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Hjalmar Ekdals Atelier.
Es ist Morgen; das Tageslicht fällt durch das große Fenster des Schrägdaches; der Vorhang ist zurückgezogen.
Hjalmar sitzt am Tische, mit dem Retouchieren einer Photographie beschäftigt; mehrere alte Bilder liegen vor ihm. Gleich darauf kommt Gina in Hut und Mantel durch die Flurtür; sie trägt einen Deckelkorb am Arm.
Hjalmar. Bist Du schon wieder da, Gina?
Gina. I ja, man muß sich sputen. Stellt den Korb auf einen Stuhl und legt Hut und Mantel ab.
Hjalmar. Warst Du bei Gregers drin?
Gina. O ja, das war ich. Bei dem sieht's mal nett aus. Kaum ist er da, so hat er auch schon die schönsten Geschichten angerichtet.
Hjalmar. Wieso?
Gina. Er wollte doch selber alles machen, hat er gesagt. Da wollte er nu auch einheizen; und da hat er die Ofenklappe zugeschraubt, so daß das ganze Zimmer voll Rauch ist. Ujeh, das war ein Gestank, daß man –
Hjalmar. Ach nein!
Gina. Aber das Schönste kommt noch. Nu wollte er nämlich das Feuer löschen, und da goß er das ganze Waschwasser in den Ofen, so daß der ganze Fußboden in Dreck schwimmt.
Hjalmar. Das ist aber doch verdrießlich.
Gina. Ich habe gleich die Portiersfrau heraufgeholt, damit sie bei dem Ferkel reine macht; aber vor heut nachmittag ist da drin kein Bleiben nicht.
Hjalmar. Was fängt er denn nun inzwischen mit sich an?
Gina. Er geht aus, sagte er.
Hjalmar. Ich war auch einen Augenblick bei ihm drin – nachdem Du weg warst.
Gina. Das habe ich gehört. Du hast ihn ja zum Frühstück eingeladen.
Hjalmar. Nur so ein ganz kleiner Vormittagsimbiß, weißt Du. Es ist ja der erste Tag –; wir können nicht gut umhin. Du hast ja doch immer etwas im Hause.
Gina. Ich muß zusehen, wie ich ein bißchen was finde.
Hjalmar. Aber daß es nur nicht zu knapp ist. Denn Relling und Molvik kommen auch herauf, glaube ich. Relling habe ich eben auf der Treppe getroffen, siehst Du, und da mußte ich doch – –
Gina. Was? Kommen die beiden etwa auch noch ?
Hjalmar. Herrgott, – ein paar Leute mehr oder weniger, das macht den Kohl auch nicht fett.
Ekdal öffnet seine Tür und sieht herein. Du, Hjalmar, hör' mal – bemerkt Gina. Ach so.
Gina. Wollen Sie etwas, Großvater?
Ekdal. Ach nein; ist egal. Hm! Geht wieder hinein.
Gina nimmt den Korb. Paß nur gut auf ihn auf, daß er nicht ausgeht.
Hjalmar. Ja, ja – wird gemacht. – Du, Gina, ein bißchen Heringssalat wäre ganz famos; denn Relling und Molvik sind diese Nacht wieder ausgewesen auf einem Bummel.
Gina. Wenn sie mir nur nicht zu früh auf den Hals kommen, so –
Hjalmar. Nein, sicher nicht; laß Dir nur Zeit.
Gina. Na ja; und inzwischen kannst Du ja auch noch ein bißchen arbeiten.
Hjalmar. Ich sitze ja und arbeite! Ich arbeite ja, was das Zeug hält.
Gina. Dann bist Du es ja doch los, sieh mal. Geht mit dem Korb in die Küche.
Hjalmar sitzt einige Augenblicke und pinselt auf der Photographie, doch träge und mit Unlust.
Ekdal steckt den Kopf durch die Tür, sieht sich im Atelier um und sagt in gedämpftem Ton: Du, hast Du was zu tun?
Hjalmar. Jawohl, ich sitze hier und quäle mich mit den Bildern da ab –
Ekdal. Ja, ja, natürlich, – wenn Du so viel zu tun hast, so –. Hm! Geht wieder hinein; die Tür bleibt offen.
Hjalmar arbeitet schweigend eine Weile weiter; dann legt er den Pinsel hin und geht an die Tür. Hast Du zu tun, Vater?
Ekdal brummt drinnen. Wenn Du zu tun hast, dann hab' ich auch zu tun. Hm!
Hjalmar. Na ja, jawohl. Geht wieder an seine Arbeit.
Ekdal kommt bald darauf wieder an die Tür. Hm; weißt Du, Hjalmar, so riesig viel zu tun habe ich gerade nicht.
Hjalmar. Ich glaubte, Du säßest und schriebst.
Ekdal. Donnerwetter, der Gråberg, kann der denn nicht noch einen Tag oder zwei warten? Das Leben hängt, soviel ich weiß, doch nicht davon ab.
Hjalmar. Nein, und Du bist doch auch kein Sklave.
Ekdal. Und dann die andere Geschichte da drin –
Hjalmar. Natürlich, ja. Du möchtest wohl hinein? Soll ich Dir aufmachen?
Ekdal. Wäre mir gar nicht so unangenehm.
Hjalmar erhebt sich. Dann wären wir die Sache auch los.
Ekdal. I freilich. Soll ja bis morgen früh fertig sein. Denn es ist doch morgen? Hm?
Hjalmar. Ja, gewiß ist es morgen.
Hjalmar und Ekdal schieben jeder einen Türflügel zur Seite. Die Morgensonne scheint durch die Dachluken herein; einige Tauben fliegen hin und her, andere girren auf den Stangen; weiter hinten auf dem Boden gackern dann und wann die Hühner.
Hjalmar. Na, nun geh man hinein, Vater.
Ekdal geht hinein. Kommst Du nicht mit?
Hjalmar. Ja, sieh mal, – ich glaube schon – sieht Gina in der Küchentür. Ich? Nein, ich hab' keine Zeit; ich muß arbeiten. –Aber der Mechanismus, den –
Er zieht an einer Schnur; drinnen gleitet ein Vorhang herab, dessen unterer Teil aus einem Streifen alten Segeltuchs besteht; der obere Teil ist aus einem Stück ausgespannten Fischernetzes hergestellt. Auf diese Weise ist der Fußboden des Raums nicht mehr sichtbar.
Hjalmar geht an den Tisch. So; nun werde ich doch wohl einen Augenblick unbehelligt sitzen können.
Gina. Mußte er denn da wieder 'rein und grassieren?
Hjalmar. Er hätte wohl lieber zu Madam Eriksen hinunter laufen sollen? Setzt sich. Willst Du etwas? Du sagtest ja –
Gina. Ich wollte nur fragen, ob Du meinst, wir können den Frühstückstisch hier decken?
Hjalmar. Ja, – für so früh hat sich doch wohl keiner angesagt?
Gina. Nein; ich erwarte keinen, als bloß die Brautleute, die zusammen sitzen wollen.
Hjalmar. Donnerwetter, daß sie sich nicht einen ändern Tag dafür aussuchen können!
Gina. Nein, lieber Ekdal, – ich habe sie ja doch auf heut Nachmittag bestellt, Ekdalchen, wenn Du schläfst.
Hjalmar. Na, dann ist's gut. Also dann essen wir hier.
Gina. Na ja, schön, aber es eilt noch nicht mit dem Decken; Du kannst den Tisch gut und gern noch eine Weile benutzen.
Hjalmar. Ich meine, Du siehst doch, daß ich hier sitze und den Tisch nach Möglichkeit benutze!!
Gina. Dann bist Du nachher doch auch frei, sieh mal. Wieder ab in die Küche.
Kurze Pause.
Ekdal in der Bodentür hinter dem Netz. Hjalmar!
Hjalmar. Was?
Ekdal. Fürchte man, wir müssen den Wassertrog doch noch rücken.
Hjalmar. Das habe ich doch immer gesagt.
Ekdal. Hm – hm – hm. Verläßt die Tür wieder.
Hjalmar arbeitet ein wenig, schielt nach dem Boden hin und steht halb auf.
Hedwig kommt aus der Küche.
Hjalmar setzt sich schnell wieder hin. Was willst Du?
Hedwig. Ich wollte bloß zu Dir herein, Vater.
Hjalmar nach kurzer Pause. Ich glaube gar, Du gehst hier herum und schnüffelst. Sollst Du vielleicht aufpassen?
Hedwig. Aber ganz und gar nicht.
Hjalmar. Was macht denn Mutter jetzt draußen?
Hedwig. Ach, Mutter, die steht mitten im Heringssalat. Geht an den Tisch. Könnte ich Dir nicht mit irgend was helfen, Vater?
Hjalmar. Ach nein. Ich tue schon lieber alles allein, – soweit die Kräfte reichen. Es hat keine Not, Hedwig; wenn nur Dein Vater gesund bleibt, –
Hedwig. Nicht doch, Vater! Du sollst nicht so häßlich daherreden. Sie geht im Zimmer umher, bleibt in der Türöffnung stehen und sieht in den Boden hinein.
Hjalmar. Du – was macht er denn da?
Hedwig. Wahrscheinlich einen neuen Weg zum Wassertrog.
Hjalmar. Das bringt er doch nun und nimmer allein zu stande! Und da muß ich verurteilt sein, hier zu sitzen –!
Hedwig geht zu ihm. Gib mir den Pinsel, Vater. Ich kann's schon.
Hjalmar. Ach was; Du verdirbst Dir nur die Augen damit.
Hedwig. I bewahre. So gib doch nur den Pinsel.
Hjalmar steht auf. Na, es dauert ja auch bloß eine oder zwei Minuten.
Hedwig. I, was sollte denn das schaden? Nimmt den Pinsel. So –. Setzt sich. Und hier habe ich ja auch eins als Vorlage.
Hjalmar. Aber verdirb Dir die Augen nicht! Hörst Du wohl? Ich will nicht die Verantwortung haben; Du mußt selbst die Verantwortung tragen, – das sage ich Dir.
Hedwig retouchiert. Jawohl, das werde ich schon.
Hjalmar. Du bist mächtig geschickt, Hedwig. Nur ein paar Minuten, verstehst Du.
Er schlüpft zwischen Tür und Vorhang in den Bodenraum. Hedwig sitzt bei ihrer Arbeit. Man hört, wie Hjalmar und Ekdal drin disputieren.
Hjalmar erscheint hinter dem Netz. Hedwig, ach gib mir mal die Zange, die da auf dem Gesims liegt. Und den Hammer auch. Wendet sich zurück. Nun sollst Du mal sehen, Vater. Bitte, ich möchte Dir erst zeigen, wie ich es meine!
Hedwig hat das verlangte Werkzeug vom Regal geholt und gibt es ihm hinein.
Hjalmar. Danke schön. Ein wahres Glück, Du, daß ich dazu gekommen bin.
Verläßt die Türöffnung; sie tischlern und reden drinnen. Hedwig bleibt stehen und sieht ihnen zu. Bald darauf klopft es an der Flurtür. Sie bemerkt es nicht.
Gregers Werle kommt barhäuptig und ohne Überzieher herein und bleibt eine Weile an der Tür stehen. Hm –!
Hedwig wendet sich um und geht ihm entgegen. Guten Morgen. Bitte, treten Sie näher.
Gregers. Danke sehr. Sieht nach dem Boden hin. Mir scheint, Sie haben Handwerker im Hause.
Hedwig. Nein, das sind bloß Vater und Großvater. Aber ich will ihnen sagen, daß –
Gregers. Nein, – bitte nicht; ich warte lieber eine Weile. Setzt sich aufs Sofa.
Hedwig. Hier ist es so unordentlich –
Will die Photographien wegräumen.
Gregers. Ach, lassen Sie nur liegen. Die Bilder, die sollen wohl fertig werden?
Hedwig. Ja, ich sollte Vater ein bißchen dabei helfen.
Gregers. Lassen Sie sich durch mich nur nicht stören.
Hedwig. O nein.
Sie schiebt die Sachen zu sich heran und setzt sich an die Arbeit. Indessen sieht Gregers ihr schweigend zu.
Gregers. Hat die Wildente heute nacht gut geschlafen?
Hedwig. Danke sehr, ich glaube schon.
Gregers nach dem Bodenraum gewendet. Bei Tage sieht es ganz anders aus als gestern bei Mondschein.
Hedwig. Ja, es kann unendlich verschieden sein. Des Morgens sieht es anders aus als nachmittags; und wenn es regnet, sieht es anders aus als bei gutem Wetter.
Gregers. Haben Sie das beobachtet?
Hedwig. Ja, das sieht man doch.
Gregers. Sind Sie auch gern da drin bei der Wildente?
Hedwig. Ja, wenn es sich machen läßt, so –
Gregers. Aber Sie haben wohl nicht so viel freie Zeit. Sie gehen ja doch zur Schule.
Hedwig. Nein, jetzt nicht mehr. Denn Vater ist bange, ich verderbe mir die Augen.
Gregers. So? Dann gibt er Ihnen wohl selbst Unterricht?
Hedwig. Vater hat versprochen, mir welchen zu geben; aber er hat noch keine Zeit dazu gehabt.
Gregers. Ist denn sonst niemand da, der sich Ihrer ein bißchen annimmt ?
Hedwig. Ja, der Kandidat Molvik; aber er ist nicht immer so – so ganz richtig –
Gregers. Betrunken?
Hedwig. Ja freilich.
Gregers. Na, dann haben Sie ja Zeit zu allerhand. Und da drin, das ist wohl so eine Welt für sich, – wie?
Hedwig. Ja, ganz und gar. Und dann sind da so viel merkwürdige Dinge.
Gregers. So?
Hedwig. Ja, da sind große Schränke mit Büchern, und in vielen Büchern sind Bilder.
Gregers. Aha!
Hedwig. Und dann ist da eine alte Schatulle mit Schubladen und Klappen und eine große Uhr mit Figuren, die herauskommen können. Aber die Uhr geht nicht mehr.
Gregers. Die Zeit ist also stehen geblieben – da drin, bei der Wildente.
Hedwig. Ja. Und auch alte Farbenkasten sind da und dergleichen. Und die vielen Bücher.
Gregers. Und die Bücher – in denen lesen Sie wohl?
Hedwig. O ja, wenn ich kann. Aber die meisten sind englisch, und das verstehe ich nicht. Aber dann sehe ich mir die Bilder an. – Da ist ein mächtig großes Buch, das heißt »Harrysons History of London«; das ist wohl an die hundert Jahr alt; und dann sind so eine Masse Bilder drin. Vorn steht der Tod abgebildet mit einem Stundenglas, und eine Jungfrau. Das finde ich häßlich. Aber dann sind noch viele andere Bilder drin mit Kirchen und Schlössern und Straßen und großen Schiffen, die auf dem Meere segeln.
Gregers. Sagen Sie einmal, woher haben Sie all die seltenen Sachen?
Hedwig. Ach, hier hat mal ein alter Schiffskapitän gewohnt, und der hat sie mitgebracht. Sie nannten ihn »den fliegenden Holländer«. Und das ist seltsam, denn er war gar kein Holländer.
Gregers. So?
Hedwig. Nein. Aber eines Tages war er weg. Und da sind die ganzen Sachen von ihm hier zurückgeblieben.
Gregers. Nun sagen Sie mir einmal, – wenn Sie nun so da drin sitzen und sich die Bilder anschauen, bekommen Sie da nicht Lust hinauszukommen und die große, wirkliche Welt zu sehen?
Hedwig. O nein! Ich will immer hier bleiben und Vater und Mutter helfen.
Gregers. Und Photographien machen?
Hedwig. Nein, nicht das allein. Am liebsten möchte ich lernen solche Bilder zu radieren, wie da in den englischen Büchern stehen.
Gregers. Hm, – und was sagt Ihr Vater dazu?
Hedwig. Vater, glaube ich, sieht das nicht gern; denn er ist so wunderlich in solchen Dingen. Denken Sie nur, er spricht davon, ich soll das Korbflechten und Strohflechten lernen! Aber ich meine, das kann doch nichts sein.
Gregers. Das meine ich auch.
Hedwig. Aber darin hat Vater ja recht: hätte ich gelernt Körbe flechten, so könnte ich jetzt den neuen Korb für die Wildente machen.
Gregers. Ja allerdings; und Sie wären auch die Nächste dazu.
Hedwig. Ja; denn es ist meine Wildente.
Gregers. Ja, freilich.
Hedwig. Jaha, mir gehört sie. Aber Vater und Großvater kriegen sie geborgt, so oft sie wollen.
Gregers. So? Wozu brauchen die sie denn?
Hedwig. O, sie hegen sie und pflegen sie und bauen ihr was zurecht und so weiter.
Gregers. Kann mir denken; denn die Wildente ist wohl von allen das vornehmste Tier da drin.
Hedwig. Ja, das ist sie; denn sie ist doch ein wirklicher wilder Vogel. Und dann kann sie einem auch so leid tun. Sie hat keinen, an den sie sich halten kann, das arme Ding.
Gregers, Hat keine Familie wie die Kaninchen. –
Hedwig. Nein. Die Hühner haben doch auch so viele, mit denen sie zusammen Küchlein gewesen sind; aber sie ist allen den Ihren so ganz entrissen worden. Und dann hat es ja doch auch so eine eigene Bewandtnis mit der Wildente. Keiner kennt sie; und keiner weiß, woher sie stammt.
Gregers. Und dann ist sie auf dem Meeresgrund gewesen.
Hedwig sieht ihn flüchtig an, unterdrückt ein Lächeln und fragt: Warum sagen Sie Meeresgrund?
Gregers. Was sollte ich sonst sagen?
Hedwig. Sie könnten sagen: Boden des Meeres – oder Meeresboden.
Gregers. Kann ich nicht ebensogut Meeresgrund sagen?
Hedwig. Ja, aber für mich klingt es immer so seltsam, wenn andere Leute Meeresgrund sagen.
Gregers. Warum denn? Sagen Sie mir, warum?
Hedwig. Nein, ich will nicht; es ist zu dumm.
Gregers. Ach bewahre. Sagen Sie mir doch, warum Sie lächelten.
Hedwig. Weil immer, wenn ich so mit einem Mal – so ganz plötzlich – an die ganze Geschichte da drin denke, – weil es mir dann vorkommt, als hieße der ganze Raum und alles andere auch der »Meeresgrund«. – Aber das ist ja so dumm.
Gregers. Sagen Sie das nur nicht.
Hedwig. O doch; denn es ist doch bloß ein Boden.
Gregers sieht sie fest an. Sind Sie dessen so gewiß.
Hedwig erstaunt. Daß es nur ein Boden ist?
Gregers. Ja, wissen Sie das so sicher?
Hedwig schweigt und sieht ihn mit offenem Munde an. Gina kommt mit dem Tischzeug aus der Küche.
Gregers steht auf. Ich bin Ihnen gewiß zu früh gekommen?
Gina. Ach, irgendwo müssen Sie doch sein; und jetzt bin ich auch bald fertig. Räum' den Tisch ab, Hedwig.
Hedwig räumt ab; sie und Gina decken während des Folgenden. Gregers setzt sich in den Lehnstuhl und blättert in einem Album.
Gregers. Ich höre, Sie können retouchieren, Frau Ekdal.
Gina mit einem Seitenblick. Freilich kann ich das.
Gregers. Das hat sich wirklich gut getroffen.
Gina. Wieso gut?
Gregers. Weil doch Ekdal Photograph geworden ist, meine ich.
Hedwig. Mutter kann auch photographieren.
Gina. O ja, die Kunst habe ich mir auch angelernt.
Gregers. Dann führen Sie wohl das Geschäft?
Gina. Ja, wenn Ekdal selbst nicht Zeit hat, so –
Gregers. Er ist gewiß von seinem alten Vater ganz in Anspruch genommen, denke ich mir.
Gina. Ja, und dann ist es doch auch nichts für einen Mann wie Ekdal, von Kräti und Präti Poträtts zu machen.
Gregers. Das meine ich auch; aber wenn er den Weg doch nun einmal eingeschlagen hat, so –
Gina. Sie können sich doch wohl denken, Herr Werle, – Ekdal ist nicht einer von den gewöhnlichen Photographen.
Gregers. Na ja, aber trotzdem –
Auf dem Boden fällt ein Schuß.
Gregers fährt auf. Was ist denn das?!
Gina. Ujeh, da schießen sie wieder!
Gregers. Schießen sie auch?
Hedwig. Sie gehen auf die Jagd.
Gregers. Was?! An der Bodentür. Du gehst auf die Jagd, Hjalmar?
Hjalmar hinter dem Netz. Du bist da? Davon wußte ich nichts; ich war so beschäftigt – zu Hedwig: und Du sagst uns nichts! Kommt ins Atelier.
Gregers. Du gehst da auf dem Boden herum und schießt?
Hjalmar zeigt eine doppelläufige Pistole. Ach, bloß mit diesem Dings da.
Gina. Ja, Du und Großvater, – Ihr werdet schon noch mal ein Unglück mit der Pikstole da anrichten.
Hjalmar ärgerlich. Ich habe Dir doch gesagt, so eine Schußwaffe heißt eine Pistole.
Gina. Ach, das ist auch nicht viel besser, meine ich.
Gregers. Du bist also auch Jäger geworden, Hjalmar?
Hjalmar. Nur ab und zu ein bißchen Kaninchenjagd. Mehr Vater zuliebe, verstehst Du.
Gina. Die Mannsleute, die sind doch zu komisch; sie müssen immer was haben, womit sie sich dividieren.
Hjalmar ärgerlich. Jawohl, ja; wir müssen immer was haben, womit wir uns divertieren.
Gina. Na, das sage ich doch gerade.
Hjalmar. Na; hm! Zu Gregers. Und, siehst Du, es trifft sich gut, daß der Boden so liegt, daß niemand es hören kann, wenn wir schießen. Legt die Pistole auf das oberste Brett des Regals. Rühr' die Pistole nicht an, Hedwig! Der eine Lauf ist geladen; vergiß das nicht.
Gregers sieht hinein durch das Netz. Ein Jagdgewehr hast Du auch, wie ich sehe.
Hjalmar. Es ist Vaters altes Gewehr. Man kann nicht mehr damit schießen; denn am Schloß ist etwas nicht in Ordnung. Aber trotzdem ist's ganz lustig, es zu haben; denn wir können es ab und zu auseinander nehmen und es reinigen und es mit Knochenfett einschmieren und es wieder zusammensetzen –. Besonders Vater bastelt gern an so etwas herum.
Hedwig neben Gregers. Jetzt können Sie die Wildente ordentlich sehen.
Gregers. Ich sehe sie mir gerade an. Mir scheint, sie läßt den einen Flügel ein bißchen hängen.
Hjalmar. Na, das ist doch kein Wunder; sie ist ja angeschossen.
Gregers. Und dann schleppt sie den einen Fuß ein bißchen nach. Oder ist es nicht so?
Hjalmar. Vielleicht ein ganz klein wenig.
Hedwig. An dem Fuß, da hat der Hund sie gebissen.
Hjalmar. Sonst hat sie aber nicht die geringsten Fehler und Gebrechen. Und das ist ein wahres Wunder, da sie doch eine Ladung Schrot in den Balg gekriegt hat und zwischen den Zähnen eines Hundes gewesen ist –
Gregers mit einem Blick auf Hedwig. – und auf dem Meeresgrund gewesen ist – so lange.
Hedwig lächelt. Ja.
Gina schafft am Tisch Ordnung. Die ewige Wildente, die! Vor der werden so viel Kumpelmente gemacht.
Hjalmar. Hm; – ist nun bald gedeckt?
Gina. Ja, gleich. Hedwig, jetzt komm und hilf mir. Gina und Hedwig ab in die Küche.
Hjalmar halblaut. Ich meine, es hat keinen Wert, daß Du da stehst und Vatern zusiehst; er mag das nicht.
Gregers verläßt die Bodentür.
Hjalmar. Es ist das Gescheiteste, ich mache zu, ehe die andern kommen. Klatscht in die Hände. Husch – husch; wollt Ihr wohl da weg! Indem er den Vorhang hinaufzieht und die Tür zusammenschiebt. Diese Zurichtungen sind meine eigene Erfindung. Es ist wirklich recht amüsant, so etwas zu haben, woran man sich zu schaffen macht, und das man wieder in Ordnung bringt, wenn es kaput gegangen ist. Und dann, sieh mal, ist es auch sehr notwendig, weil doch Gina nicht gern Kaninchen und Hühner im Atelier drin haben will.
Gregers. Gewiß, gewiß; und Deine Frau, die besorgt hier wohl alles?
Hjalmar. Ich überlasse ihr im allgemeinen die laufenden Geschäfte; denn so kann ich inzwischen die Wohnstube aufsuchen und über Dinge nachdenken, die wichtiger sind.
Gregers. Du, was sind denn das eigentlich für Dinge, Hjalmar?
Hjalmar. Ich wundere mich, daß Du danach nicht schon längst gefragt hast. Oder hast Du etwa noch nichts von der Erfindung gehört?
Gregers. Der Erfindung? Nein.
Hjalmar. So? Wirklich nicht? Natürlich, da oben in Deinen Hochwäldern und Einöden –
Gregers. Du hast also eine Erfindung gemacht!
Hjalmar. Noch nicht ganz gemacht; aber ich bin eben dabei. Du kannst Dir doch wohl denken, daß ich mich nicht deshalb der Photographiererei geopfert habe, um etwa bloß alle möglichen Alltagsmenschen abzuporträtieren.
Gregers. Gewiß nicht; das sagte auch Deine Frau eben.
Hjalmar. Ich habe einen Schwur geleistet: wenn ich schon meine Kräfte so einem Handwerk widmete, so müßte ich es auch so heben, daß es sowohl zu einer Kunst wie zu einer Wissenschaft würde. Und so habe ich beschlossen, die merkwürdige Erfindung zu machen.
Gregers. Und worin besteht die Erfindung? Was bezweckt sie?
Hjalmar. Ja, mein Lieber, nach solchen Einzelheiten darfst Du mich noch nicht fragen. Dazu, sieh mal, gehört Zeit. Und dann darfst Du auch nicht glauben, daß es Eitelkeit ist, was mich dazu treibt. Ich arbeite wahrhaftig nicht um meinetwillen. O nein, um der Lebensaufgabe willen, die Tag und Nacht mir vorschwebt.
Gregers. Was für eine Lebensaufgabe?
Hjalmar. Vergißt Du den Greis im Silberhaar?
Gregers. Dein armer Vater; ja, aber was kannst Du denn eigentlich für ihn tun?
Hjalmar. Ich kann sein totes Selbstgefühl zu neuem Leben erwecken, indem ich den Namen Ekdal wieder zu Ehren und Ansehen bringe.
Gregers. Das also ist Deine Lebensaufgabe.
Hjalmar. Ja. Ich will den Schiffbrüchigen retten. Denn Schiffbruch hat er schon erlitten, als das Unwetter über ihn hereinbrach. Während der schrecklichen Zeit der Untersuchung, da war er schon nicht mehr er selbst. Die Pistole dort – die wir zur Kaninchenjagd gebrauchen, – Du, die hat eine Rolle gespielt in der Tragödie des Hauses Ekdal.
Gregers. Die Pistole? So?
Hjalmar. Als das Urteil gefällt war, und er eingesperrt werden sollte, – da hielt er die Pistole in der Hand –
Gregers. Wahrhaftig –?
Hjalmar. Ja; aber er hatte nicht den Mut. Er war feige. So verkommen, so ruiniert war er schon damals an seiner Seele. O, kannst Du das begreifen? Ein Offizier – ein Mann, der neun Bären geschossen hatte – der abstammte von zwei Oberstleutnants, – von einem nach dem andern natürlich –. Kannst Du das begreifen, Gregers?
Gregers. O ja, ich begreife es ganz gut.
Hjalmar. Ich nicht. Und zum zweiten Mal griff die Pistole in die Geschichte unseres Hauses ein. Als er das graue Gewand anhatte und hinter Schloß und Riegel saß, – o, das waren, glaub' mir, entsetzliche Zeiten für mich. Ich hatte die Rollgardinen an meinen beiden Fenstern heruntergelassen. Wenn ich hinausblickte, sah ich, daß die Sonne schien wie gewöhnlich. Ich konnte es nicht fassen. Ich sah die Menschen auf der Straße gehen und lachen und über die gleichgültigsten Dinge schwätzen. Ich konnte es nicht fassen. Mir war, als müßte das ganze Dasein stillstehen wie bei einer Sonnenfinsternis.
Gregers. So war auch mir ums Herz, als meine Mutter gestorben war.
Hjalmar. In einem solchen Augenblick hatte ich, Hjalmar Ekdal, die Pistole auf meine eigene Brust gerichtet.
Gregers. Auch Du wolltest –!
Hjalmar. Ja.
Gregers. Aber Du hast nicht losgedrückt?
Hjalmar. Nein. Im entscheidenden Augenblick errang ich den Sieg über mich selbst. Ich blieb leben. Aber glaube mir, es gehört Mut dazu, unter solchen Umständen das Leben zu wählen.
Gregers. Ja – wie man es nimmt.
Hjalmar. Nein, Du, – unbedingt. Aber es war das Beste so; denn nun mache ich bald meine Erfindung; und dann – das glaubt Doktor Relling wie ich – bekommt Vater die Erlaubnis, wieder seine Uniform zu tragen. Das will ich fordern als meinen einzigen Lohn.
Gregers. Also die Uniform ist es, die er –?
Hjalmar. Ja, nach ihr steht sein ganzes Sinnen und Trachten. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mir das um seinetwillen das Herz zerreißt. Immer, wenn wir ein kleines Familienfest feiern – Ginas und meinen Hochzeitstag oder was es sonst sein mag – dann erscheint der Alte hier angetan mit seiner Leutnantsuniform aus den Tagen des Glücks. Aber klopft es nur an der Flurtür, – er wagt nämlich nicht, sich vor fremden Leuten zu zeigen, weißt Du, – dann stürzt er wieder in seine Kammer, so schnell ihn seine alten Beine tragen wollen. Und siehst Du, so etwas kann einem Sohn das Herz zerbrechen.
Gregers. Und wann ungefähr denkst Du mit der Erfindung fertig zu sein?
Hjalmar. Herrgott, nach solchen Einzelheiten wie der Zeit darfst Du mich nicht fragen! Eine Erfindung, das ist eine Sache, die man selbst nicht ganz in der Hand hat. Es kommt dabei zum guten Teil auf die Inspiration an, – auf eine Eingebung, – und es ist so gut wie unmöglich, im voraus zu berechnen, wann sie eintritt.
Gregers. Aber vorwärts geht es doch wohl?
Hjalmar. Freilich geht es vorwärts. Ich mache mich jeden lieben Tag an die Erfindung; sie füllt mich ganz aus. Jeden Nachmittag, nach dem Essen, schließe ich mich in der Wohnstube ein, wo ich in Ruhe nachsinnen kann. Aber nur treiben soll man mich nicht; das nützt nämlich gar nichts; das sagt Relling auch.
Gregers. Und meinst Du nicht, daß die ganzen Geschichten da drin auf dem Boden Dich zu sehr ablenken und zerstreuen?
Hjalmar. I bewahre, im Gegenteil. Das darfst Du nicht sagen. Ich kann doch nicht immer und ewig hier denselben anstrengenden Gedanken nachhängen. Ich muß nebenher noch etwas haben, das die Wartezeit ausfüllt. Die Inspiration, die Eingebung, sieh mal, – wenn die kommen will – so kommt sie doch.
Gregers. Mein lieber Hjalmar, ich glaube fast, Du hast etwas von der Wildente an Dir.
Hjalmar. Von der Wildente? Wie meinst Du das?
Gregers. Du bist untergetaucht und hast Dich im Gras da tief unten festgebissen.
Hjalmar. Meinst Du damit vielleicht den Schuß, der, um ein Haar tödlich, meinen Vater in den Flügel getroffen hat – und mich auch?
Gregers. Nicht unmittelbar das. Ich will nicht sagen, daß Du angeschossen bist; aber Du bist in einen giftigen Sumpf geraten, Hjalmar; Du hast eine schleichende Krankheit im Körper, und dann bist Du untergegangen, um im Dunkeln zu sterben.
Hjalmar. Ich? Im Dunkeln sterben! Du, hör' mal, Gregers, solchen Schnack solltest Du wirklich lassen.
Gregers. Sei nur ruhig; ich werde Dich schon wieder auf die Beine bringen. Denn, siehst Du, ich habe nun auch eine Lebensaufgabe; seit gestern.
Hjalmar. Schön, – aber laß mich nur in Frieden. Ich kann Dir versichern: ich befinde mich – abgesehen von meiner leicht erklärlichen Melancholie natürlich – so wohl, wie ein Mensch sich es nur wünschen kann.
Gregers. Daß dies so ist, das kommt auch von dem Gift.
Hjalmar. Liebster, bester Gregers, jetzt rede mir nicht mehr von Krankheit und Gift; solche Gespräche bin ich nicht gewöhnt; in meinem Hause redet man mir niemals von unangenehmen Sachen.
Gregers. Ja, das will ich Dir gern glauben.
Hjalmar. Jawohl, denn es schadet mir nur. Und hier ist keine Sumpfluft, wie Du Dich ausdrückst. Das Haus des armen Photographen hat ein niedriges Dach – das weiß ich wohl, – und meine Verhältnisse sind beschränkt. Aber – ich bin ein Erfinder, Du, – und ich bin zugleich Familienvater. Das erhebt mich über die engen Verhältnisse. – Ah, da ist das Frühstück!
Gina und Hedwig bringen Bierflaschen, Branntweinkaraffe, Gläser und anderes Zubehör. Zugleich erscheinen Relling und Molvik vom Flur her; beide sind ohne Hut und Überrock; Molvik ist schwarz gekleidet.
Gina stellt die Sachen auf den Tisch. Na, die beiden sind pünktlich da.
Relling. Molvik hat sich eingebildet, er wittere Heringssalat, und da war er nicht zu halten. – Nochmals guten Morgen, Ekdal.
Hjalmar. Gregers, darf ich Dir Herrn Kandidaten Molvik vorstellen; Doktor –, ach, Relling, den kennst Du ja.
Gregers. Ja, ganz flüchtig.
Relling. Ah, Herr Werle junior. Ja, wir beiden haben uns da oben auf dem Höjdalswerk in den Haaren gelegen. Sie sind wohl eben eingezogen?
Gregers. Ich bin heute früh eingezogen.
Relling. Und unter Ihnen wohnen Molvik und ich; Sie haben also nicht weit zum Doktor und zum Pastor, wenn Sie einen brauchen sollten.
Gregers. Danke sehr. Das wäre schon möglich, denn gestern waren wir dreizehn bei Tisch.
Hjalmar. Ach, so komm doch nicht wieder auf die ungemütliche Geschichte.
Relling. Das braucht Dich nicht anzufechten, Ekdal; denn Dich trifft es weiß Gott nicht.
Hjalmar. Das will ich auch hoffen im Interesse meiner Familie. Aber nun wollen wir uns setzen und essen und trinken und fröhlich sein.
Gregers. Wollen wir nicht auf Deinen Vater warten?
Hjalmar. Nein, er will sein Essen später auf seine Stube haben. Also bitte!
Die Herren setzen sich an den Frühstückstisch, essen und trinken. Gina und Hedwig kommen und gehen und bedienen.
Relling. Gestern hatte Molvik einen schönen Zustand, Frau Ekdal.
Gina. So? Schon wieder?
Relling. Haben Sie ihn nicht gehört, wie ich nachts mit ihm nach Hause gekommen bin?
Gina. Nein, daß ich nicht wüßte.
Relling. Das war gut; denn Molvik ist eklig gewesen.
Gina. Ist das wahr, Molvik?
Molvig. Machen wir einen Strich durch die Ereignisse dieser Nacht. So etwas hängt ja nicht von meinem besseren Ich ab.
Relling zu Gregers. Es kommt über ihn wie eine Eingebung, und dann muß ich mit ihm hinaus auf den Bummel. Denn, sehen Sie, unser Molvik ist dämonisch.
Gregers. Dämonisch?
Relling. Molvik ist dämonisch, jawohl.
Gregers. Hm.
Relling. Und dämonische Naturen sind nicht dazu gemacht, auf ihren Beinen gerade durch die Welt zu gehen; sie müssen dann und wann auf Abwege. – Na, und Sie halten es noch immer aus da oben auf dem scheußlichen rußigen Werk?
Gregers. Bis jetzt habe ich es ausgehalten.
Relling. Und haben Sie inzwischen die Forderung einkassieren können, mit der Sie herumgezogen sind?
Gregers. Forderung? Versteht ihn. Ach so.
Hjalmar. Du hast Forderungen einkassiert, Gregers?
Gregers. Ach, Unsinn.
Relling. I freilich hat er das; er ist von einer Häuslerhütte zur andern gegangen und hat etwas präsentiert, das er »die ideale Forderung« nannte.
Gregers. Ich war damals noch jung.
Relling. Da haben Sie recht; Sie waren sehr jung. Und die ideale Forderung, – die ist Ihnen nie honoriert worden, so lange ich da war.
Gregers. Nachher auch nicht.
Relling. Na, und da sind – denke ich mir – Sie wohl so gescheit geworden, von dem Betrag ein bißchen abzulassen.
Gregers. Nie, wenn ich vor einem echten, wahren Menschen stehe.
Hjalmar. Das finde ich auch ganz vernünftig. – Etwas Butter, Gina.
Relling. Und auch ein Stück Speck für Molvik.
Molvig. Äh! keinen Speck!
Es klopft an der Bodentür.
Hjalmar. Mach' auf, Hedwig; Vater will heraus.
Hedwig geht und öffnet ein Stückchen; der alte Ekdal kommt herein mit einem frischen Kaninchenfell; sie schließt wieder hinter ihm.
Ekdal. Guten Morgen, meine Herren! Habe heut 'ne gute Jagd gehabt. Habe eins von den großen geschossen.
Hjalmar. Und Du hast es abgezogen, ehe ich gekommen bin –!
Ekdal. Hab's auch gesalzen. Es ist gutes, mürbes Fleisch, das Kaninchenfleisch; und süß ist es auch; schmeckt wie Zucker. Mahlzeit, meine Herren! Ab in sein Zimmer.
Molvig steht auf. Entschuldigen Sie –; ich kann nicht –; ich muß hinunter so rasch wie möglich –
Relling. Trink Sodawasser, Mensch!
Molvig beeilt sich. Äh – äh! Durch die Flurtür ab.
Relling zu Hjalmar. Wir wollen ein Glas Schnaps leeren auf das Wohl des alten Weidmanns.
Hjalmar stößt mit ihm an. Auf den Sportsman am Rand des Grabes – ja!
Relling. Auf den Greis im – trinkt. Ja, sag' mal, – ist das Haar, das er hat, eigentlich grau oder weiß?
Hjalmar. Es ist wohl so mittel; übrigens hat er gar nicht mehr so viel Haare auf dem Kopf.
Relling. Na, mit falschen Haaren kommt man auch durch die Welt. Du, Ekdal, – ja, Du bist im Grunde doch ein glücklicher Mann; Du hast Deine schöne Lebensaufgabe, für die Du streben kannst –
Hjalmar. Und ich strebe auch, – das kannst Du glauben.
Relling. Und dann hast Du Dein flinkes Weib, das so mollig in seinen Filzschuhen aus und ein schlorrt und sich in den Hüften schaukelt und Dich so hegt und bemuttert.
Hjalmar. Ja, Gina, – nickt ihr zu – Du bist eine tapfere Gefährtin auf meinem Lebenswege – das bist Du.
Gina. Ach, sitzt nicht da und ressensiert über mich.
Relling. Und dann – Du, Ekdal, Deine Hedwig!
Hjalmar bewegt. Das Kind, ja! Das Kind in erster Reihe. Hedwig, komm mal her. Streichelt ihr Haar. Was ist morgen für ein Tag, Du?
Hedwig zupft ihn am Rock. Ach nein, Vater, Du sollst nichts sagen.
Hjalmar. Als führe mir ein Messer durchs Herz, so ist mir bei dem Gedanken, daß es so wenig sein wird; bloß eine kleine festliche Veranstaltung drin auf dem Boden –
Hedwig. Aber das ist ja doch gerade himmlisch!
Relling. Nur Geduld, Hedwig, bis die merkwürdige Erfindung ans Licht tritt!
Hjalmar. Ja dann – dann sollst Du sehen –! Hedwig, ich bin entschlossen, Deine Zukunft sicher zu stellen. Du sollst es gut haben, so lange Du lebst. Ich will etwas für Dich verlangen, – irgend etwas. Das soll der einzige Lohn des armen Erfinders sein.
Hedwig schlingt den Arm um seinen Hals und flüstert ihm zu: O Du lieber, lieber Vater!
Relling zu Gregers. Na, meinen Sie nicht auch, daß es eine ganz nette Sache ist, zur Abwechselung einmal an einem gut besetzten Tisch zu sitzen im Kreise einer glücklichen Familie?
Hjalmar. Ja, diese Stunden bei Tisch, die weiß ich wirklich sehr zu schätzen.
Gregers. Ich für mein Teil fühle mich nicht wohl in Sumpfluft.
Relling. Sumpfluft?
Hjalmar. Ach Du, komm doch nicht wieder mit dem Gerede.
Gina. Hier ist, weiß Gott, kein Sumpfgeruch, Herr Werle, denn hier wird jeden lieben Tag gelüftet.
Gregers steht vom Tische auf. Den Gestank, den ich meine, kriegen Sie sicher nicht durch Lüften heraus.
Hjalmar. Gestank!
Gina. Was sagst Du dazu, Ekdal!
Relling. Pardon, – aber sind Sie es am Ende nicht selbst, der den Gestank mit von den Gruben herunter bringt?
Gregers. Es sähe Ihnen ähnlich, das Gestank zu nennen, was ich hier ins Haus bringe.
Relling nähert sich ihm. Hören Sie, Herr Werle junior, ich habe Sie stark im Verdacht, daß Sie »die ideale Forderung« noch immer unverkürzt hinten in Ihrer Rocktasche herumtragen.
Gregers. In der Brust trage ich sie.
Relling. Tragen Sie sie zum Donnerwetter, wo Sie wollen, – aber ich möchte Ihnen nicht geraten haben, hier den Einkassierer zu spielen, so lange ich da bin.
Gregers. Und wenn ich es nun doch tue?
Relling. Dann fliegen Sie kopfüber die Treppe hinunter, verstehen Sie mich!
Hjalmar steht auf. Aber Relling!
Gregers. Ja, werfen Sie mich nur hinaus –
Gina tritt zwischen sie. Da haben Sie kein Recht zu, Relling. Aber ich muß Ihnen doch sagen, Herr Werle: wer, wie Sie, die Schweinerei in dem Ofen gemacht hat, der sollte nicht in meine Stube kommen und von Gestank schwätzen.
Hedwig. Mutter, es klopft.
Hjalmar. So, – nun haben wir auch noch die Rennerei!
Gina. Laß mich nur –. Geht, öffnet die Tür, stutzt, fährt zusammen und prallt zurück. O! Jeh doch!
Der alte Werle, im Pelz, tritt einen Schritt vor.
Werle. Bitte um Entschuldigung, – aber mein Sohn soll hier im Hause wohnen.
Hjalmar geht näher. Wollen Sie nicht so freundlich sein, Herr Werle –?
Werle. Danke sehr; ich wünsche nur meinen Sohn zu sprechen.
Gregers. Ja, was gibt's denn? Da bin ich.
Werle. Ich wünsche Dich auf Deinem Zimmer zu sprechen.
Gregers. Auf meinem Zimmer – na – Will gehen.
Gina. Da sieht's doch weiß Gott nicht so aus, daß –
Werle. Nun also, dann draußen auf dem Flur; ich wünsche ein Gespräch unter vier Äugen.
Hjalmar. Das können Sie hier haben, Herr Werle. Komm in die Wohnstube, Relling.
Hjalmar und Relling rechts ab; Gina nimmt Hedwig mit in die Küche.
Gregers nach kurzer Pause. Ja, da wären wir also unter vier Augen.
Werle. Du hast gestern abend einige Äußerungen fallen lassen –. Und da Du Dich jetzt bei Ekdals eingemietet hast, so muß ich fast vermuten, Du führst irgend etwas gegen mich im Schilde.
Gregers. Ich will Hjalmar Ekdal die Augen öffnen – das führe ich im Schilde. Er soll seine Lage sehen, so wie sie ist; – das ist alles.
Werle. Ist das die Lebensaufgabe, von der Du gestern gesprochen hast?
Gregers. Ja. Eine andere hast Du mir nicht gelassen.
Werle. Ich bin es also, der Dein Inneres verpfuscht hat, Gregers.
Gregers. Mein ganzes Leben hast Du verpfuscht. Ich denke nicht an alle die Geschichten mit Mutter –. Aber Dir verdanke ich's, daß ich unter den Qualen eines schuldbeladenen Gewissens seufze.
Werle. Ah! Mit dem Gewissen also ist es bös bestellt.
Gregers. Ich hätte gegen Dich auftreten sollen, damals, als dem Leutnant Ekdal Schlingen gelegt wurden. Ich hätte ihn warnen sollen; denn ich ahnte wohl, wohin es führen würde.
Werle. Ja, dann hättest Du allerdings reden müssen.
Gregers. Ich hatte nicht den Mut dazu; so feige und verschüchtert war ich. Ich hatte eine namenlose Angst vor Dir – damals und auch noch lange nachher.
Werle. Es scheint, die Angst ist jetzt überwunden.
Gregers. Ja, glücklicherweise. Was am alten Ekdal gesündigt worden ist, durch mich und durch – andere, das kann nie wieder gut gemacht werden; aber Hjalmar, den kann ich noch aus den Fesseln der Lüge und der Täuschung lösen, die ihn an den Rand des Abgrunds gebracht haben.
Werle. Meinst Du, damit eine gute Tat zu tun?
Gregers. Davon bin ich fest durchdrungen.
Werle. Du meinst wohl, daß dieser Ekdal der Mann ist, der Dir für einen solchen Freundschaftsdienst danken würde?
Gregers. Ja! Der Mann ist er.
Werle. Hm, – wir werden ja sehen.
Gregers. Und außerdem – wenn ich weiter leben soll, so muß ich Genesung für mein krankes Gewissen suchen.
Werle. Das wird nicht wieder. Dein Gewissen ist von Deiner Kinderzeit an krank gewesen. Das ist ein Erbteil Deiner Mutter, Gregers; – das einzige Erbe, daß sie Dir hinterlassen hat.
Gregers halblächelnd, mit einem Anflug von Hohn. Hast Du noch immer nicht den Tort verschmerzt, daß Du sie für vermögend hieltst und Dich darin verrechnet hast?
Werle. Laß uns nicht auf Dinge kommen, die nicht hierher gehören. – Du beharrst also fest auf Deinem Vorsatz, Ekdal auf die Spur zu bringen, die Du für die rechte hältst?
Gregers. Ja, auf diesem Vorsatz beharre ich fest.
Werle. Nun, dann hätte ich mir ja den Gang hier herauf ersparen können. Denn unter solchen Umständen hat es wohl keinen Zweck, Dich zu fragen, ob Du wieder zu mir nach Hause kommen willst?
Gregers. Nein.
Werle. Und in die Firma trittst Du auch nicht ein?
Gregers. Nein.
Werle. Gut. Da ich nun aber beabsichtige, eine neue Ehe einzugehen, so muß das Vermögen zwischen uns geteilt werden.
Gregers hastig. Nein, das wünsche ich nicht.
Werle. Du wünschst es nicht?
Gregers. Nein, ich darf es nicht um meines Gewissens willen.
Werle nach kurzer Pause. Gehst Du wieder hinauf aufs Werk?
Gregers. Nein; ich betrachte mich als ausgetreten aus Deinen Diensten.
Werle. Aber was willst Du denn anfangen?
Gregers. Nur meine Lebensaufgabe lösen – weiter nichts.
Werle. Hm, und dann? Wovon willst Du denn leben?
Gregers. Ich habe mir etwas erspart von meinem Gehalt.
Werle. Ja, wie lange wird das vorhalten!
Gregers. Ich denke, es hält so lange vor wie mein Leben.
Werle. Was soll das heißen?
Gregers. Jetzt gebe ich keine Antwort mehr.
Werle. Lebwohl denn, Gregers.
Gregers. Lebwohl.
Werle ab.
Hjalmar guckt ins Zimmer. Er ist doch weg?
Gregers. Ja.
Hjalmar und Relling treten ein. Gina und Hedwig kommen ebenfalls aus der Küche.
Relling. Das Frühstück, das wäre also in die Brüche gegangen.
Gregers. Zieh Dich an, Hjalmar; Du mußt einen langen Spaziergang mit mir machen.
Hjalmar. Ja, recht gern. Was wollte Dein Vater denn von Dir? Betraf es meine Person?
Gregers. Komm nur. Wir haben miteinander zu reden. Ich gehe nur hinunter und ziehe meinen Paletot an. Ab durch die Flurtür.
Gina. Du solltest nicht mit ihm gehen, Ekdal.
Relling. Nein, tu's nicht; bleib zu Hause.
Hjalmar nimmt Hut und Überzieher. Was soll denn das! Wenn ein Jugendfreund das Bedürfnis fühlt, mir sein Herz unter vier Augen auszuschütten –!
Relling. Aber Himmeldonnerwetter, – siehst Du denn nicht, daß der Kerl verdreht, verrückt, übergeschnappt ist!
Gina. Da kannst Du's hören. Seine Mutter hatte auch manchmal solche physische Raptusse.
Hjalmar. Desto nötiger hat er das wachsame Auge eines Freundes. Zu Gina. Daß mir das Mittagessen nur ja pünktlich fertig ist. Adieu inzwischen. Ab durch die Flurtür.
Relling. Es ist doch wahrhaftig ein Unglück, daß der Mensch nicht in einer von den Höjdalsgruben zum Teufel gegangen ist!
Gina. Jesses, – warum meinen Sie das!
Relling brummt. Na ja – ich mache mir so meine Gedanken.
Gina. Meinen Sie wirklich, der junge Werle ist verrückt?
Relling. Leider nein; er ist nicht verrückter als die Menschen im allgemeinen. Aber eine Krankheit steckt sicher in ihm.
Gina. Was fehlt ihm denn?
Relling. Ja, das will ich Ihnen sagen, Frau Ekdal. Er leidet an einem akuten Rechtschaffenheitsfieber.
Gina. Rechtschaffenheitsfieber?
Hedwig. Ist das eine Art Krankheit?
Relling. O ja; es ist eine Nationalkrankheit; aber sie tritt nur sporadisch auf. Nickt Gina zu. Schönen Dank für das Frühstück! Ab durch die Flurtür.
Gina geht unruhig umher. Ujeh, – dieser Gregers, – das ist immer ein ekliger Hering gewesen.
Hedwig steht am Tisch und sieht sie forschend an. Das kommt mir alles so seltsam vor.