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Mondschein – Niquille – kosmetische Hungerkur – Vatermartern
Es war mitten im März des Jahres, in dessen ersten April ich den Leser schon weiter oben habe gehen lassen, daß Perefixe in der Flachsenfinger Redoute mit einer langen, gewandten, frohen weiblichen Maske tanzte. Im ausruhenden Gespräch machte er nach seiner jugendlichen vertrauenden Offenheit sie früher mit sich bekannt als sich mit ihr; sie gab sich als eine nach Wien reisende Sängerin an, namens Niquille. Zum Glück – einen Tag später sagt oft der Mensch: zum Unglück – logierten beide in einem Gasthofe; und stiegen vor einer Haustüre aus. Niquille konnte nur französisch und italienisch, er war der Mittler zwischen ihr und der deutschen Wirtsdienerschaft. Es kann weniger durch die Abreise, die schon morgen einfiel, als durch die Unmöglichkeit, irgendein Mondlicht, besonders ein gemaltes, bei Tagslicht zu beschauen, entschuldigt werden, daß sie noch heute nachts den Konsistorialis ersuchte, einige italienische Transparents oder Mondscheinstücke, dergleichen ich mehrere sehr elende gesehen, in Augenschein zu nehmen. Diese Bilder für bloße Augsburgische Thesesbilder und Buchdruckerstöcke ihres Themas anzusehen, das war er so gut imstande als einer, der auf keiner Maskerade, geschweige an deren Schenktischen gewesen; allein – da Niquille so keck und philosophisch dachte, sich gegen alle Jagdverbote der Liebe metaphysisch erklärte und sagte, sie würde jedes aufheben, hätte sie sonst Temperament – so wollt' er sehen, ob sie denn der – Teufel plage. Es gibt Foliobände, welche ausführen, daß dabei nicht viel Segen sei. Das Zimmer wurde, wie eine Glocke luftleer, so lichtleer gemacht und die einfältige Rötelzeichnung des purpurnen Mondscheins – denn von der magischen Silberhochzeit der Nacht ist auf diesen Schwefel-Abdrücken des Abendrotes wenig nachzuweisen – eingesetzt und angeleuchtet. Die vertrauliche Dämmerung, dem Mond- oder Nordschein gegenüber, lockte allmählich ein oder ein paar Dutzend Teufel näher, Dämmerungsvögel, welche dann am liebsten nach Futter ausfliegen. Es fiel ihm vielerlei zu sagen und zu bedenken ein, z. B. daß es heute Frühlings-Anfang sei, welches er sinnreich auf diese Stunde applizierte – daß diese Ballenbilder an Raffaels schon ausgemaltes Schlafgemach erinnerten – und daß Niquille bloß eine Sängerin sei, die er nie am Tage mehr sehe, geschweige bei diesem italienischen Nordschein. – Manche Menschen sind die Sklaven der Minute, obwohl die Herren des Tages; Leidenschaft in ihrem Herzen ist Feuer in einem Schiff. Mit einem Wort: wie der Priester nach der Tonsur zu den 7 kleinern Ämtern, deren Treppen erst zur Priesterwürde führen, sich in wenig Stunden, als vom Türhüter zum Lektor, von da zum Exorzisten, dann zum Akoluthen, dann zum Subdiakonus, zum Diakonus und endlich zum Presbyter hinaufschwingt – so ließ die Sängerin, in Verbindung mit den Dämmerungsvögeln, den Konsistorialis das Avancement, das durch die 7 ordines minores eines Liebhabers heraufgeht, nämlich die Ämter eines seufzenden, eines anblickenden, eines händedrückenden usw., so schnell hintereinander wegmachen, daß er in ebenso kurzer Zeit ihr Priester wurde als ein anderer ein katholischer.
Der arme Teufel! In Krehwinkel sann er sehr darüber nach. Er wurde sogleich aus dem ersten Schlafe seiner Selbstvergessenheit herausgeholt durch ein sanftes Fäustchen. Niquille nannte, als dieser Weltpriester mit dem Beichtsiegel vor ihr stand, ihren Namen – – Ninetta und vertierte die Reise nach Wien in eine nach Krehwinkel. Aber auch der Erschrockne setzte sich in einen Schreckensmann um: er zog von seiner Verlobung mit Josephinen den Vorhang weg, und Ninettens Priester blieb ein – unbeeidigter.
Was gleich darauf und später für Stürme säuselten und was für dissertatiunculae gegenseitig gedruckt wurden, mögen habilere Stadtgeschichtsschreiber ausführen; ich habe am Faktum genug, daß der Teufel in der kurzen Sieste, wo der Konsistorialis sein Gewissen verschlief, sich Gelegenheit ausersehen, für dessen ganzes Leben den Kern eines breiten Giftbaums in die Erde zu bringen. Sein reuiges Herz, obwohl ewig dem edlen seiner Josephine ergeben, wurde an das verderbliche durch ein heiliges Band geheftet – durch Cara. Er hatte die feinen geistigen und physiognomischen Ähnlichkeiten nicht erst nachzuzählen gebraucht, die das arme Wesen dem Adoptiv-Vater absprachen; denn als er vor dem gratulierenden Nachtwächter vorbeiging, hatt' er schon Vater-Tränen vergossen, aber bloß bittere.
Wir erinnern uns alle noch, daß Ninetta, selber aus einem April kommend, nachher den Geschwornen dahin verschickte, daß dieser das Glück hatte, daraus die Kalender-Insignie des Monats, eine schöne Blume mit einer génie fleuronnéeGénies fleuronnées sind in der Kunst geflügelte Kinder, die aus Laub oder einer Blume mit halbem Leibe wachsen., mitzubringen nämlich seine Ninetta. Sie nannte ihn daher am liebsten Närrchen und ließ den April weg, der doch nur ein Zwölftel des Jahrs bezeichnet; auch andere Weiber sagen gern. Närrchen! – Ich komme nun aus der Vergangenheit der Geschichte zur Gegenwart derselben zurück:
Perefixe hatte in seiner Ehe nur einen Sohn erzeugt; und Traupel hatt' in seiner auch nichts erzielt als diese Cara. Desto feuriger hing nun jener Vater am holden Kinderpaar; ja der lebendige Zaun, der mit seinen Dornen zwischen ihm und dem Tochterherzen dick aufwuchs, machte nur, daß sein eignes desto väterlicher in dieser Nähe und dieser Trennung dem abgerissenen entgegenklopfte. Dadurch griff nun Ninetta in das Heft und die Handhabe seines Lebens und Herzens und hielt ihn an seinem Fehler fest – aus Rache und aus Eitelkeit. Sie konnte ihn quälen und beherrschen durch jeden Pfeil, den sie gegen die Brust seiner Tochter auf den Bogen legte. Kurz er mußte – um nur die Tochter zu sehen – die erbärmliche Rolle machen, daß er hinter der Triumph-Volante, wovor immer neuer Vorspann trabte, stand und sich stoßen ließ, mit der Hand im Lakaienriemen.
Er mußte zusehen, wie die kokette Weidmännin, der die sanfte Cara zu still, zu bescheiden, zu gutmütig und offenherzig war, alle diese offnen Blumen verdrehen, eindrücken und abschneiden wollte, um eine jüngere Ninetta daraus zu ziehen. Er mußte zusehen, wie sie sogar den Körper in der Poliermühle zerquetschen wollte, damit die Tochter die Mutter würde. Da das stille Meer von Carens Blut, das immer seinen sanften Himmel abspiegelte, Ninetten zu viel Fett abzusetzen schien: so schickte sie in das Meer von Zeit zu Zeit die nötigsten Stürme. Wie Sparter untersagen solche Mütter das weibliche Fett – wie das Fannische Gesetz das Mästen der HühnerPlin. H. N. X. 1. –, weil der Krieg dabei leidet. Deswegen stellte sie bei ihrer Tochterschule den besten Koch – den Hunger – als Figuristen und bildenden Künstler an, um das ruhige gesunde Wesen zur Charis einzukochen, wie Gewächse durch Nahrungs-Mangel sich in bunte Farben aufblättern. Was guter Essig und langes Wachen tun konnte, wurde angewandt, um den Golddraht der schönen Taille auf dieser Ziehbank immer feiner zu ziehen. Armes, weiches Geschöpf! woran die Axt statt der Baumschere formt und dem man die Wurzeln statt der Zweige ausschneidet! Komisch und rührend zugleich fiel die zurückgebrochne manirierte Stellung des Mädchens gegen die kindliche Unbefangenheit ab, die aus den weiten hellen Augen lachte, und der gebietende Anstand gegen das demütige Herz voll Anhänglichkeit.
Hatte nun nicht mein Titel recht, eine Marter, wie Perefixe in diesem Erziehungsinstitut aushielt, ein Klaglied zu nennen? Und war alles nicht desto bitterer, da er das Lied nur heimlich in den Bart hinein singen durfte? –