Oskar Jellinek
Zuchthauslegende
Oskar Jellinek

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Die Schnitterinnen, die ringsum auf den Feldern die gefallenen Ähren zu hohen Garben vereinten, durften aus der sengenden Hitze dieses Tages für einen Augenblick aufatmen – ein Windhauch strich den Verwunderten jäh über das Gesicht. Sie ahnten nicht, daß der Todesengel durch ihre Reihen schritt, ihrer freilich nicht achtend: seine Sendung führte ihn weiter, durch das jetzt menschenleere Dorf, an dessen Ende das Zuchthaus lag.

Unsichtbar glitt er dahin im Lichte, selbst ein Lichtstrahl, denn er trug das strahlende Kleid des Befreiers. Langsam näherte er sich der mächtigen Gefängnisstätte, die zu betreten ihm geheißen war. Nun lag sie knapp vor ihm, ein brütendes Untier, und er nahm ihre lastenden Mauern und Dächer in den Blick seiner großen, hellen Augen auf, der die himmlischen Weiten gewohnt war.

Das gewaltige, festverschlossene, bohlenbeschlagene Tor der Umfassungsmauern durchschritt er, als wäre es Luft. Im Vorhof umglitt er das Wirtschaftsgebäude. Jetzt stand er im Haupthof.

»Das ist der mittlere Anstaltshof, zugleich unser Spazierhof für die Gefangenen«, sagte zu einem Besucher, der sich hastig Notizen machte, der Direktor, ein hagerer Mann, dem ein rötlicher Schnurrbart über die dünnen Lippen hing. »Hier das Verwaltungsgebäude mit Personalwohnungen. Dort rechts der sogenannte Ostbau mit Arbeitsstätten für vierhundert Sträflinge: im Souterrain Schlosserei und Schmiede, im Parterre Tischlerei, Schusterei und Tütenmacherei, im ersten Stock Weberei, Schneiderei und Zwirnknopferzeugung. Hier links der Westbau: im Parterre Küche, Bäckerei und Viktualienmagazin, im ersten Stock das Anstaltsspital.« 238

»Haben Sie viele Kranke?«

»Jetzt nur vierzig. Dort, weiter im Turmgebäude, werden Sie unsere Schlafkerker sehen: einundzwanzig für je etwa fünfzehn Gefangene. Von dort gelangen wir durch den dritten Hof zum Nordgebäude, das noch einige Gemeinschaftsschlafkerker und die Zellen für die Einzelhaft enthält. Rechts davon finden wir die Anstaltskirche und im Parterre darunter die Metallknopferzeugung . . .«

»Darunter die Metallknopferzeugung?«

»Jawohl, und im Souterrain die Korrektionszellen.«

»Werden die oft benützt?« Der Besucher trennte ein vollgeschriebenes Blatt von seinem Notizblock und verwahrte es.

»Leider! Wir haben jetzt siebenhundertdreiundfünfzig Sträflinge, darunter achteinhalb Prozent Mörder. Besonders diese Lebenslänglichen, aber selbst schon die Überfünfjährigen packt oft die Verzweiflung. Dann sind sie wie reißende Tiere, und da muß man sie bändigen. Wir wollen jetzt den Rundgang machen, wenn es beliebt.«

Stumm stand der Engel, mit gefalteten Schwingen, sendungserfüllt. Sein Auftrag aber lautete: aus dieser Menschenhölle, aus diesem furchtbaren Beieinander von Tütendrehen und Schlafkerker, von Metallknopferzeugung, Anstaltskirche und Korrektion, von Krankheit, Verzweiflung und Bändigung heute den zu befreien, dessen Entrückung aus der giftigen Umarmung dieser gefallenen Welt in den unendlichen Sphärenraum ewiger Reinheit ihm am dringendsten geboten erschiene. Und der Engel trat seinen Weg an – mit gefalteten Schwingen. Denn stets mußte der Todesengel der Stätte seines Wirkens mit gefalteten Schwingen nahen! Sie konnten erst dann sich entfalten, wenn sein Herz, das sie lenkte, ihm den Gesuchten wies.

Der Engel stieg behutsam die Treppe des Ostgebäudes hinan, die sonst nur den Schwertritt der Verdammten kannte. Er glitt einen düsteren Gang entlang, dessen Kalkbewurf stellenweise abgefallen war, und öffnete eine Tür. Hier 239 saßen etwa dreißig zwilchbekleidete Männer um einen langen Tisch und nähten. Sie stießen kräftige Nadeln in graues Tuch; einer, an der oberen Schmalseite des Tisches, schnitt zu. Keiner sprach. Nur einer öffnete immer wieder den Mund und stieß ein schütterndes Husten aus. Der Engel sah, daß nicht alle gleich fleißig waren unter diesen Menschen, die hier Betrug, Raub, Schändung und Ärgeres verbüßten. Mancher stierte vor sich hin und arbeitete eine Weile lang gar nichts. Dann stieß er freilich scheuen Blickes die Nadel mit um so wilderer Hast in das steife Tuch. Es waren Menschen verschiedenen Alters, die in diesem sommerheißen, dickwandigen Raume hockten, aber mancher von den Jüngeren schien ein Greis zu sein und mancher von den Älteren hatte die Züge eines blöden Knaben. Durch ihre fleischlosen Körper schaute der Engel ihre Schicksale wie durch trübes Glas. Doch über sie alle strich jetzt ein Glückshauch, urplötzliche Hoffnung auf nahes Ende ihrer Haft. Sekundenlang nur. Denn schon wandte sich der Todesengel, seine Schwingen blieben unbewegt – hier war der Gesuchte nicht.

Zu anderen Unseligen hinüber und hinunter glitt der Engel. In der unterirdischen Schmiede stand ein Mann, entblößten Oberkörpers, und ließ mit unverbrauchter Kraft den Hammer auf den Amboß niedersausen. Das war Jaksch, der Schmied, der den Geliebten seines Weibes erschlagen hatte. Drei Jahre lang büßte er nun schon diese Tat, aber noch immer sah er in dem glühenden Stück Eisen hier vor sich das Haupt des Nebenbuhlers und schlug darauf los – immer wieder, immer wieder. Ungebrochen, trotz der Strafe, stand er breitbeinig da und wiederholte, ungestillten Rachedurstes, seine Tat in jedem Augenblicke. War dieser Menschenriese, der unbefreit zurückkehren würde in die Freiheit der Welt, sie mit neuem Unheil erfüllend, der Gesuchte? Forderte Gott die Entrückung dieses Erdverhafteten, seine Befreiung vom eigenen Ich? Unbewegt blieben die Schwingen. 240

Nun führte den Todesengel sein Weg ins Lazarett. Er trat dort ein wie der geborne Beherrscher eines Reiches, das ein kleiner Eroberer für kurze Zeit unterjocht hatte. Der Arzt, ein stachelköpfiger Mann, stand am Fußende eines Krankenbettes und wischte sich den Schweiß. Der Todesengel schritt durch die vier Räume des Spitals, und rechts und links von seinem sachten Schreiten stöhnten die Kranken selig auf, und mancher auf seinem kargen Lager lächelte, wie für immer von Schmerzen erlöst. Dann trat der Engel, dem Arzte gegenüber, an das Kopfende jenes Bettes. Ein dünner, gelber Mensch lag darin, von Kälteschauern geschüttelt: »Die Eisdecke weg, die Eisdecke weg!« Und mit einer Kraft, die man ihm nicht mehr zugetraut hätte, schleuderte er den dicken Kotzen, den man ihm trotz der Hitze übergelegt hatte, auf den grobgestrichenen Fußboden. Ein Wärter wollte den Entblößten wieder zudecken. Doch der wehrte sich. »Ich erfrier' ja, Herr Doktor, ich erfrier', das Wasser ist so kalt . . . und das Eis, das Eis zerschneid't mir die Hände!« . . . »Er hat nämlich«, erklärte der Wärter dem kopfschüttelnden Arzt, »einen Wucherer, der ihm seine Mühle versteigern lassen wollte, auf dem gefrornen Mühlteich in ein Loch gestoßen.« Der Todesengel beugte sich über die wasserblauen, starren Augen des Zitternden, durch dessen Körper sofort ein Strom von Wärme floß, so daß er sich schon gerettet und geborgen wähnte. Aber das Herz des Engels blieb ohne Auftrag. Vielleicht wird Gott diesen da oder einen von den anderen dort morgen zu sich fordern – heute betraf dies das Amt des Todesengels nicht. Und während die Todesnahen zurücksanken in schmerzende Lebensnot, verließ er das Krankenhaus.

Auf dem Hof führte man jetzt die Gefangenen spazieren. Sie bewegten sich, nach der Vorschrift, rasch im Kreise, paarweise oder einzeln, in Abständen von drei Schritten. Aus einem offenen Fenster der im Erdgeschoß gelegenen Direktorswohnung schaute das zwilchfarbene Gesicht eines Knaben, der »Einszwei, einszwei« rief und in die Hände 241 klatschte, bis eine zottige Magd ihn zurückriß. Vier Hinkende wurden abgesondert spazieren geführt. Der Direktor erschien mit dem notierenden Besucher, der sich verabschiedete. Er nannte die Suppe, die man ihn in der Küche hatte kosten lassen, »nicht unschmackhaft« und das Roggenbrot »körnig«. Auch von den Hülsenfrüchten sagte er etwas. Neue Gruppen von Spaziergängern lösten die alten ab. Kommende und Gehende, Gehende und Kommende – ein Jahrtausend Kerkers war hier versammelt in der noch immer brütenden Glut. Der Engel maß keine Zeit. Aber er ward irre an seiner Sendung vor dem trottenden Gleichmaß dieses verlorenen Menschentums. »Allmächtiger, wann wirst du mir die Schwingen lösen, wann mich erkennen lassen, wen du meinst?«

Der Direktor ging in sein Arbeitszimmer hinüber, der Engel folgte ihm. Dort stand, zwischen zwei Wächtern, ein alter Sträfling.

»Was wollen Sie denn schon wieder, Rottmann?«

»Ich hab's ja nicht getan, Herr Direktor, ich hab's ja nicht getan!«

»Aber Ihre Wiederaufnahmsgesuche sind alle abgelehnt worden, und der Begnadigungsantrag . . .«

»Ich will keine Gnade, ich will mein Recht!«

»Ich soll doch nicht schon wieder ein Gesuch mit Ihnen aufnehmen?«

»Doch, Herr Direktor, ich werde bittlich, ich werde bittlich hiemit, ergebenst werde ich bittlich. Ich hab's ja nicht getan! Meine Kinder sollen doch nicht glauben, daß ich ihre Mutter ermordet hab'. Mein Gott, der Wagen ist halt hinuntergestürzt. Das Pferd war ja blind – das kann ich beweisen . . .!«

»Aber das Testament und Ihre Reden, Rottmann!«

»Man redet manches. Und dieses Testament . . .«

»Das Pferd ist übrigens längst tot, und der, von dem Sie's gekauft haben, auch.«

»Ja, aber sein Sohn lebt, und der kann bezeugen . . .« 242

»Es sind ja schon so viele Jahre.«

»Jawohl, es sind schon so viele Jahre! Aber ich hab's nicht getan, Herr Direktor, ich hab's nicht getan! Und meine Kinder glauben, meine eigenen Kinder . . .« Ein mächtiges Schluchzen brach aus ihm, und Tränen flossen durch tief eingegrabene Furchen ihren längst gebahnten Weg. Dem Todesengel pochte das Herz, seine Schwingen bebten leise, als wollten sie sich entfalten. Aber sie blieben geschlossen. In der Erwartung weit stärkeren Geheißes wandte sich der Engel.

Weiter durchstreifte, durchirrte der lichte Todesbote diese ganze Welt irdischer Finsternis. An ihren rasselnden Wächtern glitt er lautlos vorüber und besuchte in ihren Sonderzellen die Reuigen und die Verstockten, die Mörder aus schwelender Liebe und die flammenden Staatsverräter. Hoffend, dort den Gesuchten zu finden, besuchte er die Hoffnungslosen, die an der Eisenkette ihrer Vergangenheit lagen und denen keine Freiheit auf Erden mehr helfen konnte. Und er nahm die wahr, die noch hofften und deren Hoffnung er als trügerisch erkannte. Er fand jenen Edlen, der einen Meineid geleistet hatte, um eine Frau zu schonen, und hier, Sessel flechtend, von der Freiheit träumte, von der Wiedervereinigung mit der beschützten Geliebten – nur Wochen noch trennten ihn von ihr. Aber längst schon in eines anderen Mannes Armen sah der Engel diese Frau . . . und seine Schwingen bebten leise. Und so bebten sie leise, erlösungsbereit, vor kindischen Fluchtgedanken hinter kindlichen Stirnen, vor trostlosen Briefen, ins Leere geschrieben, vor halbirrem Murmeln in Einzelhaft. Sie bebten und schienen sich entfalten zu wollen, angesichts jedes einzelnen unter diesen Fehlgebornen, die man ausgesetzt hatte auf einer steinernen Insel. Und halb entfalteten sie sich wirklich, als der Engel in jenem Raum verweilte, wo Sträflinge, hinter Gitterstäben stehend, für gezählte Minuten mit ihren Angehörigen sprechen durften: als da weithergereiste Gattinnen, Kinder, Geschwister ihren Gatten, Vater, Bruder zum 243 erstenmal in seiner Schande erblickten, sein Haupt geschoren, seine Züge verstört und mit seinen Händen an des Käfigs Stäben herumgreifend, bis ein Wächter ihm dies verwies, als der Todesengel Zeuge ward solcher Begegnung, solchen Wiedersehens – da, ja, da war ihm, als müsse sein Herz den Schwingen jetzt endlich Kraft geben, sich auszubreiten und einen von diesen Gestraften jenseits oder diesseits des Gitters emporzutragen über diese Minute tiefster Erniedrigung ins ewige Vergessen hinauf. Doch es waren ihrer zu viele – und des Engels Sendung galt einem nur.

Da stieg der Engel in die unterste Welt dieser Unterwelt hinab, in die »Korrektion«. Auf einem engen Gang gelangte er zu einer für Sterbliche versperrten Kellertür und durch diese über eine Treppe, wo nur sein eigenes Licht ihm leuchtete, in einen ungemauerten Höllenraum, an dessen triefend nassen Wänden ringsum Leibringe mit Handfesseln für widersetzliche Sträflinge angebracht waren. Der Raum war menschenleer. Doch kaum hatte ein Himmelsblick des Engels diese Werkzeuge der irdischen Gerechtigkeit gestreift, als oben unter großem Getöse die Kellertür aufgerissen wurde und drei Männer in Uniform, denen ein vierter eine Laterne vorantrug, einen großen, starken, viereckig gebauten Mann unter Schimpfworten die Treppe hinunterstießen und durch Fußtritte zu dem nächsten Leibring hinzwangen. Da der Sträfling sich wehrte, entspann sich ein wüstes Handgemenge, bis es schließlich gelang, dem Raubmörder Antonin Vojta, der in ohnmächtiger Wut über eine ihm strafweise zudiktierte Kostschmälerung den Tisch in seiner Zelle zertrümmert hatte, den Leibring umzuschnallen, der ihn an die Wand fesselte. »So! Man wird dir zeigen, die Zelleneinrichtung zerdreschen, du Hund!« rief der Laternenträger, und die drei anderen gingen daran, dem Überwältigten die Handschellen anzulegen. Doch das Auge des Engels war nicht auf ihn gerichtet und nicht auf seine Bezwinger. Denn außer diesen allen stand noch ein menschliches Wesen in diesem unterstweltlichen Raum, ein kleines Wesen mit 244 zwilchfarbenem Gesicht, das noch blässer erschien im Lichte der Laterne, mit zartem Körper und einem etwas zu großen Kopf: der Knabe des Direktors, den der Engel schon gesehen hatte, wie er zu dem Spaziertrott der Gefangenen im Hofe Beifall klatschte. Jetzt beteiligte er sich geschäftig am Anlegen der Handschellen und rief dann, sich vor dem Gefesselten aufpflanzend, mit seiner Kinderstimme: »Du Hund! Du Hund!« Und als die vier Männer schon lachend die Treppe hinaufstiegen, versetzte er dem nun ganz Erschöpften, dessen Gesicht der triefenden Wand zugekehrt war, noch rasch einen Faustschlag gegen den Schenkel, und wiederholte: »Du Hund!«

Mit zitternden Flügeln folgte der Engel diesem Kinde. Aber es kehrte in die Wohnung seines Vaters noch nicht zurück. Es lief durch die Korridore der »Objekte«, durch das Ost-, West- und Nordgebäude, beschmutzte seinen wenig sauberen blaugestreiften Waschanzug an dem bröckelnden Kalkbewurf noch mehr, öffnete hinter dem Rücken der Aufseher, die den Knaben alle kannten, handbreit die Türen und lugte hinein in das dumpfe Leben der gezähmten Räuber und Mörder. Plötzlich ergoß sich der Strom der Sträflinge durch die Gänge, denn die Zeit des Nachtmahls war gekommen, der hungrig erwarteten Suppe. Der Knabe lief neben und zwischen ihnen mit, rief ihnen dieses und jenes zu, höhnte einen, den alten Jakubec, der wegen seines irrsinnigen Grinsens im ganzen Hause bekannt war, dieser spuckte nach ihm, und der Knabe spuckte zurück. Immer umglitt ihn der Engel, doch dem waren keine Körperhände gegeben, diesen kleinen Knaben zu halten, zu führen, zu schützen, seine Augen zu bedecken, um sie zu bewahren vor dem unauslöschlichen Bilde dieser geregelten Kerkerwelt.

Nun trollte sich der Knabe endlich nach Hause, immer zögernder, denn Strafe erwartete ihn wegen seiner Verspätung. Neben dem scheu sich Herumdrückenden betrat der Engel die Wohnung. Aus der Küche stürzte die zottige Magd, zerrte den Knaben ins Zimmer und rief: »Warst 245 wieder drüben bei den Verbrechern, du Lump! Zur Strafe heute kein Nachtmahl!«

»Ich will aber mein Nachtmahl!«

»Du kriegst aber kein's«, feixte die Magd. »Der Vater hat's auch befohlen, bevor er hinunter ins Dorf gegangen ist.«

Da schwollen dem Knaben die Äderchen auf seiner blassen Stirn, er hob einen Spielball auf und warf ihn der Magd ins Gesicht. Diese packte den Knaben und versetzte ihm eine Ohrfeige. »Du elender Lump, du Verbrecher – du wirst einmal g'rad so einer wie die dort drüben, bist es heut' schon, aber wart, ich werd' dir zeigen!« Sie befreite sich von dem Knaben, der mit den Füßen gegen ihren Leib stieß, rannte hinaus und sperrte die Tür hinter sich zu. Der Knabe tobte. Brüllend stieß er nun gegen die Tür, mit Fäusten und Füßen. Als dies nichts nützte, faßte er einen kleinen Schemel, auf dem er zu sitzen pflegte, und schleuderte ihn so lange gegen die Türfüllung, bis er zerbrochen dalag wie der Zellentisch des Antonin Vojta.

Mitten im Zimmer stand der Todesengel und schaute auf das Kind nieder, das jetzt, fast zu seinen Füßen, sich auf den Boden geworfen hatte und krampfhaft schluchzte. Und im aufsteigenden Weh fühlte der Engel ein Wehen seiner Schwingen angesichts dieses Knaben, der hier mutterlos aufwuchs im seelenmörderischen Hause der geknebelten Kains und Ahasvers, zu denen er einst gehören würde. Ein mächtiger Trieb seines Herzens entfaltete weit seine Flügel. Er beugte sich nieder und hob das Menschenkind an seine leuchtende Brust.

Bald wird man den Kleinen vermissen. Man wird glauben, daß er durch das Fenster entwichen sei. Und man wird das ganze Zuchthaus durchforschen, darin soviel geducktes Verbrechen lauernd nistet. Aber man wird ihn nicht finden. Denn jetzt fliegt er, von den Strahlenarmen des Todesengels umschlossen, durch den Abend, während unten auf Erden die Schnitter ihre Ernte einbringen, auf hochgetürmten goldenen Wagen jauchzende Lieder singend.

 


 


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