Jean Paul
Die Doppelheerschau in Großlausau und in Kauzen nebst Feldzügen
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

worin der Krieg eine ernsthaftere Wendung annimmt

Wie der Schneiderflügel aus dem Galgen-Gewahrsam und Gehorsam gekommen, ist bald erzählt; nämlich der wackere Flügel, dem es am Ende lästig wurde, über sich als Flügelmann oder Adlerflügel nur den Gehenkten zu sehen, und welchen nach Ehre dürstete, und nach Essen hungerte, sprengte zuletzt das Pförtchen auf, und machte sich von dieser Untiefe flott, mit Lorbeeren bedeckt, nämlich mit Wunden, nicht von hinten, sondern von oben.

Aber diese zeigte er leider seinem Fürsten Maria, und fragte an, ob dies Völkerrecht und Heerschau sei, solche Kopfbeulen? Da wurde Maria fuchswild. »Ihro Hoheit« – fing er an mit furchtbarem Anstand und etwas sieg- und weintrunken, und rückte den großen französischen Kriegshut so recht mit der Spitze gegen Tiberius, mit welcher so viele den Franzosen jetzo eine bieten, gleichsam der geschwollene doppelte schwarze Hahnenkamm – »ich darf dafür, glaub ich, Genugtuung erwarten.« – »Das glaub ich gar nicht, Herr Vetter und Bruder!« versetzte Tiberius, der sich von dessen Trunkenheit etwas versprach, nämlich ein Stückchen Krieg; daher nannt er ihn mit Vergnügen Bruder; denn die Fürsten glauben, durch gegenseitiges Geben von Verwandtschaftsnamen anzudeuten, daß sie wirklich Verwandten ähnlichen, weil diese immer am meisten hadern und prozessieren. »Nein! Nicht die mindeste (fuhr er fort). Warum hat sich Ihr Volk nicht gutwillig unter dem Galgen ergeben? Und 28 wären allen Schneidermeistern die Nähfinger oben an der Fingerkoppe durchstochen: so wär es bloß der Fehler, daß sie ohne Fingerhüte ins Feld gerückt.« – Maria antwortete, vielleicht auf die Trödler anspielend: »Aber ich schärfte nach dem Kriegsrechte einer Heerschau meinen Leuten ein, nicht einem Lumpen einen Lumpen zu rauben.« – Tiberius versetzte: »Ich braucht es bei meinen Leuten weniger; Stehlen auch des kleinsten Lappens kennen sie nicht; aber desto mehr warnt ich vor Totschlagen. Und doch, Herr Vetter, wollt ichs verschmerzt haben, hätten sie sogar durch Zufall einen oder ein paar Ihrer Offiziere eingefädelt am Galgen als Stricke.«

»Narren und Affen waren Ihre Reserven, gehören aber in keinen Krieg,« rief Maria trunken. – »Aber in Ihren Frieden?« fragte Tiberius gelassen, als ob ers bejahe. Solche kalte Tropfen in eine warme Trunkenheit sind bloß Wassertropfen in einen Kessel voll geschmolzenes Kupfer. Maria fuhr, wie dieses, auf und sagte: »So forder ich denn Genugtuung!« – »Herr Vetter wissen,« versetzte Tiberius, »daß ich Genugtuungen immer vorrätig halte, nur bitte ich Ihro Hoheit, mich sogleich zu belehren, ob Sie sich mit mir schießen oder hauen, oder ob wir mit allen unsern Kriegsvölkern gegen einander fechten wollen.«

Eine ganz verfluchte Wendung der Sache! dachte Maria; da ihr aber nicht auszubiegen war, so wählte er aus Glanzsucht statt des Zweikampfs – dieser schon von Junkern und Studenten abgenutzten Genugtuung – den Allkampf, den Krieg, und wollte sich, um mehr 29 Ehre zu haben, lieber mit zweihundert Armen, als mit zweien wehren.

»Krieg, Krieg!« rief er und stand von der Tafel auf. Ein größerer Glücksfall konnte allerdings Tiberius nicht begegnen; denn im süßesten Frieden war ihm so erbärmlich zumute, als einem Seefisch im süßen Wasser, welcher gewöhnlich darin absteht, aus Durst nach salzigem. Er schloß gern Frieden, wie katholische Priester Ehen, nur mußte er selber nicht daran teilnehmen sollen.

Vor Freude über Krieg wurde Tiberius fast friedlich und faßte Marias Hand und sagte: »Ich denke, in einigen Stunden sehen wir uns wieder, Herr Vetter!«

Darauf ritt er davon und befahl seinem Heere, das noch den Bissen im Munde hatte, ihm nachzurücken. – Jetzo wäre der »verbesserte und der neue Kriegs-, Mord- und Tod-, Jammer- und Notkalender auf 1734 von Adelshein« ein wahres Schatz- und Farbenkästchen auf dem Tische des Verfassers, um Farbenkörner für einen wahren Krieg daraus zu holen, dessen Heerschau schon vorher so sehr ins Tapfere spielte. Aber leider darf ich wenig hoffen, diese Feldzüge mehr als erträglich darzustellen, so gern ichs für mich selber wünschte; da eine solche Darstellung allerdings einigen Ansatz in mir zu einem kommandierenden General oder doch Divisionsgeneral hoffen ließe; denn wie, nach den Gesetzen, nur Personen Zeugen eines Testaments sein können, die selber eines zu machen imstande sind: so brauche ich es wohl den vielen Offizieren, die jetzt Kriege so gut beschreiben und bezeugen, nicht erst zu 30 beweisen, daß sie solche eben darum ebensogut zu machen verstehen, sondern man kann sich auf ihr Bewußtsein berufen.

Maria schickte eilig den Generaladjutanten an die Marianer, und ließ ihnen den Krieg ankündigen, den sie sowohl zu leiden als zu führen hätten; darauf wurde am Nachtisch, während man Zucker-Devisen erbrach, ein kurzer Kriegsrat gehalten, um zu wissen, was man zu tun habe. Einer der besten Generale im Konseil gab sogleich den Rat, man müsse, ehe man auf einen andern falle, erst wissen, was der Feind zu tun gedenke. Sofort wurde ein geheimer Spion abgefertigt, um den Bewegungen des Feindes von weitem nachzugehen und nachzusehen. Was allerdings am allermeisten fehlte zum Schießen, waren Kugeln, welche man alle in der Hauptstadt gelassen, gleichsam wie Augen im Haupte; daher wurde beschlossen, vor der Ankunft des Bleies mit allem Möglichen, mit allem Nahen zu laden – also in Ermangelung der Perlen, womit einmal die Moskowiter aus Kugelmangel geschossen – notfalls Sand abzufeuern, doch aber nur selten die Ladestöcke, weil das ebensoviel hieße, sagte der Kriegsrat, als das Gewehr strecken, nämlich dem Feinde die Flinte an den Kopf zu werfen; höchstens möge man mit den Stöcken bei Gelegenheit prügeln und stoßen.

Die Bestürzung der Marianischen Armee über die Urias- und Hiobspost eines wahren Krieges war so allgemein und stark, als wären sie geschlagen worden, ja noch stärker, denn im letzten Falle wären sie doch 31 auf der Flucht oder in Gefangenschaft gewesen, mithin schußfest. »Kartätschen«, sagte ein Altmeister, »laß ich mich gern gefallen, aber nur sollen sie Schafwolle bestreichen, nicht mich.« Was die Leute noch aufrecht erhielt, war, daß zwischen ihnen und den Tiberianern der Unterschied obwaltete, welchen Kunstfreunde zwischen den Bildsäulen der beiden Freunde Kastor und Pollux mit Vergnügen wahrnehmen, nämlich den des Läufers und des Kämpfers. Das Heer wünschte feurig, nur recht bald vor den Feind geführt zu werden, um früher davon zu laufen, und die eigene Rolle wie Orchestergeiger besser zu spielen, so daß dasselbe, wie diese, dem ganzen Kriegstheater nur den Rücken zeigte, und nur die Instrumente handhabte.

Es gab im ganzen Heere nicht drei, welche nicht christlich und philosophisch dachten, und nicht die so oft und so vergeblich gepredigten Todesbetrachtungen anstellten, unaufhörlich erwägend, daß sie jede Stunde sterben könnten. So denkt der Christ und der Philosoph ohne stolze Sicherheit des Sünders! – So der Geistliche, der durch seine Leichenpredigt unaufhörlich an den Tod erinnert und erinnernd, nicht keck vor ein ansteckendes Bett voll Typhus tritt, sondern lieber in seinem eignen zu Hause bleibt.

 


 << zurück weiter >>