Henrik Ibsen
Die Stützen der Gesellschaft
Henrik Ibsen

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Zweiter Akt

Das Gartenzimmer im Bernickschen Hause.

Frau Bernick sitzt allein am Nähtisch bei ihrer Arbeit. Gleich darauf kommt Bernick, den Hut auf, mit Stock und Handschuhen, von rechts herein.

Frau Bernick. Du kommst schon nach Hause, Karsten?

Bernick. Ja. Ich habe jemand herbestellt.

Frau Bernick mit einem Seufzer. Ach ja! Vermutlich kommt Johann wieder.

Bernick. Jemand, sage ich. Nimmt den Hut ab. Wo sind denn heut die Damen alle?

Frau Bernick. Frau Rummel und Hilda hatten keine Zeit.

Bernick. So? Haben sie abgesagt?

Frau Bernick. Ja! Sie hätten zu Haus so viel zu tun.

Bernick. Versteht sich. Und die andern kommen natürlich auch nicht?

Frau Bernick. Nein; die haben auch heut eine Abhaltung.

Bernick. Das hätt' ich Dir vorhersagen können. Wo ist Olaf?

Frau Bernick. Ich habe ihn mit Dina ein bißchen an die Luft geschickt.

Bernick. Hm; Dina, die leichtsinnige Person –. Daß sie sich gestern gleich so viel mit Johann abgeben mußte –!

Frau Bernick. Aber, lieber Karsten, Dina weiß ja gar nicht –

Bernick. Na, dann hätte wenigstens Johann so viel Takt haben sollen, sie zu ignorieren. Ich habe recht gut gesehen, was für Augen Vigeland dazu machte.

Frau Bernick legt das Nähzeug in den Schoß. Karsten, kannst Du verstehen, was sie hier wollen?

Bernick. Hm; er hat ja eine Farm drüben, mit der es wohl nicht sonderlich gut bestellt ist; Lona spielte ja gestern darauf an, daß sie zweite Kajüte reisen mußten –

Frau Bernick. Ja, leider muß es wohl so etwas sein! – Aber daß sie mitgekommen ist! Sie! Nach der tödlichen Kränkung, die sie Dir zugefügt hat –!

Bernick. So denk doch nicht an diese alten Geschichten!

Frau Bernick. Wie kann ich unter diesen Umständen an andres denken? Er ist ja doch mein Bruder; – ja, es ist nicht seinetwegen; aber die vielen Unannehmlichkeiten, die Dir das verursachen würde – Karsten, mir ist so entsetzlich bange, daß –

Bernick. Wovor ist Dir bange?

Frau Bernick. Können sie ihn nicht fassen und einstecken wegen des Geldes, das Deiner Mutter entwendet wurde?

Bernick. Unsinn! Wer kann beweisen, daß Geld entwendet worden ist?

Frau Bernick. Ach Gott, das weiß ja leider die ganze Stadt; und Du hast doch selbst gesagt –

Bernick. Nichts habe ich gesagt. Die Stadt, was weiß die von der Sache! Alles war haltloses Gerede.

Frau Bernick. Wie hochherzig Du bist, Karsten!

Bernick. Verschone mich mit diesen Erinnerungen, sage ich! Du weißt nicht, wie Du mich peinigst, wenn Du alle diese Dinge wieder aufwärmst. Er geht im Zimmer auf und ab; darauf schleudert er den Stock fort. Daß sie auch gerade jetzt kommen mußten, – jetzt, wo ich in der Stadt wie in der Presse eine durch nichts getrübte Stimmung brauche! Da wird man Korrespondenzen an die Zeitungen der Nachbarstädte schicken. Nehme ich die beiden gut oder nehme ich sie schlecht auf, – das eine wird so gut diskutiert und bekrittelt werden wie das andere. Da werden die Leute diese ganze alte Sache aufrühren – genau so wie Du. In einer Gesellschaft wie der unsrigen –. Er wirft die Handschuhe auf den Tisch. Und nicht einen Menschen habe ich, mit dem ich mich aussprechen könnte, an dem ich eine Stütze hätte.

Frau Bernick. Gar keinen, Karsten?

Bernick. Nein, wer sollte das sein? – Sie gerade jetzt auf dem Hals zu haben! Es ist gar kein Zweifel, daß sie auf eine oder die andere Art Skandal machen, besonders Lona. Ist es nicht ein Unglück, solche Menschen in seiner Familie zu haben!

Frau Bernick. Ich kann doch nichts dafür, daß –

Bernick. Wofür kannst Du nichts? Daß Du mit ihnen verwandt bist? Nein, das ist ein sehr wahres Wort.

Frau Bernick. Und ich habe sie auch nicht gebeten, zurückzukommen.

Bernick. Siehst Du, da haben wir's! Ich habe sie nicht gebeten zurückzukommen; ich habe nicht deswegen an sie geschrieben; ich habe sie nicht an den Haaren herbeigezogen. O, die Litanei, die kann ich schon auswendig!

Frau Bernick bricht in Tränen aus. Du bist aber auch so lieblos –

Bernick. So ist's recht! Weine nur noch, damit die Stadt auch darüber klatschen kann! Laß die Albernheiten, Betty! Setz' Dich draußen hin; es könnte jemand kommen. Soll man vielleicht die Madam mit verweinten Augen sehen? Das wäre herrlich, wenn es unter die Leute käme, daß –. Es klopft. Herein!

Frau Bernick geht mit ihrem Nähzeug auf die Terrasse. Aune kommt von rechts.

Aune. Guten Tag, Herr Konsul.

Bernick. Guten Tag. Na, Sie ahnen wohl schon, was ich von Ihnen will?

Aune. Der Herr Prokurist sprach gestern davon, daß Sie nicht zufrieden sind mit –

Bernick. Ich bin mit der ganzen Wirtschaft auf der Werft unzufrieden, Aune. Sie kommen ja nicht vorwärts mit den Havaristen. Der »Palmbaum« hätte schon längst unter Segel sein sollen. Herr Vigeland kommt jeden Tag her und drängt mich; den Mann zum Mitreeder zu haben, das ist kein Vergnügen.

Aune. Der »Palmbaum« kann übermorgen in See gehen.

Bernick. Na, endlich. Aber »Indian Girl«, – der Amerikaner, der seit fünf Wochen hier liegt und –

Aune. Der Amerikaner? Ich habe gemeint, wir sollten zuerst mit allen Kräften an Ihrem eigenen Schiff arbeiten.

Bernick. Ich habe Ihnen keine Veranlassung gegeben, das zu glauben; auch mit dem Amerikaner hätten Sie sich möglichst beeilen sollen; aber das geschieht nicht.

Aune. Der Boden der Schute ist durch und durch morsch, Herr Konsul. Je mehr wir daran flicken, desto schlimmer wird es.

Bernick. Nicht das ist die Ursache. Krap hat mir die ganze Wahrheit gesagt. Sie verstehen nicht mit den neuen Maschinen zu arbeiten, die ich angeschafft habe, – oder richtiger, Sie wollen nicht damit arbeiten.

Aune. Herr Konsul, ich bin nun schon hoch in den Fünfzigern und bin die alte Arbeitsweise von Kindheit an gewöhnt –

Bernick. Die nützt uns heutzutage nichts mehr. Glauben Sie nur nicht, Aune, es wäre mir um den Gewinn zu tun; das habe ich glücklicherweise nicht nötig. Aber ich habe Rücksicht zu nehmen auf die Gesellschaft, in der ich lebe, und auf das Geschäft, dem ich vorstehe. Von mir muß der Fortschritt kommen, oder er kommt gar nicht.

Aune. Ich will auch den Fortschritt, Herr Konsul.

Bernick. Ja, für Ihren engen Kreis, den Arbeiterstand. O, ich weiß recht gut um Ihre Agitationen. Sie halten Reden; Sie wiegeln die Leute auf; aber wenn sich ein handgreiflicher Fortschritt darbietet, wie jetzt mit unsern Maschinen, dann wollen Sie nicht mitgehen, dann wird Ihnen angst.

Aune. Ja, mir wird wirklich angst, Herr Konsul. Mir wird angst um der vielen willen, denen die Maschinen das Brot wegnehmen. Herr Konsul, Sie sprechen so oft davon, daß man Rücksicht auf die Gesellschaft nehmen müßte; aber die Gesellschaft, denke ich, hat doch wohl auch ihre Pflichten. Wie dürfen die Wissenschaft und das Kapital die neuen Erfindungen einführen, ehe die Gesellschaft ein Geschlecht herangebildet hat, das den Erfindungen gewachsen ist?

Bernick. Sie lesen und grübeln zu viel, Aune; daran tun Sie nicht gut; das eben macht Sie unzufrieden mit Ihrer Lage.

Aune. Das ist es nicht, Herr Konsul; aber ich kann es nicht ertragen, einen braven Arbeiter nach dem andern verabschiedet zu sehen und wegen dieser Maschinen brotlos gemacht.

Bernick. Hm, wie die Buchdruckerkunst erfunden wurde, da wurden viele Schreiber brotlos.

Aune. Und würden Sie, Herr Konsul, über diese Kunst so froh gewesen sein, wenn Sie damals Schreiber gewesen wären?

Bernick. Ich habe Sie nicht herbestellt, um zu disputieren. Ich habe Sie rufen lassen, um Ihnen zu sagen, daß unser Havarist »Indian Girl« bis übermorgen repariert und seetüchtig sein muß.

Aune. Aber, Herr Konsul –

Bernick. Übermorgen, hören Sie! Zu gleicher Zeit mit unserm eignen Schiff; nicht eine Stunde später! Ich habe meine guten Gründe, die Sache zu beschleunigen. Haben Sie heut morgen die Zeitung gelesen? Na, dann wissen Sie auch, daß die Amerikaner wieder Unfug getrieben haben. Dies ruchlose Pack kehrt ja in der Stadt das Unterste zu oberst. Keine Nacht vergeht ohne Schlägereien in den Wirtshäusern und auf den Straßen, von allen andern Widerwärtigkeiten gar nicht zu reden.

Aune. Das ist wahr, es sind arge Leute.

Bernick. Und wem wird das Unwesen in die Schuhe geschoben? Mir! Ja, über mich geht's her. Diese Zeitungsschreiber schmähen in verblümter Weise, wir konzentrierten die ganze Arbeitskraft auf den »Palmbaum«. Ich, der ich die Aufgabe habe, durch die Macht des Beispiels auf meine Mitbürger zu wirken, muß mir dergleichen unter die Nase reiben lassen. Das ertrage ich nicht. Ich lasse mir's nicht gefallen, daß mein Name derart besudelt wird.

Aune. O, der Name des Herrn Konsul ist so gut, daß er dies und noch mehr aushalten kann.

Bernick. Nicht jetzt. Gerade in diesem Augenblick brauche ich mehr denn je die ganze Achtung und das ganze Wohlwollen, das meine Mitbürger für mich haben. Ich habe, wie Sie vielleicht gehört haben, ein großes Unternehmen vor; gelingt es aber diesen böswilligen Menschen, das unbedingte Vertrauen in meine Person zu erschüttern, so können mir daraus die größten Schwierigkeiten erwachsen. Darum will ich um jeden Preis den boshaften und verleumderischen Zeitungsschreibereien aus dem Wege gehen, und darum hab' ich den Termin auf übermorgen festgesetzt.

Aune. Herr Konsul, Sie könnten ebensogut den Termin auf heut nachmittag festsetzen.

Bernick. Sie meinen, ich verlange Unmögliches?

Aune. Mit dem Stamm von Arbeitern, den wir jetzt haben –

Bernick. Gut, gut, – so müssen wir uns anderweitig umsehen.

Aune. Wollen Sie wirklich noch mehr von unsern alten Arbeitern entlassen?

Bernick. Nein, das ist nicht meine Absicht.

Aune. Es würde auch meines Erachtens böses Blut machen, wenn Sie das täten, in der Stadt – wie in den Zeitungen.

Bernick. Wohl möglich; darum sehe ich auch davon ab. Doch wenn »Indian Girl« übermorgen nicht klar ist, so entlasse ich Sie.

Aune mit einem Ruck. Mich? Er lacht. Jetzt scherzen Sie, Herr Konsul.

Bernick. Darauf bauen Sie lieber nicht.

Aune. Sie könnten die Absicht haben, mich zu entlassen? Mich, dessen Vater und Großvater schon ihr Lebelang auf der Werft gedient haben wie ich selbst –

Bernick. Wer zwingt mich denn dazu?

Aune. Sie verlangen Unmögliches, Herr Konsul.

Bernick. I, bei etwas gutem Willen ist nichts unmöglich. Ja oder nein? Antworten Sie mir bestimmt, oder Sie haben Ihre Entlassung auf der Stelle.

Aune einen Schritt näher. Herr Konsul, haben Sie sich's auch recht überlegt, was es heißt, einem alten Arbeiter den Abschied zu geben? Sie meinen, er soll sich nur nach etwas anderem umsehen? O ja, das kann er wohl! Aber ist es damit getan? Sie sollten nur einmal im Hause solch eines entlassenen Arbeiters zugegen sein den Abend, wenn er heimkommt und sein Handwerkszeug an die Wand stellt.

Bernick. Glauben Sie, ich entlasse Sie leichten Herzens? War ich Ihnen nicht stets ein wohlwollender Arbeitgeber?

Aune. Um so schlimmer, Herr Konsul. Gerade darum werden sie bei mir zu Hause nicht Ihnen die Schuld geben; sagen werden die mir nichts, – denn das wagen sie nicht; aber sie werden mich ansehen, wenn ich's nicht merke, und denken: das wird wohl verdient sein. Sehen Sie, das – das kann ich nicht ertragen! Bin ich auch ein geringer Mann, so war ich doch stets gewohnt, unter den Meinen als der Erste zu gelten. Mein dürftiges Heim ist auch eine Gesellschaft im kleinen, Herr Konsul. Diese kleine Gesellschaft habe ich stützen können und aufrecht erhalten, weil mein Weib an mich glaubte und weil meine Kinder an mich glaubten. Und nun soll das Ganze zusammenbrechen.

Bernick. Ja, wenn es nun einmal nicht anders sein kann, so muß das Kleinere dem Größeren Platz machen; das Einzelne muß in Gottes Namen dem Allgemeinen geopfert werden. Das ist alles, was ich Ihnen zu antworten habe, – so geht's nun einmal in dieser Welt. Aber Sie sind ein halsstarriger Mann, Aune. Sie leisten mir Widerstand, nicht weil Sie nicht anders können, sondern weil Sie nicht die Überlegenheit der Maschinen über die Handarbeit zugeben wollen.

Aune. Und Sie sind so hartnäckig, Herr Konsul, weil Sie wissen, daß Sie der Presse wenigstens Ihren guten Willen gezeigt haben, wenn Sie mich wegjagen.

Bernick. Und wenn dem nun so wäre? Sie hören ja, um was es sich für mich handelt, – entweder die Presse auf dem Hals zu haben oder sie günstig für mich zu stimmen in einem Augenblick, da ich für eine große Sache im Interesse des Gemeinwohls arbeite. Sagen Sie selbst! Kann ich denn anders handeln? Ich kann Ihnen sagen – die Frage ist: entweder das zu erhalten, was Sie Ihr Heim nennen, oder Hunderte von neuen Heimstätten unmöglich zu machen, die nie gegründet werden können, auf denen nie ein Schornstein rauchen wird, wenn es mir mißlingt, das durchzusetzen, was ich jetzt vorhabe. Das ist der Grund, weshalb ich Sie vor die Wahl gestellt habe.

Aune. Ja, wenn das so ist, dann habe ich weiter nichts zu sagen.

Bernick. Hm, – mein lieber Aune, es tut mir aufrichtig leid, daß wir uns trennen müssen.

Aune. Wir trennen uns nicht, Herr Konsul.

Bernick. Wie?

Aune. Ein simpler Mann hat auch etwas aufrecht zu erhalten hier in der Welt.

Bernick. Jawohl, jawohl; – und glauben Sie also, versprechen zu können –?

Aune. »Indian Girl« kann übermorgen auslaufen. Er grüßt und geht rechts ab.

Bernick. Aha! Dem Burschen hätt' ich die Starrköpfigkeit ausgetrieben. Ich nehme es als ein gutes Zeichen –

Hilmar Tönnesen, die Zigarre im Mund, kommt durch das Gartentor

Hilmar auf der Treppe. Guten Tag, Betty! Guten Tag, Bernick!

Frau Bernick. Guten Tag.

Hilmar. Na, Du hast ja geweint, wie ich sehe. Du weißt es also?

Frau Bernick. Was soll ich wissen?

Hilmar. Daß der Skandal in vollem Gange ist. Uh!

Bernick. Was soll das heißen?

Hilmar kommt herein. Na, die beiden Amerikaner gehen in den Straßen umher und zeigen sich in Begleitung von Dina Dorf.

Frau Bernick folgt ihm auf dem Fuße. Aber Hilmar, – das ist wohl nicht möglich –

Hilmar. Leider ja. Es ist die reine Wahrheit. Lona war sogar taktlos genug, mir nachzurufen; aber ich habe natürlich getan, als hörte ich es nicht.

Bernick. Und das alles ist wahrscheinlich nicht unbemerkt geblieben?

Hilmar. Nein, das kannst Du Dir doch denken. Die Leute blieben stehen und sahen ihnen nach. Es war, als ob ein Lauffeuer durch die Stadt ginge, – ungefähr wie ein Brand auf den westlichen Prärien. In allen Häusern standen Menschen an den Fenstern und warteten, bis der Zug vorbeikäme; Kopf an Kopf hinter den Gardinen – uh! Du mußt entschuldigen, Betty, ich sage uh, denn die Geschichte macht mich nervös; – geht das so weiter, dann sehe ich mich genötigt, eine längere Reise in Erwägung zu ziehen.

Frau Bernick. Aber Du hättest doch mit ihm reden und ihm vorstellen sollen –

Hilmar. Auf offener Straße? Nein, – da mußt Du schon entschuldigen. Daß aber dieser Mensch es überhaupt wagt, sich auf der Straße zu zeigen! Na, wir wollen sehen, ob ihm die Presse nicht einen Dämpfer aufsetzt. Entschuldige, Betty, aber –

Bernick. Die Presse, sagst Du? Hast Du Andeutungen in der Richtung gehört?

Hilmar. Je nun, es ist nicht so ganz ohne. Als ich Euch gestern verließ, da ging ich noch ein bißchen in den Klub hinauf meines Leidens wegen. Ich merkte gleich an der Stille, die eintrat, daß die beiden Amerikaner auf dem Tapet gewesen waren. Da kommt der Redakteur Hammer, dieser unverschämte Kerl, herein und gratuliert mir ganz laut zur Rückkehr meines reichen Vetters.

Bernick. Reichen–?

Hilmar. Ja, so hat er sich ausgedrückt. Ich maß ihn natürlich mit dem Blick, wie er's verdiente, und gab ihm zu verstehen, daß mir von Johann Tönnesens Reichtum nichts bekannt sei. »So?« sagte er, »das ist doch sonderbar. In Amerika pflegt man es doch zu etwas zu bringen, wenn man mit etwas Kapital anfängt, und Ihr Vetter ist ja nicht mit leeren Händen hinübergegangen.«

Bernick. Hm, tu mir den einzigen Gefallen –

Frau Bernick bekümmert. Da siehst Du, Karsten –

Hilmar. Na, jedenfalls hatte ich dieses Menschen wegen eine schlaflose Nacht. Und da spaziert er noch in den Straßen mit einem Gesicht, als wenn gar nichts mit ihm los wäre. Warum ist er nicht für alle Zeit verduftet! Es ist doch kaum zu glauben, was manche Menschen für ein zähes Leben haben.

Frau Bernick. Gott, Hilmar, was sagst Du da!

Hilmar. Ach, ich sage gar nichts. Aber da entkommt er mit heiler Haut den Eisenbahnunglücken, den Überfällen kalifornischer Bären und der Schwarzfuß- Indianer; nicht einmal skalpiert –. Uh, da ist er ja!

Bernick sieht die Straße hinunter. Olaf ist auch mit!

Hilmar. Ja, natürlich! Sie wollen den Leuten demonstrieren, daß sie zur ersten Familie der Stadt gehören. Seht nur, seht! Wie die Tagediebe alle aus der Apotheke kommen und ihnen nachgaffen und ihre Glossen machen. Das ist wirklich nichts für meine Nerven; wie ein Mann unter diesen Umständen die Fahne der Idee hochhalten soll, das –

Bernick. Sie steuern gerade auf unser Haus zu. Höre, Betty, es ist mein ausdrücklicher Wunsch, daß Du zu ihnen so liebenswürdig, wie nur möglich, bist.

Frau Bernick. Das erlaubst Du, Karsten –?

Bernick. Gewiß, gewiß; und auch Du, Hilmar. Sie bleiben hoffentlich nicht so lange hier. Und wenn wir unter uns sind – keine Anspielungen; wir dürfen sie durchaus nicht vor den Kopf stoßen.

Frau Bernick. O, Karsten, wie hochherzig Du bist!

Bernick. Na, na, – laß nur gut sein!

Frau Bernick. Nein, laß mich Dir danken und vergib, daß ich vorhin so heftig war! Du hattest ja alle Ursache –

Bernick. Schon gut, schon gut, sage ich!

Hilmar. Uh!

Johann Tönnesen und Dina, denen Lona und Olaf folgen, kommen durch den Garten.

Lona. Guten Tag, guten Tag, Ihr lieben Menschen!

Johann. Wir sind aus gewesen, Karsten, und haben uns auf den alten Stätten wieder umgesehen.

Bernick. Ja, ich höre es. Große Veränderungen, – nicht wahr?

Lona. Überall Konsul Bernicks große und gute Taten. Wir waren oben in den Anlagen, die Du der Stadt geschenkt hast –

Bernick. So, dort?

Lona. »Karsten Bernicks Schenkung«, wie über dem Eingang steht. Ja, Du bist hier der Mann vom Ganzen.

Johann. Und prächtige Schiffe hast Du auch. Ich habe den Kapitän des »Palmbaum« getroffen, meinen alten Schulkameraden –

Lona. Und ein neues Schulhaus, das hast Du ja auch gebaut; und auch die Gasanlage und die Wasserleitung verdankt man Dir, wie ich höre.

Bernick. Na, man muß doch etwas tun für die Gesellschaft, in der man lebt.

Lona. Ja, das ist brav, Schwager; aber es ist auch eine Freude zu sehen, wie stolz die Leute auf Dich sind. Ich bin nicht eitel, glaube ich. Aber ich konnte es doch nicht unterlassen, diesen oder jenen, mit dem wir sprachen, darauf aufmerksam zu machen, daß wir mit zur Familie gehören.

Hilmar. Uh –!

Lona. Du sagst »uh« dazu?

Hilmar. Nein, ich sagte hm –

Lona. Das soll Dir erlaubt sein, Du armer Narr. Doch Ihr seid ja heute ganz allein?

Frau Bernick. Ja, heute sind wir allein.

Lona. Herrje, wir trafen ein paar von den Moralischen oben auf dem Markt; sie schienen es sehr eilig zu haben. Aber wir haben uns ja noch gar nicht ordentlich ausgesprochen. Gestern waren ja erst diese drei Bahnbrecher da, und dann kam der Pastor –

Hilmar. Adjunkt.

Lona. Ich nenne ihn den Pastor. Aber was sagt Ihr denn zu dem Werk, das ich in diesen fünfzehn Jahren geleistet habe? Ist er nicht ein prächtiger Junge geworden! Wer erkennt den Wildfang wieder, der von Hause durchbrannte?

Hilmar. Hm –!

Johann. Na, Lona, übertreibe doch nicht!

Lona. Nein, darauf tue ich mir wirklich was zugute. Herrgott! Das ist ja das Einzige, was ich hier in der Welt vollbracht habe. Aber das gibt mir auch gewissermaßen ein Recht aufs Dasein. Ja, Johann, wenn ich daran denke, wie wir Zwei drüben begonnen haben mit unsern vier leeren Tatzen –

Hilmar. Händen.

Lona. Ich sage Tatzen, denn dreckig waren sie –

Hilmar. Uh!

Lona. – und leer waren sie auch.

Hilmar. Leer? Da muß ich aber doch sagen –!

Lona. Was mußt Du sagen?

Bernick. Hm!

Hilmar. Da muß ich doch sagen –,uh! Ab auf die Terrasse.

Lona. Was hat denn der Mensch?

Bernick. Ach, laß ihn gehen; er ist augenblicklich etwas nervös. Doch willst Du Dich nicht ein bißchen im Garten umschauen? Da bist Du ja noch gar nicht gewesen, und ich habe gerade ein Stündchen freie Zeit.

Lona. Ja, das will ich gern. Ihr könnt mir glauben, ich bin gar manches liebe Mal mit meinen Gedanken hier im Garten bei Euch gewesen.

Frau Bernick. Du wirst sehen, da sind auch große Veränderungen vor sich gegangen.

Bernick, Frau Bernick und Lona ab in den Garten, wo man sie während des Folgenden hier und dort gewahrt.

Olaf in der Gartentür. Onkel Hilmar, weißt Du, was Onkel Johann mich gefragt hat? Er hat gefragt, ob ich mit ihm nach Amerika will.

Hilmar. Du? So ein Schafskopf, der immer an Mutters Schürze hängt?

Olaf. Ja, aber das will ich nicht länger. Du wirst sehen, wenn ich groß bin –

Hilmar. Ach, dummes Zeug! Du hast kein ernstes Streben nach der Abhärtung, die –

Beide ab in den Garten.

Johann zu Dina, die den Hut abgenommen hat, an der Tür rechts steht und den Staub von ihrem Kleid schüttelt. Sie sind ganz warm geworden von der Promenade.

Dina. Ja, es war ein schöner Spaziergang; einen so schönen habe ich noch nie gemacht.

Johann. Sie gehen wohl nicht oft vormittags aus?

Dina. O ja; aber nur mit Olaf.

Johann. So. – Sie möchten vielleicht gern in den Garten, oder bleiben Sie lieber hier?

Dina. Ich bleibe lieber hier.

Johann. Ich auch. Also abgemacht: wir gehen jeden Morgen zusammen spazieren.

Dina. Nein, Herr Tönnesen, – das sollten Sie nicht tun.

Johann. Warum sollte ich nicht? Sie haben es mir ja doch versprochen.

Dina. Das wohl! Aber wenn ich es mir recht überlege, so –. Sie sollten nicht mit mir ausgehen.

Johann. Und warum nicht?

Dina. Sie sind fremd hier; Sie können das nicht verstehen; aber ich muß Ihnen sagen –

Johann. Nun?

Dina. Nein, ich will doch lieber davon nicht sprechen.

Johann. O doch! Mit mir können Sie von allem sprechen, was es auch sei.

Dina. So hören Sie denn: ich bin nicht wie die andern jungen Mädchen; es hat so eine – so eine eigene Bewandtnis mit mir. Deshalb sollen Sie es nicht tun.

Johann. Aber von alledem verstehe ich ja kein Wort. Sie haben doch nichts verbrochen?

Dina. Nein, ich nicht, aber – nein, nichts mehr davon! Sie erfahren es schon noch durch die andern.

Johann. Hm.

Dina. Aber – ich möchte Sie gern etwas fragen.

Johann. Und das wäre?

Dina. Es soll ja so leicht sein, drüben in Amerika etwas Tüchtiges zu werden?

Johann. Na, so leicht ist es gerade nicht immer; im Anfang muß man sich oft abrackern und hart arbeiten.

Dina. Ach, das möchte ich gerne –

Johann. Sie?

Dina. Ich kann schon arbeiten; ich bin stark und gesund, und Tante Martha hat mich vieles gelehrt.

Johann. Alle Wetter! So kommen Sie und reisen Sie mit uns!

Dina. Ach, jetzt scherzen Sie nur! Das haben Sie auch zu Olaf gesagt. Aber ich möchte bloß noch eins wissen, – ob die Leute drüben auch so sehr – so sehr moralisch sind.

Johann. Moralisch?

Dina. Ja; ich meine, ob sie so – so anständig und gesittet sind wie hier.

Johann. Na, jedenfalls sind sie nicht so schlimm, wie man hier glaubt. Davor brauchen Sie keine Angst zu haben.

Dina. Sie verstehen mich nicht. Ich wünschte sie gerade nicht so sehr anständig und moralisch.

Johann. Nicht? Wie sollten sie denn sonst sein?

Dina. Sie sollten natürlich sein.

Johann. Jawohl! Das sind sie vielleicht.

Dina. Dann wäre es gut für mich, wenn ich hinüberkäme.

Johann. Gewiß – und darum sollen Sie mit uns reisen.

Dina. Nein, nicht mit Ihnen möchte ich reisen; ich müßte allein reisen. Ach, ich wollte es schon zu etwas bringen; ich wollte schon tüchtig werden –

Bernick unterhalb der Terrasse bei den beiden Damen. Bleib, bleib, liebe Betty; ich hol' ihn Dir; Du könntest Dich erkälten.

Er kommt in das Zimmer und sucht Frau Bernicks Schal.

Frau Bernick draußen im Garten. Du mußt auch mitkommen, Johann; wir gehen in die Grotte.

Bernick. Nein, Johann, der soll jetzt hierbleiben! Da, Dina! Bring meiner Frau den Schal und geh mit. Johann bleibt hier bei mir, liebe Betty. Ich muß doch etwas über die Verhältnisse drüben hören.

Frau Bernick. Ja, ja! Aber komm bald nach; Du weißt ja, wo wir zu finden sind.

Frau Bernick, Lona und Dina links ab durch den Garten.

Bernick sieht ihnen einen Augenblick nach, schließt darauf die oberste Tür links; dann geht er auf Johann zu, faßt dessen beide Hände, schüttelt und drückt sie. Johann, jetzt sind wir allein; jetzt laß mich Dir danken.

Johann. Ach was!

Bernick. Mein Haus und Heim, das Glück meines Herdes, meine ganze bürgerliche Stellung in der Gesellschaft – das alles verdanke ich Dir!

Johann. Na, das freut mich, lieber Karsten. So ist doch noch etwas Gutes bei der tollen Geschichte herausgekommen.

Bernick schüttelt abermals Johanns Hände. Dank, Dank nochmals. Nicht einer unter Tausenden hätte getan, was Du damals für mich getan hast.

Johann. Nicht der Rede wert! Waren wir nicht alle beide jung und leichtlebig? Einer von uns mußte doch die Schuld auf sich nehmen –

Bernick. Aber wem kam das eher zu als dem Schuldigen?

Johann. Stop! Damals kam es dem Unschuldigen eher zu. Ich war ja frank und frei, elternlos; es war ein reines Glück, aus der Rechenstube und ihren Plackereien herauszukommen. Du hingegen hattest Deine alte Mutter noch am Leben, und außerdem hattest Du Dich gerade heimlich mit Betty verlobt, die Dir so gut war. Was hätte sie angefangen, wenn sie erfahren hätte –

Bernick. Wahr; wahr; wahr, aber –

Johann. Und hast Du nicht gerade Betty zuliebe dies Techtelmechtel mit Frau Dorf aufgegeben? Um mit ihr ein für allemal zu brechen, warst Du doch bei ihr oben an jenem Abend –

Bernick. Ja, an dem unglückseligen Abend, als der Mensch betrunken nach Hause kam –! Ja, Johann, es geschah Betty zuliebe; immerhin, – daß Du so großmütig den Verdacht auf Dich lenken und aus dem Lande gehen konntest –

Johann. Keine Skrupel, lieber Karsten. Wir hatten uns ja dahin verständigt, daß es so sein sollte. Gerettet mußtest Du doch werden, und Du warst ja mein Freund. Wie stolz war ich auf diese Freundschaft! Hier ging ich armseliger Prolet umher und schindete mich ab; und da kommst Du, fein und vornehm, von Deiner großen Reise ins Ausland zurück, – warst in London und Paris gewesen und erwählst mich zu Deinem Busenfreund, obgleich ich vier Jahr jünger war als Du; – ja, das geschah, weil Du Betty den Hof machtest; jetzt verstehe ich es schon. Aber wie stolz war ich darauf! Und wer wäre es nicht gewesen? Wer würde sich nicht gern für Dich geopfert haben, zumal es sich um nichts weiter handelte als um einen vorübergehenden Stadtklatsch? Und dann konnte ich ja doch auch hinaus in die weite Welt.

Bernick. Hm, mein lieber Johann! Aufrichtig gesagt, die Geschichte ist noch nicht so ganz vergessen.

Johann. Nicht? Na, was schert das mich, wenn ich wieder drüben auf meiner Farm sitze –

Bernick. Du gehst also zurück?

Johann. Versteht sich.

Bernick. Aber doch nicht so bald, hoffe ich?

Johann. So bald wie möglich. Ich bin ja nur Lona zu Gefallen mit herüber gekommen.

Bernick. Lona–? Wieso?

Johann. Ja, siehst Du, sie ist doch nicht mehr ganz jung; und in letzter Zeit wurde sie allmählich von einer unbezwinglichen Sehnsucht nach der Heimat ergriffen; aber sie wollte es nicht eingestehen. Er lächelt. Wie durfte sie wagen, mich leichtsinnigen Schlingel allein zurückzulassen, mich, der sich schon mit neunzehn Jahren abgegeben hatte mit –

Bernick. Und –?

Johann. Ja, Karsten, nun komme ich mit einer Beichte, deren ich mich schäme.

Bernick. Du hast Lona doch nicht etwa in die Geschichte eingeweiht?

Johann. Ja. Es war unrecht von mir; aber ich konnte nicht anders. Du machst Dir keine Vorstellung davon, was Lona mir gewesen ist. Du hast sie nie ausstehen können; aber mir ist sie eine Mutter gewesen. In den ersten Jahren, als es uns drüben so kärglich ging, – wie hat sie da nicht gearbeitet! Und als ich lange Zeit schwerkrank darnieder lag und nichts verdienen konnte und sie nicht daran hindern konnte, gab sie sich dazu her, in den Kaffeehäusern zu singen, – Vorträge zu halten, über die sich die Leute lustig machten; und dann schrieb sie ein Buch, über das sie später lachte und weinte, – alles nur, um mich am Leben zu erhalten. Konnte ich es da mit ansehen, wie sie im letzten Winter sich unausgesetzt verzehrte, – sie, die für mich geschafft und sich abgeplagt hatte? Nein, das konnte ich nicht, Karsten! Und so sagte ich zu ihr: »Reise nur, Lona; um mich braucht Dir nicht bange zu sein; ich bin nicht so leichtsinnig wie Du denkst.« Und da – da bekam sie es zu wissen.

Bernick. Und wie nahm sie es auf?

Johann. Nun, sie meinte ganz richtig, wenn ich mich unschuldig wüßte, so läge doch kein Grund vor, warum ich nicht eine Spritzfahrt mit hinüber machen dürfte. Aber Du kannst ganz ruhig sein! Lona verrät nichts; und ich werde meine Zunge ein zweites Mal hüten.

Bernick. Ja, ja, – darauf verlasse ich mich.

Johann. Hier ist meine Hand! Und nun wollen wir nicht mehr von der alten Geschichte reden. Glücklicherweise ist das der einzige tolle Streich geblieben, den wir beide verbrochen haben, denke ich. Nun will ich die wenigen Tage, die ich hier bin, recht genießen. Du glaubst nicht, was das für ein prächtiger Spaziergang heut morgen gewesen ist. Wer hätte geglaubt, der Knirps, der hier umherlief und die Engel auf dem Theater spielte –! Aber sag' mir, Du, – wie ging es denn später ihren Eltern?

Bernick. Mein Lieber, ich weiß nicht mehr zu sagen, als was ich Dir gleich nach Deiner Abreise geschrieben habe. Du hast doch die beiden Briefe bekommen?

Johann. Jawohl, jawohl – alle beide. Der Saufaus ist ihr ja wohl durchgebrannt?

Bernick. Und hat sich später zu Tode gesoffen.

Johann. Sie starb ja auch bald darauf? Aber Du tatest gewiß so in aller Stille für sie, was Du konntest?

Bernick. Sie war stolz; sie verriet nichts, und sie wollte nichts annehmen.

Johann. Na, es war jedenfalls recht von Dir, daß Du Dina ins Haus genommen hast.

Bernick. Allerdings. Übrigens war es eigentlich Martha, die es durchsetzte.

Johann. So, Martha? Martha, ist ja wahr, – wo steckt die denn heut?

Bernick. Ach, die, – wenn sie nicht Unterricht gibt, so hat sie ihre Kranken.

Johann. Also Martha hat sich ihrer angenommen.

Bernick. Ja, Martha hat ja von jeher eine gewisse Schwäche für das Erziehungswesen gehabt. Darum hat sie auch eine Stelle an der Volksschule angenommen. Das war eine gewaltige Dummheit von ihr.

Johann. Ja, sie sah gestern wirklich sehr angegriffen aus; ich fürchte, sie ist auch nicht gesund genug für so etwas.

Bernick. Ach, was ihre Gesundheit anbetrifft, so könnte sie immerhin dabei bleiben. Aber es ist unangenehm für mich; es sieht so aus, als ob ich, ihr Bruder, nicht gesonnen sei, für ihren Unterhalt zu sorgen.

Johann. Unterhalt? Ich glaubte, sie hätte selbst so viel Vermögen, um –

Bernick. Keinen Heller. Du entsinnst Dich doch, in was für Verlegenheiten meine Mutter steckte, – damals, als Du gingst. Sie trieb es noch eine Weile mit meiner Hilfe so fort; doch damit konnte mir natürlich auf die Dauer nicht gedient sein. So ließ ich mich in die Firma aufnehmen; aber auf diese Weise ging's auch wieder nicht. Ich mußte also das Ganze übernehmen; und als wir Bilanz machten, da stellte sich's heraus, daß auf Mutters Teil so gut wie nichts übrig blieb. Und als Mutter bald darauf starb, saß natürlich auch Martha auf dem Trocknen.

Johann. Die arme Martha!

Bernick. Arm, – wieso? Du glaubst doch nicht etwa, ich ließe sie irgend etwas entbehren? O nein, ich kann wohl sagen, ich bin ihr ein guter Bruder. Sie wohnt selbstverständlich mit uns zusammen und speist an unserm Tisch; für ihr Lehrerinnengehalt kann sie sich sehr anständig kleiden, und ein alleinstehendes Frauenzimmer, – was braucht die mehr?

Johann. Hm; so denken wir in Amerika nicht.

Bernick. Das will ich glauben. In einer so revolutionierten Gesellschaft, wie der amerikanischen. Doch hier in unserm kleinen Kreis, wo gottlob die Verderbnis, bis dato wenigstens, keinen Eingang gefunden hat, – hier begnügen sich die Frauen damit, eine angemessene, wenn auch bescheidene Stellung einzunehmen. Es ist übrigens Marthas eigne Schuld; sie hätte längst versorgt sein können, wenn sie nur gewollt hätte.

Johann. Du meinst, sie hätte sich verheiraten können?

Bernick. Ja, man hätte sie sogar sehr favorabel anbringen können. Es wurden ihr mehrere vorteilhafte Partien angeboten. Merkwürdig genug! Ein unbemitteltes Mädchen, nicht mehr jung und außerdem ganz unbedeutend.

Johann. Unbedeutend?

Bernick. Na, ich mache ihr ja keinen Vorwurf daraus. Ich wünsche sie überhaupt nicht anders. Weißt Du, – in einem großen Haus, wie dem unsrigen, da ist es immer gut, so einen einfachen Menschen zu haben, den man zu allem verwenden kann.

Johann. Ja, aber sie –?

Bernick. Sie? Was denn? Nun ja, sie hat natürlich auch etwas, wofür sie sich interessiert; sie hat ja mich und Betty und Olaf und mich. Die Menschen müssen nicht immer in erster Reihe an sich selber denken, und am allerwenigsten die Frauenzimmer. Wir haben ja doch alle eine mehr oder minder große Gesellschaft zu stützen und für sie zu wirken. Ich tu's jedenfalls. Er weist auf Krap, der von rechts kommt. Hier hast Du gleich den Beweis. Glaubst Du, es sind meine eigenen Geschäfte, die mich da in Anspruch nehmen? O bewahre. Rasch zu Krap. Nun?

Krap leise, indem er einen Stoß Papiere zeigt. Alle Kaufverträge in Ordnung.

Bernick. Herrlich! Vortrefflich! – Nun mußt Du mich für eine Weile entschuldigen, Schwager. Mit gedämpfter Stimme, indem er ihm die Hand drückt. Dank, Dank, Johann; und sei überzeugt, daß ich Dir jeden Dienst – na, Du verstehst mich schon. – Kommen Sie, Herr Krap.

Ab in Bernicks Zimmer.

Johann sieht ihm eine Weile nach. Hm –

Er will in den Garten gehen; in demselben Augenblick kommt Martha mit einem kleinen Korb am Arm, von rechts.

Johann. Ei sieh! Martha!

Martha. Ah – Johann – Du bist es?

Johann. Du auch schon so früh unterwegs?

Martha. Ja. Wart' ein wenig; die andern müssen gleich kommen.

Sie will nach links abgehen.

Johann. Hör' mal, Martha, hast Du es immer so eilig?

Martha. Ich?

Johann. Gestern bist Du mir sichtlich aus dem Wege gegangen, so daß ich kein Wort mit Dir sprechen konnte, und heute –

Martha. Aber –

Johann. Früher waren wir doch unzertrennlich, – wir zwei alten Spielkameraden.

Martha. Ach, Johann, das ist viele, viele Jahre her.

Johann. Herrje, fünfzehn Jahre ist es her, auf den Kopf. Findest Du etwa, ich hätte mich sehr verändert?

Martha. Du? O ja, Du auch, – obgleich –

Johann. Nun, was –

Martha. Ach, nichts.

Johann. Du scheinst mir nicht gerade sehr erfreut, mich wiederzusehen.

Martha. Ich habe so lange gewartet, Johann, – zu lange.

Johann. Gewartet, – daß ich kommen würde?

Martha. Ja.

Johann. Und warum, meintest Du, würde ich kommen?

Martha. Um zu sühnen, was Du verbrochen hast.

Johann. Ich?

Martha. Hast Du vergessen, daß eine Frau in Not und Schande um Deinetwillen gestorben ist? Hast Du vergessen, daß um Deinetwillen die schönsten Jahre eines heranwachsenden Kindes verbittert wurden?

Johann. Und das muß ich von Dir hören! Martha, so hat Dein Bruder nie –?

Martha. Was –?

Johann. Hat er nie – nun ja, ich meine, hat er niemals auch nur ein Wort der Entschuldigung für mich gehabt?

Martha. Ach, Johann, Du kennst doch Karstens strenge Grundsätze.

Johann. Hm – gewiß, gewiß; ich kenne die strengen Grundsätze meines alten Freundes Karsten schon. Aber das ist doch –! Na! Ich habe ihn eben gesprochen. Ich finde, er hat sich merklich verändert.

Martha. Wie kannst Du das sagen? Karsten ist doch immer das Muster eines Mannes gewesen.

Johann. So war's nicht gerade gemeint; aber laß nur! – Hm, jetzt begreife ich erst, in welchem Licht Du mich gesehen hast: es war die Heimkehr des verlorenen Sohns, auf die Du gewartet hast.

Martha. Johann, ich will Dir sagen, in welchem Licht ich Dich gesehen habe. Sie zeigt in den Garten hinunter. Siehst Du sie, die dort unten im Grase mit Olaf spielt? Es ist Dina. Entsinnst Du Dich noch des konfusen Briefes, den Du mir geschrieben hattest, als Du weggingst? Du schriebst, ich sollte an Dich glauben. Ich habe an Dich geglaubt, Johann. All die bösen Dinge, von denen man sich später hier erzählt hat, müssen in der Verwirrung, gedankenlos, ohne Überlegung geschehen sein –-

Johann. Was für Dinge meinst Du?

Martha. Ach, Du verstehst mich recht gut; – laß das! Aber Du mußtest ja weg, von vorn beginnen – ein neues Leben. Siehst Du, Johann, ich bin Dein Stellvertreter hier in der Heimat gewesen, – ich, Dein alter Spielkamerad. Die Pflichten, die Du hier versäumtest oder nicht erfüllen konntest, die habe ich für Dich erfüllt. Ich sage Dir das, damit Du nicht Dir auch dies noch vorzuwerfen hast. Dem armen, rechtlosen Kinde bin ich eine Mutter gewesen; ich habe es erzogen, so gut ich konnte –

Johann. Und hast Dein ganzes Leben damit verschwendet –

Martha. Es ist nicht verschwendet. Aber Du bist spät gekommen, Johann.

Johann. Martha, – könnte ich Dir nur sagen –. Na, hab' jedenfalls Dank für Deine treue Freundschaft!

Martha lächelt wehmütig. Hm –. So, nun hätten wir uns also ausgesprochen. Still, es kommt wer. Adieu! Ich kann jetzt nicht –

Ab durch die hinterste Tür links. Lona, begleitet von Frau Bernick, kommt aus dem Garten.

Frau Bernick noch im Garten. Um Gottes willen, Lona, was fällt Dir ein!

Lona. Laß mich, sage ich! Ich will und muß mit ihm reden.

Frau Bernick. Aber das wäre ja der größte Skandal! Ah, Johann, Du bist noch hier?

Lona. Hinaus mit Dir, Junge! Hock' nicht immer in der Stube! Geh in den Garten und unterhalte Dich mit Dina!

Johann. Das hatte ich eben vor.

Frau Bernick. Aber –

Lona. Hör' mal, Johann, hast Du Dir Dina ordentlich angesehen?

Johann. Ich meine schon.

Lona. Du solltest sie Dir recht genau ansehen, Junge! Das wäre was für Dich!

Frau Bernick. Aber Lona –!

Johann. Was für mich?

Lona. Ja, zum Ansehen, meine ich. Geh jetzt!

Johann. Mit dem größten Vergnügen! Ab in den Garten.

Frau Bernick. Lona! Ich bin starr über Dich! Das kann doch unmöglich Dein Ernst sein.

Lona. Mein voller Ernst! Ist sie nicht frisch und gesund und rechtschaffen? Das ist die richtige Frau für Johann; eine, wie er sie drüben braucht. Das ist was anderes als eine alte Stiefschwester!

Frau Bernick. Dina? Dina Dorf! So bedenk doch –!

Lona. Mein erster und einziger Gedanke ist das Glück des Jungen. Dazu muß ich ihm verhelfen; er selber hat kein Geschick zu dergleichen Sachen; für die Frauenzimmer hat er nie so recht ein Auge gehabt.

Frau Bernick. Er? Johann? Na, mir scheint doch, wir hätten traurige Beweise –

Lona. Ach, zum Henker mit der dummen Geschichte! Wo ist Bernick? Ich will ihn sprechen.

Frau Bernick. Lona, Du wirst es nicht tun, sage ich.

Lona. Und doch. Mag der Junge sie leiden und sie ihn, so sollen sie sich auch haben! Bernick ist ja ein so kluger Mann; er muß einen Ausweg wissen –

Frau Bernick. Und Du glaubst, man würde diese amerikanischen Unanständigkeiten hier dulden –

Lona. Dummes Zeug, Betty –

Frau Bernick. – daß ein Mann, wie Karsten, bei seiner strengen moralischen Denkart –

Lona. Ach was! Die ist wohl nicht so übertrieben streng

Frau Bernick. Was unterstehst Du Dich – ?

Lona. Ich unterstehe mich zu behaupten, daß Bernick wohl auch nicht viel moralischer ist als andere Mannsleute.

Frau Bernick. So tief also sitzt noch der Haß in Dir! Aber was willst Du denn hier, wenn Du nie hast vergessen können, daß –? Ich begreife nicht, wie Du ihm unter die Augen treten konntest nach der schmählichen Beleidigung, die Du ihm damals zugefügt hast.

Lona. Ja, Betty, damals habe ich mich bös vergaloppiert.

Frau Bernick. Und wie hochherzig hat er Dir vergeben, und hatte doch nicht das Geringste verbrochen! Denn er konnte doch nichts dafür, daß Du Dir Hoffnungen gemacht hattest. Aber seit der Zeit hast Du auch mich gehaßt. Sie bricht in Tränen aus. Du hast mir nie mein Glück gegönnt. Und nun kommst Du und bringst mich in diese ganzen Widerwärtigkeiten, – um der Stadt zu zeigen, in was für eine Familie Karsten durch mich gekommen ist. Ja, ich werde es auszubaden haben, – aber das willst Du ja gerade. O, das ist abscheulich von Dir!

Sie geht weinend ab durch die oberste Tür links.

Lona ihr nachblickend. Arme Betty!

Bernick noch in der Tür. Ja, ja, es ist gut, Herr Krap, – ausgezeichnet. Schicken Sie vierhundert Kronen für die Speisung der Armen! Wendet sich um. Lona! Näher. Du bist allein? Ist Betty nicht da?

Lona. Nein. Soll ich sie vielleicht holen?

Bernick. Nein, nein, nein, laß nur! Ach Lona, Du weißt nicht, wie ich darauf gebrannt habe, offen mit Dir zu reden, – um Deine Verzeihung zu erflehen!

Lona. Mein lieber Karsten, werden wir nicht sentimental: das steht uns schlecht.

Bernick. Du mußt mich anhören, Lona! Ich weiß, wie der Schein gegen mich ist jetzt, nachdem Du die Sache mit Dinas Mutter erfahren hast. Aber ich schwöre Dir zu, es war nur eine kurze Verirrung; ich habe Dich einst wirklich, wahrhaft und aufrichtig geliebt.

Lona, Warum, meinst Du, bin ich zurückgekommen?

Bernick. Was Du auch vorhaben magst, ich flehe Dich an, nichts zu unternehmen, bis ich mich gerechtfertigt habe. Ich kann es, Lona; zum mindesten kann ich mich entschuldigen.

Lona. Du hast jetzt Angst. – Du hast mich geliebt, sagst Du. Ja, das hast Du mir oft genug in Deinen Briefen versichert; und vielleicht ist es auch wahr gewesen – in gewissem Sinne, solange Du noch da draußen in einer großen Welt der Freiheit lebtest, die Dir den Mut gab, selbst frei und groß zu denken. Du hast vielleicht bei mir ein bißchen mehr Charakter und Willen und Selbständigkeit gefunden als bei den meisten hier zu Lande. Und dann war es ja ein Geheimnis zwischen uns beiden; niemand konnte sich über Deinen schlechten Geschmack lustig machen.

Bernick. Lona, wie kannst Du nur glauben –!

Lona. Aber als Du nun zurückkehrtest, als Du die spöttischen Glossen vernahmst, die auf mich niederhagelten, das Gelächter hörtest über das, was sie hier meine Verdrehtheiten nannten –

Bernick. Du warst damals auch rücksichtslos.

Lona. Doch eigentlich nur, um diese Zieraffen in Hosen und Unterröcken zu ärgern, die in der Stadt herumwimmelten. – Und als Du dann der jungen, verführerischen Schauspielerin begegnetest –

Bernick. Das war ein Dummerjungenstreich, – nichts weiter; ich schwör' es Dir, nicht der zehnte Teil der Gerüchte und Klatschereien, die damals umliefen, ist wahr gewesen.

Lona. Schon gut! Aber als nun Betty heimkam, schön, blühend, von allen vergöttert, – und als bekannt wurde, sie würde das ganze Vermögen der Tante erben, und ich bekäme nichts –

Bernick. Ja, da sind wir bei der Sache, Lona; und nun sollst Du alles ohne Umschweife hören. Ich liebte Betty damals nicht; ich brach mit Dir nicht um einer neuen Leidenschaft willen. Offen gesagt, es geschah um des Geldes willen. Ich war dazu genötigt; ich mußte mir das Geld sichern.

Lona. Und das sagst Du mir so gerade ins Gesicht?

Bernick. Jawohl! Hör' mich an, Lona –

Lona. Und doch hast Du mir geschrieben, eine unbezwingliche Liebe zu Betty hätte von Dir Besitz genommen, hast meine Großmut angerufen, hast mich beschworen, um Bettys willen von dem zu schweigen, was zwischen uns bestanden hatte –

Bernick. Das mußte ich tun.

Lona. Nun, beim allmächtigen Gott, dann bereue ich heute nicht, was ich damals in der Leidenschaft getan habe.

Bernick. Laß mich Dir meine damalige Lage kühl und ruhig schildern. Meine Mutter war, wie Du Dich erinnerst, Chef des Hauses; aber sie hatte keine Spur von Geschäftssinn. Ich wurde eilig von Paris zurückgerufen; die Zeiten waren kritisch; ich sollte das Geschäft wieder auf die Beine bringen. Was fand ich? Ich fand, was ich als tiefstes Geheimnis hüten mußte, ein so gut wie ruiniertes Haus. Ja, so gut wie ruiniert war' es, dieses alte, angesehene Haus, das drei Generationen hindurch bestanden hatte. Was blieb mir, dem Sohne, dem einzigen Sohne, andres übrig, als mich nach einem Rettungsmittel umzusehen ?

Lona. Und so hast Du das Haus Bernick auf Kosten eines Weibes gerettet?.

Bernick. Du weißt recht gut, daß Betty mich liebte.

Lona. Und ich?

Bernick. Glaub' mir, Lona, – Du wärst nie glücklich mit mir geworden.

Lona. Geschah es aus Sorge um mein Glück, daß Du mich preisgegeben hast?

Bernick. Glaubst Du vielleicht, ich hätte aus Motiven des Eigennutzes so gehandelt, wie ich gehandelt habe? – Hätte ich damals allein gestanden, ich würde mit frischem Mut von vorn angefangen haben. Aber Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ein Geschäftsmann, unter dem Druck einer maßlosen Verantwortung, mit dem Geschäft zusammenwächst, das er geerbt hat. Weißt Du, daß das Wohl und Wehe Hunderter, ja Tausender von ihm abhängt? Bedenkst Du nicht, daß dieser ganzen Gesellschaft, in der Du und ich von Jugend auf heimisch sind, der Sturz des Hauses Bernick sehr fühlbar geworden wäre?

Lona. Also auch der Gesellschaft zu Gefallen hast Du diese fünfzehn Jahre in der Lüge ausgehalten?

Bernick. In der Lüge?

Lona. Wie viel weiß Betty von dem, was ihrer Verbindung mit Dir zugrunde liegt und vorausgegangen ist?

Bernick. Wozu ihr Dinge enthüllen, die sie ohne Zweck schmerzen würden?

Lona. Ohne Zweck, sagst Du? Ach, Du bist ja Geschäftsmann; Du mußt Dich ja auf das Zweckmäßige verstehen. – Doch, lieber Karsten, jetzt will auch ich kühl und ruhig reden. Sag' mir, – bist Du nun auch wirklich glücklich?

Bernick. Im Schoß meiner Familie, meinst Du?

Lona. Jawohl.

Bernick. Das bin ich, Lona. Ach, Du warst mir nicht vergebens eine so aufopfernde Freundin! Ich darf wohl sagen, daß ich von Jahr zu Jahr glücklicher geworden bin. Betty ist gut und fügsam. Und wie sie im Lauf der Jahre gelernt hat, ihr Wesen meiner Eigenart anzupassen –

Lona. Hm.

Bernick. Früher hatte sie ja doch ein gut Teil überspannter Vorstellungen von der Liebe; sie konnte sich nicht mit dem Gedanken befreunden, daß die Liebe nach und nach in eine milde Freundschaft übergehen müßte. Lona. Aber jetzt hat sie sich in diesen Gedanken gefunden ?

Bernick. Vollständig. Du begreifst wohl, daß der tägliche Umgang mit mir nicht ohne ersprießlichen Einfluß auf sie gewesen ist. Die Menschen müssen lernen, gegenseitig ihre Ansprüche herabzustimmen, wenn sie in der Gesellschaft, der sie angehören, ihre Stelle ausfüllen wollen. Das hat auch Betty nach und nach einsehen gelernt, und darum ist unser Haus jetzt ein Muster für unsere Mitbürger.

Lona. Aber diese Mitbürger wissen nichts von der Lüge ?

Bernick. Von der Lüge?

Lona. Jawohl, – von der Lüge, in der Du nun fünfzehn Jahre lang aushältst.

Bernick. Und das nennst Du – ?

Lona. Die Lüge nenne ich's. Die dreifache Lüge. Erstlich die Lüge mir gegenüber; dann die Lüge Betty gegenüber; dann die Lüge Johann gegenüber.

Bernick. Betty hat nie verlangt, daß ich sprechen sollte.

Lona. Weil sie nichts gewußt hat.

Bernick. Und Du wirst es nicht verlangen, – aus Rücksicht auf sie wirst Du es nicht.

Lona. I freilich, ich werde den Hohn und Spott schon zu ertragen wissen; ich habe einen breiten Rücken.

Bernick. Und Johann wird es auch nicht verlangen, – das hat er mir versprochen.

Lona. Aber Du selbst, Karsten? Ist nicht etwas in Deinem Innern, das aus der Lüge herauszukommen begehrt ?

Bernick. Ich sollte freiwillig das Glück meines Hauses und meine Stellung in der Gesellschaft opfern?

Lona. Welches Recht hast Du auf diese Deine Stellung?

Bernick. In fünfzehn Jahren habe ich mir täglich ein Stückchen Recht erkauft – durch meinen Wandel und durch mein Wirken und durch den Erfolg.

Lona. Ja, Du hast mit vielem Erfolg gewirkt, – für Dich selber und für andere. Du bist der reichste und mächtigste Mann der Stadt; keiner wagt es, sich Deinem Willen zu widersetzen, weil Du für makellos und unantastbar giltst; Dein Haus gilt als ein Musterhaus, Dein Wandel als ein Musterwandel. Doch diese ganze Herrlichkeit steht wie auf schwankendem Moorgrund, und Du mit ihr. Ein Augenblick kann kommen, ein Wort kann fallen, – und Du gehst unter und die ganze Herrlichkeit mit, wenn Du Dich nicht beizeiten rettest.

Bernick. Lona, – was willst Du hier?

Lona. Ich will Dir festen Grund schaffen unter den Füßen.

Bernick. Rache! Du willst Dich rächen! Ich ahnte es schon. Doch das gelingt Dir nicht! Hier ist nur einer, der von Rechts wegen sprechen kann, und der ist stumm.

Lona. Johann?

Bernick. Ja, Johann. Will irgend ein anderer mich anklagen, so leugne ich alles; will man mich zugrunde richten, so wehre ich mich auf Tod und Leben. Aber nie soll Dir das gelingen, sage ich Dir. Der Mann, der mich stürzen könnte, schweigt, – und er reist wieder ab.

Rummel und Vigeland kommen von rechts.

Rummel. Guten Tag, guten Tag, lieber Bernick! Du mußt mit uns in den Handelsverein. Wir haben Sitzung in der Eisenbahnfrage, weißt Du doch.

Bernick. Ich kann nicht – unmöglich in diesem Augenblick.

Vigeland. Aber Sie müssen, Herr Konsul –

Rummel. Du mußt, Bernick! Da sind Leute, die Dir entgegenarbeiten. Der Redakteur Hammer und die andern, die für die Küstenlinie waren, behaupten, es steckten Privatinteressen hinter dem neuen Projekt.

Bernick. Na, so macht ihnen doch klar –

Vigeland. Wenn wir es ihnen klar machen, Herr Konsul, so hilft das nichts –

Rummel. Nein, nein, Du mußt selber mit; Dir wird natürlich keiner mit solch einem Verdacht zu kommen wagen.

Lona. Nein, das sollt' ich meinen!

Bernick. Ich kann nicht, sage ich; ich bin unwohl; – oder – so wartet wenigstens, bis ich mich gesammelt habe.

Rörlund kommt von rechts. Verzeihen Sie, Herr Konsul; Sie sehen mich in der heftigsten Aufregung –

Bernick. Ja, ja, – was fehlt Ihnen?

Rörlund. Ich muß eine Frage an Sie richten, Herr Konsul. Haben Sie Ihre Einwilligung dazu gegeben, daß das junge Mädchen, das unter Ihrem Dach ein Asyl gefunden hat, sich auf offener Straße in Gesellschaft eines Menschen zeigt, der –

Lona. Welches Menschen, Herr Pastor?

Rörlund. In Gesellschaft des Menschen, den sie am meisten von allen Menschen der Welt meiden sollte.

Lona. Hoho!

Rörlund. Geschieht es mit Ihrer Einwilligung, Herr Konsul?

Bernick, der Hut und Handschuhe sucht. Ich weiß von nichts. Entschuldigen Sie, ich habe Eile; ich muß in den Handelsverein.

Hilmar Tönnesen kommt aus dem Garten und geht zur obersten Tür links. Betty, Betty, so hör' doch mal!

Frau Bernick in der Tür. Was gibt's?

Hilmar. Du mußt in den Garten hinunter und der Liebelei ein Ende machen, die ein gewisses Subjekt mit dieser Dina Dorf treibt. Ich bin ganz nervös geworden vom bloßen Zuhören.

Lona. So? Was hat denn das Subjekt gesagt?

Hilmar. Er will, daß sie mit ihm nach Amerika geht – weiter nichts! Uh!

Rörlund. Ist so etwas möglich!

Frau Bernick. Was Du sagst! Lona. Aber das wäre ja herrlich!

Bernick. Unmöglich! Du hast nicht recht gehört.

Hilmar. So frag' ihn selbst! Da kommt das Pärchen. Aber laß mich aus dem Spiele.

Bernick zu Rummel und Vigeland. Ich komme nach – einen Augenblick –

Rummel und Vigeland ab nach rechts. Johann Tönnesen und Dina kommen aus dem Garten.

Johann. Hurra, Lona! Sie geht mit uns!

Frau Bernick. Aber, Johann – Du unbesonnener –!

Rörlund. Ist's möglich! Ein Skandal, wie er im Buche steht! Durch welche Verführungskünste ist es Ihnen gelungen –?

Johann. Herr! Was nehmen Sie sich heraus?

Rörlund. Antworten Sie mir, Dina! – Ist es Ihre Absicht, – ist es Ihr eigener, freier Entschluß?

Dina. Ich muß weg von hier.

Rörlund. Aber mit ihm – mit ihm!

Dina. Nennen Sie mir einen andern, der den Mut hätte, mich mitzunehmen.

Rörlund. Nun, dann sollen Sie auch erfahren, wer er ist!

Johann. Schweigen Sie!

Bernick. Kein Wort weiter!

Rörlund. Damit würde ich der Gesellschaft, über deren Moral und Sitten ich als Wächter gesetzt bin, wahrhaftig einen schlechten Dienst leisten; und unverantwortlich würde ich an diesem jungen Mädchen handeln, an deren Erziehung auch ich wesentlichen Anteil hatte, und die mir –

Johann. Hüten Sie Ihre Zunge!

Rörlund. Sie soll es wissen! Dina, dies ist der Mann, der an dem ganzen Unglück und der Schande Ihrer Mutter schuld war.

Bernick. Herr Rörlund –!

Dina. Er?! Zu Johann. Ist das wahr ?

Johann. Karsten, antworte Du!

Bernick. Kein Wort weiter! Heute kein Wort weiter!

Dina. Also wahr!

Rörlund. Wahr, wahr. Und mehr noch! Dieser Mensch, dem Sie Ihr Zutrauen schenken, brannte nicht mit leeren Händen durch; – die Kasse der Witwe Bernick – der Herr Konsul kann's bezeugen –

Lona. Lügner!

Bernick. Ah–!

Frau Bernick. O Gott, o Gott!

Johann mit erhobenem Arm auf Rörlund zu. Und das wagst Du –!

Lona abwehrend. Johann! Schlage ihn nicht!

Rörlund. Ja, vergreifen Sie sich nur an mir! Aber die Wahrheit soll an den Tag; und dies ist die Wahrheit; der Konsul Bernick hat es selbst gesagt, und die ganze Stadt weiß es. – Jetzt, Dina, jetzt kennen Sie ihn.

Kurze Pause.

Johann leise, indem er Bernick am Arm faßt. Karsten, Karsten, was hast Du getan!

Frau Bernick leise und in Tränen. O Karsten, daß ich diese Schande über Dich bringen mußte!

Sandstad kommt rasch von rechts und ruft, die Türklinke in der Hand: Aber jetzt müssen Sie endlich kommen, Herr Konsul! Die ganze Eisenbahn hängt nur noch an einem Haar!

Bernick wie geistesabwesend. Was ist –? Was soll ich –?

Lona ernst und mit Nachdruck. Du sollst hin, Schwager, und die Gesellschaft stützen.

Sandstadt. Ja, kommen Sie, kommen Sie! Wir brauchen Ihr ganzes moralisches Übergewicht!

Johann dicht neben Bernick. Bernick, – wir beide sprechen uns morgen!

Ab durch den Garten; Bernick geht willenlos mit Sandstad rechts ab.


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