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[Briefe]

XXI.

5. 9. 1874, Kopenhagen.

Da steht »Gjordslev.«

Kommst Du nie zur Stadt?

Diese Korrektur sieht viel besser aus als die andere. Ich kann zu Ane Jensdatters Ausspruch nichts hinzufügen; auch ist der Übergang nicht so jäh und die Motivierung ist jetzt, wo es gedruckt ist, nicht so weit davon entfernt.

Dein J. P. Jacobsen.

XXII.

6. 6. 1875, Sonntag, Kopenhagen.

Lieber Freund!

Nein! Es ist keineswegs das, ich bin nicht zu spät aufgestanden! Die Sache ist aber in ihrem traurigen Zusammenhang die folgende: gestern war ich draußen in Humlebäk, kam um vier Uhr nach Hause und ging zu Bett, ohne zu ahnen, daß da unter einem Tageblatt auf meinem Schreibtisch zwei Briefe lagen, von denen der eine von Dir war. Als ich heute morgen, sagen wir um 10 Uhr, aufstand, fand ich ihn, aber diese Nacht hatte der Brief nicht vertragen können, am Morgen war der Gedanke darin veraltet, gar nicht zeitentsprechend, alles andere als das, was Berlinske Tidende eine Aktualität nennt.

Ende dieser oder in den ersten Tagen der nächsten Woche gebe ich meine Wohnung hier in der Stadt auf und ziehe nach Humlebäk, wo ich zwei Zimmer von Vilh. Möllers Wohnung gemietet habe. Da liegt mein Sommer. Hier kann ich vor Hitze nicht einmal so tun, als arbeitete ich. Aber da? Wenn Du also einen Tag fortsetzen willst, kann ich von dort leicht nach Kvistgaard traben, nach Helsingör dampfen und mich nach Hellebäk schleppen, denn ich möchte gern Dich und Deine Doktordisputation und andere Naturschönheiten der Gegend sehen. Da Du Dich in Deinem Brief nicht über Geschwüre und Nasen und Kälte beklagst, nehme ich an, daß es Dir gut geht, mir geht es ebenso, aber meiner Marie leider nicht, hin und wieder stockt das Ganze für sie, und ihre fürchterliche Kapitelmagerkeit will sich gar nicht recht verlieren. Nun hoffe ich, daß ihr die Landluft gut tun und ihr die Fülle verleihen wird, die sie notwendigerweise haben muß, um zum Herbst auftreten und so das mit Direktor Hegel abgeschlossene Engagement pünktlich erfüllen zu können.

Dein J. P. Jacobsen.

XXIII.

12. 9. 1875, Humlebäk.

Deine Worte sind süß wie der Honig der Berge und lind wie der Balsam des Amala-Baumes, Deine Buchstaben erfreuen das Auge wie die Zierate an dem Bauchgurt des heiligen Elephanten, und Deine Gedanken sind wie der Lichtpunkt in dem dunklen Auge der Gazelle.

Krischna verleihe mir Kraft zu meiner Wanderung in den nördlichen Bergen, weit von den zärtlichen Schatten der sonnenroten Meere. An dem heiligen Donnerstag, wenn die Kühe der Sonne aus dem Felde heimkehren, wird das Rauchtier meinen Palankin über die wiegenden Zinnen der treulosen Wogen tragen, fort nach dem fernen Lande, und dort werde ich an den Ufern des Flusses wandern und in der stummen Nacht meine Lampe stromabwärts schwimmen lassen, einen geliebten Namen wohl tausendmal flüsternd. Ach, meine Seele ist unruhig wie das Laub des Kampferbaumes, und sie klagt trauernd wie die Vögel der Nacht, aber am Mittwoch findet das Fest der Morgenröte statt in dem wagenumgebenen Tempel auf der neuen Königsebene, wo das Bronzepferd im Schimmer des Meeres schläft Kongens Nytorv. Dort wird der Mann mit dem gelockten Haar und sein schwarzäugiges Weib, dessen Antlitz ist wie die von der Sonne beleuchtete Blüte des Asoka-Baumes, und deren Stimme ist wie die Wolken die sich im Wasser spiegeln, mir fetten Reis und Wein zu trinken geben. Und bei der frohen Mahlzeit soll mein Auge die Königin des Ostens schauen, deren Züge sind wie die Linie der Berge, wenn sie sich rein von dem Himmel der Dämmerung abheben, das Mädchen mit dem hellen Blick wird sie alle überstrahlen.

Neunmal rührt meine Stirn den Hals
Dir Marmorgestein,
Wo der schwarze Hund aufersteht im
Mosaik Anspielung auf einen Teppich, der eine Imitation des cave-canem Mosaiks war..

J. P. J.

Verkürzte Übersetzung:

Mittwoch Morgen komme ich zur Stadt, Donnerstag nachmittag 5 Uhr reise ich nach Thisted.

Dein J. P. Jacobsen.

XXIV.

St. Martins-Abend 1875, Thisted.

Lieber E. B.!

So! Nun habe ich lange genug in meinem lebenden Begräbnis gelegen, um Lust zu spüren, den Sargdeckel ein wenig aufzuheben und mich für eine Weile irdischen Gedanken hinzugeben. Das letzte Mal, als wir beieinander waren – es ist, als liege das 7-8 Jahre zurück; aber es gehört viel dazu, mich zu wecken, Rimestads Abgang, all das Auspfeifen der Irrwische Lygtemand (Irrwische) Schauspiel von W. Bloch. – Livslänker (Lebensfesseln) Roman von Jean Pierre. war noch viel zu wenig, mich aus meinem Leben in fesselndem Schlaf wachzurütteln, aber dann sagte die Thisteder Zeitung, Dein Bruder sei so ungefähr Professor geworden. Das ist doch eine Lüge, so weit sind wir wohl noch nicht – mein Gott, dann wäre ja nichts mehr übrig, als daß Du Theaterdirektor würdest und ich Leuchtturmwärter und Ehemann. Nun der Tag, die Sorge, die Nacht, die Freude.

Ich will doch hoffen, daß Ihr bei Irrwisch-Blochs Begräbnis eine trostreiche Rede haltet.

Ich glaube nun doch, daß mein Buch im Frühling erscheinen wird, es ist wunderbar, aber Gott ist groß in Kleinigkeiten; in einem Monat schicke ich vielleicht ein Kapitel hinüber, das recht gut ist. Augenblicklich lege ich Tulpen und pflanze Johannisbeerbüsche, und für Greensteens Sammlung habe ich den Pagen und Marine und noch ein kleines neues geschickt. Allah, Allah.

Der Anfang meiner Desmidiade ist erschienen. Der Rest –?

Alle die Fragen, die ich zu stellen habe!

Alle die Grüße –

XXV.

6. 1. 1876, Thisted.

Lieber E. B.!

Zwölf Zeilen! Ja, Gott in dem allerhimmlischsten Reich muß wissen, wie ich es hier oben zu viel mehr bringen soll. Daß ich hier sitze wie eine Henne und das eine Ei von Kapitel nach dem andern ausbrüte, und daß die Kleinen alle mehr oder weniger wohlgestaltet sind, bis auf gewisse Gebrechlichkeiten, das ist ganz selbstverständlich; denn was sollte ich sonst wohl anfangen. Ich habe ja freilich die Hälfte von Molbechs Wörterbuch durchgelesen, aber das ist auch fast meine einzige Zerstreuung. Du willst etwas von mir hören! Großer Gott, was sagt nicht der pockennarbige Jens aus Korsör: »Die ewige Nichtstuerei, die man schaffendes Genie nennt.« Wenn ich doch nur das Frauenzimmer abgeschafft hätte, wir gehen hier herum und glotzen uns an und sehen uns wütend einander an, Tag ein, Tag aus; es ist ganz wie eine unglückliche Ehe, hu! und dann hab ich obendrein noch alle ihre Männer und Liebhaber und Pfarrer und Scharfrichter und Kammerzofen und Landschaften und Stuben und … na ja.

Es ist Manna, wenn Du schreibst. Wüste wenn Du schweigst, aber Du hast freilich Recht, wenn Du es Wüste sein läßt, aber was steht da nicht in jenem alten Buch von glühenden Kohlen auf den Häuptern der Leute. Selig sind die, so da in die Kohlen greifen.

Dein J. P. Jacobsen.

XXVI.

7. 12. 1876, Thisted.

Lieber E. B.!

Falls Dir Hegel einen oder mehrere Bogen von Marie Grubbe zustellen sollte, so hat das seinen Grund darin, daß ich nicht Bedenken getragen habe, ohne erst Deine Einwilligung einzuholen, ihm Erlaubnis dazu zu erteilen. Wäre nicht eine so jagende Eile gewesen, so würde ich mich korrekt aufgeführt haben, aber ich erhielt gestern ein darauf bezügliches Telegramm, und da waren lange Umwege ja unzugänglich.

Für das XIX. Aarhundrede fange ich morgen eine Novelle an, und dann will ich mich über meinen großen Roman hermachen. Das Thema ist dasselbe, was mit so großer Tüchtigkeit und Allseitigkeit in den bekannten Dramen: Lygtemänd (Irrwische) und I Overganstiden (In der Übergangszeit) behandelt worden ist.

Falls die Zeit es gestattet, wirst Du nicht mit der oben erwähnten Korrektur belästigt werden, und es ist auch eine Menge arger Dialekt darin; sollte sie Dir aber zugeschickt werden, so würdest Du mir einen großen Gefallen tun, wenn Du die beiden Gesangbuchverse: »Herrgott, Dein Zorn tu von uns wenden« mit einer guten alten Ausgabe von Kingos »Geistlichen Liedern« oder vielleicht besser noch der ältesten Ausgabe des »Verordneten Kirchlichen Gesangbuches von Th. Kingo« vergleichen wolltest, vorausgesetzt, daß es ein solches von vor 1717 gibt; sollte indessen der Sinn in den beiden Versen in der älteren Ausgabe ein anderer sein, so lasse sie so stehen, wie sie stehen.

Dein J. P. Jacobsen.

XXVII.

12. 12. 1876, Thisted.

Lieber E. B.!

Freitag, nehme ich an, wirst Du Marie Grubbe in Händen haben, da Kanzleirat Hegel so freundlich gewesen ist, mir anzubieten, meine Freiexemplare herumzusenden. Das Buch wird wahrscheinlich am Mittwoch fertig gedruckt sein.

Falls Du Dich mit dem Gedanken tragen solltest, es irgendwo zu besprechen, würde mich das selbstredend sehr erfreuen, ist es Dir aber unbequem oder in irgend einer Beziehung weniger lieb, so laß es nur ruhig nach. Wenn Du es aber tust, so erinnere Dich des Evangeliums Johannis, Kap. 13, 27. Verzeih das unnötige Gefasel wegen der Korrektur, sie wurde mir zugeschickt, was ein Glück war, da im letzten Kapitel Dialekt vorkommt. Leute, die Zeitungen lesen, sagen, daß zu Weihnachten nichts von Bedeutung erscheinen wird, und darauf begründe ich meine Hoffnung, einigermaßen gekauft zu werden, aber es könnte ja sein, daß die Wächter des Volkes das Buch vorher in den Bann erklärten und den Ausspruch täten, daß man es einem jungen Mädchen nicht in die Hand geben könnte, und damit wäre es ja für jetzt und die nächste Ewigkeit verloren.

Es ist ein ganz verrücktes Buch, um seine Schriftsteller-Laufbahn damit zu eröffnen, so still und zahm es auch ist, aber ich bereue doch trotzdem nicht, daß wir in jener Karnevalsnacht in Deinem Zimmer am Kongens Nytorv beschlossen, daß es geschrieben werden sollte, denn es hat mich zum Teil gelehrt, mich anzustrengen und zu beharren.

Dein J. P. Jacobsen.

Solltest Du einmal, wenn es so weit kommt, eine schwedische oder norwegische Besprechung sehen, würde es mir natürlich von großer Wichtigkeit sein, wenn Du sie mich auch sehen lassen könntest.

Ich fürchte, daß die Erzählung, an der ich schreibe, den Titel erhält: Ein Schuß, der erwartet wird; oder: Wartender Schuß, aber vielleicht kann ich noch etwas anderes finden.

J. P. J.

XXVIII.

12. 1. 1877, Thisted

Ich habe mit dem Schreiben gewartet, weil ich Deine Anmeldung im Morgenblad gern gelesen haben wollte, aber ein sonderbares Schicksal hat über der betreffenden Nummer gewaltet, indem die hiesigen Abonnenten sie entweder nicht bekommen oder sie weggeworfen haben; ich habe deswegen an Vilh. Möller geschrieben, doch er scheint sie sich auch nicht erschleichen zu können. Nun hoffe ich auf morgen, dann muß sie doch wohl kommen.

Als ich die Berlinske Tidende las, sagte ich zu mir selbst, als ich an das Wort Aktualität kam, das Aha, das Pierrot mit einer Bewegung des Fingers nach der Stirn hinauf begleitet.

Ich bin Dir außerordentlich dankbar für all die Wirksamkeit, die Du entfaltet hast, sowohl indem Du selbst schriebst als auch auf andere Federn einwirktest; aber alle Dankesäußerungen nehmen sich so tot aus auf dem Papier, da will ich es lieber mit einem stillen Dank genug sein lassen. Du bist Marie wirklich ein guter Gevatter gewesen. Wenn Ihr überrascht worden seid durch den Erfolg meiner Bücher, so bin ich es nicht minder. Unter allen den Dingen, die ich geträumt habe, ist sicherlich nicht der Traum von einer zweiten Auflage gewesen. Ich schreibe auch der großen Armseligkeit der Weihnachtsliteratur einen sehr, sehr großen Anteil daran zu.

Wenn ich mich nun auch sehr über – ich möchte sagen, das äußere Schicksal meines Buches gefreut habe, so hat mir doch sein inneres eine weit größere Bedeutung gewährt. Denn selbstredend hat das für mich das größte Gewicht gehabt, daß Ihr, mit denen, für die und aus denen heraus das Buch geschrieben ist, daß Ihr es als respektables Gesellenstück anerkannt habt, wieviel Ihr auch dagegen einzuwenden haben möget. Ich hätte sonst vor dieser zweiten Auflage bange werden können.

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In diesem Augenblick erhielt ich das lange erwartete Morgenblad.

Gelobt sei Gott! Ich ängstigte mich vor Sören; das richtig einzukleiden, war die schlimmste Stelle im ganzen Buch. Ja, ja, es ist noch ein gut Stück bis dahin, sagte das alte Weib und sah zurück. Wenn ich nun ein halbes Jahr lang Zeit und Mittel hätte, das Buch umzuschreiben, so würde ich viele billige Forderungen erfüllen können – aber nun mag es so sein, wie es ist, und ich kann auch nicht sagen, daß ich große Lust zu der Arbeit hätte, dann lieber die Kraft, die zu einer neuen Arbeit erforderlich ist. Ich flicke an einem Buch aus der Gegenwart herum, von dem ich fürchte, daß es mir nicht gut genug gelingen wird, ich sehne mich schon nach einem dritten Buch. Wenn das zweite geschrieben ist, komme ich nach Kopenhagen und studiere zu dem dritten, Christians VII. Zeit, Struensee und Caroline Mathilde als halbwegs Hauptpersonen. Wenigstens beabsichtige ich es jetzt so, aber, kommt Zeit, kommt Rat. Wenn nicht zusammen mit der Besprechung zwei Bogen Korrektur gekommen wären, die bis 8 Uhr (es ist 6) fertig gemacht werden müssen, so würde ich Dir ausführlich für die Besprechung danken und mehr mit Dir darüber reden.

Ein ordentlicher Brief allernächstens.

Mit der Novelle geht es sicher aber langsam vorwärts.

XXIX.

13. 2. 1877, Thisted.

Lieber Freund!

Sage mir Eins: warum hast Du keine Besprechung über die Aufführung von B.s Tornerose geschrieben? Ist es so schlimm, daß Du es gar nicht erwähnen willst? Überhaupt ist es lange her, seit Du Dich im Morgenblad blicken ließest. Vielleicht weil Du nicht mehr darin schreiben willst. Joh. Wiehe habe ich mit viel Freude und einer gewissen erschrockenen Bewunderung gelesen; da war etwas, was ich Dir sagen würde, wenn wir miteinander reden könnten, aber ich will es nicht schreiben, ich bereue es stets, wenn ich schriftlich kritisch gewesen bin, denn ich habe eine wahre Gespensterfurcht davor, mißverstanden zu werden, die ihren natürlichen Grund darin hat, daß ich leicht dazukomme, mehr zu schreiben, als ich meine und eigentlich vertreten will.

– Aber nun das Kind! wie heißt es – ich nenne das Kind nicht, denn ich weiß nicht, ob es ein Junge ist oder ein Mädchen, ich weiß sehr wohl, daß es ein Mädchen ist – aber wie heißt sie, und wie geht es ihr? Ich frage nicht aus Höflichkeit. Kinder haben ein großes Interesse für mich, und hier in Thisted werde ich von einer Kleinigkeit von Nichte, die ich habe, ganz durchonkelt. Nun habe ich mir wieder meinen Husten auf den Hals geschafft und arbeite deswegen beinahe gar nicht – es wird schon wieder vorübergehen.

Sei nun lieb und schreibe bald, bedenke, hier geschieht nichts weiter, als daß die Post kommt.

Gruß!
Dein J. P. Jacobsen.

XXX.

14. 2. 1877, Thisted.

Lieber Freund! Hier ist das Geheimnis, warum ich so lange nicht geschrieben habe.

Erst habe ich eine langwierige Brustgeschichte gehabt (die alte), und als die glücklich vorbei war, bekam ich eine Geschwulst am Halse, d. h. unterm Ohr; die Geschwulst hatte ich übrigens lange gehabt, aber jetzt machte sie sich aufsässig und inflammierte und ließ mir weder Tag noch Nacht Ruhe. Endlich faßte ich Mut und ging zu meinem Doktor; der meinte: Operation. Indessen reiste er auf drei Tage weg und kam gestern zurück, und da wurde der Teufel gespalten, um die Entzündung zu heben, und nun sitze ich bis über beide Ohren in Grütze. In acht Tagen oder so soll es endgültig exstirpiert werden, was glücklicherweise unter Chloroform vor sich geht.

Ja, so sitze ich in der Patsche. Ich würde jetzt schon etwas schreiben können, aber wenn nun die Operation kommt, wird sie wohl einige Zeit in Anspruch nehmen, so daß ich wirklich nicht weiß, was daraus werden wird. Was ich geschrieben habe, ist wenig, so wenig, daß es nicht gedruckt werden kann, und die ganze Novelle wird überhaupt auch nicht sonderlich groß. Ich habe ja ein sehr beschauliches Dasein geführt, seit ich mit Marie Grubbe niederkam, von der ich Dir im Laufe eines oder zweier Tage eine vernichtende Anmeldung in der Thisteder Amtszeitung von einem grassierenden Philosophen und Theologen senden zu können hoffe. Welch prächtiges Heft, das letzte! Bröckners Artikel ist qua Zeitschriftsartikel das Beste, was das XIX. Aarhundrede gebracht hat. Aber nun mache ich mich heute über die Novelle her, ich möchte gern in dem neuen Heft mit dabei sein, und werde das auch wohl, falls mein Husten und meine Geschwulst es gestatten. Ich stecke in einer Briefschuld, die grenzenlos ist, aber dies soll keine Abzahlung vorstellen.

XXXI.

21. 2. 1877, Thisted.

Carissime!

Jetzt wird es mir bald zu arg mit all der Berühmtheit. Mir wird beinahe unheimlich zumute, gleichsam als hätte ich etwas Verkehrtes getan.

Ich sehe, Dein Bruder hat Carl Plough verklagt, aber ich habe der betreffenden Nummer des Fädreland noch nicht habhaft werden können. Des Schlingel X.s Denunciation des Y ist auch ein nettes Zeichen der Zeit. Wie lange soll es so weitergehen? – Da dies kein Antwortbrief auf Deinen großen, prächtigen Brief sein soll, sondern nur ein letztes kleines erstauntes Fragezeichen, will ich nur melden, daß ich am 7. April 1847 in Thisted geboren bin.

Dein
erstaunter
J. P. Jacobsen.

Brief in den nächsten Tagen.

XXXII.

11. 4. 1877, Thisted.

Lieber Freund!

lch bin ganz ruh- und rastlos umhergegangen, seit ich heute morgen Deinen Brief erhielt. Es wird ja ganz unaushaltbar, wenn sowohl Du als auch Dein Bruder davongehen, was soll ich armer »Hinterbliebener« anfangen, der ich die Brücke nicht abbrechen kann, ohne selbst mit der Brücke zu fallen. Und dabei hatte ich gehofft, daß es mir möglich sein würde, im Herbst wieder nach Kopenhagen zu kommen; jetzt kann ich ebensogut in Thisted bleiben. Wollte doch nur – nicht ein Wunder – nein, nur etwas Vernünftiges hier zu Lande geschehen, das Euch zurückhalten könnte, denn für Georg könnte doch Hoffnung vorhanden sein, daß er zurückkehrte, bist Du aber erst allen Ernstes weg, so müßte sich viel verändern, ehe Du wieder in die Heimat zurückkämest.

Aus dem Dagblad ersehe ich (Sonntag), daß R. Schmidts Neues völlig Fiasko gemacht hat. Ich sehne mich nach dem Morgenblad, aber das neue Quartal ist infolge eines Mißverständnisses zu spät bestellt, so muß ich mich denn wohl bis Dienstag gedulden.

Mein Gehirn ist in dieser Zeit so leer wie eine Tonne, aus der die Katze herausgeschlagen ist, Gott weiß, wann ich wieder dazu kommen werde zu schreiben. Im übrigen ist es ja eine kleine Aufmunterung gewesen, von När og Fjern beschnüffelt zu werden, garnicht zu reden von dem kleinen wohlwollenden Hieb in der Ill. Tid. Die Lektion im Jütischen, die mir Peter Hansen erteilen will, ist köstlich. Der Bursche glaubt, daß es nur einen jütischen Dialekt gibt! und seine Hervorhebungen, in denen er behauptet, daß es so heißt und nicht so, sind verkehrt in jedem jütischen Dialekt. Mehr als humoristisch ist beinahe, daß er, um meine Darstellungsweise zu charakterisieren, sich eines Zitats von Taine über – Shakespeare bedient! – Und dann Realismus: Gott weiß, was heutzutage nicht alles realistisch ist; falls die Menschen jemals etwas zu sehen bekämen, was realistisch gemacht ist, so würden sie Nase und Mund und Verstand verlieren. Ach, ach, nein, es gehören größere Kräfte dazu, um realistisch zu sein, und auf alle Fälle ein weit facilerer Stoff, als der, den ich zu behandeln hatte. Ich möchte weit eher sagen, daß mein Buch ein für den Salongebrauch abgedämpftes und harmonisiertes siebzehntes Jahrhundert ist.

Vor einer Weile las ich Deinen Artikel über Michael Wiehe, und obgleich ich mehrmals ersucht worden bin, meine Bemerkungen für mich zu behalten, und obwohl Du Dir wahrscheinlich verdammt wenig daraus machst, was ich meine, so sollst Du doch nicht damit verschont werden zu hören, daß der Artikel vortrefflich ist, fein, abgeschlossen, stimmungsvoll und statuenbildend (ein neues, eigens zu dem Zweck erfundenes Wort), und es kann nie im Leben richtig sein, daß Du jetzt Deine Feder hinwirfst und nach Indien oder Mesopotamien reist, so wie Du in der letzten Zeit vorwärtsgeschritten und hindurchgewachsen bist. Du wirst verzeihen, wenn diese Äußerung gebieterisch oder überlegen oder kopfstreichelnd klingt, aber ich kann keine andere Form finden, um dem Gedanken Ausdruck zu verleihen … (Der Satz ist in die Brüche gegangen) … Ich meine, da war früher eine gewisse leidenschafts lose Bitterkeit, eine gewisse unkünstlerische Verschämtheit (!! E. B. –) (das ist doch der richtige Ausdruck), der Du entwachsen bist. Nun, ich will barmherzig sein und Dich nicht länger plagen.

Jetzt zur Politik! – Wie stehen die Sachen eigentlich, ist es eine Niederlage, und was hatte denn die Linke gemeint und erwartet? Was meint man, daß getan werden wird oder aus sich selbst geschieht? Und wie ist die Stimmung, ist die Rechte froh und ihres Sieges sicher, glaubt sie, daß es ein Sieg ist, oder was? Ist die Linke mutlos, erschreckt oder will sie alles bis zum Äußersten treiben, oder will die Rechte es bis zum Äußersten treiben? Ist ein Staatscoup, eine Beschränkung der Verfassung denkbar, oder ist eine Revolution denkbar? Antworte, antworte! Es wäre ja doch ein zu abgeschmackter Ausgang, falls nichts geschähe, oder man nicht versuchte, etwas geschehen zu lassen.

Morgen werde ich die Thisteder Zeitung schicken, von der ich früher geschrieben, tu mir den Gefallen und laß auch Vilh. Möller sich daran ergötzen.

Dein J. P. Jacobsen.

XXXIII.

17. 4. 1877, Thisted.

Lieber Freund!

Falls X. seine Übersetzung benutzen sollte, weiß ich nicht, ob es fair sein würde, einem andern das »Übersetzungsrecht« zu geben, da ich aber niemals etwas von ihm gehört habe, weder damals noch später (er hat mir nicht einmal ein Exemplar der Übersetzung geschickt) so stehe ich wohl eigentlich nicht in einem bindenden (moralisch) Verhältnis zu ihm und kann wohl nicht Gefahr laufen, ein selbst von strengerer Rücksichtnahme diktiertes literarisches Gebot zu übertreten. Nicht wahr? Will er Marie Grubbe nicht in Angriff nehmen?

Sollte wirklich etwas Schwarzes in der Luft liegen, so würde es mich freuen, denn ein ganz friedliches Sich-in-das-Ganze-finden würde doch ein selbst für Dänen gar zu flauer Abschluß sein. Hier oben sind wir so loyal, daß es zum Seekrankwerden ist. Ich glaube, hier sind keine andern Liberalgesinnten als die Grundtvigianer und ich, aber ich verkehre, aus einem andern Grunde, selbstredend nicht mit diesen Gesinnungsgenossen.

Aus der Thisteder Zeitung ersehe ich, daß die Rechte sich groß und stark fühlt, denn der Befehl, daß bei den liberalen Versammlungen Polizei zugegen sein soll, muß doch etwas zu bedeuten haben. Möchten wir doch nur zur Verzweiflungs-Selbsthülfe getrieben werden!

Dein
J. P. Jacobsen.

XXXIV.

9. 5. 77. Thisted.

Lieber Freund!

Sei so gut und schreibe die Adresse auf einliegenden Brief und schreibe mir so bald wie möglich, wie Du lebst – ich sehne mich.

Ich bin ängstlich inbezug auf Briefe – deswegen, falls in meinem Briefe etwas sein sollte, was Dich verletzt hat, so glaube es nicht, denn dann ist es verkehrt ausgedrückt – aber es ist richtig gemeint. Ich hoffe, Du wirst bei dieser Erklärung stutzen und bei Dir selber denken, ich will den Brief doch noch einmal lesen – aber ich habe eine beinahe krankhafte Angst, daß ein Brief stets ein Mißverständnis hervorrufen wird, und ich ängstige mich vor Mißverständnissen.

Um zu zeigen, daß ich mit der Zeit fortschreite, will ich nur mitteilen, daß ich »L'assommoir« gelesen habe. Denk Dir!

Wie wünschenswert wäre es nicht, an einem stillen Abend in einer großen Stadt bei einer Flasche Wein darüber zu sprechen.

Dein
J. P. Jacobsen.

XXXV.

24. 7. 1877, Thisted.

Lieber Freund!

Ich bin ewig und unwandelbar, ohne Unterlaß, immer derselbe, so wie eine gewisse fern residierende Persönlichkeit, es ist bei mir kein Schatten von einem Wechsel, ich glaube sogar, ich bin nicht im geringsten dümmer geworden, seit wir uns zuletzt gesehen, und dazu habe ich doch reiche Gelegenheit gehabt, geradezu embarras de richesse. Freilich: dem Korallentier gleich in dem tiefen – Kot helfe ich verdammt wenig an der wachsenden Insel zu bauen, aber ich hoffe noch immer so wie früher fest auf die Welt, die kommt.

Ich habe das Heft des XIX. Aarhundrede erhalten, ein ausgezeichnetes Heft, nur würde ich, wenn ich Schwanenflügel wäre, Magnus Eirikson nicht fortwährend »den alten Mann« nennen. Ich finde, es muß so unangenehm für »den alten Mann« sein, beständig als der abgedankte Gorilla seiner eigenen Art erwähnt zu werden. Ich würde, wenn ich Z. wäre, mich auch lieber nicht als Gast bei einem Freund auf dem Lande einquartieren, den hinterdrein als eine so außerordentlich gewöhnliche Spezies des Paviangeschlechts zu schildern ich mich in die traurige Notwendigkeit versetzt sehen würde, aber wenn ich E. B. gewesen wäre, würde ich ganz ebenso über Frau Södring geschrieben haben, wenn ich auch vielleicht ein wenig milder in der Definition der Grenzlinie ihres Talents gewesen wäre. Sie war nun doch verdammt einförmig. Was ich als J. P. Jacobsen tun würde, weiß ich nicht recht, da selbiger Bursche sich beständig wie ein besseres Segelboot in völliger Windstille befindet. Vielleicht sollte er ein Paar Ruder ins Wasser stecken und rudern, statt da zu liegen und auf Wind zu warten.

Ich muß es mit Gedichten versuchen.

Ich habe Dich beinahe in Verdacht, daß Du glaubst, ich liege hier und bin verliebt. Das bin ich leider nicht. Nicht die Spur. Ach Gott – nein – – –

Aber warum soll das XIX. Aarhundrede eingehen? Es sind doch noch andere Verleger in der Welt als Hegel, aber – – da können so viele andere Gründe vorliegen. Bekomme ich nicht jenen »kleinen Maulwurfshaufen« von einer Novelle zu sehen, die gleich Scribes »Glas Wasser« die Geschichte des ganzen Jahrhunderts umwälzt Bezieht sich auf eine von Edvard Brandes geschriebene Novelle, die in einem Heft des XIX. Aarhundrede zu veröffentlichen, Etatsrat Hegel sich weigerte. Daraufhin beschlossen die Herausgeber, die Monatsschrift eingehen zu lassen.. Ich verstehe Hegels Einmischung garnicht.

Ich bin schon mitten in der Anstrengung, möchte es bald zu etwas führen.

Was Kopenhagen betrifft, so fürchte ich mich, dieser Stadt meine Gesundheit anzuvertrauen. Hier bleibe ich freilich nicht. Im November reise ich entweder nach Kopenhagen oder nach dem Süden, wenn im übrigen allerlei merkwürdige Dinge so gehen, wie sie sollen. Mein neues Buch, das sich langsam aus seiner Puppe herausspinnt, hat noch keinen Namen.

Schreibe, bitte, bald, Du schießt nicht vorbei an

Deinem
J. P. Jacobsen.

XXXVI.

4. 8. 1877, Thisted.

… Ich geh in Husten, wo ich geh. Es ist auch ein fürchterlicher Haufen Regen, den wir bekommen. Du bist sicher in schwarzer Verzweiflung da draußen auf dem Lande.

Schreibst Du nicht bald einmal? Ist Dein Bruder nach Hause gekommen?

Es wird doch eine Novelle, die Verse wollten sich nicht blicken lassen. Ich schreibe jeden Tag daran, aber deswegen wird sie doch nicht groß.

Was macht Drachmann jetzt, wo er mit der Tannhäuserei fertig ist? Ich wollte, ich könnte in eine Zeitung setzen, daß ich mit irgend einer Seite des Daseins fertig wäre, so z. B. jedes dritte Jahr. Allah! Allah! Wenn ich mir vorstelle, daß mein Nekrolog einmal folgendermaßen enden wird: der Verstorbene war trotz seiner geringen Produktivität, doch mit den zwei Dritteln des Daseins fertig geworden, leider wurde das Dasein mit ihm fertig, ehe er auch das letzte Drittel zurückgelegt hatte. Sicherm Verlauten nach befindet sich jedoch so viel in seinen hinterlassenen Papieren, daß das endgültige Defizit nur ein Sechstel ausmachen wird.

XXXVII.

7. 9. 1877, Thisted.

Lieber Freund!

Trotz meines Ärgers darüber, daß das XIX. Aarhundrede eingehen soll, wurde ich doch so lustig, wie vier Schafe an einem Spannstrick, bei der Nachricht, daß ich an der verdammten Novelle nicht mehr zu schreiben brauche. Denn wie mich die geärgert hat! – Davon kann man sich keine Vorstellung machen!

Kanzleirat Hegel machte mir in der Tat den Vorschlag, auf den Du gefaßt warst.

Am fünfzehnten reise ich aller Wahrscheinlichkeit nach von hier nach Struer–Hamburg–Kassel. In Kassel denke ich eine Woche zu bleiben, dann vielleicht nach einigen kleinen Städten (Marburg) und im Oktober nach Heidelberg, falls das Wetter und mein Husten so wollen: darauf nach Montreux oder Ciarens oder nach einem andern billigen, windfreien Lögstör.

Einer Mitteilung von Häggström zufolge kommt die schwedische Übersetzung im Oktober. Ich würde selbstredend viel lieber nach Kopenhagen kommen, wage es aber nicht. Die Parodie auf Marie Grubbe habe ich gesehen, sie ist nicht gut, aber da ist eine ganz amüsante Wendung in dem ersten Stück über die Mutter, die in Rembrandtscher Beleuchtung Dorsch kocht.

Herren-Recht Titel der oben erwähnten Novelle. hat mich sehr interessiert. (Weißt Du noch, daß Du früher mit mir über den Stoff gesprochen hast, ein Bild bei Bing war die Veranlassung dazu). Es hat übrigens nicht meinen unbedingten Beifall. Nicht der »Unanständigkeit« halber, überhaupt nicht wegen des ganzen Ganges, der Entwicklung, der Moral, sondern weil es nicht frei genug geschrieben ist, weil ein kleiner Hauch von Neckerei darin ist, man hört hin und wieder den Autor zwischen den Zeilen sagen: »Ich glaube, daß wir sie ärgern.« Und darin liegt eine Schwäche. Carissime, Du bist ja stark genug, und Deine »Lebensanschauung« ist ja tief und groß und stark genug, sodaß das, was Du tust, sich ganz und wirkkräftig und stark und ungestört bilden kann, wie sich der Kristall in seiner Mutterlauge bildet. Das ist ein wenig allegorisch, aber der wohlwollende Leser wird ja den Sinn erkennen. Übrigens beglückwünsche ich Dich zu vielen Einzelheiten der Erzählung und hoffe, daß Du die obige kritische Bemerkung nicht anders auffassen wirst, als in der allerbesten Absicht.

Dein
J. P. Jacobsen.

Die letzte Hälfte des Briefes ist heute, den 10. geschrieben. Ich habe nämlich Reisefieber. Bald ein paar Worte.

Zum Beweis, daß eine Novelle im Herausgeben war, folgt einliegend Reinschrift von den beiden ersten Seiten. Die beiden Seiten sind in Gedichte und Entwürfe abgedruckt in der Ausgabe des Inselverlags, Seite 861.

Dein.

XXXVIII.

2. 10. 1877, Pension Bellevue Montreux.

Lieber Freund!

Ich blieb also nicht in Heidelberg, wo es hundekalt war. Hier ist es herrlich, sonnenklar und von 10-5 Uhr warm, so was ich Paletot-Wärme nenne, die Eingeborenen aber offenbar als Hemdärmel-Wärme auffassen. Gestern, als ich mich allerbestens eine etwas steile Straße hinaufarbeite, wen sehe ich da dieselbe Straße langsam herabschlendern kommen? Niemand anders als Schandorph, den ich in Spanien glaubte. Leider reist er schon übermorgen, und hier ist es ein wenig einsam, ehe man sich eingelebt hat. In der Pension sind Pariser, Spanier, Holländer, Russen, auch ein Schweizer ist da, der glücklicherweise deutsch sprechen kann. Der Übergang von der Kälte zu der Wärme hier hat mich ein wenig angegriffen und einen ziemlichen Husten zur Folge gehabt, der aber wohl bald verschwinden wird, da der Appetit gut ist. Ist die Fortsetzung des Artikels »Die neue Schule« im Fädreland gekommen, und wer ist die neue Schule? Ich möchte gern die deutsche Adresse Deines Bruders wissen. Auf dem Wege hier hinab habe ich kein anderes Schauspiel gesehen als »Viel Lärm um Nichts« in Kassel. Mäßig gutes Spiel. Ich glaube, es würde eine Wohltat sein, wenn Benedikt und Beatrice ihre witzgespitzten Reden ganz verschieden sprächen; ich habe das Stück früher spielen sehen (sahen wir es nicht zusammen in Dresden?), aber auch da knipsten sie beide die Pointen gegen einander ab. So ein witziges Mädchen wie Beatrice würde natürlich auf den Einfall kommen, ihre Entgegnungen ganz und gewollt-naiv zu äußern, und es würde alsdann von größerer Wirkung sein, wenn der Reitergeneral Benedikt, auf Rache erpicht, seine Antwort mit allem möglichem Lärm und Triumph abfeuerte. Den Schurken im Stück würde ich aus einem kräftigen schwarzen Schurken in einen vollständig abgetakelten, abgezehrten abgetanen Bruder Liederlich verwandeln.

Schreibe bald und laß mich etwas über die literarischen Neuigkeiten im Druck und auf dem Theater hören. Studierst Du noch immer die Edda?

Dein
J. P. Jacobsen.

XXXIX.

5. 10. 1877.

Lieber E. B.!

Falls Du mit Hegel sprechen solltest und er nach meinen Gedichten fragt (ich habe einen aller-allerersten einleitenden Schritt getan), so sage nicht, daß es Gedichte sind, die erst geschrieben werden sollen. Du brauchst ja deshalb die Wahrheit nicht zu vergewaltigen und zu sagen, daß die Sammlung ganz fertig ist. Da sind ja 20, 30, 40, 50, 60, 70, 80, 90 usw. Gedichte mehr oder weniger unfertig, aber sie sind nicht gottlos.

Dein J. P. J.

Vielleicht wäre es besser, wir ließen Deine Novellen, Skizzen und Dramen zusammen mit neuen Gedichten in einer Neujahrsgabe erscheinen, die sehr passend die der » Fremtid« sein könnte.

XL.

14. 10. 1877. Pension Bellevue, Montreux.

Lieber Freund!

Von einer Adresse habe ich auch nicht einen Muck gehört, wie ich auch seit mindestens einem Monat keine dänische Zeitung gelesen habe. Gesegnet sei die Adresse, falls sie ihn in Dänemark zurückhalten kann! Deinen Bruder nämlich. Das heißt, ihn so zurückhalten, daß ihm damit gedient sein kann. Er ist ja doch (verzeih den Vergleich) des Armen einziges Lamm (abgesehen von uns kleineren Bählämmern) und obwohl er stets ein sehr ansehnlicher (Sturm-)Widder in der Schar des reichen Mannes sein wird, so bedürfen wir seiner doch so bitter notwendig, daß ich in dem Punkt keineswegs mit Dir einig sein kann. Laß mich aber endlich etwas von dieser Adresse wissen, wann, wo und wie und was.

Die französischen Wahlen beschäftigen auch meine Gedanken, aber noch heute Abend (Sonntag) wissen wir nichts. Es erscheinen hier nämlich keine andern Zeitungen als eine Fremdenliste. Sage mir, welch französisches Blatt ich halten soll, denn das Journal de Genève ist mir doch zu langweilig. Ich habe die Absicht, meinen Aufenthalt hier unten zu benutzen, um mich ein wenig bekannter mit französischer Literatur und Geschichte zu machen. Augenblicklich lese ich Madame Mottevilles Memoiren, will aber allernächstens auf Zola, Cherbuliez, Daudet, Flaubert und Balzac einhauen. Entweder mußt Du Dich inbezug auf Zola irren, oder Dein Bruder hat falsch berichtet. Da ich, nach allem was ich von Paul de Kock gelesen habe, ihn für einen langweiligen, altmodischen Verfasser halte mit ein wenig Sinn für das Niedrigkomische und mit dem unverzeihlichen Fehler, ganze Bücher in der Gegenwart zu schreiben, kann ich Zola nicht gut mit ihm verglichen haben, auf den keine dieser Bezeichnungen paßt, nicht einmal der Sinn für das Komische, denn der geht Zola ganz ab. Ich entsinne mich dunkel, einen halbwegs wahren Kalauer darüber gemacht zu haben, daß einzelne Stellen in La Curée sich gecasanovaschen hätten, aber was tut man nicht um eines Kalauers willen. Dein Bruder hat mich völlig mißverstanden, oder ich habe mich mangelhaft ausgedrückt, was mir oft passiert und woraus meine Angst, daß meine Briefe mißverstanden werden könnten, herzuleiten ist. Du und ich haben so merkwürdig gleichartige Ansichten, über fast alle Literatur, daß es sonderbar zugehen müßte, wenn wir in bezug auf Zola divergierende hätten. Ich will mich nicht einmal verteidigen; ich sage, was ich bei dem Mann bewundere, denn das weißt Du. Ich will sagen, nicht was ich anders wünschen könnte, denn Schriftsteller von der Größe wünsche ich niemals anders, – und ich will nur sagen, womit mein Kochbuch nicht stimmt; denn eine andere Kritik kenne ich in meinem innersten Innern eigentlich garnicht, vielleicht tun andere das auch nicht. Zola ist mir im Psychologischen nicht schattiert genug, und er gibt mir seine Details in einem Haufen; aber ich will sie nicht in Haufen haben. Ich will keine lila und rote Farben nebeneinander haben, und er ist in bezug auf die Details nicht Eklektiker genug, er besitzt nicht hinreichend Resignation, um zu opfern. Details sollen sein wie jener Blitz bei Dickens, bei dem man »harrows and ploughs left alone in the fields« sah. Er ist monoton, ununterbrochen trägt er seine Farben mit dem Pinsel auf, aber wozu hat man denn den Spatel? Die Prosa ist doch kein Hexameter, der alles nach derselben Melodie erzählen muß. Er ist mir ferner nicht dramatisch genug. Zuweilen ist er es. Der Schluß von La Curée, wo der Kaiser gefahren kommt, ist brillant, aber das ist beinahe eine Ausnahme. Er hat Mut genug, wahr zu sein, vorzüglich, aber das genügt nicht, ich will nicht Wahrheiten in Form von Hagelschauern haben, die mich über den ganzen Körper prickeln und stechen; die Wirkung verliert sich. Darf ich bitten, die Wahrheit in Form eines Dachsteins an den Kopf zu bekommen! Er ist ferner zu moderat. Oft ungeduldig moderat in seiner Psychologie. Wenn der Mensch nicht in leidenschaftlichen Situationen, in zärtlichen Situationen, in Unmengen von Situationen kurz davor ist, komisch zu werden, so ist der Abstand bis zu Shakespeare und zur Natur zu groß. Ferner: der Mensch ist ein zugleich erbärmliches, fürchterliches und bewunderungswürdiges Tier. Zola sagt: der Mensch ist ein selbst in seinen liebenswürdigeren Formen ungewöhnlich widerwärtiges Tier.

Ja! Jetzt hat J. P. Jacobsen alles gesagt, was er wünschen möchte, das er (J. P. J.) tun könnte. Ich glaube wohl, dies ist die allgemeine Schriftsteller-Kritik. Eins, was ich bei Zola bewundere, ist sein Geruch, sein Lokalgeruch. Da sind Stellen, die in dem Grad an kleine Gassen in italienischen Kleinstädten erinnern, daß ich mir die Nase zuhalte, gleichzeitig aber bewundernd ausrufe: »Welch ein superber Gestank.« Dies ist als Lob gemeint. Als vorbehaltloses Lob.

Ich danke für das Anerbieten, Korrektur zu lesen und nehme es mit Begier an. Es soll ein neuer Roman von Marie Grubbes Größe geschrieben werden. Manuskript fertig im Februar. Amen, Amen, d. h. ja, ja, es soll also geschehen. Natürlich lebe ich vom Honorar. Auflage 2500, Honorar 1250 Rdl. Man sagt, das zweite Buch würde immer schlecht.

Es wird eine Erzählung aus der Gegenwart. Den Anfang kennst Du, kannst Dich dessen aber nicht erinnern: »Sie hatte die großen, strahlenden Augen der Bliders usw.«, spielt in Jütland, hauptsächlich am Limfjord und unten in der Gegend von Varde. Ich glaube der Ort hier eignet sich zum Schreiben.

Drachmanns Produktivität macht mich schwindeln, aber Du lieber Gott, wer mit Ochsen fährt, kommt auch mit.

Sei barmherzig und schreibe.

XLI.

27. 11. 77, Pension Bellevue (Villa Bella)
Montreux.

Lieber Freund!

Die Veranlassung zu diesem Brief ist Dein Artikel Über die Schauspielerin Arnould-Plessy. im XIX. Aarhundrede, das ich heute Nachmittag erhalten habe. Das nächste Mal, wenn Du mir erzählst, daß Du Dir nichts daraus machst, Talent zu haben und überhaupt nach der Richtung hin keinen Ehrgeiz besitzest, – das nächste Mal, wenn Du mir das erzählst, werde ich das gläubige Antlitz aufsetzen, das der Anstand erfordert, inwendig aber lache ich. Es ist Dir bisher zum Teil gelungen, mir Sand in die Augen zu streuen, wenn ich Deine schriftstellerische Tätigkeit betrachten wollte, in dem Grade ist es Dir zur Schande für meinen psychologischen und kritischen Blick gelungen, daß ich zu mir selbst gesagt habe, wohl sei der Stoff gut geordnet und die Gedanken scharf und klar und richtig, aber es sei nicht geschrieben, es sei alles sehr gut, in gewisser Weise vortrefflich, aber » ça n'y est pas

Bei dem Artikel über Sarah Bernhardt fiel endlich ein Teil von dem Sand heraus, aber als ich verriet, daß ich etwas sah, erwiderst Du mir, ich sollte mich nicht darum bekümmern zu sehen, da sei nichts, was sich des Sehens verlohne. Jetzt lasse ich mich nicht mehr narren, und ich will es Dir nicht ersparen zu hören, was ich gesehen habe, selbst wenn ich mich auch in Zukunft der Gefahr aussetzen sollte, daß Du diesen meinen Mangel an Respekt vor Deinem Inkognito aufdringlich, unkorrekt und weniger gut getönt finden solltest.

Ich habe wenigstens gesehen, daß » ça y est.« (Citat nach Sarcey, XIX. Siècle) und daß sich hier eine vollständig ausgeprägte originale Schriftstellerphysiognomie zeigt, daß man es hier mit einem Schriftsteller zu tun hat, der weiß, daß er eine Feder hat, die ihm gehört, und der sich seiner Kraft und seiner Geschicklichkeit freut, mit einem Verfasser, der endlich, ich könnte boshaft genug sein zu sagen: der sich endlich herabgelassen hat, für seinen Schriftstellernamen zu kämpfen wie andere Sterbliche und unsterbliche Schriftsteller, mit seinem eigenen Gesicht und in seinen eigenen Kleidern und nicht wie ein vornehm maskierter und kostümierter Amateur. Dixi et usw. …

Im übrigen ist Dein Artikel nicht ganz durch und durch lobenswert. S. 446 verfällst Du in die für Germanen so gewöhnliche fröhliche Mitteilsamkeit in bezug auf trockne Fakta und schreibst eine gute halbe Seite gewöhnliche Tageblattsprache.

Es würde mir sehr lieb sein, hin und wieder einmal einen E. B. unterzeichneten Brief zu empfangen, da besagter E. B. doch sicher so viel Zeit, wie dazu erforderlich ist, dem Isländischen abgewinnen könnte.

… Mit meinem Buch geht es langsam genug, es wird eine psychologische Schilderung von einer Gruppe freigeistig veranlagter Romantiker, die bei uns von den politischen Naturen von 48, von den Religiös Erweckten aus derselben Zeit und allerlei andern zurückgedrängt und überflügelt werden. Sollte ich Vertreter dieser zweifellos nicht kleinen Gruppe nennen, die wahrscheinlich durch Ungunst der Zeiten und durch Selbstverkennen einen Teil ihrer selbst an die Reaktion von 64 abgaben, so kommen mir Kaalunds und Kr. Arentzens Namen gleich in die Feder. Im übrigen soll das Freigeistige nur insofern mitgenommen werden, als es notwendig ist für das Verständnis der Menschen, was für mich die Hauptsache bei einer Erzählung ist. Ich bin freilich sehr besorgt, daß sich eine Menge Deklamation mit einschleichen wird, was abscheulich ist. Namentlich ist da eine Person, der den Mund zu stopfen schwer halten wird. Unter uns, ich versuche, oder habe vielmehr versucht, das Anckersche Legat zu erhalten und schrieb in der Veranlassung auf Hegels Rat einen Brief an Plough und einen an Molbech, worin ich, ohne mich auf irgendwelche Untersuchung meiner Qualifikation einzulassen, den Herren mitteilte, daß mir nicht so sehr darum zu tun sei, das Anckersche zu erhalten, als es gerade jetzt zu erhalten. P. teilte mir in einem höflichen Brief mit, daß er mich unter allen Umständen für vollkommen würdig ansähe, das Legat, oder wie es heißt, zu erhalten, daß er sich aber durch kein bestimmtes Versprechen binden dürfe, ehe er die Namen anderer Bewerber erfahren habe. Molbech ist nicht so höflich gewesen, zu antworten. Hegel teilt mit, daß Rovsing oder Rossing, heißt er, Rivale ist, aber den werden sie mir wohl kaum vorziehen … Es würde ein Glück für meine Gesundheit sein, wenn ich es erhielte. In diesem Falle würde ich mich so einrichten, daß ich, wenn ich voraussichtlich im Mai Montreux verlasse, nach Kopenhagen reise und dort vier bis sechs Wochen bleibe, darauf Thisted und dann im September gen Italien, den Winter in Rom und wahrscheinlich Studien zu einem Roman über Cola di Rienzi. Drachmann malt wieder, schreibt Hegel, darin ist doch kein Sinn!

P. S. Strodtmanns Übersetzung meines Buches ist erschienen, er nennt es »nach dem dänischen Original frei bearbeitet« (glücklicherweise ist das eine Lüge).

XLII.

16. 1. 1878, Pension Bellevue, Montreux.

Lieber Freund!

Ich bin mitten in einem Anfall von Husten, hervorgerufen durch ein ungewöhnlich niederträchtiges Wetter, das jetzt vorüber ist. Wir haben 6° Frost gehabt und haben den dänischsten Schneeschmutz, den man sich nur denken kann. Die ältesten Leute in der Stadt können sich nicht erinnern, daß je zuvor so schlechtes Wetter gewesen ist.

Mein Buch – das die Götter beschleunigen mögen – wird wahrscheinlich heißen:

Niels Lyhne
Die Geschichte
einer Jugend
erzählt von
J. P. J.

Nicht eine Jugendgeschichte.

In allem wesentlichen wird es rein psychologisch werden und vielleicht wird niemand außer dem Verfasser selber sehen können, daß hier auf eine Jugend hingedeutet ist, die jetzt alt ist. Die Personenliste wird Dir überraschend neu erscheinen.

Hauptfiguren:

Ein Dichter, der nicht dichtet.
Ein Bildhauer, der stirbt.
Ein Jurist, der heiratet.
Ein junger Mann, der schwatzt.
Ein junges Mädchen.
Ein zweites junges Mädchen.
Ein drittes junges Mädchen.

Nebenfiguren:

Vater, Mutter, Tante, Hauslehrer und ein starker Mann.

Trotzdem hat es den Anschein, als würde es recht neu und gut mißzuverstehen sein.

Wie geht es mit der Disputation?

Sammelst Du Deine Portraits?

Ist Drachmann zurückgekehrt?

Hat Recke Erfolg gehabt?

Holm Hansens neues Buch?

Bahnsons Erik XIV?

– Wie Figura zeigt, bin ich so zugrunde gerichtet von meinem Husten, daß ich nicht zusammenhängend schreiben kann, aber wenn Du weißt, wie ein Husten einem die Gehirnmoleküle durcheinanderschütteln kann, wirst Du entschuldigen und nicht versäumen zu schreiben

Deinem
J. P. Jacobsen.

XLIII.

6. 2. 1878, Pension Bellevue, Montreux.

Lieber Freund!

Mit dem Roman geht es vorwärts, wenn auch nicht mit Riesenschritten, aber ich fürchte, daß ich mich zu früh mit Jetztzeitmenschen oder auf alle Fälle mit Nahzeitmenschen eingelassen habe. Ich hätte gewiß klüger getan, zu warten, bis ich ein wenig stärker in meiner Feder geworden wäre. Das Prestige, das fernere Kulturzeiten geben, ist viel wert. Auf der andern Seite erhält man ein niederträchtig genaues Maß dafür, wie weit man ist, durch Behandlung einer Aufgabe, wie die, welche ich mir gesetzt habe. Schlecht komponiert wird das Buch wohl unter allen Umständen: dies bedeutet keineswegs, daß ich mutlos oder zweifelnd bin, im Gegenteil, ich habe großen Mut zu Niels Lyhne.

Nach Paris werde ich nicht kommen können, wie verlockend es auch ist, Dich zu finden. Aber man muß vernünftig sein.

Die Doktordisputation?

Dein J. P. Jacobsen.

XLIV.

24. 2. 1878, Pension Bellevue, Montreux.

Lieber Freund!

Überwinde Dich doch, mir einen kleinen Brief zu schreiben. Ich bin so allein mit mir selbst hier unten, obwohl ich einen sehr angenehmen Verkehr in einem kurländischen Baron und seiner Schwester habe, aber das ist nicht genug. Wenn ich Luftschlösser baue, weißt Du, was für eine merkwürdige Architektur sie dann darbieten? Die von Kopenhagen. Ich sehne mich nach Kopenhagen, d. h. danach, auf Deiner Chaiselongue zu liegen und der Baß zu Deinem Diskant zu sein. Ich rede nicht von unsern Stimmen. Ich rede von diesen erfrischenden Unterhaltungen, wo wir auf unsern verschieden gestimmten Instrumenten einander begleiten in harmonischer Einigkeit darüber, daß es gar vieles und gar viele gibt, mit denen wir uneinig waren, und entstand wohl hin und wieder einmal eine Disharmonie, so wurde sie meistens glücklich aufgelöst und entpuppte sich im innersten Innern als Harmonie, und froh über die Auflösung, nahm die Unterhaltung einen flotteren Schwung, ging in fröhliches Allegro über. Selbst die Pausen waren so beredt.

Die Natur hier ist wunderbar und namentlich jetzt, wo der Frühling anfängt, sich ahnen zu lassen. Aber diese Lenzdüfte erwecken in mir eine Sehnsucht nach Kunst – Kunst, in welcher Form es auch sei, Malerei, Skulptur, Musik (sogar Musik), Schauspiel, Kritik. Ich sehne mich, Gott verzeih's mir, nach dem Königlichen Theater. Ich glaube sogar, ich könnte Bertram de Born sehen, ohne mit den Augen zu zwinkern – das wäre doch auf alle Fälle Verse hören, wie sie auch sein mögen. – Zum Frühling!

Unter uns, ich erhielt gestern Mitteilung durch Kanzleirat Hegel, daß man mich gewogen und leicht genug befunden hat, des Anckerschen zu bedürfen. Nächsten Winter also in Rom, wenn Aeskulap will.

Sage mir doch, und vergiß nicht, darauf zu antworten, wie geht es Fräulein S., ist sie nach Italien gereist, und ist sie verlobt? Und wie geht es Fräulein A. B. und Fräulein R., allen den Huris, die ich in Deinem gastfreien Zelt, froher Araber in Ispahan, sah? Ispahan, Ispahan, heilige Stadt mit Kongens Nytorv, mit Bredgade und Langelinie, mit Zeitungen und Austernkellern. Ich komme mir fast vor wie Peter Andreas Heiberg, der vom Frederiksberger Hügel einen sehnsuchtsvollen Blick auf das goldene Kreuz der Frauenkirche wirft.

Liesest Du jemals Edg. Quinet? Ich möchte gern wissen, ob seine Schreibweise nur auf mich so wunderbar wirkt. Ich habe ein Gefühl, als seien seine Bücher auf einem Karussel geschrieben. Sonst lese ich Stendhals kritische Sachen. Wenn er nicht fortwährend sagte, daß er, verdammt und verflucht, nicht solch ein Rindvieh ist wie die andern, würde er mir mehr gefallen, falls ihn das übrigens erfreuen würde. Welche von Dumas fils' Romanen gehören nicht zu den Jugendarbeiten? Ich möchte ihn gern ein wenig näher kennen, aber ich habe mich kürzlich mit einem Buch, betitelt: Antoine abgequält, das hat mir den Mut benommen, mich auf Aventures de quatre femmes et d'un perroquet und auf andere ähnlich vielversprechende Romane einzulassen; seine Schauspiele hat man hier nicht. – Mache eine Anstrengung zugunsten Deines

J. P. Jacobsen.

XLV.

25. 2. 1878, Montreux.

Lieber E. B.!

In diesem Augenblick Brief von Hegel, daß das Anckersche unter keiner Bedingung vor acht Wochen erwähnt werden darf. Ich habe also nichts gesagt.

Dein
J. P. Jacobsen.

XLVI.

22. 3. 1878, Pension Bellevue, Montreux.

Lieber Freund!

So wurde es diesmal also ein Mädchen! Vielleicht soll es Dir beschieden sein, das Ziel zu erreichen, von dem ich in den Tagen meiner Jugend träumte: – sieben erwachsene Töchter auf dem Rasenplatz vor meinem Landhause Ring spielend.

Sage mir, ob Du nach Paris reisest und um welche Zeit Du wieder nach Hause kommst, denn falls ich nach Kopenhagen komme, möchte ich eigentlich wissen, was ich da anfangen soll, wenn Du in Paris bist und Georg in Berlin, Möller in Frederiksvärk, Drachmann in der Bretagne und Bing in Paris. Ich glaube nicht, daß ich dann an Altersgenossen andre kenne als A. C. Larsen.

Es wundert mich zu hören, daß Drachmann jetzt mit der Tannhäuserei wieder fertig geworden ist. Kannst Du mir nähere Aufklärung darüber geben, was für ein Gedicht es ist, in dem er sich Dänemarks stolzen Skalden nennt (worin ja übrigens nichts Böses ist, wenn es ihn nur amüsiert), und wie er das gesagt hat. Und die Reimbriefe, von denen mein Korrespondent sagt, daß Bergsöe und Kaalund so wütend darüber sind, weil er sich darin mit Chr. Winther auf eine Stufe stellt?

Er ist doch ein schneidiger Kerl, unser gemeinsamer Freund, er erinnert mich an die alten dänischen Bischöfe: mit der Feder in der einen Hand und dem, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, in der andern, rasselt er dahin, mit einem blauen Nebel von Médisance in seinen Spuren.

Das Anckersche denke ich zu einem Aufenthalt in Rom zu verwenden, reise hinab über Marseille, die Riviera und Genua, an der östlichen Küste wieder hinauf, Aufenthalt in Venedig und, wenn es ausreicht, einen Monat in den Bergen zwischen Conegliano und Bozen.

Du weißt wohl Skandrups Adresse nicht?

Warum sollte die Doktor-Disputation nicht angenommen werden? In welcher Beziehung ist sie zu gut? Und wovon handelt sie, falls das so gesagt werden kann, daß ich es verstehe?

Schreibe baldigst.

Die freundlichsten Grüße

Dein J. P. Jacobsen.

XLVII.

4. 5. 1878, Pension Believue, Montreux.

Lieber Freund!

Du hättest längst Antwort auf Deinen Brief gehabt, wenn der Photograph hierorts nicht so saumselig gewesen wäre. Heute abend ist er indessen endlich fertig geworden, und ich beeile mich, zu schreiben.

Hab Dank für Dein freundliches Anerbieten in bezug auf Obdach, es würde mich sehr erfreuen, einige Sommertage Dein Gast zu sein – aber die Zeit, wo ich kommen kann, wird vielleicht nicht Deine Zeit sein, denn ich gehe nicht zuerst nach Kopenhagen, sondern nach Thisted, wo ich in Stille und tugendsamem Fleiß mein Buch fertigmachen will und, was noch wichtiger ist, sehen will, meinen Kräften neuen Schwung zu verleihen, da der letzte Monat hier mir nicht gut bekommen ist, sondern ein wenig erschlaffend auf mich gewirkt hat, wie es die Frühlingsluft an diesem Ort nicht selten tut. Ich hätte ein wenig höher hinaufgehen sollen – nach Glion, aber das wußte ich nicht. Daß mir übrigens nichts besonderes fehlt, wird das einliegende Bild Dir zeigen.

Am 8ten reise ich von hier nach Bern und gehe wahrscheinlich über Frankfurt, Hannover, Schleswig in elf bis zwölf Tagen heimwärts. Schreibe mir deswegen nach Thisted. Wenn Du ein Bild von Dir hättest, mit Bart? Denn das, das ich habe, ist von 72.

Für den nächsten Sommer habe ich fabelhafte Pläne, Donaufahrt, Sebastopol, Kaukasus, Wolgafahrt, Saratow, Nishnej, Moskau, St. Petersburg, Kurland, veranlaßt durch dringende Einladung von zween Russen, der eine aus den Steppen um Saratov, der andere aus Kurland, und den Wunsch, Kumiskur zu gebrauchen (Stutenmilch zu trinken). Da aber die Zeit wohl kurz sein wird, bleibt es bei dem Plan. Hier ist Sommer: ausgeschlagene Buchen, schwirrende Maikäfer und viel zu sonnig.

Ich möchte wohl wissen, wer nun Deine Zigarren aufraucht, und ob das pompejanische Zimmer mit in die Tordenskjoldsgade gezogen ist. Dr. wann? Wenn Du wüßtest, was es heißt, sich nach seinen Zeitgenossen zu sehnen und jetzt im dritten Jahr im Toten Meere herumzutreiben!

For better for worse

Yours most truly
J. P. Jacobsen.

XLVIII.

29. 5. 1878, Thisted.

Ganz sicher wäre es nicht dümmer gewesen, noch vierzehn Tage länger von Sibirien fern zu bleiben, aber die Schilderung von dem dänischen Frühling war so verlockend gewesen und dann: Einsames Trinken, einsames Lieben, einsames Reisen wie traurig ist das! Aber Zahnweh und Hexenschuß ist nicht interessanter, und das sind bisher die Früchte meines Thisteder Aufenthalts gewesen. Ich habe weder Zola, noch Augier oder Taine gesehen, und sehe sie wohl kaum früher als in Rom. Weißt Du, ob Scharndorph nach Hause gekommen ist? Ich muß einige Auskünfte über römische Pensionen haben, und die muß er mir wohl geben können.

Und Molbech! Wie gern würde ich nicht eine Nacht durchplaudert haben, neulich vor 14 Tagen, in Straßburg, wo ich den Hamlet gab! und es war mondhell und warm und gasbeleuchtet und der Schall von Fußtritten auf dem Pflaster. Und herrliches Bier auf den kleinen Tischen vor dem Café dem Münster gegenüber, Erwin v. Steinbachs Münster. Wenn der alte Goethe Recht hat mit seinem: was in der Jugend man wünscht usw., dann müssen wir in unseren alten Tagen einander herzlich überdrüssig werden. – Hetnas Ein zweijähriges Kind. zoologische Perversität hat ernstliche Besorgnisse bei mir wachgerufen. Ihre naturgeschichtliche Erziehung muß ja geradezu vernachlässigt sein, und doch hat man so viele naturwissenschaftliche Dichterwerke wie: Der Tiergarten, wilde Tiere und zahme usw. Vielleicht ist jedoch das Ganze darauf zurückzuführen, daß das Pferd auf dem Kongens Nytorv und der Löwe im Rosenborger Garten ihre Begriffe über diese Tierarten verwirrt haben. – Möchten uns die Götter einen milden Sommer geben, Dir für Deine Rekonvaleszentin, mir für mich selbst. Aus Berlin habe ich seit einiger Zeit nichts vernommen. Wie ist Tegnér aufgenommen worden? Hier und dorten?

Dein

XLIX.

15. 7. 1878, Thisted.

Lieber Freund!

Obwohl ich noch keine offizielle Erlaubnis habe, mich irgendwie zu bewegen, verlangt es mich doch so zu wissen, wie es Dir geht, daß ich keine Bedenken trage, meinem Herrn und Arzt zu trotzen. Ich bin nämlich in diesen Tagen von einem zweiwöchigen Krankenlager erstanden, das durch ein recht starkes Blutspeien veranlaßt wurde, das mich eines Tages, als ich mich am allerwohlsten glaubte, unerwartet überfiel. Ich bin ein wenig matt, sonst geht es mir gut, denke ich, doch bin ich in einer Laune, die, wenn sie lange anhält, damit endet, daß ich mich aus dem Dasein heraushänge; vielleicht können mich jedoch die Chininpulver auf andere Gedanken bringen.

Etwas anderes als diese Krankheitsgeschichte habe ich Dir nicht zu berichten. Ich hoffe, daß Dir das milde Sommerwetter heilsamer gewesen ist als mir, der ich nun bald nicht mehr ein und aus weiß, wohin vor meiner Schwächlichkeit fliehen. Denn nehme ich die Flügel der Morgenröte und wohne in der Wärme, so ist sie da, und in der Kälte ist sie ebenfalls.

Das Buch hat natürlich mit mir geruht.

Dein J. P. Jacobsen.

L.

28. 8. 1878, Thisted.

Lieber Freund!

Es würde mehr als vergnüglich gewesen sein, hätte ich Deine Einladung annehmen können, aber ich war ein gar zu gebrechliches Gefäß, und deshalb blieb ich auf meinem alten Wandbrett stehen, so in Gedanken vertieft über alle meine Abschürfungen und Risse, daß ich – nun geht das Bild in die Brüche; der Sinn ist, daß ich mich schäme, Dir nicht für Deine freundliche Einladung gedankt zu haben, aber Du kennst meine großen Fähigkeiten in bezug auf das Unterlassen.

Da Du den 25. September als Deinen Abreisetag festgesetzt hast, und ich den 1. Oktober, finde ich, daß Grund vorhanden ist, in der Weise vorzurücken oder aufzuschieben, daß wir uns treffen und wenigstens bis Köln zusammenbleiben könnten. Deswegen könntest Du mir mitteilen, wie Du zu reisen gedenkst. Sage mir doch sofort, ist ein Paß erforderlich, wenn man nach Frankreich reist und in dem Falle, genügt ein einfacher Polizeipaß, oder muß er von der französischen Gesandtschaft in Kopenhagen visiert werden?

Von Disraeli habe ich nur sein Erstes (Vivian Gray? heißt es nicht so?) gelesen, und Sybil und Tancred. Ein Viertes fing ich einmal an, konnte es aber nicht aushalten. Natürlich erinnere ich nichts mehr davon. Tancred machte freilich einen großen Eindruck auf mich, namentlich die Szenerie aus den syrischen Bergen und dann ein Antilopenbraten mit einer Sauce, die mir noch in diesem Augenblick das Wasser im Munde zusammenlaufen macht. Ist da nicht auch ein Laubhüttenfest in der Ecke eines elenden kleinen Hinterhofes?

Das Befinden bessert sich, ein hartnackiger Husten weicht langsam, und die Stimmung ist gleichmäßiger geworden, wird aber doch noch von einem bedauerlichen Gefühl von Dummheit gedrückt; es ist freilich ganz und gar keine Gelegenheit vorhanden, etwas Kluges zu sagen, aber trotzdem finde ich doch, man könnte gern etwas zum Vergnügen für sich selbst denken – das tut man aber nicht.

Georg ist ein Kraftkerl, daß er an Dänemark festhält.

Da ich mich danach sehne zu erfahren, ob etwas aus einer Begegnung zwischen uns wird, so schreibe baldigst.

Dein J. P. J.

P. S.

Der Roman! (Ich wollte, Hegel hätte ihn). Uber den Roman will ich das nächste Mal schreiben. Ich gähne, wenn ich nur an ihn denke.

LI.

17. 9. 1878, Thisted.

Lieber Freund!

Es scheint nicht, als wenn wir uns dies Mal treffen sollten, denn vor dem achtundzwanzigsten kann ich nicht wegkommen, und zu der Zeit bist Du ja schon längst in Paris eingetroffen.

Es ist garnicht meine Absicht, mich weiter in Frankreich aufzuhalten, nur ein paar Tage in Lyon, Avignon und Marseille, und ich nehme den Weg nur, weil ich den nächsten mehrmals gereist bin und dann der Riviera wegen. Aber Du reisest nun vielleicht garnicht, sondern bleibst in Kopenhagen, um »Schritte zu unternehmen«, denn die Thisteder Zeitung meldet, daß Du um die freigewordene Professur konkurrieren willst. Soll das heißen, daß eine öffentliche Konkurrenz stattfinden wird? Ich finde nicht, daß Fausböll bessere Aussichten haben kann, er hat ja nur ein wenig Text herausgegeben, den er vielleicht nicht einmal verstand, und außerdem liebt die Universität ja Autodidakten nicht. Da ist ja freilich der Punkt, daß Professuren in der Hauptsache für ältere Leute eingerichtet sind, damit sie darin alt werden können, und dann – der Name, den Du hast!

Ich hoffe indessen das Beste, und es gibt nicht viele, die sich so freuen werden wie ich, wenn Du binnen kurzem durch das adlergeschmückte Tor auf dem in eine goldene Kutsche verwandelten Tonwagen als Professor ordinarius kutschierst.

Denn dann bist Du gezwungen zu bleiben.

Glückliche Reise, wenn Du reisest.

Dein J. P. Jacobsen.

Der Roman???

(Bis zum achtundzwanzigsten ist also meine Adresse: Thisted.).

LII.

29. 10. 1878, Rom.

Wie ich nicht nach Paris kam.

Wie ich von Lyon und später von Marseille schreiben wollte, und wie ich allmählich Nizza, Genua und Siena durchreiste, ohne es auszuführen, das mitzuteilen, hätte ich mir vielleicht sparen können. Nun wohne ich in der Via due macelli bei einem deutschen Uhrmacher in zwei verhältnismäßig prachtvollen Zimmern mit viel Sonne, esse mit den dänischen Künstlern zusammen und nehme Teil an den Sonnabend-Soireen im Verein. Vorläufig leide ich ziemlich an Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen, aber wenn ich mich erst an die Luft gewöhnt habe, wird sich das schon geben. Genaue Einzelheiten über das, wovon wir zuletzt sprachen, werden erbeten. Mit mir geht es wie gewöhnlich mehr als langsam, und wenn ich mich nicht aufhänge ehe dies Buch fertig wird, so hänge ich mich niemals auf.

Hier bin ich acht Tage gewesen, während welcher Zeit ich zwei Mal umgezogen bin und mich im übrigen nicht angestrengt habe. Capitol, Lateran, Vatican und Peterskirche sind für mich nur noch Worte. Das einzige, was ich gesehen habe, ist das Kollosseum, Forum, Guidos Aurora und Pal. Corsini. Aber ich bin auch nicht der, der ich war »consule Planco«. Weißt Du noch, wie gierig ich auf Gallerien war, und wie bange, daß ein Bild oben in einer dunklen Ecke mir entgehen könne, und nun bin ich am zehnten Tage in Rom, ohne Cap. Sistina gesehen zu haben. Falls Du so liebenswürdig sein solltest zu schreiben, so adressiere die Briefe an den dänischen Konsul. Ich kann die Notwendigkeit dafür nicht einsehen, aber das können die, so da hier unten sind. Ibsen ist hier, aber ich bin S. D. H. noch nicht vorgestellt. Im übrigen glaube ich, daß man hier unten arbeiten kann.

Dein J. P. Jacobsen.

LIII.

18. 11. 1878, Rom.
Via dei due Macelli 124.

Lieber Freund!

Ich habe mich mit der römischen Küche ausgesöhnt und esse sogar Makkaroni, ich habe mich mit dem ewigen Regenwetter ausgesöhnt und gehe mit einem Regenschirm, und da mein Ofen gut zieht, und da ich eine rauchbare Zigarre gefunden habe, und da der Wein bis auf die Hälfte im Preise gesunken ist, erscheint mir die Stellung im ganzen haltbar. Freilich hat man auch allerlei getan, um mich zu belustigen; so haben wir große Tiberüberschwemmungen gehabt, wobei sogar ein Stück Corso unter Wasser stand, und gestern war ein neapolitanischer Koch so freundlich, mit dem für Attentate gewöhnlichen Ausfall nach dem König zu pieksen, was natürlich Rom sofort in Illumination brachte und vivatrufende und fackeltragende Züge durch die Straßen trieb. Der skandi-norwegisch-dänisch-schwedische Haufe hier unten wächst gut, und wenn wir zu Mittag versammelt sind, füllen wir vollständig die Osteria, die für den Tag zum Schauplatz unserer Orgien ausersehen ist, und es entfaltet sich dann eine ansprechende Reihe Szenen aus dem römischen Volksleben, von denen die am häufigsten wiederkehrende die ist, daß neuangekommene Dänen, die nie zuvor in einer Restauration gewesen sind, darüber staunen, daß keine Schüsseltücher in der Suppe schwimmen, und daß die Kalekuten nicht mit den Federn gekocht sind.

Mit der Gesundheit geht es recht befriedigend, da ich keinen Husten habe. Ich glaube überhaupt, daß es gleichgültig ist, wo ich bin, wenn ich nur nicht in Thisted bin, und hiermit genug von Rom und seinen Einwohnern.

Ich hoffe, daß die Zeitschrift zustande kommt, sie hat meine besten Wünsche und verwegensten Versprechungen. Was Bj. Bj. im Wesentlichen abschrecken sollte, ist die Erinnerung an Idé og Virkelighed. Du wirst nicht Mephistopheles, sondern Seine Unfehlbarkeit der Papst, der Statthalter der Götter auf Erden, mit der Macht zu lösen und zu binden, mit Schlüsseln, Szepter und all dem. – – Es ist sehr dumm von Dir, daß Du nicht Professor wirst. Aber ich will hoffen, daß Fausböll es wird und nicht Vilhelm Thomsen, mit dem ich ein Hühnchen zu pflücken habe, da er im Sommer in Thisted war und mich nicht aufsuchte, obwohl er wußte, daß ich Rekonvalescent nach einem schlimmen Anfall war; – und als ich ihn zufällig traf und ihn erfreut begrüßte, war er außerordentlich verlegen und kühl, als fürchte er, sich in den Augen der Thisteder Honoratioren zu blamieren, indem er etwas so Rötliches so genau kannte. Dumm, dümmer, am dümmsten.

Weißt Du etwas von Zolas Privatverhältnissen? Ich las sein Letztes, nämlich: »Une page d'amour«, und habe diese ewigen Aussichten über Paris und Seine und die Brücken und dem Goldstaub der Sonne und den Schornsteinen nun bald satt.

Es steht eine Fichte im Süden, einsam auf kahler Höh und sehnt sich nach einer Palme im Norden! – Wann werde ich doch auf Deiner Chaiselongue liegen?

LIV.

22. 3. 1879, Rom.

Lieber Freund und so gut wie Dr.! Mit unmäßigem Eifer riß ich das Kreuzband von Ushas, um zu sehen, ob es ein gewöhnliches sterbliches Werk sei oder eine Doktorabhandlung. Und siehe, es war, was es sollte, und es war ein großer Schrei von viel Freude in des Fernwohnenden Seele. Denn welche Grenze gibt es jetzt noch für das, was wir ausrichten können, da wir beide über das hinweggekommen sind, was wir als Herkulessäulen des Daseins aufgestellt hatten. Nun, ich will nicht mit meinen Zukunftsplänen so zurückhaltend sein wie Du. Siehe: im Laufe des Sommers Vollendung von Niels Lyhne, dem Unendlichen, und dann nach Kopenhagen, der Stadt meiner Sehnsucht. Archivstudien und Bibliotheks-Ulk, Struensee, Malte Conrad Brun, und die Borgias usw. bis ins Allerunendlichste.

In einem Monat gehe ich wohl nach Neapel, Pompeji, Capri. Eine Reise von drei bis vier Wochen, dann direkt durch gen Norden nach der einsamen Berggegend zwischen Conegliano und Cortina hinter Venedig. Dann nach Hause. Am 1. September in Kopenhagen, wenn nicht früher. Das ist das vorläufige Arrangement.

Die Kolonie hier unten ist durch Frau S.s Ankunft vorzüglich suppliert. Ich war neulich Abend bei ihr, und morgen, wenn das Wetter will, wollen wir nach dem Markt draußen im Grotto ferato. Ibsen hält sich noch ein wenig zurück seit sein Vorschlag, daß Damen in der Generalversammlung des Vereins Sitz haben sollten, durchfiel, und ich sehe nicht sonderlich viel von ihm. Kaalunds mageres Feuilleton und Schandorphs nette Antwort habe ich gelesen. Das hat daheim wohl nicht sonderlich interessiert. Trotzdem überkommt mich plötzlich die Lust zu antworten – aber es bleibt wohl dabei, bei der Lust nämlich. – Ich habe sehr das Bedürfnis nach Hause zu kommen und habe alle diese Ausländigkeit satt, und es ist mit der Gesundheit diesen Winter so gut gegangen (bisher), daß ich es wohl wagen kann, wenn ich nun einen milden Frühsommer da oben im Venetianischen gehabt habe. Sei nun, bitte, zum Herbst und im Winter in Kopenhagen! – – – Wir waren gestern in Frascati bei entzückendem Wetter und Frau S. bat mich zu grüßen und sie sei tief gekränkt, daß Du ihr keinen Gruß gesandt hättest.

Hier ist sonst nichts Neues, man ist ja im Grunde nur des Alten willen in Rom.

Wenn ich noch ein paar Bücher geschrieben habe und ein glückbringendes Drama, denke ich, werde ich in der Lage sein, an einer Doktorabhandlung über Rindendorne oder über Unkrautsamen in bebauter Erde zu arbeiten.

Dein J. P. Jacobsen.

LV.

21. 5. 1879, Capri.

Lieber Freund!

Wenn Du glaubst, daß wir in Hemdsärmeln herumgehen und uns aufgelöst von Wärme in den Schatten von Orangenbäumen werfen, lässig nach den goldenen Früchten hinauflangend, um unsern Durst zu löschen – so irrst Du. Es ist kalt hier, hundekalt, Regen oder Sturm oder beides – und die Zimmer so schwach beteppicht und gewärmt, daß man seinen Winterüberzieher als Schlafrock benutzen muß. Die Zitronen und die Orangen, die Mispeln und das Weinlaub, das blaue Meer und die grauen Berge, das ist hier alles, aber mit dem dänischen Mai darüber. Im Hotel ist eine größere Bibliothek, und ich lese daher eine Menge unmöglicher deutscher Schriftsteller, die meiste Zeit aber sitze ich und denke über das große Werk nach, indem ich in einem schlechten Lehnstuhl Schlitten fahre, mit einer Reisedecke als Bärenfell. Zur Ermunterung von dieser Situation habe ich an schrecklichen Kopfschmerzen gelitten und habe keinen Appetit auf die schlappen Mittelmeerfische, das ewige Kuhfleisch und die unendlichen grünen Erbsen. Bald gehe ich nach Rom, schreibe unter allen Umständen dahin (Due Macelli 124), und von da direkt nach Thisted. Die französischen Leute kenne ich nicht. Kjellands Buch hoffe ich in Thisted zu finden. Du sprachst davon, ihn zu veranlassen, es zu schicken. Hast Du etwas von der berühmten Leonarda gesehen? Was sagt Skram nach der Schlacht? Drachmanns Nächstes muß unausbleiblich von Prinz Otto von Dänemark handeln. Kein Lokomotivführer kann des Reisens überdrüssiger sein als ich. Behaltet, bitte, die Wärme, die Ihr habt, damit ich bald in einem nördlicheren Himmelsstrich zur Ruhe kommen kann. Von Pompeji habe ich am meisten Freude gehabt auf der »südländischen« Reise, obwohl es auch dort kalt war. Neapel war gräßlich. Ich sehne mich zuerst nach Rom, namentlich aber nach Thisted. Wünsche mich wohlbehalten daheim! Die Gesellschaft hier ausschließlich Deutsche, die fortwährend Bädeker reden und einander in Detailkenntnis des italienischen Volkslebens zu übertreffen suchen.

Dein J. P. J.

LVI.

31. 5. 1879, Rom.

Lieber Freund!

Ich kam gestern Nachmittag hier an und heute Morgen hatte ich Deine Karte. Hier ist eine Schmorhitze – draußen unmöglich – drinnen ganz douce mit geschlossenen Stabjalousien. Wie recht Du hast in Bezug auf Reisen und Reisekost! Wenn man das Ausland zwischen seinen heimischen Mahlzeiten genießen könnte: ein Stück Capri nach dem Frühstück, eine Partie Rom nach Tisch zu einer Zigarre – und hin und wieder des abends spät ein wenig Mondschein in Verona. Eine inhaltsreichere Karte wird dieser folgen, da ich morgen Ude og Hjemme gelesen und Josephson besucht haben werde. Du kannst Dir übrigens nicht denken, wie es vorläufig vergnüglich ist, nach Rom gekommen zu sein und bekannte Gesichter zu sehen, ausländische und inländische, bekannte Straßen zu sehen und so einigermaßen das bekommen zu können, was man haben will. Wenn nur die Luft nicht halb Staub wäre! Aber ich reise sogleich, sobald ich mich ausgeruht habe von dem schönen Süditalien, und kehre heim, um eine Mastkur zu gebrauchen. Mein Bruder verspricht mir alle Herrlichkeiten der Erde, der Luft und des Meeres. Wenn es sich nur im Norden warm halten wollte.

Heute Abend wollen wir in Verona eine Telegrammadresse an die Universität aufsetzen. Ich hoffe, sie wird Eindruck machen. Mit Staunen lese ich in der Zeitung von all dem Essen, womit jubiliert werden soll, ich bin ganz gedankenvoll über das Arrangement, demzufolge die Kommunalverwaltung an einem Tage zweimal zu Mittag essen wird, und die Universitätsnotabilitäten drei Mal. Daß das Tivoli mit auf dem Programm ist, freut mich ungeheuer. Leonarda?

Schreibe, wenn Du schreibst, nach Thisted. Wie gräßlich war es vorgestern in Neapel, und wie es da roch! Wärme, schimmelige Gerüche, schwüler Fauleeierlufthauch, kühle Brisen aus weingesättigtem Kehrichtatem, eine ganze Zolaskala. Hier riecht es doch nur nach Staub. Ich öffne meine Laden – die Sonne ist hinter den Häusern.

Dein J. P. Jacobsen.

LVII.

27. 6. 1879, Thisted.

Lieber Freund!

Über das Gemälde Deines Schwagers kann ich Dir nichts mitteilen, da es garnicht durchgemalt war, und der Grund noch nackte Leinwand war. Die Figur wird sitzend, strickend oder so. Kniestück, landschaftlicher Hintergrund, Kostümporträt. Sie saß gut und die eben angelegten Hände waren erfreulich lebendig. Die Abhandlung von Schram (dies ist ja die Fortsetzung der Postkarte) las ich im Skandinavischen Verein. »Man findet hier des Verfassers gewöhnliche usw.« Besonders fein und vortrefflich aber sind die beiden Schramschen Figuren, zwei Gesichter, zwei Ganze, die einen halben Mann geben. Das ist eine Tat. – Was ich dahingegen nicht leiden kann, und wovon Du Dich bei einem späteren Durchlesen ganz gewiß nicht erbaut finden wirst, ist die Anwendung von zwei so niedrigen Wörtern wie meschugge und Lulatsch. Wie konntest Du nur! Das sieht Dir so gar nicht ähnlich.

Florenz, München, Leipzig, Hamburg waren die Stationen meiner Heimreise. Wenn ich eine Kunstgewerbeausstellung in Leipzig ausnehme, und die Meininger in Hamburg, habe ich nichts besonders Interessantes gesehen. Die Meininger gaben: Ein Wintermärchen. Sie spielten mäßig, aber die Inszenierung war glänzend. Sie hatten sich nicht dadurch beirren lassen, daß die Religion im Stück apollonisch ist, sondern hatten zum Ausgangspunkt genommen, daß Giulio Romano die Bildsäule gemacht hatte (die brillant Marmor nachahmte mit Schraffierung und Vergoldung und Giallo antico) und deswegen Altrenaissance in einer Weise durchgeführt, die auf die Spitze getrieben wurde durch die Orakelantwort-Lade, die wie ein Reliquienschrein in Kirchenform gebildet war. Das Arrangement, wo die Zeit den Monolog hält, ist das nobel wirkungsvollste, das ich an Theaterdekoration gesehen habe.

Ich werde nun hier gemästet, und es gelingt vorläufig. Die Caprikrankheit ist ganz verschwunden. Schreibe nun bald

Deinem
J. P. Jacobsen.

LVIII.

17. 7. 1879, Thisted.

Lieber Freund!

Während in den Reichen des Südens die goldene Ernte unter den Liebkosungen linder Lüfte reift, und die Traube in Licht und Wärme schwelgt, so reift auch in unserm Gemüt hier im höchsten Norden die bunte Ernte der Erinnerungen trotz Boreas' lärmendem Treiben – Du mußt ja nicht vergessen, daß Josephson einen Faible für Poesie hat und Weihnachtslieder und Festkantaten schreibt, so daß ein klein wenig schwedischer Lyrikschaum leicht aus seiner Tinte aufsteigen kann. Im übrigen habe ich nicht einen Muck von ihm, von dem Bilde oder den Photographien gehört. Du schickst mir die letzteren wohl, falls er sie in die Kiste gelegt haben sollte.

Dein kleines Mädchen Eine Photographie. liegt hier und wartet darauf, hinübergeschickt zu werden, aber ich habe noch nicht ergründet, ob ich es flach oder gerollt schicken soll.

Der Herausgeber von Ude og Hjemme hat um die Erlaubnis gebeten, mein Bild, das er von Hegel geliehen hatte, in seine Zeitung zu setzen, zusammen mit einigen andern, die unter den Titel »Die Schriftsteller unseres Realismus« (?) passen könnten. Wer die Abhandlung schreiben wird, weiß ich nicht.

Josephsons Bild von mir muß ja fertig sein, da er es hat photographieren lassen, und da er nach Paris gereist ist, aber es ist merkwürdig, daß er mir nichts darüber mitteilt.

Der Gesundheitszustand noch immer sehr zufriedenstellend, trotz des niederträchtigen Wetters.

Vielen Dank für das ausgezeichnete Bild von Dir, so wie Du bist.

Mit Grüßen im Strauß – für Deine Mutter eine Rose (Souvenir de Malmaison), für Deinen Doktorbruder ein Vergißmeinnicht (er schuldet mir einen Brief).

Dein J. P. Jacobsen.

LIX.

26. 8. 1879, Thisted.

Lieber Freund!

Unter Kreuzband schicke ich Dir heute zwei Photographien nach Josephsons Gemälde. Ich bin so schwerfällig und dösig und kurzluftig gewesen in all dieser Gewitterluft, die wir hier gehabt haben, daß ich keinem Menschen ein Wort geschrieben habe, außerdem versinke ich auch mehr und mehr in meinen Roman der vor Weihnachten fertig werden muß, d. h.: gedruckt und veröffentlicht und heruntergemacht und so weiter.

Nach Kopenhagen kann ich vorläufig, der Arbeit wegen, nicht kommen; wenn sie beendet ist – vielleicht? großes Vielleicht.

Mit der Gesundheit geht es gut, ich huste ein wenig zu viel, nehme aber an Gewicht zu.

In ein paar Tagen schreibe ich ordentlich

J. P. J.

LX.

25. 9. 1879, Thisted.

Lieber Freund!

Allernächstens werde ich Kielland zurückschicken, mit Schübler hat es wohl nicht solche Eile. S. hat mir viel Vergnügen bereitet, er ist ein fleißiger Mann, wenn auch nicht gerade sehr geistreich in seinen Beobachtungen. Die Novelletten scheinen mir in äußerer wie in innerer Hinsicht reichlich viel vom Kalenderstil zu haben. Waterloo ist außerordentlich lebhaft erzählt. Die Sprache ist durchgehend erstaunlich gutes Dänisch, dafür, daß es Norwegisch ist. Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, aber ich kann nicht, so gern ich auch wollte, etwas Bedeutendes oder was man Versprechendes nennt in dem Buch finden, das ganze erinnert mich so entsetzlich an dänische Studenten. Was könnt Ihr, Du und Björnson, nur Besonderes darin finden? Ich kann nichts anderes sehen, als daß Skram sowohl formaliter als auch realiter weit gehaltreicher ist. Aber es mag ja sein, daß ich einen etwas bornierten Blick für das Buch habe, und vielleicht bin ich auch geblendet durch den Umstand, daß ich auf etwas ganz anderes gefaßt war. Ich hatte mir vorgestellt, es sei mit einer gewissen kalten Energie geschrieben, vornehm farblos, das ganze stilvoll eckig wie ein Vollblutpferd; – und dann ein wenig französisch im Psychologischen mit geschärften Nuancen, wahr an und für sich, als Einzelheiten genommen, aber mehr reliefierend als wahr in ihrem Verhältnis zum Ganzen. Die Charakterzeichnung mager, aber mit korrektem Skelett und zähen Sehnen. Und dann eine Masse Nerven. Den Eindruck hatte Dein Bericht von dem Buch auf mich gemacht, obwohl Du ja freilich eigentlich nichts weiter darüber sagtest.

Und dann fand ich nur den sanften Wellenschlag von vagem jungem Blut.

Aber sage mir nun, wie Du es siehst.

Dein
J. P. Jacobsen.

LXI.

29. 10. 1879, Thisted.

Lieber Freund!

Es würde mir ganz gewiß sehr wenig ähnlich sehen, wegen der Zwei Welten beleidigt zu sein. Glaubst Du nicht, daß auch mich der Titel an die Revue erinnert hat? Ich hätte beinahe aus Übermut das Ganze: Zwei Welten, Roman von J. P. J. genannt. – An Niels Lyhne schmiede ich noch immer, und das Eisen ist warm geworden; die innere Komposition wird fester in ihren Zusammenfügungen, als ich eine Zeitlang glaubte, und an die äußere kehre ich mich verdammt wenig. Der Untertitel fällt weg, da N. L. ganz dominiert. Mit dem Schreiben werde ich wohl bis Weihnachten fertig, aber an den Druck glaube ich nicht früher als jenseits der Heiligendreikönige. Es werden ja auch ohnedem Bücher genug, da ist ja nicht Eines, das in diesem Jahr nicht erscheint.

Ich habe Drachmanns Poul og Virginie gelesen. Da ist ja absolut nichts in dem Buch. Nichts. Es ist schade, daß er schon so etwas machen kann.

Daß Molbechs Ringgeschichte nicht amüsant ist, kommt mir weniger unerwartet. Ich möchte gern etwas näheres darüber hören. Wer war es, der »Es lebe M.!« rief?

Ude og Hjemme sehe ich nicht, vielleicht kann ich es doch bekommen, ich möchte ja gerne Deine Artikel lesen. Wann kommt das Buch?

Ich wage nicht, Dich um einen Gruß an Georg zu bitten, da ich in brieflicher Hinsicht ihm gegenüber ein schlechter Mensch gewesen bin.

Die Gesundheit ist bisher bewunderungswürdig gewesen, jetzt kommt es auf die ersten Frosttage an.

Ich habe ganz vergessen, für die Bücher zu danken.

Sei Du nun gut und schreibe, Du, der Du mitten in dem Ganzen bist, und solltest Du Aufklärungen wünschen über die interessante Angelegenheit, wo die neue Bahnstation in Thisted liegen soll, oder über die neue Schneeschipperordnung, so werde ich unerschöpflich sein.

Dein J. P. Jacobsen.

LXII.

22. 12. 1879, Thisted.

Lieber Freund!

Natürlich lebe ich sehr einsam und spreche nie mit irgend jemand, aber es kann schließlich gehen, ohne näheren menschlichen Verkehr zu sein, wenn man dann nur seinen buchlichen Verkehr wählen könnte, wie man wollte, aber das ist hier nicht möglich, wo man auf eine aus übersetzten Romanen bestehende Leihbibliothek und eine Lesegesellschaft mit der grassierenden dänischen Literatur angewiesen ist. Das letzte, was mir hiervon in die Hände gefallen, ist: Unge Dage, Det unge Danmark und Realisme og Realister, worin ich abgebildet bin mit einem Schnurrbart, der an eine Abbildung in Lütkens Naturgeschichte erinnert, nämlich an den Kopf eines Bartenwals, so zahnbürstenartig ist er. In bezug auf Unge Dage hatte ich mich anfänglich getäuscht, indem ich glaubte, daß dort ein gewisser Entwicklungsgang von etwas zu etwas Anderem, von einigermaßen bestimmtem Charakter zu finden sein würde, daß mit dem Helden irgend etwas geschehen würde, das als Warnung oder Ermunterung dienen könne, oder, was ich vorgezogen haben würde, zur Aufklärung für uns, ihn anbetreffend. Das ist nun aber offenbar durchaus nicht die Absicht gewesen; was geschieht, geschieht nur zur Unterhaltung, so wie es in alten Zeiten in Dr. Syntax' Reise und Perigine Pickeles Erlebnissen geschah.

Ich glaube nicht, daß ein Buch uns interessieren kann, wenn es nicht eine getreue Schilderung von dem Kampf ums Dasein eines oder zweier Menschen ist, also verstanden: ein Kampf gegen das, was existiert, damit man auf seine eigene Weise existieren kann.

Der jüngere Gjellerup ist nun einmal von einer toten Anthologie gebissen worden. Einer von Euch hätte ihm auch gern erzählen können, einer von Euch, der ihn kennt, daß man heutzutage nicht zitieren darf, sondern daß es ein längst überwundener Trick ist, andere Menschen in seinen Büchern herumrennen und Bruchstücke ihrer Bravourarien singen zu lassen.

Selbst singen. –

Ja, übrigens möchte ich auch wünschen, daß G. seinen Helden das nicht hätte tun lassen, denn es sind gräßliche Verse von einer antidiluvianischen, neujahrsgeschenkartigen Beschaffenheit. Die beiden italienischen Worte am Schluß eines Kapitels sind Lümmeleien. Det unge Danmark S. 181. Meinetwegen mag man in Büchern gern päderastieren, wenn dadurch irgend welche Aufklärung geschaffen wird, oder wenn es überhaupt für irgend etwas, was das Buch betrifft, von Nutzen ist.

Wenn Du keins von den Büchern liest, müssen diese Betrachtungen übrigens äußerst interessant für Dich sein, und ich will sie deswegen nicht noch mehr in die Länge ziehen, aber Du verstehst ja wohl, daß ich nicht jedesmal nur mitteilen kann, daß der Husten friedlich, und daß Niels Lyhne nicht fertig ist.

Du solltest wohl nicht wissen, ob Kanzleirat Hegel Justizrat ist?

Und nun will ich Dir nur noch einen vergnüglichen Weihnachts-Baum mit Deinen kleinen Mädchen wünschen und mich dann hinsetzen und hoffen, daß wir uns im Mai in Kopenhagen sehen mögen oder ein wenig mehr.

Dein J. P. Jacobsen.

LXIII.

30. 12. 1879, Thisted.

Lieber Freund!

Die Torheit mit der Nichtanstellung Deines Bruders habe ich aus der hiesigen Zeitung ersehen. Diejenigen, die die Sache hervorgerufen haben, müssen mit der unangenehmen Empfindung herumgehen, ihren Schwanz zwischen den Beinen zu fühlen. Es ist ein großer Verlust für uns, ihn nicht in die Heimat zurückzubekommen, und ich glaube auch, daß er eine feste Anstellung nötig hat, und ich glaube ferner, es würde entwickelnd (!) für ihn sein, in der Heimat zu weilen, so sonderbar das klingen mag; für uns würde es das auf alle Fälle sein. Vergessen wir den Grundtvigianern diese Niederlage nicht.

Für Gjellerups Ragazzereien kann ich keinen anderen Ausdruck finden, und ich bestreite ganz kraß, daß dadurch etwas aufgeklärt wird. Erstens ist es eine Lüge. Nicht einmal in den neapolitanischen Hurenhäusern wird einem diese Frage gestellt. Auf den Straßen sind mir über 100 Frauenzimmer von Kommissionären, alten Weibern und Droschkenkutschern angeboten, nie aber ein Knabe, und das ist ganz natürlich, da es nach italienischem Gesetz strafbar und der Bevölkerung da unten so verhaßt ist, daß man in Rom im vergangenen Jahr einen Engländer fast totgeschlagen hätte und ihn wirklich sehr schwer verwundete, weil man ihn in Verdacht hatte, auf Jagd nach Knaben zu gehen. Aus demselben Grunde ist es männlichen Malern fast unmöglich, Knaben als Modell zu bekommen.

Zweitens stiftet es keinen Nutzen, wirft nicht das geringste Licht auf den Helden im Buche. Ja, hätte er auf die Frage ragazzo – zo – geantwortet, so hättest Du nicht die geringste Einwendung von mir gehört, ich würde in die Hände geklatscht haben, aber so wie die Sache liegt, ist es sinnlos. Vergleiche doch dies mit der Mitteilung der Kammerzofe, daß Baptiste (»La curée«) die Stuten liebt. Das stiftet Nutzen. Es gibt einen dicken schwarzen Strich unter das ganze Buch, daß der, den die junge Frau für den einzig anständigen Menschen im ganzen Hause hält, sich mit Stuten abgibt.

Ich weiß nicht, ob ich wie Skram, das Buch schlecht nennen würde, daß es besser unveröffentlicht geblieben wäre, gebe ich zu, da es so grenzenlos langweilig ist, im übrigen aber kann ich Gjellerup und sein Buch nicht ernst auffassen, als wirklich zu der neuen wirklichen Literatur gehörend: er ist für mich nur ein Kind, das mit Rasiermessern spielt und sich in die kleinen Finger schneidet und Blut auf die weißen Westen der Erwachsenen spritzt.

Aus einer Äußerung in Deinem Brief ersehe ich, daß meine ewige Unzufriedenheit mit den Büchern anderer Leute als »Brotneid« aufgefaßt werden könnte, aber es ist mir wirklich nie in den Sinn gekommen, daß die Herren auf gleicher Stufe mit mir stünden. Ich gehöre nun einmal zu der Familie der Besten, was die andern nicht tun; ob Deine Wirksamkeit weitere Bedeutung erlangt, ist eine andere Frage, aber ich betrachte mich selbst als zur Elite der Dichter gehörend, ich bin Grande d'Espagne und behalte selbst in Gegenwart des Königs den Hut auf dem Kopf. – In meinem neuen Buch ist übrigens eine wohlgelungene Schilderung eines Hauslehrers, der von Größenwahn besessen ist.

Dukkehjemmet Nora. vermute ich, basiert auf der Geschichte mit Frau X., die den Namen ihres Mannes auf einem Wechsel fälschte, um ihren Modehändler zu bezahlen, und von der sich ihr Mann aus diesem Grunde scheiden ließ. – Das Stück gibt mir übrigens einen Schlüssel zu Ibsens Auftreten in Rom in Sachen des Stimmrechts der Frauen auf Generalversammlungen im Skandinavischen Verein, wo ich ihm übrigens, wie billig war, durch dick und dünn folgte. Wie entzückend unverschämt er gegen seine Gegner war! Wenn Du den reaktionären Rosenstand siehst, so frage ihn einmal nach diesen Verhandlungen und er wird aus der Haut fahren. Es fehlte nicht viel, so hätte ein Marinekapitän B. Ibsen wegen dieser Frauenfrage gefordert. Das Buch habe ich noch nicht gelesen.

Könntest Du mir nicht die Nummern schicken, in denen Du geschrieben hast, ich werde sie Dir gleich zurücksenden?

Es ist meine Absicht, mich vom Frühling an fest in Kopenhagen niederzulassen, dann sehen wir uns wohl im Juni, Du bleibst wohl nicht so lange fort.

Du schreibst nichts davon, was Du tust.

Schreib recht bald, daß ich Dich sehen kann.

Fröhliches Neujahr!

Dein J. P. Jacobsen.

LXIV.

14. 3. 1880, Thisted.

Liebster Freund!

Diesmal bin ich in Bezug auf Briefschreiben in einem zu eminenten Grad ich selbst gewesen, als daß irgend eine andere entschuldigende Erklärung oder erklärende Entschuldigung aufgestellt werden könnte.

Mein Herr hat weise gehandelt, sich nicht in den Schandorph-Ploughschen Streit zu mischen, der sich ja doch eigentlich nicht um etwas Bestimmtes drehte, jedenfalls ist es mir nicht möglich gewesen, die Idee dieses Handgemenges zu erkennen. Daß Plough nicht der unbestechliche ehrliche Ritter der Wahrheit ist, der er sein sollte, erscheint ja ein wenig altnordisch. Hätte sich der Streit ausschließlich gegen die politischen Sünden der nationalliberalen Partei gewendet, so hätte ich ihn verstehen können. Daß es aber ein Streit zwischen dem Alten und dem Neuen sein sollte, sehe ich nicht ein, da ist ja auch nicht einer, der »no popery« gerufen hat wie der Rabe in Barnaby, und im Grunde ist doch wohl der Atheismus die Hauptstimme, während das andere die Begleitung ist.

» Dukkehjemmet« (Du mußt verzeihen, daß ich über alte Sachen schreibe) scheint mir unbedingt das Bedeutendste und das am meisten Einheitliche zu sein, was Ibsen jemals geschrieben hat, und die Einwendungen gegen den Schluß sind höchst unbillig. Es ist ein allgemeiner Aberglaube, daß eine Dichtung heutzutage so wie die Intrigenstücke in alten Zeiten enden könnte, aber es ist auch nur ein Aberglaube. Es ist kein anderes Ende möglich als der Tod, der ja doch nicht überall angewendet werden kann. Ich will so weit gehen zu sagen, daß eine moderne Dichtung, die endet, nicht taugen kann (das Ende durch den Tod beständig ausgenommen, und dann Zustände, die synonym damit sind). Aus folgendem Grund, einem höchst einfachen Grund: falls wirkliches Leben und Entwicklung in den Personen ist, so können sie natürlich nicht enden, außer um mit der Fortsetzung zu beginnen, so wie man in Wirklichkeit tut, denn ich habe nie etwas in einem Verhältnis zwischen Menschen entschieden gesehen, und sollten sie sieben mal sieben und siebzig mal eine Entscheidung darüber treffen, es fährt dennoch fort, weiter zu leben und kann kommen und die Forderung stellen, von neuem entschieden zu werden. Deswegen ist es eine grenzenlos unnütze Frage, die in der Kritik beständig gestellt wird, sobald man an das Ende gekommen ist, wo die Bekehrung stattfindet oder das Verhältnis zwischen Mann und Frau etc. in Ordnung kommt – nämlich die Frage: ob man wirklich an diese Bekehrung oder das In-Ordnung-kommen glauben kann? Und darauf ist nichts anderes zu erwidern, als daß man glauben kann, daß es halten wird, bis es sich wieder umkehrt oder die Ordnung wieder der Unordnung weicht. Nach all dieser Dogmatik will ich nur sagen, ich kann nicht verstehen, daß die Zimperliesen kein Ärgernis an dem Auftritt genommen haben: » bald ist alles still«, und das allerbeste im ganzen Stück der Befehl an das Mädchen ist, daß sie die Lampe im Flur auslöschen soll.

Falls man Bücher im Mai herausgeben kann, könnte ich wohl zu der Zeit fertig werden.

Nein, das kann ich doch nicht (spätere Anmerkung).

20. 3. 1880, Thisted.

Wie Du siehst, erstreckt sich meine beunruhigende Produktion nun auch auf Briefe. Es wird wohl bald so weit kommen, daß – wie weit? – daß kein Grund vorhanden ist, nach Illustrationen zu suchen, dieser Brief ist in dieser Hinsicht aufklärend genug.

Ich werde nicht recht wach, ehe ich nach Kopenhagen komme, was natürlich nicht zum Mai geschieht, wie ich glaubte, sondern im Spätsommer. Ich muß jemand haben, der mich herausklopft, sonst bleibe ich liegen. Man sollte glauben, Reisen ins Ausland müßten einen wecken, aber sie verleihen einem nur den Vorwand, das Arbeiten zu unterlassen. Ich muß jemand auf dem Nacken sitzen haben, der mich mit seinem Stachelstab pikst. Freue Dich zum Herbst auf die angenehme Beschäftigung, Elefantentreiber zu sein. Du kannst es wohl bewältigen. Kjelland geht ja von selbst, und glücklicherweise ist es keine unheilbare Schwächung, die mich zu einem Perpetuum stabile gemacht hat. Ich bin weder müde noch ausgeschrieben, im Gegenteil, ich schreibe noch sehr gut (siehe die späteren Kapitel von Niels Lyhne). In Zukunft werde ich jedoch wohl nur historische Wunderwerke verrichten, vielleicht mit lyrischen Unterbrechungen, denn ich bin zu ästhetisch in gutem und schlechtem Sinne, um mich auf diese direkten Rechtsanwaltsreplik-Dichtungen einzulassen, wo angeblich Probleme zur Erörterung gebracht werden, während sie nur gelöst postuliert werden (dies gilt sowohl nach rechts wie nach links.)

Es ist in der letzten Zeit in der Naturwissenschaft modern geworden, zu sagen, daß zuviel Gewicht auf die Entwicklungsgeschichte gelegt worden ist. Die Beschuldigung kann gegen works of fiction nicht mit Grund erhoben werden. Denn hier ist fast immer nur die Rede von fertigen Zuständen; selbst wo ein Versuch nach der Richtung hin gemacht ist, handelt es sich niemals um eine wirkliche Entwicklung, es ist nur eine gewisse feste Form, die Bogen für Bogen reicher und reicher nuanciert, mehr und mehr unterstrichen wird. Es sind keine Möglichkeiten darin zu allem Möglichen, dadurch gewinnen sie natürlich an Festigkeit, nicht aber an Leben. Auf die wirkliche Entwicklungsgeschichte (»voir venir les choses«) muß jetzt von denen, die es können, Gewicht gelegt werden, selbst unter Gefahr, daß es den Charakteren scheinbar an Zusammenhang fehlt. (In Wirklichkeit gibt es einzelne Seiten in den Menschen, die nicht zusammenhängen; wie sollte auch wohl ein so komplexes, von so vielen Stellen herbeigeholtes, ausgebildetes und beeinflußtes Ding, wie die geistige Seite eines Menschen, organisch ganz sein.) Natürlich muß Zusammenhang in dem ganzen Großen sein, aber wenn die Bücher nicht völlige Konversationslexika für Menschenkenntnis sein sollen, muß man Ansprüche an die Intelligenz des Publikums stellen und nicht ängstlich und sorgfältig ein rotes Ankertau durch alle Stadien und Phasen einer Figur ziehen. Schriftsteller sind überhaupt so geneigt, für Idioten zu schreiben, und es sind doch ebenso gute Köpfe unter denen, die lesen, wie unter denen, die schreiben. Nur Forderungen stellen! Hat man etwas zu geben, was der Mühe wert ist, verstanden zu werden, so wird man schon verstanden werden. Man nehme sein Publikum so fein, so scharf, so kühn, so phantasiereich und intelligent, wie man kann und vermag, genau so, wie man kann und vermag, nicht geringer.

Dein J. P. Jacobsen.

LXV.

28. 4. 1880, Thisted.

Lieber Freund!

Mein letzter Brief ist wohl zu sehr beeinflußt gewesen von dem Thisteder Mangel an Atmosphäre, als daß Du einen lebenden Menschen hättest dahinter spüren können. Es ist nicht untiefsinnig von einem älteren Menschenkenner oder von tausenden gesagt, daß es drei, vier Seiten in einem Menschen gibt, und es ist mit diesem Satz wie mit den Elementen gegangen, von denen es in alten Zeiten vier gab, während wir deren jetzt 63 oder darüber haben. Es ist daher nicht so wunderlich, wenn ein Mensch aus dieser oder jener entlegenen Seite seiner 63 schreibt, daß er dann nicht gerade die nach außen gewendete Seite des Menschen trifft, an den er schreibt. Ich habe mich deswegen gedreht. Ein ganz klein wenig.

Hast Du jemals über die letzten Tage Deiner Zukunft nachgedacht? Da Du nicht in einer Kleinstadt gewohnt und auch niemals einen Katzenjammer gehabt hast, mußt Du wohl mit Nein antworten. Ich denke zuweilen, wenn ich nichts anderes zu tun habe, und das habe ich ja in der Regel nicht, daran, wie es enden soll, und ich kann niemals zu einer andern Lösung kommen als: wahnsinnig, Omphalopsykit oder Opiumesser. Es wird wahrscheinlich das Letzte, wenn ich mich nicht mit dem Mittelweg begnügen muß. Das Erste ist ja ein so gräßlich relativer Begriff. Aber ich begnüge mich schon. Wenn ich eine Überschrift über die drei, vier letzten Jahre meines Lebens schreiben sollte, die nur ein sehr kurzes Kapitel in meinen Memoiren bilden werden, so würde ich entweder »Zwischen den Schlachten« wählen oder auch, und das, glaube ich, wäre noch passender: »Während sie kämpfen«. Denn was haben nicht alle Menschen gelebt, während ich mit offenen Augen gelegen und mich umgesehen habe. Und trotzdem! (Du konntest doch begreifen, daß eine Arsis nach dieser Thesis kommen mußte.) Ich glaube, ich habe durch das Schlafen gewonnen. Du sollst sehen, es geht mir wie den Siebenschläfern, ich komme genau so jung aus der Felsenhöhle heraus, wie ich war, als ich hineinging. Wenn ich nicht noch jünger geworden bin, und auf die Jugend kommt es an. Ich freue mich darauf, mich selbst auftreten zu sehen, jung, begeistert, mit dem Glauben an die Weltverbesserung und an die Menschheit, leicht drapiert und undeutlich gemacht mit einem blauenden Schleier von Schlaf und Aequianimität. Alle Ihr andern habt die Welt Euch anfassen und befingern lassen. Bei einigen von Euch hat die Vergoldung angefangen abzugehen. Ich dahingegen – Reden ist schlechtes Silber, Schweigen aber Gold, und all das Gold, das ich in den vier langen Jahren geschwiegen habe, wird vergoldend über mich fallen, über meine vergessene Gestalt, wenn ich wieder hervortrete. Hätte ich nun dies aus Berechnung getan, so wäre es nur talentvoll gewesen, aber ich habe es aus Trägheit getan, das ist das Geniale, und genial muß man sein.

Ich will den Eindruck des obigen nicht mit der geringsten Aufklärung darüber stören, weswegen es geschrieben ist, oder durch das leiseste kritische Blinzeln über mich selber. Sat Eduardo.

Aber Du könntest mir gern sagen, wie es Dir geht, wenn es Dir auch nicht gelingen wird, dies so deutlich auszuführen, wie es mir gelungen ist, Dir zu sagen, wie allein und weltverlassen ich mich fühle, wenn gerade das in mir auftaucht, was in diesem Brief verborgen ist.

Dein
J. P. Jacobsen.

LXVI.

2. 8. 1880, Thisted.

Liebster Freund!

Sei nun nicht allzu natürlich ergrimmt über mein unnatürliches Schweigen. Denn es ist so viel Natürlichkeit darin. Du weißt nicht, wie enervierend dies living under a cloud ist, ohne Energie, sie von sich abzuschütteln. Wenn mir die Götter die Erfüllung eines einzigen Wunsches schenken wollten, so sollte das weder Gesundheit noch Gold sein, sondern nur: Energie. Ich weiß nicht, was für zähes Träumerblut es ist, das ich in die Adern bekommen habe, es fließt so träge und kein Satan kann es wieder in Gang leben, falls es überhaupt jemals gegangen ist. Ich fürchte, daß Talent, selbst von der Art wie das meine, eine kostbare Ware ist. Natürlich nicht zum mindesten, wenn man es eingräbt und zu nichts weiter gebraucht, als um sich selbst damit aufzuzehren. Aber es ist auch sonst kostbar. Es kostet nicht unser Herzblut, wie es in Abhandlungen und Charakteristiken heißt. Nicht so. Aber es wird einem etwas angetan, von einem selber oder von andern, etwas, das einen unnormal macht, ungefähr so, wie das Volk sich vorstellt, daß mit Luftspringerkindern verfahren wird, nämlich daß man ihnen die Gelenke knickt, solange sie noch klein sind. Und natürlich bekommt man hier in der Welt nichts geschenkt, man hat nur das, was man gekauft hat, aber die Frage ist ja dann, ob die Waren das Geld wert sind, das fröhliche, freie Geld, selbst wenn es die allerprimaesten Waren sind. Was man in einem Punkt gewinnt, gewinnt man in einem andern Punkt durch Resignation. Und wenn man dann den Handel bereut und sein Geld nicht zurückbekommen kann, oder man nicht Gebrauch von dem macht, was man hat – –

Ich will nicht weiter auf dies Thema eingehen oder vielmehr es nicht weiter fortsetzen, wie viel oder wie wenig diese Gedanken nicht für mich stimmen. Ganz so wahr, wie daß zwei mal zwei vier ist, ist dergleichen ja nie. Das Ganze ist nur, um Dir zu erklären, nicht was ich tue, sondern alles das, was ich zu tun unterlasse, damit Du verstehen kannst, daß in meinem Schweigen nicht ein einziges Körnchen Gleichgültigkeit, Mangel an Interesse oder gar Unfreundlichkeit enthalten ist. Weit, weit entfernt davon!

Wann ich nach Kopenhagen komme, kann ich nicht sagen. Noch einen Winter auf Spitzbergen. Und nur weil ich faul gewesen bin. Vielleicht ist es doch am besten für meine Gesundheit, wenn es mir in anderer Beziehung auch weniger günstig erscheint. Der Roman ist nicht fertig, und Du mußt nicht verlangen, ihn zu sehen, ehe er etwas weiter gediehen ist. In ein paar Monaten glaube ich mich dem Ende nähern zu können. Aber das habe ich nun schon so lange geglaubt.

Daß ich nicht über Dein Buch geschrieben habe, kommt daher, daß ich auf der einen Seite zu viel zu sagen hatte und auf der andern ja schon mit Dir über die wichtigsten Stücke gesprochen hatte. Wir einigen uns doch nie darüber, daß Vilhelm Wiehe in »Ein Fallissement« Komödie spielte. Hast Du das Buch nicht an einigen Stellen reichlich gedämpft, sowohl in Bezug auf Tadel als auf Lob? Ich fand, es war etwas Trotziges, Wagendes in der ersten Ausgabe von Joh. Wiehe, was nicht mehr da ist, oder was ich auf alle Fälle in der jetzigen Gestalt des Stückes nicht wiederfinden konnte.

Wie angenehm würde es sein, wenn die Norweger es satt bekämen, diese schneidigen, burschikosen Wörter in ihr Dänisch hineinzustecken. Daß diese Menschen nicht hören können, wie unecht so etwas klingt. Wie unecht es ist, sieht man am besten, wenn man z. B. Garmann & Worse durchblättert, in der Unterhaltung kommen nämlich diese norwegischen Wörter nicht vor, nur in dem Kontext. Mit der Zeit, wenn sich die Norweger ein wenig stärker fühlen, wird sich das schon geben. Ibsen ist in der Beziehung im Dukkehjem ein gut Stück vorwärts gekommen. Mit Kjelland ist es nun so wunderbar, daß er in den Novelletten ohne diese Schneidigkeiten schrieb. Sonst finde ich dies Buch viel besser. Aber erstaunlich nahe verwandt mit dem deutschen Roman: Spielhagen, Heyse, Gutzkow und dergleichen. Der Propst war vortrefflich, und das Bild mit dem Fluß, dem trüben, und dem Perückengericht allerliebst. Auch das Heinezitat. Meine Lieblingsstelle ist indessen Peter Nilken auf dem Bock des feinen Wagens und die Straßenjungen, die da stehen und singen, indem sie nur die Lippen zu den Worten des unartigen Liedes bewegen. – Die Charakterzeichnung ist so grunddeutsch mit ihrer unschuldigen Unzusammengesetztheit. Aber das wird sich später schon ändern.

Leb nun wohl und grüße Deine Mutter vielmals.

Dein J. P. Jacobsen.

LXVII.

1. 10. 1880, Thisted.

Lieber Freund!

Wenn ich auch nicht geschrieben habe, so habe ich doch oft genug an Dich gedacht und Dich mit Interesse auf Deiner Langelandsreise begleitet, so gut sich dies in der konservativgesonnenen Zeitung des Städtchens machen ließ, denn andere Blätter sehe ich nicht. – Also Du bist wirklich Folkethings-Abgeordneter. Ich freue mich sehr darüber. So eine praktische Wirksamkeit muß dem Leben ein gut Teil Zähigkeit-Stahl zuführen und einen stetiger machen. Und dann beständig etwas zu tun, was Handlung ist.

Ich möchte wohl wissen, was Du im Grunde von den Bauern hältst, die Du wohl zum ersten Mal aus der Nähe gesehen hast. Es ist eine eigene Spezies, die man nicht zu hastig beurteilen muß. Laß Dich nicht von ihnen reizen.

Ist der X., der da eine Rolle spielte, der richtige lange X., den wir den Gorilla mit einem zu menschlichen Namen nannten? Es ist ein lieblicher Anblick, das arme Christentum unter Protektion von D. und Erik Bögh zu sehen. Gott gebe ihm viel solche Fürsprecher! Nun sind wir gerächt für die Geschichte von Kaufmann, der am Eingang der Literaturgesellschaft stand und alle abwies, die eine positive Religion hatten und für die Mythe über Carl Price, der Freigeist geworden ist, um vom Denken frei zu sein. Alles rächt sich hier auf Erden.

Ich bin gesund und arbeite. Vielleicht kommt mein Buch kurz vor Weihnacht, so wie Marie Grubbe.

Dein J. P. J.

LXVIII.

1. 12. 1880, Thisted.

Lieber Freund!

Wie Du bedauerlichst erfahren haben willst, habe ich mich gezwungen gesehen, Dir Niels Lyhne zu ruinieren, indem ich Dich von hinten anfangen ließ, aber es war auf andere Weise nicht möglich, bis zum 9ten fertig zu werden, und am 10ten muß das Buch erscheinen, wenn es in Norwegen und in den Provinzen herauskommen soll – und deshalb nahm ich Dich bei Deinem alten Wort.

Erfolg, glaube ich nicht, daß das Buch haben wird, und doch ist es gut. Auf etwas darin lege ich großen Wert, nämlich daß die Personen und die Charaktere und die Handlung dänisch sind, durch und durch dänisch in allen Punkten, das könnte als geringes Verdienst erscheinen; sieh Dich aber einmal um, Brief für Brief, und siehe welche Bastarde zwischen einer dänischen Phantasie und fremden Vorbildern, fremden Auffassungen, dort in jedem Augenblick hervorgucken. Die ganze Charakterlage, Entwicklung, Hemmung, Resignation, Neuleben: alles ist so wie gerade Dänen sind. Das Buch ist vielleicht hierdurch ein wenig langweilig geworden, aber zum Totlachen wird so ein Thema nie. Wenn Du aber hin und wieder etwas weniger wohlgelungen findest, so solltest Du die außerordentlich großen Schwierigkeiten bedenken, die das Thema darbietet, ganz ungleich größere als die Schwierigkeiten in Marie Grubbe.

Und dann ist da schließlich noch eins: Ich finde, es würde nicht freundlich sein, wenn ich meinen Mund hielte, und auf der andern Seite bin ich nicht genügend über die Sache unterrichtet, um eine besondere Berechtigung zum Reden zu haben; aber Du wirst mich nicht mißverstehen, wenn ich Dich frage, ob Du nicht außer Deinem Dänentum und Deinem Atheismus noch eine besondere jüdische Nationalität für Dich hast geltend machen wollen: hast Du nicht einem in diesem Falle irreführenden instinkt-starkem Drang nachgegeben, einen Schlag für die jüdische Nation zu führen, wo Du meiner Ansicht nach nur berechtigt, ja verpflichtet warst, einzig und allein für den Atheismus zu kämpfen. Das Judentum kann ja für Dich doch nur eine Art historischen Stimmungsborns sein, zu dem Du in einem sanft lyrischen Verhältnis stehst, das im Vergleich zu Deinem Verhältnis zum Atheismus kein Recht hat oder haben soll. Dies ist ja alles nur eine kleine freundliche psychologische Note, in der natürlich keine Mißbilligung irgend eines bestimmten Punktes in Deinem Auftreten vorhanden ist. Daß ich vollkommen einig und sympathisch einig mit Dir bin in Deiner Auffassung von Eden und daß ich selbst das Formular unterschrieben haben würde, indem ich mich ebenso verbunden fühle durch Eden, geschworen bei dem dreieinigen Gott, wie es nur eine Christenseele kann, das ist etwas Selbstverständliches: über dergleichen werden wir beiden nicht uneinig.

Scrive!
Dein J. P. Jacobsen.

LXIX.

Nach einer Weile.

Carissime!

Werde nicht böse. Ich ersehe aus der Korrektur, daß ich ganz vergessen habe, Dir zu sagen, daß, wenn ich mich auch nach Grundtvig richte, ich doch schreibe, um meine eigene Rechtschreibung zu haben.

Dein J. P. Jacobsen.

LXX.

17. 12. 1880, Thisted

Lieber Freund!

Ich kann mich nicht richtig überreden zu glauben, daß Du Anstoß genommen haben solltest an einigen von diesen kleinen persönlichen Stimmungsbemerkungen, mit denen man vielleicht niemals herausrücken sollte, wenn man die Augen dessen nicht sehen kann, an den sie gerichtet sind, wenn man nicht durch den Tonfall seiner Stimme, durch das Suchende, das Fragende darin die Worte so fallen lassen kann, wie sie eben fallen sollen. – Das ist doch wohl nicht der Grund, weswegen ich nicht eine einzige kleine Zeile von Dir gesehen habe, seit Niels Lyhne erschienen ist. Ich will hoffen, daß es die Geschäftigkeit im Reichstag ist. Wenn ich jetzt in Kopenhagen wäre, würde ich ganz anders von Deinem Auftreten dort in Anspruch genommen sein, da ich dann wahrscheinlich so einigermaßen mit den Angelegenheiten vertraut sein würde, aber noch mehr mit der Atmosphäre der Angelegenheiten. Aber hier, wo es mir durch Zeitungen gebracht wird und ich es verdunkelt hervorleuchten sehe aus den Reihen ausgetretener Typen, hier klingt es nur wie eine anmutende, aber dunkle Sage, von der ich weder den Anfang noch das Ende sehen kann.

Vielen Dank für die Besorgung der Korrektur; hätte ich gewußt, daß Du mit etwas Größerem beschäftigt warst, wie Du es damals gewesen sein mußt, so würde ich Dich nicht gestört haben, aber ich glaubte, Du ruhtest aus, nachdem Du Deinen Platz angegeben hattest. Das Manuskript schicke, bitte, an Hegel, da ich es Etatsrat Collin versprochen habe.

Das Dasein ist augenblicklich ein wenig mystisch für mich, indem ich noch nicht einen einzigen Muck gehört habe, nachdem ich mit meiner vorjährigen Anstrengung fertig geworden bin, und ich sitze hier und braue mir dunkle Ahnungen zusammen, daß Ihr findet, ich habe einen Mißerfolg gehabt, es sei mit mir zurückgegangen, und daß niemand der Erste sein will, der es mir sagt. Sehe ich aber das Buch an, so finde ich, es ist so energisch geschrieben, hat so viel Gutes in sich. Es hätte nur heißen sollen: ein Roman von denen vor uns, aber das klang mir so marktschreierisch, und ich ließ es nach.

Kannst Du mir nicht, falls ich Gebrauch dafür haben sollte, eine Übersetzung des Korans leihen?

Wenn Du Zeit hast, so schreibe

Deinem J. P. Jacobsen.

LXXI.

6. 1. 1881, Thisted.

Lieber Freund!

Ich ersehe aus der Zeitung, daß X. zu meinem großen Ärger gereist ist. Kann etwas eselhafter sein? Und dumm! Jetzt, wo die Sache so brillant stand, daß möglicherweise eine Freisprechung zu gewinnen und nichts durch eine Verurteilung zu verlieren gewesen wäre. Und nun ist alles verloren, die Dummheit des Ministeriums in Klugheit verwandelt, alle Sympathie in den Rinnstein gefegt.

Es ist möglich, daß niemand außer mir Shakespearesen in Niels Lyhne. sagt, aber ich habe den Jargon von einer Dame gelernt. Was Frau Boyes Ästhetik betrifft, so bedenke, sie ist keine Dame der Jetztzeit, sondern eine aus der Zeit, wo die Damen Goethe und Schiller auswendig wußten. Denke einmal an Frau Gyllembourg. Frau Boye ist aus dem entgegengesetzten Lager, in dem man es mit Shakespeare bis zur Abgötterei getrieben hat, weil Heiberg, und Frithiof mit ihm, ihn heruntersetzen will.

Das Entscheidende in Fennimores Abschied von Niels ist nicht, was sie am Tage darauf tun wird, sondern daß sie dadurch dazu kommt, eine Seite herauszukehren, die er nicht wird vergessen können. Endlich sind es nicht zwei Liebende, die den Wald unter sich teilen, es sind zwei, die etwas Gemeinsames zu lieben haben wollen, um einander nahe zu kommen, ohne sich zu nahe zu kommen. Und sie wählen einen Wald. Sie ist so gut wie in einem Garten aufgewachsen, seine Liebe zur Natur ist stark hervorgehoben. Denke nicht an Bewohner der Hauptstadt, denen Bäume und die kleinen Geheimnisse der Bäume niemals tägliches Brot gewesen sind. Denke Dir nur z. B. Musik an Stelle des Waldes.

Ich hatte auf eine zweite Auflage gehofft, um zum Frühling nach Kopenhagen kommen zu können, aber nun denkt wohl kaum mehr jemand daran, Niels Lyhne zu kaufen. Hägström in Stockholm fragte wegen Autorisation für eine schwedische Übersetzung an, hat aber später nicht geantwortet. Mein früher erwähnter neuer Roman ist in Rauch aufgegangen, und augenblicklich tue ich nichts. Aber das kommt schon, und ich komme ebenfalls.

Dein J. P. J.

LXXII.

22. 1. 1881, Thisted.

Lieber Freund!

Es war eine große Überraschung, jetzt ein Drama von Dir zu erhalten, aber bisher habe ich Dir nicht dafür danken, oder Dir darüber schreiben können, infolge einer niederträchtigen Erkältung. Nun springe ich mitten in die Sache hinein.

Was mir am meisten in dem Stück gefällt, ist die Charakterzeichnung von Astrid und dann, daß das, was ich mit einem langen Wort den Replikindividualismus nennen will (daß jede Person ihr Dänisch spricht), so leicht und ruhig, wenn auch nicht sehr markiert durchgeführt ist. Vortrefflich ist, daß es Dir gelungen ist, daß alle Figuren frei von einander dastehen, hinreichend deutlich, ohne daß es erforderlich war, sie besonders eigentümlich zu machen. Ich meine: das, was ich haben will, ist, daß sie sich auf gleicher Ebene halten, die Figuren nämlich, daß die dämpfende, einförmige Verschleierung, die die gleiche Gesellschaftsstufe, der gleiche Aufenthaltsort, das gleiche Bildungsideal hervorbringen, über ihnen allen liegt, so daß sie sind wie die Steine am Strande, geschliffen rund nebeneinander und doch jeder Stein für sich. Von all diesem Guten nehme ich natürlich Niemann aus, der zu bühnengeboren ist. Er gehört nicht zwischen alle diese wirklichen Menschen. Aber er könnte zu ihnen gehören durch unbedeutende Veränderungen in seiner großen Entgegnung S. 126 und in der Szene zwischen Eggert und ihm, wo Eggert auch kurz davor ist, ein wenig Kulissenfarbe anzunehmen, im letzten Akt.

Die Kaffeeszene im letzten Akt gefällt mir sehr. Die Entgegnung »Weiß Gott, will ich das!« ist ganz entzückend. Der Ton der Repliken ist überhaupt ganz ausgezeichnet, besonders fein fallen sie oft zwischen Eggert und Leuning. Astrid, Klara, Leuning und Eggert stehen sehr fein und sicher da.

Soll es nicht gespielt werden? Es würde sehr dadurch gewinnen, wenn Du Die Schauspieler dazu bringen könntest, zu sprechen. Ob dänische Schauspieler im täglichen Leben niemals sprechen? Eins ist gewiß, nach dem, was ich von der Bühne her kenne, so hören sie, wenn sie jemals sprechen, niemals nach dem hin, was sie selbst sagen.

Ich erwarte mit Sehnsucht das Morgenblad, magst Du es nun sein oder Georg. Könnte nicht derjenige von Euch, der es nicht ist, in der schwedischen illustrierten Zeitung schreiben, denn aus der schwedischen Übersetzung Die Übersetzung von Niels Lyhne. scheint noch immer nichts zu werden.

Du siehst, ich habe stets kleinliche Sorgen um mein Letztes.

Dein J. P. J.

LXXIII.

31. 1. 1881, Thisted.

Lieber Freund!

Du tust Klara In » Heilmittel«. ganz sicher Unrecht; ich habe einen sehr bedeutenden Persönlichkeitseindruck von ihr. Es ist etwas an ihr, was Du vielleicht nicht so genau beachtet hast, weil Du die Figur so lebendig vor Dir gehabt hast, nämlich: daß sie so fein schweigt. Dies soll keine Geistreichheit sein, und niemand kann es ja besser wissen als Du, daß es das nicht ist, dazu ist das Schweigen bei Klara unwesentlichen Dingen gegenüber zu scharf markiert, gleich von der frühen Szene an, wo es so außerordentlich bezeichnend ist, daß Astrid auf die Äußerung des Homöopathen über das Aufeinkaufgehen der Damen antwortet, statt der Frau. Klara hat so viel zu denken über das Verhältnis ihres Mannes zur Wahrheit, hat etwas so Bestimmtes zu lieben und darin aufzugehen, daß sie, ein wenig schwerfällig und übernüchtern wie sie ist, gar nicht teilhaben kann an all dem Schwatzen um des Schwatzens willen, daß sie nicht einmal für Blanks Stimmungskur hinreichend Interesse fassen kann, um sie abzuweisen. Sie schweigt, nicht weil sie stumm ist, sondern weil sie zu Hause ist in ihrem Schweigen, und deswegen könnte eine Schauspielerin viel aus dieser Rolle machen, indem sie einen merken ließe, daß Klaras Worte alle denselben Ausgang haben. – Verzeihe diese lange Entwicklung, aber Du hattest gesagt, Frau Klara sei ungeheuer wenig Mensch, und da ich Klara besonders bewunderte, weil sie mit so ungeheuer wenig geschaffen war, wollte ich diese Beschuldigung nicht auf ihr und auf meiner Bewunderung sitzen lassen.

Was mich und die Dichtergage betrifft, so verhält es sich damit so: Ich reiche zum dritten Mal das Gesuch um 2000 Kronen ein, um nach Kopenhagen zu kommen und Studien in Bibliotheken und im Archiv machen zu können. Hegel hat das Gesuch zusammen mit meinen Büchern zu – war es Linde oder Berner? – getragen. Zu einem im Kultusministerium, und hier endet meine Aktivität, aber dann erhielt ich einen Brief, zuerst einen von X. und später einen von Hegel, daß ich erst 1000 Kronen beantragen solle. Das habe ich getan und seither daran gekaut, weil ich glaubte, dies Gesuch beruhe auf einem Mißverständnis, indem ich der Ansicht war, daß man sich nicht um etwas bewerben könne, was nicht existiert, sondern nur durch ein Gesetz entstehen kann. Benachrichtige mich doch, wie sich das verhält, und wie ich selbst mich zu verhalten habe. 1. Soll ich das erste Gesuch zurücknehmen? 2. Soll ich mich bewerben, und in diesem Falle wo? 3. Soll ich Hegel bitten, zu Scavenius zu gehen? Natürlich will ich gern Dichtergage haben, da meine Einnahmen in den letzten vier Jahren 2500 Kronen betragen haben, die ich vor langer Zeit für Niels Lyhne erhielt. Es scheint mir auch, daß es billig sein würde, einem Schriftsteller eine Gage auszuzahlen, der zum Vorteil für seine Bücher und zum Schaden für seinen Geldbeutel sich so weit wie möglich mit seinen Sachen abfindet, ehe er sie herausgibt, der nicht unter dem literarischen Niveau seines Landes steht, der kein Amt und kein Vermögen hat, und der aller Wahrscheinlichkeit nach keine besonders lange Reihe von Jahren das zur Hebung der Gage erforderliche Lebensattest wird beibringen können.

Aus der schwedischen Übersetzung wird nichts, und die Hoffnung auf eine neue Auflage habe ich aufgegeben. Sollte eine neue Auflage von Niels und von Marie und eine schwedische Übersetzung von ersterem kommen, so würde ich einigermaßen obenauf sein und könnte im Mai nach Kopenhagen kommen, was ich gern wollte, und dann würde ich auch versuchen, den Winter über da zu bleiben. Von einer Reise ins Ausland kann fürs erste nicht die Rede sein, damit muß ich warten, bis ich mein großes Drama geschrieben habe, wozu ich noch keine Idee habe.

Durch Hegel, der es von John Paulsen hat, höre ich, daß Ibsen sehr erfüllt von Niels Lyhne ist, vier Wochen gebraucht hat, um es zu lesen, jeden Tag davon spricht und ausgewählte Stücke daraus in seinen Abendgesellschaften vorliest; kürzlich schreibt Ibsen selbst an Hegel, daß es »ein feines Dichterwerk in jeder Hinsicht ist, ja, ich kann wohl sagen, es gehört zu dem Aller-Vorzüglichsten, das die Jetztzeit auf dem Gebiet hervorgebracht hat.« Es ist immer amüsant, so etwas zu hören, wenn John Paulsen auch tüchtig übertrieben hat.

Von der Ploughschen Fehde habe ich nicht das Geringste gehört, daher kann ich auch nichts Bestimmtes über ein Teilnehmen oder ein Nichtteilnehmen sagen, aber ich bin von vornherein sehr wenig geneigt, hervorzutreten, denn Du mußt bedenken, daß die Empörung, die Euch, die Ihr mitten im Leben steht, mit der vollen Macht eines Wellenschlages packt, erst nach Verlauf mehrerer Tage als abgeschwächte Dünung zu mir heraufkommt, fern wie ich bin, ohne Kenntnis der tausenderlei kleinen Einzelheiten, die mir niemand erzählt, weil Ihr sie zu gut kennt, und während bei Euch eine ewige und wechselnde Diskussion die Empörung andauernd aufreizt und vermehrt, so flammt sie bei mir auf, flammt sich müde und fällt hin, allein, vollständig allein, wie ich bin mit meinen Gedanken.

Mit der Gesundheit geht es vorläufig besser, wohl bis ich mich wieder erkälte.

Erzähle mir etwas davon, wo Dein Stück eingereicht, wo es angenommen ist usw. Die Schlußworte sind gefährlich für eine Aufführung, sie sind so ganz der Stimmung des Schauspielers überlassen, weil sie so allgemein-lyrisch sind.

Dein J. P. Jacobsen.

LXXIV.

6. 2. 1881, Thisted.

Lieber Freund!

Gratuliere zu der Annahme Deines Stückes auf dem vaterländischen Schauplatz, wie Rahbek sagen würde, oder auf der Bühne Holbergs, wie X. sagen würde.

Das ist sehr erfreulich.

Hab Dank für das Telegramm. Sobald ich es erhalten hatte, schrieb ich das Gesuch, dem Wortlaut des Telegramms folgend, und fügte einige Bemerkungen hinzu über das, was ich geschrieben habe, und daß Krankheit und langsame Produktion es mir unmöglich machen, von dem Honorar für meine Bücher zu existieren. Zugleich teile ich mit, daß meine Novellen ins Deutsche übersetzt sind, Marie Grubbe ins Deutsche und ins Schwedische, und daß eine italienische Übersetzung von Niels Lyhne in Vorbereitung sei.

Dies letzte teilt nämlich ein Herr Telemaco Nachici aus Pisa mit.

Ich lese augenblicklich die gräßlichste Makulatur, um mich in das Dänisch des 18ten Jahrhunderts hineinzuversetzen, sonst geht es mir gut.

Noch einmal: Dank!

Dein J. P. Jacobsen.

LXXV.

16. 2. 1881, Thisted.

Lieber Freund!

Dein erfreuliches Telegramm überraschte mich gestern abend halb zehn Uhr. Ich hatte ja gar nicht erwartet, so bald etwas zu hören, aber Ihr habt äußerst schnell gehandelt. Ich kenne nicht alle die Klippen, die mein Goldschiff noch umsegeln muß, aber es ist mir ein guter Trost, daß Du die Sache für sehr sicher hältst.

Justizrat Hegel fragte neulich, ob es von Nutzen sein würde, wenn er sich an verschiedene Konservative wendete, wozu er in diesem Falle bereit sein würde, nur müßtest Du genau angeben, mit welchen zu sprechen Bedeutung haben könne. Was soll ich ihm beim augenblicklichen Stand der Sache in Bezug hierauf mitteilen? Wann, denkst Du, daß die Verhandlungen des Finanzgesetzes im Thing voraussichtlich beginnen werden? Du wirst Dir kaum etwas machen aus besonders schön formulierten Danksagungen, die Freude, die ich bei Empfang Deines Telegramms empfand, wird Dir der beste Dank sein.

Hab auch noch Dank für etwas anderes. Soweit ich aus einer Postkarte von Georg verstehen konnte, hast Du einige Sätze der Einleitung seiner freundlichen Besprechung im Morgenblad unterdrückt, und wenn dies der Fall ist, bin ich sicher, daß es für mich von Nutzen gewesen ist. Unbesehen.

Glaube nun nicht, wenn Du das Nachfolgende liest, daß ich wirr im Kopf geworden bin von dem Lob, das mir gespendet ist, und daß ich finde, Georg hat mich nicht genug gelobt; aber Dir gegenüber will ich nicht damit hinterm Berg halten, daß ich von der Besprechung den Eindruck habe, daß er sie zum großen Teil, vielleicht unbewußt, geschrieben hat, um mir ein Vergnügen zu bereiten, daß er aber, wenn ihm auch das Buch, als Kunstwerk betrachtet, sehr gut gefällt, es eigentlich nicht persönlich liebt oder ihm weiteren Wert beimißt, und sich im wesentlichen enttäuscht dadurch gefühlt hat. – Und ich glaube im übrigen, daß es vielen so ergangen ist wie ihm.

Ich hoffe, bald ein paar Worte von Dir zu sehen und etwas über das äußere Schicksal von » Heilmittel« zu hören; aber vielleicht ist schon ein Brief an mich unterwegs, denn bis auf weiteres fehlen uns die 9 (neun) Kopenhagener Briefposten.

Dein J. P. Jacobsen.

LXXVI.

25. 2. 1881, Thisted.

Lieber Freund!

Das Telegramm bedeutete wohl totalen Schiffbruch, und es ist wohl nicht eine Planke von dem Schoner »Hoffnung« übriggeblieben, nachdem er am Kap Scavenius Bezieht sich auf den Vorschlag, Jacobsen eine Dichtergage zu zahlen, dem sich der Minister Scavenius damals widersetzte. strandete.

Du schreibst wohl bald, wie sich das Unglück zugetragen hat.

Was Graf Struensee betrifft, so nehme ich an, daß es nichts macht, wenn wir beide über ihn schreiben, namentlich da ich ja lange hinterdreinkommen werde und voraussichtlich in einem Roman, im übrigen aber, was ich tun werde, das liegt ja so im Nebel da und ist so zweifelhaft, daß es gar nicht wert ist, sich darum zu kümmern. Außerdem fühle ich mich so leer und tot, als wenn ich nichts hätte, was ich sagen müßte, und es gehört eine ganze Menge dazu, um mich lebendig zu machen. Etwas Kleines zu schreiben, dazu habe ich gar keine Lust, und zu etwas Großem habe ich keine Ideen, oder wenn ich welche habe, so reimen sie sich zu sehr auf Grubbe und Lyhne. Das Nächste muß etwas Lichtes und Leichtes und Prachtvolles sein, voller Lebensfreude und voller Laune mit großen, festlichen Passagen hin und wieder und ein wenig echter Wildheit, die aus allen Ecken und Winkeln pfeift. Dies ganz unter uns, und auch das, daß ich weiß, wo ich mein Motiv suchen soll. In Christians VI. pietistischen Tagen beginnen, in den Tagen des lustigen Frederik V. entwickeln und enden.

Siehst Du, da ist ja freilich eine Idee, aber was kann es nützen, damit in Thisted zu sitzen.

Justizrat Hegel schreibt, daß Kjelland den Wunsch geäußert hat, mit mir zusammenzutreffen.

Wo so viele merkwürdige Dinge geschehen, könnte ja wohl auch das Merkwürdige geschehen, daß ich im Mai zur Stadt käme, aber so lange bleibt K. vielleicht nicht.

Schreibe bald.

Dein J. P. Jacobsen.

LXXVII.

Thisted, 4. 4. 1881.

Lieber Freund!

Ich hoffe, Du bist von den lieben Schweden zurückgekehrt. Aus den Zeitungen habe ich ersehen, daß das Stück nicht so recht angeschlagen hat, und es scheint mir, als könne das wahr sein, da es ja nicht eigentlich ein Stück für sie ist. Die Schweden wollen in noch höherem Grade als das dänische Publikum das Ambrosiusgenre haben, nur daß die Sentimentalität einige Zoll dicker aufgetragen sein muß. Ich weiß nun sehr wohl, daß Du die Schweden in Schutz nehmen und vielleicht sogar sagen wirst, daß sie viel besser sind als wir, aber ich glaube nun nicht an ihr Weiterkommen, so lange ihre Literatur so erbärmlich ist; sie schwatzen ja freilich über Vorurteilslosigkeit und alle mögliche Freiheit, aber es bleibt beim Schwatzen, in ihrem Innern sind sie alle Königliche-Residenzstadt-Bewohner. Und dann verhalten sie sich so köstlich freundschaftlich zu allem. Amicus hier, amicus da, sed magis amicus hier und da.

Ende dieses Monats, am 29. oder so, komme ich, wenn meine Gesundheit es erlaubt, nach Kopenhagen, nur zu archiven, aber Du bist zu der Zeit wohl auf dem Lande. Hoffentlich wird doch wohl ein Sommerreichstag tagen, und dann kommst Du notgedrungen zeitweise zur Stadt.

Im übrigen ist alles beim allerältesten Alten.

Dein J. P. Jacobsen.

LXXVIII.

3. 6. 1881, Ny Adelgade 5, II.

Lieber E. B.!

Ich bin aus dem Hotel ausgezogen und wohne wie oben angegeben.

Ich wage mich heute mit dem Dampfer zu Möller hinaus.

Dein J. P. Jacobsen.

LXXIX.

3. 10. 1881, Ny Adelgade 5.

Lieber Freund!

Falls Du in dieser Zeit über Topsöe schreiben solltest, wird es Dir nicht schaden können zu wissen, daß man sich im feindlichen Lager allgemein damit tröstet, daß Umyndige i Kärlighed üppiger, belustigender und lebenskräftiger ist als Lägemidler (Heilmittel). Zwischen diesen beiden steht der Vergleich, sie sind in aller Leute Munde.

Es heißt auch, daß der Verfasser von Mellem 12 og 17 – Skram ist.

Dein J. P. Jacobsen.

LXXX.

1. 6. 1882. Vallö.

Lieber Freund!

Ich bin also wirklich ins Kloster gegangen, und Briefe aus der großen, fernen Welt würden außerordentlich willkommen sein.

Sie treffen mich, wenn sie adressiert sind: Gastwirt Rasmussen, Vallö bei Köge.

Mit den entzückenden Naturumgebungen hier draußen will ich Dich verschonen. Ganz eingerichtet bin ich noch nicht; ordentlich Platz bekomme ich erst morgen, da die Gräfin v. Schmettau über Nacht in meinem Bett liegt.

Hier ist kein Mensch, und ich sehe, daß ich an einen Ort gekommen bin, wo ich entweder schreiben oder um 10 Uhr zu Bett gehen muß.

Grüße Deine Mutter vielmals und kleine große Grüße an Hetna und Vanda.

Dein
J. P. Jacobsen.

LXXXI.

29. 6. 1882. Vallö.

Lieber Freund!

Mache doch wirklich Ernst und komme hierher zu mir, es ist nicht weiter anstrengend, und das Wetter ist ja jetzt vortrefflich, aber richte Dich so ein, daß Du nicht einen Sonntag hier bleibst, denn dann ist es hier schlimm; ich fühle mich dann, wie jene Villenbesitzer sich an den Tagen fühlen müssen, wo sie ihre Gärten und Säle von den Fremden beglotzen lassen. – Ich habe nichts beschafft, aber Du siehst ja selbst ein, daß, wenn ich schon ein Stück beim Theater Bezieht sich auf Edvard Brandes Et Besög, das anonym beim königlichen Theater eingereicht war, und von dem man vermutete, es sei von Jacobsen. liegen habe, ich mich mit dem zweiten nicht zu beeilen brauche. Im übrigen denke ich daran, bald zu beginnen.

Skipper Worse habe ich gelesen, und wenn Du nun hierher kommst, können wir darüber sprechen und über den Grünen Heinrich, den ich mit steigendem Staunen gelesen habe; er steht ja tief unter dem ersten Teil von Ingemanns Landsbybörnene und neben den andern Teilen, und er ist ebenso modern wie Ingemanns Roman und psychologisch ebenso fein, aber reicher an langen, nicht zur Sache gehörigen Entwicklungen und Aufsätzen über ein auf dem Wege liegendes Thema. Auch glaube ich, daß er trotz einzelner kleiner Goldschmidt'scher Episoden in Bezug auf Langweiligkeit den Preis davon trägt, und was gewisse Personen mit ziseliert und perlengestickt meinen in Verbindung mit dem seligen Grünen, ahne ich auch nicht, falls es nicht das sein sollte, daß es nur auf literarisch-abergläubischen Vorstellungen beruht. Aberglaube macht so viel aus.

Ich habe noch nicht für die nette Anmeldung gedankt; mich über die lobenden Partien zu äußern, verbietet mir meine Bescheidenheit, und was die tadelnden betrifft, so habe ich das ja längst getan. Wie lange habe ich darüber nachgedacht, wer Esther Eine in Ude og hjemme veröffentlichte Novelle. in Deinem Brief sein könne, ich hatte sie so völlig vergessen, kam aber bei einer energischen Rückerinnerung zu dem Schluß, daß sie in einem Buch von X. nicht übel angebracht sein würde und entließ sie deswegen endgültig aus meiner Erinnerung.

Weißt Du etwas von Ibsens Fünfakter? Von Frau Hennings? Komme und erzähle!

An zwei junge Damen meiner Bekanntschaft schreibe ich bald, ich muß nur erst eine weiße Elsternfeder gefunden haben, mit der ich schreiben will.

Ihr und Dein J. P. Jacobsen.

LXXXII.

12. 8. 1882. Vallö.

Lieber Freund!

Ist es Dir bekannt, daß Du mir jetzt seit zwei (?) Monaten einen Brief schuldig bist? Wenn wir nicht beide so alt und graugehärtet, wären, würde ich zu mir selber sagen: »er trägt sich mit einem tollen Streich!«

Nun, einmal werden wohl alle Rätsel gelöst; bald kommt der Herbst, und alle Zugvögel werden aus ihren verschiedenen zeitweiligen Heimatsorten in sehnsuchtsvollen Scharen dem Pferd auf dem Kongens Nytorv zustreben.

Solltest Du fragen, so sage ich: nein, garnicht, nicht im Geringsten, nicht eine Zeile! ich habe zu viel Not mit meiner Gesundheit (wenn es mir gestattet sein sollte, etwas mit seinem Gegensatz zu bezeichnen), um mich mit dergleichen weniger ernsten Dingen wie Poesie abzugeben.

Die herzlichsten Grüße Dir und den Deinen

Dein J. P. Jacobsen.

LXXXIII.

27. 8. 1882. Vallö.

Lieber Freund!

Ich denke Dienstag Abend in der Stadt zu sein. Kann ich am Mittwoch bei Dir essen?

Sende ein Wort nach Ny Adelgade 5 ob oder nein.

Wenn nein, so suche ich Dich Mittwoch Vormittag auf.

Dein
J. P. Jacobsen.

LXXXIV.

19. 8. 1884. Thisted.

Lieber Freund! Mein Bruder, der bis über beide Ohren in der Roggenernte steckt, läßt mich selbst auf Deine Frage antworten, indem er sich eine ausführlichere Mitteilung für später vorbehält.

Ich kam also glücklich und wohlbehalten hier an, wenn auch ziemlich abgeklappert, habe mich übrigens, die allerersten Tage ausgenommen, merkwürdig gut befunden, und wünsche nur, daß das augenblickliche essende und hustenfreie Dasein anhalten möge.

Ich bleibe nun vorläufig hier, denn mir graut vor einem Winter wie der letzte mit Appetitlosigkeit und Teufelschaft, und ich möchte ja gern sehen, wieder etwas zu Kräften zu kommen. Dann hoffe ich auch, irgend etwas Unsterbliches hier auf meinem Schreibtisch machen zu können, obwohl ich vorläufig nichts weiter tue, als in meiner Hängematte draußen im Garten zu liegen.

Ich möchte ja auch gern in Kopenhagen verweilen und uneinig mit Dir sein in Bezug auf Deine Artikel für die Zeitung, deren Namen ich verabscheue, aber ich muß sehen, etwas Lebendiges zu schaffen; die Lorbeeren der andern lassen mich nicht schlafen vor bösen Träumen, daß die literarische Bewegung ins Stocken geraten ist. (Siehe Schandorphs Sverdrupsgesang und Drachmanns Kongreßlied.) Große Götter! Eher wollte ich mir wie der Bauer in Melampe beide Daumen abschneiden und sie als Zehen gebrauchen, um mich darauf fortzuschleichen.

LXXXV.

16. 12. 1884. Thisted.

Lieber Freund!

Unmöglich! Wo nichts ist usw. – und ich habe auch nicht so viel von einem Gedicht wie auf dem Rücken meiner Hand. Möller hat schon vor vierzehn Tagen das Gleiche verlangt, aber da ist nichts, und ich kann nichts machen. Ich habe seit langer Zeit Nacht für Nacht schlaflos verbracht, und das gibt gerade keine geisteskräftigen Tage. Jetzt, in den letzten beiden Nächten ist es ein wenig besser geworden, aber noch keineswegs gut. Welch Glück, daß ich nach Hause kam, ich hatte es sehr nötig; da ist gewiß nicht allzuviel mehr von mir übrig, und das, was da ist, muß am liebsten in Baumwolle aufbewahrt werden. So denke ich zuweilen, aber ich sage es nicht, und deswegen muß man so tun, als hätte man es nicht gehört.

Dies sind natürlich nur schlaflose Grillen, an die ich gar nicht glaube, oder wenigstens auf alle Fälle weiß ich nicht, ob ich daran glaube. Denn wer weiß, was er eigentlich glaubt.

So! Jetzt erfüllt der Brief die modernen Anforderungen, jetzt ist ein Problem zur Debatte gestellt. Wie ich die unter Debatte befindlichen Probleme hasse, wie z. B. Detflager. So ein Unsinn, einen Roman aufbauen zu wollen auf der Frage, ob ein erweiterter Unterricht in Physiologie in Mädchenschulen angebracht ist. Aber es ist ja auch nur ein Aberglaube, daß das Buch davon handelt; nur leider ein sehr verbreiteter Aberglaube. Verfasser, Kritiker und Publikum sind sich darüber einig. Es ist fast unglaublich, wie wenig das in das Blut des Romans übergegangen ist. Setze statt dessen, daß sie in Frau Rendalens Schule, statt Norwegisch zu lernen, in dem Bestreben unterrichtet werden, die Volkssprache zur Schriftsprache zu erheben, von einem liberalen Gesichtspunkt aus gesehen, oder sonst irgend etwas, was die Leute im allgemeinen nicht leiden können, und siehe, ob es die allergeringste Veränderung in der Psychologie der Handelnden zur Folge haben wird. Nicht einmal die rein äußere Handlung im Buche braucht auch nur ein Titelchen verändert zu werden.

Und dann die erbliche Belastung! Wie ist sie dumm benutzt und nicht benutzt. Ich habe ja auch Gjellerups Buch gelesen (nicht zugesandt). Es ist merkwürdig, wie wenig die Liebenden darin aufgelegt sind, von Liebe zu sprechen. Warum ist nicht ein Tag gewählt worden, an dem sie in Stimmung waren? Jetzt sind nur die Mägde, die ringsumher auf dem Hofe Fenster putzen oder andern häßlichen Beschäftigungen obliegen, so recht mit Leib und Seele in der skandalösen Liebesgeschichte, Gjellerup hätte dem Buch etwas Poesie einverleiben sollen, das würde belebend auf die dürftige Handlung gewirkt haben.

Georg, Kjelland und Ibsen habe ich liegen, aber noch nicht gelesen. Wenn Du einige Athenäum-Formulare siehst, so hab die Güte und schreibe Deinen Namen darauf und schicke sie mir. Von Politiken habe ich viel Vergnügen, das Blatt macht einen so reinlichen Eindruck zwischen Dagsavisen und Nationaltidende. So viel Zeitung lese ich nämlich.

Sei nun nicht ärgerlich, weil ich das Unmögliche nicht tue.

Dein
J. P. Jacobsen.

LXXXVI.

20. 1. 1885, Thisted.

Lieber Freund!

Welch eine Donnerbotschaft! Hier ist die ganze Bescherung, aber was soll ich nun tun? Sei so gut und laß mich sofort, wenn nicht früher, wissen, ob ich fernerhin, ohne daß Du Unannehmlichkeiten davon hast, Bücher auf Deinen Namen bekommen kann, und in diesem Falle wann, wenn nicht englische, so doch andre (denn sie schließen die Bibliothek wohl wechselweise). Ich kann dieselben Bücher wohl nicht auf die alten Quittungen noch einmal wieder bekommen, denn die fünf nichtausgestrichenen habe ich nicht gelesen.

Ich bin zu müde, um heute mehr zu schreiben. Noch immer kein Schlaf. Bald einen richtigen Brief; antworte nun aber auf die Bücherfrage! Du weißt nicht, wie buchlos es hier ist, obwohl ich alle meine Scharteken hier habe.

Dein
J. P. Jacobsen.

LXXXVII.

10. 3. 1885, Thisted.

Lieber Freund!

Sei so gut und schicke mir baldmöglichst einige Athenäums-Quittungen. Ich wollte gern einen langen Brief schreiben, aber über was in der Welt sollte ich wohl schreiben? Darüber sprechen, das wäre eine andre Sache.

Wenn wir nun beieinander säßen und über Politiken sprächen, so wäre da allerlei, was ich sagen oder wonach ich fragen würde. Zum Beispiel, ob das Blatt nicht in bedenklichem Grade den Eindruck macht, mit einer Feder oder doch auf alle Fälle mit Federn aus einer Schachtel geschrieben zu sein? Sind nicht Stilführung und Komposition, die Witze und die Wendungen ungeheuer gleichartig? (Ich rede natürlich nicht von der Qualität, die ist ja sehr verschiedenartig.) Ich habe mir nun gedacht, diese Gleichartigkeit könnte ihren Grund darin haben, daß eine Menge jüngerer Menschen verwendet werden, die nicht unter einer besonders entwickelten Persönlichkeit litten, und denen es daher leicht wäre, sich zu drehen und sich in der Haut anderer gegebener Persönlichkeiten wohl zu fühlen, und ich habe mir auch gedacht, ob es nicht der Abwechselung halber vorteilhafter wäre, wenn diese jüngeren Menschen so täten, als hätten sie einen andern Stil; man könnte ihnen ja diesen Stil machen, und ihnen eine Persönlichkeit machen, von der aus sie ihn schreiben könnten.

Ich hätte auch wohl Lust, Dich zu fragen, ob das Schiff Politiken aus Kopenhagen Dich nicht zuweilen auf den Gedanken bringt, daß die Mächte, die es steuern, im Innern ihrer Seele die Schute zu der Art von Schiffen rechnen, die verbrannt werden sollen. Aber wohin geht dann der Kielwasserstreif?

Idyll!

Es gibt keine Idylle.

Dein
J. P. Jacobsen.

 

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