung war fremdartig, fast dürftig, er war rasiert wie andere Menschen, nur mit einem struppigen Haarbüschel am Kinn. Er sprach wenig. Dann trat eines Tages ein älterer Mann herein, der ihn erkannte. Da wußte man es, und die meisten fühlten sich gekränkt, weil es Laust Eriksen war, der nach neunundzwanzig Jahren aus Amerika heimgekehrt war.

Am selben Tag ging Laust zu seinem Sohn, um ihn zu begrüßen. Das Wiedersehen war nicht weiter bewegt. Es war bereits einer bei Anders gewesen und hatte ihm die Neuigkeit vorsichtig erzählt, damit die Freude nicht gar zu groß würde. Als der Alte kam, stand Anders an der Hobelbank; er stellte seine Arbeit nicht ein, sah nur hastig auf und nickte zum Gruß. Laust Eriksen ließ seinen Blick einen Augenblick über die Werkstatt und von ihr zum Sohn schweifen, bevor er leise sagte:

»Guten Tag, Anders!«

Anders arbeitete mit größter Aufmerksamkeit weiter.

»Ich bin dein Vater …«

»Hab' schon gehört«, sagte Anders hastig und warf einen flüchtigen Blick auf den Vater. Der fremde Tonfall schreckte ihn zurück. Dann schwiegen beide.

Laust betrachtete seinen Sohn, der sich eifrig darangemacht hatte, ein Brett mit einem Hobel zu bearbeiten, indem er lange, pfeifende Späne abzog. Anders war groß und hager, mit mächtigen Kinnladen und kranken Augen. Er war schiefbeinig und hatte einen runden Rücken, der Nacken war dünn wie bei einem Kind und hatte eine Rinne. Er ähnelte der Mutter. Lausts Augen wanderten hin zu ihm und wieder zurück. Da öffnet Anders' Frau die Tür zur Wohnstube, steckt einen ungekämmten Kopf herein, sieht den Fremden und zieht sich ohne ein Wort wieder zurück. Schweigen.

»Wo hast du dein Holz her?« fragt Laust Eriksen milde und steht zu den Brettern und Planken auf, die unter der Decke liegen. Er betrachtet ein kleines Bord, auf dem einige Mahagoniplatten und andere Sorten edles Holz liegen, und die Augen werden ihm feucht. Anders hält mit der Arbeit inne, folgt dem Blick des Vaters und steckt die eine Hand unters Schurzfell. So steht er lange in Gedanken versunken. Schließlich steht er auf den Vater und hat sein Gesicht völlig leer gemacht, damit der Alte nicht irgendwelche Hoffnung schöpfen soll. »Ich kauf' es bei Svendsen in Hvirresund.«

Die völlige Tonlosigkeit der Antwort schlägt den Alten aus dem Feld. Er bleibt noch einige Minuten stehen und heftet die Augen auf verschiedene Dinge, in Gedanken verloren, dann sagt er kleinmütig, in die Richtung von Anders' Rücken:

»Ich wollt' mit dir reden, Anders. Ich möcht' mich hier niederlassen …«

Hier hörte man ein Gepolter hinter der Tür, wo Anders' Frau gestanden und gehorcht hatte. Anders hobelt weiter und nimmt das Brett auf, um den Rand entlang zu sehen und sich zu überzeugen, daß es gerade ist.

»Ich hab' dir unrecht getan«, sagt Laust Eriksen ein wenig zitternd. Und da Anders nicht darauf zu hören scheint, nur auf das Hobeleisen klopft, um es besser einzustellen, läßt der Alte sich Zeit, ihn genau und forschend zu betrachten. Schließlich nickt er gefaßt und wendet sich der Tür zu.

» Good-bye

Draußen blieb Laust Eriksen stehen und musterte das Haus des Sohnes, maß die Höhe mit den Augen und betrachtete die beiden kahlen Stachelbeersträucher im »Garten« und die Stockrosen an der Hauswand. Dann kehrte er schnellen Schrittes ins Wirtshaus zurück.

Der »Goldgräber« brachte während der folgenden Monate allerlei Leben in die Gegend. Nicht, daß er ein heiterer Mann war, im Gegenteil, es hielt schwer, nur ein Ja oder Nein aus ihm herauszubekommen; aber er hatte in vielen Beziehungen etwas Komisches an sich, das die Leute belustigte. Niemand wurde je klug daraus, ob er etwas besaß. Er lebte nicht flott, deshalb konnte er aber doch ein wohlhabender Mann sein. Seine Hände waren von grober Arbeit gehärtet, er konnte sie nicht ganz öffnen, schien also ein arbeitsames Leben geführt zu haben. Stark wie ein Büffel war er auch noch, obgleich er schon grauhaarig war.

Nachdem etwa vierzehn Tage vergangen waren, begann Laust Eriksen auf Arbeit zu gehen. Es zeigte sich, daß er für allerlei gut zu gebrauchen war, wenn man ihn nur von seiner Neigung abbringen konnte, alles Werkzeug und alle Methoden zu ändern und zu verbessern. Nichts war, wie es sein sollte, und nichts ging ihm geschwind genug. Er fuhr Dünger im Galopp und pflügte, daß die Steine Funken stoben. Er bewegte sich stets, als ob er von einem Großfeuer käme und eine Hebamme holen müßte, und die Leute lachten über ihn. Er hatte ein barsches und kurz angebundenes Wesen, obgleich ihm niemand einen Strohhalm in den Weg legte; auch darüber belustigte man sich. Die Leute ahmten seine bissige Art, zu antworten, nach, und es blieb lange Mode, »no–o« zwischen den Zähnen hervorzustoßen, wenn man nach etwas gefragt wurde und witzig sein wollte. Als er merkte, daß man ihn für einen Sonderling hielt, wurde er nur noch schweigsamer. Vernünftige Menschen hatten indessen Respekt vor dem »Goldgräber«, er hatte augenscheinlich mehr in Amerika gelernt, als er sich anmerken lassen wollte. Einmal sollte auf einem Hof ein großer alter Baum gefällt werden, und zufällig kam der »Goldgräber« dazu. Er ergriff die Axt, die natürlich nicht gut genug war, und da hätte man ihn sehen sollen! Seine Augen funkelten, er ging um den Baum herum und hieb mit der Axt drauf ein wie ein Fechtkünstler, der die Stellung wechselt und Finten benutzt. Es war großartig, wie er eine Axt handhaben konnte. Er war schlau und hatte sich dort, wo er gewesen war, mancherlei Kunstfertigkeit angeeignet. Eine neue Art, ein Seil zu knüpfen, die er einführte, blieb in der Gegend bestehen und wurde der »Goldgräberknoten« genannt. Es war ein gewöhnlicher »Halbstich«. Er war ein guter Jäger und schoß viele Wildenten auf dem Fjord. Man sagte, er locke sie heran, indem er wie eine Ente quake; dabei war vielen Leuten wunderlich zumute. Er hatte auch eine merkwürdige Uhr, die Monate und Tage des Jahres anzeigte. Niemand begriff, daß eine Uhr für solch lange Zeit aufgezogen werden konnte.

Nachdem der »Goldgräber« einige Monate daheim gewesen war, verlegte er sich auf Mergelgraben. Von alters her waren es stets die verwegensten Burschen, die sich mit dieser Arbeit befaßten; unter einem »Mergelgräber« verstand man einen besonders hartgesottenen Mann. Mergel wird auf zwei Arten gegraben, entweder aus offenen Gräben, wobei die Gefahr besteht, daß die Seiten einstürzen, oder aus geschlossenen Gräben, die von Kundigen für sicherer gehalten werden. Bei den letzten wird nur ein schmaler Schacht in die Erde zum Mergellager gegraben, und der Gräber steht dann dort unten und stößt nach allen Seiten vor; der Gehilfe steht oben und windet die Eimer herauf. Stürzt ein solcher Graben zusammen, dann ist der Mann unten verloren, aber es geschieht nicht oft. Ein Mergellager wird dadurch gefunden, daß zwei Männer, die zusammen arbeiten und sich darauf verstehen, umhergehen und die Erde anbohren mit einer langen, dünnen Eisenstange, die an der Spitze ein Gewinde hat. Alles, was sich daran festsetzt, wird untersucht, indem man Scheidewasser darauf träufelt. Falls es kocht, ist es Mergel. Der »Goldgräber« arbeitete zuerst auf Akkord für verschiedene Leute, bald war er ein gesuchter Mann und verdiente viel Geld. Er war rücksichtslos, rechnete Lebensgefahr für nichts und war solch eifriger Arbeiter, daß er zwei Mann beschäftigen konnte, einen beim Spillbaum und einen bei der Karre. Laust lebte auf, als die Arbeit in Gang gekommen war, er schien sein eigentliches Arbeitsfeld gefunden zu haben. Graben mußte der Mann. Lange aber dauerte es nicht, bis der Abenteurer in ihm wieder die Oberhand bekam. Er wollte sich natürlich unternehmender als alle andern zeigen und trat mit drei großen Schweden, hergelaufenen Trunkenbolden, in Verbindung, zur Anlage einer richtigen Mergelgräberei. Sie kauften ein Mergellager und arbeiteten zuerst einen Monat auf gewöhnliche Art, schufteten wie Riesen. Schon bei Sonnenaufgang konnte man die gewaltigen Trabanten draußen auf der Heide undeutlich im Nebel huschen sehen und die Kette des Schlagbaums rasseln hören. Sie waren über und über mit Mergel und Kalk bespritzt, wenn sie sich im Dorf zeigten und mit ihrem Geld um sich warfen. Sie benahmen den Leuten den Atem mit ihrer Prahlerei, ihrer Verschwendung und ihren Gotteslästerungen. Es nahm aber auch ein schlimmes Ende. Der »Goldgräber« kannte sein Maß; er ließ eine Lokomobile fünf Meilen von der Stadt herfahren und aufstellen; und nun begannen die vier ruchlosen Gesellen, Mergel in Kippkarren auf Geleisen zu rollen. Es war keine Gottesfurcht in den Kerlen, es fehlte ihnen die Schamhaftigkeit anderer neumodischer Wirtschafterei gegenüber.

Wenige Menschen konnten es leiden, daß zu jeder Zeit aus dem häßlichen Eisenrohr dort draußen auf der Heide Rauch aufstieg. Man konnte ganz krank werden, wenn man den schwarzen Rauch sah und den Kohlengestank roch. Was sollten dergleichen Frechheiten, selbst wenn der Böse nicht mit im Spiel war? Es war auch verwegen, wie sie mit der Maschine umgingen, man konnte kaum die Speichen des Rades sehen, so schnurrte es herum. Gesetzt, es zerspränge! Schwere Eisenteile konnten dann weit umher fliegen! Wie lange konnte außerdem solch Eisenwerk halten, es rostete ja; es konnte sich unmöglich bezahlt machen. Und grausig war es zuzusehen, wie die »vereinigten Mergelgräber« in der Erde herumbohrten. Sie konnten schon etwas ausrichten, der eine war hier und der andere dort, die schwarze Lokomobile zitterte und sauste, das Eisentau kreischte und rasselte, und herauf kam ein Eisenwagen mit Mergel nach dem andern! Niemals hatten sich die Bewohner der Gegend ein Mergelgraben so großen Stils vorgestellt!

Nie aber hatte man den »Goldgräber« auch so ausgelacht wie damals, als es sich nach vierzehntägigem Dampfbetrieb zeigte, daß das Mergellager erschöpft war!

Laust Eriksen selbst nahm es sich nicht zu Herzen. Andere Dinge bedrückten ihn. Er war noch immer nicht mit seinem Sohn ausgesöhnt.

Regelmäßig an jedem Sonntagvormittag kam er ins Dorf und warb um Tischler Anders. Sie waren sich aber noch nicht einmal so nah gekommen, daß sie miteinander sprachen! Laust Eriksen pflegte sich in die Werkstatt zu begeben und dem Sohn beim Arbeiten zuzusehen, und Tischler Anders ließ sich nicht stören, fuhr ganz ruhig fort, sich mit seinem Leim, seinem Kienruß und seinen Formen zu beschäftigen, in die er gekreuzte Hände und Engelköpfe goß, bis die Kirchenglocke zu läuten begann. Dann nahm er sein Schurzfell ab, und der Alte verabschiedete sich. Bisweilen wurden einige Worte zwischen ihnen gewechselt, stets aber über Dinge, die ihrer eigentlichen Abrechnung fernlagen. Tischler Anders bewahrte eine Art verbindlicher Haltung, als wäre der Vater ein im übrigen höchst achtbarer Kunde, der reichlich lange Zeit zum Bestellen des Sarges brauchte, weswegen er ja doch wohl gekommen war. Laust Eriksen aber wollte dem Sohn nicht noch mehr entgegenkommen, solange der nicht den geringsten Schritt zur Versöhnung tat. Er stand meistens neben der Tür, am Ende der Hobelbank, trat nie näher und rührte nichts an. Der Sohn hatte ihm einmal stillschweigend einen Zirkel aus der Hand genommen, mit dem der Vater spielte. Lausts Augen wichen nicht vom Sohn, solange er in der Werkstatt war. Es konnte vorkommen, daß er einen Fühler ausstreckte und sich nach dem Befinden der Frau erkundigte oder ehrlich nach Anders' Bruchleiden fragte; Anders reagierte nie auf diese Annäherung. Eines Sonntags legte der Alte wie in Gedanken ein Pfund Schokolade auf die Hobelbank, am nächsten Sonntag lag es unberührt an derselben Stelle. Es ging wie ein Schauer über Laust, als er das Paket dort noch liegen sah. Am folgenden Sonntag lag es noch da, und der Alte nahm es ungeschickt an sich und trug es wieder fort. An diesen drei Sonntagen wurde kein Wort gesprochen.

Für einen Mann wie Tischler Anders, der selbst ein Bauer war und die Art der Bauern, ihre Gefühle zu verbergen, kannte, war es nicht schwer, zu verstehen, was der Vater wollte, und sein kühles Wesen zu durchschauen. Er wollte auf seine alten Tage ein klein wenig Freundlichkeit erwerben, wollte seinen Jungen wieder haben, das war alles, was der »Goldgräber« wünschte. Tischler Anders aber sah keinen Grund zu freundlichem Entgegenkommen. Nicht, daß er persönlich Groll gegen seinen Vater hegte, weil er seinerzeit ihn und seine Mutter verlassen hatte, denn darauf konnte er sich nicht besinnen, und Tischler Anders besaß überhaupt nicht den Trieb, sich gegen Unrecht aufzulehnen. Vielleicht war es so zum Besten gewesen. Der Vater hatte eines Tages ein Wort fallen lassen, das berechtigt sein mochte: Es läge ein Sinn darin, das Glück im Ausland zu suchen, wenn es einem daheim verwehrt würde. Laust Eriksen hatte vielleicht gar nicht die Absicht gehabt, Frau und Kind für immer zu verlassen, vielleicht war er in die Welt hinausgereist, um Geld und Wohlstand heimzubringen, wenn es ihm gut ging. Was diese Seite der Sache betraf, so hätte man wohl zu einer Verständigung kommen können. Tischler Anders aber wartete und hatte Zett zum Warten, bis der Alte sich offen darüber äußern würde, weshalb er zurückgekommen war, ob er ihm nur zur Last fallen würde oder wie. Laust Eriksen aber war der letzte, der an diese Frage rühren wollte. Er hatte vermutlich eine Art Instinkt, der ihm riet, den Sohn zu prüfen, indem er darüber schwieg. So ging es zu, daß sie sich nicht ein einziges Mal richtig aussprachen. Der »Goldgräber«, der im Alltag ein baumstarkes und nicht umzubringendes Arbeitspferd war, glich jeden Sonntag, wenn er sich mit langen Schritten dem Tischlerhaus näherte, einem alten Mann. Er war dann nicht in seinem eigentümlichen amerikanischen Arbeitszeug, bei dem Bluse und Hosen in eins gingen, sondern trug eine blaue Jacke mit blanken Knöpfen und Kragen und Vorhemd. Er kam pünktlich gegen neun Uhr, und ebenso regelmäßig sahen die Leute um zehn Uhr, wenn sie zur Kirche gingen, ihn das Haus des Sohnes wieder verlassen. Laust ging nicht zur Kirche, er begab sich geradeswegs heim in seine Behausung. Leute, die ihm begegneten, hörten, wie er mit sich selbst sprach, während er zu Boden starrte; keiner verstand ihn, denn er sprach englisch mit sich selbst. In den Jahren, die er in der Gegend verbrachte, wurde er zu einer Sagenfigur, niemand kam ihm nah.

Laust Eriksen, der sich draußen in der Fremde ein barsches und kurzes Wesen angeeignet hatte, barg mehr Milde und Wärme in sich als Bauersleute im allgemeinen. Das zeigte sich in der Pünktlichkeit und Treue, womit er Sonntag auf Sonntag sich im Dorf einfand, gebückt in die kleine Werkstatt eintrat, wo der lange, schwache Sargtischler beim Hobeln stand, ihm seinen schlottrigen Hosenboden zukehrte und ihn anschwieg, als sei er Luft.

Wenn der »Goldgräber« dort so stillstand, daß der Sohn ihn fast vergaß, dann kam ein recht einsamer Zug in sein Gesicht. Er sah sich so sehnsüchtig um, der Vielgereiste, und rieb sich die Knöchel, als wäre ihm kalt. Sollte ihm hier nicht ein friedlicher Winkel beschieden sein? Würde ihn nicht ein einziges Augenpaar ohne Falsch ansehen, jetzt, wo er alt war?

In der Stube war er nie gewesen, jedesmal aber, wenn die Tür angelehnt stand, guckte er hinein und verhielt sich mäuschenstill. Dann sah er, wie Anders' sauertöpfige, dickleibige Frau die ewigen Kartoffeln auf das Feuer setzte, sich mit dem Finger den Scheitel kratzte und ihre Rangen, die immer am einen oder anderen Ende naß waren, rüttelte und trockenlegte. Die Uhr drinnen in der Stube tickte ungeheuer würdig. Auf der Kommode stand eine Photographie im Rahmen neben einem Porzellanhund, und der »Goldgräber« dachte, es sei vielleicht die Tote, die Mutter, die Liebste und Frau, die er verlassen hatte. Er konnte aber nicht hineingehen und nachsehen, denn er hatte ja keine Erlaubnis bekommen.

No–o!

Eines Sonntagmorgens, als sich der »Goldgräber« wie gewöhnlich in dem Tischlerhaus einfand, war Anders nicht in der Werkstatt, dagegen hörte Laust seinen Sohn drinnen in der Stube leise mit den Kindern sprechen, die bald lachten, bald heulten und deren Schritte auf dem Fußboden hallten; die Tür war geschlossen.

Der »Goldgräber« stand eine Viertelstunde allein in der Werkstatt an seinem Platz und besah sich all die ärmlichen und abgenutzten Kleinigkeiten, die der Sohn täglich benutzte. Er hörte drinnen in der kleinen Stube die Wiege auf dem sandigen Fußboden gehen. Die Tür blieb geschlossen.

Der »Goldgräber« trat von einem Fuß auf den andern, damit der Sohn wissen sollte, daß er da sei. Hin und wieder hustete er ein wenig, um gehört zu werden. Die Tür aber blieb geschlossen und wurde nicht geöffnet. No-o. Dann ging der Alte.

Am nächsten Tag kam ein Bote mit einem Paar Stiefel und einem großen dicken Brief für Tischler Anders. Es waren jene langen Goldgräberstiefel, mit denen Laust im Mergelgraben gestanden hatte. Im Brief stand nichts, aber er enthielt zweihundertundfünfzig Zehnkronenscheine.

Was war das für eine Art, so viel Geld in einem gewöhnlichen Kuvert zu schicken? Darüber wurde später viel geredet, solche Unvorsichtigkeit war ja fast strafbar. So war der »Goldgräber« in allem, leichtsinnig und ohne Gedanken an die Folgen. Die Leute fuhren fort, über sein Mergelgraben, über seine »Fabrik« noch lange, nachdem er abgereist war, zu lachen. Was hatte die Lokomobile nicht für Geld geschluckt! Dergleichen zu lernen hatte er sich natürlich drüben nicht enthalten können. Wäre Laust bei der alten Art, Mergel zu graben, geblieben, dann hätte er für den Rest seines Lebens Mergel genug im Lager gefunden.

Na, eines Tages war der »Goldgräber« abgereist. Er hatte sich ganz still mitsamt seinem Eisenblechkoffer aus dem Staub gemacht. Er war in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, zu den weiten Prärien und unendlichen Wäldern. Das Dorf hörte nie wieder von ihm.


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