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In dem goldenen Zeitalter der Neu-Niederlande, als sie noch unter der Herrschaft von Wouter van Twiller, auch »der Zweifler« genannt, stand, wurde das Volk der Manhattoes in einem schwülen Nachmittag, gerade um die Zeit der Sommersonnenwende, durch einen fürchterlichen Gewittersturm in Schrecken gesetzt. Der Regen fiel in solchen Strömen, daß er die Erde aufriß und zum Dampfen brachte. Es war, als wenn der Donner über die Dächer der Häuser dahin rollte; den Blitz sah man um die Kirche St. Nicolas herumzüngeln und dreimal, wiewohl ohne Schaden, ihren Wetterhahn streifen. Garret van Horne's neuer Schornstein wurde fast von der Spitze bis zum Grund zertrümmert, und Doffue Mildeberger wurde sprachlos von seiner Stute herabgeschleudert, als er eben in die Stadt reiten wollte. Mit einem Worte, es war einer jener Stürme ohne Beispiel, welche nur noch in der Erinnerung derjenigen Personen fortleben, die in allen Städten unter dem Namen der »ältesten Einwohner« bekannt sind.
Groß war der Schrecken der alten Weiber der Manhattoes. Sie trieben ihre Kinder zusammen und flohen in die Keller, nachdem sie einen Schuh an jede Spitze des Bettpfostens gehängt hatten, um den Blitz abzuhalten. Endlich ließ der Sturm nach, der Donner wurde ein Brummen, und die untergehende Sonne, die unter dem Saume der Wolken hervorbrach, ließ die Bucht wie ein Meer von geschmolzenem Gold glänzen.
Von der Veste wurde ein Zeichen gegeben, daß ein Schiff vor der Bucht liege. Es ging von Mund zu Mund und von Straße zu Straße und setzte bald die ganze Stadt in Aufruhr. Die Ankunft eines Schiffs in jener Zeit der Ansiedlung war für die Einwohner ein Ereigniß von großer Wichtigkeit. Es brachte ihnen Neuigkeiten von der alten Welt, von dem Lande ihrer Geburt, von dem sie so ganz abgeschnitten waren; auf das jährliche Schiff freuten sie sich wegen Zufuhr neuer Luxusartikel, mancherlei Sachen zum Putz und zur Bequemlichkeit, ja fast aller Bedürfnisse. Die gute Frau konnte keine neue Mütze, keinen neuen Mantel haben, ehe das Schiff angekommen war; der Künstler wartete auf sein Werkzeug, der Bürgermeister auf seine Pfeifen und seinen holländischen Tabak; der Schulbub auf seinen Kreisel und seine Märbeln, und der vornehme Güterbesitzer auf seine Ziegelsteine, um sich davon ein neues Haus zu bauen. So schaute Jedermann, reich und arm, groß und klein, nach der Ankunft des Schiffs aus. Es war das große jährliche Ereigniß der Stadt Neu-Amsterdam; und von einem Ende des Jahres zum andern war das Schiff – das Schiff – das Schiff – der stehende Gegenstand der Unterhaltung.
Die Neuigkeiten von der Veste führten daher alles Volk hinab zu der Batterie, um das Ersehnte in Augenschein zu nehmen. Es war nicht gerade die Zeit, wo sie seine Ankunft erwartet hatten, und dieser Umstand erregte einiges Nachdenken. Der Gruppen waren viele, die sich um die Batterie versammelten. Hier und da sah man einen Bürgermeister, in seiner gravitätischen und pomphaften Würde, seine Meinung mit großem Selbstvertrauen einem Haufen alter Weiber und müßiger Buben verkündigen. An einem anderen Platze befand sich eine Gesellschaft alter von Wetter gebräunter Burschen, die zu ihrer Zeit Seeleute und Fischer gewesen waren und bei solchen Gelegenheiten als große Autoritäten galten; sie waren verschiedener Meinung und veranlaßten große Streitigkeiten unter ihren verschiedenen Anhängern; aber der Mann, auf den man am meisten seine Blicke richtete, und dem das Volk folgte und auf ihn aufmerksam war, war Hans van Pelt, ein alter holländischer Seekapitän, der sich vom Dienst zurückgezogen hatte, das nautische Orakel des Ortes. Er beschaute das Schiff durch ein altes Teleskop, mit altem Segeltuch überzogen, brummte ein altes holländisches Lied und sagte nichts. Ein Summen von Hans van Pelt hatte jedoch immer mehr Gewicht bei dem Publikum, als wenn ein anderer Mann etwas sagte.
In derselben Zeit wurde das Schiff auch dem bloßen Auge deutlicher; es war ein starkes, rundes, nach holländischer Art gebautes Fahrzeug, mit hohem Bug und Hintertheil, und trug die holländischen Farben. Die Abendsonne vergoldete seine schwellenden Segel, wie es so über die langen schwankenden Wogen daherzog. Die Wache, die Notiz von seiner Annäherung gegeben hatte, erklärte, sie habe es zuerst zu Gesicht bekommen, als es in der Mitte der Bucht gewesen sei; es sei so plötzlich vor ihr gestanden, als wenn es aus dem Innern einer schwarzen Gewitterwolke gekommen wäre. Die Umstehenden blickten auf Hans van Pelt, umzusehen, was er zu diesem Bericht sagte. Hans van Pelt aber preßte seinen Mund enger zusammen und sagte nichts; Einige schüttelten ihre Köpfe, Andere zuckten die Achseln.
Das Schiff wurde jetzt mehre Male begrüßt, gab aber keine Rückantwort; es passirte die Veste und stand still auf dem Hudson. Man brachte eine Kanone herbei, um sie darauf zu richten, was nicht ohne einige Schwierigkeit geschah; Hans van Pelt lud und feuerte, da die Garnison in der Artillerie nicht erfahren war. Der Schuß schien gerade durch das Schiff zu gehen und auf der andern Seite auf dem Wasser hinzugleiten; aber man nahm keine Notiz davon. Sonderbar war es, daß sie alle Segel aufgezogen hatten und gerade gegen Wind und Fluth segelten, welche eben auf dem Fluß herrschten.
Hierauf ließ Hans van Pelt, der zugleich Hafenmeister war, sein Boot kommen und es aussetzen, um bei dem Schiff an Bord zu kommen; aber nachdem er drei bis vier Stunden gerudert hatte, kam er ohne Erfolg wieder zurück. Bisweilen kam er ihm auf ein– bis zweihundert Ellen nahe, wie ein Blitz aber war es wieder eine halbe Meile entfernt. Einige sagten, es wäre, weil der Steuermann kurzathmig und engbrüstig sei und deßhalb hier und da anhalten müsse, um Athem zu holen und in seine Hand zu spucken; wahrscheinlich aber war dieß eine bloße üble Nachrede. Er kam jedoch nahe genug, um das Schiffsvolk in Augenschein zu nehmen; sie waren Alle in holländischer Tracht, die Offiziere in Jacken und hohen Hüten mit Federn; Niemand von ihnen an Bord sprach ein Wort; sie standen bewegungslos gleich Statuen, und das Schiff schien, als wenn es seiner eigenen Bewegung überlassen wäre. So fuhren sie auf dem Flusse weiter und wurden in der Abendbeleuchtung immer kleiner und kleiner, bis sie dem Auge entschwanden wie eine kleine weiße Wolke, die am Sonnenhimmel verschwindet.
Die Erscheinung dieses Schiffs versetzte den Gouverneur in einen der stärksten Zweifel, von denen er je im Verlauf seiner ganzen Amtsführung heimgesucht worden war. Man fürchtete für die Sicherheit der jungen Ansiedlung, denn es konnte ein verkapptes feindliches Schiff gewesen sein, ausgesendet um Besitz zu nehmen. Der Gouverneur berief seine Offiziere mehrmals zusammen, um sich durch ihre Muthmaßungen zu unterstützen. Er saß in seinem Staatssessel, verfertigt aus dem Holze des heiligen Forstes vom Haag, schmauchte aus seiner langen Jasminpfeife und lauschte auf Alles, was seine Rathgeber über einen Gegenstand vorzubringen hatten, von dem sie nichts wußten. Aber trotz aller Vermuthungen der weisesten und ältesten Köpfe blieb der Gouverneur fortwährend in Zweifel.
Es wurden Boten nach verschiedenen Orten am Fluß ausgeschickt, aber sie kehrten ohne irgend eine Nachricht zurück – das Schiff war nirgends vor Anker gegangen. Tag auf Tag und Woche auf Woche vergingen, es kam nicht wieder nach dem Hudson zurück. So angelegen aber den Berathenden eine nähere Kenntniß der Sache schien, so wenig fehlte es ihnen an Nachrichten. Selten kamen Kapitäne von Schaluppen an, ohne Nachrichten zu bringen, daß sie das seltsame Schiff an verschiedenen Punkten des Stromes, bisweilen nahe an den Palissaden, andere Male bei Croton Point, oder bei den Hochlanden gesehen hatten; aber nie erzählten sie, sie hätten es oberhalb der Hochlande gesehen. Zwar wich die Mannschaft der Schaluppen gewöhnlich in ihren Erzählungen über diese Erscheinungen von einander ab, aber das mochte von den ungewissen Lagen kommen, in denen sie es gesehen hatten. Bisweilen war es bei dem Schein eines Blitzes in der rabenschwarzen Nacht, wo es in seinem Lauf über die Tapan-Zee oder die weite Einöde von Hawerstraw Bay schimmerte. In einem Augenblicke schienen sie dicht dabei zu sein, als könnten sie es übersegeln, und es versetzte sie in große Noth und Alarm; bei der nächsten Welle sah man es aber schon weit weg immer gegen den Wind segeln. Bisweilen in hellen Mondnächten sah man es unter hohen Felsen der Hochlande, ganz in tiefem Schatten, ausgenommen die oberen Segel, die im Mondschein glänzten; nach einiger Zeit aber, als die Reisenden den Platz erreichten, war kein Schiff zu sehen; und wenn sie noch ein Stück weiter gesegelt waren und zurückschauten, siehe, da war es wieder mit seinen Hauptsegeln im Mondscheine! Seine Erscheinung fand immer gerade nach, oder vor, oder mitten in schlechtem Wetter statt, und es war allgemein unter den Schiffern und Reisenden nur unter dem Namen des »Sturmschiffs« bekannt.
Diese Berichte beunruhigten den Gouverneur und seinen Rath mehr als je, und wir würden kein Ende finden, wollten wir alle die Vermuthungen und Meinungen wiederholen, die über den Gegenstand ausgesprochen wurden. Einige führten Fälle von Schiffen an, die an der Küste von Neuengland gesehen und von Hexen und Gespenstern gesteuert worden waren. Der alte Hans van Pelt, der mehr als einmal bei der holländischen Kolonie auf dem Kap der guten Hoffnung gewesen war, beharrte darauf, dieß sei der »fliegende Holländer« gewesen, der so lange die Tafelbai beunruhigt habe, aber da er nicht an Port habe kommen können, jetzt einen anderen Hafen gesucht habe. Andere meinten, wenn es wirklich eine übernatürliche Erscheinung sei, wie man allen Grund zu glauben habe, so dürfte es Hendrick Hudson und seine Mannschaft von dem »Halbmond« sein, welche, wie bekannt, vorlängst im oberen Theil des Flusses gescheitert seien, als sie die nordwestliche Durchfahrt nach China gesucht hätten. Diese Meinung hatte zwar für den Gouverneur wenig Gewicht, fand sonst aber großen Beifall. Es ist bereits erwähnt worden, daß Hendrick Hudson und seine Schiffsmannschaft das Catskill-Gebirge unsicher machten, und die Annahme schien deßhalb sehr begründet, daß sein Schiff den Fluß an der Stelle beunruhige, wo sein Unternehmen gescheitert war, oder daß es die Geistermannschaft zu ihren periodischen Schwärmereien im Gebirge führe.
Andere Ereignisse traten ein, die das Nachdenken des klugen Wouters und seines Rathes beschäftigten, und das Sturmschiff hörte auf, von der Schiffsmannschaft besprochen zu werden. Es blieb jedoch eine Sache des Volksglaubens und ein Gegenstand der Unterhaltung während der ganzen Zeit des holländischen Gouvernements, und besonders kurz vor der Einnahme von Neu-Amsterdam und der Unterwerfung der Provinz durch ein englisches Geschwader. Um diese Zeit wurde das Sturmschiff in der Tapan-Zee, bei Weehawk, und sogar hinab bis Hoboken gesehen, und man hielt seine Erscheinung für eine schlimme Vorbedeutung der herannahenden Stürme in den öffentlichen Angelegenheiten und des Unterganges der holländischen Herrschaft.
Seit dieser Zeit haben wir keine authentischen Nachrichten von ihm, obgleich man sich immer erzählt, es belästige die Hochlande und kreuze bei Point-no-point. Leute, die längs des Flusses leben, beharren dabei, daß sie es bisweilen im Sommer bei Mondschein sahen, und daß sie bei tiefer, stiller Mitternacht den Gesang des Schiffsvolkes hörten; aber Ansichten und Töne sind längs gebirgiger Küsten und in der Gegend weiter Buchten und langer Landesstriche an diesem Flusse so täuschend, daß wir bekennen müssen, über diesen Punkt noch große Zweifel zu hegen.
Nichtsdestoweniger ist es gewiß, daß bei Stürmen in den Hochlanden seltsame Dinge gesehen worden sind, die man mit der alten Geschichte von dem Schiff in Zusammenhang zu bringen sucht. Die Schiffskapitäne des Flusses sprechen von einem kleinen, wie eine Zwiebel geschichteten holländischen Gespenst, in Pluderhosen, mit zuckerhutförmigem Hut und ein Sprachrohr in der Hand, von dem sie sagen, daß es sich an dem Dunderberg aufhalte. Sie erzählen, daß sie es bei stürmischem Wetter mitten im Sturm gehört hätten, wie es Befehle in holländischer Sprache ertheilt habe, während ein frischer Windstoß gekreischt oder der Donner gerasselt habe. Ferner, daß es bisweilen, umgeben von einem Haufen kleiner Teufelchen in weiten Hosen und kurzem Kamisol, die sich kopfüber in den Wolken und im Nebel wälzten und tausend Luftsprünge machten, oder gleich einem Schwarme Fliegen um Anthony's Nase schwärmten, gesehen worden sei; und daß zu solcher Zeit das Wüthen des Sturmes immer am ärgsten gewesen sei. Einmal wurde eine Schaluppe, als sie bei dem Dunderberg vorbeilief, von einem Gewitter überfallen, das um das Gebirg herumzog und gerade über das Fahrzeug herein zu brechen schien. Obgleich tüchtig und gut mit Ballast versehen, hatte sie doch furchtbar zu arbeiten, und das Wasser reichte bis über die Kanonen. Der ganze Haufe war in Bestürzung, da entdeckte man, daß sich ein kleiner weißer, zuckerhutförmiger Hut an dem Mastbaum befand, der einst der Hut des Herrn von Dunderberg gewesen war. Niemand jedoch wagte es, den Mastbaum zu erklimmen und den schrecklichen Hut wegzunehmen. Die Schaluppe fuhr fort zu arbeiten und zu schwanken, als wollte sie ihren Mast über Bord wälzen, und schien in beständiger Gefahr, entweder umzustürzen oder gegen die Küste zu rennen. Auf diese Weise segelten sie durch die Hochlande hindurch, bis sie die Polopols-Insel passirt hatten, wo, wie man sagt, die Gerichtsbarkeit des Herrschers vom Dunderberg aufhört. Kaum hatten sie diese Gränze erreicht, als der kleine Hut in die Luft flatterte wie ein Kreisel, die Wolken alle in einem Wirbel zusammentrieb und sie zurück nach der Spitze des Dunderbergs warf, während die Schaluppe selbst sich in die rechte Stellung brachte und nun so ruhig dahinsegelte wie in einem Mühlgraben. Nur allein der glückliche Umstand rettete sie von gänzlichem Schiffbruch, daß sie ein Hufeisen an den Mast genagelt hatten, eine weise Vorsicht gegen böse Geister, die seitdem von allen holländischen Kapitänen angenommen worden ist, welche diesen verrufenen Fluß beschiffen.
Noch eine andere Geschichte von diesem Wettergeist wird von dem Schiffer Daniel Ouslesticker von Fishhill erzählt, von dem man noch keine Lüge gehört hat. Er berichtete, daß er ihn bei einem heftigen Windstoß mit ausgespreizten Beinen auf seinem Bugspriet sitzen und die Fregatte aufs Land zu, direkt nach Anthony's Nase hin, steuern gesehen, und daß ihn der Geistliche van Gieson von Esopus, der glücklicher Weise an Bord war, bannte, indem er die Hymne des St. Nicolas sang, worauf sich der Geist wie ein Ball in die Luft schwang und in einem Wirbelwind verschwand, zugleich aber die Nachtmütze von der Frau des Geistlichen mitnahm, die man am nächsten Sonntag Morgen an dem Wetterhahn des Esopus-Kirchthurms, wenigstens vierzig Meilen davon entfernt, hängen sah. Mehr Ereignisse dieser Art kamen vor, und die Schiffer des Flusses wagten es lange Zeit nicht, vor dem Dunderberg vorbei zu passiren, ohne als Zeichen der Huldigung gegen den Herrn des Gebirgs ihre Segel herab zu lassen, und man bemerkte, daß alle die, welche diesen Tribut der Ehrfurcht brachten, unbelästigt ziehen durften.
»Dieß sind«, sagte Anton van der Heyden, »einige von den Geschichten, die Selyne, der Dichter, in Bezug auf das Sturmschiff niedergeschrieben hat. Nach seiner Versicherung hat es eine Menge von boshaften Teufelchen aus einem alten, von Geistern besessenen europäischen Lande nach der Provinz gebracht. Ich könnte Euch noch eine Menge mittheilen, wenn es nöthig wäre; denn alle die Vorfälle, die so oft den Schiffen des Flusses begegnen, sollen Streiche sein, welche die Teufelchen des Dunderbergs spielen. Doch ich sehe, daß Ihr nickt, und so laßt uns zur Ruhe gehen.«
Der Mond hatte eben seine Silberhörner über den runden Rücken von Alt-Bull-Hill erhoben und erleuchtete die grauen Felsen und dichten Wälder und glänzte auf den Wellen des Flusses. Der Thau fiel, und die dunkeln Gebirge begannen eine milde und graue luftige Färbung in dem feuchten Lichte anzunehmen. Die Jäger schürten das Feuer an und legten frisches Holz auf, um die Feuchtigkeit der Nachtluft zu mäßigen. Sie richteten darauf ein Bett von Zweigen und trockenen Blättern unter einem Felsenrand für Dolph her; während Anton van der Heyden sich in eine große Decke von Häuten wickelte und sich an das Feuer streckte. Es verging indeß einige Zeit, ehe Dolph seine Augen schließen konnte. Er lag da und betrachtete sich die Scene vor ihm: wilde Wälder und Felsen ringsum; das Feuer, das helle Strahlen auf die Gesichter der schlafenden Wilden verbreitete, und dazu Herr Anton, der ihn so seltsam, wenn auch unbestimmt, an den nächtlichen Besuch im verzauberten Hause erinnerte. Hier und da hörte er das Geschrei einiger Thiere aus dem Forst, oder das Geschrei der Eule; oder die Töne der Nachtschwalbe, welche in jener einsamen Gegend sehr häufig zu sein schienen; oder das Plätschern eines Störs, der sich aus dem Flusse erhob und wieder auf die ruhige Wasserfläche zurückfiel. Er verglich alles dieses mit seinem gewohnten Aufenthalt in der Dachstube des Doktors, wo in der Nacht keine anderen Töne zu hören waren, als der Klang der Kirchenglocke, welche die Stunden anzeigte, die schwerfällige Stimme des Wächters, der ausrief, daß Alles in Ordnung sei, das tiefe Schnarchen des Doktors aus dem unteren Stocke, oder die vorsichtige Arbeit einiger Ratten, die an dem Tafelwerk nagten. Seine Gedanken wanderten dann zu seiner armen alten Mutter. Was mochte sie von seinem geheimnißvollen Verschwinden denken – welche Angst und welchen Kummer mochte sie erdulden? Diese Gedanken drangen sich ihm unaufhörlich auf und verdarben ihm jede Freude der Gegenwart. Er empfand Schmerz und Gewissensbisse, und mit Thränen in den Augen schlief er ein. –
Wäre dieß ein bloßes Bild der Einbildungskraft, so würde hier eine schickliche Veranlassung sein, seltsame Ereignisse in diesen wilden Gebirgen und unter diesen umherschweifenden Jägern einzuweben, und nachdem wir unseren Helden in mancherlei Gefahren und Schwierigkeiten verwickelt hatten, würden wir ihn aus allem durch einige wunderbare Erfindungen retten können. Aber alles dieß ist ja eine wahre Geschichte, und wir müssen uns daher auf einfache Thatsachen beschränken und nicht gegen die Wahrscheinlichkeit verstoßen.
Am folgenden Tage früh bei rechter Zeit, nach einem tüchtigen Frühstück, brach das Lager auf, und unsere Abenteurer schifften sich in der Pinasse des Anton van der Heyden ein. Da kein Wind wehte, ruderten die Indianer langsam weiter und schlugen dabei zu einem von den weißen Männern gesungenen Liede den Takt. Der Tag war heiter, der Fluß ohne Wellen, und wie das Fahrzeug das helle Wasser durchschnitt, ließ es eine lange, wogende Spur hinter sich. Die Krähen, die das Mahl der Jäger witterten, sammelten sich und schwebten schon in der Luft, gerade da, wo eine dünne, blaue Rauchsäule, die unter den Bäumen aufstieg, den Ort anzeigte, wo die Jäger ihre letzte Nachtherberge gehalten hatten. Als sie an der Basis der Gebirge hinfuhren, zeigte Herr Anton Dolph einen mächtigen Adler, den Beherrscher dieser Gegenden, der auf einem trockenen, über den Fluß herüber hängenden Baum saß und mit aufwärts gerichteten Augen den Glanz der Sonne einzuziehen schien. Ihre Annäherung störte das Nachdenken des Monarchen. Er breitete erst einen Flügel, dann den andern aus, balancirte einen Augenblick und verließ dann seinen Ast in würdiger Ruhe, indem er langsam über ihre Köpfe wegflog. Dolph ergriff schnell ein Gewehr und schickte ihm eine Kugel nach, die ihm einige Federn aus dem Flügel wegnahm; der Knall von dem Gewehr verbreitete sich von Fels zu Fels und erweckte tausend Echos; aber der Beherrscher der Lüfte segelte ruhig weiter, stieg immer höher und höher, sich im Steigen im Kreise drehend, und flog dem grünen Schooße des waldigen Gebirges zu, bis er über einem hervorstehenden Abgrund verschwand. Dolph empfand gewissermaßen einen Vorwurf in dieser stolzen Ruhe und tadelte sich fast selbst, daß er diesen majestätischen Vogel so muthwillig beleidigt habe. Herr Anton sagte ihm lachend, er möge daran denken, daß er noch nicht aus dem Gebiete des Herrn von Dunderberg sei; und ein alter Indianer schüttelte den Kopf und meinte, einen Adler tödten bringe wenig Glück; der Jäger sollte im Gegentheil ihm immer einen Theil seiner Beute überlassen.
Nichts kam indessen vor, was sie auf ihrer Reise belästigt hätte. Sie kamen wohlbehalten durch herrliche und einsame Scenen, bis sie dahin gelangten, wo die Pollopols-Insel wie eine schwimmende Laube am Ende der Hochlande lag. Hier warteten sie, bis die Hitze des Tages abnehmen oder ein frischer Wind sich erheben und die Anstrengung des Ruderns unnöthig machen würde. Einige bereiteten das Mittagsmahl, während Andere im Schatten der Bäume sich dem Nichtsthun in der Sommerhitze überließen und träge auf die Schönheit der Gegend umherschauten. Auf der einen Seite waren die hohen, felsigen Hochlande bis zur Spitze mit Wald bewachsen, die ihre Schatten auf das klare, zu ihren Füßen strömende Wasser warfen. Auf der anderen Seite dehnte sich der Fluß gleich einem breiten See weit aus, mit langem, glänzendem Spiegel und grünen Vorgebirgen, und die fernen Schawungunk-Berge zeigten sich am klaren Horizont oder erschienen durch wolliges Gewölke.
Aber wir unterlassen es, bei den Einzelnheiten ihrer Fahrt auf dem Flusse länger zu verweilen. Dieses herumschweifende amphibienartige Leben, die Silberfläche des Wassers durchsegelnd, an wildem Waldrand landend, an schattigen Vorgebirgen schmausend, mit der Baumdecke über dem Haupt, während der Fluß mit hellem Schaum den Fuß bespülte; die fernen Gebirge und Felsen mit Bäumen, Wolken und tief blauem Himmel, Alles zusammen in sommerlicher Schönheit vor sich; Alles dieses würde ermüdend sein, wollten wir es weiter ausspinnen.
Wenn sie sich am Stromesufer gelagert hatten, pflegten einige von der Gesellschaft in die Wälder zu gehen und zu jagen, andere zu fischen; bisweilen vergnügten sie sich auch mit Schießen nach einem Ziele, mit Springen, Rennen und Ringen. Dolph gelangte dabei zu großer Gunst in den Augen Antons van der Heiden durch seine Geschicklichkeit und Gewandtheit in allen diesen Leibesübungen, die der Herr als die vorzüglichsten aller männlichen Vollkommenheiten betrachtete.
So fuhren sie nun munter den Fluß dahin, indem sie nur die schönen Stunden zur Reise wählten, bisweilen in der kühlen Morgendämmerung, bisweilen in dem stillen Abendzwielicht, und bisweilen, wenn der Mondschein sich über die sich kräuselnden Wellen verbreitete, die an der Seite ihres kleinen Fahrzeuges flüsterten. Nie hatte sich Dolph so vollkommen in seinem Elemente gefühlt, nie war ihm etwas so vollkommen nach seinem Geschmack vorgekommen, als dieses wilde unstäte Leben. Er war der rechte Mann, um Anton van der Heyden in seinen umherstreifenden Launen beizustehen, und gewann immer mehr seine Zuneigung. Das Herz des alten Buschkleppers neigte sich dem jungen Manne zu, der solchergestalt selbst ihm immer ähnlicher wurde; und als sie sich dem Ende ihrer Reise näherten, konnte er nicht unterlassen, ein wenig nach seiner Geschichte zu forschen. Dolph erzählte ihm offen seinen Lebenslauf, seine schweren medicinischen Studien, seine schwachen Fortschritte und seine zweifelhaften Aussichten. Der Herr war betroffen, als er fand, daß solche schönen Talente und Fähigkeiten unter eine Doktorsperücke gezwängt und begraben werden sollten. Er hegte eine souveräne Verachtung gegen die heilende Kunst und hatte nie einen anderen Arzt gebraucht als den Fleischer. Er trug auch einen tödtlichen Haß gegen alle Arten von Studien, seit er über ein unverständliches Buch ausgepeitscht worden war, als er noch ein Kind war. Und nun zu denken, daß ein junger Bursche wie Dolph, von so bewundernswürdigen Fähigkeiten, der schießen, fischen, rennen, springen, reiten und ringen konnte, sollte gezwungen werden, Pillen zu drehen und Juleps zu bereiten, blos für sein Dasein –das war schändlich! Er rieth Dolph, nicht zu verzweifeln und »die Arzneikunst vor die Hunde zu werfen«; denn einem jungen Burschen von seinen ausgezeichneten Talenten könne es nimmer fehlen, sein Glück zu machen. »Da es mir scheint, Ihr habt keine Bekanntschaft in Albany«, sagte Herr Anton, »so geht mit mir nach Hause und bleibt unter meinem Dache, bis ihr Euch weiter umsehen könnt; während der Zeit wollen wir uns gelegentlich im Schießen und Fischen üben, denn es wäre schade, wenn solche Talente brach liegen sollten.«
Dolph, dem ein Wechsel gar nicht unangenehm war, ließ sich leicht bewegen. In der That, wenn er die Dinge recht überlegte, was er denn auch sehr weislich und vorsichtig that, konnte er nicht anders denken, als daß Anton van der Heyden »auf irgend eine oder die andere Weise« mit der Geschichte des verzauberten Hauses in Verbindung stehe; daß die Unfälle in den Hochlanden, die sie so sonderbar vereinigt hatten, »auf irgend eine oder die andere Weise« etwas Gutes bewirken sollten; kurz, es giebt nichts so Angemessenes, als dieses »auf irgend eine oder die andere Weise«, um sich den Umständen anzubequemen; es ist die Hauptstütze eines kopflosen Acteurs und langsamen Denkers, wie Dolph Heyliger, und Derjenige, welcher auf diesem unbestimmten sanften Wege früheres Uebel zu vorausgenommenem Guten lenken kann, besitzt ein geheimes Glück, das fast so viel werth ist als der Stein der Weisen.
Bei ihrer Ankunft zu Albany schien die Erscheinung von Dolphs Begleiter allgemeines Vergnügen hervorzurufen. Viele Grüße am Bord des Flusses und in den Straßen empfingen die Ankommenden; die Hunde sprangen an ihm herauf; die Knaben schrieen im Vorbeigehen; jedermann schien Anton van der Heyden zu kennen. Dolph folgte stillschweigend und bewunderte die Zierlichkeit dieses schönen Fleckens; denn Albany prangte damals noch in seiner ganzen Glorie; es war fast ausschließlich von den Abkömmlingen der ursprünglichen holländischen Ansiedler bewohnt und bis jetzt noch nicht von dem unruhigen Volk von Neuengland entdeckt und kolonisirt. Alles war ruhig und in Ordnung; Alles wurde friedlich und gemächlich geleitet; man bemerkte keine Eile, kein Geräusch, keine Anstrengung und kein Drängen um des Lebensunterhaltes willen. Das Gras wuchs auf den ungepflasterten Straßen und erfreute das Auge durch sein erfrischendes Grün. Hohe Sycomoren oder hängende Weiden beschatteten die Häuser, und an ihren zarten Zweigen schwangen sich Raupen in langen Silberfäden; oder Motten flatterten umher vor Freude über ihre schöne Verwandlung. Die Häuser waren in alt-holländischer Weise mit der Giebelseite gegen die Straße gebaut. Die sparsame Hausfrau saß auf einer Bank vor ihrer Thüre, in einer knapp anliegenden Haube, hell geblümtem Kleide und weißer Schürze, emsig mit Stricken beschäftigt. Der Mann rauchte seine Pfeife auf der entgegengesetzten Bank, und ein kleines Negermädchen, der Liebling, saß auf der Treppe, ihrer Herrin zu Füßen, und war geschäftig mit ihrer Nadel. Die Schwalben scherzten um das Dach oder strichen über die Straßen hin und brachten reiche Beute für ihre schreienden Jungen mit; und der Hausfreund, der kleine Zaunkönig, flog in einem Liliputhäuschen ein und aus oder in einem alten Hute, der an die Wand genagelt war. Die Kühe kehrten nach Hause zurück, blökten durch die Straßen und ließen sich an den Thüren ihrer Eigenthümer melken, und wenn einige unter ihnen vielleicht zurückblieben, so waren Negerbuben mit einem langen Stachel bei der Hand, um sie bedachtsam heimzutreiben.
Als Dolphs Begleiter vorwärts schritt, nickten ihm die Bürger freudig zu, und die Frauen begrüßten ihn mit freundlichen Worten; alle nannten ihn vertraulich bei seinem Vornamen Anton; denn es war der Gebrauch unter diesen kräftigen Patriarchen, die alle zusammen aufgewachsen waren, sich einander mit dem Taufnamen zu nennen. Der Herr unterließ nicht, seine gewöhnlichen Scherze mit ihnen zu treiben, denn er war ungeduldig, sein Haus zu erreichen. Endlich kamen sie dahin. Es war ziemlich groß, im holländischen Stil, mit großen eisernen Figuren auf den Giebeln, woraus man auf seine Erbauung schließen konnte, und bewies, daß es in den frühesten Zeiten der Ansiedlung erbaut worden war.
Die Nachricht von Herrn Antons Ankunft war ihm schon vorausgegangen, und der ganze Haushalt stand auf der Warte. Ein Haufe kleiner und großer Neger hatte sich in der Fronte des Hauses versammelt, um ihn zu empfangen. Die alten Weißköpfe, die in seinem Dienste grau geworden waren, weinten vor Freude und machten manche ungeschickte Verbeugungen und Grimassen; die kleinen dagegen hüpften ihm auf die Kniee. Aber das glücklichste Wesen im Hause war ein kleines wohlgenährtes, blühendes Mädchen, sein einziges Kind und der Liebling seines Herzens. Sie kam im vollen Springen aus dem Hause; aber der Anblick eines fremden jungen Mannes mit ihrem Vater rief für einen Augenblick alle Schamhaftigkeit, wie sie den Mädchen angeboren ist, hervor. Dolph sah sie mit Bewunderung und Vergnügen an; niemals meinte er eine so anständige weibliche Gestalt gesehen zu haben. Sie war in gutem alten holländischen Geschmack gekleidet, mit langer Schnürbrust und vollem kurzen Kleide, das so gut stand, daß es die ganze weibliche Form in schönstem Lichte zeigte. Ihr Haar, unter eine kleine runde Mütze gewunden, ließ die Schönheit ihrer Stirne bewundern; sie hatte schöne, blaue, lächelnde Augen und einen schlanken, sanft gewölbten Leib – mit Einem Worte, sie war eine kleine holländische Gottheit. Dolph, der nie bei einer Sache auf halbem Wege stehen blieb, verliebte sich sterblich in sie.
Dolph wurde in dem Hause mit freundlichem Willkommen aufgenommen. Das Innere gab eine Anschauung von Herrn Antons Geschmack und Gewohnheiten, sowie von dem Reichthum seiner Vorfahren. Die Zimmer waren mit guten alten Mahagonymöbeln verziert, die Schenktische und Schränke glänzten von erhaben gearbeitetem Silber und gemaltem Porzellan. Ueber dem Kamin des Visitenzimmers befanden sich, wie gewöhnlich, die Wappenschilde der Familie gemalt und eingerahmt; darüber eine lange Vogelflinte mit einer indianischen Tasche und ein Pulverhorn. Das Zimmer war mit vielen indianischen Gegenständen verziert: Friedenspfeifen, Tomahawks, Skalpirmessern, Jagdtaschen und Wampumgürteln; auch lagen verschiedene Arten von Fischgeräthe und zwei oder drei Instrumente zum Vogelfang in den Winkeln. Die Hausangelegenheiten schienen einigermaßen nach dem Willen des Herrn geleitet zu werden, dem hier und da einige kleine ruhige Eingriffe der Tochter nachhalfen. Das Ganze trug den Stempel eines hohen Grades patriarchalischer Einfachheit und gutmüthiger Nachsicht. Die Schwarzen kamen ungerufen in das Zimmer, blos um nach ihrem Herrn zu sehen und seine Abenteuer zu vernehmen; sie standen lauschend an der Thüre, bis er eine Geschichte beendigt hatte, und gingen dann grinsend weg, um sie in der Küche zu erzählen. Ein paar schöne Negerkinder spielten auf dem Fußboden mit den Hunden und theilten ihr Butterbrod mit ihnen. Alles Hausgesinde sah vergnügt und glücklich aus, und wenn der Tisch zum Abendessen gedeckt wurde, gab die Mannigfaltigkeit und der Ueberfluß der guten häuslichen Speisen von der Freigebigkeit des Herrn und der ausgezeichneten Wirtschaftlichkeit der Tochter Zeugniß. Am Abend kamen verschiedene der ausgezeichnetsten Männer des Ortes, die van Rensellaers, die Gonsovoorts, die Rosebooms, und andere von Anton van der Heydens intimen Freunden, um von seinem Unternehmen erzählen zu hören, denn er war der Sindbad von Albany, und seine Thaten und Abenteuer gehörten zu den Lieblingsgegenständen der Unterhaltung unter den Einwohnern. Während diese zusammen an der Thüre des Vorsaals saßen und sich im Zwielicht lange Geschichten erzählten, saß Dolph traulich auf einer Bank am Fenster und unterhielt sich mit der Tochter. Er war schon auf einen vertrauten Ton mit ihr gekommen, denn zu falscher Zurückhaltung und eitlen Ceremonien war das keine Zeit; übrigens liegt etwas außerordentlich Günstiges für einen Liebhaber in dem angenehmen Dunkel einer Sommernacht; sie giebt der furchtsamsten Zunge Muth und verhüllt die Schamröthe des Blöden. Die Sterne am Himmel blickten herrlich, und hier und da goß ein Leuchtkäfer sein vorübergehendes Licht vor dem Fenster aus, oder flog in das Zimmer und erhob sich glühend zur Decke.
Was Dolph Alles an diesem langen Sommerabend in ihr Ohr flüsterte, ist schwer zu sagen; seine Worte waren so leise und unbestimmt, daß sie nie das Ohr des Geschichtschreibers erreichten. Wahrscheinlich ist es indessen, daß sie nicht zwecklos waren, denn er besaß ein natürliches Talent, den Frauen zu gefallen, und war nie lange in Gesellschaft mit einer ihres Geschlechts, ohne ihr besonders die Cour zu machen.
Währenddem zog der Besuch nach und nach ab. Anton van der Heyden, der sich ganz müde gesprochen hatte, saß nickend allein in seinem Stuhl bei der Thüre, als er plötzlich durch einen herzlichen Kuß ermuntert wurde, mit welchem Dolph unvorsichtiger Weise eine seiner Perioden abgeschlossen hatte, und der durch das stille Zimmer wie ein Pistolenschuß schallte. Der Herr stand auf, rieb sich die Augen, rief nach Licht und bemerkte, daß es hohe Zeit sei, zu Bette zu gehen, obgleich er beim Scheiden Dolph herzlich die Hand drückte, ihm freundlich ins Gesicht sah und mit Vorsatz den Kopf schüttelte, denn der Herr erinnerte sich wohl, was er selbst in seinen jüngeren Jahren gewesen war.
Das Zimmer, in welches Dolph einlogirt wurde, war geräumig und mit Eichenholz eingelegt. Es war mit Kleiderschränken und gut wachsirten Kommoden, die von messingenem Zierrath glänzten, ausmöblirt. Diese enthielten große Vorräthe von Leinwand, denn die holländischen Hausfrauen setzten einen lobenswerthen Stolz hinein, die Schätze ihres Haushaltes den Fremden zu zeigen.
Dolphs Seele war indeß zu voll, um besondere Notiz von den Gegenständen um ihn zu nehmen; doch konnte er nicht umhin, die freie und offene Heiterkeit dieser häuslichen Einrichtung mit der hungrigen, schmutzigen, freudelosen Haushaltung des Doktor Knipperhausen immer wieder zu vergleichen. Etwas jedoch verdarb seine Freude, der Gedanke nämlich, daß er sich von seinem guten Wirthe und seiner schönen Wirthin verabschieden und sich den Ungewittern der großen Welt aussetzen müsse. Hier herum zu lungern, würde Thorheit gewesen sein; er würde nur immer tiefer in das Netz der Liebe verwickelt worden sein, und als ein armer Teufel, der er war, um die Tochter des großen Herrn van der Heyden zu freien – daran nur zu denken, war Tollheit. Die Güte, welche ihm das Mädchen bewiesen hatte, trieb ihn, bei ruhiger Ueberlegung, seine Abreise zu beschleunigen; es würde eine schlechte Vergeltung für die Gastfreundschaft seines Wirthes gewesen sein, das Herz seiner Tochter in eine unüberlegte Verbindung zu verwickeln. Mit Einem Worte, Dolph ging es wie manchen anderen jungen Denkern von besonders gutem Herzen und leichtfertigem Kopf, die denken, nachdem sie gehandelt, und verschieden von dem handeln, was sie denken; sie fassen vortreffliche Beschlüsse über Nacht und vergessen, sie am nächsten Morgen zu halten.
»Wahrlich, der Beschluß, den ich wegen meiner Reise gefaßt habe, ist gut«, sagte er, indem er sich in ein prächtiges Federbett fast vergrub und die frische weiße Bettdecke bis zum Kinn heraufzog. »Anstatt einen Beutel voll Geld zu finden, um nach Hause zu gelangen, bin ich hier an einen fremden Platz gekommen, kaum mit einem Kreuzer in der Tasche, und, was noch schlimmer ist, habe mich noch obendrein verliebt. Indessen«, fügte er nach einer Pause hinzu, indem er sich in seinem Bette streckte und umdrehte, »ich bin ja wenigstens jetzt in einer guten Herberge, so will ich mich denn des Augenblicks freuen und den nächsten für sich selbst sorgen lassen; ich sage, Alles wird sich auf irgend eine Art, so oder so, zum Besten wenden.«
Als er diese Worte sprach und die Hand ausstreckte, um das Licht auszulöschen, wurde er plötzlich von Staunen und Schrecken erfaßt, denn er glaubte das Phantom des verzauberten Hauses von einem dunkeln Theil des Zimmers aus ihn anstarren zu sehen. Ein zweiter Blick flößte ihm wieder Muth ein, denn er bemerkte, daß das, was er für ein Gespenst gehalten hatte, nichts weiter war, als ein niederländisches Porträt, das in einem dunkeln Winkel gerade hinter einem Schrank hing. Es war jedoch das vollkommene Ebenbild seines nächtlichen Besuchs. Derselbe Mantel und das mit einem Gürtel versehene Wams, derselbe gekräuselte Bart und die starren Augen, derselbe breite herabgekrämpte Hut mit einer an der einen Seite herabhängenden Feder. Dolph erinnerte sich nun auch der Aehnlichkeit, welche er so oft zwischen seinem Wirth und dem alten Mann des verzauberten Hauses wahrgenommen hatte, und war völlig überzeugt, sie müßten in irgend einer Weise in Verbindung stehen, und es müsse ein besonderes Geschick seine Reise geleitet haben. Er lag da und blickte auf das Porträt fast mit ebenso großer Furcht, als er auf das geisterartige Original gesehen hatte, bis ihn die gellende Hausglocke mahnte, daß es schon spät an der Zeit sei. Er löschte das Licht aus, dachte aber noch lange über diese seltsamen Umstände und zusammentreffenden Vorgänge nach, bis er endlich in Schlaf verfiel. Seine Träume waren nur eine Fortsetzung seiner wachenden Gedanken. Es kam ihm vor, als blicke er noch immer auf das Bild, bis es allmählig sich belebte: die Gestalt stieg von der Wand herab und schritt aus dem Gemach, er folgte ihr und fand sich endlich an dem Brunnen, auf welchen der alte Mann hinwies, dann ihn anlächelte und verschwand.
Als er des Morgens erwachte, stand sein Wirth an der Seite seines Bettes, bot ihm einen herzlichen Guten Morgen und fragte ihn, wie er geschlafen habe. Dolph antwortete ihm in froher Stimmung, nahm aber die Gelegenheit wahr, ihn über das Porträt auszufragen, das an der Wand hing. »Ach«, sagte Herr Anton, »das ist ein Porträt vom alten Kilian van der Spiegel, ehemaligem Bürgermeister von Amsterdam, der wegen einiger Volksunruhen Holland verließ und während der Regierung Peter Stuyvesants in die Provinz kam. Er war mein Ahnherr von mütterlicher Seite und ein alter filziger Knicker. Als die Engländer Neu-Amsterdam im Jahre 1664 in Besitz nahmen, zog er sich aufs Land zurück, wurde melancholisch, fürchtete, man werde ihm sein Vermögen nehmen und ihn an den Bettelstab bringen. Er verwandelte sein ganzes Eigenthum in baares Geld und bemühte sich sorgfältig, es zu verstecken. Ja, ein oder zwei Jahre lang hielt er sich selbst ängstlich im Verborgenen, indem er sich einbildete, die Engländer fahndeten nach ihm und wollten ihm sein Geld nehmen; endlich fand man ihn des Morgens todt im Bette, ohne daß Jemand hätte entdecken können, wo er den größeren Theil seines Geldes hin versteckt habe.«
Als sein Wirth das Zimmer verlassen hatte, blieb Dolph einige Zeit in Gedanken verloren. Seine ganze Seele war mit Dem beschäftigt, was er soeben gehört hatte. Van der Spiegel war der Familienname seiner Mutter, und er erinnerte sich von ihr gehört zu haben, daß dieser nämliche Kilian van der Spiegel einer ihrer Vorfahren gewesen sei. Auch hatte er sie sagen hören, daß ihr Vater Kilians rechtmäßiger Erbe gewesen sei; indessen war der alte Mann gestorben, ohne etwas zu hinterlassen, was hätte geerbt werden können. Es hatte nun den Anschein, daß auch Herr Anton ein Abkömmling und vielleicht ein Erbe dieses armen reichen Mannes sei, und daß also die Heyligers und die van der Heydens entfernt verwandt seien. »Was«, dachte er, »am Ende ist das die Auslegung meines Traumes, und die Reise nach Albany der Weg zu meinem Glücke, und vielleicht finde ich des alten Mannes verstecktes Vermögen auf dem Grund jenes Brunnens! Aber was für eine wunderliche weitschweifige Art, mir die Sache mitzutheilen! Warum konnte mir der alte Kobold die Sache mit dem Brunnen nicht gleich sagen, ohne mich den weiten Weg nach Albany machen zu lassen, blos um eine Geschichte zu hören, die mich den ganzen Weg wieder zurückschickt?«
Dergleichen Gedanken gingen während des Anziehens durch seinen Kopf. Er schritt hierauf die Treppe hinab, in voller Unruhe. Da strahlte ihm plötzlich das schöne Gesicht Marie van der Heydens in lieblichem Lächeln entgegen und schien ihm einen Schlüssel zu dem ganzen Geheimnis zu geben. »Am Ende«, dachte er, »hat der alte Geist doch Recht. Wenn ich seinen Schatz heben soll, so meint er damit, ich solle seine hübsche Verwandte heirathen; so werden beide Zweige der Familie wieder vereinigt, und das Vermögen fließt in seinen eigentlichen Kanal.«
Dieser Gedanke hatte sich nicht sobald seiner Seele bemeistert, als er auch zur Ueberzeugung wurde. Er war nun voll Ungeduld, nach Hause zu eilen und sich des Schatzes zu bemeistern, der, wie er nicht zweifelte, auf dem Grunde des Brunnens lag, und von dem er nur fürchtete, daß er jeden Augenblick von einem Anderen entdeckt werden könne. »Wer weiß«, dachte er, »ob nicht dieser alte Bursche, der Nachtwandler in dem verzauberten Hause, die Gewohnheit hat, Jedem, der es besucht, zu erscheinen, und einem schlimmeren Kunden, als ich bin, einen Wink giebt, der dann einen kürzeren Weg zum Brunnen findet, als den über Albany?« Er wünschte tausendmal, der alte kindische Geist läge im rothen See, und sein altes Porträt neben ihm. Er befand sich in vollkommner Verzweiflung wegen seiner Abreise. Zwei bis drei Tage vergingen, bevor sich eine Gelegenheit darbot, um auf dem Flusse zurück zu reisen. Sie waren für Dolph Jahrhunderte, ohngeachtet er sich an dem Lächeln der reizenden Marie sonnte und täglich sich mehr verliebte.
Endlich traf dieselbe Fregatte, von der er über Bord geworfen worden war, Anstalt unter Segel zu gehen. Dolph suchte seine plötzliche Abreise, so gut er konnte, bei seinem Wirth zu entschuldigen. Anton van der Heyden aber war sehr in Erstaunen versetzt. Er hatte ein halb Dutzend Streifzüge in die Wildniß beschlossen, und seine Indianer bereiteten bereits eine große Expedition nach einem der Seen vor. Er nahm Dolph bei Seite und erschöpfte seine ganze Beredsamkeit, ihn von allen Gedanken an Geschäfte abzubringen und ihn zu bewegen, bei ihm zu bleiben, aber umsonst; und er gab endlich den Versuch auf, indem er äußerte, es wäre doch jammerschade, daß ein so feiner junger Mann sich selbst wegwerfe. Indessen drückte ihm Herr Anton bei der Abreise herzlich die Hand, schenkte ihm eine seiner Lieblings-Vogelflinten und lud ihn ein, sein Haus nicht zu vergessen, wenn er einmal wieder nach Albany käme. Die liebliche kleine Marie sagte nichts, als er ihr aber den Abschiedskuß gab, wurden ihre Grübchenwangen bleich, und eine Thräne trat in ihr Auge.
Dolph sprang schnell an Bord des Fahrzeuges. Sie zogen die Segel auf; der Wind war günstig; bald verloren sie Albany, seine grünen Hügel und angebauten Inseln aus dem Gesicht. Munter steuerten sie die Catskill-Gebirge vorbei, deren helle Gipfel glänzend und wolkenlos dastanden. Sie kamen glücklich durch die Hochlande, ohne durch den Geist des Dunderbergs und seine Mannschaft belästigt zu werden; sie eilten quer an der Hawerstraw Bay und bei Croton Point, durch die Tapan-See und unter den Palissaden vorüber, bis sie am dritten Tage das Vorgebirge von Hoboken zu Gesicht bekamen, das gleich einer Wolke in der Luft hing, und bald darauf die Dächer der Manhattoes aus dem Wasser hervorragten.
Dolphs erste Sorge war, nach dem Hause seiner Mutter zu eilen, denn ihn quälte stets der Gedanke, welche Unruhe sie seinetwegen ausstehen werde. Er war in Verlegenheit, als er während seines Ganges dachte, wie er seine Abwesenheit bemänteln solle, ohne die Geheimnisse des verzauberten Hauses zu verrathen. Mitten in diesen Gedanken betrat er die Straße, in welcher das Haus seiner Mutter lag, als er, wie vom Blitz getroffen, es nur als einen Schutthaufen wiederfand.
Offenbar hatte eine große Feuersbrunst stattgefunden, die mehre große Häuser zerstört und die kleine Wohnung der armen Frau Heyliger mit in Asche gelegt hatte. Die Wände waren nicht so ganz vernichtet, daß Dolph nicht noch einige Spuren des Schauplatzes seiner Kindheit hätte unterscheiden können. Das Kamin, an dem er so oft gespielt hatte, war noch vorhanden, geziert mit holländischen Ziegeln, welche Stellen aus der biblischen Geschichte darstellten, auf die er oft mit Bewunderung geblickt hatte. Unter dem Schutt lagen die Ueberreste von dem Armstuhl der guten Frau, von dem sie ihm so manche gute Lehre ertheilt hatte; und dicht dabei lag die Familienbibel mit messingnen Haken, aber ach! fast zu Asche verwandelt.
Einen Augenblick war Dolph über diesen traurigen Anblick ganz außer sich, denn er fürchtete, daß seine Mutter mit verbrannt sei. Er wurde jedoch durch einen der Nachbarn von dieser Furcht befreit, der zufällig des Weges kam und ihn benachrichtigte, daß seine Mutter noch am Leben sei.
Die gute Frau hatte bei diesem unvorhergesehenen Unglück Alles verloren, denn das Volk war so begierig, die schönen Möbeln ihrer reichen Nachbarn zu retten, daß die wenigen gemietheten Gegenstände und Alles, was der armen Dame Heyliger gehörte, unaufhaltsam in Rauch aufging; ja, wäre nicht der emsige Beistand ihres alten Freundes Peter de Groodt gewesen, die würdige Dame und ihre Katze würden gleiches Schicksal gehabt haben wie ihre Wohnung.
Unter diesen Umständen war Furcht und Betrübniß über sie gekommen und sie lag krank an Leib und Seele. Das Publikum bewies ihr indessen sein gewohntes Wohlwollen. Nachdem man ihren reichen Nachbarn die Möbel so weit als möglich aus den Flammen gerettet, sie besucht und ihnen pflichtschuldig und feierlich wegen des Verlustes ihres Eigenthums kondolirt und die vornehmen Damen besonders wegen der Erschütterung ihrer Nerven bedauert hatte, fing man endlich auch an, sich der armen Dame Heyliger zu erinnern. Sie wurde fortan wieder Gegenstand einer allgemeinen Theilnahme. Jedermann schenkte ihr mehr Mitleiden als je zuvor, und wenn das Mitleiden in baares Geld hätte ausgeprägt werden können – gerechter Gott! wie reich würde sie geworden sein!
Es wurde indessen ernstlich beschlossen, ohne Aufschub etwas für sie zu thun. Der Geistliche that daher am Sonntag eine Fürbitte für sie, in welche die ganze Versammlung von Herzen einstimmte. Auch Cobus Groesbeek, der Rathsherr, und Mynheer Milledollar, der große holländische Kaufmann, erhoben sich in ihrem Kirchenstuhl und sparten bei dieser Gelegenheit keine Worte. Man glaubte, daß die Gebete solcher großen Männer von gehörigem Gewicht sein müßten. Doktor Knipperhausen besuchte sie übrigens regelmäßig und ertheilte ihr seinen unentgeltlichen Rath in Fülle; er wurde allgemein wegen seiner Gutmüthigkeit belobt. Was ihren alten Freund Peter de Groodt betrifft, so war er ein armer Mann, dessen Mitleiden, Gebete und Rath nur von geringem Nutzen sein konnten; so gab er ihr denn Alles, was in seinem Vermögen stand – er gab ihr ein Obdach.
Dolph wendete dann seine Schritte zu der kleinen Wohnung Peter de Groodts. Unterwegs rief er sich alle die Zärtlichkeit und Güte seiner lieben Mutter, ihre Nachsicht gegen seine Verirrungen und ihre Blindheit gegen seine Fehler ins Gedächtniß zurück und dachte dann über sein eigenes müßiges, wildes Leben nach. »Ich bin ein elender Bengel gewesen«, sagte Dolph, sorgenvoll seinen Kopf schüttelnd. »Ja, ich bin ein vollkommener Taugenichts gewesen, das muß wahr sein! – Aber«, setzte er heiter hinzu und schlug seine Hände zusammen, »laß sie nur leben – laß sie nur leben – und ich will mich gewiß als ein guter Sohn zeigen!«
Als Dolph sich dem Hause näherte, kam gerade Peter de Groodt heraus. Der alte Mann fuhr erschrocken zurück, denn er war ungewiß, ob nicht ein Geist vor ihm stehe. Es war jedoch heller Tag, so daß Peter bald wieder Muth bekam und sich überzeugte, daß kein Geist sich bei so vollem Sonnenscheine zeigen könne. Dolph erfuhr jetzt von dem würdigen Küster, welche Bestürzung und welchen Aufruhr sein geheimnißvolles Verschwinden veranlaßt habe. Man hatte allgemein geglaubt, er sei von den Gespenstern, die das verzauberte Haus heimsuchten, weggeführt worden; und der alte Abraham Vandozer, der an den großen Pappelbäumen in der Nähe der drei Meilensteine wohnte, versicherte, er habe ein schreckliches Geräusch in der Luft gehört, als er spät in der Nacht nach Hause gegangen sei, »und es habe gerade so gelautet, als wenn eine Heerde wilder Gänse ihm über den Kopf gegen Norden stiege. Das verzauberte Haus wurde nun in Folge davon mit zehnmal mehr Furcht als je betrachtet; nicht um die ganze Welt würde es Jemand gewagt haben, eine Nacht darin zuzubringen, und der Doktor hatte seine Besuche selbst am Tage dahin gänzlich eingestellt.
Es erforderte einige Vorbereitungen, ehe Dolphs Rückkehr seiner Mutter mitgetheilt werden konnte; die arme Seele hatte ihn schon verloren gegeben; und ihr Geist war schmerzlich niedergedrückt durch eine Menge von Tröstern, die sie täglich mit Geistergeschichten und Menschen, die der Teufel geholt habe, unterhielten. Er fand sie im Bette mit den anderen Gliedern der Familie Heyliger, der guten Katze, die an ihrer Seite schnurrte oder kläglich miaute und des Schnurrbartes, des Glanzes ihrer Physiognomie, ganz beraubt war. Die arme Frau schlang ihre Arme um Dolphs Nacken: »Mein Sohn! mein Sohn! lebst du denn noch?« Eine Zeitlang schien sie in ihrer Freude über seine Rückkehr allen ihren Verlust und allen ihren Kummer vergessen zu haben. Auch die kluge alte Katze zeigte unbezweifelte Zeichen der Freude über die Rückkehr ihres jungen Herrn. Vielleicht sah sie, daß sie eine verlorene und zu Grunde gerichtete Familie seien, und fühlte einen Zug der Milde, die nur Leidensgenossen bekannt ist. In der That sind Katzen ein Volk, das seinen schlechten Ruf nicht verdient; sie besitzen mehr Anhänglichkeit, als ihnen die Welt gewöhnlich zugesteht.
Die Augen der guten Dame glänzten, als sie wenigstens ein Wesen um sich sah, das sich über ihres Sohnes Rückkehr freute. »Sie kennt dich! das alte stumme Vieh!« sagte sie, indem sie ihren scheckigen Liebling streichelte; dann mit einem melancholischen Kopfschütteln sich besinnend, rief sie: »Ach, mein armer Dolph, deine Mutter kann dir nicht länger helfen! Was wird aus dir werden, armer Bursche!«
»Mutter«, sagte Dolph, »sprich nicht so, ich bin dir nur zu lange eine Last gewesen, jetzt ist es an mir, in deinen alten Tagen Sorge für dich zu tragen. Komm! sei guten Muthes! du und ich und Tib werden alle noch bessere Tage sehen. Ich bin hier, wie du siehst, jung und gesund und muthig; darum laß uns nicht verzweifeln; ich sage dir, die Dinge alle werden, so oder so, sich zum Besten kehren.«
Während diese Scene bei der Familie Heyliger vorging, wurde die Neuigkeit von der glücklichen Rückkunft seines Schülers auch zu Doktor Knipperhausen getragen. Der kleine Doktor wußte kaum, sollte er sich über die Nachricht freuen oder betrüben. Er war glücklich, daß die übeln Gerüchte, die sich von seinem Landhause verbreitet hatten, so widerlegt wurden; aber es machte ihn besorgt, daß er seinen Schüler, den er für immer los zu sein wähnte, wieder als eine schwere Last über den Hals bekommen sollte. Während er noch zwischen diesen beiden Gefühlen hin und her schwankte, wurde im Rathe der Frau Ilsy beschlossen, die lange Abwesenheit des jungen Herrn sich zu nutze zu machen und ihm die Thüre für immer zu verschließen.
Zur Zeit des Schlafengehens, wo man vermuthen konnte, daß der faule Schüler sein altes Quartier wieder suchen würde, wurde deßhalb Alles zu seiner Aufnahme vorbereitet. Dolph, der seine Mutter in einen ruhigen Zustand hinein geredet hatte, suchte das Haus seines quondam Meisters und hob den Klopfer mit strauchelnder Hand. Kaum aber hatte er einen zweifelhaften Schlag gegeben, als des Doktors Kopf in einer rothen Nachtmütze aus einem Fenster hervorhuschte und der der Haushälterin in einer weißen Nachtmütze aus einem anderen. Er wurde nun mit einer furchtbaren Salve harter Namen und harter Worte begrüßt, gemischt mit nichtswürdigen guten Lehren, wie man sie selten zu ertheilen wagt, ausgenommen einem Freunde oder einem Verbrecher vor Gericht. In wenigen Augenblicken war nicht ein Fenster in der Straße, das nicht seine besondere Nachtmütze zeigte; sie lauschten der grellen Diskantstimme der Frau Ilsy und dem gurgelnden Gequäke des Doktor Knipperhausen, und die Worte gingen von Fenster zu Fenster: »Ach, Dolph Heyliger ist zurückgekommen, und auch seine tollen Streiche sind wieder da.« Kurz, der arme Dolph fand, daß er vermuthlich nichts von dem Doktor erhalten werde, als gute Lehren, eine so überflüssige Zuthat, als man sie eben aus dem Fenster nicht besser verlangen kann; so war er denn gezwungen, den Rückweg einzuschlagen, und nahm sein Nachtquartier unter dem niedrigen Dache des ehrlichen Peter de Groodt.
Am nächsten schönen Morgen zeitig befand sich Dolph an dem bezauberten Hause. Alles sah gerade noch so aus, wie er es verlassen hatte. Die Felder waren grasgrün und sahen wie Wiesen aus, und es war, als hätte sie seit seiner Abwesenheit kein Fuß betreten. Mit klopfendem Herzen eilte er zu dem Brunnen. Er sah hinab und fand, daß er von großer Tiefe und bis zum Grunde mit Wasser gefüllt war. Er hatte sich mit einer starken Schnur, dergleichen sich die Fischer an den Bänken von Neufundland bedienen, versehen. Am Ende befand sich ein schweres Stück Blei und eine große Fischangel. Damit begann er den Grund des Brunnens zu sondiren und in dem Wasser herum zu angeln. Das Wasser war von ziemlicher Tiefe und es befanden sich viel Schutt und Steine darin, die von oben hineingefallen waren. Verschiedene Male blieb seine Angel hängen, und er hätte fast seine Schnur zerrissen. Hier und da zog er bloßen Unrath heraus, z. B. einen Pferdekopf, einen eisernen Reif und einen zerbrochenen Eimer, in Eisen gebunden. Mehre Stunden war er so beschäftigt, ohne etwas zu finden, was ihn hätte beruhigen oder zu fernerem Nachsuchen hätte veranlassen können. Er fing an, sich für einen großen Thoren zu halten, daß er sich so durch bloße Träume bei der Nase hatte herumführen lassen, und war schon nahe daran, Angelschnur und Alles in den Brunnen zu werfen und alles weitere Angeln aufzugeben. »Noch einmal will ich die Schnur auswerfen«, sagte er, »und das soll das letzte Mal sein.« Als er sondirte, fühlte er das Bleiloth durch die Zwischenräume lockerer Steine schlüpfen, und als er die Schnur zurückzog, bemerkte er, daß der Angelhaken an etwas Schwerem festhielt. Er mußte seine Schnur mit großer Vorsicht handhaben, sonst würde sie bei der Anstrengung, der sie ausgesetzt war, zerrissen sein. Nach und nach gab der Schutt, der auf dem Gegenstande lag, den er angehakt hatte, nach; er zog ihn an die Oberfläche des Wassers, und wie groß war sein Entzücken, als er etwas wie Silber am Ende seiner Schnur glänzen sah! Fast athemlos vor Angst zog er es bis zur Mündung des Brunnens, voll Erstaunen über sein großes Gewicht, und jeden Augenblick fürchtend, sein Angelhaken möge von seinem Angelpunkt sich losmachen und seine Beute wieder auf den Grund fallen. Endlich brachte er es glücklich außerhalb des Brunnens. Es war eine große silberne Suppenterrine, von alter Form, reich mit erhabener Arbeit versehen und mit auf den Seiten eingravirten Wappenfiguren, ähnlich denen über dem Kaminsims seiner Mutter. Der Deckel war durch verschiedene Drahtwindungen befestigt; Dolph löste sie mit zitternder Hand, und als er den Deckel löste, siehe! da war das Gefäß mit großen Goldmünzen, von einem Gepräge, das er noch nie zuvor gesehen hatte, gefüllt. Offenbar hatte er den Ort gefunden, wo Kilian van der Spiegel seinen Schatz verborgen hatte.
In Furcht, von einem Vorübergehenden gesehen zu werden, entfernte er sich vorsichtig und vergrub seinen Goldtopf an einem geheimen Ort. Darauf verbreitete er schreckliche Geschichten über das verzauberte Haus und schreckte so Jedermann ab, sich ihm zu nähern, währenddem er ihm in stürmischen Tagen, wenn sich Niemand in den benachbarten Feldern aufhielt, häufige Besuche machte; denn, um die Wahrheit zu sagen, wagte auch er in der Finsterniß nicht hinzugehen. Zum ersten Mal in seinem Leben war er fleißig und arbeitsam und lag seinem Geschäfte des Angelns mit solcher Ausdauer und solchem Erfolg ob, daß er in kurzer Zeit Vermögen genug heraufgezogen hatte, um ihn in jenen mäßigen Tagen zum reichen Mann zu machen.
Es würde zu weitläufig sein, die Geschichte noch weiter ins Detail zu verfolgen, zu erzählen, wie er nach und nach zu Werke ging, um sein Eigenthum nützlich zu verwenden, ohne Aufsehen und Nachforschung zu erregen, – wie er alle Bedenklichkeiten in Bezug auf die Erhaltung seines Vermögens beseitigte und zugleich seiner eigenen Neigung genug that, indem er die schöne Marie heirathete, – und wie er und Herr Anton zusammen manchen fröhlichen und abenteuerlichen Wanderzug ausführten.
Wir dürfen indeß nicht zu sagen unterlassen, daß Dolph seine Mutter zu sich nahm, um bei ihm zu leben, und sie in ihren alten Tagen pflegte. Die gute Dame hatte nun die Genugthuung, nicht länger zu hören, daß ihr Sohn den Gegenstand der Kritik ausmache; im Gegentheil wußte er sich täglich mehr die Achtung des Publikums zu erwerben; Jedermann sprach Gutes von ihm und seinen Weinen; und auch der vornehmste Bürgermeister lehnte keine Einladung zum Mittagsessen bei ihm ab. Dolph erzählte oft selbst an seinem Tische die gottlosen Streiche, die früher der Abscheu der ganzen Stadt gewesen waren, aber sie wurden jetzt nur als Scherze betrachtet, und die ernstesten und würdigsten Herren hielten sich den Bauch, wenn sie davon erzählen hörten. Niemand war mehr durch Dolphs zunehmende Verdienste erfreut, als sein alter Meister, der Doktor; und Dolph war so gutmüthig, daß er den Doktor als seinen Hausarzt annahm, jedoch dafür sorgte, daß seine Recepte immer zum Fenster hinaus geworfen wurden. Seine Mutter hatte oft eine Gesellschaft von alten Freunden um sich, um eine Tasse Thee mit ihr in ihrem kleinen wohnlichen Visitenzimmer zu nehmen, und Peter de Groodt, der beim Kamin mit einem ihrer Enkel auf dem Schooße saß, wünschte ihr häufig Glück, daß ihr Sohn ein so großer Mann geworden sei, worauf die gute alte Seele heiter mit dem Kopfe nickte und ausrief: »Ach, Nachbar, Nachbar, habe ich es nicht immer gesagt, Dolph würde eines Tages seinen Kopf so hoch tragen wie der Beste von seines Gleichen?«
So lebte denn Dolph Heyliger heiter und glücklich, wurde fröhlicher, je älter und klüger er wurde, und machte das alte Sprichwort von dem durch des Teufels Beistand gewonnenen Gelde zu Schanden; denn er machte guten Gebrauch von seinem Vermögen und wurde ein ausgezeichneter Bürger und ein geschätztes Mitglied der Gemeinde. Er war ein großer Beförderer öffentlicher Anstalten, z. B. der Beafsteakgesellschaften und der Spielklubs. Er präsidirte bei allen Mittagsmahlzeiten, und war der Erste, der die Schildkröten von Westindien einführte. Auch führte er die Zucht guter Race-Pferde und Kampfhähne ein und war ein so großer Freund von bescheidenem Verdienst, daß Einer, der ein gutes Lied singen oder eine gute Geschichte erzählen konnte, darauf rechnen durfte, einen Platz an seinem Tische zu finden.
Dabei war er ein Mitglied einer Gesellschaft, welche mehre Gesetze zum Schutze des Wildes und der Austern entwarf, und schenkte derselben eine große silberne Punschbowle, die aus der früher erwähnten Suppenterrine verfertigt war und noch bis auf den heutigen Tag im Besitze der Gesellschaft ist.
Endlich starb er, noch im rüstigen Alter, an einem Schlagflusse bei einem Festmahl der Bürgerschaft und wurde mit großen Ehren in dem Kirchhofe der kleinen holländischen Kirche in der Gartenstraße beerdigt, wo man seinen Grabstein mit einer einfachen Grabschrift in holländischer Sprache, verfaßt von seinem Freunde Mynheer Justus Benson, einem alten und vortrefflichen Dichter der Provinz, noch heute sehen kann. Die vorstehende Erzählung besitzt mehr Glaubwürdigkeit, als die meisten Erzählungen der Art, da sie der Verfasser aus zweiter Hand aus dem Munde Dolph Heyligers selbst hat. Er erzählte sie erst in der letzteren Zeit seines Lebens, und zwar nur in großem Vertrauen (denn er war sehr diskret), einigen seiner besonders guten Freunde an seinem Tische, und wenn mehr Punsch als gewöhnlich getrunken worden war; und so seltsam auch die Geistergeschichte erscheinen mag, nie wurde von einem der Gäste irgend ein Zweifel dagegen erhoben. Zum Schluß dürfen wir nicht unterlassen zu bemerken, daß Dolph Heyliger neben seinen übrigen Talenten als der geschickteste Bogenschütze Hier geht in der Uebersetzung die Pointe verloren. Das englische »to shoot with the long bow« (mit dem langen Bogen schießen) heißt zugleich so viel als unser: mit dem großen Messer schneiden, aufschneiden. in der Provinz bekannt war.